ongoing regulation - bei DI Gerhard Lang

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Liebe Kolleginnen und Kollegen
Folie 1
Mein Thema ist der Zusammenhang zwischen Selbstregulierung und
emotionaler Entwicklung. Ich spreche heute nicht aus der
Perspektive des Arztes, sondern des Psychotherapeuten. Ich möchte
Ihnen zeigen, dass unsere Emotionen ein zentraler Aspekt unseres
Menschseins sind, und dass eine gesunde emotionale Entwicklung
die wichtigste seelische Ressource darstellt, auf die wir während der
gesamten Lebensspanne bauen können. Dort, wo die emotionale
Entwicklung Defizite aufweist, oder unlösbare Konflikte, kommen wir
Psychotherapeuten ins Spiel, indem wir eine emotionale Nachreifung
anstoßen und ermöglichen. Je nach methodischer Ausrichtung gibt es
unterschiedliche Möglichkeiten, diese Nachreifung anzustoßen. In
der Traumatherapie gibt es dazu beispielsweise eine Vielzahl
effektiver Techniken – sicherer Ort, innere Bühne,
Traumakonfrontationstechniken usw., in den klassischen
Körpertherapien wie in der Bioenergetik stehen eine Reihe von
Übungen zur Verfügung, die das emotionale Spürwissen auf dem
Weg des körperlichen Spürens differenzieren helfen. In
psychoanalytischen Verfahren wird der Weg über die Bearbeitung
der Übertragungsbeziehung gesucht, über die gespeicherten
Erfahrungen mit frühen Bezugspersonen, die als innere
1
Objektbeziehungen in der Übertragung auf den Therapeuten sichtbar
und bearbeitbar werden. Auf meinen methodischen Zugang, die
analytische Körperpsychotherapie, komme ich später zu sprechen.
Hinter jedem therapeutischen Handeln steht ein Menschenbild. Was
macht uns zu Menschen? Was ist spezifisch menschlich? Ich werde
dieser Frage nicht aus der Sicht der Philosophie nachgehen, sondern
aus der Sicht der Evolutionsbiologie und der menschlichen
Entwicklung, also der Ontogenese und der Phylogenese, und dabei
emotionale Prozesse fokussieren.
Emotionale Prozesse waren jahrhundertelang ein Stiefkind der
Forschung. Das hatte damit zu tun, dass mit dem Aufschwung der
Naturwissenschaften seit Descartes und Newton und damit
verbundener experimenteller Forschungs-Designs die Emotion, der
subjektive Faktor geradezu als Hindernis auf dem Weg zur
Objektivität galt. Man versuchte, so gut es ging, Emotionen
herauszuhalten. Bemerkenswerterweise hat auch Freud, der
Begründer der Psychoanalyse, die zentrale Rolle der Emotionen im
seelischen Getriebe, nicht wirklich fassen können. Sein
Hauptinteresse waren die Triebe, insbesondere der Sexualtrieb,
später auch der Todestrieb, und er hat nie eine kohärente Theorie
emotionaler Prozesse erarbeitet, sieht man von seiner Angsttheorie
ab, aber Angst ist ja nur eine Emotion unter vielen! Die
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entscheidende Wende innerhalb der Psychoanalyse ereignete sich
durch den Einfluss der Säuglings-, Kleinkind- und Bindungsforschung
– federführend war hier Daniel Stern -, denn beim Direktstudium der
kindlichen Entwicklung kommt man an emotionalen Prozessen nicht
vorbei.
Aber auch in anderen Disziplinen rücken Emotionen mehr und mehr
in den Mittelpunkt. So formuliert der portugiesische
Neurowissenschaftler Antonio Damasio Ende des letzten
Jahrhunderts ein neues Paradigma. War es über mehrere
Jahrhunderte René Descartes und sein Dualismus von Geist und
Körper, der mit seinem Leitsatz „Cogito ergo sum“ – „Ich denke, also
bin ich“ – unser Wissenschaftsdenken entscheidend prägte,
aufbauend auf einer Vorherrschaft des Denkens, so hält Damasio
gleichsam kontrapunktisch entgegen: „Ich fühle, also bin ich“ – so
der Titel eines seiner Bücher.
Ein paar Jahre später formuliert der Psychoanalytiker und
Neurobiologe Alan Schore in seinem Buch „Affektregulation und die
Reorganisation des Selbst“ – Zitat: „Psychotherapie ist in ihrer
Essenz angewandte Entwicklungspsychologie.“ Zitat Ende.
Damasio und Schore – „Ich fühle, also bin ich“ und „Psychotherapie
als angewandte Entwicklungspsychologie“, einschließlich der
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Evolution des Homo sapiens sapiens – dies sind für mich
Koordinaten, wenn ich über Selbstregulation, emotionale
Entwicklung und Psychotherapie spreche.
Wie können wir uns also die Entwicklung von Selbstregulation
vorstellen, auf der Grundlage welches Menschenbildes, und was
heißt dies in psychotherapeutischer Hinsicht?
