Rede zur "Ausrufung des Jahrtausends der Frau", Hambacher Schloß 26. - 28. Mai 2000 Monika Christann Bundessprecherin Feministische Partei DIE FRAUEN Röderbergweg 11 60314 Frankfurt am Main Liebe interessierte Frauen, liebe Freundinnen liebe Frauen mit Sehnsucht nach Freiheit. Ich bedanke mich zunächst für die Einladung, dass die Feministische Partei DIE FRAUEN heute zu diesem wichtigen Ereignis sprechen darf. Schließlich ist es immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass Spiritualität und Politik auf einer Veranstaltung gemeinsam auftreten. Bisher teilt sich unsere Welt nämlich strikt entweder in die eine oder die andere Seite auf. Und beide beäugen sich in aller Regel sehr misstrauisch. Das Patriarchat hat hier ganze Arbeit geleistet. "Teile und herrsche" gilt auch hier. Wir wissen jedoch, dass es einst andere Zeiten gab, in denen die Priesterinnen nicht nur das höchste spirituelle, sondern gleichzeitig auch das höchste weltliche Amt innehatten: Sie bestimmten, wann die Aussaat begann und sie stellten im Einklang mit der Natur die Regeln auf, nach denen eine Gemeinschaft lebte. Sie repräsentierten die fruchtbare Urmutter, die nicht müde wurde, in jedem Frühjahr aufs Neue Nahrung für die Menschheit hervorzubringen. Sie waren aber auch Herrinnen über Leben und Tod. Wie sehr die Priesterinnen als Stellvertreterinnen für die Große Mutter verehrt wurden, lässt sich nicht nur an den vielen gefundenen Statuetten, Inschriften und vielem mehr beweisen. Noch heute finden wir ganz augenscheinliche Erinnerungen an eine einstmals alltägliche und selbstverständliche Verehrung für Frauen: Wenn wir uns umsehen, sehen wir, dass zwar Männer in den höchsten Ämtern walten, sie aber immer noch und gerade hier Frauenkleider tragen: Richter und Priesterschaft, die höchsten Ämter im Weltlichen und Geistlichen, und sogar noch in den Farben Weiß, Schwarz und Rot, den uralten Göttinnen-Farben des Naturzyklus. Es ist sicher kein Zufall, dass diese Farben durch den Nationalsozialismus so stark missbraucht wurden, denn sie sind archetypische und immer noch mächtige Farben. Ich plädiere dafür, dass wir Frauen uns unsere Symbole und unsere Definitionsmacht zurückholen und sie anwenden. Gemeinsame Symbole sind sehr mächtig und bezeugen, dass wir zusammen gehören trotz aller Differenz und Unterschiedlichkeit. Die heutige Krawatte beispielsweise ist lt Carola MeierSeethaler ursprünglich eine gebundene Schleife der Priesterinnen gewesen, die damit ihr Gebundensein an die Göttin dokumentierten. Knoten und lose Enden symbolisierten das Geben und Nehmen von Leben. Im Laufe der Jahrtausende ist die machtvolle Symbolik allerdings verlagert worden: Wer heute eine Krawatte trägt, ist in aller Regel ein Mann und symbolisiert damit die ausgeübte, privilegierte Macht. Es ist nun an uns, uns zu Beginn des neuen Jahrtausends des Wandels der Symbolik gewahr zu werden und uns die Macht wieder zu nehmen. Männer haben ihre Chance einige Jahrtausende gehabt und ich sehe nicht, dass es für uns alle zum Guten war, denn unsere Welt erlebt eine beispiellose Zerstörung der natürlichen Grundlagen; Kriege oder Unterdrückung von eingeborenen Völkern erschüttern jeden Kontinent; Menschen verhungern, obwohl dieser Planet genügend gute Nahrung für alle hätte. Selbst der Raum ausserhalb unseres Planeten ist nicht mehr sicher vor einer Unterwerfung. Liebe Frauen, ich denke, wir sind uns einig, dass wir Aussagen, wie sie in der Bibel eines monotheistischen, männlichen Gottes zu Hauf zu finden sind, nicht mehr dulden können. "Macht Euch die Erde untertan" o. Ä. darf nicht mehr vorkommen. Sich die Erde untertan zu machen oder tierischen und menschlichen Körper für Profit zu manipulieren, dazu sagt unsere Partei ganz klar nein. Was uns vorgegaukelt wird, ist sehr leicht zu durchschauen. Immer wieder wird uns von der Pharmaindustrie eingehämmert, dass die Forschung