Ein Sommertag

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Immer wenn ich nach dem Leben
griff…
Inhalt
Nadja ......................................................................................................................................... 2
Wiedersehen im Wald ............................................................................................................ 6
Engel ........................................................................................................................................ 10
Gewitterträume...................................................................................................................... 14
Einladung zum Ball ............................................................................................................... 20
Tanzsaal .................................................................................................................................. 24
Diskussionen .......................................................................................................................... 35
Falsches Spiel ......................................................................................................................... 39
„Hütet euch vor der Finsternis!“ ......................................................................................... 44
Alptraum ................................................................................................................................ 48
Unerwartete Hilfe .................................................................................................................. 52
Wahrheit ................................................................................................................................. 57
Ein süßes Geheimnis ............................................................................................................. 60
Schwäche ................................................................................................................................ 63
Erklärungen ............................................................................................................................ 67
Unterricht ............................................................................................................................... 73
Überleben................................................................................................................................ 77
Die letzte Ruhe ....................................................................................................................... 81
Schatten der Vergangenheit ................................................................................................. 85
Amore Motus ......................................................................................................................... 94
Traum oder Wirklichkeit? .................................................................................................... 99
Gravil ..................................................................................................................................... 102
Verlobung ............................................................................................................................. 107
So viel mehr .......................................................................................................................... 110
Unter freiem Himmel.......................................................................................................... 116
Jahreszeiten .......................................................................................................................... 119
Herbert .................................................................................................................................. 123
Im Angesicht des Todes ..................................................................................................... 125
Ein Angebot zum Sterben .................................................................................................. 130
Vertrauen .............................................................................................................................. 134
Pläne ...................................................................................................................................... 140
Frost an einem Sommertag ................................................................................................ 143
Die Nacht beginnt ............................................................................................................... 147
Schwerwiegende Folgen..................................................................................................... 149
Im Kerker .............................................................................................................................. 153
Mit Blut besiegelt ................................................................................................................. 157
1
Verfehlt ................................................................................................................................. 161
Neue Hoffnung .................................................................................................................... 165
Ein Sommertag..................................................................................................................... 169
Epilog .................................................................................................................................... 173
Nadja
Transsylvanien, Sommer 1616
„Ich denke, es wäre gut für dich, würdest du dich mehr um deine Pflichten
kümmern, anstatt deine Zeit mit irgendwelchen kindischen Träumereien zu
vergeuden!“
Der hochgewachsene Mann ging unruhig in dem großen Saal auf und ab. Er sprach
mit einem anderen Mann, der gut 20 bis 30 Jahre jünger war, als er. Dieser stand am
Fenster und sah in die Landschaft, die von der Frühlingssonne in helles warmes
Licht getaucht wurde.
„Es tut mir leid, Vater.“
Er wandte sich dem anderen zu.
„Es ist nur so, dass diese Pflichten -“
„Du bist ein Taugenichts, Breda! Jeder andere -“
„Ich bin aber nicht ‚Jeder andere‘, Vater!“ unterbrach Breda ihn.
Sein Vater blieb stehen.
„Ganz recht. Du bist mein Sohn und wirst eines Tages meine Aufgaben als Graf
übernehmen.“
Er maß seinen Sohn mit einem kühlen abschätzigen Blick.
„Ich wünschte nur, du würdest dich auch so verhalten.“
Mit diesen Worten verließ der Graf den Saal. Breda blieb noch einen Augenblick am
Fenster stehen. Dann ging auch er.
Er wusste, dass er seinem Vater nicht der Sohn war, den dieser sich wünschte. Sein
Vater, der jetzige Graf von Krolock, hätte sich einen Sohn gewünscht, der seiner
Familie Ehre gemacht hätte, indem er sich bei den höher stehenden Herren gutstellte
und gegen die Türken kämpfen würde. Doch er hielt nicht viel davon, sich bei
anderen Menschen einzuschmeicheln. Und auch für den Kampf konnte man ihn
nicht wirklich gewinnen. Er hatte Träume. Ja. Weil er das Gefühl hatte, ohne sie in
den Machenschaften seines Vaters unterzugehen. Doch war es nicht so, dass er sich
den ganzen Tag in einer Märchenwelt verlor. Er war kein Narr. Bei weitem nicht.
Aber er hatte so viele Idee. So viele Gedanken, wie man zumindest das Leben hier
auf dem Schloss besser gestalten könnte. Wie man sich besser um die Bauern der
Umgebung kümmern könnte. Seine jetzigen Pflichten waren der reine Unfug. Ob er
ihnen nachkam oder nicht, kam auf das gleiche raus. Das einzige was sie bewirkten,
war dass sie ihn einsperrten. Sie hielten ihn von den Sachen ab, die er als wichtiger
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erachtete. Aber es war sinnlos, seinem Vater mit so etwas zu kommen. Er verstand
ihn nicht. Wollte ihn nicht verstehen.
Seufzend ging Breda hinunter zu den Pferdeställen. Bei einem Ausritt würde es ihm
besser gehen. Die frische Luft würde seinen Ärger abkühlen.
Breda ließ sich die kühle Frühlingsluft um die Nase wehen. Er hatte recht gehabt,
sein Ärger über die Sturheit und Verbohrtheit seines Vaters war wenigstens für
diesen Moment verflogen. Und er würde es genießen.
