PM 16 Veranstaltungsbericht EnOB

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Strategien für einen
klimaneutralen Gebäudebestand
Ergebnisbericht zum EnOB-Symposium 2014 »Energieinnovationen in Neubau und Sanierung«
11. April 2014
Mit welchen Gebäude- und Sanierungskonzepten ist die Energiewende im
Gebäudesektor machbar? Welche neuen Technologien, Energiesysteme und Methoden
eröffnen hierfür neue Perspektiven? Und welche Trends zeichnen sich für die nächsten
Jahre ab? Diese Fragen diskutierten mehr als 300 Experten aus Architektur und
Gebäudeplanung, aus Immobilienwirtschaft und Liegenschaftsverwaltung, dem
Bauwesen sowie aus der Forschung auf dem EnOB-Symposium 2014 in Essen. Sie
trafen sich im industriehistorischen Ambiente der Zeche Zollverein zum
Ideenaustausch. Diskutiert wurden die Ergebnisse und Erfahrungen aus den Projekten
der Forschungsinitiative EnOB. Wichtige Themen waren dabei neue Konzepte für
die Gebäudesanierung und die aktive Einbindung von Gebäuden in Strom- und
Wärmenetze.
Mehr als 150 Jahre wurde in der Zeche Zollverein Steinkohle gefördert. Doch weil sich in
Deutschland das Kohlezeitalter dem Ende zuneigt, dient die unter Denkmalschutz stehende
Anlage schon seit vielen Jahren als industriehistorisches Museum. Es war also genau der richtige
Ort, um Ideen und Pläne für das postfossile Zeitalter zu schmieden. Mit einem zweitägigen
Symposium stellte die Forschungsinitiative EnOB am 20.-21. März 2014 neue Technologien,
Komponenten und Systeme aus der Energieforschung vor. Unter dem Motto „Energieinnovationen in Neubau und Sanierung“ wurden die Möglichkeiten für den Einsatz neuer
Technologien und Konzepte in Neubau und Sanierung beispielhaft aufgezeigt. Im Kontext
wissenschaftlich evaluierter Demonstrationsprojekte waren Energieeffizienz, Raumkomfort,
Lebenszykluskosten und Wirtschaftlichkeit sowie Energiesystemoptimierung die entscheidenden
Themen.
Sanierung muss unkomplizierter und kostengünstiger werden
Die Sanierung von Wohngebäuden erfordert langwierige Baumaßnahmen, während die Gebäude
zumeist weiter genutzt werden. Das ist nicht gerade unkompliziert. Zudem amortisieren sich die
baulichen Maßnahmen oft erst nach vielen Jahren über reduzierte Energiekosten. Sanierung
muss also, darin waren sich alle Teilnehmer der Veranstaltung einig, einfacher und
kostengünstiger werden, um für alle Beteiligten attraktiver zu werden. Industrielle Vorfertigung
im Baukastenprinzip und Konzepte der Systemintegration sind mögliche Strategien zur Senkung
der Sanierungskosten bei gesteigerter Ausführungsqualität.
Es gibt bereits einige Forschungsansätze zur Sanierung von Gebäuden mit großen, vorgefertigten
Elementen. Die bereits praktisch erprobten Konzepte reichen von großformatigen Holzelementen
mit und ohne Integration von gebäudetechnischen Systemen bis hin zu kleinformatigen
Fensterrahmenmodulen. Doch die Vision von komplett vorgefertigten Fassaden ist nicht nicht so
einfach umsetzbar. Der Projekt- und Planungsaufwand ist bei diesen Konzepten in vielen Fällen
höher als bei der individuellen Sanierung auf der Baustelle.