Selbstregulation ist im Verlauf der Entwicklung vom Säugling zum
Erwachsenen einer der entscheidenden, wenn nicht DER
entscheidende Prozess. Es geht dabei um die Beibehaltung eines
individuell als kontrollierbar empfundenen Spannungsniveaus,
welches trotz unterschiedlicher Umwelteinflüsse beibehalten werden
kann.
Folie 2
Es sind mehrere Faktoren zugleich gemeint, wenn wir von der
Beibehaltung eines als kontrollierbar empfundenen
Spannungsniveaus sprechen. Wichtig sind die Emotionen.
Was sind Emotionen, Affekte? Einer älteren Definition zufolge
werden Emotionen als Reaktionsweisen verstanden, die durch
neuronale Programme kontrolliert werden und gleichsam
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reflexartig ablaufen, und mit denen neuromuskuläre, vegetative,
verhaltensmäßige und erfahrungsbezogene Komponenten verbunden
sind. Der Unterschied zum Reflex besteht nur in der Komplexität, d.
h. der Anzahl verschiedener Elemente, die koordiniert werden. Dieser
Definition zufolge sind Emotionen weitgehend unbewusst, der
Selbstkontrolle entzogen und nicht planbar.
Eine modernere Definition rückt die adaptiv-soziale Funktion der
Emotionen im Rahmen der Interaktion des Individuums mit seiner
Umwelt in den Mittelpunkt. Emotionen signalisieren dem
Interaktionspartner die eigene Befindlichkeit, und dies kann bewusst,
willentlich geschehen, oder unbewusst. Die Fähigkeit, emotionale
Signale zu vermitteln, folgt einer beschreibbaren Entwicklung, und
man kann diese Entwicklung sowohl in der Individualentwicklung als
auch in der Evolution von Lebewesen nachzeichnen. Denn
Lebensprozesse haben ganz grundsätzlich mit Kommunikation, mit
Austausch zu tun! Im Grunde sind emotionsähnliche Prozesse,
Zustandsmitteilingen, auf einer ganz frühen biologischen Ebene
nachweisbar, sogar schon in der Zellkommunikation.
Die Beibehaltung eines individuell als kontrollierbar empfundenen
Spannungsniveaus ist aber auch an andere Faktoren gebunden, die
nicht identisch sind mit Emotionen, gebunden. Dazu gehören die
Stressreaktivität und Aufmerksamkeitsregulierung – beide werden
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den sogenannten Temperamentsfaktoren zugerechnet. Ebenso
untrennbar verbunden ist die Selbstregulierung auch mit
Mentalisierungsprozessen, die wiederum, wie Peter Fonagy so
eindrucksvoll gezeigt hat, stark mit der Art und der Entwicklung der
Bindung zu tun haben.
Zur Stressreaktivität und zur Aufmerksamkeitsregulierung als
Temperamentsfaktoren wäre noch zu sagen, dass Temperament
relativ konstante, bis tief ins Biologische hineinreichende Verhaltensund Reaktionsweisen meint. Dem Temperament wird ein stärkerer
genetisch bedingter Anteil zugeschrieben als beispielsweise den
Charakterstrukturen in der Bioenergetischen Analyse, die mehr als
das Ergebnis von Lebensschicksalen, von Produkten der
Auseinandersetzung des Individuums mit der Umwelt im Zuge
phasenspezifischer Konflikte gesehen werden. Ob die
Stressreaktivität und die Aufmerksamkeitsregulierung in der Tat
biologische, genetische Wurzeln haben, muss angesichts der
modernen Epigenetik-Forschung zumindest hinterfragt werden.
Ich merke dies an, weil es für unser Menschenbild bedeutsam ist. Die
Epigenetik-Forschung versucht, das Verhältnis von Genen und
Umwelt neu zu bestimmen, nachdem klar wurde, dass die
vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms keineswegs
jene Antworten hervorbrachte, die man sich erhofft hatte. Es muss
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andere Mechanismen geben als die rein genetische
Informationsvermittlung, z. B. transgenerationale Mechanismen,
sodass erklärbar wird, wie sich z. B. kriegstraumatische Erfahrungen
auf die nächste oder sogar die übernächste Nachfolgegeneration
auswirken können. Das hat natürlich psychotherapeutische
Konsequenzen, es bestimmt beispielsweise die Frage, inwieweit wir
den Assoziationen des Patienten wirklich frei folgen können ODER
uns ganz aktiv nach Erfahrungen aus früheren Generationen zu
erkundigen haben und hier ggf. auch therapeutisch ansetzen. Im
Zuge der Epigenetik-Forschung wird auch das Dogma der
Darwin´sche Evolutionslehre vielleicht nicht ganz über den Haufen
geworfen, aber zumindest neu aufgemischt. Es sind wahrscheinlich
nicht so sehr Zufallsmutationen, die bei natürlichen
Selektionsmechanismen eine Rolle gespielt haben. Nicht so sehr der
Zufall war in der Natur am Werk, sondern wahrscheinlich war eine
Intelligenz im Spiel, und zwar im Bereiche regulatorischer
Mechanismen auf der Ebene der Gene – Stichwort Genregulation.
