Helaba Volkswirtschaft/Research Länderfokus 13. Oktober 2009 Lettland: Rosskur für die Wirtschaft Autor: Marion Dezenter Telefon: 0 69/91 32-28 41 [email protected] Redaktion: Dr. Stefan Mitropoulos Herausgeber: Dr. Gertrud R. Traud Chefvolkswirt/Leitung Research BIP-Rückgang im ersten Halbjahr um knapp 19 % Sparmaßnahmen prägen das Bild Kredit-Tranchen von IWF und EU sichern vorerst Zahlungsfähigkeit Lettlands Der BIP-Rückgang im zweiten Quartal 2009 erreichte knapp 19 % gegenüber dem Vorjahr und war damit trotz der leicht verbesserten revidierten Daten nochmals stärker als im ersten Quartal. Der Schrumpfungsprozess erstreckte sich dabei über alle Komponenten des BIP: Die privaten Verbraucher haben ihre Aktivitäten drastisch eingeschränkt, was sich auch auf die Einfuhren auswirkt, die noch deutlicher zurückgegangen sind als die Ausfuhren. Auch der Rückgang beim Staatsverbrauch hat sich beschleunigt und die Anlageinvestitionen weisen nun ein Minus von rund 38 % gegenüber dem Vorjahr auf. In seiner Aufholjagd beim Pro-Kopf-BIP wird Lettland damit – wie auch die übrigen Balten – empfindlich zurückgeworfen. Landesbank Hessen-Thüringen MAIN TOWER Neue Mainzer Str. 52-58 60311 Frankfurt a. Main Telefon: 0 69/91 32-20 24 Telefax: 0 69/91 32-22 44 Pro-Kopf-BIP abgebremst Pro-Kopf-BIP in Kaufkraftparitäten in US-$ 35.000 35.000 EU-Beitritt 30.000 25.000 30.000 25.000 EU-27 20.000 20.000 Estland 15.000 15.000 10.000 10.000 Litauen Lettland 5.000 5.000 0 0 1995 2000 2005 2010p Quellen: EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research Die Publikation ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Sie enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Prognosen zu Konjunkturindikatoren für das dritte Quartal (Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätze) deuten noch nicht auf eine Erholung hin, so dass für das Gesamtjahr 2009 mit einer Schrumpfung der Wirtschaft um rund 17 % gegenüber 2008 gerechnet werden muss. 2010 dürfte sich das Abwärtstempo verlangsamen (-4 %), mit positiven Wachstumszahlen ist jedoch erst wieder ab 2011 zu rechnen. Dazu trägt zu einem großen Teil die schleppende Binnennachfrage bei: Arbeitsplatzunsicherheit und sinkende Löhne verhindern eine bessere Konsumlaune. Demgemäß ist das Konsumklima in diesem Sommer auf den tiefsten Stand seit Beginn der Erhebung 1993 gefallen. den gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden. Entsprechend der wirtschaftlichen Misere sind – wie überall in Europa – die ehemals zweistelligen Inflationsraten stark zurückgegangen. So ist für dieses Jahr mit rund 3 % Inflation zu rechnen (nach 15,3 % im Jahresdurchschnitt 2008), während sie 2010 voraussichtlich negativ wird. Länderfokus: Lettland Inflation spiegelt Konjunktur wider Inflation in % 20,0 17,5 20,0 17,5 EU-Beitritt 15,0 15,0 12,5 12,5 10,0 10,0 Lettland 7,5 7,5 Litauen Estland 5,0 5,0 2,5 2,5 Eurozone 0,0 0,0 -2,5 -2,5 04 05 06 07 08 09 Quellen: EcoWin, Helaba Volkswirtschaft/Research Das Leistungsbilanzdefizit ist die Kehrseite des starken Wachstums der vergangenen Jahre. Denn die Expansion der Wirtschaft beruhte in hohem Maße auf der Finanzierung durch