christlich-muslimische Ehen – docx

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Veröffentlichung des Privaten
Die Hochzeit von Prinz William und Kate wurde nicht nur in England, sondern weltweit von den
Medien zu einem Tagesordnungspunkt gemacht. Die Hochzeitsvorbereitungen, das Leben von
diesem jungen Paar nach der Hochzeit und schließlich das aus dieser Ehe hervorgegangene Baby
sind die Themen und Akteure eines Einakters geworden. Das private Leben von jungen
Menschen hielt man für einen Teil der Öffentlichkeit und das war selbstverständlich, denn diese
beiden jungen Menschen sind ein Teil der wichtigsten Adelsfamilie der Welt.
Die Thematisierung des Privatlebens in der Öffentlichkeit betrifft aber nicht nur die Adeligen und
Populären, sondern auch die Menschen auf der Straße werden durch ihre angenommenen
Zugehörigkeiten permanent thematisiert. Was kann der Grund dafür sein?
Unsere Welt hat sich verändert, die Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem wird
zusehends abgeschafft. Die Entwicklungen im Transportwesen und in der
Telekommunikationstechnik haben unsere Wahrnehmungen und Gewohnheiten zutiefst
verändert. Skype-Konferenzen, Internet oder Fernsehen ermöglichen es, Abstand zu halten und
zugleich am selben Platz zu sein. Durch die Entwicklung der Satellitentechnik und die
Entstehung des Interface des Bildschirms, wird alles an einem Platz vereint, der nichts weiter ist
als ein „ortloser Ort“ (Virilio 1984). Wenn der Raum das ist, was verhindert, dass alles am selben
Platz ist, bringt diese optische Konzentration alles an eben diesen Platz. Der öffentliche Raum
dringt mittels Kabeln in den privaten Raum und umgekehrt bauen wir unsere Mauern immer
mehr ab. Unsere privaten Lebensräume werden immer transparenter. Wir leben also in einem
Zeitalter, das unser Privatleben veröffentlicht und die Öffentlichkeit immer mehr privatisiert.
Die Veröffentlichung von Privatem betrifft auch den vorliegenden Diskussionsgegenstand der
christlich-muslimischen Ehen in Europa. Die Ehe an sich, eigentlich ein privater Akt, wird immer
mehr in einer öffentlichen Verantwortung gesehen. Der Braut und die Bräutigam führen keinen
Akt mehr durch, der ursprünglich in den Grenzen des Privaten stattfinden sollte, sondern sie
werden - wie William und Kate - von den Aussenakteuren als Teil einer Aktion gesehen, die von
vielen in einer sozialen Verantwortung stehend betrachtet wird.
Braut und Bräutigam einer christlich-muslimischen Ehe sind Parteien einer unnatürlichen
Koalition, die zugunsten der Behaglichkeit von den kulturell vielfältigen Immigrationsländern
geduldet werden müssen, wenn sie ihre Ehe erfolgreich fortspinnen wollen. Diese veränderte
Anschauung des privaten Aktes der Ehe, spielt natürlich in vielen interreligiösen Ehen eine
wichtige Rolle, und oft werden sie dadurch konfliktbeladen.
Heilige Aufgaben als Überlastung der Ehe
Das Öffentliche dringt dabei nicht nur in das Private, sondern eben auch umgekehrt das Private in
das Öffentliche. Negative Konsequenzen sind im Gefolge. Die Ehe bzw. die Beziehung von zwei
unterschiedlichen Religionsangehörigen beginnt meistens mit rein individuellen, menschlichen
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Gefühlen und Interessen. Die Partner werden durch den Akt der öffentlichen Eheschließung
gleichsam Vertreter ihrer religiösen und kulturellen Zugehörigkeiten. Dieser Aspekt kann die
Partner einer christlich-muslimischen Ehe belasten.