Sein Weg führte ihn zu einem kleinen Dorf am Rande des Waldes. Es waren
eigentlich nur ein paar Holzhütten und eine kleine Kirche. Breda kam öfters in dieses
Dorf und so kannten ihn die Leute und hießen ihn willkommen. Ein kleines
Mädchen lief ihm entgegen. „Breda! Breda!“ Er stieg vom Pferd und die Kleine
sprang in seine Arme. „Guten Tag, kleine Natascha. Wie geht es dir?“ Natascha
strahlte ihn an. „Mama hat mir eine Puppe geschenkt!“ Sie lachte. Breda freute sich
über die unbeschwerte Freude des Mädchens.
Da kam auch schon die Mutter.
„Natascha! Wie oft hab ich dir denn schon gesagt, dass du dich bei hohem Besuch
etwas anständiger benehmen sollst?“
Die junge Frau wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Breda lächelte sie an.
„Sylva, schön euch zu sehen. Und ihr wisst doch, dass ich eurer Kleinen nichts
übelnehmen kann. Erstrecht nicht, wenn sie die einzige ist, die mich wie einen
Menschen behandelt.“
Natascha lachte und gab ihm einen übermütigen kleinen Schmatzer auf die Wange.
„Das ist lustig! Wie soll ich dich denn sonst behandeln? Du bist doch ein Mensch!“
Breda musste grinsen und wuschelte dem Mädchen durch die Locken.
„Wie geht es der Familie, Sylva?“
Er setzte Natascha ab und führte seinen Braunen runter von der Straße, damit er
niemandem in Weg war. Sylva seufzte und ließ die Schultern hängen.
„Ach, seitdem die Steuern erhöht wurden, geht es immer mehr bergab. Es war
vorher schon schwer, aber nun ist es fast unmöglich.“
Breda schenkte ihr ein tröstendes Lächeln.
„Ich wünschte, ich könnte etwas für euch tun. Aber ich kann es nicht. Mein Vater
hält mich von allem fern, was wichtig ist.“
„Macht euch um mich keine Sorgen. Ich tu es auch nicht. Aber mein kranker Vater!
Und Natascha erst! Ich wünschte, ich könnte ihr mehr bieten, als ich habe! Diese
verdammten Halsabschneider!“
Das war es, was Breda so an dieser Familie schätzte. Sie waren ehrlich und
versuchten nicht, sich bei ihm besser darzustellen. Sie schimpften ja sogar in seiner
Gegenwart über die Machenschaften seiner Kreise.
Natascha zupfte an seinem Mantel.
„Kannst du die bösen Menschen nicht einfach wegmachen? Mama ist immer so
traurig!“
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Breda lächelte die Kleine traurig an. Wie süß und unschuldig sie doch war! Sie hatte
es nicht verdient in so einer Welt aufzuwachsen.
„Weißt du, Natascha, das geht nicht so einfach.“
„Aber du kannst denen doch einfach sagen, dass es der Mama schlecht geht!“
„Sie würden nicht auf mich hören!“
Trotzig verschränkte Natascha die Arme vor der Brust.
„Dann geh ich hin und sag es ihnen!“
Sylva fasste Natascha bei der Hand und strich ihr einmal kurz über das lockige
braune Haar.
„Komm, Natascha. Geh schon mal rein und guck ob noch genügend Brot da ist. Ich
komme gleich nach.“
Breda und Sylva sahen dem kleinen Mädchen nach, wie sie schnell ins Haus lief.
„Ich würde euch etwas zu essen anbieten, aber …“
Breda unterbrach sie.
„Ich habe keinen Hunger. Und ich muss auch bald wieder zurück. Die Sonne geht
unter.“
In Wahrheit wollte er ihnen bloß nicht das hart verdiente Brot wegessen. Die
Menschen hier hatten sowieso schon zu wenig. Und auf dem Schloss gab es
ausreichend zu essen. Er dachte darüber nach, ob er beim nächsten Mal etwas
mitbringen sollte. Auffallen würde es nicht. Jedenfalls war die Wahrscheinlichkeit
sehr gering.
In diesem Moment kam eine junge Frau aus dem Haus. Sie war zierlich. Wilde rote
Locken umschmeichelten ihr sommersprossiges Gesicht. Ihre grünen Augen
strahlten.
Breda hatte die Frau noch nie gesehen.
„Meine Nichte Nadja.“ Stellte Sylva sie vor.
„Nadja, das ist Breda von Krolock. Der Sohn des Grafen.“
Nadja lächelte ihn an. Es war ein bezauberndes Lächeln.
„Ich habe euch hier noch nie gesehen, Nadja.“ Gab Breda zu.
Nadja lachte.
„Ich bin auch das erste Mal hier. Ich komme aus der Gegend von Cluj-Napoca.“
„Das ist eine weite Reise gewesen. Vor allem für eine junge Dame.“
Sie lächelte kokett.
„Ich kann schon auf mich aufpassen, mein Herr. Im letzten Winter bin ich 18
geworden.“
Jetzt lachte auch Breda.
„Nun dann, müssen sich eure Eltern keine Sorgen um euch machen.“
Sylva beobachtete die beiden stirnrunzelnd. Schließlich wandte sie sich Nadja zu.
„Würdest du bitte nach Natascha gucken. Wenn man nichts von ihr hört, kann man
meistens davon ausgehen, dass sie gerade wieder etwas anstellt.“
Nadja nickte und lächelte Breda nochmals zu.
„Es hat mich gefreut euch kennen zu lernen.“
Breda machte eine kleine Verbeugung.
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„Die Freude war ganz auf meiner Seite, Nadja. Vielleicht sehen wir uns ja mal
wieder.“
Mit einem kecken Grinsen auf dem reizenden Gesicht erwiderte sie: „Vielleicht.“
Und verschwand durch die Tür ins Innere des Hauses. Breda blickte ihr noch einen
Augenblick hinterher. Dann stieg er auf sein Pferd.
