2. Aspekte der Lehrer(innen)rolle

Werbung
[1]
Konrad Kleiner, Robert Schelander, Alois Ecker, Christina Gefäll, Gerald Weigl
Die Beobachtung von Lehr-Lern-Prozesse in fachdidaktischen
Lehrveranstaltungen des Lehramts im Setting Universität
Keywords: Beobachtung, Lehr-Lern-Prozesse, Fachdidaktik, Lehramt, Universität
1. Zur Einführung: Das Rahmenmodell und seine Dimensionen
Die Fachdidaktiken präsentieren sich in ihrer gegenwärtigen Form als ein differenziertes Gebilde von
mehr oder weniger lose verbundenen Einzeldisziplinen. Daher steht auch die Frage der inneren, theoretisch konstruierten Einheit der Fachdidaktiken der im Lehramtsstudium kontinuierlich zur Diskussion, seit sich diese, mit Beginn des 19. Jahrhunderts, begonnen haben von der Allgemeinen Didaktik
als „besondere Unterrichtslehre“ zu emanzipieren. In den Fachdidaktiken der Unterrichtsfächer (z. B.
Geschichte, Biologie, Deutsch, Theologie, Bewegung und Sport, …) im Lehramtsstudium sieht man
sich in der Regel auch mit einer Vielzahl von Theorien, Konzepten oder Modellen konfrontiert, die
den Gegenstandsbereich (Fach-)Didaktik auf heterogene Art und Weise abzubilden versuchen. In
diesem Aufgabenfeld positioniert sich die vorliegende und in den weiteren Ausführungen näher charakterisierte Beobachtungsstudie. Das interdisziplinär konzipierte Projekt macht sich die Lehr-LernProzesse unter dem Fokus von „fachdidaktisch“ (im Unterschied zu „fachwissenschaftlich“) in speziell
als fachdidaktisch ausgewiesenen Lehrveranstaltungen an der Universität Wien zum Anliegen.
Der Fokus der Beobachtungsstudie ist auf die grundsätzliche Frage gerichtet, wie didaktischmethodische Strategien, beispielsweise Anleiten, Arrangieren, Inszenieren oder Reflektieren, im Prozess des Lehrens und Lernens differenzierter Inhalte in verschiedenen Typen von Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Seminaren, Übungen, …) getrennt nach den im Forschungsprojekt involvierten
Lehramtsfächern kommuniziert werden.
Der vorliegende Abschnitt des Sammelbandes trägt den Titel „Beobachtung von Lehr-Lern-Prozesse in
fachdidaktischen Lehrveranstaltungen der Lehramtsausbildung“ und erörtert das Problemfeld (Fragestellung, Design, Ergebnisse) der Beobachtungsstudie in insgesamt sieben Einzelbeiträgen.
Im einleitenden Teil der Ausführungen zur Beobachtungsstudie mit dem Titel: Das Rahmenmodell
und seine Dimensionen (Konrad Kleiner) werden die Forschungsfragen der Studie vorgestellt, das
Beobachtungsinstrument vorgestellt, die Auswertungsstrategie erörtert und der organisatorische Ablauf in Einzelphasen näher beschrieben.
Die Rolle der Lehrenden (Robert Schelander) in unterschiedlichen Perspektiven und Funktionen
thematisiert, eng verknüpft mit Ergebnissen zur Professionsforschung, beziehungsdidaktische Anliegen. Gestützt auf systemtheoretisch-konstruktivistische Didaktikmodelle (u.a. Reich, Scheunpflug)
werden Rollenanforderungen an Lehrende differenziert erörtert und eine Vielfalt an Rollen im Lehrlern-Prozess fachdidaktischer Lehrveranstaltungen im Setting Universität identifiziert. Die Reflexion
der Ergebnisse auf der Folie von „Anwendung“ und „Studierendenperspektive“ durchzieht den Beitrag.
Rückkoppelung (Alois Ecker) ??????
Mit den Begriffen „Themen und Themenkonstituierung“ (Konrad Kleiner) in didaktischen Kontexten
wird untersucht, welche Themen in explizit fachdidaktisch ausgewiesenen Lehrveranstaltungen konstituiert werden. Dieser Abschnitt orientiert sich bewusst nicht am traditionellen Themenbegriff in
Anlehnung an Klafki, sondern interpretiert Thema als „sinnhafte Kommunikation“ in Anlehnung an
interaktionistisch-konstruktivistische Ansätze (z. B. Niklas Luhmann, Kersten Reich, Reinhard Voß und
Horst Siebert). Auf dieser Folie erweist sich das operieren mit dem Begriff „Thema“ im skizzierten
1
[2]
Kontext als Herausforderung. Insgesamt werden zehn Themenstränge mit mehreren Nebenthemen
isoliert und in ihrer zeitlichen Sequenzierung charakterisiert. Schließlich wird die Frage untersucht,
inwieweit einzelne Themen und Themenstränge typisch für bestimmte Lehrveranstaltungsmodelle
(z.B. Seminare, Vorlesungen, …) sind. Die Diskussion des Ableitbarkeitsprinzip und Kompatibilitätsprinzip von Themen in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen wäre zu vertiefen und intensiv zu führen.
„Aspekte der Lernorganisation in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen“ (Christina Gefäll) und ihr
Potential für die Aneignung fachdidaktischer Methoden (Verfahren) stehen im Fokus dieses Beitrags
der Beobachtungsstudie. Auf der Grundlage der erhobenen und analysierten Daten werden fünf komplexe Typen (Muster) der Lernorganisation unterschieden, ihre Verteilung in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen dargestellt und die Ergebnisse inhaltlich diskutiert. Deutlich zum Ausdruck gebracht
werden die vielfältigen Vernetzungen von Methodenwahl, Rollenverständnis, Beteiligungsgrad (Studierende) und Lernorganisation sowie das Problem der Änderung formaler Strukturen im Lehr-LernProzess.
Die „Fallarbeit“ (Gerald Weigl) als fundamentales Verbindungselement zwischen universitärer Ausbildung und schulischer Praxis thematisiert die Differenziertheit des Spannungsfeldes von „Theorie“
und „Praxis“ in der (Fach-)Didaktik. Heterogene Verwendungsformen von Fallarbeit in den Lehr-LernProzessen im Settin Universität werden dargestellt und inhaltlich kritisch diskutiert, nicht ohne konkrete Forderungen an die Lehre zu formulieren..
???? (Martin Hopf)
2. Die Forschungsfragen der Beobachtungsstudie
Vor dem Hintergrund der Vielzahl an fachimmanenten und fachübergreifenden didaktischen Fragestellungen, Interessen und Forschungsperspektiven aus dem Bereich der involvierten Fachdidaktiken
stehen im Bereich der Beobachtungsstudie beispielhaft folgende Forschungsfragen1 im Mittelpunkt
der Interessen:








1
Wie werden fachdidaktische Anliegen (z.B. Methoden, …) in ausgewiesenen fachdidaktischen
Lehrveranstaltungen kommuniziert?
Wie werden Fallbeispiele mit schulischem Hintergrund verknüpft und thematisch genutzt?
Welche Formen der Rückkopplung und der Reflexion werden in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen eingesetzt?
Wie wird mit dem Problem der Perspektivenvielfalt in den verschiedenen Kontexten umgegangen und wie wird diese thematisiert?
Werden Lernende vor dem Hintergrund der Lernorganisation aktiv in das Lerngeschehen eingebunden und sind Problemermittlung und Problemlösung durch die Gruppe eine zentrale didaktische Form?
Welche Themen werden im zeitlichen Verlauf von fachdidaktischen Lehrveranstaltungen
kommuniziert?
Vertreten Lehrende eine eher klassische Lehrer(innen)rolle, die den Lernern vornehmlich rekonstruktiv Wissen präsentiert und/oder bieten Lehrende darüber hinaus differenzierte Möglichkeiten zur konstruktiven Gestaltung von fachdidaktischem Wissen und Handeln an?
Wie verständigen sich Lehrende und Studierende über den Lernprozess? Ist hier eine Wechselseitigkeit gegeben oder dominiert eine einlinige Kommunikation? Sieht sich der Lehrende als
Moderator von Verständigungsprozessen?
Betreffend strategischer und operativer Ziele des Gesamtprojektes vgl. http://fplfachdidaktik.univie.ac.at/
2
[3]


Ziehen sich die Teilnehmer/innen einer fachdidaktischen Lehrveranstaltung auf eine eher passive Rolle zurück und/oder können sie diese aktiv mitgestalten? An welchen Stellen werden
Studierende aktiv?
…
3. Charakterisierung des Beobachtungsinstruments
In Anlehnung an Flick (2009, S. 281ff.), Friebertshäuser und Prengel (2003, S. 785ff.) und Przyborski
und Wohlrab-Sahr (2010) wird deutlich, dass qualitative Forschung in hohem Maße die Fähigkeit der
fokussierten und zielorientierten Beobachtung einschließt. Das Beobachtungssystem bzw. das Beobachtungsprotokoll soll nach Strauss und Hildenbrand (2007) zumindest drei heterogene Informationen umfassen, nämlich a. empirische Aufzeichnungen (die eigentliche Beobachtung), b. methodische
Informationen und c. theoretische Notizen.
Der Diskurs um die Art des Beobachtungsverfahrens, die Zahl der Kategorien, die Wahl der Beobachtungseinheit, den Index der Beobachter(innen)übereinstimmung und die Belastbarkeit der Beobachter(innen) im Verfahren der (Unterrichts-)Beobachtung ist in den 70er-Jahren intensiv geführt worden (vgl. Baumann, 1974; Hutt & Hutt, 1974; Fieguth, 1977; Wirtz & Caspar, 2002). Unterricht wird
heute als soziales Interaktionssystem konstruiert, in dem Ko- und De-Konstruktionsprozesse der beteiligten Personen untereinander ausverhandelt werden und die Aneignung von Kompetenzen in einem Raum von Lerngelegenheiten stattfindet (vgl. Klieme, 2006). Die Erkenntnisse, die beispielsweise
zur „Theorie der Basismodelle“ (Oser & Baeriswyl, 2001) geführt haben und Sichtstrukturen (Oberflächenmerkmale) von Tiefenstrukturen in Lehr-Lern-Prozessen unterscheiden lassen, verweisen auch
auf einen gesteigerten Bedarf an Wissen um kontextspezifische Faktoren im unterrichtlichen Handeln,
den es in der vorliegenden Beobachtungsstudie zu berücksichtigen gilt.
Um den Prozess der Beobachtung intersubjektiv nachvollziehbar zu machen, wird dieser so weit wie
möglich vereinheitlicht. Die Niederschriften der Beobachtungen werden in eine Matrix (elektronisch)
eingetragen. Diese folgen einem chronologisch sequenzierten Verfahren, das mit dem Kontakt des Feldes (der Lehrveranstaltung) beginnt und mit dem Verlassen des Feldes endet. Der Grad der Detaillierung und Differenzierung des Protokolls wird kommunikativ validiert und ist so umfassend, dass ein
Verstehen der Situation nachhaltig möglich wird.
Für die Untersuchung der erwähnten Forschungsfragen wurde ein Beobachtungsinstrument in einem
mehrphasigen Prozess (Pilotstudie, Haupterhebung) entwickelt, das Kontextinformationen, empirische Notizen (Beobachtungen), methodische Informationen, Funktions- und Rolleninformationen sowie Reflexionsprozesse umfasst. Die Beobachtungsmatrix gliedert sich in seiner Endform in folgende
Abschnitte:
(a) Kontextinformationen: Diese Notizen präzisieren die Rahmenbedingungen der Lehr-Lernsituation,
beispielsweise Titel der LV, Datum der Beobachtung (Beginn, Ende), Name des Beobachters/der
Beobachterin, LV-Typus, Dauer der LV, Anzahl der teilnehmenden Studierenden (getrennt nach
Geschlecht), Beobachtungsziel(e), Raum, mediale Ausstattung, Sitzordnung und Gruppenzusammensetzung.
(b) Methodische Informationen, Rollenreflexion, Lehr- und Lernziele der Lehrveranstaltungseinheit aus
der Perspektive der Lehrveranstaltungsleitung, beispielsweise auf der Grundlage von Inhaltsverzeichnis, Programm, Lehrveranstaltungsübersicht oder durch ein Leitfadeninterview vor Beginn
der Lehrveranstaltung mit der Lehrveranstaltungsleitung.
(c) Empirische Aufzeichnungen der Lehr-Lernprozesse auf der Grundlage von acht Dimensionen im
zeitlichen Verlauf und zum Teil videogestützt registriert (vgl. Abb. 1). Folgende Beobachtungsdimensionen wurden eingeführt: 1. Zeit- und Organisationsstruktur (z. B. Zeitpunkt, Dauer, Stundenabschnitt, …), 2. Inhalte bzw. Themen (z. B. fachimmanente vs. fachübergreifende Inhal-
3
[4]
te/Themen, methodisch-didaktische Inhalte/Themen, personenorientierte Inhalte/Themen, 3.
Lernorganisation – Methoden, 4. Lernorganisation-Medien (z. B. PPP, Flipchart, Overhead, Video,
Tafelbild), 5. Sozialstruktur (z. B. Interaktionen, Beziehungsstruktur), 6. Transfer (Kompetenzaufbau, Anwendung, Überprüfung, Evaluation), 7. Rückkopplung und (Selbst-)Reflexion, 8. Sonstiges
(Anmerkungen).
Abbildung 1: Beobachtungs- und Auswertungsprozess
4. Stichprobe
Im Rahmen der Beobachtungsstudie wurden 38 fachdidaktische Lehrveranstaltungen (45 % Seminare,
Proseminare; 30 % Übungen, Praktika, Kurse; 25 % Vorlesungen) mit insgesamt 609 teilnehmenden
Studierenden (MD = 15 Tn), davon 29 % männliche Studierende, beobachtet und in Summe 107 Beobachtungsmatrizen (im Umfang von 9 bis 21 Seiten) erstellt. Die Lehrveranstaltungen wurden zu 47
% 3-mal (insb. Seminare), zu 15,7 % öfter als 3-mal (4-9-mal) und zu 36,8 % weniger als 3-mal (1-2mal) zu unterschiedlichen Zeitpunkten während des Sommersemesters 2011 nach folgendem Prozedere beobachtet.
5. Charakterisierung der Auswertematrix
Nach der Beobachtung der spezifischen Lehrveranstaltungen liegen die einzeln durchnummerierten
Beobachtungsdatenblätter mit den spezifischen Informationen in elektronischer Form vor. In einem
nächsten Schritt erfolgt die Auswertung der Notizen (Texte) der Beobachtung auf der Grundlage der
Auswertungsmatrix und vor dem Hintergrund der spezifischen Forschungsfragen. Die Auswertungsmatrix setzt sich aus Informationen unterschiedlicher Qualität zusammen:
 Kontextinformationen: Um die Auswertematrix der entsprechenden Beobachtung zuzuordnen, werden die Eckdaten der Beobachtungsmatrix in die Auswertematrix übertragen (z. B. Nummer, Lehrveranstaltungs-Typ, Unterrichtsfach, …).
 Lernorganisation: In diesem Teil der Auswertematrix wird eine Analyse des Beobachtungsmaterials
nach der Art der Kommunikationsstruktur, die für die Vermittlung (didaktischer) Inhalte eingesetzt
4
[5]
wird, durchgeführt (z. B. hierarchisch, teamorientiert, interaktiv, prozessorientiert,…). Dieser Arbeitsschritt wird entsprechend der zeitlichen Struktur aufgeschlüsselt und getrennt nach Abschnitt
A (Begrüßung, Einleitung, Anknüpfung an die letzte Einheit), Abschnitt B (Schwerpunkt, Hauptteil)
und Abschnitt C (Zusammenfassungen, Aufgabenstellungen, Verabschiedung) gestaltet. Dadurch
wird es möglich, die Struktur der Kommunikation mit der zeitlichen Gliederung zu verknüpfen.
 Rollenfunktion, Rollenverständnis und Rollenreflexion: In einem weiteren Schritt werden die verschrifteten Beobachtungen getrennt für die Lehrveranstaltungsleitung und die Studierenden vor
dem Hintergrund der Rollenfunktionen (z. B. Moderator/in, Fachexperte/Fachexpertin, Organisator/in, …) analysiert.
 Transfer und Rückkoppelung: Diesem Auswertebereich werden Textelemente subsumiert, die Formen der Reflexion (Selbstreflexion) und Rückkoppelung (z. B. an die Studierenden) zusammenfassen. Damit wird der Fokus in spezifischer Weise auf interaktive Kommunikationsprozesse im Rahmen der Lehrveranstaltungen gelegt.
 Themen: Dieser Aspekt der Beobachtungs- und Auswertematrix konzentriert sich auf den Prozess
der Themen und der Themenkonstituierung in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen. Themen
werden identifiziert, Lehrveranstaltungen nach Themenstränge klassifiziert und inhaltlich charakterisiert.
6. Training der Beobachter/innen
Vor Durchführung der Pilot- und der Hauptuntersuchung wurden die Beobachter/innen mit dem Beobachtungsinstrument und der Auswertematrix gestützt auf ein Manual der Instrumente geschult und
Beobachtungsprotokolle als auch Auswertematrizen auf den Grad der Übereinstimmung (kommunikative Validierung) hin vergleichend diskutiert.
7. Organisatorischer Ablauf
Nach Zustimmung durch die Lehrveranstaltungsleitung, die Lehrveranstaltung zu beobachten, wurde
vor Beginn der Lehrveranstaltung (Phase 1: Interview) ein Leitfadeninterview zu den Zielen, der Organisation und den Methoden der Vermittlung mit der Leitung der Lehrveranstaltung geführt. Daran
anschließend wurde die Lehrveranstaltung auf der Grundlage der Beobachtungsmatrix beobachtet
(Phase 2: Beobachtung). Um die hohe Komplexität hinsichtlich der Interaktionsdichte und der zeitlichen Verlaufsstruktur einer differenzierten Untersuchung zugänglich zu machen, wurde unmittelbar
nach der Beobachtung der Lehrveranstaltung eine beschreibende Verbalisierung der Beobachtungen
im Sinne einer zusammenfassenden Rekonstruktion im Nachhinein mit Blick auf das gesamte Geschehen durchgeführt (Phase 3: Beschreibung). Schließlich wurde eine Interpretation der Eintragungen in
die Beobachtungsmatrix vorgenommen und über die Handlungsmuster (Oberflächenmerkmale und
Tiefenstrukturen) wurden (Hypo-)Thesen zu den fachdidaktischen Lehr-Lern-Prozessen formuliert
(Phase 4: Interpretation).
Auf der Grundlage dieser methodischen Vorgangsweise im Rahmen des Beobachtungprozesses wurde
ein Verfahren zur differenzierten Auswertung der Beobachtungen erarbeitet. Die Auswertung der Beobachtungsmatrizen wurde in mehreren Schritten (Phase 5 und 6: Einzelauswertung, typenspezifische
Auswertung) durchgeführt und kommunikativ validiert (Phase 7). Aufgrund dieser „zeitlich orientierten Sichtstruktur“ können differenzierte Aussagen zum Forschungsanliegen formuliert werden.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Das Spektrum der fachdidaktischen Theoriekonzeptionen, Bedeutungs- und Begründungszusammenhänge in den Fachdidaktiken erweist sich als heterogen und vielfältig
gestreut. Vor diesem Hintergrund soll die Diskussion über didaktische Vermittlungskonzepte, die Frage
der Beziehung (Differenz) von Theorie und Praxis sowie das Problem der Integration von didaktischer
Empfehlungen auf der Folie qualitativer Wissensverwendungsforschung untersucht werden. Im vor-
5
[6]
liegenden Abschnitt stehen die Differenz von Wissenschaft und Praxis, sowie der Umgang mit didaktischen Theorien und erprobten Lösungen unter empirischer Fragestellung zur Diskussion. Im ersten
Abschnitt wird die Beobachtungsstudie skizziert, um daran anschließend ausgewählte Einzelergebnisse vorzustellen.