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Kleinformatig vorgefertigte Fassadensysteme im Vorteil
Michael Krause vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) in Kassel verspricht sich weiter
Vorteile von einer industriellen Vorfertigung. In einem Forschungsprojekt seines Instituts wurden
kleinformatige Fensterkragensysteme entwickelt. Das einzelne Element besteht neben dem
eigentlichen Fenster samt Fensterzarge aus einer Technikbox und einem Dämmstoffrand. Es wird
als selbsttragendes Modul von außen in die alte Fensterlücke geschoben und überdämmt die alte
Fassade im Fensterbereich. In die Technik-Box lassen sich Komponenten wie Lüfter,
Wärmetauscher, dezentrale Heizungsmikropumpen und Filter einbauen. Auch Stromanschlüsse,
Lüftungskanäle oder Internetkabel können unter dem Dämmstoff und über die Technikbox ins
Haus geführt werden.
„Kleinformatige Systeme sind in der Baupraxis einfacher und kostengünstiger realisierbar,“ sagt
Michael Krause. „Aber Vorfertigung und Multifunktionalität erfordern neue Geschäftsmodelle,
gewerkeübergreifende Ansätze und neue Abläufe im Bauprozess,“ ergänzt Krause.
Gebäudesanierung stabilisiert Stromnetz
Gibt es eine Wechselwirkung zwischen Gebäudesanierung und erneuerbare Energien? Diese
Frage ist ein Thema in verschiedenen Forschungsprojekten. In einer Studie des FraunhoferInstituts für Solare Energiesysteme (ISE) haben die Forscher die Auswirkungen auf das
Stromnetz untersucht, wenn im deutschen Gebäudebestand die Treibhausgasemissionen bis
2050 um 85 Prozent reduziert werden. Demnach sinken die Anforderungen an Strom - und
Wärmenetze, wenn mit einer umfassenden Sanierung ein hoher Wärmeschutz für den
Gebäudebestand erreicht wird. „Konsequente Sanierung reduziert nämlich den Bedarf an
fluktuierendem Solar- und Windstrom“, erläutert Sebastian Herkel vom Fraunhofer ISE.
Gebäude machen sich netzdienlich
Doch die Forscher trauen Gebäuden auch eine aktivere Rolle im künftigen erneuerbaren
Stromnetz zu. „Gebäude können in Zukunft überschüssigen Solar- und Windstrom hocheffizient
in Form von Wärme und Kälte nutzen und speichern“, so Herkel weiter. Dazu müsse die
Interaktion der Gebäude mit den Strom- und Wärmenetzen steigen, die Energienutzung müsse
flexibler, die Gebäude könnten „netzdienlicher“ werden. Die sogenannte Netzdienlichkeit von
Gebäuden meint die Fähigkeit, den Strombedarf zeitlich verschieben zu können. Hierfür sind
geeignete Regelungsstrategien für die Gebäudeenergietechnik erforderlich, um
Wärmekapazitäten im Gebäude, also beispielsweise die thermische Speichermasse der
Gebäudekonstruktion, so zu nutzen, dass hoher Strombedarf mit den Erzeugungskapazitäten des
Stromnetzes synchronisiert wird.
Netzdienlichkeit kann also durch technologische Innovationen vor allen im Bereich der
Speichertechnik und mit der Gebäudeautomation erreicht werden. Aus wirtschaftlichen Gründen
eignen sich hierfür zunächst große Bürogebäude und andere Nichtwohngebäude mit komplexer
Gebäudetechnik.
Neues Designkriterium für Gebäudeplaner
„Vieles spricht dafür, dass Netzdienlichkeit zum weiteren, grundlegenden Designkriterium für die
zukünftige Gebäudeplanung avanciert, das gilt insbesondere im Kontext eines regenerativen
Stromnetzes,“ meint Karsten Voss von der Bergischen Universität Wuppertal. Doch noch gibt es
weiter offene Fragen: Wie kann Netzdienlichkeit definiert werden? Was bedeutet sie konkret für
die Gebäudeenergiekonzepte und für die Gebäudesanierung? Und wie kann Netzdienlichkeit
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methodisch begründet, quantifiziert und bewertet werden? In weiteren Projekten der
Forschungsinitiative EnOB soll dies genauer geklärt werden.
