Das Jahrtausend der Frauen

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Rede zur "Ausrufung des Jahrtausends der Frau",
Hambacher Schloß 26. - 28. Mai 2000
Monika Christann
Bundessprecherin
Feministische Partei DIE FRAUEN
Röderbergweg 11
60314 Frankfurt am Main
Liebe interessierte Frauen,
liebe Freundinnen
liebe Frauen mit Sehnsucht nach Freiheit.
Ich bedanke mich zunächst für die Einladung, dass die Feministische Partei DIE FRAUEN heute zu
diesem wichtigen Ereignis sprechen darf. Schließlich ist es immer noch keine Selbstverständlichkeit,
dass Spiritualität und Politik auf einer Veranstaltung gemeinsam auftreten. Bisher teilt sich unsere
Welt nämlich strikt entweder in die eine oder die andere Seite auf. Und beide beäugen sich in aller
Regel sehr misstrauisch. Das Patriarchat hat hier ganze Arbeit geleistet. "Teile und herrsche" gilt auch
hier. Wir wissen jedoch, dass es einst andere Zeiten gab, in denen die Priesterinnen nicht nur das
höchste spirituelle, sondern gleichzeitig auch das höchste weltliche Amt innehatten: Sie bestimmten,
wann die Aussaat begann und sie stellten im Einklang mit der Natur die Regeln auf, nach denen eine
Gemeinschaft lebte. Sie repräsentierten die fruchtbare Urmutter, die nicht müde wurde, in jedem
Frühjahr aufs Neue Nahrung für die Menschheit hervorzubringen. Sie waren aber auch Herrinnen über
Leben und Tod. Wie sehr die Priesterinnen als Stellvertreterinnen für die Große Mutter verehrt
wurden, lässt sich nicht nur an den vielen gefundenen Statuetten, Inschriften und vielem mehr
beweisen. Noch heute finden wir ganz augenscheinliche Erinnerungen an eine einstmals alltägliche
und selbstverständliche Verehrung für Frauen: Wenn wir uns umsehen, sehen wir, dass zwar Männer
in den höchsten Ämtern walten, sie aber immer noch und gerade hier Frauenkleider tragen: Richter
und Priesterschaft, die höchsten Ämter im Weltlichen und Geistlichen, und sogar noch in den Farben
Weiß, Schwarz und Rot, den uralten Göttinnen-Farben des Naturzyklus. Es ist sicher kein Zufall, dass
diese Farben durch den Nationalsozialismus so stark missbraucht wurden, denn sie sind
archetypische und immer noch mächtige Farben.
Ich plädiere dafür, dass wir Frauen uns unsere Symbole und unsere Definitionsmacht zurückholen und
sie anwenden. Gemeinsame Symbole sind sehr mächtig und bezeugen, dass wir zusammen gehören
trotz aller Differenz und Unterschiedlichkeit. Die heutige Krawatte beispielsweise ist lt Carola MeierSeethaler ursprünglich eine gebundene Schleife der Priesterinnen gewesen, die damit ihr
Gebundensein an die Göttin dokumentierten. Knoten und lose Enden symbolisierten das Geben und
Nehmen von Leben. Im Laufe der Jahrtausende ist die machtvolle Symbolik allerdings verlagert
worden: Wer heute eine Krawatte trägt, ist in aller Regel ein Mann und symbolisiert damit die
ausgeübte, privilegierte Macht.
Es ist nun an uns, uns zu Beginn des neuen Jahrtausends des Wandels der Symbolik gewahr zu
werden und uns die Macht wieder zu nehmen. Männer haben ihre Chance einige Jahrtausende
gehabt und ich sehe nicht, dass es für uns alle zum Guten war, denn unsere Welt erlebt eine
beispiellose Zerstörung der natürlichen Grundlagen; Kriege oder Unterdrückung von eingeborenen
Völkern erschüttern jeden Kontinent; Menschen verhungern, obwohl dieser Planet genügend gute
Nahrung für alle hätte. Selbst der Raum ausserhalb unseres Planeten ist nicht mehr sicher vor einer
Unterwerfung.
