Konjunktur Kompakt

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Helaba Volkswirtschaft/Research
KONJUNKTUR KOMPAKT
5. Oktober 2016
REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos
Tel.: 0 69/91 32-46 19
[email protected]
Die Welt im Blick ............................................................................................................................ 1
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Portugal: Wird alles wieder zurückgedreht?................................................................................ 4
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
Prognoseübersicht......................................................................................................................... 7
Deutschland: Digitalisierung gewinnt an Bedeutung ................................................................. 2
USA: Mit angezogener Handbremse ............................................................................................. 3
Spanien: Politisch gelähmt............................................................................................................ 5
Polen: Hoffen auf Banken-Brexit nach Warschau ....................................................................... 6
Die Welt im Blick
Patrick Franke
Tel.: 069/91 32-47 38
Global: Großbritannien als Vorbild?
Reales Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, indexiert auf 1990 = 100
160
160
Großbritannien
150
150
140
140
130
130
Deutschland
USA
120
120
Japan
110
110
100
100
90
90
1990
1995
2000
2005
2010
2015
Quellen: IWF, Helaba Volkswirtschaft/Research.
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Für den Lebensstandard in einem Land zählt weniger die Wachstumsrate insgesamt als vielmehr
die Veränderung des Einkommens pro Kopf. Über einen langen Zeitraum kann eine solche Betrachtungsweise einen Vergleich der nationalen „Wachstumsmodelle“ ermöglichen und einige
Vorurteile widerlegen. So liegen, bereinigt um die Bevölkerungsentwicklung, nach einem viertel
Jahrhundert nicht, wie vielleicht von vielen erwartet, die USA vorne. Von 1990 bis 2015 stieg das
Pro-Kopf-Einkommen stattdessen in Großbritannien am stärksten. Auch ist der Unterschied zwischen den Amerikanern und den Deutschen nicht so groß wie man hätte denken können – zumindest über den vollen Zeitraum betrachtet. Zwischendurch, als Deutschland die „rote Laterne“ in der
Eurozone hatte, zogen die USA spürbar davon, büßten ihren Vorsprung aber seit der Finanzkrise
wieder ein. Schließlich ist entgegen manchen Vermutungen das Pro-Kopf-Einkommen selbst in
Japan über den Zeitraum seiner „verlorenen Jahrzehnte“ hinweg im Trend gestiegen, wenn auch
mit einer Rate von weniger als 1 % pro Jahr.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 5 . O K T O B E R 2 0 1 6 · © H E L A B A
1
KONJUNKT UR KOMPAKT
Deutschland: Digitalisierung gewinnt an Bedeutung
Das ifo-Geschäftsklima ist im September stark angestiegen und hat damit die zwei Rückgänge
zuvor überkompensiert. Die Brexit-Ängste sind verflogen. Unser Konjunkturbild mit Wachstumsraten von kalenderbereinigt 1,8 % für dieses und 1,6 % für nächstes Jahr scheint intakt. Steigende
Einkommen und Beschäftigung führen zu Zuwächsen der privaten Konsumausgaben. Die öffentlichen Konsumausgaben steigen dieses Jahr mit 3,5 % sogar etwa doppelt so stark wie die ge1
samtwirtschaftliche Leistung. Kein positiver Wachstumsbeitrag dürfte vom Außenhandel kommen.
Zwar bessert sich die konjunkturelle Lage in den Schwellenländern. So steigen in diesem Jahr die
deutschen Ausfuhren nach China, nachdem sie im 2015 sogar rückläufig waren. Enttäuschend ist
allerdings die Absatzsituation in den USA und die Eurozone erholt sich nur zögerlich.
Dr. Stefan Mütze
Tel.: 0 69/91 32-38 50
Prognoseübersicht Deutschland
Ausrüstungen: Vorkrisenniveau noch nicht erreicht
Index: Q3 2008 = 100, real
2014
2015
% gg. Vj.
1,6
1,5
1,8
1,6
Budgetsaldo
% des BIP
0,3
0,6
0,5
0,3
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
7,3
8,4
8,6
8,5
%
6,7
6,4
6,2
6,1
% gg. Vj.