Die Folgen der Kolonialisierung und industrielle Entwicklungen haben viele Menschen aus
ehemaligen Kolonien und unterschiedlichen Kulturkreisen nach Europa gezogen. Diese
Vermischung resultiert in eine Deterritorialisierung der Kulturen. Europa bleibt nicht mehr
Zentrum der europäischen Kultur, sondern wurde zur Bühne der Interaktionen unterschiedlichster
Kulturen und Religionen. Um diese Aufgabe zu bewältigen sind sowohl in der Zivilgesellschaft
wie auch staatlich gewollt verschiedenste Dialoginstitute errichtet worden. Sie wurden im „MultiKulti“ Gesellschaftswirrwarr immer wichtigere Akteure. Sie übernehmen einerseits
Vertretungsrollen für die Immigranten, anderseits bemühen sie sich um gegenseitiges Verständnis
und Abbau der Ängste. Auch die interreligiöse Ehe ist eines der Beschäftigungsfelder in den
Institutionen geworden.
Die Thematisierung von christlich-muslimischen Paaren in sozialen Projekten macht das
Privatleben von vielen Familien zu einem politischen, soziologischen, juristischem und
pastoralen Arbeitsfeld. Bei den Familienmitgliedern entsteht dadurch nicht selten ein besonderes
Bewusstsein. Es wird vielfach angenommen, dass die Rettung der Zukunft der multikulturellen
Gesellschaft von ihrem Erfolg als funktionierende interreligiöse Familie abhängig ist. Diese
Familien wären sozusagen die Mikromuster einer multikulturellen Gesellschaft. Die Paare
bemühen sich Musterpaare zu werden, die das Abbild der friedlichen Multikulturalität in der
Gesellschaft reflektieren. Hochzeitszeremonien werden dabei für besonders wichtig gehalten. Sie
werden als Festzüge des interreligiösen Dialogs erlebt und manchmal sogar unter der Leitung von
Pfarrer und Imam gemeinsam, betont harmonisch zelebriert.
Konsequenzen dieser Haltung sind nach der Hochzeit im Wunsch nach einem religiösen Ritus für
das Kind festzumachen. Oft wird der Wunsch von christlich-muslimischen Paaren kommuniziert,
ihre Kinder religiös sowohl im Christentum als auch im Islam zu beheimaten; Taufe als auch
Ezan-Prozession, die islamische Namensgebung, werden von Seiten der Eltern nicht
konkurrierend gesehen. Sie einigen sich nicht selten, das Kind muslimisch zu erziehen und
trotzdem taufen zu lassen. Dieses verzwickte Ritual könnte man als einen natürlichen Wunsch
interpretieren, das Kind optimal zu „versorgen“, wie auch als das Erfüllen einer von der
Umgebung erwarteten sozialen Verantwortung ansehen.
Religion ist nicht Religion
Wie das Eindringen des Öffentlichen in das Private und des Privaten in das Öffentliche, so spielt
auch das Eindringen des Privaten in das Private in unserem Thema eine entscheidende Rolle. Ein
gemeinsames Leben zu gründen heißt für zwei Personen eine Überlappung von zwei Welten, die
im Laufe des persönlichen Lebens durch Außenfaktoren wie Kultur und Religion gestaltet
werden. Verkompliziert wird dieser Versuch durch die Tatsache, dass hier zweierlei Arten von
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Religion aufeinander treffen: eine, die institutionalisiert ist, und eine, der diese Art völlig fremd
ist; eine Religion mit Gesetz in der Begegnung mit einer Religion ohne Gesetz (Minkenberg,
2002). Diese Differenzen haben im Alltag der Religiösen ihre eigenen Auswirkungen. Ein
Muslim beispielsweise soll die Vorschriften seines Glaubens in allen Handlungen des Alltags
berücksichtigen; von der Kleidung über die Art des Gebets bis hin zu den Speisevorschriften. Ein
Christ hat für seine Alltagsgestaltung völlig andere Kriterien, die nicht einem konkreten Gesetz
unterliegen. Wir können eine Person also nicht nur einfach als religiös betrachten, sondern
müssen sie als Christ oder Muslim definieren. Obwohl das den Partnern bewusst ist, kommt es
vor, vom Anderen dieselbe Verhaltensweise zu erwarten, die durch die eigene Religiosität
praktiziert wird. Da das religiöse Bekenntnis zu den intimsten Bereichen des Menschen gehört,
sorgen Umstände der Unsicherheit in diesem Bereich zu einer Verunsicherung der ganzen Person.
