Wissen Spiegel des Ich Der Umsatz mit Kosmetika in Europa steigt stetig, denn die Haut gilt zunehmend als sichtbarer Ausweis von Identität und Befinden Sie gilt als offensichtlichster Ausweis des Befindens. Sie zeigt außen an, was drinnen vorgeht. Sie ist Verpackung des Körpers, eine Hülle, aber sie enthüllt angeblich auch, was unter der Oberfläche passiert. Die Haut wird als Spiegel der Seele wahrgenommen, und nach dieser Lesart ist es kein Wunder, dass die Menschen immer mehr Gewese um ihre Haut machen. Der Umsatz mit Kosmetika in Europa ist von 16,4 Milliarden Mark im Jahr 1997 auf mehr als 40 Milliarden Euro im Jahr 2010 gestiegen. Der Haut wird allerhand zugemutet. Sie wird gefärbt, geschält, geliftet, geknetet, zerstochen, bemalt, tätowiert, gepierct, gecremt und geschminkt, um nur die gängigsten Verrichtungen zu nennen. Kein Zweifel, die mal geschundene, mal geschönte Grenzfläche zwischen innen und außen soll zeigen, wie die Menschen wirklich sind und besonders: wie sie gerne sein wollen. Der Haut wird eine eigenartige Doppelfunktion zugeschrieben, wie sie keinem anderen Organ zukommt. Sie hat schützende und verbergende Eigenschaften und kann täuschende Fassade sein, unter der sich der authentische Kern des Menschen versteckt. 'Fettmassen, Skelette; eingenäht in einen gefühlsundurchlässigen Ledersack von Haut' - so beschrieb Robert Musil die emotionale Einsamkeit des Menschen. Die Gefühlswelt sah schon Georg Büchner in seinem Drama 'Dantons Tod' 1835 durch den Panzer der Haut abgeschirmt: 'Was weiß ich? Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander, wir sind sehr einsam.' Nur das, was unter die Haut geht, hat Tiefe und berührt daher tatsächlich. In Grimms Deutschem Wörterbuch aus dem Jahr 1877 wird eine Person noch als verwegene, als böse, feige, schäbige oder aber lustige, brave und gutmütige Haut charakterisiert. Von diesen vielseitigen Wendungen zur Wesensbeschreibung eines Menschen ist heute nur noch die 'ehrliche Haut' gebräuchlich. Lessing beschwert sich in einem Brief darüber, dass ihm ein Zeitgenosse 'auf die Haut geht' - heute würde sich ein empfindsamer Mensch stattdessen beklagen, dass ihm jemand 'auf den Geist' oder 'auf die Nerven' geht. Die Haut gilt heute sprachlich kaum noch als Sinnbild für den Leib einer Person, für ihr Ganzes, wie es Goethe im Faust die Jugend 'an eigner Haut erfahren' lässt. Vielmehr ist die Haut der Indikator des Psychischen und zeigt, wenn es einer Person nicht gut geht. Wenn die Haut juckt, Falten wirft oder wenn Ekzeme aufblühen, wird schnell auf ein aus der Balance geratenes Seelenleben geschlossen. Jeder Pickel wird zum Symbol für Probleme - und die Haut daher zur Arbeitsfläche am eigenen Ich, das geglättet, gebotoxt und poliert werden will. 'Dass Leiden der Haut zunehmen, weil psychische Belastungen zunehmen und der Schönheitskult um sich greift, ist wahrscheinlich, aber schwer zu belegen', sagt Uwe Gieler, Psychosomatiker mit Forschungsschwerpunkt Hauterkrankungen an der Uniklinik Gießen. Die Haut ist mit bis zu zehn Kilogramm Gewicht und zwei Quadratmetern Oberfläche nicht nur das größte Organ des Menschen, sondern vor allem ein wichtiges Kommunikationsmittel. Blass galt früher als vornehm und zeigte an, dass man nicht ungeschützt in der Sonne arbeiten musste. Heute ist blass gleichbedeutend mit langweilig oder kränkelnd. Gebräunte Haut steht trotz aller Warnungen vor Hautkrebs für Vitalität und zeigt an, dass man wenig arbeiten muss (oder so viel verdient), dass man sich viel Zeit in der Sonne leisten kann. 