0,9
0,3
0,6
1,5
BIP*, real
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
*kalenderbereinigt
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Sonstige Anlagen finden
zu wenig Beachtung
2016p 2017p
p = Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Ambivalent ist die Entwicklung der Investitionen. Die Wohnungsbauinvestitionen legen bereits seit
mehreren Jahren deutlich zu. 2016 dürften diese sogar um knapp 3 % steigen, nachdem im Vorjahr ein halb so hohes Plus erreicht worden war. Die Wohnungsknappheit in vielen Städten und
deren Umland bei gleichzeitig sehr günstigen Finanzierungsbedingungen und steigenden Einkommen führt zu deutlich höheren Wohnungsbaugenehmigungen. Ausbaumaßnahmen expandieren moderater als der Neubau. Der Nichtwohnungsbau hingegen stagniert bereits seit mehreren
Jahren. Die jüngste Auftragsentwicklung im Wirtschafts- und öffentlichen Bau lässt allerdings auch
hier eine allmähliche Besserung erwarten.
Wenig zufriedenstellend ist die Entwicklung der Ausrüstungsinvestitionen, die ihr Vorkrisenniveau
immer noch nicht erreicht haben. Politische Unsicherheiten und eine bislang nur durchschnittliche
Kapazitätsauslastung bei gleichzeitigem Druck auf die Verkaufspreise bremsen die Kapitalbildung.
Kurzfristig ist hier keine Änderung zu erwarten. So haben sich zuletzt gerade die Inlandsaufträge
der deutschen Investitionsgüterhersteller wenig erfreulich entwickelt. Nach einem Zuwachs von
3,7 % im vergangenen Jahr dürften die Ausrüstungen 2016 mit 4 % ähnlich stark zulegen.
Die Analyse der Investitionstätigkeit sollte sich nicht mehr nur auf Bau- und Ausrüstungsinvestitionen konzentrieren. Durch statistische Änderungen erreichten die sog. „sonstigen Anlagen“ 2015
einen Wert von fast 109 Mrd. Euro. Dies entspricht immerhin 54 % der Ausrüstungen bzw. 18 %
der gesamten Anlageinvestitionen. Diese Komponente setzt sich zu rund 72 % aus Investitionen in
Forschung und Entwicklung, zu etwa 23 % aus Softwareinvestitionen und zu ungefähr 5 % aus
Investitionen in Urheberrechte zusammen. Ein Gutteil der Digitalisierung der deutschen Wirtschaft
findet somit in dieser Komponente statt. Die sonstigen Anlagen wachsen verhältnismäßig stetig.
Beispielsweise kam es während der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 zu keinem Einbruch wie
bei den Ausrüstungen. Deswegen steigt langfristig die Bedeutung der sonstigen Anlagen, auch
wenn die Wachstumsraten moderat ausfallen.
1
Vgl. hierzu ausführlich Helaba Konjunktur Kompakt vom September, S. 2
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 5 . O K T O B E R 2 0 1 6 · © H E L A B A
2
KONJUNKT UR KOMPAKT
USA: Mit angezogener Handbremse
Im Jahr zum zweiten Quartal 2016 legte die US-Wirtschaft nur um unterdurchschnittliche 1,3 % zu.
Für das dritte Quartal rechnen wir zwar mit einer Dynamik oberhalb des mittelfristigen Trends von
rund 2 %. Gemessen an Erwartungen einer kräftigen Gegenbewegung bleibt der Zuwachs aber
wohl doch eher mäßig. So zeichnet sich nach dem ungewöhnlichen Lagerabbau im Frühjahr nun
nur ein leichter Aufbau ab. Damit wird das Lager auch in den kommenden Quartalen die Nachfrage
stützen, der Impuls im dritten Quartal fällt aber voraussichtlich recht gering aus. Auch bei den Ausrüstungsinvestitionen ist eine Belebung wahrscheinlich ausgeblieben. Wenig Schwung zeigen
aktuell die Daten zu den Staatsausgaben und zum Wohnungsbau. Der private Konsum und ein
höherer Außenbeitrag sollten aber helfen, das annualisierte Wachstum im Q3 auf 2,5 % bis 3 % zu
bringen. Für das Gesamtjahr wird es aber nur für einen Zuwachs von 1,6 % reichen.