Liebe Frauen,
ich denke, wir sind uns einig, dass wir Aussagen, wie sie in der Bibel eines monotheistischen,
männlichen Gottes zu Hauf zu finden sind, nicht mehr dulden können. "Macht Euch die Erde untertan"
o. Ä. darf nicht mehr vorkommen. Sich die Erde untertan zu machen oder tierischen und menschlichen
Körper für Profit zu manipulieren, dazu sagt unsere Partei ganz klar nein. Was uns vorgegaukelt wird,
ist sehr leicht zu durchschauen. Immer wieder wird uns von der Pharmaindustrie eingehämmert, dass
die Forschung und die Manipulation an menschlichen und tierischen Körpern und Zellen sein muss,
damit diese oder jene Krankheit ausgemerzt werden könne. Dabei ist die patriarchale Wissenschaft
weit davon entfernt, Heilwirkungen erzielen zu können. Sie schreckt auch nicht vor der Fälschung von
Tests nicht zurück, um ihr Unvermögen zu kaschieren. Das menschliche Genom zu entschlüsseln, ist
das erklärte Ziel der Gentechnik-Forscher. Damit - und mit dem Wunsch klonen zu können - möchten
sich männliche Forscher zu dem aufschwingen, was ihnen durch ihr Geschlecht versagt ist, nämlich
Herren über Leben und Tod zu sein. Der Machtkampf tobt nun schon sehr lange. Von den
Hexenverbrennungen mit dem verlorenen Wissen um schonende Abtreibung bis zur modernen
Gentechnik zieht sich dieser rote Faden, denn sie haben ein und dieselbe Wurzel. Es ist nicht nur eine
unglaubliche Anmassung, besser sein zu wollen als die Natur, sondern auch ein Armutszeugnis,
etwas ins Kleinste zerlegen zu müssen, um etwas zu begreifen. Unsere sog. "moderne" Schulmedizin
ist unfähig, den Menschen nicht nur durch den Körper, sondern auch mit seiner Seele zu sehen.
Wir sagen ganz klar "Nein" zu jeglichem Einsatz von Gentechnik, sei es auf landwirtschaftlichem
Gebiet oder in der Gesundheitspolitk. Gerade die Frauen, die sich mit Spiritualität auseinander setzen,
können ermessen, wieviel wertvolles Wissen um ganzheitliche Heilmethoden der vielen Millionen
weisen Frauen durch tödliches Feuer vernichtet wurde. Dies hatte zur Folge, dass unser derzeitiges
Gesundheitssystem maßgeblich auf zwei Säulen basiert: einem patriarchal-ökonomischen und einem
patriarchal-medizinischen Ansatz. Der patriarchal-ökonomische Ansatz begreift die Menschen als
Maschine, deren Leistungsfähigkeit für Andere stets gewährleistet sein muss und öffnet Lobbyismus
und Korruption Tür und Tor. Dass Schwangerschaft und Gebären als Krankheit angesehen wird und
Frauen dadurch höhere Krankenkassenbeiträge zahlen müssen, ist ein Skandal und ist ein Beweis
dafür, in welch verkehrter Werte-Welt wir leben. Nicht Jene werden aus den gemeinsamen
Krankenkassenbeiträgen gut bezahlt, die in der Lage sind, ganzheitlich zu behandeln, sondern die,
welche oberflächliche Erfolge erzielen, die im patriarchal-medizinischen Ansatz hauptsächlich durch
seelenlose Technik und viel Chemie Nebenwirkungen in Kauf nehmen. Gesellschaftsbedingte
Ursachen wie Arbeitsbedingungen, verschärfter Wettbewerb um einen bezahlten Arbeitsplatz. die
Geschwindigkeit der Informationsgesellschaft, Umweltverschmutzung usw. werden kaum in Betracht
gezogen. Das alles wollen wir Parteifrauen nicht mehr! Wir wollen beispielsweise ein Werbeverbot für
Medikamente, Kostenübernahmen für alternative Heilmethoden und die Umstellung auf einen
ganzheitlichen medizinischen Ansatz und eine vereinfachte Zulassung von selbständigen Ärztinnen,
Hebammen und Therapeutinnen nicht nur aus dem eigenen Land, sondern auch aus anderen
Kulturkreisen, wo noch viel mehr Wissen als bei uns um den Anbau und die Heilkraft der einzelnen
Kräuter lebendig ist. Dies geht zwingend einher mit einer wieder gewonnenen Achtung vor der
potenten Natur und steht dem Agrobusiness mit der Vernichtung der Artenvielfalt und der Bio-Piraterie
entgegen.
