Ansprache, Gütersloh, 26.05.2014, Botschaftsrätin – stellvertretende Botschaftsleiterin Guna Japiņa Botschaft von Lettland in Berlin Sehr geehrte stellvertretende Landrätin Frau Boden, sehr geehrter Herr Balke, meine Damen und Herren, ich habe mich sehr über Ihre Einladung und für die ausgezeihnete Möglichkeit gefreut, hier vor Ihnen über mein Land erzählen zu dürfen. Allerdings hat die aktuelle Tagesordnung in Berlin und Riga meine persönliche Anwesenheit an dieser Veranstaltung leider verhindert. Ich bitte Sie um Ihr Verständnis und bedanke mich bei Frau Dr Silvana Kreyer für das Vorlesen dieser Ansprache. Darüber hinaus möchte ich die Gelegenheit nutzen und Herrn Balke zu der Verleihung des lettischen Anerkennungskreuzes herzlichst gratulieren. Es ist ein Zeichen dafür, dass Menschlichkeit, Unterstützung und selbstlose Arbeit auch in der heutigen pragmatischen Welt zählt. Ich danke Ihnen, Herr Balke, und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg! Es ist eine große Ehre und gleichzeitig eine Herausforderung, meinen Dienst in Deutschland in einer besonders aktiven und dynamischen Zeit zu haben. Das Gedenkjahr 2014 ist von einer besonderen Bedeutung sowohl für Europa und Deutschland, als auch für uns, Letten. Die tragische europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts hat uns zu dem heutigen gemeinsamen Projekt Europa und zu unseren gemeinsamen Werten geführt. Deswegen soll das Gedenkjahr vor allem dazu dienen, dass die Werte nicht nur gedacht, sondern auch bewahrt werden, insbesondere in der aktuellen internationalen Situation, in der bestimmte Bemühungen beobachtet werden können, diese Werte in Frage zu stellen oder zu überdenken. Das spiegelt sich auch in meiner alltäglichen Arbeit in Berlin wider. Heute möchte ich auf drei Punkte näher eingehen: 1 Zum ersten, im Januar 2014 ist Lettland zum Mitglied der Eurozone geworden. Das ist eine gut begründete und gut überlegte Entscheidung gewesen. Zuerst fördert die Euro-Einführung unsere Wirtschaft noch stärker als vorher. In ihren Auslandsgeschäften innerhalb der Eurozone haben lettische Unternehmen keine Risiken für Währungsumtausch mehr. Unternehmen können sich sowohl billigere Geldtransaktionen innerhalb der Eurozone, als auch billigere Darlehen wegen den stabileren Eurozinsen leisten. Das wird zur Kostensenkung führen und weitere Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Jetzt ist es für den Staat auch möglich, Darlehen mit niedrigeren Zinsen zu erhalten, zudem sind auch sind die Verwaltungskosten gesunken. Das Land gewinnt auch an Attraktivität für Investoren. Da die Transaktionen in Lettland nun in Euro vorgenommen werden, müssen die Investoren keine Risiken für Währungsumtausch und keine Devalvierungsrisiken mehr fürchten. Das hat schon das Beispiel unseres Nachbarlandes Estland gezeigt, dass diese Argumente für Investoren von großer Bedeutung sind. Andererseits, wegen des einfachen Preisvergleichs, müssen nun unsere Unternehmen mehr an Wettbewerbsfähigkeit denken, was sowohl den Unternehmen, als auch den Konsumenten, also, dem Volk von Lettland, wiederum zum Vorteil ist. Ein Bereich, der besonders stark von Euro profitiert, ist Tourismus und dieses Jahr ist Riga auch Kulturhauptstadt Europas. Wir alle wissen, dass es viel angenehmer zu Reisen ist, wenn man nicht an Geldwechsel denken muss und wenn man die Preise immer vergleichen kann. Zusätzlich zu dem erhöhten Wohlhaben der Unternehmen und der Bürger, profitiert auch der Staat von der Euroeinführung. Für den Fiskus bedeutet es 2 weniger Ausgaben für Zinsen des internationalen Darlehens und