und die Manipulation an menschlichen und tierischen Körpern und Zellen sein muss, damit diese oder jene Krankheit ausgemerzt werden könne. Dabei ist die patriarchale Wissenschaft weit davon entfernt, Heilwirkungen erzielen zu können. Sie schreckt auch nicht vor der Fälschung von Tests nicht zurück, um ihr Unvermögen zu kaschieren. Das menschliche Genom zu entschlüsseln, ist das erklärte Ziel der Gentechnik-Forscher. Damit - und mit dem Wunsch klonen zu können - möchten sich männliche Forscher zu dem aufschwingen, was ihnen durch ihr Geschlecht versagt ist, nämlich Herren über Leben und Tod zu sein. Der Machtkampf tobt nun schon sehr lange. Von den Hexenverbrennungen mit dem verlorenen Wissen um schonende Abtreibung bis zur modernen Gentechnik zieht sich dieser rote Faden, denn sie haben ein und dieselbe Wurzel. Es ist nicht nur eine unglaubliche Anmassung, besser sein zu wollen als die Natur, sondern auch ein Armutszeugnis, etwas ins Kleinste zerlegen zu müssen, um etwas zu begreifen. Unsere sog. "moderne" Schulmedizin ist unfähig, den Menschen nicht nur durch den Körper, sondern auch mit seiner Seele zu sehen. Wir sagen ganz klar "Nein" zu jeglichem Einsatz von Gentechnik, sei es auf landwirtschaftlichem Gebiet oder in der Gesundheitspolitk. Gerade die Frauen, die sich mit Spiritualität auseinander setzen, können ermessen, wieviel wertvolles Wissen um ganzheitliche Heilmethoden der vielen Millionen weisen Frauen durch tödliches Feuer vernichtet wurde. Dies hatte zur Folge, dass unser derzeitiges Gesundheitssystem maßgeblich auf zwei Säulen basiert: einem patriarchal-ökonomischen und einem patriarchal-medizinischen Ansatz. Der patriarchal-ökonomische Ansatz begreift die Menschen als Maschine, deren Leistungsfähigkeit für Andere stets gewährleistet sein muss und öffnet Lobbyismus und Korruption Tür und Tor. Dass Schwangerschaft und Gebären als Krankheit angesehen wird und Frauen dadurch höhere Krankenkassenbeiträge zahlen müssen, ist ein Skandal und ist ein Beweis dafür, in welch verkehrter Werte-Welt wir leben. Nicht Jene werden aus den gemeinsamen Krankenkassenbeiträgen gut bezahlt, die in der Lage sind, ganzheitlich zu behandeln, sondern die, welche oberflächliche Erfolge erzielen, die im patriarchal-medizinischen Ansatz hauptsächlich durch seelenlose Technik und viel Chemie Nebenwirkungen in Kauf nehmen. Gesellschaftsbedingte Ursachen wie Arbeitsbedingungen, verschärfter Wettbewerb um einen bezahlten Arbeitsplatz. die Geschwindigkeit der Informationsgesellschaft, Umweltverschmutzung usw. werden kaum in Betracht gezogen. Das alles wollen wir Parteifrauen nicht mehr! Wir wollen beispielsweise ein Werbeverbot für Medikamente, Kostenübernahmen für alternative Heilmethoden und die Umstellung auf einen ganzheitlichen medizinischen Ansatz und eine vereinfachte Zulassung von selbständigen Ärztinnen, Hebammen und Therapeutinnen nicht nur aus dem eigenen Land, sondern auch aus anderen Kulturkreisen, wo noch viel mehr Wissen als bei uns um den Anbau und die Heilkraft der einzelnen Kräuter lebendig ist. Dies geht zwingend einher mit einer wieder gewonnenen Achtung vor der potenten Natur und steht dem Agrobusiness mit der Vernichtung der Artenvielfalt und der Bio-Piraterie entgegen. Und hier komme ich wieder zurück auf die Symbolik. Kluge Frauen haben gesagt, dass wir zu einem Kreisdenken zurückkehren sollten, zu einem Denken, dass das Leben als runden Zyklus begreift. Die Natur selbst lehrt uns diese Symbolik Jahr für Jahr. Pflanzen keimen, erblühen, tragen Früchte, ernähren damit Mensch und Tier, und was übrig bleibt, geht zurück in die Erde um Nahrung für den neuen Samen zu sein. Von indianischen Kulturen wissen wir, dass nichts aus der Natur entnommen werden soll, wenn nicht gleichzeitig etwas zurückgegeben wird, damit Mensch und Natur in einer Balance leben. Denn eines der Geheimnisse ist, dass nichts wirklich