„Seid vorsichtig auf eurem Heimweg. Die Wölfe sind wieder hungrig.“ Meinte Sylva
und sah zum Waldrand, dann zur untergehenden Sonne.
„Keine Angst. Noch ist es nicht dunkel. Und ich wage zu behaupten, dass mein
Brauner schneller ist als ein Wolf.“ Beruhigte er sie.
Dennoch konnte er mit diesen Worten nicht die sorgenvolle Miene auf Sylvas Gesicht
wegwischen.
Breda wusste, dass Sylva mit „Wölfen“ etwas ganz anderes meinte. Es gab hier in
Transsylvanien die Legende vom Nosferatu. Einem blutsaugenden untoten Wesen,
dass nur nachts unter freiem Himmel wandeln konnte. Allerdings nannte der
Volksmund ihn eher Vampir. Oder man nutzte das Synonym „Wolf“. Die Menschen
hier in der Gegend hielten strickt an diesem Aberglauben fest. Wahrscheinlich würde
kein Mensch sie je davon abbringen können.
Breda selber glaubte nicht an diese Schauermärchen. Er war davon überzeugt, dass
es eigentlich nur Gruselgeschichten für kleine Kinder waren, die damit dazu
gebracht wurden, auf ihre Eltern zu hören. „Wenn du jetzt nicht hörst, kommt der
Vampir und holt dich!“ Doch er respektierte die Menschen und würde es sich nicht
erlauben, ihren Glauben und ihre Traditionen in Zweifel zu ziehen.
Er grüßte Sylva nochmals und machte sich dann auf den Heimweg.
Die dunkelrote Sonne stand tief am Himmel und hüllte die Gegend in ein dämmriges
Licht. Auf der anderen Seite sah Breda den aufgehenden Mond.
Der kühle Abendwind zerrte an seinem Umhang, während Breda auf das Schloss
zuritt, welches majestätisch an einem Berg lag und über die Landschaft blickte.
Er ritt auf sein Zuhause zu, doch in Gedanken weilte er immer noch in dem
Bauerndorf und ein kleines sehnsüchtiges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
Es war wirklich ein nettes Mädchen gewesen.
Nadja.
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Wiedersehen im Wald
In den folgenden Tagen fiel es Breda etwas leichter als sonst, die Arroganz seines
Vaters zu ignorieren. Was dieser nicht besonders lustig fand, da er es hasste, wenn
ihn jemand ignorierte. Am Essenstisch platzte ihm jedenfalls endgültig der Kragen
und er rauschte nach einer langen Schimpftirade mit hocherhobenem Kopf aus dem
Raum. Breda sah ihm hinterher. Er wollte ihn ja eigentlich gar nicht so in Rage
bringen. Doch egal was er tat, immer spukte ihm dieses fröhliche Lächeln durch den
Kopf. Die Art wie sie den Kopf schiefgelegt hat. Ihre funkelnden grünen Augen.
Sogar der kleine Leberfleck am Haaransatz über ihrem linken Ohr. Es schien als hätte
sich jedes Detail unwiderruflich in seinem Kopf eingebrannt. Es war wirklich
erstaunlich. Er hatte sie kurz gesehen, kurz mit ihr geredet, doch in diesen paar
Minuten hatte sie sich in sein Herz gedrängt. Er war nicht verliebt. Davon konnte
man nach dieser Zeit nicht reden, aber da war irgendetwas.
Er ritt jeden Tag aus. Jeden Tag war er voller Hoffnung SIE wiederzusehen. Und
jeden Tag war seine Hoffnung vergebens. Seiner Bitte, Nadja auszurichten, dass er
sie gerne wiedersehen würde, war Sylva ausgewichen. Sie wäre dieser Tage ziemlich
beschäftigt und sie wüsste nicht, ob sich das einrichten ließe. Langsam schien es
Breda wie verhext zu sein.
Am Sonntagnachmittag ging er langsam zum Schloss zurück. Sein Pferd führte er
neben sich her. Er wollte noch etwas Zeit zum Nachdenken haben, bevor er ankam.
Auf einmal erklang fröhliches Gelächter aus dem Wald. Neugierig folgt Breda dem
Geräusch und stieß auf eine kleine Lichtung. Ein kleines Mädchen saß in der Mitte
und hielt sich die Augen zu. Plötzlich nahm sie die Hände weg und sprang auf.
„Ich komme! Und egal, wo du dich versteckt hast, ich finde dich!“ rief Natascha
während sie zu den Bäumen rannte.
Oben auf einem Ast konnte Breda eine rothaarige Gestalt ausmachen. Nadja war
doch tatsächlich auf einen Baum geklettert, damit Natascha sie nicht fand. Der Plan
schien auch aufzugehen. Breda beobachtete die beiden lächelnd, bis Natascha ihn
bemerkte.
„Haaallooo, Breeedaa!“ schallte es ausgelassen über die Lichtung. „Wir spielen
verstecken! Willst du mir helfen, Nadja zu finden? Sie hat immer sooo gute
Verstecke!“ klagte die Kleine.
Breda blickte kurz zu Nadja hoch, die energisch den Kopf schüttelte. Bemüht nicht
zu lachen, wies er die Bitte des Mädchens ab. Mit der Begründung, er wäre sehr
schlecht darin, Leute zu finden. Natascha legte nachdenklich den Kopf schief. Dann
grinste sie verschmitzt.
„Ich habe eine bessere Idee!“ rief sie aus. „Wenn Nadja merkt, dass du hier bist,
kommt sie bestimmt raus! Sie hat in den letzten Tagen nur von dir geredet! ‚Oh,
diese Augen! Sie waren so wunderschön‘“
In gespielter Schwärmerei verdrehte sie die Augen und lachte. Nadja –immer noch
auf dem Baum sitzend- wurde klatschrot im Gesicht.