Patrick Franke
Tel.: 069/91 32-47 38
Im Verlauf des Sommers waren vor allem die Augustdaten vieler Konjunkturindikatoren überraschend schwach. So gab der ISM-Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe um drei
Punkte auf einen Wert von 49,4 nach – er lag damit enttäuschenderweise wieder unter der Expansionsmarke von 50. Der Index außerhalb des Verarbeitenden Gewerbes fiel sogar um vier Punkte
auf seinen niedrigsten Stand seit sechs Jahren. Im September erholte sich die Stimmung in der
Industrie aber wieder deutlich (51,5). Dies ist auch für den Dienstleistungssektor zu erwarten. Damit zeichnet sich eine Fortsetzung des moderaten Wachstums ab. Relativ zu der geringen Dynamik bis ins zweite Quartal rechnen wir weiterhin mit einer gewissen Belebung. Hier dürfte sich zum
einen eine Erholung der Exporte durch eine Stabilisierung in den Schwellenländern und eine geringere dämpfende Wirkung der vergangenen Dollar-Aufwertung niederschlagen. Gleichzeitig
sollte die massive Korrektur bei den Investitionen im Energie- und Bergbausektor weitgehend
abgeschlossen sein. Dies wird ins Jahr 2017 hinein die Unternehmensinvestitionen stützen.
Prognoseübersicht USA
August-Delle wieder wettgemacht
ISM-Index Verarbeitendes Gewerbe und zum BIP-Wachstum passende Werte*
2014
BIP, real
% gg. Vj.
2015
2,4
2,6
2016p 2017p
1,6
2,5
Budgetsaldo*
% des BIP
-3,6
-3,3
-3,4
-2,8
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
-2,3
-2,6
-2,6
-2,6
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
65
60
60
55
55
50
50
45
45
40
%
6,2
5,3
4,8
4,3
35
% gg. Vj.
1,6
0,1
1,2
2,2
30
1992
* Bundesebene einschl. Sozialversicherungen (NIPA-Basis)
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
p = Prognose
65
Istwerte
Modellwert +/- 1 Standardabweichung
September
40
35
30
1996
2000
2004
2008
2012
2016
* ab Q3 2016 auf Basis unserer Wachstumsprognosen
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Angesichts des verhaltenen Wachstumstempos ist der robuste Zustand des Arbeitsmarktes umso
erstaunlicher. Von Januar bis August stieg die Zahl der Beschäftigten um fast 200.000 pro Monat.
Mit unter 5 % signalisiert die Arbeitslosenquote praktisch Vollbeschäftigung. Die Erstanträge auf
Arbeitslosenhilfe liegen relativ zur Beschäftigtenzahl auf einem Allzeittief. Die Löhne ziehen an.
Noch ein Zinsschritt 2016
Die Teuerung bewegt sich weiterhin im Rahmen unserer Prognosen. Die Kernrate ohne Energie
und Nahrungsmittel liegt seit geraumer Zeit im Bereich von 2 % bis 2,3 %. Daran dürfte sich zunächst nicht viel ändern. Wir gehen davon aus, dass der Ölpreis bis Mitte 2017 in der Bandbreite
von 45 bis 50 Dollar je Barrel bleiben wird. Dies reicht aus, um über einen Basiseffekt bei der
Energiekomponente die Gesamtteuerung gemessen am Verbraucherpreisindex in den kommenden Monaten von gut 1 % auf über 2 % zu hieven. Wir rechnen vor diesem Hintergrund unverändert damit, dass die Notenbank den Leitzins noch 2016 um 25 Basispunkte anheben wird – wahrscheinlich im Dezember. Im kommenden Jahr dürfte sich der sehr schleppende Zinserhöhungsprozess fortsetzen.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 5 . O K T O B E R 2 0 1 6 · © H E L A B A
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KONJUNKT UR KOMPAKT
Portugal: Wird alles wieder zurückgedreht?
Portugal hat bewiesen, dass es ein dreijähriges Rettungspaket der Troika aus EU, EZB und IWF
(bis Sommer 2014) erfolgreich durchlaufen kann. Der Reform- und Spareifer ist jedoch seither
schwächer geworden. Nach den Parlamentswahlen im Oktober 2015 übernahmen die Oppositionsparteien unter Führung der Sozialisten die Regierungsverantwortung. Die zuvor gewonnenen
fiskalischen Spielräume und die verbesserten Wettbewerbsbedingungen sind nun durch die Nachfragepolitik der neuen Regierung gefährdet. Obwohl die Wirtschaft von vier exogenen Faktoren –
gesunkener Ölpreis, niedrige Zinsen, schwächerer Eurokurs sowie Konjunkturaufschwung in Spanien – weiter profitiert, wird das Wachstum von 1,5 % (2015) voraussichtlich auf unter 1 % (2016)
zurückfallen. Die Aussichten für 2017 sind nicht viel besser (Prognose: 1,2 %).