dominant ist. Auch in der Wirtschaft können wir uns gut die Symbolik des Kreises bzw. des Kreislaufs vorstellen: Wir bestehen auf dem vorsorgenden Wirtschaften, denn nachhaltiges, d. h. reparierendes Wirtschaften ist uns zu wenig. Es gibt für uns keine strenge Trennung zwischen vorsorgenden Tätigkeiten, Erwerbsarbeit und sozialem Umfeld, aber wir haben drei Grundprinzipien: 1. Vorsorge für das Wohlbefinden/die Lebensqualität anstatt Festhalten am starren Begriff "Wohlstand"; 2. Kooperation und Kommunikation statt Konkurrenz; 3. Orientierung am Lebensnotwendigen und Orientierung an unseren weiblichen Bedürfnissen. Wir stellen uns ein Wirtschaftssystem vor, das gesellschaftlich notwendige und nützliche Waren und Dienste produziert. Die hierfür notwendige Arbeit soll gleichmässig auf Frauen und Männer verteilt werden. Hierzu gehört eine grundlegende Neubewertung von Arbeit mit einer weitgehenden Orientierung auf die lebensfördernden Bereiche. Dazu gehört auch die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und die Aufhebung der internationalen Arbeitsteilung, d. h. Produktion von Waren, Lebensmitteln und Diensten in den armen Ländern des Südens für die reichen, konsumierenden Länder des Nordens. Dazu gehört zwingend, dass wir wieder zurückkehren zu einer Regionalisierung der Landwirtschaft mit - so weit dies durch die Verstädterung noch möglich ist - Subsistenzwirtschaft. Übrigens sollte Land m. E. ohnehin in den Händen von Frauen sein! Wir denken, dass wir besser leben, wenn wir regionale, sozial kontrollierbare Wirtschaftsräume haben, in denen im Einklang mit der Natur in demokratischer und kreativer Weise das produziert werden kann, was den eigentlichen Bedürfnissen der Menschen in der Region entspricht. Und wir wollen nicht mehr anderen Völkern wegnehmen, was sie dringend selbst brauchen, bloss weil wir damit unseren Speisenplan exotischer gestalten können. Weil wir die Welt als EINE Welt betrachten, reden wir auch immer von Welt-Innenpolitik. Wir wollen ein Wirtschaftssystem, das sich nicht mehr auf Kosten von Frauen, auf Kosten anderer Kulturen und auf Kosten der Natur geht. Wir Frauen in den Indsutrieländern können unsere Befreiung nicht auf der Basis der Aufrechterhaltung der Ausbeutung von Ländern des Trikonts betreiben. Daher sollten wir beim Sinnbild des Kreises bleiben, in dem alle gleiche Rechte und gleichen Zugang zu Ressourcen haben und in der die Natur keine untergeordnete Rolle spielt. Das Sinnbild des Kreises kommt für mich auch in Frage, wenn ich an die Organisation der Gesellschaft denke: Frauen stehen bei Jahreskreisfesten nicht umsonst in einem Kreis, in dem keine eine herausragende Position hat; der Kreis wirkt damit anti-hierarchisch. Dies ist auf jeden Fall dem Aufbau einer Pyramiden-Hierarchie vorzuziehen, wo nur wenige Macht, viele aber schwer für die Wenigen zu tragen haben und selbst nichts davon haben. (Entsprechend haben wir - dies sei nur am Rande erwähnt - in unserer Satzung so viele gleichberechtigte Ebenen wie nur irgend möglich verankert.) Die Pyramiden-Hierarchie ist kein geeignetes Instrument weder für private noch für politische Beziehungsebenen, da sie nur eindimensionale Machtbeziehungen zulassen. Je breiter nämlich die Beteiligung und damit die Verantwortung in der Gesellschaft verteilt sind, desto befriedigender ist es für alle. Aber es kann auch für einige Politiker anstrengend sein, umzudenken und das eigene Handeln und starre Strukturen zu verändern, und es wird massive Widerstände des Patriarchats geben: Denn eine Demokratie, an der viele teilnehmen können, muss jeden Tag neu verhandelt werden. Sie ist flexibel, kreativ, hört zu und bezieht sich aufeinander. So wünschen wir uns, dass wir durch verschiedene Massnahmen wie z. B. dem "Bundesweiten Volksentscheid" von einer sehr starren, die Bürgerinnen und Bürger ausschliessenden repräsentativen Demokratie zu einer