Genregulation, Selbstregulation, eine Intelligenz in der Natur, die
weiß, was sie tut – dies sind ja die zentralen Fragen dieser Tagung!
Nimmt man zu all dem noch die schier unvorstellbaren Befunde der
modernen Quantenphysik hinzu, dann kann man mit Fug und Recht
behaupten, dass unsere Vorstellung von dem, was den Menschen,
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das Leben, die Natur und den Kosmos ausmacht, sehr in Bewegung
geraten ist.
Folie 3
Wie kann man sich emotionales Lernen generell vorstellen?
Emotionales Lernen ist ein Lernen in Interaktion, und die damit
verbundenen Interaktionserfahrungen werden gespeichert. Daniel
Stern vertritt die Auffassung, dass die unglaublich vielen
Erfahrungseinzelepisoden, die das Baby mit den elterlichen
Bezugspersonen durchläuft, zu einer Art durchschnittlichen
Erwartung, wie die Umwelt beschaffen sein müsste, führt. Diese
Durchschnittserwartung ist eine mentale Struktur, die im Grunde
keiner der tatsächlich erlebten Einzelepisoden entspricht. Man nennt
eine solche Struktur auch Repräsentanz – die RIGS sind
Representations of interaction that have been generalized.
Folie 4
Die Folie vorlesen: Repräsentanzen sind unbewusste, organisierende
Strukturen von Interaktionen und basale Bausteine des Selbst. Sie
resultieren aus dem unmittelbaren Eindruck mannigfaltiger realer
interpersonaler Erfahrungen und integrieren Aspekte der
Wahrnehmung, der Handlung, der Emotionen und der Beziehung
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zwischen den Interaktanden. Als abstrahierte Durchschnittswerte von
Erfahrungen bilden sie unbewusste Erwartungen aus.
Repräsentanzen gehören einer geistigen Ebene an, die über das rein
Biologische, Materielle hinausgeht. Sie sind auch nicht durch
neuronale Aktivität allein erklärbar, obwohl diese die Voraussetzung
darstellt.
Gesunde, d. h. ausreichend positive Interaktionserfahrungen bilden
auf dem Wege der Repräsentanzen eine wichtige emotionale
Ressource. Ob und inwieweit Beziehungen zu anderen Menschen als
heilsam erlebt werden, hängt wesentlich von diesen Repräsentanzen
ab, denn wir bauen unsere sozialen Beziehungen aufgrund unserer
unbewussten Erwartungen auf und gestalten sie dementsprechend,
zu großen Teilen unbewusst!
Die Repräsentanzen gründen sich auf Beziehungserfahrungen im
Zuge ganz alltäglicher Verrichtungen, wie miteinander spielen,
wickeln, füttern, tragen, usw. usw. Also, ein „low tension learning“,
ein atmosphärisches Lernen bei geringen oder mittleren
emotionalen Intensitäten. Die Repräsentanzen sind es, die unser
Verhalten und unsere Emotionen von innen her steuern, sie
regulieren, und sie werden in der therapeutischen Situation aktiviert
wie in jeder anderen sozialen Situation auch.
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Folie 5
Ich betone nochmals die wechselseitige emotionale Regulierung.
Das emotionale Miteinander ist oft besser spürbar als mit Worten
beschreibbar – und sehr wirksam! Emotionale Atmosphären haben
eine suggestive, eine ansteckende Wirkung, und davon lebt
Psychotherapie. Eine emotional positive Atmosphäre ist an sich
bereits ein therapeutischer wirksamer Wirkfaktor. Günter
Heisterkamp und ich sprechen von einem Wirkgeschehen, d. h. beide
Interaktionspartner, Patient und Therapeut, behandeln einander
ständig wechselseitig und bauen miteinander eine spezifische
emotionale Wirklichkeit auf, gleichsam ein Drittes, das sich spezifisch
zwischen ihnen etabliert. Dieses einander Behandeln vollzieht sich zu
90% auf einer körperlichen Ebene – über den Austausch emotionaler
Signale – oft ganz subtil, weitgehend unbewusst. Die wechselseitige
Regulierung der emotionalen Befindlichkeit entspricht der „ongoing
regulation“ von Beebe und Lachmann, auf die ich später noch zu
sprechen komme.
Die Regulierung geht in beide Richtungen! Auch der Therapeut
vermittelt ununterbrochen emotionale Signale, viele davon
unbewusst! Psychoanalytische Konzepte wie ABSTINENZ oder
NEUTRALITÄT müssen aus dieser Sicht als idealtypische Konstrukte
angesehen und neu bedacht werden. Die Bildung neuer
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Repräsentanzen neben den alten ist eines der wichtigsten Ziele
psychoanalytischer Therapie. Das Erreichen dieses Ziels geht Hand in
Hand mit der Veränderung der Selbstregulierung.