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„Natascha!“ rief sie empört. Natascha hob den Kopf und erblickte Nadja, die
verlegen auf ihrem Ast hockte. Das kleine Mädchen klatschte in die Hände und
hüpfte vor Freude auf und ab.
„Es hat geklappt! Ich hab dich gefunden, Nadja!“
Breda schmunzelte.
„Kommst du jetzt runter, Nadja?“ fragte Natascha.
Nadja wurde wieder rot und sah kurz auf ihre Röcke, dann zu Breda.
„Wenn ich euch bitte kurz wegdrehen würdet, Herr.“ Bat sie leise.
Breda folgte ihrer Bitte und wartete bis sie wieder sicheren Boden unter den Füßen
hatte.
„Nennt mich bitte nicht ‚Herr‘, Nadja. Mein Name ist Breda.“ Sprach er über die
Schulter.
Als er spürte, dass sie direkt hinter ihm stand, drehte er sich zu ihr um. Nadja
lächelte ihn an.
„Ich werde es versuchen. Breda.“
Lächelnd sahen die beiden sich an.
„Spielen wir weiter?“
Die beiden wandten sich Natascha zu, die vor ihnen stand. Nadja blickte zum
Himmel.
„Heute nicht, Natascha. Es ist schon zu spät. Die Sonne geht bald unter und du
weißt, dass deine Mama es nicht gerne sieht, wenn du um die Zeit noch draußen
bist.“
Natascha zog einen Schmollmund.
„Aber vielleicht können wir morgen nochmal herkommen.“ Tröstete Nadja die
Kleine.
„Soll ich euch nach Hause begleiten?“ fragte Breda.
„Oh ja!“ lachte Natascha und strahlte ihn an.
Nadja seufzte kurz und meinte dann mit einem schiefen Grinsen auf ihrem Gesicht:
„Na, dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben. Also, ihr könnt gerne noch
mitkommen, wenn ihr nichts anderes erledigen müsst.“
Breda winkte ab. Zu dritt gingen sie von der Lichtung zu dem Weg, der Richtung
Dorf führte.
Natascha lief voraus, während Nadja und Breda langsam hinterher gingen. Sie
sprachen kein Wort miteinander, sondern lauschten der Ruhe des Waldes. Den
Vögeln, die jetzt wo die Sonne unterging, ihre Abendlieder anstimmten, dem Wind
in den Bäumen, den kleinen Tieren, die durch das Unterholz huschten. Es war schön
so entspannt durch den Wald zu gehen und der Kleinen dabei zuzuschauen, wie sie
sich über eine Blume am Wegrand oder einen Schmetterling freute.
Kurz vor dem Dorf hielt Breda inne.
„Wann sehe ich euch wieder?“
Nadja lächelte ihn an.
„Ich habe gehofft, dass ihr das fragen würdet, Breda. Und ich habe mich schon
gefragt, warum ihr erst jetzt gekommen seid.“
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Breda sah sie stirnrunzelnd an.
„Aber ich war da. Ich bin jeden Tag gekommen. Eure Tante meinte, ihr hättet keine
Zeit.“
Ungläubig sah Nadja ihn an. Ihr Blick wanderte zum Dorf, das man zwischen den
Bäumen schon ausmachen konnte. Bevor sie antworten konnte, stürmte Natascha
aus dem Unterholz.
„Nadja, Nadja, ich hab etwas gefunden! Komm mit! Das muss ich dir zeigen!“
Als keiner der beiden Älteren reagierte, stemmte sie die Hände in die Hüften und
sah sie herausfordernd an.
„Kommst du?“
Nadja richtete ihren Blick auf das Mädchen und schüttelte den Kopf.
„Heute nicht mehr, Natascha. Aber morgen, einverstanden? Weißt du was, lauf doch
schon mal vor und erzähl der Mama davon.“
Natascha nickte begeistert und rannte den Weg weiter. Breda und Nadja blickten ihr
hinterher, bis sie im Dorf verschwunden war. Dann setzten auch sie ihren Weg fort.
„Ich war in den letzten Tagen beschäftigt.“ Gab Nadja zu.
„Aber nicht so sehr, wie meine Tante es offenbar dargestellt hat.“
Breda blickte nachdenklich auf die Dächer der kleinen Hütten, die immer mehr zum
Vorschein kamen.
„Vielleicht habe ich Sylva auch falsch verstanden. Aber hat sie euch nicht
ausgerichtet, dass ich da war?“
Breda musste gar nicht gucken, um zu wissen, dass Nadja den Kopf schüttelte.
„Nein. Mit keinem Wort hat sie euch erwähnt. Dabei…“
Sie stockte, hielt kurz den Atem an und ging einfach weiter.
Breda grinste.
„Dabei was?“
Ihre Antwort war nicht mehr als ein Flüstern.
„Dabei hatte ich wirklich gehofft, euch wiederzusehen.“
Schweigend gingen sie weiter bis sie Sylvas Haus erreicht hatten. Dort
verabschiedete Breda sich von der jungen Frau.
„Ich wünsche euch noch einen angenehmen Abend.“
„Ich euch auch“, murmelte Nadja ohne ihm in die Augen zu schauen.
Breda stieg auf sein Pferd und ritt langsam los. Als er schon fast am Dorfrand
angekommen war, hörte er hinter sich ein Rufen.
„Breda! Wartet bitte kurz!“
Er hielt seinen Braunen an und blickte zurück. Als er sah, dass Nadja auf ihn zu
gelaufen kam, stieg er ab und wartete bis sie wieder etwas zu atmen gekommen war.