kleinere Verwaltungskosten. Das Ziel, Euro einzuführen, hat Lettland ermuntert, die Wirtschaftskrise vom Jahr 2009 zu überwinden und sich eine stabile Grundlage für weiteres Wirtschafts- und Wohlstandswachstum zu erschaffen. Neben den Konsolidierungsmaßnahmen wurden weitgreifende Reformen umgesetzt und Wirtschaftsstrukturen verbessert. Zum Beispiel, das Industriewachstum in den letzten Jahren ist so stark gewesen, dass der Anteil von Industrie an BIP von rund 15% vor der Krise auf momentan 20% gestiegen ist. Durch die Krise ist Lettland, also, stärker geworden. Die lettische Erfolgsgeschichte ist weit über unsere Grenzen gut bekannt und ich bin froh, dass unsere Länder eine gemeinsame Wirtschaftsphilosophie der effizienten, von zielorientierten Strukturreformen begleiteten Fiskalpolitik teilen, aus der gesetzgemäß die Prosperität folgt. Sogar die OECD, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, schätzt die Erfahrungen Lettlands hoch und hat Lettland im Mai 2013 eingeladen, der Organisation beizutreten. Außerdem hat bei der Entscheidung, den Euro einzuführen, auch die Zugehörigkeit zur Eurozone, dem Kern Europas, eine Rolle gespielt. Erweiterung der Eurozone ist ein Schritt in Richtung tieferer Eurointegration gewesen. Mit seinem Beitritt hat Lettland der ganzen Welt gezeigt, dass es Länder gibt, die an die Zukunft der Europäischen Union, der Eurozone und des Euros glauben. Die Einführung von Euro ist sehr erfolgreich und einwandfrei geschehen. Die Akzeptanz vom Volk und Unternehmern gegenüber der neuen Währung wächst täglich. Das Monitoring von Verbraucherpreisen, das von der Regierung Lettlands am Anfang 2013 eingeführt worden ist und bis Ende 2014 3 durchgeführt wird, zeigt, dass die Verbraucherpreise seit der Euro-Einfühurng zu fast 90% sich nicht geändert haben, zu etwas mehr als 5% gestiegen und ebenso viele sogar gesunken sind. Da kann man nicht unbedingt von einem „Teuro“ reden. Die Euro-Einfühurng hat uns auch zusätzliche Publizität und sehr ausgewogene Berichte in deutschen Medien geschaffen, und wie wir es in unserer täglichen Arbeit sehen, auch zusätzliches Interesse über Lettland, einschliesslich von potenziellen Investoren. Wie der Finanzminister von Lettland, Herr Andris Vilks, gesagt hat, „hat Lettland durch den Euro nun ein Stärkeres, ausgewogeneres und besser kalkulierbares Wachstum erreicht“. Lettische Wirtschaft fühlt sich tatsächlich stabiler und selbstüberzeugter, und beständiger gegenüber diversen Krisen und Unruhen, sei es im Westen oder Osten von Lettland. Auf der lettischen Euro Münze ist ein lettisches Trachtenmädchen abgebildet – ein seit Jahrhunderten uns bekanntes Symbol der Tugend und des Wohlstandes. Dies sehen wir als eine Gesetzmäßigkeit an. Ich bin tiefst davon überzeugt, dass Lettland und Deutschland als zu dem Kern der europäischen Integration angehörige Länder für den Wohlstand sowohl von ganz Europa, als auch von jedem einzelnen Staat stehen. Wir sind bereit, daran mitzuwirken. Und wir sind bereit, unser Nachbarland, Litauen, auf den Weg in die Eurozone zu unterstützen. Zum zweiten, 2014 ist Riga die europäische Kulturhauptstadt. Die Initiative europäischer Kulturhauptstädte zählt zu den erfolgreichsten Initiativen der Europäischen Union. Frei von der aktuellen europäischen Tagesordnung, folgt diese Initiative in der Tat dem Motto der Europäischen Union - In Vielfalt geeint und verkörpert damit die gemeinsamen europäischen Werte, sichtbar sowohl für uns, Letten, als auch für die Gäste der Stadt. 