Daher ist die Reaktion der Umgebung (Eltern, Freundeskreis) auf die Tatsache, dass ein
andersgläubiger Mensch geheiratet wird, entscheidend. Sind die Reaktionen positiv, ist die
Person und auch das Paar gestärkt und wird ermutigt. Umgekehrt bringt Ablehnung eine sehr
starke Verunsicherung.
Ein Beispiel von vielen ist das Morgengabe-Gebot1 im Islam. Es gibt Fälle, in denen eine Christin
den Wunsch ihres muslimischen Partners zum Morgengabe-Geben als Haltung der Sklaverei
versteht und erbost mit „Ich bin nicht käuflich!“, reagiert. Obwohl die Morgengabe im Islam ja
nichts mit Kaufen-Verkaufen von Frauen zu tun hat, kann die emanzipierte Christin dieses Gebot
durch ihre eigene religiöse Erfahrung nicht auslegen.
Eine ganz andere Konsequenz ist die Dynamik, dass mit dem andersgläubigen Partner einem die
eigene Religiosität plötzlich gespiegelt wird. Wie wichtig ist sie mir? Die Erfahrung zeigt, dass
auch nicht praktizierende Menschen durch das Zusammenleben mit dem andersgläubigen Partner
nach der eigene Glaubensidentität zu fragen beginnen. Nicht selten besinnen sich viele Paare
nach der Geburt des Kindes auf die eigenen Wurzeln. Das beginnt schon damit, dass das
Abendgebet der Großmutter beim Schlafengehen in der Erinnerung auftaucht. Das verschafft ein
Gefühl der Geborgenheit, einer heilen Welt, die man nun dem eigenen Kind weitergeben möchte.
Pastorale Lösungsvorschläge
Ein junges Brautpaar kommt in die Pfarrkanzlei einer Landgemeinde in Österreich. Der Mann
Muslim, die Braut Katholikin. Sie melden sich zur Hochzeit an und wollen mit dem Pfarrer das
Trauungsgespräch führen. Die Pfarrsekretärin nimmt die Anmeldung entgegen; als die beiden das
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Im Koran heißt es in der 4. Sure an-Nisā' („Die Frauen“) in Vers 4: „Und gebt den Frauen ihre
Morgengabe als Geschenk (so daß sie frei darüber verfügen können)!“ In der islamischen
Rechtswissenschaft ist eine Art von Morgengabe – mahr (Brautgabe) oder sadaq genannt – noch heute
von großer Bedeutung. Wird, wie häufig, ein Großteil der Morgengabe erst mit Scheidung der Ehe zur
Zahlung an die Frau fällig, dient sie ihrer Absicherung nach der Scheidung und beschränkt bei
entsprechender Höhe indirekt die Möglichkeit des Ehemannes, einseitig die Scheidung auszusprechen.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Morgengabe)
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Pfarramt verlassen, hält die Sekretärin die Braut zurück und flüstert ihr ins Ohr: „Sie Arme, aber
sie werden das schon schaffen.“ – Ein anderes Pfarramt: Der Pfarrer empfängt ein Brautpaar, das
sich zur Hochzeit anmelden will. Bei der Vorstellung sagt der Bräutigam: „Ich bin katholisch,
meine Braut Muslima.“ Dem Pfarrer rutscht es über die Lippen: „Oh, jetzt haben wir ein
Problem“.
Manch einer mag sich denken, „Ja, das ist doch wirklich nicht so leicht. Wie soll denn das gehen,
und überhaupt, wie wird das mit der Kindererziehung sein: Sind die Kinder dann Christen oder
Muslime? Zu diesen Bedenken ist zweierlei wichtig anzumerken: Als Pfarrer soll man Aufgaben,
die sich stellen, in positiver Art lösen und nicht überproblematisieren; das ist wahrscheinlich ein
pragmatischer Ansatz. Zum zweiten ist die Entscheidung zu einer Heirat nicht der Entschluss des
Pfarrers und/oder der Kirche, sondern der eines erwachsenen Paares, welches von der Kirche den
Segen und das Gebet erbittet. Darauf angemessen zu reagieren und sie seelsorglich zu begleiten,
ist pastorale Pflicht und Freude.