Gebäude könnten vom rein bedarfsgesteuerten Stromverbraucher zum interaktionsfähigen
Partner mit Energiespeicherpotenzial für Strom- und Wärmenetze fortentwickelt werden. Dabei
spielen regenerativ und reversibel betriebene Wärmepumpen eine besondere Rolle. Verschiedene
Forschungsprojekte dokumentieren, wie effizient in Gebäuden mit thermischer Bauteilaktivierung
die Erdreichwärme über Erdsonden zur Gebäudetemperierung genutzt wird – zur Beheizung und
zur Kühlung.
Demand-Side-Management mit elektrischen Wärmepumpen
Es gibt im Nichtwohnungsbau offensichtlich einen Trend zur Wärme- und Kältebereitstellung über
reversible, erdreichgekoppelte Wärmepumpen in Verbindung mit thermischer Bauteilaktivierung.
Doreen Kalz vom Fraunhofer ISE hat ein gutes duzend solcher Anlagen einer genaueren
energetischen und wirtschaftlichen Analyse unterzogen. Die Anlagen werden in EnOBModellprojekten betrieben, also in Gebäuden, die einem wissenschaftlichen Monitoring
unterzogen werden. Neben der Jahresarbeitszahl als Maßstab für die Energieeffizienz
interessierte bei der Analyse auch das Zeitprofil der Stromnachfrage, um die Netzdienlichkeit,
also die Eignung des Anlagenbetriebs für regenerativ gespeiste Stromnetze beurteilen zu können.
Die untersuchten Anlagen verhalten sich dabei ziemlich unterschiedlich, was auf Unterschiede im
Anlagendesign und in der Betriebsführung zurückzuführen ist. Tendenziell waren die
untersuchten Anlagen noch nicht netzdienlich. Dies gilt vor allem fürs Heizen. Beim Kühlen ist die
Situation oft günstiger, weil reaktionsschnelle Kühldecken und Randstreifenelemente beim
lastgeführten Betrieb die größte Stromnachfrage in Zeiten hoher Solar- und Windstromanteile
haben.
Zeitliche Anpassung der Stromnachfrage
„Es gibt verschiedene technische Möglichkeiten, die Stromnachfrage solcher Anlagen in einen
bestimmten Zeitkorridor zu verschieben, um sie netzdienlicher zu betreiben,“ sagt Doreen Kalz.
„Beispielsweise mit ergänzenden Kühl- und Heizelementen, um auch in den Mittagszeiten Kühloder Heizenergie schnell an den Raum übergeben zu können, oder mit zusätzlichen
Wärmespeichermassen oder angepassten Regelungsstrategien,“ erläutert Kalz weiter. Noch lohne
sich ein Abweichen vom rein lastgeführten oder zeitstarren Betrieb der Anlagen wirtschaftlich
nicht. Hierfür müssten stärkere Anreize für eine netzdienliche Charakteristik der Stromnachfrage
geschaffen werden, beispielsweise durch zeitvariable Tarife.
Blick auf zukünftige Energieversorgungsstrukturen
Am Abend des ersten Veranstaltungstages sollte Martin Pehnt vom Forschungsinstitut ifeu in
Heidelberg mit seiner keynote den Blick noch weiter auf das Große und Ganze öffnen: Er fragt
sich, wie denn das Ziel der Bundesregierung, bis 2050 einen „nahezu klimaneutralen
Gebäudebestand“ zu erreichen, machbar ist? Welche Maßnahmen kommen in Betracht und mit
welchem Energiesystem haben wir es als Planer und Betreiber von Gebäuden dann zu tun?
„Trotz aller Unsicherheit über die zukünftigen Energieversorgungsstrukturen und den
Transformationspfad dorthin sollten wir nicht abwarten. Denn wir wissen immerhin, dass
grundlegende Maßnahmen zur gebäudebezogenen Energieeffizienz, wie beispielsweise
konsequente Wärmedämmung oder kleinere Temperaturdifferenzen für Heizung und Kühlung,
den Möglichkeitsraum für zukünftige Energiesysteme erweitern,“ sagt Martin Pehnt.