In der analytischen Körperpsychotherapie achten wir als
Therapeuten, wenn wir mit dem Patienten bestimmte Themen
durcharbeiten, besonders auf jene Manifestationen dieser
Repräsentanzen, wie sie sich in der konkret körperlichen Interaktion
entweder spontan vollziehen – Blickkontakt, stimmlicher Austausch
– oder im Rahmen bewusst intendierter Handlungsproben, der
szenischen Interaktion. Diese kann fallweise direkten Körperkontakt
miteinschließen. All dies geschieht im Rahmen eines für
Interaktionsproben offenen Settings – und einem psychoanalytischen
Vorgehen in der Weise, dass wir all dies einbetten in Übertragung
und Gegenübertragung, in die Beziehungsanalyse, um den Preis,
dass wir viel weniger auf der Ebene des Körper-Selbst arbeiten wie
etwa in der Bioenergetischen Analyse mit ihren „Exercises“.
Analytische Körperpsychotherapie ist längerfristige und zugleich
niederfrequente psychoanalytische Psychotherapie in einem offenen
Setting, mit einer speziellen Zusatzmöglichkeit: der inszenierenden
Interaktion als ein zusätzliches Manual, auf dem man spielen kann.
Das frühkindliche Lernen ist ein Lernen im emotionalen Signalisieren.
Besonders in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres und im
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zweiten Lebensjahr der menschlichen Entwicklung findet dieses
emotional-motorische Lernen statt, parallel zur Reifung des
präfrontalen Kortex. Es werden „Gefühlsgewohnheiten“ entwickelt,
die für das gesamte Leben als unbewusst-implizites Wissen im Sinne
spezifischer emotionaler Kontaktmuster beibehalten werden. Wir
erlernen all dies, bevor wir sprechen lernen. Eine positive Bindung
an die Pflegepersonen ist Voraussetzung und die vielleicht wichtigste
anthropologische Konstante.
Folie 6
Bei den Säugetieren werden die Jungtiere lebend geboren. Eine
intensive Bindungsentwicklung geht Hand in Hand mit
Körperkontakt und mit dem Säugen des Nachwuchses mit Milch.
Auch der Säugling zeigt aus ausgeprägtes Bindungsverhalten – Martin
Dornes spricht von einem kompetenten Säugling und meint damit
die Fähigkeiten des Säuglings, von sich aus Kontakt herzustellen.
Auch bei Menschenaffen, Elefanten, Walen und Delphinen ist die
Bindung eine sehr intensive. Dennoch muss man das menschliche
Baby – so die Biologin Sahrah Hrdy - als ULTRASOZIAL bezeichnen. Im
Unterschied zu allen anderen Säugetierarten zeigt der menschliche
Säugling nicht nur ein ausgeprägtes Kontaktverhalten der Mutter
gegenüber – die er sofort nach der Geburt an ihrer Stimme und an
ihrem Geruch erkennt - sondern auch gegenüber anderen Menschen:
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daher der Buchtitel „Mothers and others“! Väter, Geschwister,
Onkel, Tanten, Großmütter, Großväter. Besonders Blutsverwandte
erwiesen sich – so Hrdy - als Trumpf im Ärmel der menschlichen
Evolution, in einer Zeit vor 120.000 bis 70.000 Jahren, als Homo
sapiens sapiens beinahe ausgestorben wäre – ein Schicksal, das sein
Verwandter, der Neanderthaler, vor ca. 30.000 Jahren tatsächlich
erlitten hatte.
Extreme soziale Bindung bedeutete also Überleben! Dieses starke
Bindungsverhalten beim Menschen hat aber auch eine Kehrseite,
und diese besteht in seiner extremen Abhängigkeit im Hinblick auf
fremdregulierende Einflüsse.
Das ist wichtig, wenn wir von Selbstregulation und
Selbstheilungskräften auf der psychischen Ebene sprechen. Im
Bereich des Emotionalen ist Selbstregulation anfänglich extrem, in
späteren Lebensabschnitten aber immer noch außerordentlich auf
Fremdregulation angewiesen. Die Akzeptanz durch die Gruppe, der
wir uns zugehörig fühlen, angefangen von Kultur im Großen über die
Familie bis hin zu anderen sozial bedeutsamen Gruppierungen, ist
lebenslang von großer Bedeutung! Was die anderen, denen wir uns
zugehörig fühlen, von uns halten, kann und wird uns nie gleichgültig
sein, bei all unseren Fähigkeit zur Autonomie und unseren Tendenzen
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zur Individualität. In dieser Hinsicht sind wir seelisch genauso
organisiert wie unsere Vorfahren vor hunderttausend Jahren.
Wir wurden zu ULTRASOZIALEN WESEN, und dadurch haben wir
überlebt. Dies ist psychotherapeutisch relevant, nämlich als
Gegengewicht gegenüber einer überzogenen Idealisierung von
Autonomie als Therapieziel. Die lebenslange Wichtigkeit der anderen
ist eine etwas andere Schwerpunktsetzung als die, die Freud im Sinne
hatte, mit seiner Triebtheorie: Alfred Adler betonte die Wichtigkeit
des Gemeinschaftsgefühls, Heinz Kohut sprach von Selbstobjekten
als Verinnerlichungen lebensgeschichtlich bedeutsamer
Bezugspersonen , und auch Ferenczi, der Hauptbegründer der AKP,
war im Grunde ein moderner relationaler Denker. Andere sind für
uns sehr bedeutsam, nicht nur während der Kindheit – sondern
lebenslänglich! Heute trägt die intersubjektiv-relationale
Psychoanalyse unseren Evolutionsbedingungen Rechnung, sie bildet
ein neues Paradigma innerhalb der Psychoanalyse, in dessen Zentrum
das wechselseitige emotionale Signalisieren steht.