„Entschuldigt, bitte.“ Sagte sie und strich sich eine Haarsträhne zurück, die sich aus
ihrem Zopf gelöst hatte.
„Ihr habt mir eben eine Frage gestellt, die ich nicht beantwortet habe.“ Fuhr Nadja
fort.
Nervös strich sie die Falten ihres Rockes glatt.
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„Am Sonntag singe ich in der Kirche. Wenn ihr wollt…“ Sie brach ab und schlug die
Augen nieder.
Breda lachte leise.
„Ich würde gerne kommen und eurem Gesang lauschen, Nadja.“
Ein erfreutes Lächeln erschien auf ihrem sommersprossigen Gesicht. Dann blickte sie
kurz in die Richtung aus der sie gekommen war.
„Ich muss zurück, sonst fragt Sylva sich bestimmt wo ich bleibe. Und ihr müsst
wahrscheinlich auch wieder zurück zum Schloss.“
Er nickte, verbeugte sich und küsste ihre Hand.
„Es war sehr schön, euch wieder zu sehen, liebe Nadja.“
Nadja nickte nur. Schließlich grinste sie ihn an, winkte noch einmal und ging zurück.
Breda stieg wieder auf sein Pferd und ritt los.
Er war glücklich.
Sie wollte ihn wiedersehen.
9
Engel
Sonntag
Breda beobachtete die Menschen, die in die Kirche strömten.
Alte Menschen, junge, kranke, sie alle gingen in die Kirche. So wie es sich für einen
anständigen Bürger gehörte.
Er selber wartete.
Er wollte nicht wie ein Schaf in der Herde mitlaufen. Nicht, weil er etwas gegen die
Leute hatte, sondern eher aus bequemlichen Gründen.
Er wollte ganz zum Schluss hinein gehen.
Breda pfiff vergnügt vor sich hin. Dann sah er Sylva, die ihre kleine Tochter an der
Hand führte.
Als sie den Grafensohn sah, verzog sie missbilligend das Gesicht. Sie beugte sich zu
Natascha runter und flüsterte ihr etwas zu. Das Mädchen nickte und ging alleine
weiter, während Sylva auf Breda zu ging.
„Guten Tag, Sylva.“
Sylvas Gesicht war todernst.
„Guten Tag, Breda.“
Sie stellte sich neben ihn und musterte die letzten vereinzelten Menschen, die zur
Kirche eilten.
„Wollen wir?“ fragte Breda und hielt ihr seinen Arm hin. Sylva reagierte nicht.
Nach ein paar Sekunden des Schweigens wandte sie sich ihm zu.
„Darf ich euch eine Frage stellen?“
Er nickte. „Fragt!“
Sie blickte ihm direkt in die Augen.
„Empfindet ihr etwas für meine Nichte Nadja?“
Breda war nicht besonders erstaunt über diese Direktheit. Sylva sprach immer das
aus, was ihr auf der Seele lastete. Und das war auch etwas, was er an ihr sehr
schätzte.
Seine Antwort sollte wohlüberlegt sein.
„Sie ist wirklich reizend. Direkt, offen, ehrlich. Ich schätze diese Eigenschaften, dass
wisst ihr. Ja, Sylva, ich mag Nadja sehr gerne. Und ich hoffe doch, dass dies auf
Gegenseitigkeit beruht.“
„Wisst ihr“, nachdenklich beobachtete Sylva zwei Vögel, die um den Kirchturm
herum flogen, „ich denke, sie mag euch auch. Mehr als sie zugeben mag.“
Schweigen
Breda überlegte, wie er am besten sagen sollte, was ihn seit Freitag beschäftigt hatte.
Schließlich beschloss er, dass Sylva Direktheit, Ehrlichkeit verdient hatte. Sie redete
nie lange um den heißen Brei herum, also würde er das auch nicht tun.
„Warum habt ihr Nadja nicht gesagt, dass ich da war?“
Sie sah ihn mit großen braunen Augen an, dann lächelte sie.
10
„Ich wusste, dass ich euch nicht lange etwas vormachen konnte. Aber seht ihr, Nadja
ist die Tochter meiner ältesten Schwester Maria.“
Ihr Blick wurde traurig.
„Als Maria letzten Winter starb, kam Nadja zu mir. Ich bin ihre nächste Verwandte
und ich liebe sie wie mein eigenes Kind. Sie ist ein anständiges Mädchen, Breda. Und
ich wünsche mir nur das Beste für sie.“
Breda begann zu ahnen worauf das Gespräch hinauslief.
„ Sie würde sich in eurer Welt nicht wohlfühlen. Sie gehört hierher. Ins Dorf. In das
normale sterbliche Leben. Ich bin es Maria ihr schuldig. Sie würde nicht wollen, dass
es passiert!“
„Glaubt mir, Sylva. Auch ich wünsche mir, dass Nadja ihr Glück findet. Und ich
verstehe eure Bedenken.“
Sylva lächelte traurig.
„Dann bitte ich euch, Breda von Krolock, sie nicht mehr wieder zusehen.“
Sie wandte sich ihm zu und sah ihn flehend an.
„Geht nicht in die Kirche! Kommt nicht wieder hierher! Ich bitte euch!“
Vereinzelt fielen schon die Regentropfen.
„Ich würde es euch versprechen, Sylva. Ich würde es euch gerne versprechen, aber
ich kann nicht.“
Eine einzelne Träne lief über Sylvas Wange. Es hätte auch ein Regentropfen sein
können.
Straffte die Schultern und nickte.