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Strategien für Klimaneutralität im Gebäudebestand
Für das Ziel Klimaneutralität gebe es verschiedene Strategien, die teils in Konkurrenz zu
einander stehen und sich teilweise auch ergänzen könnten: Energieeffizienz oder Erneuerbare
Energien, Stromnetze oder Wärmenetze, Wärmespeicher oder Stromspeicher, gebäudebezogene
oder regional vernetzte Energieversorgungsstrukturen und so weiter. Hinzu komme die
Konkurrenz vieler Einzeltechnologien. Die Experten seien sich noch nicht im Klaren, welche
Technologien, Strukturen und Maßnahmen am sichersten und kostengünstigsten zur
Klimaneutralität führen. Aber er ist überzeugt, dass eine neue Wärmeversorgungsstruktur
kommen wird und dass Wärmenetze generell an Bedeutung gewinnen. Dabei werde es mehr
quartiersbezogene Kraft-Wärme-Kopplung geben, die zudem stärker stromgeführt und
wärmeseitig flexibilisiert sein muss. Die für Pehnt wichtigen Wärmenetze werden via
Blockheizkraftwerke und Wärmepumpen mit dem Stromnetz gekoppelt. Mit großen
Wärmespeichern könne dann überschüssiger Strom auch in Form von Wärme gespeichert
werden, beispielsweise in Tag-Nacht-Zyklen über die thermische Speichermasse von Gebäuden.
Die große Chance von Wärmenetzen
„Die große Chance von Wärmenetzen liegt darin, dass durch Technologiewechsel und –sprünge
bedingte Effizienzsteigerungen zentral und nicht in vielen tausend Heizkellern realisiert werden
können“, schlussfolgert Pehnt. „Außerdem bringen Wärmenetze mit geeigneter Stromkopplung
mehr Flexibilität für die Stromnetze. Auch die Nutzung industrieller Abwärme wird wieder
interessanter,“ ergänzt Martin Pehnt. Allerdings machte er auch deutlich, dass
Blockheizkraftwerke und erneuerbare Energien in Konkurrenz stehen. Mehr Einspeisung von
regenerativer Energie in Strom- oder Wärmenetze schmälere die Möglichkeiten, Wärme aus
Kraft-Wärme-Kopplung wirtschaftlich am Markt zu platzieren.
Gebäude interagieren mit Wärme- und Stromnetzen
Sogenannte netzreaktive Gebäude werden mit Strom- und Wärmenetzen interagieren können
und eine fluktuierende Einspeisung erneuerbarer Energien in diese erleichtern. Erst mit einer
hohen Energieeffizienz sowie Energiemanagement- und Netzinteraktionsfähigkeiten können
erneuerbare Energien zum Rückgrat des Stromnetzes werden. Solche Gebäude haben nur sehr
wenig Wärme- und Kältebedarf, eine gute Wärme- und Kältespeicherfähigkeit und sie können mit
den Netzen interagieren und deren momentanes Leistungsvermögen berücksichtigen.
Dieser Bericht kann nur einen kleinen Teil der Tagungsthemen beleuchten. In dem Tagungsband
zum EnOB-Symposium 2014 finden sich alle Vorträge in Manuskriptform sowie die mehr als 130
gezeigten Projektpräsentationen der Posterausstellung. Eine Langfassung dieses Berichts gibt es
auf der Website der Forschungsinitiative EnOB.
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Hintergrund: Forschungsinitiative EnOB
Der Kongress wurde veranstaltet von der Forschungsinitiative EnOB – Energieoptimiertes Bauen.
In den Forschungsprojekten geht es um Gebäude mit minimalem Primärenergiebedarf und
hohem Nutzerkomfort – und das bei moderaten Investitions- und deutlich reduzierten
Betriebskosten. Zugleich wird in verschiedenen Forschungsteams an dem Gebäude der Zukunft
gearbeitet. Weil in der Gebäudesubstanz das größte Energieeinsparpotenzial steckt, gibt es einen
Forschungsakzent zur energetischen Sanierung. Daneben werden intensiv neue Materialien,
Technologien und Systeme für die Bautechnik und die technische Gebäudeausrüstung entwickelt
und unter realen Bedingungen getestet.
Hinweise für die Redaktionen
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