Wie entwickelt sich das emotionale Signalisieren beim Menschen? Es
ist ein lebenslanger Prozess, die wichtigste formbildende Periode ist
dabei die präverbale Entwicklungsperiode. Diese stelle ich nun kurz
dar.
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Stufe 1: die vorgeburtliche Entwicklung
Folie 7
Emotional relevante mütterliche Signale werden vor der Geburt sehr
stark über den akustischen Sinneskanal vermittelt. Zwischen der
Mutter und dem pränatalen Kind findet, wie Suzanne Maiello betont,
auf der vokal-auditiven Ebene eine echte Begegnung statt. Die
Gesamtheit der vorgeburtlichen Erfahrungen klanglichen und
rhythmischen Charakters, welche im Gedächtnis des Kindes
aufbewahrt bleiben, bezeichnet sie als Klangobjekt.
Folie 8
Der Gehörsinn des Föten ist im fünften vorgeburtlichen
Lebensmonat voll ausgebildet. In diesem Alter hört das Kind die
mittleren und hohen Frequenzen, die der Mutterstimme
entsprechen. Noch früher nimmt es die niederfrequenten Töne und
Vibrationen wahr, die vom mütterlichen Organismus herrühren - den
Herzschlag, das Pulsieren des Blutes in den Gefäßen, den
Atemrhythmus und die Verdauungsgeräusche. Im Gedächtnis des
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Föten bleiben Spuren davon haften, insbesondere von den
rhythmischen Aspekten der intrauterinen Welt. Die vorgeburtlichen
rhythmischen und akustischen Erfahrungen scheinen nicht bloß in
einem neutralen Gedächtnislager gespeichert zu sein, sondern eine
emotionale Färbung zu haben. Wenn die Wiederkehr des bei der
Geburt verschwundenen mütterlichen Herzrhythmus’ zur Folge hat,
dass das Kind zu weinen aufhört – wie diesbezügliche Versuche
gezeigt haben - dann muss die pränatale Präsenz jener rhythmischen
Klanghülle zu einer damaligen Erfahrung gehört haben, die
nachträglich als gut empfunden wird.
Das ungeborene Kind ist dem Einfluss, der durch die Gefühlszustände
der Mutter ausgeübt wird, hilflos ausgesetzt. Der mütterliche Körper
in seinen rhythmisch-akustischen Signalgebungen ist dabei der
wichtigste Überbringer emotionaler Botschaften. Emotionale
Regulation ist auf dieser Entwicklungsstufe weitgehend eine
Einbahnstraße – die Regulation geht auf der Ebene des emotionalen
Signalisierens von der Mutter zum Kind! Aber nicht nur! Denn der
Fötus reagiert auf bestimmte akustische Signale der Mutter mit
Bewegungen. Der Fötus kann bei großen Lautstärken Stress
empfinden, er zuckt zusammen, und diese Bewegungen kann die
Mutter bis zu einem gewissen Grad spüren lernen! Es kommen in der
Regulierung also auch Einflüsse zur Geltung, die NICHT förderlich
sind. Körperliche Achtsamkeit im Hinblick auf die kindlichen
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Bewegungen ist diesbezüglich eine wichtige Möglichkeit der
Affektregulierung.
Wir müssen annehmen, dass solche frühesten, tief unbewussten
Erfahrungselemente auch in die Übertragungs- und
Gegenübertragungsbeziehung einfließen. Die Aufgabe des
Therapeuten besteht also nicht nur in der Aufnahme bildlicher
Fantasien, sondern auch musikalischer Elemente, wobei es nicht um
ein einseitiges ‘Lesen’ der prosodischen Elemente des Patienten geht,
sondern um einen impliziten musikalisch-rhythmischen Dialog, an
dem beide, Therapeut und Patient, teilhaben. Dem
psychoanalytischen Couch-Setting, in dem man sich ganz auf diese
akustisch-rhythmische Ebene einstellen kann, kommt unter diesem
Gesichtspunkt nochmals eine ganz eigene Rolle zu.
Folie 9
Stufe 2 – Regulierung und Interesse an der Umwelt (die ersten
Lebenswochen nach der Geburt)
Bereits nach der Geburt zeigen Babys Interesse an der Umwelt,
jedoch sind ihre Möglichkeiten, das Interesse zu signalisieren,
aufgrund der noch unreifen Motorik begrenzt. Das emotionale
Signalisieren läuft einerseits über den stimmlichen Kanal, über
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Lautgebungen, andererseits über oft subtile Kopf- und
Augenbewegungen. Kopfhinwendung zur Bezugsperson bedeutet in
der Regel Interesse, Kopfabwendung kein Interesse bzw. den Wunsch
nach Abgrenzung.