Ulrich Rathfelder
Tel.: 0 69/91 32-20 32
So verständlich der Wunsch nach steigenden Einkommen und höherer Kaufkraft der Bevölkerung
ist, so problematisch können Wahlgeschenke für strukturschwache Länder wie Portugal sein. Die
deutliche Erhöhung des Mindestlohns bis 2017 um 10 %, die Wiedereinführung der 35-Stundenwoche im öffentlichen Sektor, die beschleunigte Aufhebung der zeitlich befristeten staatlichen
Lohnkürzungen, die Verwässerung der notwendigen Rentenanpassungen und der Verzicht auf
Privatisierungen von Staatsunternehmen belasten nicht nur den Staatshaushalt, sondern behindern erforderliche Strukturverbesserungen in der Wirtschaft. Vor allem wegen der gestiegenen
wirtschaftspolitischen Unsicherheiten sowie der schwachen Wachstumsaussichten gehen die Investitionen 2016 voraussichtlich leicht zurück. Die Direktinvestitionen werden sich wohl nur noch
auf einen Bruchteil vergangener Jahre belaufen. Zwar ist die Arbeitslosenrate seit 2013 auf 11 %
deutlich gesunken, die Jugendarbeitslosigkeit ist aber weiter außerordentlich hoch. Zudem werden
zwei Drittel der Arbeitnehmer unter 30 Jahren über Zeitverträge beschäftigt. Weitere Arbeitsmarktreformen sind daher angezeigt, um die Hemmschwelle für unbefristete Arbeitsverträge zu senken.
Prognoseübersicht Portugal
Risikoprämie Portugals deutlich gestiegen
Spread 10-jähriger Staatsanleihen gegenüber 10-j. Bundesanleihen
2014
BIP, real
% gg. Vj.
0,9
2015
1,5
2016p 2017p
0,9
1,2
400
400
350
350
300
300
Portugal
250
Budgetsaldo*
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
-7,2
-4,4
-4,1
-2,5
% des BIP
0,1
0,5
0,9
-0,6
%
13,9
12,4
11,3
10,6
% gg. Vj.
-0,2
0,5
0,7
1,1
200
200
Italien
150
100
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
*einschließlich Bankenhilfen
Quellen: EIU, Eurostat, Helaba Volkswirtschaft/Research
Stabile Leistungsbilanz
als Leuchtpunkt in der
Wirtschaftslage
Investitionen stark
p = Prognose
Spanien
50
0
01. Jan
250
150
100
50
23. Apr
13. Aug
03. Dez
24. Mrz
14. Jul
0
Quellen: Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
Wahrscheinlich muss auch die 2016 vorgesehene staatliche Kapitalzufuhr für die Caixa Geral de
Depósitos über 2,7 Mrd. Euro im Haushalt verbucht werden. Dann wird wie in den beiden letzten
Jahren das Budgetdefizit aufgrund von Kapitalspritzen für bedrohte Banken deutlich über 3 % des
BIP liegen, 2016 voraussichtlich bei 4,1 %. Zudem schränkt die im Euroraum dritthöchste Staatsverschuldung von 129 % des BIP die fiskalischen Spielräume stark ein. Die auch hohe Verschuldung des Privatsektors von 220 % des BIP belastet die Banken durch notleidende Kredite in Höhe
von 12 % des Kreditportfolios. Hoffnungen auf eine Überwindung der Wachstumshemmnisse
kommen jedoch von der Außenwirtschaft. Die Leistungsbilanz wird trotz der Konsum stimulierenden Maßnahmen und der steigenden Importe 2016 voraussichtlich einen Überschuss von 1 % des
BIP und 2017 nur ein leichtes Defizit erzielen. Dies ist für Portugal mit seinen bis 2012 hohen Leistungsbilanzdefiziten eine wichtige wirtschaftliche Verbesserung. Bei sinkenden Exporten in NichtEU-Länder wie Angola stützen die im ersten Halbjahr 2016 um fast 10 % gestiegenen Tourismuseinnahmen die Devisenlage des Landes. Zumindest außenwirtschaftlich ist die Wirtschaft daher
weitgehend im Gleichgewicht.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 5 . O K T O B E R 2 0 1 6 · © H E L A B A
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KONJUNKT UR KOMPAKT
Spanien: Politisch gelähmt
Spanien leistet sich ein unnötiges politisches Patt, das den starken Wirtschaftsaufschwung gefährdet. Bis zum 31. Oktober müsste eine Regierung gebildet werden, um eine weitere, die dann dritte
Wahl in Folge zu vermeiden. Sollte dies gelingen, bleibt die Frage, wie handlungsfähig diese Regierung dann wäre. Sollte es nicht dazu kommen, sind bei einer weiteren Wahl im Dezember 2016
erneut unklare Ergebnisse zu befürchten. Zwar wird Spanien 2016 wiederum stark wachsen. Das
Bruttoinlandsprodukt sollte mit rund 3 % etwa doppelt so stark zulegen wie in der Eurozone. Danach dürfte aber nach Jahren des Aufholens allmählich ein Normalisierungsprozess beginnen.