„Dann soll es wohl so sein.“
Die beiden konnten hören, wie drinnen der Priester seine Schäfchen begrüßte.
„Wir sollten reingehen.“
Breda hielt ihr seinen Arm hin und sie ergriff ihn.
Zusammen gingen sie über den Platz zur Kirche. Kurz bevor sie durch die Tür traten
hielt Breda inne.
„Aber ich kann etwas anderes versprechen. Ich verspreche euch, alles zu tun, was in
meiner Macht steht, damit es Nadja gut geht. Ich verspreche euch, sie mit meinem
Leben zu beschützen. Ihr niemals Schaden zuzufügen.“
Es versprach es nicht nur Sylva, sondern er richtete diese Worte auch an sich.
Denn es stimmte. Er würde sie beschützen. Er würde sein Leben für sie geben.
Das hatte er in diesem Augenblick erkannt!
Sylva blinzelte einmal. Zweimal. Dann stahl sich ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht.
„Ich vertraue auf euer Wort, Breda. Ihr seid ein Ehrenmann.“
Breda verneigte sich kurz vor ihr, dann betraten sie zusammen die Kirche.
Der Priester hatte seine Begrüßung beendet und das erste Lied wurde angestimmt.
Seichte Klänge erklangen in der kleinen Dorfkirche.
Eine klare Stimme erhob sich über alle anderen.
Hell und klar.
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Es schien, als sein einer Gottes Engel vom Himmel herab gekommen, nur um hier
sein himmlisches Lied zu singen. Der engelhafte Klang berührte die Menschen in der
Kirche und allen voran den jungen Adligen.
Breda hatte noch nie so eine Stimme gehört.
Dieser liebreizende Klang schien gegen jedes Unheil bestehen zu können. In diesem
Moment war sich Breda sicher, dass kein Mensch auf dieser Welt diesem Klang
widerstehen könnte.
Es war wie ein Traum.
Er sah hinauf zu Empore.
Dort stand Nadja. Sie hatte ein weißes einfaches Kleid an, das an ihr aussah wie ein
festliches Ballkleid. Ihre roten Locken kringelten sich über ihren Schultern und
würden nur von einem einfachen - ebenfalls weißen - Band gebändigt. Eine Strähne
hatte sich gelöst und fiel ihr ins Gesicht.
Ihr Gesicht…
Sie schien so glücklich in diesem Moment. Breda konnte erkennen, wie sie ganz in
dem Lied gefangen war, völlig darin aufging. Ihr ganzes liebes zartes Wesen floss in
die Musik mit ein und machte sie zu etwas ganz besonderem.
Ihre Augen waren geschlossen. Das Licht, welches durch ein Fenster in die Kirche
fiel, tauchte sie in ein zauberhaftes Licht.
Breda wusste, er hatte noch nie so etwas Wundervolles gesehen.
Ihren Gesang zu hören, war schon ein unbeschreibliches Gefühl. Aber sie beim
Singen zu beobachten…
Zu sehen, wie frei und unbeschwert und voller Hingabe sie war…
Ein Gefühl der Glückseligkeit ergriff von ihm Besitz, das ihn während des restlichen
Gottesdienstes nicht mehr loslassen wollte.
Mit einem Lächeln auf den Lippen ging er schließlich aus der Kirche. Er stellte sich
an den gleichen Platz, an dem er vorher mit Sylva geredet hatte. So würde er sehen,
wenn sie aus der Kirche kam und sie würde ihn auch sehen.
Mehrere Minuten vergingen.
Die Menschen gingen wieder nach Hause, während Breda auf den Engel wartete.
Schließlich kam sie.
Sie hatte wieder ihr Alltagskleid angezogen. Ihre Wangen waren gerötet, während
sie aufgeregt mit einem anderen Mädchen redete.
Dann erblickte sie Breda.
Nadja stockte, lächelte, sagte etwas zu dem anderen Mädchen, das ihm einen kurzen
scheuen Blick zuwarf, um letztendlich zu ihm zu gehen.
„Guten Tag, Breda. Ihr seid gekommen!“
Ihre grünen Augen strahlten heller als die Sonne, die inzwischen wieder zum
Vorschein gekommen war.
„Ich hatte doch gesagt, dass ich kommen würde. Habt ihr daran gezweifelt? Ihr habt
wundervoll gesungen, Nadja.“
Sie errötete.
„Danke. Und ehrlich gesagt, ich hatte meine Zweifel. Ich habe sie immer noch.“
12
Sie beobachtete eine kleine Raupe, die auf dem Zaunpfahl entlang kroch.
„Kommt, lasst uns ein bisschen gehen.“ Bat Breda sie. „Dann könnt ihr mir auch von
euren Zweifel berichtet, damit ich sie euch nehmen kann.“
Nadja stockte.
„Nein, ich meine, das geht doch nicht…“
Breda lachte.
„Warum? Ist es unschicklich? Ich versichere euch, ich werde schweigen, wie ein
Grab!“
„Hab ich eine andere Wahl?“ fragte Nadja scherzhaft.
Breda sah sie ernst an. Das war ein Thema, worüber er nicht gerne scherzte.
„Natürlich habt ihr die. Ich würde euch niemals die Wahlmöglichkeit nehmen. Dafür
hab ich zu viel Respekt.“
Das Lächeln wich von Nadjas Gesicht.
„Danke.“
Sie gingen schweigend weiter.
Die Vögel sangen und die Wolken von eben hatten sich verzogen. Nur an den Pützen
konnte man erkennen, dass sie überhaupt da gewesen waren. Die Bäume waren alle
in ein zartes frisches Grün gekleidet. Vereinzelt wuchsen Wildblumen am Wegrand.