partizipativen Demokratie und letztendlich zu einer Beziehungsdemokratie kommen. Diese Initiative zur Volksgesetzgebung wird vom Verein "Mehr Demokratie e. V." durchgeführt und startet voraussichtlich im nächsten Frühjahr. Wir sollten uns vielleicht daran setzen, auch in Deutschland ein Frauen-Volksbegehren zu initiieren. Immerhin konnte in Österreich durch ein allgemeines Volksbegehren der weitere Bau und Betrieb von Atomkraftwerken und die straffreie Abtreibung erreicht werden. Auf lange Sicht ist es auch denkbar, dass wir zu einer Partzipations- und Beziehungsgesellschaft kommen, in der Parteien nur noch eine Moderationsrolle innehaben. Ich möchte nun noch zu einem weiteren wichtigen Instrument der Veränderung kommen: Es ist unsere eigene Definitionsmacht, die unabhängig ist von männlicher Definitionsmacht. Der bekannte Mai-Feiertag ist ein Beispiel für eine Definition, die wir in unserem Sinne ändern können: Der 1. Mai wird weltweit stets und unreflektiert als "Tag der Arbeit" gefeiert. Das hat sicher Gründe in der Tradition des Arbeitskampfes. zeigt aber auch auf, dass Frauen, die traditionellerweise mit der täglichen Versorgungsarbeit befaßt sind, damit nicht unter die Kategorie "Arbeit" fallen. Wir von der Feministischen Partei DIE FRAUEN erklären den 1. Mai, den "Tag der Arbeit", nunmehr zum "Tag der unbezahlten Arbeit", um darauf aufmerksam zu machen, dass Versorgungsarbeit auch Arbeit ist, sogar den grösseren Teil der gesamten Arbeit ausmacht und dass Frauen bei der Ehrung ausgenommen sind. Wir sollten die Dinge also wirklich so nennen, wie sie sind: Es gibt keine Befreiungskriege, sondern nur Zerstörungskriege; die "Grüne Revolution", die vielen Menschen nach Angaben der GentechnikFirmen die Abschaffung des Hungers auf der Welt verspricht, hat gezeigt, dass es nicht darum geht, Menschen satt zu machen und gut zu ernähren, sondern es geht hierbei um Abhängigmachen und Ausbeutung von Menschen durch wenige multinationale Konzerne sowie um "Bio-Piraterie" der natürlichen Artenvielfalt, d. h. um Enteignung von Menschen in armen Ländern von ihren natürlichen Ressourcen und ihrem Wissen um die Heilwirkung. Beispiele für Bio-Piraterie für Patente auf den Neem-Baum in Indien oder der Basmati-Reis in Bangladesh sind euch sicher bekannt. Die durch diese Massnahmen weltweit wachsende Armut ist - ebenso wie die vermehrt ausgeübte Gewalt gegen Frauen - Thema beim "Weltfrauenmarsch 2000", an dem in diesem Jahr 150 Länder mit mehr als 3.500 Frauenorganisationen teilnehmen. Es ist eine Kampagnenreihe, die bereits am 8. März auf allen Kontinenten stattgefunden hat (für Europa war dies in Genf) und ihren Höhepunkt in nationalen, kontinentalen und und internationalen Märschen haben wird. Es passiert - meines Wissens - zum ersten Mal in der Geschichte, dass sich Frauen über alle ideologischen und sonstigen Grenzen hinweg weltweit zusammentun, um gegen die ungerechte Verteilung von Ressourcen und gegen Gewalt solidarisch zu demonstrieren. Armut ist weiblich - in den sog. "Entwicklungsländern" (den Ländern des Südens) wie auch in den Industrieländern (den Ländern des Nordens). Bei der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 war bereits vermutet worden, dass sich kaum etwas zu Gunsten der Frauen ändern würde. Und so ist es auch. Daher sind sowohl diese weltweite Aktion als auch die an diesem Wochenende durchgeführte "Ausrufung des Jahrtausends der Frau" wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einem besseren Leben für Alle. Ihr könnt diese Aktion unterstützen, indem ihr am 14. Oktober mit nach Brüssel kommt (dort werden ca. 40.000 Frauen aus ganz Europa erwartet) und mitmarschiert und ausserdem euch an der weltweiten Protestpostkartenaktion beteiligt. Die UNO, zu der wir am 17. Oktober in New York international marschieren werden, wird noch lange ein Monument aus Millionen Postkarten vor Augen