'Wer du bist, wird über die Haut ausgedrückt', sagt der Hamburger Dermatologe Kristian Reich. Deshalb kommen immer mehr Menschen mit Verschönerungswünschen zu Hautärzten und Kosmetikern. Die Haut ist zum Statussymbol geworden. Tatsächlich ist kaum ein Organ so empfindlich für Einflüsse von außen wie von innen. Mehr als eine Million Tastorgane befinden sich in der Haut, außerdem mindestens so viele freie Nervenenden, die Reize registrieren und weiterleiten. Die Haut ist eine riesige Antenne. Viele Gefühle werden über die Haut offenbart: zum Beispiel beim Erröten oder Erblassen. Zudem funktionieren beim Menschen die evolutionär angelegten Muskeln noch, die bewirken, dass sich Haare sträuben. Dass seelische Probleme die Haut angreifen können, verwundert angesichts der sensiblen Ausstattung nicht. 'Kranke Haut ist aber nicht gleichbedeutend mit einer kranken Seele', sagt Gerhard Schmidt-Ott, Psychosomatiker an der Medizinischen Hochschule Hannover und Experte für Hautleiden. Dass Menschen vom Äußeren aufs Innerste schließen, stigmatisiere Betroffene noch stärker. Hautkrankheiten würden ohnehin als schmutzig und ansteckend wahrgenommen. Die deutsche Badeordnung, wonach Patienten mit Schuppenflechte aus dem Schwimmbad verwiesen werden konnten, wurde erst 2006 auf Initiative des Psoriasis-Bundes geändert. Schmidt-Otts Team hat gezeigt, dass Hautleiden bei manchen Menschen durch Stress tatsächlich schlimmer werden - aber eben nicht bei allen. Bei Menschen mit Schuppenflechte sind Entzündungsmoleküle und Abwehrzellen im Blut erhöht, wenn die Patienten belastenden Situationen ausgesetzt werden. 'Hauterkrankungen lassen sich provozieren', sagt Matthias Augustin. Der Dermatologe erforscht an der Universitätsklinik Hamburg die Lebensqualität von Patienten mit Hauterkrankungen. In verschiedenen Versuchen setzten Forscher Patienten mit Neurodermitis wie mit Schuppenflechte unter Stress. Die Neurodermitiker reagierten sofort. Schon zehn Minuten nach der psychischen Belastung waren vermehrt Entzündungszellen in ihrem Blut aktiviert - sie können Blutgefäße angreifen und Organe schwächen. Wer an Neurodermitis oder Schuppenflechte leidet, ist zwar nicht dünnhäutiger. Doch auf der Haut dieser Patienten werden innere Anspannungen, Sorgen und Ängste offensichtlicher. In anderen Versuchen wurden Menschen untersucht, die anfällig für Lippenherpes waren. Der Hälfte der Probanden wurden Fotos gezeigt, die Ekel auslösten, etwa benutzte Gläser und Teller mit Essensresten. Die andere Hälfte der Probanden sah Bilder von Blumenwiesen. Wenig später lasen die Forscher den Teilnehmern von den Lippen ab: Bei 40Prozent derjenigen, die eklige Bilder ansehen mussten, blühten Herpesbläschen auf, zudem waren Entzündungswerte in ihrem Blut erhöht. In der Gruppe, die angenehme Bilder zu sehen bekam, war nicht eine Unebenheit auf der Lippe zu erkennen. Cremehersteller, Hautärzte und kosmetische Institute befördern den Trend, den sie einzudämmen vorgeben. Einerseits wird Patienten wie Kunden geholfen, wenn die Haut juckt, schuppt oder Pusteln aufwirft. Gleichzeitig befeuern sie das Streben nach der stets perfekten Haut, auch wenn die angebotenen Rezepte oft gar nicht wirken können (siehe Text unten). Das führt zu einer bitteren Pointe in der Dermatologie: Wer seine Haut besonders intensiv pflegt, überstrapaziert sie. Jeder Hautarzt kennt Patienten, die morgens, mittags und abends Gesicht, Hals und Dekolleté mit einer teuren Pflegeserie eincremen, Körperlotion benutzen und an eben jenen Stellen immer mehr Pickel und Ausschlag bekommen. Als Periorale Dermatitis bezeichnen Ärzte, was in der Umgangssprache 'Stewardessenkrankheit' genannt wird. Sie entsteht besonders bei Frauen, die mehrmals täglich duschen und die Haut anschließend mit zu fetthaltigen Kosmetika abdecken. 'Die Menschen machen viel zu viel mit ihrer Haut', sagt der Hamburger Dermatologe Volker Steinkraus. 