Politische Unsicherheiten könnten das Vertrauen der Unternehmen unterminieren. Die Dynamik
der Ausrüstungsinvestitionen, die in den vergangenen beiden Jahren mit über 10 % sehr lebhaft
angestiegen waren, könnte stärker leiden als notwendig. Bereits in diesem Jahr dürfte der Zuwachs deutlich niedriger ausfallen. In Gefahr ist darüber hinaus der Konsolidierungs- und Reformprozess. Nach dem höher als geplant ausgefallenen staatlichen Defizit von 5,1 % im vergangenen
Jahr dürfte es 2016 zu keiner nennenswerten Verringerung kommen. Wichtig wäre es für das
Land, trotz der jüngsten Erfolge den Reformprozess fortzusetzen. So basiert die industrielle Leistung weiterhin auf einer begrenzten Zahl von Wirtschaftsbranchen, deren Unternehmen häufig
ausländische Niederlassungen sind. Aktivitäten in Forschung und Entwicklung sind dementsprechend unterentwickelt. Defizite weisen nach wie vor das Bildungssystem und damit das Ausbildungsniveau der Arbeitskräfte auf.
Dr. Stefan Mütze
Tel.: 0 69/91 32-38 50
Prognoseübersicht Spanien
Außenhandel nicht mehr Wachstumstreiber
Komponenten des Bruttoinlandsprodukts, Index: Januar 2013 = 100, real
2014
2015
% gg. Vj.
1,4
3,2
3,0
2,1
Budgetsaldo
% des BIP
-5,9
-5,1
-4,9
-4,5
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
1,1
1,4
1,8
1,8
%
24,5
22,1
19,9
18,8
% gg. Vj.
-0,2
-0,6
-0,1
1,3
BIP, real
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Höhere Inflation begrenzt
2017 Konsumwachstum
2016p 2017p
p = Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Während der Außenhandel in den Jahren nach der Wirtschafts- und Finanzkrise bis 2012 maßgeblich zum Wachstum beigetragen hat, drehte sich die Situation 2013 um. Die realen Importe steigen
seither leicht stärker als die Exporte und dämpfen damit das Wachstum. Mit dem lebhafteren Konsum gehen verstärkte Einfuhren einher. Ein Problem des spanischen Handels ist die Häufung
wachstumsschwacher Destinationen. Allein Frankreich nimmt 15,5 % der spanischen Waren ab.
An zweiter Stelle steht zwar das dynamischere Deutschland (10,8 %). Danach kommen aber bereits Italien (7,5 %), das vor dem Brexit stehende Großbritannien (7,3 %) und das Krisenland Portugal (7,2 %). Die USA und China haben Anteile von nur 4,6 % bzw. 1,8 %. Trotzdem dürfte sich
der Leistungsbilanzüberschuss 2016 auf knapp 2 % des Bruttoinlandsprodukts belaufen, u.a. aufgrund des im Jahresdurchschnitt niedrigeren Ölpreises. Nach der langen Immobilien- und Baukrise
wächst seit 2014 die Bautätigkeit wieder, sowohl im Wohnungs- als auch im Nichtwohnungsbau.