Und hier komme ich wieder zurück auf die Symbolik. Kluge Frauen haben gesagt, dass wir zu einem
Kreisdenken zurückkehren sollten, zu einem Denken, dass das Leben als runden Zyklus begreift. Die
Natur selbst lehrt uns diese Symbolik Jahr für Jahr. Pflanzen keimen, erblühen, tragen Früchte,
ernähren damit Mensch und Tier, und was übrig bleibt, geht zurück in die Erde um Nahrung für den
neuen Samen zu sein. Von indianischen Kulturen wissen wir, dass nichts aus der Natur entnommen
werden soll, wenn nicht gleichzeitig etwas zurückgegeben wird, damit Mensch und Natur in einer
Balance leben. Denn eines der Geheimnisse ist, dass nichts wirklich dominant ist.
Auch in der Wirtschaft können wir uns gut die Symbolik des Kreises bzw. des Kreislaufs vorstellen:
Wir bestehen auf dem vorsorgenden Wirtschaften, denn nachhaltiges, d. h. reparierendes
Wirtschaften ist uns zu wenig. Es gibt für uns keine strenge Trennung zwischen vorsorgenden
Tätigkeiten, Erwerbsarbeit und sozialem Umfeld, aber wir haben drei Grundprinzipien:
1. Vorsorge für das Wohlbefinden/die Lebensqualität anstatt Festhalten am starren Begriff
"Wohlstand";
2. Kooperation und Kommunikation statt Konkurrenz;
3. Orientierung am Lebensnotwendigen und Orientierung an unseren weiblichen Bedürfnissen.
Wir stellen uns ein Wirtschaftssystem vor, das gesellschaftlich notwendige und nützliche Waren und
Dienste produziert. Die hierfür notwendige Arbeit soll gleichmässig auf Frauen und Männer verteilt
werden. Hierzu gehört eine grundlegende Neubewertung von Arbeit mit einer weitgehenden
Orientierung auf die lebensfördernden Bereiche. Dazu gehört auch die Aufhebung der
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und die Aufhebung der internationalen Arbeitsteilung, d. h.
Produktion von Waren, Lebensmitteln und Diensten in den armen Ländern des Südens für die
reichen, konsumierenden Länder des Nordens. Dazu gehört zwingend, dass wir wieder zurückkehren
zu einer Regionalisierung der Landwirtschaft mit - so weit dies durch die Verstädterung noch möglich
ist - Subsistenzwirtschaft. Übrigens sollte Land m. E. ohnehin in den Händen von Frauen sein! Wir
denken, dass wir besser leben, wenn wir regionale, sozial kontrollierbare Wirtschaftsräume haben, in
denen im Einklang mit der Natur in demokratischer und kreativer Weise das produziert werden kann,
was den eigentlichen Bedürfnissen der Menschen in der Region entspricht.