'Weniger ist mehr, denn die besten Kosmetika produziert die Haut selbst.' Zur großen Verwunderung ihrer Patienten empfehlen Ärzte dann, Kosmetik und Pflege einzuschränken und die Haut weniger zu malträtieren. Wer übertrieben reinlich ist, dessen Haut schuppt sich leichter, ist eher gerötet und infiziert sich schneller mit Pilzen und Bakterien. Kontaktekzeme gedeihen besonders in Achselhöhlen, die regelmäßig rasiert und täglich mit Duschlotionen, Cremes und Deos traktiert werden. 'Die Haut muss nach Bedarf gepflegt werden', sagt Steinkraus. Gar nicht leicht, sich selbst zu beschränken, wo sich doch der Charakter, die Seele gar, in der verletzlichen Oberfläche spiegeln soll. WERNER BARTENS Quelle Verlag Süddeutsche Zeitung Datum Samstag, den 03. September 2011 Seite 22 Wissen Die Crème de la Crème Anti-Aging wirkt gar nicht? Frauen sagen: Na und! Beinahe genauso populär wie Anti-Aging-Produkte sind Studien, die nachweisen, dass sie nichts oder wenig bewirken, jedenfalls selten etwas Sichtbares. In der guten alten Niveadose, so die Studien, stecke ähnlich viel beziehungsweise wenig Anti-Aging wie in einem Cremedöschen, das zehn Mal so viel kostet und dafür nur ein Zehntel enthält. Rausgeschmissenes Geld, behauptet die Wissenschaft: Anti-Aging sei in Wahrheit unschlagbar günstig, es belaufe sich auf die Trias 'gesunde Ernährung', 'ausreichend Schlaf' und 'immer ordentlich Sonnenschutz'. Frauen nehmen diese Studien zur Kenntnis. Männer lieben sie. Sie verweisen auf das Bataillon von Tuben, Töpfchen und Tiegelchen im Badezimmer, beschriftet mit Zaubervokabeln wie 'rejuvenating', 'hydrating', 'illuminating', 'retexturizing' und 'skin-enriching'. Die Männer müssen dann gar nicht mehr groß fragen, was das ganze nutzlose Zeug gekostet hat (viel, das ist wohl wahr), die Frage steht auch so im Raum: Wie gutgläubig kann man eigentlich sein? Dies allerdings setzt voraus, dass Käuferinnen tatsächlich an all die Verheißungen glauben, die oft noch mit entsprechenden Forschungsergebnissen der Hersteller unterpolstert sind ('Klinische Tests beweisen...'). Halten Frauen es ernsthaft für möglich, dass sie Stirnrunzeln, Krähenfüße und Nasolabialfalten zum Preis einer dreistelligen Summe einfach wegcremen können? Die Antwort lautet natürlich: Die wenigstens glauben das - und kaufen die vermeintlichen Glattmacher trotzdem. Warum nur? Anti-Aging-Cremes sind keine Medikamente gegen Falten, sondern Lifestyle-Produkte. Was man von ihnen erwarten darf, ist nicht die wundersam glattgebügelte Stirn - für die bräuchte es Botox -, sondern Wohlbefinden und ein Hauch von Luxus. Im Angebot inbegriffen ist ja auch der gute Duft, das angenehme Gefühl auf der Haut und die aufwendig gestaltete Verpackung, die auf der Badezimmerablage gut aussieht. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Kosmetikartikel heute kaum noch von der Mode. Man kann sich einen Wintermantel für 60 Euro bei C&A kaufen oder für das Hundertfache bei Chanel. Beide halten warm. Der Chanel-Mantel allerdings wird noch einige andere, eher psychologische Bedürfnisse seiner Trägerin befriedigen. Ob dies seinen Preis rechtfertigt, entscheidet sie selbst. Viele Frauen benutzen nach wie vor Nivea. Andere Frauen kaufen La Mer, Clinique und La Prairie. Den Alterungsprozess stoppen oder gar umkehren kann keines dieser Produkte. Wer aber für etwas Geld ausgibt, das er streng genommen gar nicht braucht und das er doch genießen kann, der hat zwangsläufig das Gefühl, sich etwas Gutes zu tun. Wie der Claim eines Kosmetikriesen besagt: 'Weil ich es mir wert bin'. Und deshalb brauchen Frauen auch gar keine Studien, denn eines wissen sie ganz bestimmt: Anti-Aging ist Wellness. Außerdem wollen wir doch nicht immer nur vernünftig sein, nicht wahr?TANJA REST Quelle Verlag Süddeutsche Zeitung Datum Samstag, den 03. September 2011 Seite 22 Wissen Angeschmiert Eine Reihe verschiedener Kosmetik-Wirkstoffe soll die Haut verjüngen - die meisten Versprechen