2017 dürfte das Wirtschaftswachstum Spaniens mit gut 2 % schwächer ausfallen. Wichtigster
Wachstumsbringer bleiben die privaten Konsumausgaben. Obwohl das Konsumklima zuletzt etwas
zurückgegangen ist, liegt es immer noch über den Werten vor der Wirtschafts- und Finanzkrise.
Allerdings werden die Verbraucherpreise 2017 – nach dem nochmaligen leichten Rückgang in
diesem Jahr – um schätzungsweise gut 1 % steigen. Im Jahresdurchschnitt dürften die Ölpreise
2017 moderat höher ausfallen als in diesem Jahr. Damit sind kaum mehr reale Lohnsteigerungen
zu erwarten. Hingegen sollte sich der Beschäftigungsaufbau fortsetzen.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 5 . O K T O B E R 2 0 1 6 · © H E L A B A
5
KONJUNKT UR KOMPAKT
Polen: Hoffen auf Banken-Brexit nach Warschau
Im ersten Halbjahr legte das Wachstum des polnischen BIP im Durchschnitt um 2,8 % gegenüber
dem Vorjahr zu und verlor damit im Vergleich zu 2015 etwas an Schwung. Für das Gesamtjahr
2016 sollte ein Zuwachs von 3 % erreichbar sein. Dafür spricht die verbesserte Arbeitsmarktsituation als solide Grundlage für den privaten Verbrauch. Aber auch die Prämie für Familien in Höhe
von 500 Zloty (je Monat ab dem zweiten Kind), für die 2016 über 4 Mrd. Euro veranschlagt sind,
lässt Verbraucherherzen höherschlagen. Einen mittelfristigen Wachstumsimpuls erhofft sich in
Polen so mancher von den Bewegungen, die das Brexit-Votum in der Bankenwelt auslösen dürfte.
Warschau wird in diesem Zusammenhang aufgrund der bereits ansässigen Großbanken als möglicher Kandidat für die Aufnahme von Banken genannt, die einen neuen EU-Standort suchen.
Marion Dezenter
Tel.: 0 69/91 32-28 41
Unter Kostenaspekten wären solche Überlegungen reizvoll: Während die Arbeitskosten je Stunde
in Polen bei durchschnittlich 8,62 Euro liegen, erreichen sie im EU-Durchschnitt rund 25 Euro.
Gleichzeitig war die Lebenshaltung für die privaten Haushalte (inklusive indirekter Steuern) 2015
nur etwa halb so teuer wie im EU-Durchschnitt. 2016 dürfte der Preisauftrieb mit -0,6 % erneut
deutlich im negativen Bereich liegen. Davon profitieren die Reallöhne. Erst 2017 wird sich die Teuerung mit voraussichtlich 2 % wieder normalisieren. Neben der Fiskalpolitik bleibt auch die Geldpolitik auf expansivem Kurs. Die Leitzinsen sind seit März 2016 bei 1,5 % stabil. Eine weitere Senkung wäre allenfalls bei einer noch deutlicher ausgeprägten Disinflationsentwicklung oder konjunkturellen Abschwächung zu erwarten.
Prognoseübersicht Polen
Privater Verbrauch mit guter Grundlage
Beschäftigungsquote in %; Nettoeinkommen sais.ber., in Mrd. Zloty
2014
2015
% gg. Vj.
3,3
3,6
3,0
2,7
Budgetsaldo
% des BIP
-3,3
-2,6
-3,0
-3,0
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
-2,0
-0,3
-1,0
-1,5
%
12,3
10,5
9,9
9,5
% gg. Vj.
0,0
-0,9
-0,6
2,0
BIP, real
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
Quellen: Macrobond, EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research
EU durchkreuzt
Gesetzespläne
der Regierung
2016p 2017p
p = Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die aktuelle Fiskalpolitik verhindert einen Rückgang des Budgetdefizits. Die Umsetzung von Wahlversprechen, wie die geplante Absenkung des Rentenalters, engt die Spielräume zusätzlich ein.