haben, die von empörten Frauen geschrieben sind und ein Signal setzen. Informationen gebe ich gerne in den Pausen bzw. am Stand. Liebe Frauen, nicht nur die Armut nimmt durch die ungehemmte Globalisierung durch multinationale Konzerne zu, sondern es ist auch weltweit festzustellen, dass die Ausübung von körperlicher und psychischer Gewalt, insbesondere gegen Frauen, zunimmt. Frauen erleiden Gewalt durch Ehemänner oder Partner sowie in ihrem beruflichen Umfeld. Wie oft lesen wir es in der Zeitung, dass eine ehemalige Partnerin oder Ehefrau umgebracht wurde, weil der frühere Partner es nicht ertragen kann, dass sein vermeintlicher Besitz den Besitzer wechselt?! Wir Frauen sind es, die die Macht haben, Leben zu schenken oder nicht. Kein Wunder, dass dies den Neid von Männern hervorruft und sie versuchen, die Kontrolle über unsere Gebährfähigkeit, über unsere Körper zu bekommen, und sei es mit Gewalt. Sexualisierte Gewalt - und hier geht es nicht um eine immer wieder vorausgesetzte und vorgeschobene biologistische Triebhaftigkeit des Mannes - ist ein fester Bestandteil der patriarchalen Weltordnung und für ihren Fortbestand unabdingbar. Sie gehört zu den unerträglichsten Realitäten unserer Gesellschaft. Wir wissen aber, dass sexualisierte Gewalt Folge einer Sozialisation ist, die Gewalt bei Männern inoffiziell als "männlich" anerkennt und akzeptiert und die Unrechtes bzw. körperliche und psychische Zerstörung mit angeblicher angeborener männlicher Triebhaftigkeit entschuldigt und m. E. auch die Kontrolle der Sexualität und der Lust von Frauen zur Grundlage hat. Ich persönlich glaube, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der ansteigenden Gewalt und dem vermehrten Ausbrechen von Frauen aus den lust- und lebensfeindlichen Strukturen. Männer spüren, dass sich immer mehr Frauen der Kontrolle über ihre Lust, ihre Sexualität und ihre Gebärfähigkeit entziehen wollen. Daher auch u. a. der heftige und emotional geführte Kampf um entmündigende Vorschriften zur Abtreibung und parallel dazu der Kampf um das Terrain der Frauenkörper in der Gen- und Reproduktionstechnologie sowie um das Verweigern von Führungspositionen in der Kirche, die die Lust und Sexualität der Frau und ihren Einfluß mehr fürchtet als alles Andere. Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass sich immer mehr Frauen von diesen gesellschaftlichen Normen abkehren, lieber allein leben wollen oder sich Frauen als Partnerinnen wählen. Das ist nicht so neu, sondern vielmehr die Rückkehr in eine Gesellschaftsform, die autonomes Leben von Frauen zum Massstab für alle Menschen nahm, in der die körperliche Liebe - egal, ob zwischen zwei Geschlechtern oder einem Geschlecht - nicht als schmutzig angesehen wurde, sondern normal bzw. sogar heilig war. Logischerweise waren auch keine Strafmassnahmen oder Repressalien vorgesehen. Dementsprechend muss unsere heutige Forderung sein, dass niemand diskriminiert wird, der oder die es vorzieht, gleichgeschlechtlich zu leben. Es darf nicht sein, dass Menschen, die mit gleichgeschlechtlichen Partnern/Partnerinnen leben, im Steuerrecht, im Erbrecht, im Mietrecht, im Adoptionsrecht oder in den schwierigen Situationen bei Krankheit und Operationen diskriminiert werden und weniger Rechte haben und dass damit gegen den Willen des- oder derjenigen gehandelt wird, der/die in freier Entscheidung die PartnerInnenwahl getroffen hat. Was zählt, ist der Respekt vor dem Menschen und die Liebe zueinander. "Eros ist stärker als Gewalt" ist der Titel eines Buches, der von Gerda Weiler geschrieben wurde. Ich kann diese Aussage nur unterstützen. Ich denke auf lange Sicht wird die Menschheit und auch die Natur nur überleben, wenn wir uns von Respekt und Liebe zueinander leiten lassen. Ich selbst habe an einem Wochenende vor vier Jahren meine persönliche Einweihung rituell gefeiert. Ziel des Wochenendes war, den Schritt in die