4 Riga bietet dieses Jahr ein sehr vielfältiges und reiches, aber auch sehr gut thematisch durchdachtes Programm an. Riga ist eine Stadt des Zusammenspiels der verschiedensten Kulturströmungen und historischen Wendungen, eine Art Unikat, welches sowohl im traditionellen, als auch im modernen Licht präsentiert wird – so kann man die Idee des Programms beschreiben. Vor 25 Jahren bildete die Bevölkerung von Estland, Lettland und Litauen den Baltischen Weg, eines der Phänomene der europäischen Geschichte. Der Baltische Weg wurde im Januar in einer Menschenkette der Bücherfreunde widerspiegelt, als 14 000 Menschen die Sammlung der lettischen Nationalbibliothek in die neuen Räumlichkeiten, das sogenannte Schloss des Lichts überreichten. Diese Menschenkette, ebenso wie die Aufführung der Oper Rienzi von Richard Wagner, der seine Arbeit an dieser Oper in Riga begonnen hatte, hat das Kulturjahr in Riga im Januar eröffnet. Im Juli versammeln sich in Riga 20 000 Sänger aus 90 Ländern, um an der 8. Choir – Welt-Olympiade teilzunehmen. Tradition des Gesangs– und Tanzfestes gehört zu den gemeinsamen baltischen Traditionen, und wir sind auch sehr froh, dass Riga mit der von UNESCO als Weltkulturerbe anerkannten lettischen Chormusik-Tradition diesmal auch so viele ausländische Gäste einladen darf. Das Opernhaus in Riga zählt zu den besten in Europa und nicht umsonst wird in 2014 auch ein Slogan Geboren in Riga genutzt – um zu zeigen, dass auch international renommierte Musiker wie Elīna Garanča, Andris Nelsons, Mariss Jansons, Mischa Maisky und viele andere in Riga geboren sind. Wir sind aber nicht nur unserer Musiktradition, sondern auch unserer Geschichte sehr bewusst und weigern uns nicht, alle Seiten unseres Erbes (manchmal auch Last) aufzugreifen. Neben den musikalischen Höhepunkten, 5 neben dem Europäischen Mittsommerfest am 21. Juni im Rigaer Mežaparks, versuchen wir auch manche Fragen zu beantworten: kann das Kulturerbe der fremden Mächte in das Programm der Kulturhauptstadt aufgenommen werden? Wie gehen wir damit um? Wie kann das Phänomen erklärt werden, dass das kleine Lettland, in dem nur ca. 2 Millionen Menschen leben, nicht nur noch immer existiert, sondern auch zum europäischen Kultur- und Wissenschaftsraum einen so reichhaltigen Beitrag leistet? Was bedeutet der Erste Weltkrieg für Letten, Lettland und für die lettische Kunst? Wie gehen wir damit um, dass unsere Landsleute großes Erfolg als Künstler sowohl auf der sowjetischen (wie der berühmte Konstruktivist Gustavs Klucis) als auch auf der westlichen Kunstbühne (wie die in New York wohnhafte Malerin Maija Celmiņa) haben können? Was sagt es uns über die Wahl eines Menschen, über die Zeit und über die Kunst? Was bedeutet es uns, dass das sog. KGB - Haus auf der Brīvības iela für die Öffentlichkeit eröffnet wird? Wenn wir an das Rigaer Programm denken, müssen wir auch an folgendes denken: Die Kandidatur von Riga für den Titel - Kulturhauptstadt Europas, wurde im Jahre 2009 nominiert. Die europäische Entscheidung fiel 2010. Das war der Tiefpunkt der Wirtschaftskrise in Lettland. Dies wurde aber zu keinem Grund, auf diese Herausforderung zu verzichten. Ganz im Gegenteil – die Herausforderung wurde zur Motivation, kreativ zu denken sowie fokussierte Botschaften aufzuspüren und zu widergeben. Der horizontale Ansatz des Programms bedeutet Integration und Teilnahme von Bürgern - die Ermutigung, sich zu beteiligen, mitzudenken und mitzugestalten. Etwa 6% aller Unternehmer sind im Bereich Kultur und der kreativen Industrien tätig; 1.9% des lettischen Exportes kommt aus diesem Bereich. 