Und wir wollen nicht mehr anderen Völkern wegnehmen, was sie dringend selbst brauchen, bloss weil
wir damit unseren Speisenplan exotischer gestalten können. Weil wir die Welt als EINE Welt
betrachten, reden wir auch immer von Welt-Innenpolitik. Wir wollen ein Wirtschaftssystem, das sich
nicht mehr auf Kosten von Frauen, auf Kosten anderer Kulturen und auf Kosten der Natur geht. Wir
Frauen in den Indsutrieländern können unsere Befreiung nicht auf der Basis der Aufrechterhaltung der
Ausbeutung von Ländern des Trikonts betreiben. Daher sollten wir beim Sinnbild des Kreises bleiben,
in dem alle gleiche Rechte und gleichen Zugang zu Ressourcen haben und in der die Natur keine
untergeordnete Rolle spielt.
Das Sinnbild des Kreises kommt für mich auch in Frage, wenn ich an die Organisation der
Gesellschaft denke: Frauen stehen bei Jahreskreisfesten nicht umsonst in einem Kreis, in dem keine
eine herausragende Position hat; der Kreis wirkt damit anti-hierarchisch. Dies ist auf jeden Fall dem
Aufbau einer Pyramiden-Hierarchie vorzuziehen, wo nur wenige Macht, viele aber schwer für die
Wenigen zu tragen haben und selbst nichts davon haben. (Entsprechend haben wir - dies sei nur am
Rande erwähnt - in unserer Satzung so viele gleichberechtigte Ebenen wie nur irgend möglich
verankert.)
Die Pyramiden-Hierarchie ist kein geeignetes Instrument weder für private noch für politische
Beziehungsebenen, da sie nur eindimensionale Machtbeziehungen zulassen. Je breiter nämlich die
Beteiligung und damit die Verantwortung in der Gesellschaft verteilt sind, desto befriedigender ist es
für alle. Aber es kann auch für einige Politiker anstrengend sein, umzudenken und das eigene
Handeln und starre Strukturen zu verändern, und es wird massive Widerstände des Patriarchats
geben: Denn eine Demokratie, an der viele teilnehmen können, muss jeden Tag neu verhandelt
werden. Sie ist flexibel, kreativ, hört zu und bezieht sich aufeinander. So wünschen wir uns, dass wir
durch verschiedene Massnahmen wie z. B. dem "Bundesweiten Volksentscheid" von einer sehr
starren, die Bürgerinnen und Bürger ausschliessenden repräsentativen Demokratie zu einer
partizipativen Demokratie und letztendlich zu einer Beziehungsdemokratie kommen. Diese Initiative
zur Volksgesetzgebung wird vom Verein "Mehr Demokratie e. V." durchgeführt und startet
voraussichtlich im nächsten Frühjahr. Wir sollten uns vielleicht daran setzen, auch in Deutschland ein
Frauen-Volksbegehren zu initiieren. Immerhin konnte in Österreich durch ein allgemeines
Volksbegehren der weitere Bau und Betrieb von Atomkraftwerken und die straffreie Abtreibung
erreicht werden.
Auf lange Sicht ist es auch denkbar, dass wir zu einer Partzipations- und Beziehungsgesellschaft
kommen, in der Parteien nur noch eine Moderationsrolle innehaben.
Ich möchte nun noch zu einem weiteren wichtigen Instrument der Veränderung kommen: Es ist unsere
eigene Definitionsmacht, die unabhängig ist von männlicher Definitionsmacht.
Der bekannte Mai-Feiertag ist ein Beispiel für eine Definition, die wir in unserem Sinne ändern können:
Der 1. Mai wird weltweit stets und unreflektiert als "Tag der Arbeit" gefeiert. Das hat sicher Gründe in
der Tradition des Arbeitskampfes. zeigt aber auch auf, dass Frauen, die traditionellerweise mit der
täglichen Versorgungsarbeit befaßt sind, damit nicht unter die Kategorie "Arbeit" fallen. Wir von der
Feministischen Partei DIE FRAUEN erklären den 1. Mai, den "Tag der Arbeit", nunmehr zum "Tag der
unbezahlten Arbeit", um darauf aufmerksam zu machen, dass Versorgungsarbeit auch Arbeit ist,
sogar den grösseren Teil der gesamten Arbeit ausmacht und dass Frauen bei der Ehrung
ausgenommen sind.