Die Einnahmen dürften außerdem geringer als beabsichtigt ausfallen, da die EU Einwände gegen
die eben in Kraft getretene Einzelhandelssteuer erhoben hat. In der bisherigen rund einjährigen
Amtszeit der rechtskonservativen Regierung traten solche Kontroversen mit der EU bereits mehrfach auf. Wegen Eingriffen in die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts setzte die EU Ende Juli
sogar die zweite Stufe des Rechtsstaatlichkeitsverfahrens in Gang und übermittelte Empfehlungen
mit einer Frist bis Ende Oktober. Auch wenn Ungarn bereits sein Veto signalisiert hat, falls Polen
der Verlust von Stimmrechten drohen sollte, so könnten der Konfrontationskurs und Maßnahmen,
die immer wieder vorwiegend ausländische Konzerne belasten, dem Land doch schaden.
Denn für internationale Banken, die im Zuge des Brexit auf der Suche nach Rechtssicherheit sind,
dürften solche Unwägbarkeiten und ein problematisches Verhältnis zur EU die Entscheidung für
Polen erschweren. Ohnehin sprechen andere Aspekte, wie die deutlich geringere Größe des Finanzplatzes und die mangelnde Präsenz internationaler Institutionen, gegen Warschau als erste
Wahl für vom Brexit betroffene Geldhäuser. Allerdings könnte die gerade erfolgte Bündelung der
Wirtschafts- und Finanzpolitik in einem „Superministerium“ unter anderem zu einer höheren
Schlagzahl bei den relevanten Entscheidungen führen, um auch beim Thema Finanzplatz-Positionierung zu punkten.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 5 . O K T O B E R 2 0 1 6 · © H E L A B A
6
KONJUNKT UR KOMPAKT
Prognoseübersicht
Bruttoinlandsprodukt
Verbraucherpreise
reale Veränderung gg. Vorjahr, %
Veränderung gg. Vorjahr, %
2014
2015
2016p
2017p
2014
2015
2016p
2017p
1,1
1,9
1,6
1,5
0,4
0,0
0,4
1,4
1,6
1,5
1,8
1,6
0,9
0,3
0,6
1,5
Frankreich
0,7
1,2
1,4
1,4
0,6
0,1
0,4
1,4
Italien
-0,3
0,6
0,9
1,2
0,2
0,1
0,2
1,3
Spanien
1,4
3,2
3,0
2,1
-0,2
-0,6
-0,1
1,3
Niederlande
1,4
2,0
1,7
1,6
0,3
0,2
0,2
1,0
Österreich
0,6
1,0
1,3
1,4
1,6
0,9
1,1
1,6
Griechenland
0,7
-0,3
-0,7
1,4
-1,4
-1,1
-0,1
1,0
Portugal
0,9
1,5
0,9
1,2
-0,2
0,5
0,7
1,1
Irland
8,4
26,3
4,7
3,0
0,3
0,0
0,1
1,4
Großbritannien
3,1
2,2
1,3
0,7
1,5
0,1
0,9
2,7
Schw eiz
2,0
0,8
1,3
1,5
-0,1
-1,1
-0,3
0,6
Schw eden
2,6
4,1
3,1
2,5
-0,2
0,0
0,9
1,4
Norw egen
1,9
1,6
1,3
1,4
2,0
2,1
3,4
2,2
Polen
3,3
3,6
3,0
2,7
0,0
-0,9
-0,6
2,0
Ungarn
3,7
2,9
2,0
2,7
-0,2
-0,1
0,3
2,2
Tschechien
2,7
4,5
2,4
2,5
0,4
0,3
0,8
1,9
Russland
0,6
-3,7
-1,2
1,2
7,8
15,5
7,5
5,5
USA
2,4
2,6
1,6
2,5
1,6
0,1
1,2
2,2
Japan
-0,1
0,6
0,4
0,7
2,7
0,8
0,0
0,5
Asien ohne Japan
5,7
5,4
5,1
5,0
3,6
2,5
2,8
3,1
China
7,3
6,9
6,5
6,0
2,1
1,5
2,0
2,3
Indien
7,2
7,5
7,0
6,8
6,7
4,9
5,1
5,5
1,3
0,1
-0,5
1,8
10,7
13,0
17,0
14,0
0,1
-3,8
-3,0
1,0
6,3
9,0
8,5
5,5
3,2
3,0
2,7
3,2
3,4
3,0
3,5
3,7
Euroland
Deutschland
Lateinamerika
Brasilien
Welt
p = Prognose; BIP-Wachstum soweit verfügbar kalenderbereinigt
Quellen: EIU, Macrobond, Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
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