Christlich-Muslimische Eheberatung in Österreich
Im Jahr 2001 entstand nach einem Studienaufenthalt in der Türkei durch Pfarrer Martin
Rupprecht das Modell eines Ehevorbereitungsseminars für christlich-muslimische Paare. Als
Islambeauftragter der Erzdiözese Wien, besonders aber als Pfarrseelsorger wurde dies zu einer
Spezialisierung, durch die nach 12 Jahren Beratung und Begleitung von christlich-muslimischen
Paaren viele Erfahrungswerte vorliegen. Mittlerweile ist ein offener Familienkreis entstanden, der
drei Mal jährlich zu halbtägigen Treffen einlädt. Circa 30 Familien sind in diesen Kreis
involviert. Gleichzeitig wachsen die Kinder der Familien, die schon viele Jahre an den Treffen
teilnehmen, heran. Und mit dem Heranwachsen mehrt sich der Erfahrungsschatz in Bezug auf die
Kindererziehung. Anfangs entstanden diese Treffen durch folgende Einladung: „Immer öfter
kommt es vor, dass sich zwei Menschen aus verschiedenen Religionen kennen und lieben lernen.
Mehr als andere Paare müssen christlich-muslimische Partner etwas Neues für ihre Ehe schaffen,
und dürfen dabei weder das westliche Modell, noch das Modell des Ursprungslandes des
muslimischen Partners kopieren. Sie müssen ihren eigenen Stil im täglichen Leben, besonders
aber in ihrem Glaubensleben entwickeln. Auch für die Kindererziehung braucht es einen eigenen
Weg.“ Damit formulierten wir die neuralgischen Punkte, die in der Beratung thematisiert werden
müssen: Kulturverschiedenheit, Nicht-Selbstverständlichkeit der eigenen Glaubenspraxis,
religiöse Familienkultur, Kindererziehung.
Die Zielgruppe in Österreich
In Österreich gibt es ca. 15.000 christlich-muslimische Paare (Parsian 2008). Für die
allerwenigsten von ihnen ist eine kirchliche Trauung möglich oder wünschenswert. Aber mit
jenen, denen das wichtig ist, will man einen guten Weg gehen. Das Ritual der katholischen
Kirche ermöglicht ja die „Trauung eines Katholiken mit einem nicht getauften Partner, der an
Gott glaubt“ (Feier der Trauung 1992). Dabei ist entscheidend, dass wir über die Situation in
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Österreich in Europa sprechen. Nur in diesem neutralen Umfeld konnten sie unsere Überlegungen
entwickeln und ist für die Paare und Familien das entspannte Familienleben möglich. In der
Beratung laden wir die Paare ein, sich vor der Heirat jenen Fragen zu stellen, die in jedem Fall
auf sie zukommen werden: Kenne ich die wichtigsten Elemente der Religion meines Partners?
Auch wenn er/sie diese jetzt nicht praktiziert, könnte ich damit leben und meinen Leben danach
ausrichten, wenn er/sie diese in einer späteren Lebensphase praktiziert? Auf was möchte ich in
meiner Religionsausübung gar nicht verzichten? Was ist für mich ganz entscheidend? Was
möchte ich auf gar keinen Fall? Was gibt mir Sicherheit? Was macht mir Angst? Wir stellen wir
uns die Kindererziehung vor? Was tun wir nach der Geburt: Taufe, Beschneidung, Ezan-Ritual?
Soll das Kind in den katholischen oder islamischen Religionsunterricht gehen?
Was ist möglich?
Aus katholischer Sicht ist die Trauung mit einer/m muslimischen Partner/in möglich, wenn er/sie
keinen Kernbereich des katholischen Eheverständnisses ausschließt. Was sind diese? „... bis der
Tod uns scheidet.“ Im katholischen Eheverständnis gibt es keine Scheidung, im islamischen
Verständnis eben schon. De facto aber will in Österreich auch der islamische Partner nie eine
Trennung, sondern glaubt fest, „...bis der Tod uns scheidet“. Überdies ist im islamischen
Kulturkreis eine Scheidung eine Schande und etwas, das nur im Notfall vorgenommen wird. Der
muslimische Part bei jenen Paaren, die eine kirchliche Trauung wünschen, stimmt also ganz
dieser Frage im Trauungsprotokoll zu. Die Bejahung ist ja notwendig, um den Dispens vom
Hinderungsgrund der Religionsverschiedenheit zu bekommen.