Wir sollten die Dinge also wirklich so nennen, wie sie sind: Es gibt keine Befreiungskriege, sondern
nur Zerstörungskriege; die "Grüne Revolution", die vielen Menschen nach Angaben der GentechnikFirmen die Abschaffung des Hungers auf der Welt verspricht, hat gezeigt, dass es nicht darum geht,
Menschen satt zu machen und gut zu ernähren, sondern es geht hierbei um Abhängigmachen und
Ausbeutung von Menschen durch wenige multinationale Konzerne sowie um "Bio-Piraterie" der
natürlichen Artenvielfalt, d. h. um Enteignung von Menschen in armen Ländern von ihren natürlichen
Ressourcen und ihrem Wissen um die Heilwirkung. Beispiele für Bio-Piraterie für Patente auf den
Neem-Baum in Indien oder der Basmati-Reis in Bangladesh sind euch sicher bekannt.
Die durch diese Massnahmen weltweit wachsende Armut ist - ebenso wie die vermehrt ausgeübte
Gewalt gegen Frauen - Thema beim "Weltfrauenmarsch 2000", an dem in diesem Jahr 150 Länder mit
mehr als 3.500 Frauenorganisationen teilnehmen. Es ist eine Kampagnenreihe, die bereits am 8. März
auf allen Kontinenten stattgefunden hat (für Europa war dies in Genf) und ihren Höhepunkt in
nationalen, kontinentalen und und internationalen Märschen haben wird. Es passiert - meines Wissens
- zum ersten Mal in der Geschichte, dass sich Frauen über alle ideologischen und sonstigen Grenzen
hinweg weltweit zusammentun, um gegen die ungerechte Verteilung von Ressourcen und gegen
Gewalt solidarisch zu demonstrieren. Armut ist weiblich - in den sog. "Entwicklungsländern" (den
Ländern des Südens) wie auch in den Industrieländern (den Ländern des Nordens). Bei der
Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 war bereits vermutet worden, dass sich kaum etwas zu Gunsten
der Frauen ändern würde. Und so ist es auch. Daher sind sowohl diese weltweite Aktion als auch die
an diesem Wochenende durchgeführte "Ausrufung des Jahrtausends der Frau" wichtige Meilensteine
auf dem Weg zu einem besseren Leben für Alle. Ihr könnt diese Aktion unterstützen, indem ihr am 14.
Oktober mit nach Brüssel kommt (dort werden ca. 40.000 Frauen aus ganz Europa erwartet) und
mitmarschiert und ausserdem euch an der weltweiten Protestpostkartenaktion beteiligt. Die UNO, zu
der wir am 17. Oktober in New York international marschieren werden, wird noch lange ein Monument
aus Millionen Postkarten vor Augen haben, die von empörten Frauen geschrieben sind und ein Signal
setzen. Informationen gebe ich gerne in den Pausen bzw. am Stand.
Liebe Frauen,
nicht nur die Armut nimmt durch die ungehemmte Globalisierung durch multinationale Konzerne zu,
sondern es ist auch weltweit festzustellen, dass die Ausübung von körperlicher und psychischer
Gewalt, insbesondere gegen Frauen, zunimmt. Frauen erleiden Gewalt durch Ehemänner oder
Partner sowie in ihrem beruflichen Umfeld. Wie oft lesen wir es in der Zeitung, dass eine ehemalige
Partnerin oder Ehefrau umgebracht wurde, weil der frühere Partner es nicht ertragen kann, dass sein
vermeintlicher Besitz den Besitzer wechselt?! Wir Frauen sind es, die die Macht haben, Leben zu
schenken oder nicht. Kein Wunder, dass dies den Neid von Männern hervorruft und sie versuchen, die
Kontrolle über unsere Gebährfähigkeit, über unsere Körper zu bekommen, und sei es mit Gewalt.