ausländische Mittel. Durch den aktuellen Wirtschaftseinbruch gehen die Exporte und v.a. die Importe zurück, was zu einer Konsolidierung des Leistungsbilanzdefizits führt. Dadurch sinkt der Finanzierungsbedarf aus dem Ausland. Leistungsbilanzen weisen wieder leichte Überschüsse auf Defizite in % des BIP 5,0 5,0 0,0 0,0 -5,0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 -10,0 2007 Litauen Estland -15,0 2008s 2009p 2010p -5,0 -10,0 -15,0 -20,0 -20,0 Lettland -25,0 -25,0 Quellen: EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research EU-Fördermittel 2007-2013: 4,6 Mrd. € Da die Finanzströme aus dem Ausland zurückgegangen sind, haben die Fördermittel im Rahmen der EU-Regionalpolitik eine besondere Bedeutung. Zwischen 2007 und 2013 stehen aus verschiedenen Fördertöpfen der EU rund 4,6 Mrd. Euro für Lettland bereit. Da EU-Förderprogramme i.d.R. von den Ländern kofinanziert werden müssen, ist die Verwendung der Mittel für Lettland nicht ganz einfach. Jedoch kann sich das Land ein Zögern in der Umsetzung kaum leisten. Kredite der Europäischen Investitionsbank sollen sicherstellen, dass die benötigten Mittel zur Kofinanzierung vorhanden sind. Sparmaßnahmen prägen das Bild Ende 2008 hatten mehrere internationale Institutionen (EU, IWF, Weltbank, EBRD) und auch einzelne Staaten wie die skandinavischen Länder und Polen ein Stützungspaket für Lettland von insgesamt 7,5 Mrd. Euro geschnürt. Sowohl die EU als auch der IWF haben im Sommer 2009 die nächste Tranche ihrer Kredite ausgezahlt und damit die Zahlungsfähigkeit des Landes vorerst gesichert. Die Weltbank bewilligte zudem im September einen Kredit über 200 Mio. Euro zur Unterstützung des Bankensektors. Jedoch sind diese Finanzspritzen an die Umsetzung umfassender Austeritätsmaßnahmen gebunden. Daher wird die wirtschaftliche Lage in Lettland dominiert Helaba Volkswirtschaft/Research · 13. Oktober 2009· © Helaba 2 Länderfokus: Lettland von Lohnkürzungen und Stellenreduzierungen insbesondere im öffentlichen Sektor sowie Einschnitte bei Pensionen und im Bildungs- und Gesundheitswesen. Die Überlegungen der lettischen Regierung, die Inhaber von Hypothekenkrediten nun zu entlasten, indem die Pflicht zur Rückzahlung dieser Darlehen auf den Wert der Immobilie beschränkt wird, sorgen insbesondere bei den schwedischen Finanzintermediären, die vor Ort stark engagiert sind, für Unruhe: Da die Häuserpreise in Lettland stark gesunken sind (in der Hauptstadt Riga um rund 70 % seit März 2009), würde die Neuregelung für die Banken hohe Kreditausfälle bedeuten. Allerdings steigen die Kreditausfälle ohnehin schon aufgrund der stark gewachsenen Arbeitslosigkeit an. Überblick Lettland 2008 2009p 2010p 2,3 2,3 2,2 Bevölkerung Mio. Reales BIP-Wachstum % -4,6 -17,0 -4,0 BIP pro Kopf $ 14960 11953 11558 Arbeitslosenrate* % 5,3 13,0 16,0 Budgetsaldo* % des BIP -4,0 -11,0 -9,0 Inflationsrate* % 15,3 3,2 -2,0 Leistungsbilanzsaldo Mrd. $ -4,4 0,8 1,0 % des BIP -12,8 3,0 3,9 Mrd. $ 44,7 42,1 42,1 % des BIP 132 156 162 4.Quartal 2008 1.Quartal 2009 2.Quartal 2009 5,0 4,2 3,7 " in % des BIP Auslandsschulden " in % des BIP Liquiditätsposition Währungsreserven " in % der Importe