8. Literatur
Baumann, H. (1974). Methoden zur qualitativen Erfassung von Unterrichtsverhalten. Bern.
Hutt, S., & Hutt, J. (1974). Direct observation and measurement of behavior. Springfield.
Klieme, E. (2006). Empirische Unterrichtsforschung: aktuelle Entwicklungen, theoretische Grundlagen
und fachspezifische Befunde. Zeitschrift für Pädagogik, 52 (6), 765-773.
Oser, F., & Baeriswyl, F. J. (2001). Choreographies of Teaching. Bridging Instruction to Learning. In V.
Richardson (Ed.), Handbook of Research on Teaching. Washington: American Educational Research Association.
Wirtz, M. & Caspar, F. (2002). Beurteilerübereinstimmung und Beurteilerreliabilität. Göttingen: Hogrefe.
Fieguth, G. (1977). Die Entwicklung eines kategoriellen Beobachtungsschemas. In U. Mees & H. Selg
(Hrsg.), Verhaltensbeobachtung und Verhaltensmodifikation (33-42). Stuttgart.
Flick, U. (2011). Qualitative Sozialforschung: Eine Einführung. Reinbek: Rowohlt
Friebertshäuser, B., Boller, H. & Richter, S. (Hrsg.). (2010). Handbuch qualitative Forschungsmethoden
in der Erziehungswissenschaft. Weinheim: Juventa.
Przyborski, A. & Wohlrab-Sahr, M. (2010). Qualitative Sozialforschung: Ein Arbeitsbuch. München:
Oldenbourg.
Strauss, A. L. & Hildenbrand, A. (2007). Grundlagen qualitativer Sozialforschung: Datenanalyse und
Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München: Fink.
6
[7]
Robert Schelander
Beobachtung von fachdidaktischen Lehrveranstaltungen an der Universität Wien unter dem Aspekt von „Rolle“ und „Funktion“ der Lehrenden
Keywords: Beobachtung, Lehr-Lern-Prozesse, Fachdidaktik, Lehramt, Universität
1. Einführung
Lange Zeit wurde die Lehrer(innen)rolle als Teil der Persönlichkeit des Lehrenden gesehen. Als Persönlichkeitsmerkmal war diese Rolle nur begrenzt der Handlungsplanung des Lehrenden zugänglich.
Vielfach wurde das Idealbild eines Lehrers bzw. einer Lehrerin mit einem umfangreichen Katalog an
Tugenden wie "Güte, Vertrauen, Wertbewusstsein, Gerechtigkeit, Geduld, Takt, Bildungswillen, Glaubwürdigkeit und Humor" (Scheunpflug, 2009, S. 224, Anm. 7). beschrieben. Die Kritik sowohl an den
einzelnen Zielvorstellungen als auch die Problematik der mangelnden Umsetzbarkeit mag mit ein
Grund sein, dass die Rolle des Lehrenden in der Didaktik des ausgehenden 20. Jahrhunderts unterbelichtet blieb. 1 Erst jüngere Ansätze und empirisch ausgerichtete Forschungen haben hier zu einer
Neubewertung des Lehrer(innen)handelns und in der Folge auch der Lehrer(innen)rolle geführt. Unter dem Stichwort Lehrer(innen)professionalität (vgl. Ophardt, 2006) können wir gegenwärtig eine
Renaissance der pädagogischen Bedeutung der Lehrer(innen)rolle und der Forschungen dazu beobachten.
Wie entwickelt sich die Lehrer(innen)rolle und was kann eine Erstausbildung an der Universität im
Rahmen eines Lehramtsstudiums dazu beitragen? Zu Recht wird die situative Verankerung im entsprechenden pädagogischen Handeln (Unterrichtspraxis) als wichtige Voraussetzung für die Bildung
und Formung der Lehrer(innen)rolle bei Berufsanfängern angesehen. So kann vermutet werden, so
relativiert die jüngere pädagogische Forschung die Bedeutung, welche einer Erstausbildung an der
Universität in Hinblick auf die zukünftige Berufsrolle zukommt. Zugleich wird die Bedeutung, welche
dem Lehrer(innen)handeln im Hinblick auf den Schulerfolg von Schülerinnen und Schülern zukommt,
aufgewertet. Die Grundhaltung der Lehrenden (Einstellung, Motivationen, Visionen …) ist auch ausschlaggebend für das Lernen der Lernenden und damit für den Unterrichtserfolg.
Die Hinwendung zur Kompetenzorientierung nicht nur im Lehrer(innen)handeln, sondern auch im
Lehrer(innen)ausbildungskontext richtet ebenfalls den Blick auf die Lehrperson. Es werden Anforderungsprofile an zukünftige Lehrende, welche eine professionelle Handlungskompetenz aufweisen
sollen, formuliert. Mit der Hinwendung zur Professionalisierungstheorie wird neben der fachlichen
und pädagogischen auch die soziale und kommunikative Dimension im Lehrer(innen)handeln aufgewertet (Roth, 2011, Gieseke, 2009).
2. Aspekte der Lehrer(innen)rolle
Die Aspekte der Lehrer(innen)rolle sind in unterschiedlichen Perspektiven und Detaillierung beschrieben worden. Vielfach wird dabei an den Aufgaben, welche an die „Rolle des Lehrenden“ herangetragen werden, entlanggegangen (z. B. Unterrichten, Erziehen und Diagnostizieren/Beurteilen). Eine
weitere Differenzierung ergibt sich durch die Unterscheidung von fachwissenschaftlichen und pädagogischen Aspekten der Lehrer(innen)rolle.
Im Folgenden wird ein Ansatz einer Beziehungsdidaktik aufgegriffen, welcher für die Auswertung der
Daten im Hinblick auf die Lehrer(innen)rolle und damit die Beziehung zwischen Lehrer/in und Schüler/innen hilfreich erscheint. Kersten Reich hat eine didaktische Konzeption vorgestellt, die den Be-
1
„Lehrkräfte spielen in didaktischen Theoriebildungen zunächst eine gering explizierte bzw. reflektierte Rolle.“
(Scheunpflug, 2000, S. 26).
7
[8]
ziehungsaspekt in den Mittelpunkt stellt.1 Er wendet sich gegen ein Lernverständnis, welches den einzelnen Lernenden in einer isolierten Begegnung mit der Sache/dem Bildungsinhalt betrachtet. Beziehung bildet nicht nur den Rahmen, die Lernumgebung, sie wirkt auch auf den „Lerngegenstand“ selbst,
indem dieser auch personal durch den Lehrenden eingebracht wird.2 Die Person des Lehrenden bekommt damit im Lernprozess einen zentralen Platz zugewiesen. „Die Glaubwürdigkeit des Lehrenden
für das, ‚wofür‘ er oder sie steht, ist ganz entscheidend für die Glaubwürdigkeit und damit Wertigkeit
der Interaktion und Kommunikation“ (Reich, 2008, S. 17). Von Lehrenden fordert er daher ein „angemessenes Rollenverhalten“ (S. 7).3 Reich spricht verschiedene Aspekte der Lehrer(innen)rolle an: vom
öffentlichen Bild des Lehrer(innen)standes und seiner Spiegelung in Literatur und Medien bis hin zur
Notwendigkeit der Ausbildung eines eigenen „Unterrichtsstils“. Dabei geht es ihm nicht darum, die
„eine richtige“ Rolle bzw. die zu einem selbst passende zu finden, sondern Lehrende müssen „viele
Rollen“ beherrschen: „Mehrwisser, Impulsgeber, Planer, Helfer, Berater, Ermöglicher, Moderatoren,
Visionäre, Evaluateure und anderes mehr“ (S. 25). Reich stellt fest, dass in der Lehrer(innen)ausbildung einseitig das Konzept des „mehrwissenden Experten“ favorisiert werde und
begründet dies u.a. mit dem hohen Anteil an fachwissenschaftlich orientierter Lehre. Wir haben fachdidaktische Lehrveranstaltungen auf die in ihnen erkennbaren didaktischen Muster untersucht. Bestätigt sich der Verdacht von Kersten Reich, dass Nähe zur Fachwissenschaft, wie sie für fachdidaktische
Lehrveranstaltungen ja gegeben ist, zur Dominanz dieser Rolle führt?
2.1 Entwicklung der Fragestellungen für die Auswertung
Wir wollen unsere Daten daraufhin ansehen, inwieweit die „klassische Rolle des vortragenden, kontrollierenden, besserwissenden Dozenten“ (S. 25) ausgeübt oder durch andere Rollen abgelöst bzw.
unterbrochen wird. Für die Identifizierung dieser klassischen und der neuen Lehrer(innen)rollen orientieren wir uns an den Ausführungen von Reich (2008):
1. Kriterium: Aktivität der Lernenden
Verharren Lehrende in der „eher klassischen Lehrer(innen)rolle, die den Lernern vornehmlich
rekonstruktiv Wissen präsentiert“ oder wechseln sie zur „konstruktiven Gestaltung, damit die
Lerner sich möglichst eigenständig das für sie passende (viable) Wissen und Handeln selbst erarbeiten“ (S. 27)?
2. Kriterium: Problem- und Lösungsorientierung
Werden Lernende aktiv in das Lerngeschehen eingebunden und sind Problemermittlung und
Problemlösung durch die Gruppe eine zentrale didaktische Form?4
3. Kriterium: Rückkoppelung
Eine (systemisch reflektierte) Beziehungsdidaktik muss die Zirkularität von kommunikativen Situationen berücksichtigen. Eine Beziehungsdidaktik ist auch darauf gerichtet, dass sich die „Be-
„Beziehungen bestimmen das kommunikative Leben. Und Beziehungen sind entscheidend für das Lehren und
Lernen.“ (Reich, 2008, S. 7).
2 Die Reich´sche Beziehungsdidaktik wäre missverstanden, wenn diese Beziehungs-Inhalt-Relation nicht bedacht
würde. „Das Wechselspiel von Inhalten und Beziehungen ist stets Voraussetzung von Lernprozessen. Eine Didaktik, die sich diesem Anspruch stellt, sollte eine Beziehungsdidaktik sein, weil ich von der Annahme ausgehe,
dass die menschlichen Beziehungen, die Interaktionen in Lehr- und Lernprozessen, entscheidend für den Sinn
und Erfolg des Lernens sind.“ (Reich (2008) S. 31.).
3 Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf Reich (2008).
4 „In der Beziehungsdidaktik geht es vorrangig darum, gemeinsam ein Problem zu erfahren und zu erkennen,
multiperspektivische, multimodale und Kreativität fördernde Lösungsmöglichkeiten zu ermitteln und anzuwenden, eine Lösung individuell und im Team zu finden, Interaktionen in Offenheit, mit Wertschätzung und in lösungsorientierter Einstellung zu bewältigen.“ (Reich, 2008, S. 26).
1
8
[9]
ziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden und der Lernenden untereinander konstruktiv“ (S. 33) entwickeln.1
Reich (2008) weist darüber hinaus drei spezifische Aufgaben und dementsprechende Rollen den Lehrenden zu: die Beobachter(innen)rolle, die Teilnehmer(innen)rolle und die Akteursrolle.2 Wir gewinnen für unsere Analyse folgende weitere Erkennungsmerkmale einer „nicht-klassischen“ Bestimmung
der Lehrer(innen)rolle.
Eine Didaktik, die bei der Aktivität der Lernenden ansetzt, muss auch die Art, wie sie mit der Beobachter(innen)rolle umgeht, ändern. Wir achten darauf, ob „eigene Erwartungen, Ansprüche, Normen“ (S.
164) angesprochen werden und ob mit einem Sensorium für die Bedeutung der Perspektiven (Ordnung der Blicke) beobachtet wird.3 Wird die „Vielfalt der Beobachter(innen)rollen“ (S. 168) anerkannt,
im Unterrichtsgeschehen aufgegriffen und genutzt und wird der Beobachtung eine prinzipielle Offenheit zugestanden.
Für die Teilnehmer(innen)rolle ist in einer Beziehungsdidaktik die „Verständigung“ wichtig.4 Damit es
zu Verständigung kommen kann brauchen die Teilnehmer die Möglichkeit der Beteiligung. Wie sieht
es damit in den beobachteten Unterrichtssituationen aus? Für die Akteursrolle ist es wichtig, dass alle
beteiligten Personen und Gruppen sich als bewusste und gestaltende Akteure sehen. Alle drei Kriterien sind kaum direkt zu beobachten, sie sind vor allem in Reflexions- und Kommunikationsprozessen
zu identifizieren.5 Die Daten werden über die beobachteten fachdidaktischen Lehrveranstaltungen auf
folgende Merkmale hin untersucht:
1. Kriterium: „reflektierte Beobachter- und Beobachtungsvielfalt“
Lässt sich in den Datensätzen erkennen, dass Lehrende sich der Kontingenz und Begrenztheit
der eigenen Perspektive bewusst sind und nehmen sie eine „reflexive Haltung“ ein, die aus „verschiedenen Perspektiven sehen“ (S. 179) kann?
2. Kriterium: Bemühen um eine Verständigungsgemeinschaft
Wie verständigen sich Lehrende und Studierende über den Lernprozess? Ist hier eine Wechselseitigkeit gegeben oder dominiert eine einlinige Kommunikation? Sieht sich der Lehrende als
Moderator von Verständigungsprozessen?
3. Kriterium: Berücksichtigung von „Handlungsalternativen“
Ziehen sich die Teilnehmer/innen einer Lehrveranstaltung auf eine passive Rolle zurück oder
können sie aktiv mitgestalten? An welchen Stellen werden sie aktiv?
Mit folgender Abbildung lässt sich unsere Rollenanforderung an Lehrende veranschaulichen, welche
zugleich als Analysekriterium dient. Bei der Präsentation der Ergebnisse werden jeweils zwei Kriterien miteinander verschränkt und mit bestimmten Aspekten, die beobachtet wurden, in Verbindung
Vgl. den Beitrag von Alois Ecker in diesem Abschnitt.
„Diese Wechsel der Beobachter-, Teilnehmer- und Akteursrollen ist für die hier vorgeschlagene Didaktik …
grundlegend.“ (Reich, 2008, S. 30). Dies gilt auch für die Lernenden. Die Wechselbeziehung zwischen Lehrenden und Lernenden ist für seine Didaktik fundamental.
3 „Für die Beobachterrolle fordert eine konstruktivistische Pädagogik und Didaktik daher Beobachtervielfalt und
Offenheit.“ (Reich, 2008, S. 168).
4 „Für eine konstruktivistische Pädagogik bedeutet dies ein eindeutiges Engagement in der Perspektive des Teilnehmers an Verständigungsprozessen.“ (Reich, 2008, S. 169).
5 „Erst die diskursive Ebene erschließt den Beobachtungen eine Beobachter- und Beobachtungsvielfalt, die zur
Wahl und Begründung von Konventionen herangezogen werden kann. Dies ist ein bevorzugtes Feld einer konstruktivistischen Didaktik, weil hier ein forschendes Beobachtungslernen situiert werden kann, das viele Beobachter und auch vielfältige Beobachtungen einschließt. In Diskursen wird Beliebigkeit dadurch eingeschränkt, dass die Kontexte, die Begründungsfiguren, die Geltungsreichweiten überhaupt erst beobachtet, damit erkannt und besprochen werden können.“ (Reich, 2008, S. 174).
1
2
9
[10]
gebracht. Damit soll nicht die grundsätzliche Interdependenz dieser Rollenanforderungen sowie ihre
Bedeutung für andere Aspekte geleugnet oder übersehen werden.
Abbildung 2: Rollenanforderung an Lehrende
3. Auswertungen
Die folgende Beschreibung der Ergebnisse fußt auf einer Analyse der Daten zu den fachdidaktischen
Lehrveranstaltungen (Beobachtungsmatrizen, Auswertungsdatenblätter, zusammenfassende Kommentare zu den Fächern). In der Regel wird dabei das quantitative Vorkommen eines Merkmales untersucht. Festzuhalten ist, dass die Erhebung keine Repräsentativität beansprucht und dass die Beobachtungsinstrumente (sowohl die Matrizen als auch die Auswertungsblätter) nicht im Hinblick auf
die vorhin entwickelten Kriterien von Kersten Reich entwickelt wurden. Eine Interpretation wird sich
daher mit Hinweisen begnügen müssen.
3.1 Die Lehrer(innen)rollen in den Daten
In den Auswertungsbögen wurden die Matrizen (Beobachtungsprotokolle) auf die in ihnen sichtbar
werdenden Lehrenden- und Studierendenrollen hin untersucht. Folgende Kategorien waren vorgegeben: (Der/Die Lehrende bzw. der/die Studierende handelt als) Fachexperte/in, Moderator/in, Student/in, Coach, Berater/in, Organisator/in, Sozialisationsagent/in, Privatperson, u. a. (ein offenes Codierfeld).
Welche Rollen nehmen Lehrende und Studierende in den Lehrveranstaltungen ein? Lassen sich hier
verschiedene Typen von Lehrveranstaltungen erkennen? Ein erster Typ von Rollenverhalten und Rollenverteilung, welcher sich durch alle Fächer zieht, besteht darin, dass sich in der Regel Lehrende und
Lernende in den klassischen Rollen des vortragenden Fachexperten (z. B. Erklären, Schlüsse ziehen, Beurteilen, Disziplinieren, …) auf der einen Seite und der lernenden Studierenden auf der anderen Seite
begegnen. Diese Ausprägung der Rollen wird in den Daten zusammenfassend als „klassischhierarchisch strukturierte, frontal-organisierte Lehrveranstaltung“ beschrieben.
10
[11]
Ein zweiter Typ, den wir in unserem Sample am häufigsten finden, ergänzt die beschriebene Lehrendenrolle um jene des Organisators/der Organisatorin (z. B. Anwesenheitskontrolle, Medienaufbau, Koordination, Termine). Die Studierenden in diesem Modell halten Referate und dementsprechend
kommen bei ihnen – in geringerem Maße – auch die Rollen Fachexperte/in, wenn Inhalte vorgetragen
werden, und Organisator/in (z. B. bei Gruppenarbeiten) hinzu. Der Lehrveranstaltungstypus entspricht damit dem einer „interaktiv-transferorientierten, frontal-organisierten Lehrveranstaltung“
bzw. einer „hierarchisch-direktiv, gruppal-organisierten Lehrveranstaltung“.
Beziehungsaspekte, welche sich beispielsweise in der Rolle des Coach, des Beraters/ der Beraterin (z.
B. Unterstützen) oder des Sozialisationsagenten (z. B. Belohnung, Erwartungen fokussieren) aber auch
in einem stärkeren Vorscheinen der privaten Person äußern, sind demgegenüber recht selten, weshalb
in den Auswertungen nur selten „teamorientierte, situativ-reflexiv, gruppal-organisierte Lehrveranstaltung“ und „interaktiv-rückkopplungs- und rollenvariable praxisorientierte Lehrveranstaltung“
aufscheint.