Nadja bewunderte all die kleinen Naturwunder, die ihnen begegneten.
Breda bewunderte ihre Lebensfreude. Ihr unbeschwertes Lachen, mit dem sich einen
kleinen Käfer beobachtete, der über den Weg krabbelte.
Und verspürte den großen Wunsch, diese junge Frau für den Rest seines Lebens
bewundern zu können. Er hing versunken seinen Gedanken nach und bemerkte
nicht, wie Nadja sich aufrichtete und ihn lächelnd ansah.
Ein amüsiertes Funkeln in ihren Augen erregte seine Aufmerksamkeit.
„Woran denkt ihr, Nadja?“
Sie überlegte kurz.
„Daran, was für ein wunderschöner Tag heute ist. Daran, dass ich mich sehr freue,
dass ihr gekommen seid…“
Breda grinste.
In einem Augenblick war sie das schüchterne kleine Mädchen und im nächsten eine
junge Frau, die die Schüchternheit für einen Augenblick hinter sich lassen konnte
und sagte, was sie dachte.
Wahrscheinlich wusste sie selber nicht genau was sie wollte.
Und dann wär da noch seine Abstammung. Einem Mädchen, das aus einem
einfachen Haushalt kam, konnte es nicht leicht fallen, mit jemandem wie ihm
unbeschwert seine Zeit zu verbringen.
Gedankenverloren sah er in die Landschaft.
„Ich wünschte, ihr könntet vergessen, dass wir aus unterschiedlichen Verhältnissen
stammen.“
Sie wurde ernst.
„Ich wünschte, es gäbe diese unterschiedlichen Verhältnisse nicht. Dann…“
Sie verstummte als sie seinen Gesichtsausdruck sah.
13
Breda wusste nicht, was genau sie sah, doch er konnte sehen, wie sich ihr Atem
beschleunigte.
Er trat einen Schritt auf sie zu und schloss sie in seine Arme. Sie vergrub ihr Gesicht
an seiner Brust und schloss die Augen.
Breda konnte ihr Herz schlagen fühlen und genoss das Gefühl, sie in seinen Armen
halten zu dürfen.
Mit einem Mal befreite sie sich aus der Umarmung und sah ihn mit einem
eigentümlichen Gesichtsausdruck an.
„Wir dürfen nicht…“ es war nicht mehr als ein Flüstern, dass über ihre Lippen kam.
Breda sah sie einfach nur an und schwieg. Was sollte er dazu sagen? Er wollte sie zu
nichts zwingen, was sie nicht wollte. Hatte er doch geschworen, ihr Leben zu
beschützen und sie vor Leid zu bewahren. Wahrscheinlich wäre es wirklich besser,
wenn sie sich nicht mehr sehen würden. Sie gehörte nicht in seine Welt, wie Sylva
gesagt hatte.
Doch das würde er nicht ertragen.
Sie sahen sich noch einen Augenblick in die Augen, dann wandte sich Nadja hastig
um und ging den Weg zurück.
„Nadja, wartet!“ rief Breda ihr hinterher.
„Ich würde euch gerne wiedersehen!“
„Es geht nicht!“ rief Nadja über die Schulter zurück und Breda konnte sehen, dass sie
weinte.
Er lief hinter ihr her.
„Bitte! Nadja!“
Sie blieb stehen.
„Ich möchte euch wiedersehen.“ Bat Breda.
Mit großen Augen sah Nadja ihn an.
Sie machte einen Knicks und flüsterte kurz.
„Morgen Mittag an der Lichtung.“
Dann ging sie und Breda blieb nichts anderes übrig, als ihr hinterher zu schauen.
Er sah, wie der Engel hinter einer Kurve verschwand.
Breda wartete noch einen Augenblick, dann machte er sich auf den Weg zurück zum
Schloss.
Sein Pferd stand zwar noch im Dorf, aber er hatte keine Zweifel, dass man sich
darum kümmern würde. Und ein Fußmarsch würde ihm helfen, seine Gedanken ein
wenig zu beruhigen.
Und seine Vorfreude auf morgen zu bändigen.
Morgen würde er seinen Engel wieder sehen.
Den Engel, den der Himmel geschickt hatte und der es geschafft hatte, sich sofort in
sein Herz zu schleichen.
Gewitterträume
14
Die nächsten Wochen vergingen wie im Fluge. Es war die schönste Zeit seines
Lebens.
Sie hatten sich für den einen Tag verabredet und eine paar wunderbare Stunden
miteinander verbracht.
Dieser Verabredung waren weitere gefolgt. Und mit der Zeit hatte Nadja
angefangen, ihre anfängliche Scheu zu verlieren. Breda musste zugeben, dass sie
wirklich eines der reizendsten Geschöpfe war, die ihm je begegnet waren. Und er
hatte schon viele gesehen. Adlige Damen von bedeutender oder weniger
bedeutender Abstammung. Wunderschön anzuschauen, aber ohne Seele. Nadja
dagegen vereinte beides in sich. Ihre Art zu reden, zu lachen, …
Es war wie ein wunderschöner Traum und Breda wünschte sich niemals
aufzuwachen.
Eines Tages, es war wie Breda feststellte genau einen Monat her, seit sie sich das
erste Mal getroffen hatten, trafen sie sich wieder auf der Lichtung.
Die schwüle Luft und die Wolken, die in der Ferne herannahten, kündigten ein
Gewitter an. Es hatte schon seit 2 Wochen nicht mehr geregnet und der Boden war
staubig und trocken. Für die Bauern war diese Trockenheit ihr momentan größtes
Problem.
Breda und Nadja saßen im Gras.
„Darf ich euch etwas zeigen, Nadja?“ fragte Breda lächelnd.