Der zweite Teil im Kern katholischen Eheverständnisses betrifft die Ausschließlichkeit auf einen
Partner, eine Partnerin. Auch hier befinden wir uns in der europäischen Situation, welche
ebenfalls Einfluss genommen hat auf das Verständnis islamischer Ehe. Während nach islamischen
Recht die Polygamie möglich ist, und in manchen islamisch geprägten Staaten auch praktiziert
wird, wäre für die überwiegende Mehrheit der Muslime in Europa eine solche Praxis undenkbar;
sie interpretieren das theoretische Recht als ein Relikt aus vergangener Zeit, das für den
Kriegsfall formuliert worden ist. Entscheidend für uns ist, dass die Fragen des
Trauungsprotokolles aufgrund der inneren persönlichen Einstellung ehrlich mit „Ja“ beantwortet
werden. Der dritte Kernbereich betrifft die grundsätzliche Bereitschaft zu Kindern. Hier stimmt
das katholische mit dem islamischen Verständnis grundsätzlich zusammen.
Kindererziehung
Die größte Herausforderung im christlich-muslimischem Eheleben ist die Aufgabe der
Kindererziehung. Das zeigen viele Erfahrungsberichte der Familien. Kindererziehung ist
grundsätzlich eine Herausforderung, noch dazu mit zwei Religionen im Haushalt und ohne
„Vorbilder“ von beispielsweise Großeltern. Um den Familien eine Hoffnung mitzugeben, dass ein
religionsverschiedenes Zusammenleben nicht nur möglich, sondern sogar bereichernd und den
eigenen Glauben vertiefend sein kann, dient zur Anregung das folgende Modell:
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© Martin Rupprecht, 2013
Das Modell geht von der Überzeugung aus, dass es in jeder Kindererziehung, unabhängig von der
Religionszugehörigkeit, indiskutable Elemente gibt: Die Entwicklung von Ur-Vertrauen, von
Geborgenheit und Sicherheit. Mit Kindern über die Schöpfung zu sprechen, über das Leben, über
Dank und Bitte, über das Sich-Lieben, über Sorgen und Ängste, all das gehört zur gesunden
Entwicklung eines jeden jungen Menschenlebens. Das ist das Fundament des Lebens, des
Mensch-seins! Darauf steht alle weitere Erziehung und Entwicklung. Davon leben alle Kinder
dieser Welt. Auf diesem Fundament nun sind aufgebaut die Säulen, die den Innenraum des
Lebens und der Geborgenheit schaffen. Diese Säulen werden als die erlernten Grenzen der
eigenen Glaubensgemeinschaft bezeichnet, die Überzeugungen und inhaltlichen Bestimmungen
des Lebens. Sie bilden die Identität als Christ oder als Muslim. Die Säulen sind die Ehepartner,
die sich durch das starke Band der Liebe verbunden haben und bilden jenen Raum schaffen, in
dem sich die Kinder entwickeln. Die Kinder bewegen sich frei darin, manchmal lehnen sie sich
mehr an die Säule des Vaters, manchmal mehr an die der Mutter. Je nachdem, welche Identität
stärker präsent ist, wird das Kind mehr von der islamischen oder christlichen Identität geprägt,
und daraus schlussfolgernd sich im Erwachsenenalter entscheiden, was es sein will: Christ oder
Muslim. Das mag für Vertreter einer Religion schwer zu ertragen sein, in der Praxis ist es so. Die
Festlegung im Kindesalter kann nicht gefordert werden, da man aber ein Kind nie fragen darf:
“Liebst du Mama oder Papa mehr? Gefällt dir mehr, was Mama oder Papa tut?“ Wir können
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hoffen, dass im Optimalfall das Kind Muslim ist, mit einer starken Liebe zum Christentum, oder
Christ, mit einer starken Liebe zum Islam.