3.2 Vielfalt der Rollen und scheinbare Widersprüche
Interessant sind bestimmte (scheinbare) Inkongruenzen, welche in den auszuwertenden Daten zu
erkennen sind. Auch in Lehrveranstaltungen mit ausgewiesenem seminaristischem Charakter greifen
Lehrveranstaltungsleiter/innen immer wieder zu einem direkten Vortragsstil.1 Die Art der Lehrveranstaltungsorganisation scheint keine direkte Bedeutung für die Rolle, welche Lehrende in den Veranstaltungen einnehmen, zu haben. Umgekehrt ist festzuhalten, dass Lehrende offenbar über ein vielfältiges Spektrum von Lehrer(innen)rollen verfügen. Für das Folgende wollen wir eine wiederkehrende
Bemerkung aus den Auswertungsbögen aufgreifen, welche ebenfalls bei einem Widerspruch ansetzt:
„Vom Kommunikationsstil hierarchisch, obwohl die Beteiligung rege zu sein scheint.“ (Matrize 003).
Für weitere Forschungen ist dies ein deutlicher Hinweis, dass die ausgewiesene Lehrveranstaltungsorganisation nur sehr unzureichend die tatsächliche didaktische Orientierung und den „Lehrveranstaltungsstil“ wiedergibt.
Auswertungen auf der Ebene einzelner Lehrveranstaltungsleiter/innen oder einzelner Fächer sind
aufgrund der Art der Erhebung nicht möglich. Es wäre interessant festzustellen, wie groß die Varianz
an Lehrveranstaltungs-Formen und Lehrer(innen)rollen bei einzelnen Lehrpersonen ist und ob sich
hier fachliche Abhängigkeiten nachweisen lassen. Gibt es Besonderheiten bezüglich der Lehrer(innen)rolle in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen in Bezug auf bestimmte Fächer oder Fachgruppen? Die Art der vorliegenden Daten erlaubt hierauf keinen Antwortversuch.
3.3 Die Kriterien „Aktivität der Studierenden“ und „Problemorientierung“
Fast alle beobachteten Lehrveranstaltungen zeichnen sich durch eine hohe Aktivität auf Seiten der
Lernenden aus (Kriterium 1). Studierende halten Referate, …, diskutieren Problemstellungen. Diese
aktive Rolle der Studierenden wird von Seiten der Lehrenden gefördert und eingefordert. Auffällig ist,
dass für die Förderung der aktiven Rolle der Studierenden hauptsächlich eine „Fragedidaktik“ zum
Zuge kommt: „sehr viele Fragen“2 heißt es in einer Bemerkung zu einer Lehrveranstaltung. Selbst in
Lehrveranstaltungen mit Vorlesungscharakter finden wir zum Teil „ungewöhnlich viel Interaktion mit
den Studierenden (…) viele Fragen werden aufgeworfen“.3
Deutlich ist jedoch, bis auf einige ganz wenige Ausnahmen, dass der Impuls zur Aktivität von den Lehrenden gesetzt wird. Mit einer großen Fülle von didaktisch-methodischen Maßnahmen werden Studie„Seminareinheit, die fast wie eine Vorlesung abläuft“ (Kommentar zu Matrize und Auswertungsdatenblatt 004).
Da in den Auswertungsbögen z. T. nur Schlagworte benutzt werden, wurden für die Zitation fallweise kleinere
sprachliche Bearbeitungen vorgenommen.
2 Kommentar zu Matrize und Auswertungsdatenblatt 102.
3 Auswertungsdatenblatt zu Matrize 103.
1
11
[12]
rende angeregt, sich in unterschiedlichen Formen mit Themen der Unterrichtsvorbereitung „auseinanderzusetzen“ und ihre eigenen Annahmen zu „reflektieren“ und ihre Planungsentscheidungen zu
„begründen“. Ganz selten werden hingegen Studierende in die Planung der Lehrveranstaltung selbst
miteinbezogen. Es stellt sich die Frage, inwieweit mit diesen durch den Lehrenden angeregten Lernaktivitäten die Dominanz der Lehrendenorientierung überwunden wird. Oder wird hiermit ein scheinbarer Eindruck einer Problem- und Teilnehmerorientierung erweckt? Letzteres ist eine Hypothese, welche sich aus den vorliegenden Beobachtungsdaten nahelegt, aber nicht endgültig beantworten lässt.
Genauer zu analysieren wäre, welche Art von Fragedidaktik sich in den beobachteten fachdidaktischen
Lehrveranstaltungen entwickelt hat. Jedenfalls gehören Fragen (und Impulse) zu den wichtigsten methodischen Mitteln. Immer wieder findet sich in den Beobachtungen der Hinweis auf Bemühungen des
Lehrenden, die „Reflexion“ der Lernenden durch Fragen anzuregen.1 Wird hier eine Problem- und Lösungsorientierung (Kriterium 2) sichtbar?
Eine bestimmte Fragekultur - und darauf lassen Bemerkungen in den Daten schließen - erzeugt ein
deutliches Gefälle: Der Lehrende stellt die Fragen. Reich erwähnt die Lehrer(innen)rolle der „Ironikerin“ als wichtige Form, um im Unterricht bestimmte Beobachtungen einzubringen. „Es ist eine kluge,
nicht aggressive, sondern nachdenkliche, aber auch humorvolle Position: Die Ironikerin weiß von der
Kontingenz und Begrenztheit unseres Wissens; sie weiß, dass es keine Vollständigkeit, keine eindeutige Abbildung von Realität und keine absolute Übereinstimmung zwischen den Interessen und Wünschen aller Menschen gibt; sie erträgt die eigene Ambivalenz und ist nicht erschrocken, wenn Widersprüche, Unzulänglichkeiten und Paradoxien erscheinen“ (Reich, 2008, S. 178).
Wir finden in den Anmerkungen Hinweise, dass einzelne Lehrende ebenfalls „provokante und verunsichernde“ Fragen stellen und „Ironie als Mittel der Kommunikation verwendet“2 wird. Hier könnte sich
etwas von dem, was Reich einfordert, abzeichnen, sofern es nicht in eine abwertende Haltung mündet.
Zusammenfassend können wir im Hinblick auf die ersten beiden Kriterien eines nichtklassischen Rollenhandelns von Lehrenden feststellen, dass Lehrende in ihrem Rollenverahlten großes Verständnis
für eine Didaktik, die die Aktivität der Studierenden und deren Problembewusstsein in Hinblick auf
didaktische Zusammenhänge fördert, zeigen. Andererseits bleibt die Lehrendenzentrierung bestehen,
welche die Möglichkeiten für Studierende, aktiv zu werden, begrenzen und eine echte Problemorientierung verhindert.
3.4 Die Kriterien „Beobachtungsvielfalt“ und „Feedback“ am Beispiel der Thematisierung der
Schulpraxis des Lehrenden
In vielen beobachteten fachdidaktischen Lehrveranstaltungen steht die Anleitung zur schulischen Unterrichtsvorbereitung im Zentrum. Dieser Bezug wirkt sich in besonderer Weise auf das Rollenverständnis des Lehrenden aus. In der Regel präsentieren Studierende ihre Stundenentwürfe in Form von
Referaten. Leider gibt es keine Beobachtungen dazu, mit welchen Aufgaben- und Hilfestellungen Studierende diese Entwürfe erarbeiten. Aus dem Kontext ist zu schließen, dass es sich hierbei häufig um
Vorgaben der Lehrveranstaltungsleitung handelt. Wir können eine gewisse Teilnehmerorientierung
daran erkennen, dass die zukünftige Unterrichtsvorbereitung der Studierenden thematisiert wird.
Allerdings machen die Daten auf ein Problem aufmerksam: Der/Die Lehrende mit seiner/ihrer (schulischen) Unterrichtserfahrung scheint den Studierenden, jedenfalls im Sinne einer teilnehmerorientier„Das Stellen von Fragen als didaktisches Mittel scheint in Bewegung und Sport sehr verbreitet zu sein“ (Kommentare zu den Matrizen und Auswertungsdatenblättern Bewegung und Sport). „Der Lehrveranstaltungsleiter
stellt aber immer wieder Fragen (auch während der Präsentationen), um die Studierenden zum Nachdenken,
Reflektieren anzuregen, teilweise auch provokant und verunsichernd“ (Kommentar zu Matrize und Auswertungsdatenblatt 104). Leider sind die Beobachtungsbögen nicht immer detailliert genug, um hier die Art der
Fragen und Impulse näher zu unterscheiden.
2 Kommentar zu Matrize und Auswertungsdatenblatt 103.
1
12
[13]
ten Didaktik, häufig im Wege zu stehen. Der Bezug zur (zukünftigen) Praxis in der Schule wird durch
eigene Unterrichtserfahrungen des „Lehrveranstaltungsleiters unterstrichen. Prototypisch für einen
Lehrveranstaltungsleiter aus der Praxis, der Tipps gibt, wie es in der Schule läuft.“1
Die eingebrachten Erfahrungen des Lehrveranstaltungsleitenden bewirken keine Multiperspektivität
(Kriterium 4) und sie benötigen auch keine Verständigung, sondern sie wirken autoritativ. Diesen
Vorgaben des Lehrenden können die Studierenden kaum etwas entgegensetzten: Der „Lehrveranstaltungsleiter hat (ein) implizites Konzept vom guten Unterricht und wirkt stark normativ bis hin zu Details wie Gestik, Mimik etc.“2
Reich (2008) fordert das Kriterium der Problemorientierung als Kennzeichen einer adäquaten (didaktischen) Lehrer(innen)rolle. Das „Problem“, welches in der Lehrveranstaltung verhandelt wird, ist das
Feld des schulischen Unterrichts. Der schulische Praxisbezug findet sich - so wird wiederholt in den
Anmerkungen zu den Matrizen festgehalten - als durchgehendes Merkmal der beobachteten Lehrveranstaltungen: Der Lehrende ist „extrem praxisbezogen, Übermaß an didaktischen Rezepten“ bzw. „der
Lehrveranstaltungsleiter dominiert klar, dabei (gibt er) sehr viele Tipps für die Schulpraxis (didaktische Rezepte)“.3
Dem Lehrenden wird hier die Rolle des alleinigen Experten zugewiesen, welcher über außerhalb des
gemeinsamen Lernfeldes liegende Erfahrungen verfügt. Die komplexe Beziehungsstruktur bei diesem
„Problem“ wird dadurch sichtbar, dass Studierende ja ebenfalls über eine lange Schulerfahrung (freilich in der Rolle des Schülers bzw. der Schülerin) verfügen. Manche Lehrende scheinen eine aktive
Lehrer(innen)rolle bei den Studierenden vorauszusetzen, ob dies zu Recht geschieht kann nicht beurteilt werden. Häufig werden Studierende aufgefordert, anderen Studierenden, welche Unterrichtsentwürfe vorstellen, Feedback zu geben (Kriterium 3). Welche Rolle wird ihnen hier zugeschrieben? Werden sie als (ehemalige) Schüler/in, welche auf aktuelles Lehrer(innen)handeln blicken, als kollegiale
Berater oder als zukünftig Lehrende, welche sich imaginierend in dieses Tätigkeitsfeld versetzen, angesehen?
Als weitere mögliche Bezugsfelder (neben eigenen Erfahrungen als Schüler/in bzw. Lehrer/in) kommen fachdidaktische Forschungen und fachdidaktische Konzepte als mögliche Bezugspunkte für das
Feedback hinzu. In den beobachteten Lehrveranstaltungen finden wir alle drei Bezüge in unterschiedlichen Graden. Freilich auch den problematischen Typus der starken Dominanz der Schulerfahrungen
des/der Lehrveranstaltungsleiters/in. Diese/r nimmt damit eine Rolle ein, welche die Problemdimension des Unterrichtens einseitig von seinem Unterrichtserfahren her in den Blick nimmt. Den Studierenden bleibt insofern die Rolle der (im schlechten Fall unverstandenen) Rezeption.
Studierende machen vielfache Beobachtungen (zumeist auch bei Hospitationen im schulischen Unterricht), dennoch ist es meist der/die Lehrveranstaltungsleiter/in, welche/r den Horizont der Beobachtungen vorgibt. Echte Beobachtungsvielfalt ist nur selten in den Daten zu erkennen. „Kontingenz und
Begrenztheit“ der eigenen Beobachtung und Lernerfahrung sind kaum zu finden. Die Daten zeigen
eher Lehrveranstaltungsleiter/innen, welche für schulisches Lehrer(innen)handeln vielfältige Beobachter(innen)perspektiven prinzipiell ausschließen.
Die Rolle des Experten/der Expertin, welche/r sein Wissen aus einem Reservoir von Erfahrungen
speist, welches den Studierenden gerade nicht zugänglich ist, steht in einer Spannung zum Erfordernis
der Problem- und der Teilnehmerorientierung. Hier zeigt sich deutlich die Problematik des Konzeptes:
aus der Praxis für die Praxis. Wir finden jedoch auch - allerdings seltener - Lehrveranstaltungen, welche das Lehren und die Didaktik der Lehrveranstaltung selbst zum Thema machen.
Die Daten zeigen interessanterweise einzelne Lehrveranstaltungsleiter/innen, welche diese Rolle (des
durch eigene Erfahrung legitimierten Experten für schulisches Unterrichten) offenbar bewusst in den
1
Kommentar zu Matrizen und Auswertungsdatenblatt 005.
2
Kommentar zu Matrizen und Auswertungsdatenblatt Matrize 006.
Kommentar zu Matrizen und Auswertungsdatenblättern 073, 074, 075.
3
13
[14]
Hintergrund stellen. Der Lehrende tritt bei den Unterrichtspräsentationen der Studierenden als Moderator auf, welcher sich kaum inhaltlich zu dem Vorgetragenen (studentischer Unterrichtsentwurf)
äußert. Feedback durch den/die Lehrveranstaltungsleiter/in wird nur außerhalb der Lehrveranstaltung gegeben.1 Diese Beobachtung interpretierend könnte man als Hypothese formulieren, dass Lehrende mit dieser zurückgezogenen Rolle möglicherweise dem vorhin geschilderten Problem entgehen
wollen.
Zusammenfassend: Eine Vielfalt der Beobachtungsperspektive als grundlegendes Merkmal findet sich
nicht in den beobachteten Lehrveranstaltungen. Die Feedbackbeziehungen im Hinblick auf die Beurteilung von schulischen Unterrichtsentwürfen sind klärungsbedürftig.
3.5 Die Kriterien Verständigung und Handlungsalternativen
Insgesamt zeigen die fachdidaktischen Lehrveranstaltungen ein hohes Maß an Diskussionen. Immer
wieder wird betont, dass Lehrveranstaltungen „viel Raum für Feedback, Diskussion und Reflexion der
Unterrichtsauftritte“2 bieten. Dies kann Hinweis auf die von Reich geforderte Feedbackkultur und Verständigungsbemühungen sein und könnte didaktische Handlungsalternativen zum Thema machen.
Dem stehen Beobachtungen entgegen, welche dies in Frage stellen. Zum einen ist häufig eine gewisse
Asymmetrie zwischen Lehrveranstaltungsleiter/in sowie den Studierenden gegeben. Bei hierarchisch
ausgerichteten Lehrveranstaltungen (dies ist die Mehrzahl, siehe oben) gilt: „Feedback scheint v. a.
vom Lehrveranstaltungsleiter zu kommen“.3 Der in den Protokollen verzeichnete starke Anteil an
„Diskussionen“ ist freilich im Hinblick auf die von Reich geforderte Etablierung einer Verständigungsgemeinschaft zu unspezifisch, um hierüber eindeutige Urteile abzugeben. Es ist jedoch zu vermuten,
dass die vorhin festgehaltene mangelnde Problemorientierung sowie die Rolle des alleinigen Experten
für schulisches Lehrer(innen)handeln (siehe Abschnitt 3.4) einer gleichberechtigten Verständigung
entgegenstehen. Wahlmöglichkeiten und damit Diskussionen über Handlungsmöglichkeiten zur Gestaltung und zum Verlauf der aktuellen Lehrveranstaltung sind selten und halten sich in engem Rahmen.
4. Zusammenfassung
Greifen wird die von Reich (2008) geforderten didaktischen Kriterien für eine angemessene Lehrer(innen)rolle auf, so kann man feststellen, dass die Lehrenden in den beobachteten Lehrveranstaltungen Problembewusstsein für das Anliegen einer teilnehmer-, problem- und feedbackorientierten
Lehrer(innen)rolle erkennen lassen. Allerdings zeigen sich in einem Teil der Daten auch spezifische
Brüche und Schwierigkeiten im Umgang damit: Durch die starke Fokussierung auf (schulische) Anwendungssituationen lässt sich eine Teilnehmerorientierung nur schwer verwirklichen und der Lehrveranstaltungsleiter/in kommt in die Rolle des erfahrenen Experten, der „besser weiß, wie es geht“.
Eine Problemorientierung kommt nur in Ansätzen voran und die Feedbackkultur liegt ebenfalls nur
verkürzt vor.
Multiperspektivität, Verständigungsbemühungen und Berücksichtigung von Handlungsalternativen
sind nicht als konstitutive Elemente der fachdidaktischen Lehrveranstaltungen zu erkennen. Die „klassische Rolle des vortragenden, kontrollierenden, besserwissenden Dozenten“ wird durch andere Rollen unterbrochen, aber nicht grundlegend und durchgehend aufgelöst.
5. Literatur
1„Es
wird zwar viel zu den einzelnen Fragestellungen diskutiert und auch einzelne Übungen werden abgehalten
zwischen den Referaten, aber absichtlich wird von der Lehrveranstaltungsleitung kein Feedback an die Referent(inn)en gegeben - das können sich die Referent(inn)en unter vier Augen abholen, wenn sie das möchten.“
Kommentar zu Matrizen und Auswertungsdatenblättern 058 – 060.
2 Kommentar zu Matrizen und Auswertungsdatenblättern 082 und 083.
3 Kommentar zu Matrizen und Auswertungsdatenblättern 025, 026, 027.
14
[15]
Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für
Erziehungswissenschaften, 9, 469-520.
Feindt, A. u.a. (Hrsg.). (2010). Lehrerarbeit - Lehrer sein (Friedrich Jahresheft; 28), Seelze.
Reich, K. (2008). Konstruktivistische Didaktik. Weinheim und Basel: Beltz.
Gieseke, W. (2009). Lebenslanges Lernen und Emotionen. Wirkung von Emotionen als Bildungsprozesse
aus beziehungstheoretischer Perspektive. Bielefeld.
Ophardt, D. (2006). Professionelle Orientierungen von Lehrerinnen und Lehrern unter den Bedingungen
einer Infragestellung der Vermittlungsfunktion. Berlin.
Roth, G. (2011). Bildung braucht Persönlichkeit. Wie Lernen gelingt. Stuttgart.
Scheunpflug, A. (2000). Didaktische Theoriebildung. Ein kritischer Aufriss ihrer handlungstheoretischen
Logik. Hamburg.
Scheunpflug, A. & Mette, N. (2007). Anregungen aus Sicht einer systemtheoretischen Erziehungswissenschaft für das Verständnis eines Religionsunterrichts. .G. Büttner, A. Scheunpflug, & V.