nächste Lebensphase in die eigene volle Verantwortung zu tun. Jeder persönlichen Einweihung, die wir selbst gestaltet haben, ging ein individuelles Reinigungsbad voran. Ich bin noch heute tief berührt, wenn ich daran denke, dass es möglich war, dass sich lesbische und heterosexuelle Frauen ohne Hintergedanken in Liebe zueinander gewaschen haben. Wir waren es uns wert, Kerzenlicht zu haben, frische Blumen und duftende Öle im Badewasser zu verwenden, für die zu reinigende Frau zu singen und ihr in diesem einzigartigen Moment zu dienen. Die empfundene Liebe zueinander war/ist stärker als alle Differenzen und hat zu einem starken Band der Schwesternschaft geführt. Welche mehr über unsere Erfahrungen wissen will, kann dies im Herbst in einem neu erscheinenden Buch mit dem Titel "Einweihungen", verlegt von Gisela Meussling-Verlag, nachlesen. Dieses tiefe Gefühl der Liebe unter uns Frauen begleitet mich seitdem und gibt mir Kraft. Übrigens ist der Weltfrauenmarsch 2000 auch ein Ausdruck für die Verständigung untereinander trotz aller Differenzen und unterschiedlichen Ansätze. Was ist ansonsten zu tun in dieser Welt, die zur Zeit nach Regeln gemacht ist, in der Frauen keinen Platz als gleichberechtigte und gleichwertige Menschen haben? Es geht darum, uns unsere Räume wieder zu nehmen, die uns zustehen. Dazu gehört unser Körper als Raum, den wir selbst bestimmen, aber es geht auch um alternative Wirtschaftssysteme; es geht um unsere Sprache, um unsere Macht, etwas so zu benennen, wie es ist. Es geht um Neudefinitionen, z. B. von Wohlstand und Glück. Glück, das sich nicht nach Kapitalakkumulation und einer immer höheren Produktionsleistung von Waren richtet, sondern vielmehr nach dem menschlichen Glück aufgrund der Erschaffung und Erhaltung des Lebens. Es geht auch um eine Entschleunigung der Arbeit, eine Arbeit, die nicht als Last, sondern als Lust empfunden wird, weil sie wieder mehr Zeit lässt für Kreativität und den eigenen Ausdruck. Es geht um das Wiedererlangen unserer kulturellen, politischen und heilenden Macht. Es geht darum, dass (hauptsächlich) Männer sich der sozialen Intelligenz anpassen und nicht dem technisch Machbaren. Es geht um Unterstützung untereinander und ich richte an Euch die Bitte, uns und unsere Feministische Partei in unserer politischen Arbeit aktiv zu unterstützen und zu helfen. Eine Vision meiner Partei für die Zukunft ist, dasss wir mindestens 52 % Frauen in den Parlamenten haben; das entspricht in etwa dem Bevölkerungsanteil. Denn trotz mancher Unterschiede haben wir doch wohl alle das Bedürfnis, dieses Jahrtausend zu unserem zu machen. Liebe Frauen, ich möchte an dieser Stelle noch eine persönliche Meinung sagen: Ich bezweifele, dass es uns gelingen wird, dieses Jahrtausend zu unserem zu machen, wenn wir - wie es gerade erst passiert ist bei Zwistigkeiten miteinander Stellvertreterinnen-Kämpfe organisieren. Unbeteiligte Frauen zu funktionaliseren und sie zu einem Urteil über einen Sachverhalt zu zwingen, den sie nicht selbst erlebt haben, finde ich ausserordentlich schwierig. In diese Kategorie fallen übrigens auch die so gern geschriebenen sog. "offenen Briefe" unter Frauen, welche eine direkte Auseinandersetzung schier unmöglich machen. Wenn wir dies in den Griff kriegen und Mut zu direkten und offenen Auseinandersetzungen haben, ist ein weiteres Stück auf unserem Weg geschafft. So - denke ich - mit all dem Vorhergesagten und mit vielem, was ich heute nicht sagen konnte, werden wir zu einer Welt kommen, in der Frauen Menschen sind, ¨ die die Macht über ihr eigenes Leben haben, ¨ die ihre eigenen Regeln machen, ¨ die sich nicht unterwerfen und verleugnen, ¨ die ihrem Innersten mehr trauen als dem, was andere ihnen sagen, ¨ die ihre Sexualität und Lust frei leben können zum Wohle der gesamten Gesellschaft. Dies wollen wir an diesem Wochenende manifestieren. Ich danke für die Aufmerksamkeit.