sind aber haltlos Egal wie verheißungsvoll die Werbebotschaften der Firmen klingen - halten lassen sie sich meist nicht. Die Hersteller braucht das aber nicht zu stören, weil sie die Wirksamkeit ihrer Produkte nicht beweisen müssen. Positive Studienergebnisse, die Firmen gern in ihrer Werbung zitieren, beruhen meist auf schlecht durchgeführten Untersuchungen, die zudem oft nicht von unabhängigen Forschern stammen und wenig aussagekräftig sind. Beispielsweise werden nur einzelne Zellen im Labor getestet, nicht aber, wie sich eine Creme auf das Erscheinungsbild eines Menschen auswirkt. Viele Inhaltsstoffe können gar nichts auf der Haut ausrichten, einige wenige scheinen immerhin nach vielen Wochen Cremerei leichte Verbesserungen zu bringen. Diese sind jedoch nicht dauerhaft, sondern verschwinden schnell wieder, sobald man die Creme nicht mehr regelmäßig benutzt. Q10 Antioxidantien wie Q10 sollen gegen freie Radikale schützen. Das sind Sauerstoff-Teilchen in einer chemisch sehr aktiven Form. Sie entstehen natürlicherweise; der Körper kann sich dank eines Reparatursystems jedoch zum Teil gegen sie wehren. Dies funktioniert im Alter allerdings schlechter, zudem fördern UV-Strahlen und Rauchen die Entstehung freier Radikale. Cremes mit Q10 (oder Ubiquinon) sollen dem entgegenwirken. Ein gesunder Mensch stellt die Substanz jedoch in ausreichender Menge selbst her. Die Produktion nimmt zwar mit dem Alter ab. Der Q-10-Gehalt der Haut lässt sich aber nicht erhöhen, indem man die Substanz außen aufträgt. Nach bisherigem Wissen können Q-10-Cremes die Haut nicht so schützen, dass es im Erscheinungsbild irgendwann einmal auffallen würde. Die Substanz klingt zwar sehr wissenschaftlich, ist in Hautcremes aber überflüssig. Vitamin C Die stärksten Hinweise, dass ein Antioxidans in einer Hautcreme schützend wirken kann, gibt es methodisch recht guten Studien zufolge für Vitamin C. Es kann dazu führen, dass die Haut mehr Proteine herstellt, die sie elastisch machen; gleichzeitig baut der Körper diese Proteine langsamer ab. In einer Untersuchung besserte sich nach drei Monaten die Oberflächenstruktur der Haut. Allerdings hängt die Wirkung auch davon ab, ob die Konzentration des Vitamins in der Creme ausreichend hoch ist, diese aber ist auf den Produkten oft nicht angegeben. Zudem verliert sich die Wirkung schon innerhalb weniger Stunden, wenn die Creme Licht und Luft ausgesetzt ist. Daher ist nicht gesagt, dass ein Produkt tatsächlich vor oxidativem Stress schützt, nur weil es Vitamin C enthält. Vitamin A1 Hautärzte setzen Vitamin A oft ein, da es nachgewiesenermaßen helfen kann. Das Vitamin ist aber eine verschreibungspflichtige Arznei mit möglichen Nebenwirkungen und daher in frei verkäuflichen Cremes nicht enthalten. Stattdessen nutzt die Kosmetikindustrie eine Zwischenform, das Vitamin A1; auch sie kann die Haut reizen. Einerseits zeigen methodisch gute Studien, dass Cremes mit Vitamin A1 nach mehreren Monaten feine Fältchen reduzieren können. Die Substanz beschleunigt offenbar die Erneuerung der Oberhaut und regt die Kollagenproduktion an. Andererseits legen Untersuchungen nahe, dass Vitamin A1 ausschließlich bei über 80-Jährigen wirkt, bei Jüngeren hingegen nicht. Kollagen In Haaren, Fingernägeln und dem Bindegewebe bildet der Körper das Protein Kollagen. Es hält die Haut elastisch, diese Eigenschaft schwindet jedoch mit dem Alter. Trotzdem bringt es nichts, das Protein von außen auf die Haut aufzutragen, denn es ist zu groß, als dass es in die Haut eindringen könnten. Das Gleiche gilt für andere in Cremes eingesetzte Eiweiße wie Elastin oder Seidenproteine. Für kurze Zeit kann sich die Haut nach dem Eincremen dennoch besser anfühlen, weil sie sich beim Trocknen zusammenzieht. Dadurch verschwinden kleinere Erhebungen und Dellen. Der