Elsenbast (Hrsg.), Zwischen Erziehung und Religion. Religionspädagogische Perspektiven nach
Niklas Luhmann (S. 41-54). Berlin.
Scheunpflug, A. (2009). Qualitätsstandards für Religionslehrkräfte - Anfragen an die Traditionen? B.
Schröder, H. Harun Behr D. Krochmalnik (Hrsg.), Was ist ein guter Religionslehrer? Antworten
von Juden, Christen und Muslimen (S. 221 – 244). Berlin.
15
[16]
Beitrag
Alois Ecker
16
[17]
Konrad Kleiner
Themen und Themenkonstituierung in fachdidaktischen LehrLern-Prozessen in Lehrveranstaltungen des Lehramts
Keywords: Thema, Themenkonstituierung, Beobachtung, Lehr-Lern-Prozesse, Fachdidaktik
1. Vorbemerkung
Mit dem Begriff „Thema“ wird in didaktischen Kontexten Verschiedenes in den Blick genommen und
Heterogenes zusammengedacht. Die folgenden Ausführungen setzen sich zunächst mit dem zentralen
Begriff „Thema“ in der bildungstheoretisch geführten Didaktikdiskussion auseinander. Der vorliegende Teil der Beobachtungsstudie untersucht, welche Themen in explizit fachdidaktisch ausgewiesenen
Lehrveranstaltungen konstituiert werden. Dieser Abschnitt orientiert sich nicht am traditionellen
Themenbegriff in Anlehnung an Klafki (1995), Schulz (1976) oder Jank und Meyer (2011, S. 74).1
Thema wird in diesem Abschnitt nicht mit fachdidaktischen und fächerbezogenen Bildungsinhalten in
den Lehramtsfächern in Beziehung gebracht. Die Frage, welche fachspezifischen Inhalte im Rahmen
der fachdidaktischen Lehrveranstaltungen fokussiert werden und auf welche Weise sie zu einem
Thema als Strukturelement in Lehr-Lern-Prozessen avancieren, steht nicht im Vordergrund der Analyse. Um Themen im Sinne von Klafki in den untersuchten Lehrveranstaltungen (z. B. Biologie, Religion,
Sport) angemessen identifizieren zu können, müssten beim Beobachtungsteam differenzierte Fachkompetenzen in allen 14 untersuchten Fachdisziplinen vorliegen. Darüber hinaus würde der Fokus auf
Fragestellungen gerichtet sein, die die didaktische Vermittlungskompetenz der Inhalte des Faches in
den Mittelpunkt rücken. Diese Perspektive ist nicht Teil der Forschungsfrage.
Der der Analyse zu Grunde gelegte und im Anschluss näher explizierte Begriff „Thema“ wird als „sinnhafte Kommunikation“ verstanden und in Anlehnung an interaktionistisch-konstruktivistische Ansätze
(z. B. Niklas Luhmann, Kersten Reich, Reinhard Voß und Horst Siebert) interpretiert. Auf der Folie der
Theorie selbstreferentieller Systeme erweist sich das operieren mit dem Begriff „Thema“ im skizzierten Kontext als Herausforderung.
2. Perspektiven zum Begriffsfeld „Thema“
In den weiteren Ausführungen werden vier Zugänge (Perspektiven) zum Begriffsfeld „Thema“ vorgestellt und inhaltlich erörtert.
Perspektive 1: „Thema“ als die vollzogene Verbindung der Ziele mit der Inhaltsentscheidungsebene (Klafki, 1996, S. 119):
Der Themendiskurs und die Diskussion zur Themenkonstituierung haben vorrangig damit begonnen,
dass Wolfgang Klafki (1976) in dem Beitrag „Zum Verhältnis von Didaktik und Methodik“ Wolfgang
Schulz, Herwig Blankertz und sich selbst den Vorwurf macht, „keine terminologische Unterscheidung
zwischen den Begriffen Thema bzw. Thematik“ einerseits und „Inhalt, Gegenstand (des Unterrichts)
bzw. Inhaltlichkeit“ andererseits zu treffen. Klafki (1996, S. 119) stellt klar, dass man mit „Inhalten
bzw. Gegenständen [….] Sachverhalte bezeichnen“ sollte, die „noch nicht im Sinn pädagogischer Zielvorstellungen ausgewählt und präzisiert worden sind, die sich also in einem Prüfungsstadium befinden unter dem Gesichtspunkt, ob ihnen pädagogische Bedeutung abgewonnen bzw. zugesprochen
1
Jank und Meyer (2011, S. 74) bezeichnen Thema als „didaktischen Integrationsbegriff […] der Inhalte ziel- und
prozessbezogen artikuliert“.
17
[18]
werden kann. Indem ein Inhalt oder Gegenstand unter einer pädagogischen Zielvorstellung, einer als
pädagogisch relevant erachteten Fragestellung für die Behandlung im Unterricht, ausgewählt wird,
wird er zum Thema.“1 Mit der „methodischen Leitfrage“, der „themenbestimmenden und themenkonstituierenden Funktion der Methode bzw. der Leitfrage“ (vgl. Blankertz, 1980, S. 119; Menck, 1975, S.
48f.) wird die Bedeutung von Inhalten für Lernende in den Vordergrund gerückt: „Jedem Thema, das
Gegenstand unterrichtlicher Auseinandersetzung wird, ist in diesem Sinne Methodisches immanent“
(Klafki, 1996, S. 122). Weiters verweist Klafki darauf, dass Inhalte nur „möglicherweise pädagogisch
relevant sind“ und „nur potentielle Unterrichtsthemen“ darstellen. Schulz (1976) weist explizit darauf
hin, dass „wer Unterricht zu analysieren hat, wird sich also fragen müssen, welche Themen dort in den
Erkenntnis-, Erlebnis- und Handlungshorizont der Lernenden gebracht werden sollen“ (vgl. Schulz,
1996, S. 135; Blankertz, 1980, S. 103).
Ein Diskurs der „formalen Struktur“ (Schulz, 1976, S. 23) von Lehr-Lern-Prozessen erfolgte vorrangig
auf der Folie der Begriffe „Interdependenz“ (Heimann, 1976) und „Implikationszusammenhang“
(Blankertz, 1980, S. 94). Es zeigte sich, dass Fragen nach den Inhalten weder losgelöst von Fragen nach
den Zielen noch von Fragen nach den Methoden (der Methodik) diskutiert werden können. Im Sinne
der „Berliner Didaktik“ (Heimann et al., 1979) kann von „Thema“ als einem der sechs konstituierenden
Faktoren eines Lehr-Lern-Prozesses gesprochen werden, der „erst in Verbindung mit mindestens einer Absicht ein eindeutiges Unterrichtsziel darstellt“ und durch die „intendierten kognitiven, emotionalen oder pragmatischen Prozesse ein eigenständiges Moment“ repräsentiert (vgl. Meyer & Meyer,
2007, S. 152f.). Unter dem Aspekt des “Primats der Zielentscheidungen“ sind für Klafki (1985, S. 71),
im Gegensatz zu Vertretern der Berliner Didaktik, nicht alle Strukturelemente gleichrangig, sondern
die Zielsetzung ist das wichtigste Element, an dem sich die übrigen Elemente zu orientieren haben.2 Er
weist aber auf ein mögliches Missverständnis von der „These vom Primat der Zielentscheidungen“ hin:
„Sie darf auf keinen Fall dahingehend verstanden werden, dass man von Zielentscheidungen her Entscheidungen in den anderen Dimensionen ableiten, deduzieren könnte.“ (Klafki, 1996, S. 117)
Hinsichtlich der Dimensionierung der Thematik unterscheidet Klafki (1996, S. 123f.) zwei Typen von
Themen, nämlich „potentiell emanzipatorische Themen“ (z. B. Selbst-, Mitbestimmungsfähigkeit, Konfliktanalysen, Abhängigkeitsstrukturen, …) und „instrumentelle Themen“ (z. B. Lese-, Schreib- und
Rechenfähigkeit, …), die vor dem Hintergrund der These von der didaktischen Intentionalität für die
Methodik („immanent methodischer Charakter der didaktischen Thematik“, Klafki, 1976) und dem
Thementräger „Medien“ zu verhandeln sind. Damit wird der Fokus auf den Aspekt gerichtet, welchen
Charakter nun Themen in Lehr-Lern-Prozessen besitzen können. Aus den bisherigen Ausführungen
kann abgeleitet werden, dass „ein einzelnes und im Wortlaut identisches Thema verschiedene Möglichkeiten für inhaltliche Akzentuierung [haben kann]“ (Blankertz, 1980, S. 98). Darüber hinaus kann
unterstellt werden, dass Themen eine unterschiedliche Komplexität und einen unterschiedlichen Grad
an Konkretisierung einnehmen können, sodass auch von Hauptthema (z. B. für fächerübergreifenden
Unterricht), Subthemen, aber auch von Nebenthemen, Randthemen, Gegen- und Kontrastthemen zu
sprechen ist, je nachdem, welche Verknüpfung zwischen den Inhalten und Perspektiven gesetzt wird.
Lehr-Lernprozesse sind also einer Vielzahl von Themen mit unterschiedlicher Hierarchie immanent
„Themen geben Unterrichtsgegenstände an und bezeichnen, unter welchen didaktischen Aspekten diese behandelt werden sollen, d. h., ein Thema bezeichnet die inhaltliche und intentionale Dimension des Unterrichts“
(Recktenwald, 1994, S. 322).
2 Klafki (1996, S. 97) stellt fest: „Sowohl die Entscheidungen darüber, was jeweils in welcher Perspektive Thema
des Unterrichts sein soll oder besser: was sich im Prozess des Unterrichts als perspektivisch erörterte Thematik aufbaut, aber auch Entscheidungen über Methoden und Medien des Unterrichts sind nur von den Zielsetzungen her begründbar.“ Klafki (1976, S. 83) verweist darauf, dass Blankertz, seiner Auffassung nach, von
„Themen“ spricht, wo der Begriff „Inhalte“ bzw. „Gegenstände“ angemessener wäre.
1
18
[19]
und besitzen auch verschiedene thematische Relevanz, die durch interpretative Verfahren, das „Ableitungsprinzip“ und das „Kompatibilitätsprinzip“ (vgl. Brinker, 2010), bestimmt werden kann.
Perspektive 2: „Themen (Topics) sind der eigentlichen Handlung übergeordnet“ (Messmer, 2011,
S. 71):
Lehr-Lern-Prozesse können als „didaktische Texte“ (Messmer, 2011) interpretiert werden. Diesen
Prozessen liegt ein Thema zu Grunde, „das der eigentlichen Handlung übergeordnet ist“. Auf der Folie
des Themas, also der „Strategie, die in den Text gelegt wird“ und die beispielsweise in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen von Studierenden wahrgenommen und in den Vordergrund gerückt wird,
entscheidet sich „die Ebene der interpretativen Kohärenz“ (Eco, 1998, S. 114). Ein „Schlüsselsatz“ verhindert nach Messmer (2011), dass ein Text mit mehreren Signaturen ausgestattet ist. Er bezieht sich
nicht nur auf Eco (1998) sondern auch auf die Arbeit „Sport unterrichten“ von Scherler und Schierz
(1993). Die beiden Autoren stellen im Abschnitt „Methodisch unterrichten“ (S. 21ff.) fest, dass sie „einen begrenzten Ausschnitt des Sportunterrichts“ als „Situation“ bezeichnen. Von „Episode“ sprechen
sie, wenn die Beschreibung dieses Ausschnitts“ fokussiert wird und von „Thema“, wenn dem Ausschnitt „ein Name“ gegeben wird. Scherler und Schierz (1993, S. 24) verweisen darauf, dass sie für die
„Auslegung der Unterrichtssituation“ den Begriff „Schlüsselsatz“ wählen, mit der Begründung, dass „in
unseren Augen [die Schlüsselsätze, Anm. KK] den Schlüssel zum didaktisch relevanten Verständnis der
Beschreibung“ von Situationen geben. Sie sind der verdichtete und komprimierte Fokus jener Prozesse
im Unterricht, die diesen steuern und lenken. Schließlich werden die Unterrichtsvorgänge (z. B. Disziplinprobleme) mit einem Namen versehen, bezeichnet und damit identifizierbar.
Perspektive 3: „Das Thema als Mittelpunkt interaktioneller Gruppen“ (Cohn, 1983, S. 111):
Das der Humanistischen Psychologie subsumierte Konzept der „Themenzentrierten Interaktion“ (TZI)
nach Ruth Cohn unterstreicht die dynamische Balance von Thema, Wir und Ich (vgl. Cohn, 1983, S.
111f.). Mit der inhaltlichen Fokussierung und der Zuerkennung der Bedeutung des Themas in Gruppensituationen wurde durch die TZI-Methode deutlich, dass es neben den genau festgelegten (operationalisierbaren) Themen (z. B. Erreichung bestimmter Kompetenzen im Unterricht) auch heimliche,
versteckte und dennoch wirksame Themen (z. B. Freude am Lernen) zu unterscheiden gilt. Zentraler
Gedanke von Cohn (1983, S. 113, 1979, S. 24) war, dass drei Grundelemente (Faktoren) in der Arbeit
mit Gruppen zu unterscheiden sind, „die man sich bildlich als Eckpunkte eines Dreiecks vorstellen
kann: 1. Das Ich, die eigenen Gefühle. Gedanken, Bedürfnisse, 2. das Wir, also die Interaktion in der
Gruppe und 3. das Es, das Thema, die Aufgabe, um die es in der Gruppe geht“.1 Das Modell des Dreiecks
in seiner Interdependenz zwischen dem Thema und den kommunikativen Beziehungen hat als „didaktisches Dreieck“ auch Relevanz für Planungsprozesse im Unterricht zugesprochen bekommen. Diederich (1988, S. 256) hat die Bedeutung der drei Grundelemente in einigen Varianten und Interpretationen aufgezeigt und daraus didaktische Konsequenzen abgeleitet.
Perspektive 4: „Themen erlauben die sequenzielle Ordnung sinnhafter Kommunikation“ (Luhmann, 1997, S. 78):
Mit den „Fragen an die Pädagogik“ haben Niklas Luhmann und Karl Eberhard Schorr das Interaktionssystem „Unterricht“, das „sich mit Kommunikation reproduziert“ und „auf Fortsetzung angelegt (ist)“
(Luhmann & Lenzen, 2002, S. 17) diskursiv verhandelt. Unterricht ist eine spezifische, nämlich auf
Erziehung und Bildung angelegte, Kommunikation unter Anwesenden, die als „komplexe autopoietische (selbstreferentielle) Systeme“ operieren und die wahrnehmen, dass sie wahrgenommen werden
(S. 105). Das Interaktionssystem Unterricht gewinnt seine „Selbstorganisation“ durch die „Form“,
durch ein Routinehandeln, das „pünktlich“ reguliert, und durch die Zeitstruktur, die in „Perioden“ (or1
Das vierte Element, der „Globus“, umhüllt diese Elemente gleichsam als Umgebung (Cohn, 1983, S. 113).
19
[20]
ganisatorisch vorgegebene Einteilungen, z. B. Semester) und in „Episoden“ ausdifferenziert wird (vgl.
Voß, 2005, S. 196). Unterricht unterliegt einer „komplementären, aber asymmetrischen Rollenstruktur“ (z. B. Lehrer/in, Studierende), wobei die Zuteilung nicht auf Grund einer „vermuteten Affinität“,
sondern auf „Unfreiwilligkeit des Zusammenseins“ erfolgt (Luhmann, 2002, S. 108).
Für das spezialisierte Interaktionssystem Unterricht (Vorlesung, Seminar) bedeutend ist, dass in der
Kommunikation zwischen Funktionen und Themen unterschieden werden kann (Luhmann, 1997, S.
77). Themen erlauben eine „sequentielle Ordnung der Kommunikation“ und sind Ausdruck produzierter Interaktionsketten, die eine „zeitunabhängige Themenkontinuität“ ermöglichen (Voß, 2005, S.
197). „Episoden“ ergeben sich aus der Beschäftigung mit „Themen“ (Luhmann, 2002, S. 108; 1992, S.
581). Diese fordern Bewusstheit und Sinngehalte ein und werden als „Abstraktionen“ verstanden, „die
Identität und Kontinuität wahren können, auch wenn verschiedene Teilnehmer zu verschiedenen
Zeitpunkten Verschiedenes zum Thema beitragen“ (Luhmann & Schorr, 1988, S. 37). Die „Sachdimension“ (Luhmann, 1996, S. 114) trägt mit dazu bei zu klären, „ob völlig verschiedene Sätze zusammengehören“ und „ob der Kommunikationspartner das Thema ebenso versteht wie man selbst. Themen
sichern […] die Anschließbarkeit von Beiträgen und lassen […] eine Kontrolle darüber zu, ob sie zum
Thema gehören oder nicht, …“ (Luhmann & Schorr, 1988, S. 358; Scheunpflug, 2004, S. 73f.; Reich,
2008, S. 242).
Auf der Grundlage der vorangestellten Ausführungen wurde versucht deutlich zu machen, dass LehrLern-Prozesse eine spezifische Form der Konstruktion von Wirklichkeit darstellen und Themen in der
Kommunikationssituation Unterricht mit Schüler(inne)n und/oder Studierenden eine zentrale Position einnehmen. Kommunikation produziert Themen nach ihrer eigenen Logik und sie sind selbstreferentiell, weil diese Handlungen auf die Struktur zurückwirkt und Bewusstsein verändert. Die Wirklichkeitskonstruktion „Thema“ wird im Interaktionssystem Unterricht häufig in Form von Routinen
angewendet, variiert oder neu entwickelt. Personen (Studierende) sind nicht triviale psychische Systeme, die durch Sinngehalte, die sich als Themen eignen, selbstreferentiell beeinflusst und damit angeregt werden, die Konstruktion von Wirklichkeit zu prüfen und zu hinterfragen.
3 Themen und Themenvariabilität in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen
Um didaktisch relevantes Handlungswissen zu generieren, wurden Beobachtungsmatrizen (n=107)
von universitären Lehrveranstaltungen in heterogenen Fächern qualitativ analysiert mit dem Ziel,
Themen didaktischer Intervention zu identifizieren. Damit werden Anliegen der Fachdidaktik mit der
empirischen Unterrichtsforschung zusammengeführt und eine Systematisierung relevanter didaktischer Prinzipien mit dem Fokus der „Hypothesengewinnung“ wird vorgenommen. Auf der Grundlage
der Beobachtungsmatrizen sollen in erster Linie „Oberflächenmerkmale“ (Reyer, 2004) und „Tiefenstrukturen“ auf der Seite der Lehrperson konstruiert werden. Die Grundeinheit der Analyse soll in
Anlehnung an Luhmann (1996, S. 229) die „Situation“ bilden, in der sich die Person-Umwelt-Beziehung
durch die Handlungsauswahl definiert. Die Situation bildet das grundlegende Element der didaktischen Handlungskette. Für Personen (psychische Systeme), die sich in einer gemeinsamen Situation
befinden, ist Interaktion die logische Konsequenz, die nur so lange aufrecht bleiben kann, solange die
beteiligten Personen in der Situation verweilen. Auf Basis von Interaktionen in der Situation-SystemBeziehung bilden sich spezifische Strukturen (Handlungsketten), die dem Prozess eine Form und einen Verlauf geben. Didaktische Prinzipien, die Seibert (2009, S. 189) den Unterrichtsprinzipien gleichsetzt, sind das Ergebnis spezifischer Interaktionen, die sich erst im Verlauf der Interaktionen ausdifferenzieren und kategorisieren lassen, beispielsweise in der Form „vom Leichten zum Schweren“ als
eine Sequenzierung von Lerninhalten. 1
1
Seibert (2009) nimmt eine spezifische Kategorisierung der Prinzipien vor und verweist auf die „fehlende Prinzipienlehre“ und den „Leerformelcharakter“ der Prinzipien und Grundsätze.