Sexualisierte Gewalt - und hier geht es nicht um eine immer wieder vorausgesetzte und
vorgeschobene biologistische Triebhaftigkeit des Mannes - ist ein fester Bestandteil der patriarchalen
Weltordnung und für ihren Fortbestand unabdingbar. Sie gehört zu den unerträglichsten Realitäten
unserer Gesellschaft. Wir wissen aber, dass sexualisierte Gewalt Folge einer Sozialisation ist, die
Gewalt bei Männern inoffiziell als "männlich" anerkennt und akzeptiert und die Unrechtes bzw.
körperliche und psychische Zerstörung mit angeblicher angeborener männlicher Triebhaftigkeit
entschuldigt und m. E. auch die Kontrolle der Sexualität und der Lust von Frauen zur Grundlage hat.
Ich persönlich glaube, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der ansteigenden Gewalt und
dem vermehrten Ausbrechen von Frauen aus den lust- und lebensfeindlichen Strukturen. Männer
spüren, dass sich immer mehr Frauen der Kontrolle über ihre Lust, ihre Sexualität und ihre
Gebärfähigkeit entziehen wollen. Daher auch u. a. der heftige und emotional geführte Kampf um
entmündigende Vorschriften zur Abtreibung und parallel dazu der Kampf um das Terrain der
Frauenkörper in der Gen- und Reproduktionstechnologie sowie um das Verweigern von
Führungspositionen in der Kirche, die die Lust und Sexualität der Frau und ihren Einfluß mehr fürchtet
als alles Andere.
Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass sich immer mehr Frauen von diesen gesellschaftlichen
Normen abkehren, lieber allein leben wollen oder sich Frauen als Partnerinnen wählen. Das ist nicht
so neu, sondern vielmehr die Rückkehr in eine Gesellschaftsform, die autonomes Leben von Frauen
zum Massstab für alle Menschen nahm, in der die körperliche Liebe - egal, ob zwischen zwei
Geschlechtern oder einem Geschlecht - nicht als schmutzig angesehen wurde, sondern normal bzw.
sogar heilig war. Logischerweise waren auch keine Strafmassnahmen oder Repressalien vorgesehen.
Dementsprechend muss unsere heutige Forderung sein, dass niemand diskriminiert wird, der oder die
es vorzieht, gleichgeschlechtlich zu leben. Es darf nicht sein, dass Menschen, die mit
gleichgeschlechtlichen Partnern/Partnerinnen leben, im Steuerrecht, im Erbrecht, im Mietrecht, im
Adoptionsrecht oder in den schwierigen Situationen bei Krankheit und Operationen diskriminiert
werden und weniger Rechte haben und dass damit gegen den Willen des- oder derjenigen gehandelt
wird, der/die in freier Entscheidung die PartnerInnenwahl getroffen hat. Was zählt, ist der Respekt vor
dem Menschen und die Liebe zueinander.
"Eros ist stärker als Gewalt" ist der Titel eines Buches, der von Gerda Weiler geschrieben wurde. Ich
kann diese Aussage nur unterstützen. Ich denke auf lange Sicht wird die Menschheit und auch die
Natur nur überleben, wenn wir uns von Respekt und Liebe zueinander leiten lassen. Ich selbst habe
an einem Wochenende vor vier Jahren meine persönliche Einweihung rituell gefeiert. Ziel des
Wochenendes war, den Schritt in die nächste Lebensphase in die eigene volle Verantwortung zu tun.
Jeder persönlichen Einweihung, die wir selbst gestaltet haben, ging ein individuelles Reinigungsbad
voran. Ich bin noch heute tief berührt, wenn ich daran denke, dass es möglich war, dass sich
lesbische und heterosexuelle
Frauen ohne Hintergedanken in Liebe zueinander gewaschen haben. Wir waren es uns
wert,
Kerzenlicht zu haben, frische Blumen und
duftende Öle im Badewasser zu verwenden, für die zu reinigende Frau zu singen und ihr in diesem
einzigartigen Moment zu dienen. Die empfundene Liebe zueinander war/ist stärker als alle Differenzen
und hat zu einem starken Band der Schwesternschaft geführt. Welche mehr über unsere Erfahrungen
wissen will, kann dies im Herbst in einem neu erscheinenden Buch mit dem Titel "Einweihungen",
verlegt von Gisela Meussling-Verlag, nachlesen.