6 Kreative Industrie steigt in Lettland stets. Kreativität gehört zu den lettischen Eigenschaften und wir sind immer bereit, einen Survival Kit zu finden – so heisst eines der Projekte des Rigaer Programms. Kreativität, und darunter auch die Förderung der kreativen Industrien, wird das Echo des Kulturjahres sein, welches wir auch für die Zukunft mitnehmen werden. Es werden insgesamt 200 Veranstaltungen in Riga und auch in den nahliegenden Städten nächstes Jahr stattfinden. Ich bin sicher und absolut zuverlässig, dass alle Gäste der Stadt zufrieden, überrascht und beeindruckt sein werden. Sehr geehrte Damen und Herren, und nun der dritte – der letzte Punkt, aber nicht weniger wichtig: 2015 übernimmt Lettland die Aufgabe der EU Ratspräsidentschaft. Geschichte, Völkerdialog, Wechselwirkung und gemeinsame Ziele bilden eine thematische Brücke von dem Rigaer Programm zu dem Programm der lettischen Präsidentschaft. Diese Richtung möchten wir gerne in Berlin und auch bundesweit entwickeln. Auch politisch bedeutet Präsidentschaft für uns eine einmalige Gelegenheit, Europa über unser Verständnis europäischer Werte vorzustellen. Ich bin überzeugt, dass das Verständnis unser gemeinsames Verständnis ist. Lettland gehört zu den wenigen Ländern, die ihr Transformationsprozess erfolgreich abgeschlossen haben. Vor 25 Jahren litten wir unter dem sowjetischen Regime – ideologisch, politisch und wirtschaftlich. Fast wie kein anderer europäischer Staat können wir die Tragik und die Rechtswidrigkeit der russischen Aggression in der Ukraine einschätzen. Heutzutage haben wir das große Privileg, Mitgliedschaft der EU und NATO zu genießen. Für die Solidarität unserer Verbündeten, für die Unterstützung unserer deutschen Partner bedanken wir uns. 7 Wir sind unserer Pflicht bewusst, auch unseren Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit zu leisten. Dies tun wir sowohl auf europäischer Ebene, als auch in Drittländern, wie zum Beispiel in Afghanistan, wo Lettland bereit ist, auch nach 2014 seinen professionellen und international geschätzten Beitrag zu leisten, oder in der EU Mission in Mali, wo lettische Teilnahme mehrfach steigen wird. Gleichzeitig sind wir als Europäer auch unseres Verständnisses und unserer Aufgabe gegenüber denjenigen unserer Nachbarn bewusst, die unsere gemeinsamen Werte teilen und den Weg der Transformation bevorzugen. Für diese Länder darf Europa nicht unerreichbar sein oder bleiben. Ganz konkret meine ich hier die Länder der Östlichen Partnerschaft. Heute bedeutet diese Initiative vielleicht mehr als vor einigen Jahren oder selbst Monaten, oder Wochen. Deswegen werden die Östliche Partnerschaft und ein diesem Thema gewidmeter Gipfel wichtige Prioritäten unserer Ratspräsidentschaft sein. Darüber hinaus, müssen wir alle zusammen daran weiter arbeiten, eine stärkere EU aufzubauen. Hier geht es nicht nur um eine Realpolitik, die eine sofortige Reaktion auf russisches Vorgehen erfordert, sondern um eine strategisch verantwortungsvolle Entscheidung der EU, inwieweit und auf welche Art und Weise wir bereit sind, auf die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen zu antworten. Als EU Präsidentschaft wird Lettland auch diese Debatte auf der höchsten Ebene akzentuieren. Sehr geehrte Damen und Herren, genau heute sehen wir, wie richtig und wie strategisch weitblickend unsere Entscheidung war, nach Europa wiederzukehren, sowohl für unsere europäische und westliche Partner, als auch, natürlich, für uns. Wir hoffen sehr, dass diese Erkenntnis, die wir nie vergessen werden, uns helfen wird, auch aus dieser Krise stärker als zuvor herauszukommen. 8 Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. _____________________ 9