20
[21]
3.1 Die Entwicklung von Themensträngen
Um die Beobachtungen der verschiedenen Lehrveranstaltungen in Beziehung setzen zu können und
miteinander vergleichbar zu machen, wurde das Material in Anlehnung an Mayring (2002, S. 116),
Groeben et al. (1988, S. 195) und Messmer (2011, S. 138) geordnet und in sogenannte Themenstränge
(Handlungsketten) gebündelt.
Ziel der ersten Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Beobachtung (der Auswertematrizen)
war es, diese zunächst einmal zu sichten und sich einen Überblick über die Differenziertheit der Themen fachdidaktischer Lehrveranstaltungen zu verschaffen. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die folgenden Fragen: a. Welche Themen werden im Rahmen fachdidaktischer Lehrveranstaltungen an der
Universität Wien kommuniziert?, b. Lassen sich vor dem Hintergrund der Vielzahl fachdidaktischer
Lehrveranstaltungen und Unterrichtsfächer Typen von Themenclustern (Themenstränge) bilden?
Im Anschluss daran werden die in schriftlicher Form vorliegenden Beobachtungsaussagen durch deduktive und induktive Kategorienbildung nach Komplexen zusammengefasst, wodurch eine „inhaltliche Strukturierung“ (Mayring, 2002, S. 89) erfolgen kann. Schließlich werden die „Themenstränge“
beschrieben und Interpretationsspielräume aufgespannt. Was zum „Thema“ wird, lässt sich meist erst
im Verlauf der Kommunikationsprozesse beantworten. In der Regel schließt die Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden zahlreiche Themen, Nebenthemen unterschiedlicher Ordnung,
Kontrast oder/und Randthemen ein, die letztlich ein Hauptthema (einen Themenstrang) in Erscheinung treten lassen. Fragen der Ableitung und Kompatibilität zwischen Hauptthema und (einzelnen)
Nebenthemen werden dadurch vakant (vgl. Brinker, 2010).
Abbildung 1: Themen als Element kommunikativer Situationen
Wie aus der Tabelle 1 hervorgeht, konnten aus den Beobachtungs- und Auswertungsmatrizen insgesamt 10 Themenstränge kategorial isoliert und durch eine unterschiedliche Anzahl an Subthemen näher präzisiert werden. Die angeführten Beispiele sollen die jeweiligen Themenstränge charakterisieren (mit dem Hinweis auf die Nummer der beobachteten Lehrveranstaltung und der Angabe der Zeit
[z. B. 048, Zeit: 14:51]).
21
[22]
Tabelle 1: Klassifikation von Themensträngen in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen
Nr.
Subthemen
Beispiele
Themenstrang 1: Rituale zu Beginn und am Ende der Lehrveranstaltung
1.1
Grüßen, Begrüßen, Anwesenheit kundtun
1.2
Eröffnen, Beginnen, Starten
1.3
In Interaktion treten, Kontakt aufnehmen
1.4
Sich persönlich Vorstellen, Selbstpräsentation,
1.5
Sich orientieren, sich Überblick verschaffen
1.6
Schließen, Abschließen, Beenden
„So, ich begrüße Sie ganz herzlich zur
heutigen Sitzung.“ [030; 16:15]
„Vorerst möchte ich Ihnen einen Überblick über … geben[036, 08:35]
„Offenbar sind nicht alle da,..“ [056,
18:05]
„Also das ist meine persönliche Überzeugung“ [036, 08:55]
„Wir sind in der letzten Einheit bis zum
Kapitel […] gekommen“. [020, 12:11]
Studierende klopfen und verlassen den
Raum [013, 11:46]
Themenstrang 2: Anschluss an die letzte Einheit herstellen
2.1
Sich beziehen auf (thematisch zurück, nach vor
(in die Zukunft), nach innen (auf die Inhalte der
LV), nach außen (auf andere LV)
2.2
Fragen stellen, klären, abklären
2.3
Vorgreifen, Vorwegnehmen, Ankündigen, Vorbereiten
2.4
Konkretisieren, Detaillieren, Aktualisieren
2.5
Aufbau der Szene (kompakt bzw. kompositorisch)
2.6
Paraphrase (explizit bzw. implizit)
2.7
Engagieren, Motivieren, Position beziehen
„Haben Sie die Fragen von der Vorexkursion im Hinterkopf?“[001, 14:10]
„Was sind Ihre Gedanken zu…“ [047,
15:28]
„Nächste Woche soll es um rechte Propaganda gehen.“ [039, 16:20]
„Lassen Sie uns das konkretisieren: von
wem wahrgenommen, in welchen Räumen.“ [047, 14:50]
„Es ist nicht ganz klar, was in der Stunde
gemacht werden soll.“ [094, 15:07]
Vorbereiten der technischen Geräte, um
einen Versuch (Experiment) in der LVEinheit zu machen [003, 14:03]
Komplexe, verschachtelte Sprachhandlung [101, 13:55]
„Nein, ich wollte nur nicht laut sein!“
[101, 13:56]
Themenstrang 3: Asymmetrie der Funktionen und Rollen
3.1
Überprüfen
3.2
Prüfen
3.3
Korrigieren, Kritisieren
3.4
Dirigieren-Lenken
Anwesenheit der Studierenden namentlich überprüfen [002, 14:15]
„Heute ist Prüfung im Hochsprung.“
[101, 14:44]
„Sie haben mich nicht vorgelesen, obwohl ich die Aufgabe auch gemacht habe!“
„Ich habe nur 15 Hausübungen bekommen, d.h. nur jeder Zweite hat sie
gemacht, das ist vielleicht nicht so ideal!“ [014, 10:15]
„Versuchen Sie die Präsentationszeit von
10 min einzuhalten.“ [055, 18:15]
Themenstrang 4: Aufgaben verordnen und Übungen einsetzen
4.1
Aufgaben stellen
4.2
Ergebnisse sammeln und vergleichen
4.3
(Haus-)Übungen geben und einfordern
„Können einzelne Themen (Personen) in
bestehende Gruppen integriert werden?“ [048, 14:51]
Sammlung und Gruppierung von Themen [047, 14:50]
[019, 12:33], [020, 13:12]
Themenstrang 5: Unterschiede ansprechen und offenlegen
5.1
Verständnis sichern, (Ab-)Klären
Lehrperson stellt sicher, dass die Ausführungen (Erklärungen,…) von den
Studierenden richtig verstanden wurden. [
22
[23]
5.2
Präzisieren, Fokussieren
5.3
Korrigieren, Modifizieren, Erweitern
5.4
Wiederholen, erneut Versuchen, Rekapitulieren
5.5
Fragen, Nachfragen
5.6
Thematisieren, Argumentieren, Verweisen
5.7
Perspektiven wechseln, Differenzen aufzeigen
5.8
Ergebnisse und Prozesse zusammenfassen
Besprechung von Prüfungsmodalitäten
[099, 17:00]
„Kommentieren Sie nur den Titel“ [099,
17:15]
„Dürfen wir so springen, wie wir wollen?
Nein, jetzt üben wir den Flop.“ [100,
15:20]
„Ich möchte jetzt noch einmal wiederholen,…“ [101, 14:26]
„Warum machen Fette dick? Sind alle
Fette ungesund?“ [003, 14:18]
„Zeit muss für Schüler hier nicht investiert werden“ [055, 18:10]
„Was kann man als Schüler beobachten,
wenn man den Bienenstock öffnet? [001,
14:25]
„Zusammenfassend halte ich fest,…“
[036, 09:00]
Themenstrang 6: Vereinfachen und Komplexität reduzieren
6.1
Vormachen, Vorzeigen
6.2
Irritieren, Provozieren, Diskutieren, Problematisieren, Kontrastieren
6.3
Auf späteren Zeitpunkt verweisen, Vertrösten
6.4
Empfehlungen aussprechen, Verbessern
6.5
Rezepte anbieten, Tipps geben
6.6
(Didaktisch) Vereinfachen, komplexe Sachverhalte reduzieren
6.7
(Zu-)Warten, Pausieren, Zeit geben
Eine Übung, ein Experiment, einen Text
vortragen [84, 15:53], [107, 10:24]
„Kann man das noch schärfen“ [048,
16:28]
„Sprechen wir nach der Stunde“ [012,
10:20]
„Wichtig ist bei Schülerbeiträgen, klar
zwischen Beschreibung und Interpretation zu trennen“ [037, 09:27]
„Was soll ich Eltern sagen, die um Rat
bitten…: nicht zwingen, ..“ [014, 10:55]
Simulation von Stundeneinstieg ohne
Schüler/innen [003, 14:18]
„Kardinalfehler in der Mathematik …“
[007, 17:32]
Warten vor Raum [043, 9:50-09:58]
Themenstrang 7: Transfer in Unterrichtspraxis thematisieren
7.1
Aufgaben lösen
7.2
Praxis als „Abenteuer im Kopf“ konstruieren
7.3
Vortragen, Feststellen, Präsentieren,
7.4
Inszenieren, Arrangieren
7.5
Mit Fällen (Situationen) arbeiten
7.6
Prozesse deuten, Dynamiken erklären
7.7
Transferieren, Übertragen
„Wie sichern Sie ab, dass sie nicht in das
selbe Muster hineinstapfen, wie jetzt in
der Vorstunde das gewesen ist?“ [100,
14:05]
(Kreative) Umsetzung einer Bewegungsaufgabe [100, 14:40]; „Frage an
die Zukunft: Wie könnte“ [003; 09:20]
Lese-Test (PISA; Bildungsstandards
Deutsch) präsentieren [012, 10:20]
„Vorschlag zum roten Faden: Welche
Strategien…“[048, 16:20]
„Erklären Sie, was es mit Stolpersteinen
auf sich hat.“ [031, 17:25]
Dynamik einer unruhigen Klasse wird
erklärt und begründet [100, 15:54]
L unterbricht Vortrag von Studierenden,
um immer wieder Ergänzungen zu formulieren [055, 18:20]
Themenstrang 8: Beziehung thematisieren
8.1
Kompliment aussprechen, Anerkennen, Lob aussprechen
8.2
Danken, sich bedanken, um etwas Bitten
8.3
Stören, Verweigern, Absagen, Protestieren
8.4
Beziehung klären
„Vielen herzlichen Dank für die tollen,
vielfältigen Funde. Sie haben tolle Arbeit
geleistet![031, 1735]
„Danke schön!“ [030, 16:26]
„L fordert Studierenden auf, den Schlüssel für Kasten zu holen“ [015, 12:00]
„keine Verhandlung über Nichtanwesende“ [047, 15:39]
„Ich möchte Ihnen das Du-Wort anbieten“ [023, 14:20]
23
[24]
8.5
Lachen, Humor, Hände geben
Gruppe lacht [007, 17:42]
Themenstrang 9: Methoden und Vermittlungsstrategien
9.1
Feedback geben (ritualisiert)
9.2
Visualisieren
9.3
Rollenspiel, Planspiele, Simulationsübungen
9.4
Erfahrungen (retrospektiv) didaktisch einsetzen
9.5
Blitzlicht (Befindlichkeit)
9.6
Improvisation, Stehgreifplanung
9.7
Brainstorming
9.8
Partner(innen)interview
„dialogisches Lernen“ [018, 12:50]
9.9
Text-Theater
„Szenische Spiele“ [011, 16:32]
9.10
World Café
Zugang mit „Ich-Bezug“ [041, 10:15]
9.11
Portfolio, Thesenblätter erstellen
9.12
Entspannungs- und Aktivierungsübungen
9.13
Literatur (Buch) als Anschauungsmaterial
„Sehr gutes Feedback,…“ [048, 16:20]
„Das ist jetzt für euch, damit ihr wisst,
wo ihr beim Hochsprung steht“ [101;
15:25]
Kartenspiel, Rätselsammlung, Memory;
Elterngespräch am Sprechtag simulieren
[048; 13:19]
Erfahrungen aus eigener Schulzeit berichten lassen [013, 10:44]
„Was ist das für Sie…“ [010, 16:07]
Zwei Studierende spielen einen Dialog
nach [094, 15:55]
„Was ist das Historische am Thema…“
[048, 14:51]
Arbeit mit Portfolios [002, 14:31], [013,
11:38]
im Raum zur Entspannung auf- und abgehen zu Musik [093, 15:05]
[007, 16:45]
Themenstrang 10: Organisation
10.1
Medien einsetzen (Beamer, PC, …)
10.2
Gruppen einteilen, wechseln und (neu) bilden
10.3
Ereignisse (Exkursionen, Referate) vorplanen
10.4
Zeit überziehen
10.5
Technische Geräte (ein-) ausschalten
10.6
Raum herstellen
„L sucht und findet schließlich das benötigte Kabel“ [036, 08:30]
Gruppe sitzt mit verschränkten Armen,
weil ein Studierender sich einer Gruppe
zuordnen soll. [048, 14:51]
Wie lange darf das Referat dauern?
„Ich sehe mit Entsetzen auf die Uhr“
[037, 09:47]
Bitte Ihre Handys ausschalten
L bittet Studierenden das Licht wieder
aufzudrehen [013, 10:35]; „schließt bitte
das Fenster“ [036; 08:50]
3.2 Zur Sequenzierung fachdidaktischer Lehrveranstaltungen
Anliegen des folgenden Abschnittes ist es, den Blick verstärkt darauf zu richten, welche Themen im
Rahmen von fachdidaktischen Lehrveranstaltungen zeitlich verhandelt werden und in welchem Kontext diese „sinnhaften Kommunikationen“ auftreten. Die schriftlich vorliegenden Beobachtungs- und
Auswertungsmatrizen wurden zunächst in zeitlicher Perspektive qualitativ analysiert. Auf der Grundlage einer „zeitlich orientierten Sichtstruktur“ können folgende Episoden generalisiert beschrieben
und graphisch dargestellt werden (vgl. Abbildung 2).
24
[25]
(Hinweis: Die angeführten Ziffern beziehen sich auf die klassifizierten Themenstränge in der Tabelle 1)
Abbildung 2: Sequenzierung (Zeitschritte) fachdidaktischer Lehrveranstaltungen
Fachdidaktische Lehrveranstaltungen1 zeichnen sich insbesondere durch folgende Rahmenhandlung
aus, die sich in verschiedenen Episoden differenzierter gliedern lässt: In der Regel beginnt eine fachdidaktische Lehrveranstaltung mit einem „Eröffnungsritual“ (TS 1).2 Im Anschluss daran wird, je nach
Lehrveranstaltungstypus (Seminar, Vorlesung, Praktikum) mehr oder weniger unterschiedlich, die
Anwesenheit der Studierenden kontrolliert und/oder eine Überprüfung der Arbeitsaufträge durchgeführt (z. B. Arbeitsblätter, Hausübung, etc.) (TS 3), nicht ohne vorher eine thematische und organisatorische Anbindung (z. B. Vereinbarung) an die letzte Einheit der Lehrveranstaltung herzustellen (TS 2).
Meist werden dann organisatorische Themen (z. B. „Wo ist die Fernbedienung, um den Beamer einzuschalten? Wer von den Studierenden hat eine Information zu….?) abgearbeitet (TS 10). Auf diese Phase
folgt ein Abschnitt, der als thematische Einführung bezeichnet werden kann (TS 7). Dieser Teil des
Lehr-Lern-Prozesses beginnt häufig mit einem schulpraktischen Problem, womit eine Anschlusskommunikation und inhaltliche Anbindung an Schule und Professionalisierung hergestellt wird. Das Repertoir an fachdidaktischen Methoden und Interventionsstrategien (TS 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 und 9) wird in
der daran anschließenden (Haupt-)Phase der Lehrveranstaltung beobachtbar, ehe die wichtigsten
Aussagen zusammengefasst werden (TS 5) und über die nächsten Einheiten vorinformiert wird. Damit
wird die Lehrveranstaltung offiziell beendet. Häufig gibt es im Anschluss daran beispielsweise Fragen,
die einzelne Studierende an die Leitung der Lehrveranstaltung im persönlichen Gespräch richten.
Schließlich endet die Lehrveranstaltung mit dem Ausschalten des Beamers, dem Verschließen von
Apparaturen und dem Verlassen des Hörsaals.
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Hochschullehrer(innen) „bereiten (zielorientiert) vor“, bevor sie
Lehr-Lern-Prozesse (Unterricht) beginnen. Sie „begrüßen“ (z. B. „Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!“, „WillkomDie Grobstruktur (die Rahmenhandlung) mit Eröffnungsritual, Kontrollsequenzen, Stoffvermittlung und Abschlussritual gilt auch für fachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen.
2 TS = Themenstrang
1
25
[26]
men!“, „Schön, dass Sie gekommen sind!“, …) und „stellen vor“, beispielsweise Personen (z. B. Autor(inn)en, Wissenschafter(innen), Schüler(innen), Klassensysteme, Lehr-Lern-Systeme, …), Orte/Räume (z. B. Schulen, Institutionen,
…), Ziele (z. B. der Vorlesung, des Seminars, …), Themen, Inhalte, Methoden, Materialien (z. B. Bücher, Videos, ...)
oder Planungsbeispiele (z. B. von Unterricht,…).
Lehrkräfte fachdidaktischer Lehrveranstaltungen „formulieren (didaktisch angeleitete) Fragen“, beispielsweise:
„Geht‘s im Geschichtsunterricht mehr um Gegenwart oder Vergangenheit?“, „Welche Strategien können Sie sich
vorstellen?“, „Wie weit haben Sie den Schüler(inne)n erlaubt, den Raum einzunehmen?“, „Wie bereiten Sie die Schüler(innen) darauf (auf Gruppenunterricht, Anm. KK) vor?“, „Ist das Schulbuch A für die Klasse besser oder das Schulbuch B?“. Vor dem Hintergrund, dass Sprechen und die Organisation der Verständigung nur linear erfolgen kann,
hat die Paraphrase1 als konstituierendes Mittel von Kommunikation besondere Relevanz. Vortragende Lehrkräfte wechseln von Gegenwärtigem (Hier und Jetzt) auf Vergangenes oder Zukünftiges, von der Situation A zur Situation B (um A zu erklären) oder vom Thema A zum Thema B (um dann wieder zum Thema A zurückzukehren).
Sie regen „Reflexionsprozesse an“, beispielsweise: „Was würden Sie sagen: Ist Ihre Planung aufgegangen? Wo sind
Brüche?“.
Hochschullehrkräfte verwenden „(Fall)Beispiele“ (vgl. Schierz & Thiele, 2002), um „fiktive Schulklassen in den
Hörsaal zu holen“, „besuchen Unterricht an Schulen“ (Unterrichtsbeobachtungen, Hospitationen), „lassen Unterricht
von Studierenden in Schulklassen mit Schüler(inne)n arrangieren“ (und machen diesen Unterricht zum Thema),
„lassen Unterricht mit Studierenden für Studierende inszenieren“ (und transformieren die Erfahrungen auf Unterricht mit Schüler(inne)n, „reflektieren über eine fiktive Schulklasse (oder über Schüler(innen))“ [Stellen sie sich vor,
…].