Effekt hält aber höchstens einen Abend lang an. Dermatologen spritzen Kollagen auch. Dann polstert es die Haut zwar sichtbar auf, jedoch nicht unbedingt gleichmäßig. Zudem vertragen manche Menschen die Injektionen nicht. Hyaluronsäure Das Zuckermolekül Hyaluronsäure ist ein natürlicher Bestandteil der Tränenflüssigkeit, von Knorpeln, Gelenken und der mittleren der drei Hautschichten, der Lederhaut. Die Substanz ist wichtig für den Nährstoff- und Flüssigkeitsaustausch zwischen Zellen. Hyaluronsäure wird oft als eine Art Wundermittel beworben. Sie soll nicht nur der Haut helfen, sondern auch Arthrose-geplagten Gelenken, was qualitativ gute Studien aber nicht belegen können. Hyaluronsäure kann wegen ihrer chemischen Struktur sehr viel Wasser speichern. Daher klingt das Versprechen naheliegend, dass Cremes mit dieser Substanz die Haut praller aussehen lassen. Dazu müsste der Wirkstoff aber bis zur Lederhaut vordringen. Dies ist einer - allerdings sehr kleinen - klinischen Studie zufolge offenbar dann möglich, wenn es sich um sehr kurze Abschnitte des Moleküls handelt. Nach dem Auftragen einer Creme, die sehr kleine Hyaluronsäure-Fragmente enthielt, verbesserte sich die Hautelastizität der zwölf Probanden deutlicher als nach einem Placeboprodukt. Größere Stücke des Moleküls bleiben an der Hautoberfläche, wo sie allenfalls kurzzeitig Feuchtigkeit spenden. Kunden können nicht einschätzen, in welcher Form die Hyaluronsäure in einer Creme vorliegt - die kurzen, möglicherweise wirksamen Fragmente sind eindeutig die Ausnahme. Polypeptide Die Bezeichnung Polypetid bezieht sich nicht auf einen Wirkstoff, sondern auf die biochemische Struktur. Es handelt sich um unterschiedliche Eiweiße, die so klein sind, dass sie tiefer in die Haut eindringen können als andere Substanzen. Dort können sie beispielsweise den Zellen das Signal geben, mehr Kollagen zu produzieren. Mehrere recht gute klinische Studien haben gezeigt, dass das Polypeptid pal-KTTS nach mehreren Wochen die Faltentiefe und -dicke reduzieren kann. Experten zufolge könnten solche Moleküle sogar so eingesetzt werden, dass sie noch wirksamer sind - dann würden sie aber als Medikamente gelten statt als zulassungsfreie Kosmetika. Aus Belegen, dass ein bestimmtes Polypeptid wirkt, lässt sich nicht ableiten, dass dies auch für alle anderen gilt. Nutricosmetics Dubiose Kapseln zum Einnehmen sollen die Haut glätten, verjüngen oder Augenringe und schwellungen reduzieren. Die Produkte enthalten laut Inhaltsliste einen wilden Mix aus Vitaminen, Mineralien und sonstigen Substanzen. Dabei ist nicht nur fraglich, ob die Stoffe überhaupt in der Haut ankommen. Vor allem ist seit langem belegt, dass Vitaminpräparate gefährlich sein können, etwa weil sie Krebs fördern. Ähnliche Vorsicht ist bei Lebensmitteln angebracht, die mit angeblich schönheitsfördernden Stoffen aufgepeppt wurden. Wer unkontrolliert Vitamine und Mineralien als Nahrungsergänzungsmittel nimmt, hilft nicht seiner Haut, sondern riskiert unter Umständen seine Gesundheit. Botox Unumstritten können Injektionen mit Botox Mimikfalten verschwinden lassen. Weil das Nervengift bis in jenes Gewebe eindringt, das unterhalb der tiefsten der drei Hautschichten liegt, gilt es als Arzneimittel und nicht als Kosmetikprodukt. Allerdings hält die Wirkung nur wenige Monate an. Zudem können die Spritzen auch Gesichtsmuskeln lähmen, die für eine normale Mimik notwendig sind. Mittlerweile werden einige Cremes als 'Botox-Alternative' beworben, etwa solche mit dem Peptid Argireline. Mimikfalten entstehen jedoch in tiefen Hautschichten, und dorthin darf schon per Gesetz keine Kosmetikcreme dringen. Wer die Botox-Wirkung haben will, kommt um Spritzen nicht herum.KATRIN BLAWAT Quelle Verlag Süddeutsche Zeitung Datum Samstag, den 03. September 2011 Seite 22