Babys erleben anfangs eine begrenzte Anzahl allumfassender
Zustände, wie Ruhe, Erregung und Verzweiflung. Entscheidend im
Hinblick auf das weitere Schicksal dieser emotionalen Zustände ist die
Regulierungsfähigkeit der Bezugspersonen. Wie gelingt es ihnen,
dass das Baby die Interaktion als angenehm erlebt, sei es eine
Besänftigung oder eine Anregung. Positiv erlebte anregende
Interaktion ist DIE Bedingung, unter der sich das Nervensystem
entwickeln kann und die Fähigkeit ausbildet, Muster in diesen
einstmals allumfassenden Zuständen wahrzunehmen. Bitte beachten
Sie: eine gute emotionale Befindlichkeit regt kognitive Prozesse an,
wie die Unterscheidungsfähigkeit von Reizgestalten, von Mustern. Es
gilt: ein effektives emotionales Signalisieren ist die Grundlage von
Denkprozessen. Auch dies ist ein Gegengewicht gegenüber der alten
psychoanalytischen Vorstellung, Denkprozesse würden beim
Säugling durch die Erfahrung von Trennung angeregt. Das mag AUCH
stimmen, aber Trennungserfahrungen sind nicht die alleinige Basis
für die später sich entwickelnde Symbolisierungsfähigkeit.
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Gerald Hüther formuliert es zugespitzt: „Wenn wir nicht fühlen
könnten, hätten wir das Denken nie erlernt.“
Wenn die Bezugspersonen auf die Interessen ihrer Kinder mit einer
Vielfalt emotionaler Äußerungen reagieren, z. B. verschiedenen Arten
des Lächelns oder freudiger Lautgebungen, äußern Babys – Meister
der Imitation - ebenso verschiedenartige Formen emotionaler
Signale. Neurologische Basis hierfür sind die Spiegelneuronen.
Differenzierte Stimulierung führt zu differenzierten emotionalen
Zuständen und zu differenzierten Signalgebungen als aktivregulierender Beitrag des Kindes auf dieser Entwicklungsstufe.
Folie 10
Auf dieser Stufe werden wichtige Grundbausteine im emotionalen
Signalisieren erlernt, wie
 lächeln und Kontakt herstellen
 Kontaktbewegungen mit denen elterlicher Bezugspersonen
synchronisieren
 einfache Gesichtsausdrücke imitieren
 einfache Erwartbarkeiten ausbilden
 die elterliche Umgebung aktiv beeinflussen
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Es werden allerdings auf dieser Entwicklungsstufe auf kindlicher Seite
noch keine tiefen Formen des Beteiligtseins empfunden. Genau dies
geschieht in der nächsten Phase. Es ist, wie wenn ERST in dieser
dritten Phase das Baby auf die konstanten emotionalen
Verführungsversuche der Eltern mit einer zunehmend intensiveren
Gefühlsbeteiligung reagieren würde.
Folie 11
Stufe 3 – Teilnahme und Beziehung (ca. 2. bis 5. Lebensmonat)
Das konstant freudvolle Engagement der Eltern ist jene emotionale
Nahrung, die Babys benötigen, um den nächsten Schritt zu tun. Er
besteht darin, über die einzelnen Sinneskanäle hinweg - Berührung,
Blickkontakt, stimmlicher Austausch – zunehmend deutlich weitere
emotionale Muster zu entziffern, wie Lust, Langeweile oder Ärger. Je
mehr unterschiedliche emotionale Aspekte hinzutreten und für das
Baby differenzierbar werden, umso menschlicher wird die Welt der
Interaktionen, im Unterschied zur unbelebten Welt, die eben nicht
lebendig reagiert. Auf diese Weise entwickelt sich ein Gefühl
„teilnehmender Menschlichkeit“, und gleichzeitig damit verstärkt
sich das Gefühl eines Selbst. In dieser Zeit entsteht emotionale Nähe.
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Die wachsende Regulierungsfähigkeit des Säuglings auf dieser
Entwicklungsstufe besteht darin, auf der Basis eines noch
rudimentären Selbstgefühls zu lernen, die emotionalen Reaktionen
der Bezugspersonen zu beeinflussen, z. B. durch bestimmte Formen
von Lautgebungen. Man spricht auch von einem ersten Erleben von
Effektanz oder Kontingenz.
Das typische Kinderbrabbeln ist zwar präverbal, aber dennoch sind
diese Lautgebungen proto-symbolisch – auf dem Weg zur
Symbolisierung, Vorläufer eines noch impliziten, aber nicht
fehlenden Sinnes. Dies scheint überhaupt für musikalische Formen
zu gelten, Susanne Langer bezeichnet sie als ‘nicht ausgeschöpfte
Symbole’ – Zitat: “Die Fähigkeit, einen Sinn zu erahnen, entsteht
wahrscheinlich vor der Fähigkeit, diesem Ausdruck zu verleihen.