Gehen wir weiter im Bild: Über dem Raum der Familie breitet sich das Dach der (Groß-) Familie,
der Herkunft, der Tradition, der Sozialisation aus. Dieses Dach ist schützend und doch kann es
schwer sein; so belastend, dass es die Säulen auseinander zu drücken droht. Manche
Großfamilien oder Traditionen legen so große Erwartungen an die Ehepartner, dass die Gefahr
Auseinanderbrechens droht. In der Geschichte hat die Hagia Sophia in Istanbul ein solches
Schicksal erlitten. Die Kuppel wurde zu schwer und die Seitenwände drohten auseinander zu
brechen. Darum hat man bautechnisch Querpfeiler angebaut; sie halten die Außenmauer und
verhindern das Auseinanderbrechen.
Diese Historie auf unser Bild angewandt heißt dass: Wird der Druck von oben, von der Familie
oder der Tradition zu groß, dann braucht es bei den Ehepartnern besondere Tugenden: Die
Tapferkeit – sie verhilft mir für meinen Ehepartner einzustehen. Notfalls gegenüber den Eltern
oder den Wünschen der Tradition. Die Weisheit – sie entwickelt sich aus zwei unterschiedlichen
Traditionen und entfaltet einen eigenen Weg, den nur diese Familie gehen kann und geht. Die
Gerechtigkeit – die Kunst von mir abzusehen und allen Teilen das ihnen Zustehende zukommen
zu lassen. Die Mäßigung – bei all diesen Fragen geht es um keine Banalitäten, ob eine Wand nun
grün oder blau zu malen ist. Es sind Entscheidungen, die den Kern der Person betreffen. In diesen
Entscheidungen geht es ums seelische Überleben. Darum muss der Weg zur
Entscheidungsfindung und die Art und Weise der gemeinsamen Wanderung bedacht und langsam
gegangen werden.
Conclusio
Die Auseinandersetzung mit dem Glauben in einer christlich-muslimischen Familie macht
deutlich, dass Religion eine gewisse Öffentlichkeit einfordert. Das private Bekenntnis (oder
Nichtbekenntnis) wirkt auf die Familie und Öffentlichkeit zurück - gewollt oder ungewollt. Die
Nichtselbstverständlichkeit des klaren Glaubens wird damit zu einer Art und Weise den Glauben
zu verstehen: als einen Prozeß permanenter Hinterfragung der eigenen Position und der
Religion2.
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„Das vielsprachige Europa kultiviert nicht die Identität, um die andere Kulturen ringen,
sondern die Identität ist in Europa ein Gegenstand fortgesetzter, unabschließbarer Suche.“
Interview von Elisabeth von Thadden mit der Philosophin Julia Kristeva über eine Kultur, die von
der ganzen Welt bewundert wird., Die Zeit, 9. 1.2014
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Die Autoren:
Muhammed Taceddin Kutay, Absolvent einer islamischen Imam Schule in Istanbul, Magister
der Sozialwissenschaften, Mitarbeiter der „Kontaktstelle für christlich-islamische Begegnung in
der Erzdiözese Wien.
Martin Rupprecht, Pfarrer in Wien 15, Dechant im Bezirk mit dem höchsten Immigrantenanteil
in Österreich; 2001 – 2013 Islambeauftragter der Erzdiözese Wien.
Literatur
Die Feier der Trauung in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes, Hrsg. im Auftrag der
Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, Herder Freiburg-Basel-Wien, 1992
Virilio, Paul (1984); Die Auflösung des Staatbildes; aus Hrsg. Günzel, Stephan-Dünne, Jörg; Raumtheorie;
Suhrkamp, S.266.
Minkenberg, Michael-Willems Ulrich (2002); “Staat und Kirche in westlichen Demokratien“; Politik und
Religion. PVS Special Issue 33/2002; Westdeutscher Verlag, S.116.
Ehen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in Österreich, Österreichische Orient-Gesellschaft, Hammer-Purgstall
Orient-Akademie, Abschlussthese zur Erlangung der Bezeichnung Akademischer Orientalist, eingereicht von Mag.
David Parsian MSc, Februar 2008
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