Erklärung: Die durchgezogenen Linien (Einfachpfeile) verweisen auf vier isolierte Verwendungsformen von
Fallbeispielen, die unterbrochene Linie (Doppelpfeil) verdeutlicht die enge Beziehung zweier Formen von Fallbeispielen, die punktierten Linien heben beobachtete Einstiegsfragen der Reflexion von Fallbeispielen hervor.
Abbildung 3: Formen der „Fallarbeit“ in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen
Sie „intervenieren in Lehr-Lernprozessen“, beispielsweise: „L. sitzt vorne (Rednerpult) und begrüßt die Studierenden, diese sitzen im Raum verteilt, kommen an, packen aus, tratschen. L. steht auf, geht nach hinten und setzt sich
ins Plenum“ oder „L. schließt die Hörsaaltür (und beginnt die Vorlesung)“.
Schließlich beenden die Lehrenden die Lehrveranstaltungen mit einem Ritual, beispielsweise: „Wir sehen uns
dann in zwei Wochen wieder!“, „Vielen Dank, bis nächste Woche!“ Auf der Grundlage der Beobachtungsprotokolle
lassen sich zyklische und azyklische didaktische Verlaufsstrukturen identifizieren, die sich wiederholen, die Brüche, Wendepunkte und spezifische Dynamiken (Rhythmik) aufweisen.
1
Paraphrasen liegen immer dann vor, wenn eine signifikante Häufung von Äußerungsteilen mit gleicher oder
ähnlicher Referenz und Prädikation vorliegt (Rath, 1975, 1979, S. 197).
26
[27]
3.3 Klassifikation didaktischer Gestaltungsformen nach Themensträngen
In Anschluss an die Ausführungen zur sequenziellen Gliederung fachdidaktischer Lehrveranstaltungen im letzten
Abschnitt rückt die Frage in den Vordergrund, inwieweit eine Klassifikation spezifischer Lehrveranstaltungen
auf der Grundlage der identifizierten Themensträngen formal möglich und inhaltlich argumentierbar ist. Weiters
wurde die Frage aufgegriffen, ob naturwissenschaftlich orientierte Lehrveranstaltungen (Cluster I, z. B. Biologie,
Physik, Chemie, Mathematik, ...) sich von Lehrveranstaltungen aus dem Bereich der Human- und Geisteswissenschaften (Cluster II, z. B. Sprachen) in ihrer sequenziellen Anordnung der Themenstränge unterscheiden.
Wie in der Abbildung 4 graphisch dargestellt wird, lassen sich Unterschiede in der sequenziellen Anordnung bzw.
im didaktisch-methodischen Auftreten spezifischer Themenstränge aufzeigen und „Muster“ (Gestaltungsformen)
für unterschiedliche Typen von Lehrveranstaltungen einerseits und Wissenschaftsdisziplinen andererseits postulieren.
(Hinweise: Die angeführten Ziffern verweisen auf die Themenstränge in der Tabelle 1.
Cluster I = naturwissenschaftlich orientierte Lehrveranstaltungen,
Cluster II = human- und geisteswissenschaftlich orientierte Lehrveranstaltungen.
Die Intensität der Kreise (Themencluster) steht für die Häufigkeit des Auftretens in den spezifischen
Lehrveranstaltungstypen, z. B. 1 = regelmäßig beobachtbar, 3 = unregelmäßig, selten beobachtbar.
Abbildung 4: Klassifikation spezifischer Lehrveranstaltungen auf der Grundlage identifizierter Themenstränge
Die Abbildung versucht deutlich zu machen, dass in den drei hier herausgehobenen Lehrveranstaltungstypen, nämlich Vorlesung, Seminar und Praktikum, die klassifizierten Themenstränge (TS) un-
27
[28]
terschiedlich relevant und intensiv auftreten. Ist beispielsweise der TS 3, insbesondere TS 3.1 oder 3.3,
in den beobachteten fachdidaktischen Vorlesungen überhaupt nicht oder nur vereinzelt vertreten, ist
in fachdidaktischen Seminaren der TS 3.1. und insbesondere auch TS 3.2 bis 3.4 besonders häufig und
intensiv vertreten und Inhalt von zeitlich durchaus längeren Diskussionen. Ähnlich ist die Situation bei
den Praktika, auch hier hat der TS „Asymmetrie von Funktionen und Rollen“ offensichtlich besondere
Bedeutung, wird doch der Abschluss der Lehrveranstaltung meist an die Erfüllung von Präsenzzeiten
gebunden. Aus den vorliegenden Beobachtungsdaten kann postuliert werden, dass in dem Lehrveranstaltungstypus „Seminar“ besonders häufig und zeitlich intensiv Themenstränge beobachtbar sind, die
die fachdidaktische Qualität (z. B. Unterschiede aufzeigen, Kontrastieren, Praxis thematisieren, …) der
Lehr-Lern-Prozesse unterstreichen. Die Beobachtungen wenden sich eher gegen die von Becker (1997,
S. 171) formulierte Aussage, wonach „die Annahme, dass jeder Unterricht nach einem bestimmten
Schema ablaufen könne, [..] als Fehlannahme bezeichnet werden [muss]“, als dass sie diese unterstützen.1 Ähnlich deutlich können die Beobachtungen von Lehrveranstaltungen des Clusters I im Vergleich
zu Cluster II interpretiert werden. Es scheint, dass die Vermittlung (Thematisierung) naturwissenschaftlicher Inhalte (Cluster I) sich anderer Themenstränge bedient als die Vermittlung human- und
geisteswissenschaftlicher Inhalte (Cluster II) im Rahmen fachdidaktischer Lehrveranstaltungen.
4. Zusammenfassung und Ausblick
Das Spektrum der fachdidaktischen Theoriekonzeptionen, der Bedeutungs- und Begründungszusammenhänge in den Fachdidaktiken erweist sich als heterogen und vielfältig gestreut. Vor diesem Hintergrund soll Fachdidaktik als die Wissenschaft von fachspezifischen Lehr-Lernprozessen verstanden
werden, die Anschlusskommunikation zu den Fachwissenschaften, der Bildungswissenschaft und zur
Schulpraxis sucht und pflegt. Die Forschungsplattform „Theory and Practice of Subject Didactics“ verfolgt unter anderem das Ziel, Aufschluss über die skizzierten Strukturprozesse der Fachdidaktik(en)
zu geben und offenzulegen, wie fachdidaktische Kompetenzen im Setting Universität kommuniziert
werden. Diese inhaltliche Positionierung bildet die Klammer der vorgestellten theoriegeleitet beforschten Teilprojekte innerhalb der Forschungsplattform an der Universität Wien. Mit Blick auf den
größeren Rahmen einer fachdidaktisch fundierten Unterrichts-, Professionalisierungs- und Schulforschung scheint es besonders bedeutsam, eine Kompetenzmodellierung für (zukünftige) Lehrerinnen
und Lehrer auf der Folie qualitativer und quantitativer empirischer Forschung zu betreiben. Die Fachdidaktiken können ihre wissenschaftliche Aussage- und Anschlussfähigkeit durch empirische Expertise unterstreichen und so dazu beitragen, die Qualität fachdidaktischer Interventionen und Rückkopplungen in Lehr-Lern-Prozessen umfassender für nachhaltige Entwicklungen von kompetenzorientiertem Unterricht zu nutzen.
1
Die Klassifikation von Themensträngen darf nicht mit den in der Literatur der Unterrichtsplanung beschriebenen Stufen- und Phasenschemata verwechselt werden.
28
[29]
5. Literaturverzeichnis
Becker, G. E. (1997). Planung von Unterricht. Handlungsorientierte Didaktik Teil I. Weinheim, Basel:
Beltz.
Blankertz, H. (1980). Theorien und Modelle der Didaktik (Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Bd.
6). München: Juventa-Verlag.
Brinker, K. (2010). Linguistische Textanalyse: Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Berlin:
Schmidt.
Cohn, R. C. (1983). Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion: Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle (Konzepte der Humanwissenschaften, 6. Aufl.). Stuttgart:
Klett.
Diederich, J. (1988). Didaktisches Denken. Weinheim: Juventa.
Eco, U. (1998). Lector in fabula: Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden. München: Dt. Taschenbuch-Verlag.
Groeben, N., Wahl, D., Schlee, J. & Scheele, B. (1988). Forschungsprogramm Subjektive Theorien. Tübingen: Francke Verlag.
Heimann, P. (1976). Didaktik als Theorie und Lehre. In P. Heimann & K. Reich (Hrsg.), Didaktik als Unterrichtswissenschaft (142–167). Stuttgart: Klett.
Heimann, P., Otto, G. & Schulz, W. (Hrsg.). (1979). Unterricht: Analyse und Planung (Reihe B, 1/2, 10.
Aufl.). Hannover: Schroedel.
Jank, W. & Meyer, H. (2011). Didaktische Modelle. Berlin: Cornelsen.
Klafki, W. (1995). Zum Problem der Inhalte des Lehrens und Lernens in der Schule aus der Sicht kritisch-konstruktiver Didaktik. Zeitschrift für Pädagogik, (33. Beiheft, 91-104). Weinheim, Basel:
Beltz.
Klafki, W. (1996). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik: Zeitgemäße Allgemeinbildung und
kritisch-konstruktive Didaktik. Weinheim, Basel: Beltz.
Luhmann, N. & Lenzen, D. (2002). Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Luhmann, N. & Schorr, E. (1988). Reflexionsprobleme im Erziehungssystem. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Luhmann, N. (1992). Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Luhmann, N. (1996). Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Luhmann, N. (1997). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Mayring, Ph. (2002). Einführung in die qualitative Sozialforschung. Weinheim, Basel: Beltz.
Mayring, P. & Gläser-Zikuda, M. (2008). Die Praxis der qualitativen Inhaltsanalyse. Weinheim, Basel:
Beltz.
Menck, P. (1975). Unterrichtsanalyse und didaktische Konstruktion. Frankfurt/M..
Messmer, R. (2011). Ordnungen der Alltagserfahrung: Neue Ansätze zum Theorie- Praxisbezug und zur
Fallarbeit in der Lehrerbildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Meyer, M. A. & Meyer, H. (2007). Wolfgang Klafki: Eine Didaktik für das 21. Jahrhundert? Weinheim,
Basel: Beltz.
Rath, R. (1975). Kommunikative Paraphrasen. Linguistik und Didaktik (6), 103-118.
Rath, R. (1979). Kommunikationspraxis. Göttingen.
Recktenwald, H.-D. (1994). Themenorientierung als didaktische Forderung für den Sportunterricht.
Sportunterricht, 43 (8), 316-324.
Reich, K. (2008). Konstruktivistische Didaktik: Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool. Weinheim,
Basel: Beltz.
Reyer, T. (2004). Oberflächenmerkmale und Tiefenstrukturen im Unterricht, Univ. Berlin, Dortmund.
Scherler, K. & Schierz, M. (1993). Sport unterrichten (Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, Bd. 79). Schorndorf: Hofmann.
Scheunpflug, A. (2004). Das Technologiedefizit.: Nachdenken über Unterricht aus systemtheoretischer
Perspektive. In D. Lenzen (Hrsg.), Irritationen des Erziehungssystems. Pädagogische Resonanzen
auf Niklas Luhmann (65–87). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Schulz, W. (1976). Unterricht-Analyse und Planung. In P. Heimann, G. Otto & W. Schulz (Hrsg.), Unterricht. Analyse und Planung (S. 13–47). Hannover.
29
[30]
Schulz, W. (1996). Anstiftung zum didaktischen Denken: Unterricht - Didaktik - Bildung. Weinheim, Basel: Beltz.
Seibert, N. (2009). Unterrichtsprinzipien. In K.-H. Arnold, U. Sandfuchs & J. Wiechmann (Hrsg.), Handbuch Unterricht (189–195). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Voß, R. (2005). LernLust und EigenSinn: Systemisch-konstruktivistische Lernwelten. Heidelberg: Auer.
30
[31]
Christina Gefäll
Aspekte der Lernorganisation in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen im
Setting Universität
Keywords: Lernorganisation, Typen, Methodenwahl, Lern-Prozesse, Fachdidaktik, Lehramt
1. Einleitung
Die vorliegende Teilstudie untersucht, wie Beziehungen in universitären Lehrveranstaltungen zur
Fachdidaktik der einzelnen Fächer durch die Lehrpersonen gestaltet werden. Die Beobachtungsgruppe
reihte sich damit in die Tradition jener ein, die dem Element der Beziehung eine entscheidende Bedeutung für die Möglichkeiten, einen Lerngegenstand zu begreifen, beimessen.1 Ausgehend von der Annahme, dass Beziehungen in der Kommunikation beobachtbar werden (vgl. Watzlawick, Beavin &
Jackson, 2000, S. 22), wurden die Lehrveranstaltungen konkret auf ihre Lernorganisation hin analysiert und klassifiziert. Unter der Lernorganisation versteht man dabei die Gestaltung von Kommunikationsprozessen zur Förderung des Lernens durch die Lehrperson, z.B. durch die Wahl bestimmter Methoden oder Medien (Ecker, 2007). Auf Basis dieser Analyse der Lernorganisation wurden Hypothesen
aufgestellt, welche Formen der Lernorganisation besonders häufig sind und welcher fachdidaktische
Wissens- und Kompetenzerwerb bei den Studierenden dadurch begünstigt bzw. erschwert wird. Diese
Hypothesen sowie deren Genese sollen im Folgenden beschrieben werden.
2. Formen der Lernorganisation und ihr Potential für das Einüben in Fachdidaktik
Wie auch andere Kommunikationsprozesse können jene, die aus einer bestimmten Lernorganisationen resultieren, als hierarchisch, team -, oder prozessorientiert beschrieben werden.2
Die hierarchische Lernorganisation war lange Zeit in der Schule und auf den Universitäten vorherrschend und wird heute in Bezug auf die Lernmöglichkeiten, die sie bietet kritisch betrachtet. Bei dieser
Lernorganisation hat nur die Lehrperson das Recht auf Rede bzw. darauf zu bestimmen, wer reden
darf. Die Lehrperson gibt „Denk- und Arbeitsschritte vor“ (Geiger & Rieder, 2007), die Studierenden
sind überwiegend in einer passiven Rolle, in der sie kaum Möglichkeiten haben, das Thema oder die
Form der Kommunikation mitzubestimmen. Die Kommunikation verläuft überwiegend direktiv, bestimmt durch die Lehrperson, welche Information weitergibt. Formen des Feedbacks zurück an die
Lehrperson oder zwischen Studierenden sind kaum vorgesehen. Eine typische Methode dieser Lernorganisation ist folglich der Vortrag. Obwohl die hierarchische Lernorganisation dazu geeignet sein
kann ein Thema einzuführen, Zusammenhänge herzustellen u. a., weiß man heute, dass sie Lernenden
Watzlawick, Beavin und Jackson (2000) gehen davon aus, dass jede menschliche Kommunikation grundlegend
aus einer Beziehungs- und einer Inhaltsebene besteht, wobei die Beziehungsebene bestimmt, wie ein kommunizierter Inhalt aufzufassen ist und Probleme dort entstehen, wo die Beziehungsebene von den an der Kommunikation teilnehmenden Personen unterschiedlich verstanden wird. Ruth Cohn (1997) wiederum weist darauf
hin, dass jede Lernsituation durch die Beziehungen zwischen den Elementen Individuum („Ich“), Lerngruppe
(„Wir“), Lerngegenstand („Es“) und Lernkontext/Lernumwelt („Globe“) bestimmt wird. Das heißt, man spricht
nicht nur dort von Beziehung, wo die Interaktion zwischen TeilnehmerInnen gemeint ist, sondern Beziehung
gibt es auch zwischen Individuum bzw. Gruppe und Lerngegenstand bzw. äußerer Umwelt. Die eben beschriebenen Beziehungen sind interdependent, d. h. alle Beziehungen haben Einfluss aufeinander. Daraus folgt, dass
die Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehung Auswirkung hat auf die (Lern-)Beziehung zwischen LernerInnen und Lerngegenstand sowie vice versa.
2 Obwohl es eine beachtliche Vielzahl an Kommunikationsmodellen gibt, kann festgestellt werden, dass die prinzipielle Unterscheidung zwischen Kommunikation mit hierarchischen, team- oder prozessorientierten Elementen einen gemeinsamen Nenner in der Fachliteratur darstellt. Man kann hierbei also von Grundmodellen der
Kommunikation sprechen (Ecker, 2010).
1
31
[32]
nur sehr eingeschränkt ermöglicht individuell sinnvolle Zugänge zu einem Lerngegenstand oder Raum
für Reflexionsprozesse zu finden; ist die Aufgabe der Lernenden doch überwiegend das Nachvollziehen vorgegebener Gedankengänge. Eine aktive fachdidaktische Kompetenz aufzubauen ist somit für
Studierende in einer hierarchischen Lernorganisation erschwert (Ecker, 2010).
Egalitärer gestaltet sich die teamorientierte Lernorganisation, die bei Gruppen- oder Partnerarbeiten
oder in Plenumsdiskussionen realisiert werden kann. Die teamorientierte Lernorganisation zeichnet
sich durch eine gleichberechtigtere Verteilung der Sprechmöglichkeiten aus. Die Lehrperson ist hier
nicht nur Fachexpert/in, sondern Moderator/in und Koordinator/in von Lernprozessen, welche durch
die Studierenden mitgestaltet werden können. Die teamorientierte Kommunikation gibt daher mehr
Raum für Rückkoppelung und individuelle Zugänge zu einem Lerngegenstand. Meinungen zu einem
Thema können gemeinsam eingebracht, verglichen und diskutiert werden, (fachdidaktisches) Wissen
kann dadurch in einen persönlich sinnvollen Zusammenhang gebracht und als etwas Konstruiertes
und Weiterzuentwickelndes verstanden werden.
Die prozessorientierte Lernorganisation zeichnet sich noch stärker als die teamorientierte dadurch
aus, dass sich Studierende in ihrem Lernen selbst organisieren dürfen und dabei von der Lehrperson
unterstützt werden. Thema und Methoden sind flexibler und werden gemeinsam verhandelt, wodurch
Rückkoppelungs- und Reflexionsprozesse zu integralen Bestandteilen der Lernorganisation werden.
Die prozessorientierte Kommunikation findet sich z. B. bei längeren Projektarbeiten der Studierenden.
Der Fokus auf eigenverantwortliches Arbeiten, Reflexion und Interaktion macht es möglich, allgemeine
Forschungs- und Sozialkompetenzen sowie spezifisch fachdidaktische Kompetenzen aktiv (weiter)zuentwickeln. Diese Kompetenzen gewinnen in einer Zeit, in der sich politische, soziale und ökonomische Gegebenheiten in einem starken Wandel befinden, zunehmend an Bedeutung für Lehrer/innen, die flexibel, situationsangebracht und professionell handeln wollen (Ecker, 1997).