Dieses tiefe Gefühl der Liebe unter uns Frauen begleitet mich seitdem und gibt mir Kraft.
Übrigens ist der Weltfrauenmarsch 2000 auch ein Ausdruck für die Verständigung untereinander trotz
aller Differenzen und unterschiedlichen Ansätze.
Was ist ansonsten zu tun in dieser Welt, die zur Zeit nach Regeln gemacht ist, in der Frauen keinen
Platz als gleichberechtigte und gleichwertige Menschen haben?
Es geht darum, uns unsere Räume wieder zu nehmen, die uns zustehen. Dazu gehört unser Körper
als Raum, den wir selbst bestimmen, aber es geht auch um alternative Wirtschaftssysteme; es geht
um unsere Sprache, um unsere Macht, etwas so zu benennen, wie es ist. Es geht um Neudefinitionen,
z. B. von Wohlstand und Glück. Glück, das sich nicht nach Kapitalakkumulation und einer immer
höheren Produktionsleistung von Waren richtet, sondern vielmehr nach dem menschlichen Glück
aufgrund der Erschaffung und Erhaltung des Lebens. Es geht auch um eine Entschleunigung der
Arbeit, eine Arbeit, die nicht als Last, sondern als Lust empfunden wird, weil sie wieder mehr Zeit lässt
für Kreativität und den eigenen Ausdruck. Es geht um das Wiedererlangen unserer kulturellen,
politischen und heilenden Macht. Es geht darum, dass (hauptsächlich) Männer sich der sozialen
Intelligenz anpassen und nicht dem technisch Machbaren. Es geht um Unterstützung untereinander und ich richte an Euch die Bitte, uns und unsere Feministische Partei in unserer politischen Arbeit
aktiv zu unterstützen und zu helfen.
Eine Vision meiner Partei für die Zukunft ist, dasss wir mindestens 52 % Frauen in den Parlamenten
haben; das entspricht in etwa dem Bevölkerungsanteil.
Denn trotz mancher Unterschiede haben wir doch wohl alle das Bedürfnis, dieses Jahrtausend zu
unserem zu machen.
Liebe Frauen,
ich möchte an dieser Stelle noch eine persönliche Meinung sagen: Ich bezweifele, dass es uns
gelingen wird, dieses Jahrtausend zu unserem zu machen, wenn wir - wie es gerade erst passiert ist bei Zwistigkeiten miteinander Stellvertreterinnen-Kämpfe organisieren. Unbeteiligte Frauen zu
funktionaliseren und sie zu einem Urteil über einen Sachverhalt zu zwingen, den sie nicht selbst erlebt
haben, finde ich ausserordentlich schwierig. In diese Kategorie fallen übrigens auch die so gern
geschriebenen sog. "offenen Briefe" unter Frauen, welche eine direkte Auseinandersetzung schier
unmöglich machen.
Wenn wir dies in den Griff kriegen und Mut zu direkten und offenen Auseinandersetzungen haben, ist
ein weiteres Stück auf unserem Weg geschafft.
So - denke ich - mit all dem Vorhergesagten und mit vielem, was ich heute nicht sagen konnte,
werden wir zu einer Welt kommen, in der Frauen Menschen sind,
¨ die die Macht über ihr eigenes Leben haben,
¨ die ihre eigenen Regeln machen,
¨ die sich nicht unterwerfen und verleugnen,
¨ die ihrem Innersten mehr trauen als dem, was andere ihnen sagen,
¨ die ihre Sexualität und Lust frei leben können
zum Wohle der gesamten Gesellschaft.
Dies wollen wir an diesem Wochenende manifestieren.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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