Daher könnte das erste Erscheinen der Tendenz zur Symbolisierung
darin bestehen, das Gefühl zu haben, dass es einen Sinn geben kann”
– Zitat Ende.
Dieses Ahnen ist im Kinderbrabbeln enthalten. Es ist, wie wenn sich
ein Spür-Wissen, ein Ahnungswissen, herausbildet, bevor wir auf
denkende Weise Sinnzusammenhänge herstellen können.
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Stufe 4 – Intentionalität (etwa 4. bis 10. Monat)
Auf dieser Stufe wird, parallel zur wachsenden Fähigkeit sich als
SELBST wahrzunehmen, das emotionale Signalisieren zeitlich
ausgedehnter, die Kommunikationszirkel verlängern sich: das Baby
lächelt die Mutter erwartungsvoll an – die Mutter lächelt zurück –
Baby lächelt erneut, die Mutter reagiert mit Sprachsignalen, das Baby
antwortet darauf mit freudigem Brabbeln usw.
Es entsteht dabei, implizit, als Nebenprodukt, ein Empfinden für
Kausalität: Ich – das Baby - lächle absichtlich, intentional – und
Mama lächelt auch, d. h. SIE antwortet auf mich! Es keimt ein erster
Sinn für Realität auf. Wichtige Grundlagen unseres Realitätssinns
werden lange vor dem Sprechen-Können angelegt, angestoßen durch
zunehmend komplexeres emotionales Signalisieren.
Die zunehmende motorische Entwicklung macht es nun möglich, dass
neben Lautsignalen auch gestische und mimische Signale verstärkt
hinzutreten können, wenn auch nur in zeitlich begrenzter Weise.
Man kann auf dieser Stufe schon von „Intentionalität“ sprechen, von
„willentlichen“ Verhaltensweisen. Damit nehmen die Möglichkeiten
selbstregulierender Beiträge auf die Interaktion stark zu.
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Stufe 5 – Ich-Bewusstsein, Problemlösen und Stimmungsregulierung
An die Stelle ursprünglich katastrophisch erlebter Emotionen sind
gezähmte und interaktivere Emotionsformen getreten. Das
emotionale Signalisieren ist mittlerweile ein absichtsvoller Austausch
nonverbaler Zeichen geworden, die zum Ausdrücken von Intentionen
benutzt werden. Es bauen sich dadurch zunehmend komplexere
emotionale Interaktionen auf.
Stimmungen können moduliert und abgestimmt werden. Im
Zusammenspiel aus differenzierten emotionalen Ausdrucksformen,
aus der Erkennung interaktiver Muster und der schrittweisen
Verlängerung von Interaktionsketten verschmelzen die bisher
fragmentierten Selbst-Inseln zu einem konstanten und kohärenten
Selbst-Gefühl.
Auch wenn menschliche Kinder auf dieser Entwicklungsstufe im emotionalen
Signalisieren bereits all das wesentliche an Interaktionsmöglichkeiten gelernt
haben, was sie für später brauchen, alles an sozialen Spielregeln, sind wir
Menschen diesbezüglich nicht die Krone der Schöpfung! Studien an Bonobos,
das sind Zwergschimpansen, die man frei lebend nur mehr im Kongo antrifft,
zeigen, dass auf dieser Stufe des emotionalen Signalisierens die Bonobos den
Menschen überlegen sind! Ihre emotionale Gebärdensprache erweist sich in
der Videomikroanalyse als differenzierter als die des Menschen. Ihre
gestischen und mimischen Signale sind allerdings bisweilen so subtil, dass ein
zufälliger Beobachter annehmen würde, die Bonobos seien relativ passive und
unkommunikative Kreaturen. Nichts könnte der Wahrheit ferner liegen! Ihr
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emotionaler Kontakt ist aber so nuanciert, dass wir erst langsam lernen
müssen, die vielen feinen Details emotionaler Signalgebungen zu entschlüsseln,
denn mit dem freien Auge sind sie nicht erkennbar.
Folie 12
Gegen Ende meines Vortrags komme ich noch auf drei fundamentale
Prinzipien in der wechselseitigen Regulierung zu sprechen,
ausgearbeitet von Beebe und Lachmann. Sie werden präsymbolisch
repräsentiert, gestalten somit unser Beziehungsverhalten
ununterbrochen und unausgesprochen. Sie sind aus
psychotherapeutischer Sicht bedeutsam.
1. Das bereits erwähnte Prinzip der ständigen Regulierung im
Einander-Behandeln – ongoing regulation
2. Das Prinzip der Unterbrechung und Wiederherstellung
3. Das Prinzip von Momenten der Affektsteigerung
Das erste Prinzip bezieht sich auf die ständige interaktive
Regulierung, auf die wechselseitige Beeinflussung zwischen Patient
und Therapeut, auf allen Sinneskanälen. Sich vorbeugen, sich
zurückziehen, um den Grad der emotionalen Nähe und Distanz zu
regulieren, leichtes Anheben der Lautstärke der Stimme, minimale
Veränderungen im Tonfall, in der Stimmmusik, Redegeschwindigkeit,
Schweigepausen - all dies gehört zur ununterbrochen stattfindenden
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Beziehungsregulierung. Es sind dies Vorgänge, die kaum jemals
reflektiert werden. Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf diesen
Prozess erleichtert uns aber zu verstehen, wie sich die therapeutische
Diade ununterbrochen herausbildet und selbst transformiert.