3. Verteilung hierarchischer, teamorientierter und prozessorientierter Lernorganisationsformen in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen
Wie im vorigen Abschnitt verdeutlicht, spiegelt sich die hierarchische, team- oder prozessorientierte
Lernorganisation in verschiedenen Aspekten des Unterrichtsgeschehens wider. Um die beobachteten
Lehrveranstaltungen einer dieser Kategorien zuzuweisen, wurde daher die Methodenwahl (Vortrag,
Gruppen-, Projektarbeit), ebenso berücksichtigt wie die Rollen aller Beteiligten im Unterrichtsgeschehen (Fachexpert/in, Coach, Moderator/in) und das Vorhandensein von Rückkoppelung und Reflexionsphasen.1 Auf Basis dieser Aspekte wurde eine Zuordnung jeder beobachteten Lehrveranstaltungseinheit vorgenommen. Über die drei oben besprochenen Grundformen hinaus wurden außerdem bei
der hierarchischen Lernorganisation für die vorliegende Studie noch drei Subkategorien eingeführt.
Diese Subkategorien erlauben es, Lehrveranstaltungen entlang eines Kontinuums von streng hierarchisch zu „hierarchisch, aber mit Elementen von Teamorientierung“ zu verorten. Unterschieden wurde
dabei zwischen folgenden Strukturen:
(1) stark hierarchischen, praktisch durchgehend frontal-organisierten Lehrveranstaltungen,
(2) interaktiv-transferorientierten, frontal-organisierten Lehrveranstaltungen und
(3) hierarchisch-direktiv, gruppal-organisierten Lehrveranstaltungen.2
1
2
Vgl. auch die Beiträge von Robert Schelander und Alois Ecker in diesem Band.
Streng hierarchische, frontal-organisierte Lehrveranstaltungen zeichnen sich aus durch minimale Reflexions-,
und Rückkoppelungsmöglichkeiten, durch die Dominanz von Vortrag oder Lehrer/innenSchüler(innen)gespräch und durch eine Lehrperson, die sich als Fachexpert/in versteht. Bei interaktivtransferorientierten, frontal-organisierten Lehrveranstaltungen finden sich bereits vermehrt Lehrer/innenSchüler(innen)gespräche, die zu Diskussionen werden (d. h. Meinungsaustausch zwischen Studierenden findet
statt), Beiträge von Studierenden werden eingefordert und bisweilen auch in die weitere Unterrichtsgestaltung
integriert. Trotzdem ist der Unterricht noch überwiegend lehrer(innen)zentriert. Hierarchisch-direktiv,
32
[33]
Die folgende Grafik zeigt, wie stark die verschiedenen Lernorganisationen in Lehrveranstaltungen zur
Fachdidaktik vertreten sind.1 Beobachtet wurde 107 Mal in 38 verschiedenen Lehrveranstaltungen,
wobei jede der 107 Beobachtungseinheiten eigens nach ihrer Lernorganisation klassifiziert wurde. (Es
wurde also nicht jede Lehrveranstaltung einer Lernorganisation zugewiesen, sondern jede Lehrveranstaltungseinheit, wie sie sich an einem bestimmten Tag darstellte.)
Wie aus der Grafik ersichtlich, ist mit über 80 % die überwiegende Mehrzahl der beobachteten Lehrveranstaltungseinheiten der hierarchischen Lernorganisation zuzurechnen. Am häufigsten (37 %) ist
die hierarchisch-direktiv, gruppal-organisierte Lehrveranstaltung, wie man sie vorrangig in Übungen
und Seminaren findet. Obwohl die hierarchische Lernorganisation klar dominiert, ist innerhalb dieser
ein Trend zum Einbezug von Elementen aus der teamorientierten Kommunikation festzustellen.
Streng hierarchische Lehrveranstaltungseinheiten (11 %) finden sich selten, sind aber häufiger als die
prozessorientierte Lernorganisation (6 %) und fast ebenso häufig wie teamorientierte Lehrveranstaltungen (13%).
11
0%
33
10%
20%
30%
37
40%
50%
60%
13
70%
80%
90%
6
100%
HIERARCHISCHE LERNORGANISATION: Klassisch-hierarchisch strukturierte, frontal-organisierte
Lehrveranstaltung
HIERARCHISCHE LERNORGANISATION: Interaktiv-transferorientierte, frontal-organisierte
Lehrveranstaltung
HIERARCHISCHE LERNORGANISATION: hierarchisch-direktiv, gruppal-organisierte
Lehrveranstaltung
TEAMORIENTIERTE LERNORGANISATION: teamorientierte, situativ-reflexiv, gruppalorganisierte Lehrveranstaltung
PROZESSORIENTIERTE LERNORGANISATION: interaktiv-rückkopplungs- und rollenvariable
praxisorientierte Lehrveranstaltung
Abbildung 3: Verteilung hierarchischer, team- und prozessorientierter Lernorganisation in
fachdidaktischen Lehrveranstaltungen (n = 107 Beobachtungseinheiten)
Während diese Ergebnisse im Hinblick auf den traditionell hierarchischen akademischen Habitus an
österreichischen Universitäten wenig verwundern (Ecker, 2010), ist die deutlich hierarchische Orientierung insofern überraschend, als Vorlesungen in der fachdidaktischen Lehre eher eine Ausnahme
gruppal-organisierte Lehrveranstaltungen wiederum bezeichnen Lehrveranstaltungen, in denen Studierende
durchaus zu großer Aktivität z. B. im Rahmen von Gruppen- oder Partnerarbeiten aufgefordert sein können, die
Lehrperson jedoch als einzige - klar vordefinierte und abgesteckte - Arbeitsschritte vorgibt, die von den Studierenden abgearbeitet werden sollen.
1
Zur Charakterisierung des Beobachtungssamples siehe den einleitenden Abschnitt zum Beitrag in diesem Band.
33
[34]
und Veranstaltungen in Kleingruppen die Norm darstellen.1 Die Wahl einer hierarchischen Lernorganisation kann also nicht durch den Druck der Gruppengröße erklärt werden.
4. Methodenwahl und Einfluss des Rollenverständnisses auf die Lernorganisation
Obwohl die hierarchische Lernorganisation dominiert, ist eine hohe Methodenvielfalt festzustellen. So
werden in einer durchschnittlichen fachdidaktischen Lehrveranstaltung etwas über 4 (4,23) verschiedene Methoden eingesetzt.2 Auch bei hierarchischen Lehrveranstaltungen findet also ein Methodenwechsel statt, es handelt sich also keineswegs um Lehrveranstaltungen mit durchgehendem Lehrvortrag. Die Wahl der Methoden überrascht ebenso. Es ist nicht möglich, ausschließlich auf Basis der eingesetzten Methoden eine Lernorganisation als hierarchisch, team- oder prozessorientiert zu klassifizieren. So waren die meisten Gruppenarbeiten im vorliegenden Sample zwar in prozessorientierten
Lehrveranstaltungseinheiten zu beobachten (83 % der prozessorientierten Einheiten beinhalteten
Gruppenarbeiten), aber auch 41 % aller hierarchisch klassifizierten enthielten Gruppenarbeiten und
nur 15 % der teamorientierten Lehrveranstaltungseinheiten. Diskussionen wiederum (wobei diese in
Länge und Intensität deutlich schwanken) finden sich in 70 % aller hierarchischen Lehrveranstaltungseinheiten (100 % aller prozessorientierten und 85% aller teamorientierten). Die Lehrkräfte setzen also eine Vielfalt von Methoden (wie die Beobachtungen vermuten lassen durchaus gezielt) ein.
Exemplarisch sei hier der Ablauf einer Lehrveranstaltungseinheit zur Testung des Hörverständnisses
in Englisch beschrieben (Englisch, Matrize 022). Am Beginn der Stunde stehen ein kurzer Stundenausblick durch die Lehrperson (Vortrag) und Fragen zu den Projekten der Studierenden (Lehrer/inSchüler(in)gespräch). Danach werden Fragen auf einer Power Point-Folie präsentiert, welche die Studierenden auffordern, eigene Lernerfahrungen zu erzählen und anhand gelesener fachdidaktischer
Literatur zu beurteilen. Diese Fragen führen zu einer Plenumsdiskussion. In einem nächsten Schritt
wird ein Video gezeigt, zu dem die Studierenden inhaltsbezogene Verständnisfragen beantworten sollen. Die Antworten werden in Form eines Lehrer/in-Schüler(innen)gesprächs kontrolliert. In einem
weiteren Schritt sollen in Kleingruppen vorgegebene Fragen beantwortet werden, die einen Vergleich
zwischen neuen Inhalten und jenen aus vorangegangenen Lehreinheiten erfordern. Die Antworten
werden im Plenum diskutiert. Ein neuer Videoabschnitt wird gezeigt und die Verständnisfragen zum
Video zunächst in Einzelarbeit und schließlich im Plenum beantwortet. Danach bekommen die Studierenden ein Hörbeispiel vorgelegt und müssen dieses anhand der vorangegangenen Informationen zum
Hörverständnis in Kleingruppen beurteilen. Die Korrektheit der Ergebnisse wird in einem Lehrer/inSchüler(innen)gespräch gesichert. Abschließend folgt ein Ausblick auf die nächste Einheit und ein
schriftliches Feedback zur Lehrveranstaltung durch die Studierenden.
Die Beschreibung macht deutlich, dass offenbar eine Vielfalt von Methoden sehr bewusst und gezielt
von der Lehrperson eingesetzt wurde. Die Studierenden sind nicht passiv, sondern arbeiten engagiert
mit und werden in verschiedenen Rollen aktiv (als Expert(inn)en der eigenen Lernerfahrungen am
Anfang der Stunde, als abgeprüfte Studierende beim Beantworten von Verständnisfragen und Vergleichen von fachdidaktischen Inhalten, als Beurteiler/innen der Lehrveranstaltung etc.). Trotzdem entsteht der Eindruck, dass die hierarchische Grundstruktur unangetastet bleibt: Die Lehrperson gibt
kleinräumige und ins Detail ausgearbeitet Arbeits-/Denkschritte vor, welche von den Studierenden
auszuführen sind. Die traditionell hierarchische Aufgabe des/der Lehrers/in, wie von einem Chemieprofessor beschrieben :„Sie müssen den Schüler hineinführen in das Fach, durch das Fach und dann
wieder aus dem Fach heraus“ (Chemie, Matrize 006), scheint auch für Professor(inn)en und ihre Studierenden zu gelten.
In den Jahren 2008/09 waren nur 9 % aller fachdidaktischen Lehrveranstaltungen Vorlesungen (vgl. den Beitrag der Dokumentengruppe in diesem Band). In der vorliegenden Beobachtungsstudie waren 15 % der Beobachtungseinheiten Vorlesungen.
2 SD = 1,23. Nicht gezählt wurde die Häufigkeit der Methodenwechsel innerhalb einer Beobachtungseinheit, sondern nur die Zahl verschiedener Methoden (vom Vortrag über Partnerarbeit zum Spiel), die eingesetzt wurden.
1
34
[35]
Lehrveranstaltungen, in denen Studierende sich damit befassen können aktiv ihre Lernprozesse zu
organisieren, sind noch selten, aber bereits vorhanden. Zu erwähnen ist z. B. eine als teamorientiert
klassifizierte Lehreinheit aus der Physik (Matrize 077). Die Lehrperson gab beispielsweise die Entscheidungen darüber, wann die nächste Lehrveranstaltungseinheit stattfinden solle oder in welcher
Reihenfolge Referate sinnvollerweise gehalten werden sollen, an die Studierenden ab, welche diese
nach inhaltlichen Gesichtspunkten diskutierten und bewältigten.
Zusammenfassend ist also festzustellen: Lehrende verfügen über ein umfassendes Methodenrepertoire und wählen in einem großen Maß auch Methoden, die eine verstärkte Beteiligung von Studierenden in der Gestaltung von Lernprozessen ermöglichen. Das traditionelle Rollenverständnis vom Lehrenden als alleinig Verantwortlichem für einzelne Lernschritte scheint jedoch ebenso in den Köpfen
der Lehrveranstaltungsleiter/innen noch sehr präsent zu sein. Die hierarchische Lernorganisation mit
transfer- und teamorientierten Elementen, wie sie in der vorliegenden Studie überwiegend beobachtet
wurde, scheint ein Ergebnis dieser Spannung zu sein.
5. Literatur
Cohn, R. C. (1997). Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle (13., erweiterte Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta.
Ecker, A. (2010). Grundmodelle der Kommunikation und ihre Anwendung auf die fachdidaktische Theoriebildung. FPL-Arbeitspaper. Wien.
Ecker, A. (2007). Lehr-/Lernziele. Geschichte Online. [Zugriff am 05.Januar 2012 unter gonline.univie.ac.at/htdocs/site/browse.php?a=2853&arttyp=k].
Ecker, A. (1997). Prozessorientierte Geschichtsdidaktik: Neue Wege in der Ausbildung für Geschichtslehrer/innen an der Universität Wien. In F. X. Eder, P. Feldbauer & E. Landsteiner (Hrsg.), Wiener Wege. Themen, Perspektiven, Vermittlungen (S. 397 – 423). Wien, Köln, Weimar: Böhlau.
Geiger, B. & Rieder, M. (2007). Hierarchische Lernorganisation. Geschichte Online. [Zugriff am 05. Januar 2012 unter gonline.univie.ac.at/htdocs/site/browse.php?a=2879 &arttyp=k].
Watzlawick, P., Beavin, J. H. & Jackson, D. D. (2000). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen,
Paradoxien (10., unveränderte Aufl.). Bern: Verlag Hans Huber.
35
[36]
Gerald Weigl
„Fallarbeit“ in fachdidaktischen Lehr-Lernprozesse als Vernetzung der Systeme Universität und Schule
Keywords: Fallarbeit, Formen, Lern-Prozesse, Fachdidaktik, Lehramt
1. Einleitung
Wenn auch das Thema Schule nur einer der Inhalte fachdidaktischer Lehrveranstaltungen ist, bildet
das dadurch geprägte Theorie-Praxis-Spannungsfeld eine zentrale Herausforderung. Konfrontiert es
die Fachdidaktik doch stark mit der Forderung nach einer „praxisnahen Ausbildung“ sowie den Ansprüchen einer Öffentlichkeit, welche den Universitäten unterstellt, in diesem Punkt latent zu versagen.1 Letztlich stellt Schule auch jenes Feld dar, das die Chance zur Rückbindung fachdidaktischer
Konzepte an die Praxis – und damit einer erneuten Befruchtung der Theorie – bietet.
Ein wesentliches Moment des Nachdenkens über Schule in der universitären Lehrer(innen)ausbildung
stellt die Fallarbeit dar. Nachdem ein allgemein akzeptierter Fallbegriff in der Fachdidaktik fehlt, soll
er in Anlehnung an Steiner (2004, S. 14) hier sehr weit gefasst als Handlungssequenz, über die unter
bestimmten Gesichtspunkten nachgedacht wird, verstanden werden.2 Fallarbeit ist gezeichnet durch
eine Janusköpfigkeit zwischen der Präsentation des Prototypischen um Strukturerkenntnisse zu erleichtern und der Irritation, um die Dekonstruktion von Deutungsmustern oder subjektiver Theorien
anzuregen (Reh & Rabenstein, 2005, S. 48). Beck und Helsper (2000, S. 45) versuchen ihr Ziel zu definieren: „Konkrete schulische Praxis wird damit mittelbar zugänglich und kann im Primat reflexiver
Auseinandersetzung in den universitären Lehramtsstudiengang eingeholt und dadurch rekonstruiert
und reflektiert werden.“ Schierz und Thiele (2002) sehen die Erschließung der mit dem Lehrberuf
einhergehenden Antinomien, - im Sinne gleichzeitiger und gleichrangiger Ansprüche -, deren Erfüllung
nicht möglich ist, als zentrale Aufgabe von Fallarbeit. Erst dadurch komme es zu „Versiertheit“, welche
die Autoren als „Fähigkeit zum Durchdenken unterschiedlicher Versionen (also: Wendungen, Drehungen) eines Falls“ auffassen (Schierz & Thiele, 2002, S. 42).
Hier gilt es allerdings, den Einwand von Systemtheoretikern wie Bommes, Dewe und Radtke zu hinterfragen, wonach Wissen und Können bzw. Theorie und Praxis als zwei voneinander getrennte Systeme
zu denken seien, womit das Unterfangen „eine funktional bestimmbare Relation zweier Systeme herstellen zu können“ nur scheitern könne, da „diese als selbstbezügliche Systeme sich wechselseitig nur
nach den ihren je eigenen internen Unterscheidungen aufeinander beziehen können“ (Bommes, Dewe
& Radtke (1996) zit. nach Beck & Helsper, 2000, S. 30). Universität könne demnach gar nicht in die
Praxis einführen oder vorbereiten, sondern müsse sich auf systemimmanente, theoretisch-reflexive
Kompetenzen beschränken: „Universitäres Studium muss sich selbst als das deklarieren was es ist:
Zur Problematik einer Haltung, welche den Praxisbezug für das zentrale Gütekriterium der Lehramtsausbildung hält und damit in letzter Konsequenz den Lernort Universität zugunsten von Ausbildungsschulen und
„learning by doing“ verwirft (Beck & Helsper, 2000, S. 29). Ein differenziertes Bild der studentischen Forderung
nach mehr Praxisnähe zeichnen Schüssler, et al. (2012) in ihrer Untersuchung subjektiver Theorien zum Thema Praxis- und Professionalitätsverständnis.
2 Steiners Definition (2004, S. 14) im Detail: „Ein Fall ist eine Abfolge konkreter Begebenheiten (Ereignisse, Vorkommnisse, Geschehnisse) von und mit handelnden Individuen (Menschen oder Figuren) in einem spezifischen
situativ-geschichtlichen Kontext. Wesentlich für einen Fall ist seine prozesshafte, zeitliche Dimension: Der Fall
besteht aus einer Sequenz von Ereignissen, mentalen Zuständen und Geschehnissen mit Individuen als Akteuren. Die Sachverhalte des Falles können einen realen Bezug zur Wirklichkeit haben oder imaginär sein. Zum
Fall wird aber eine derart formal gekennzeichnete Handlungssequenz immer erst dann, wenn mindestens ein
erkennendes Subjekt darüber nachdenkt, spricht, schreibt und sich ihrer bewusst wird. Die Handlungssequenz
steht damit unter einem bestimmten Gesichtspunkt für etwas und erzeugt im Bewusstsein dieses erkennenden
Subjekts eine bedeutungstragende Wirkung.“
1
36
[37]
nicht eine Einübung in die ‚Theorie-Praxis-Vermittlung‘, sondern eine Veranstaltung, in der die Fähigkeiten des reflexiven Umgangs mit Theorien gelernt werden. Wissenschaft und Wissenschaftler können ‚Theorie‘ und nicht ‚Praxis‘“ (Bommes, Dewe und Radtke zit. nach Beck 2000, S. 30).
Auch Schierz und Thiele (2002, S. 31). betrachten die Hoffnung, im akademischen Kontext erworbenes
Wissen könne auf berufliches Können übertragen werden, als Illusion. Ist damit das Unterfangen, Theorie und Praxis in den Rahmen fachdidaktischer Lehrveranstaltungen zu integrieren, von Vornherein
zum Scheitern verurteilt? Beck und Helsper (2000, S. 18) verwerfen eine derart radikale Abgrenzung
und führen diese zurück auf die notwendige Distanz zu „klassisch pädagogischer Kasuistik, die Fälle im
Sinne von ‚Rezeptologien‘ “verwenden würde und referieren Oelkers Standpunkt, wonach „[…] eine
derartige Polarisierung der Problematik nicht gerecht wird und es gegenüber den problematischen
Modellen ‚Studium als Praxisbezug‘ und ‚Studium ohne Praxisbezug‘ auf dritte Wege bzw. ‚mittlere
Linien‘ ankomme“ (Beck & Helsper, 2000, S. 30).
Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der Einbindung von Reflexionsphasen in die unterschiedlichen
Formen der Fallarbeit.1 Diese werden als unabdingbar betrachtet und sollen helfen, das beobachtete,
simulierte oder selbst organisierte Unterrichtsgeschehen angeleitet inhaltlich und methodisch zu hinterfragen. Oft hebt erst eine Selbstreflexion das Erlebte auf eine explizierbare Ebene und macht es so
für die Professionalisierung nutzbar. Dadurch soll auch der Wechsel auf die andere Seite ermöglicht
werden, die Ablösung von den als Schüler/in und Student/innen gemachten Erfahrungen hin zur Lehrer(innen)seite. Ziel ist die Entwicklung einer analytisch-reflexiven Kompetenz, die in eine theoretisch
reflektierte, professionelle Identität münden soll.2 Den Leitgedanken dieser Art der Reflexion fasst
Gudrun Schiek zusammen: „Da der Pädagoge realiter sein/ihr eigenes Arbeitsinstrument ist, geht es
um die persönliche und berufliche Qualifikation dieser Person. Wenn er/sie seine/ihre im Laufe der
eigenen Sozialisation erlittenen Beschädigungen nicht unbesehen an die Nachgeborenen weiterreichen will, darf er oder sie sich gegenüber sich selber nicht wie ein Analphabet verhalten bzw. das eigene Selbst nicht wie einen unentdeckten Kontinent mit sich herumschleppen“ (Schiek zit. nach Hierdeis
2009, S. 4).
Insofern verwundert der Befund, wonach es an einem eigenen, die Verwendung von „Fällen“ in
universitären Lehrveranstaltungen thematisierendem Forschungsfeld mangle (Reh & Rabenstein, 2005, S. 40; Schierz & Thiele, 2002, S. 45).
2. Verwendungsformen von Fallarbeit
Wie gestaltet sich nun die Integration schulischer Realität konkret in den beobachteten Lehrveranstaltungen? Kleiner (2011, S. 92) identifiziert aus den erhobenen Daten vier isolierte Verwendungsformen
von Fallarbeit:
2.1 Eine fiktive (visualisierte) Schule/Klasse/Schüler/in wird in den Hörsaal geholt.
2.2 Eine Lehr-Lern-Situation wird mit Studierenden durchgeführt und diese auf die Situation Schule
übertragen.
2.3 Unterricht wird an einer ausgewählten Schule aufgesucht (hospitiert).
2.4 Unterricht wird mit Schüler/innen von Studierenden für Studierende arrangiert.
Bei diesen vier Verwendungsformen darf, organisatorisch wie auch von den Anforderungen an die
Studierenden, von einer ansteigenden Komplexität ausgegangen werden. Sind die den Unterricht beeinflussenden Variablen der visualisierten Schulbedingungen noch recht überschaubar, kann schon
1
Siehe Reinhardt (2009, S. 26), Schierz und Thiele (2002, S. 42), Reh und Rabenstein (2005, S. 48, 53), Steiner
(2004, S. 42, 50, 142).
2
Siehe Schierz und Thiele (2002, S. 31f.).
37
[38]
Unterrichtsbeobachtung ohne angeleiteten Fokus überfordern.1 Der selbst gehaltene Unterricht ist
dann – so sehr die betreuenden Lehrveranstaltungsleiter/innen auch darauf achten mögen, ein möglichst „behütetes“ Environment zu schaffen und Hospitationen vorbereitend wirken – an Komplexität
kaum noch zu überbieten. Nicht jedes Fach integriert alle vier Formen der Fallarbeit, jedoch fällt auf,
dass die der vierten Form zuordenbaren Fächer (Geschichte, Sport, Geografie) den visualisierten Unterricht und die Hospitation, mitunter auch die Simulation, aufbauend einsetzen.
2.1 Imaginierter Unterricht
Der Regelfall des imaginierten Unterrichts, wie er uns etwa in der gruppal organisierten Lehrveranstaltung der Slawistik (Matrizen 097-099) entgegentritt, folgt dem Muster der Vergabe von Studierendenreferaten, die Unterrichtsplanungen zum Thema haben. Während der Präsentation lädt der/die
Lehrveranstaltungsleiter/in mehrmals dazu ein sich zu überlegen, ob diese Planung in der Schule realisiert werden könnte und wie sie wohl verlaufen würde. Auch in den Fächern Deutsch (Matrize 20),
Romanistik (084-086), Mathematik (072) und Informatik (056) ist dieses Modell anzutreffen. Ein
leicht abweichendes Modell bietet das Fach Chemie (Matrize 005) mit einer klassisch frontal organisierten Lehrveranstaltung. Hier bietet vor allem der/die Lehrveranstaltungsleiter/in eine große Fülle
an didaktischen Rezepten, etwa zum Thema Unterrichtseinstieg, und gibt als Experte Auskunft darüber, welche Konzepte im Unterricht umsetzbar wären und welche nicht. Die Lehrveranstaltungsleitung stellt also hier die zentrale fachliche Autorität dar, dementsprechend sind Lehrveranstaltungen
dieses Typs von der Kommunikationsstruktur her meist hierarchisch-direktiv aufgebaut. Das Rückbinden der praktischen Expertise der Lehrveranstaltungsleiter/innen an die Empirie sowie theoretische Überlegungen dürften bei diesem Modell ebenso eine zentrale Herausforderung bilden.2 Denn
sonst „besteht die Gefahr der einfachen Verdopplung des schon Gewussten bzw. der Bestätigung von
pädagogischen Mythen und Vorurteilen über Schule, Lehrer/innen und Lernen. Oft bleibt die Erörterung der den Gegenstand betreffenden Fragen so auf der Ebene von Alltagsbewusstsein stehen“ (Reh
& Rabenstein, 2005, S. 50). Die Autorinnen warnen deshalb davor, Fälle ohne didaktisches Theoriekonzept „ad hoc“ einzusetzen und zu interpretieren. Ebenso wesentlich ist wohl eine genaue Adressatenanalyse bzw. Anleitung der Studierenden bei der Vorstellung der Adressaten. Wenn etwa in der
Mathematik gefragt wird: „Was sollte ich für die Schüler immer dazuschreiben, wenn ich die Wendepunkte ausgerechnet habe?“, dann stellt sich die Frage, wer die/die Schüler/innen sind. Denn ob eine
Unterrichtsplanung „funktioniert“ oder nicht, dürfte wohl kaum pauschal zu beurteilen sein, sondern
auch daran liegen, welche Unterrichtssituation visualisiert wird.
Einen Spezialfall bildet die Präsentation von Konzepten, die dann auch tatsächlich mit einer Klasse
umgesetzt werden. Hier (Physik FAP 082, Geschichte 051 u. 052) haben die Konzipierenden schon
eine Adressatenanalyse durchgeführt oder auch schon vor Ort hospitiert. Mit diesem Wissen im Hinterkopf erweist sich die gemeinsame Visualisierung als sehr konkrete Formen annehmend, was auch
die Expertise zugunsten der Studierenden etwas verschiebt. Dies wirkt auch auf das Feedback zu den
Stundenkonzepten, fällt es im Falle „verteilter Expertise“ doch ungleich reger aus. Erst wenn die LVLeitung etwas von ihrer Deutungsmacht aufgibt, wechseln die TeilnehmerInnen von der Rolle der Studierenden in jene der ExpertInnen.
Eine Entlastung könnte die im Rahmen der Forschungsplattform entwickelte und erprobte Beobachtungsmatrix bieten, welche eine Beobachtung in zeitliche, inhaltliche, methodische und mediale Komponenten aufschlüsseln kann und zudem einen Fokus auf Sozialstruktur, Transfer und Rückkoppelung ermöglicht.
2 Beck und Helsper (2000, S. 184) sprechen in Bezug auf die Einbindung von Theoriebezügen in das fallorientierte Seminar von einem „neuralgischen Punkt“. Reh und Rabenstein (2005, S. 50) schließen sich dieser Auffassung an und betonen die Notwendigkeit, die Studierenden erst mit theoretischen Kategorien zu befassen, bevor
eine profunde Interpretationsarbeit möglich ist.
1
38
[39]
2.2 Simulation einer Lehr-Lern-Situation
In diesem Fall bereiten Studierende einzelne Übungen oder Microteaching-Sequenzen vor, halten diese jedoch nicht in einer Schulklasse, sondern vor den KollegInnen in der Lehrveranstaltung. Dieser
Typus ist in den Fächern Englisch (029) und Physik (077) zu finden. In letzterem werden im „Praktikum für Schulversuche“ von den Studierenden Experimente vorgestellt, die für die (visualisierte)
Schule geeignet sind. Eine Variante ist die Vorbereitung der Simulationsübungen durch die Lehrveranstaltungsleitung, so etwa in der Romanistik (088) und der Katholischen Religion (063). Hier wird etwa
das Thema Filmeinsatz im Religionsunterricht anhand von beispielhaften Spiel- und Übungssequenzen
vermittelt. In einer fachdidaktischen Lehrveranstaltung aus dem Fach Biologie (002) wurde von den
Lehrveranstaltungsleiter/innen eine Exkursion zu einer Imkerin arrangiert: „Die Teilnehmer/innen
schlüpfen in eine Lehrer(innen)rolle. Auf einer vorbereitenden Exkursion zu einem außerschulischen
Lernort sollen alle Fragen (Organisatorisches, Themen möglicher Aufgaben,...) für eine Exkursion im
Klassenrahmen geklärt werden.“ (Matrize 001).
Imagination wie auch Simulation stoßen sicherlich an die Grenze dessen, was sich die Studierenden an
im Unterricht geforderten Lehrer(innen)kompetenzen vorstellen können. Denn gerade jene Elemente,
welche in der Praxis die meiste Aufmerksamkeit und die größte Anstrengung fordern, lassen sich aus
der bisher bekannten Schüler/innen- und Studierendenperspektive kaum einschätzen. Ob es jetzt undisziplinierte, aufgeregte Erstklässler sind, eine Klasse, die keine Bereitschaft zeigt mitzuarbeiten oder
etwa Schüler/innen mit Migrationshintergrund, welche eine Reduktion der sprachlichen Komplexität
in den Unterrichtsmaterialien erforderlich machen – all diese Herausforderungen werden nur in der
letzten Verwendungsform der Fallarbeit potenziell erfahrbar gemacht.
2.3 Selbst organisierter Schulunterricht
Obwohl Hospitation von Unterricht auch in einzelnen Lehrveranstaltungen, in denen dann kein Unterrichtsauftritt erfolgt, verkommt, ist sie doch sehr eng mit dieser Verwendungsform verknüpft. Deshalb
sollen diese beiden Formen hier gemeinsam vorgestellt werden. Trotz des hohen organisatorischen
Aufwands, den es erfordert, dass kooperierende Schulen bzw. Betreuungslehrer/innen geeignete
Schulklassen zur Verfügung stellen, findet sich dieser Typus in den Fächern Geschichte, Sport (102),
Geografie (043) und Physik (im Rahmen des FAP 082). Der Phänotyp bzw. das konkrete Setting gestaltet sich auch hier durchaus unterschiedlich. So wird der Unterrichtsauftritt im Sport vom Lehrveranstaltungsleiter/in hospitiert und zwecks Analyse und Reflexion auf Video festgehalten. In der Geschichte begleiten Fachdidaktiker/innen dagegen die Studierenden nicht mit in die Klassen. Die Rolle
des Coaches vor Ort übernehmen die in die Lehrveranstaltung eingebundenen Betreuungslehrer/innen. Der Unterrichtsauftritt ist jedoch nur Kulminationspunkt einer längeren fachlichen und
didaktischen Vorbereitung. Das Modell sei hier kurz skizziert: Im Sinne der prozessorientierten Geschichtsdidaktik1 wird zu Beginn des Semesters, und damit in der Startphase der Lehrveranstaltung,
der Gruppenbildung viel Zeit eingeräumt. Diese erfolgt nach individuell erarbeiteten thematischen
Interessen, die sich in den breiten Rahmen der Lehrveranstaltung (wie etwa das Thema „Rassenpolitik
und Vermögensentzug im Nationalsozialismus“ oder „Alltagsgeschichte. Österreich ab den 1920er
Jahren“) einfügen sollen, der die einzige Vorgabe der Lehrveranstaltungsleitung darstellt. Interaktion
und Verhandlungsprozesse unter den Teilnehmer/innen sollen die Frage der Gruppenbildung lösen.
Die Lehrveranstaltungsleitung interveniert nur, wenn der Prozess ins Stocken gerät, versucht allerdings, mögliche zusammenhängende Themen zu gruppieren. Unter fachwissenschaftlicher Anleitung
wird daraufhin in der ersten Phase ein Inhalt fachlich erschlossen. Zu diesem Zeitpunkt kennen die
Studierenden die Klassen, in denen der Unterrichtsauftritt stattfinden soll, noch nicht. Zu groß wäre
die Verlockung, die fachliche Vorbereitung einer Adressatenanalyse unterzuordnen. Die didaktische
1
Ecker (2005) bietet in „Prozessorientierte Geschichtsdidaktik“ eine Übersicht über die theoretischen Grundannahmen.
39
[40]
Planung und deren Umsetzung bildet die zweite Phase, wobei die Studierenden ermutigt werden, unkonventionelle Methoden im Teamteaching-Verfahren umzusetzen. Jetzt setzt die Hospitationsphase
ein, in der Bekanntschaft mit der Schule und den Klassen, in denen der Unterrichtsauftritt erfolgen
soll, geschlossen wird. Konkrete Aufträge zur Unterrichtsbeobachtung und eine Adressatenanalyse
dienen der Einleitung der Planungsphase. In diese greift die Lehrveranstaltungsleitung – ein Team aus
Fachdidaktiker/innen und erfahrenen Betreuungslehrer/innen – lediglich dann ein, wenn sie kaum
Chancen auf Umsetzung hätte. Diese duale Stütze – fachlich wie pädagogisch – wird von den Studierenden als sehr hilfreich empfunden. Letztlich folgt nach dem nur von den Betreuungslehrer/innen
begleiteten Unterrichtsauftritt in der Reflexionsphase der Abgleich von Planung und tatsächlicher Umsetzung. Hier ist auch Platz, das eigene Erleben während des Unterrichtens aufzuarbeiten. Weder in
Visualisierungen noch im Unterricht vor Studierenden erhält man ein derart direktes Feedback auf das
eigene Verhalten bzw. Unterrichtskonzept wie beim Schulauftritt. Dementsprechend intensiv sind die
erlebten Gefühle – von der Ohnmacht, eine entglittene Situation nicht retten zu können, bis zur Euphorie über einen geglückten Auftritt. Nur allzu oft neigen Studierende in der Besprechung des Auftritts
dazu, Fehler überzudramatisieren oder ihren Unterricht als weitgehend fehlerlos zu schildern. Hier
hilft die Unterrichts-Beobachtung der erfahrenen Lehrer/innen, die Dinge behutsam ins rechte Licht
zu rücken und auch die Notwendigkeit einer Selbstreflexionskompetenz zu erkennen, die Ecker in
ihrer gelungensten Ausformung als „Reflexion der Gegenübertragung“ definiert: „Der Lehrende sollte
demnach fähig sein, sich aus der emotionalen Verstricktheit in die Dynamik der Lerngruppe so weit
herauszunehmen, dass er die eigene Betroffenheit in Bezug zum Lernprozess und zu den bearbeiteten
Inhalten reflektieren kann. Die aus der (Selbst-)Reflexion gewonnene Einsicht in die eigene Konfliktdynamik sollte er, allerdings ohne eigene Anteile vorschnell zu rationalisieren, mit der strukturellen Dynamik der Lerngruppe in Beziehung setzen (können) und unter einem sinnhaften Aspekt, der
mit dem bearbeiteten Thema im Unterricht zusammenhängt, interpretieren (z. B. Konflikte in der
Lerngruppe als Spiegelbild einer gerade bearbeiteten historischen Konfliktsituation).“ (Ecker, 2005)
Wenn auch für diese hohe Kunst der Reflexion in den beobachteten Lehrveranstaltungen nur Impulse
gesetzt werden können, so lässt sich doch feststellen, dass Fallarbeit in ihren unterschiedlichsten Formen stets auf angeleitete Reflexionsphasen angewiesen ist, wenn sie nicht zu einer hohlen Kasuistik
verkommen oder Studierende nach Unterrichtsauftritten völlig verunsichert zurücklassen will. Ebenso
wichtig scheint Transparenz den Studierenden gegenüber im Sinne einer Erklärung des Anliegens, der
Vorgangsweise und theoretischen Begründung. Nur dann kann Fallarbeit das Versprechen einer Versöhnung von Theorie und Praxis im Rahmen fachdidaktischer Lehrveranstaltungen einlösen.
5. Literatur
Beck, C. & Helsper, W. (Hrsg.). (2000). Fallarbeit in der universitären Lehrer(innen)bildung. Opladen:
Leske + Budrich.
Bommes, M., Dewe, B. & Radtke, F. (Hrsg.). (1996). Sozialwissenschaften und Lehramt. Der Umgang mit
sozialwissenschaftlichen Theorieangeboten in der Lehrerausbildung. Opladen: Leske + Budrich.
Ecker, A. (2005). Prozessorientierte Geschichtsdidaktik. Onlinepublikation. [Zugriff am 27.04.2012 unter
http://www.geschichtsdidaktik.eu/uploads/media/fd_ mappe IV_1-4_Ecker_01.pdf].
Hierdeis, H. (2009, 26.10.). Selbstreflexion als Element pädagogischer Professionalität. Vortrag am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck. [Zugriff am 27.04.2012 unter
www.uibk.ac.at/iezw/texte/hierdeis.pdf].
Kleiner, K. (2011). Versuch über das Gemeinsame in den Fachdidaktiken. Perspektiven der Forschungsplattform „Theory and Practice of Subject Didactics“. Spectrum der Sportwissenschaften,
23 (2), S. 81-100.
Reinhardt, S. (2009). Gelingende Lehrerbildung. Journal of Social Science Education 8 (2), S. 23-31.
40
[41]
Reh, S., Rabenstein, K. (2005). “Fälle” in der Lehrerausbildung. Schwierigkeiten und Grenzen ihres Einsatzes. Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, (4), S. 47-54.
Schierz, M., Thiele, J. (2002). Hermeneutische Kompetenz durch Fallarbeit. Überlegungen zum Stellenwert kasuistischer Forschung und Lehre an Beispielen antinomischen Handelns in sportpädagogischen Berufsfeldern. Zeitschrift für Pädagogik, 48 (1), S. 30-47.
Schüssler, R., Keuffer, J., Günnewig, K., Scharlau, I. (2012) „Praxis nach Rezept?“ – Subjektive Theorien
von Lehramtsstudierenden zu Praxisbezug und Professionalität. Reform der Lehrerbildung in
Deutschland, Österreich und der Schweiz. Schulpädagogik heute, (5), 3.
Steiner, E. (2004). Erkenntnisentwicklung durch Arbeiten am Fall. Ein Beitrag zur Theorie fallbezogenen
Lehrens und Lernens in Professionsausbildungen mit besonderer Berücksichtigung des Semiotischen Pragmatismus von Charles Sanders Peirce. Dissertation an der Universität Zürich. Zürich.
41
Herunterladen