Mrd. $ % 22,3 31,1 27,1 Schulden bei BIZ-Banken Mrd. $ 22,8 20,3 ... Guthaben bei BIZ-Banken Mrd. $ 2,5 2,9 ... *Euro stat-Daten Quelle: EIU, IWF, B IZ, Helaba Vo lkswirtschaft/Research Diskussion um Währungsbindung neu angefacht Zusammen mit dem Hinweis, dass Lettland seine Sparziele für nächstes Jahr möglicherweise nicht erfüllen könne, haben die Äußerungen der lettischen Regierung zu den Hypothekendarlehen die Diskussionen um die Währungsbindung des Lat an den Euro neu angefacht. Ohnehin bezeichnet der IWF das Ziel, die Krise ohne nominale Abwertung der Währung zu meistern, als Herausforderung. Die EU ihrerseits hatte zumindest bislang ein Interesse daran, Lettlands Währung stabil zu halten, um die Gefahr einer Ansteckung anderer osteuropäischer Währungen und des Finanzsystems durch die Schieflage Lettlands gering zu halten. Mit zunehmender konjunktureller Stabilisierung bzw. Erholung in Westeuropa geht diese Ansteckungsgefahr jedoch zurück. Wenn sich nun noch die Rückzahlungen der meist auf Euro lautenden Hypothekendarlehen per Gesetz deutlich reduzieren würden, wäre eine Abwertung der Landeswährung für die Schuldner weniger schmerzlich. Insofern hat das Risiko, dass die Parität des Lat zum Euro doch noch nach unten angepasst wird, zugenommen. Auf der anderen Seite existiert die enge Bindung an den Euro bereits seit 2005 und ist für Lettland keine Kleinigkeit, sondern ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Euro-Einführung. Sowohl die internationalen Geldgeber als auch Lettland haben schon viel investiert, um die Währungsbindung aufrechtzuerhalten und insbesondere für Lettland wäre es mit einem zusätzlichen Reputationsverlust verbunden, die Parität aufzugeben. Darüber hinaus ist es umstritten, ob die nominale Abwertung letztlich hilfreicher wäre als der momentan beschrittene Weg, da sie einen erheblichen Infla- Helaba Volkswirtschaft/Research · 13. Oktober 2009· © Helaba 3 Länderfokus: Lettland tionsanstieg auslösen könnte, der der Wettbewerbsfähigkeit des Landes zuwiderliefe. Daher spricht vieles dafür, dass die Währungsbindung halten wird, unter der Voraussetzung, dass Lettland sich kooperativ zeigt und an die Vereinbarungen hält. So oder so steht die Regierung unter Druck, da im Oktober 2010 Parlamentswahlen anstehen. Ziel der Euro-Einführung setzt dem Haushalt enge Grenzen Die von Lettland für 2014 angestrebte Einführung des Euro halten wir für fraglich. Die EuroEinführung würde zwar die Frage der Währungsstabilität lösen, jedoch würden die MaastrichtKriterien für die Wirtschaftspolitik und insbesondere für die Fiskalpolitik ein Korsett bedeuten, das die Handlungsfähigkeit stark einschränkt. Diese Handlungsfähigkeit wird Lettland aber in der Zeit nach der Krise benötigen. Derzeit hingegen wird die Maastricht-Grenze beim Budgetsaldo trotz der Sparmaßnahmen deutlich überschritten. Und auch das Ziel der wirtschaftlichen Konvergenz dürfte nach den tiefen aktuellen Einschnitten bis 2014 noch nicht in einem Maße erreicht sein, das der lettischen Wirtschaft einen reibungslosen Beitritt zur Eurozone ermöglichen könnte. % Helaba Volkswirtschaft/Research · 13. Oktober 2009· © Helaba 4