Das Prinzip der ständigen Regulierung umfasst somit erwartbare
Muster von Interaktionen, die sich in der Therapiesituation ständig
wiederholen. Beide Interaktionspartner tragen Moment für
Moment aktiv dazu bei, ihren Austausch miteinander so zu
regulieren, dass diese Muster hergestellt werden – in jedem
therapeutischen Setting! Beide Teilnehmer an der Interaktion
erwarten und repräsentieren diese spezifische Regulierung und
deren einzigartige Erwartbarkeit mit dem jeweiligen Partner.
Zweites Prinzip: Unterbrechung und Wiederherstellung. Wie gelingt
es, die ständig stattfindenden Kontaktbrüche wieder zu reparieren?
Kontaktbrüche sind normaler Bestandteil der Interaktion, und sie sind
sogar notwendig. Ein übermäßig hoher Grad an Abstimmung – das
haben vergleichende Studien bei Säuglingen gezeigt – ist für die
kindliche Autonomieentwicklung gar nicht so vorteilhaft. Auch im
psychotherapeutischen Geschehen ist es nicht SO entscheidend, dass
die Abstimmung mit dem Patienten perfekt sein muss. Sie muss gut
genug sein, aber genauso wichtig ist die Fähigkeit des Therapeuten,
Kontaktbrüche zu spüren und zu helfen, sie wieder zu reparieren –
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ob auf verbalem Weg, durch Ansprechen der Störung, oder auf
nonverbalem Weg, durch sein Verhalten. ACHTSAMKEIT im Hinblick
auf emotionale Signale hilft, auch feine Kontaktbrüche zu erspüren.
Es ist vergleichbar mit diesen feinen Bewegungen des Föten im
Mutterleib. Als Therapeuten versuchen wir, schon Mini-Störungen
wahrzunehmen, und sie sofort auszuregulieren!
Und dann muss noch etwas Wichtiges geschehen – das ist das dritte
Grundprinzip nach Beebe und Lachmann: Zwischen dem Baby und
der elterlichen Bezugsperson muss es dann und wann Momente
gesteigerter positiver Emotionen geben, wie z. B. gemeinsames
Lachen oder gemeinsame lustvolle Empfindungen wie im
gemeinsamen Spiel. Das ist ganz wichtig in der Ausbildung der
unbewussten Beziehungsregeln, damit wir wirklich zu diesen
ultrasozialen Wesen werden, die wir sind: die Interaktion muss nicht
nur positiv sein, sie muss sich in bestimmten Momenten
außerordentlich gut anfühlen, in Momenten gemeinsam geteilter
positiver Spitzenaffekte. Humor, Spaß, gemeinsam geteilte Lust und
Liebe – das macht uns erst wirklich zu Menschen. Und das trifft
genauso für den psychotherapeutischen Prozess zu.
Zusammenfassung
Folie 13
26
Im Vordergrund dieser Darstellung standen einige Gedanken zu
Aspekten der emotionalen Regulierung im Hinblick auf unsere
Evolution als Hordenwesen. Ich habe wichtige Detailkonzepte zur
Selbstregulierung unterschlagen, sie sind nachlesbar in Psychoanalyse
der Lebensbewegungen. Mit Blick auf die Emotionen ist die
wechselseitige Regulierung zentral.
Wir Menschen sind ultrasozial. Deswegen gibt es uns noch als
menschliche Spezies auf diesem Planeten. Der Preis dafür ist unser
extremes Angewiesensein aufeinander. Im Hinblick auf
Selbstregulation – die Beibehaltung eines als kontrollierbar
empfundenen Spannungsniveaus - bedeutet dies, dass Regulation
von zwei Seiten her geschieht: 1. von innen her durch
Repräsentanzen, wovon die wichtigsten präsymbolischer Natur sind
und vor der Sprachentwicklung erworben wurden. Sie bestimmen
unser implizites Beziehungswissen. 2. Von außen, indem wir
lebenslang auf die Akzeptanz durch die für uns relevanten
Bezugsgruppen, auf unsere Kultur angewiesen bleiben.
Der dabei wirksame Lernprozess ist die Entwicklung des emotionalen
Signalisierens, und wir erwerben diese Fähigkeit dadurch, dass die
Eltern die Babys in zunehmend komplexere Interaktionen
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hineinlocken. Es ist eine Verführung zum Leben, genauso wie
Psychotherapie eine Verführung zum Leben ist.
Ich schließe mit dem Hinweis, dass wir uns in 9 Monaten in Wien mit
diesem speziellen Thema der Verführung, der Suggestion innerhalb
der Psychotherapie genauer beschäftigen werden, im Rahmen einer
Fachtagung, die offen ist für alle Interessierte.
Sie sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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