Nadjas Augen glitzerten vor Freude und Neugier, als sie nickte.
Breda fasste ihre Hand. Sie fühlte sich in seiner klein und zerbrechlich an.
„Als Kind bin ich oft dort gewesen. Immer wenn ich mich mit meinem Vater
gestritten hatte. Und das kam ziemlich oft vor.“ Gestand er grinsend wie ein kleiner
Junge.
„Es war für mich ein magischer Ort voller Geheimnisse. Es gab tausende von
Verstecke. Ein Traum für jedes Kind.“
Er seufzte als er sich an die glücklichen Stunden erinnerte, die er dort verbracht
hatte.
Als er nichts mehr sagte und auch keine Anstalten machte, aufzustehen, lachte
Nadja, entzog ihm seine Hand, stand auf und lief ein paar Schritte. Dann drehte sie
sich um.
„Wenn es so schön ist, wie ihr sagt, warum zeigt ihr es mir nicht, anstatt hier zu
träumen?“
Keck grinste sie ihn an und lachte wieder.
Gespielt beleidigt sah Breda sie an, bevor er rücklings ins Gras sinken ließ und die
Augen schloss.
Der Boden war hart und warm unter ihm.
Er hörte wie Nadja zu ihm ging, ließ die Augen jedoch geschlossen.
Plötzlich spürte er, wie die Sonne, die ihm vorher ins Gesicht geschienen hatte,
verschwand. Waren die Wolken schneller näher gekommen, als gedacht?
Irritiert öffnete er die Augen und sah in Nadjas Gesicht.
15
Sie stand vor ihm und sah ihn weich an. Als sie merkte, dass er die Augen geöffnet
hatte und sie ansah, blickte sie schnell weg und setzte sich schließlich neben ihn. Sie
blickte ihn nicht an, als sie gestand: „Ihr habt mich neugierig gemacht, Breda.“
Sie zögerte.
„Ich hätte euch eben nicht auslachen sollen. Verzeiht mir.“
Breda setzte sich erstaunt auf.
„Was gibt es da zu verzeihen, Nadja? Ihr erstaunt mich. Ich bin euch nicht böse
deswegen.“
Mit großen grünen Augen sah sie ihn an.
„Aber ihr wart doch beleidigt?“
Breda lachte.
„Soll es einem Grafensohn nicht gestattet sein, auch einmal das Kind zum Vorschein
kommen zulassen? Ich bin euch nicht böse. Ich habe mir nur einen kleinen Scherz
erlaubt und es tut MIR leid, da ihr ihn falsch verstanden zu haben scheint.“
Eine rote Locke fiel ihr in die Stirn.
Breda hob die Hand und strich sie zurück. Doch er nahm die Hand nicht weg.
Beide sagten kein Wort, sondern sahen sich nur in die Augen.
Grün und Braun.
Hoffnung und Wärme trafen aufeinander.
Hoffnung, dass der andere dasselbe empfand.
Wärme, die beide in ihrem Innersten empfanden.
Breda wagte kaum zu atmen, als Nadja ihr Gesicht ganz sachte an seine Hand
presste und ihre Augen schloss. Ihre Haut fühlte sich so weich und warm an. Ihre
Wimpern ruhten seidig schwarz auf ihren Wangen.
Der magische Augenblick war für Breda viel zu schnell verflogen.
Nadja sprang auf.
„Ich muss gehen, Breda!“ rief sie aus, während sie nach dem kleinen Korb griff, den
sie mitgenommen hatte.
Bredas Hand griff nach ihrer und hielt sie zurück, bevor sie gehen konnte.
„Bitte, geht nicht! Nadja!“
Flehentlich sah er sie an. Nadja löste seine Hand von ihrer, blieb aber stehen und sah
ihn an. Den Ausdruck in ihren Augen konnte er nicht wirklich deuten. So viele
Gefühle zeigten sich dort.
Verwirrung, Angst,… etwas wie Zuneigung…
Traurigkeit…
Die wollte er verscheuchen, auf dass sie nie wieder kommen würde.
„Ich dachte, ich sollte ihnen noch etwas zeigen, meine Dame!“
Schelmisch grinsend blickte er sie an.
Nadjas Mundwinkel zuckten verräterisch.
„Mein Herr, ich bitte darum.“
Breda führte sie zu einem kleinen bewaldeten Hügel. In den Bäumen verbargen sich
die Ruinen eines alten Schlosses.
16
Die hatte er irgendwann als Junge auf einem Ausritt entdeckt und sie zu seinem
Lieblingsort auserkoren.
Er wusste nicht, von wann genau die Ruinen stammten. Die Natur hatte wieder ihre
Herrschaftsrechte gelten gemacht. Efeu war an den alten Steinen empor geklettert
und im ehemaligen Schlosshof wuchsen Wildblumen und Bäume. Auch aus einem
der Fenster ragte ein Ast hinaus. Die Mauer, die gegenüber dem Eingang lag, war
komplett weggebrochen und zeigte eine wunderschöne Aussicht.
Dort standen Breda und Nadja.
„Es ist wunderschön…“ flüsterte Nadja. „Wie in einem Märchen.“
Sie bestaunte die alten Gemäuer.
„Wunderschön“, bestätigte Breda. Allerdings sah er dabei nicht, die Ruine an,
sondern beobachtete die junge Frau neben sich.
Da erklang der Donner.
Besorgt musterte Breda den Himmel. Schwarze Wolken bedeckten diesen und in der
Ferne konnte er Blitze ausmachen.
„Wir sollten zurück zum Dorf gehen“, meinte Nadja.
Breda schüttelte den Kopf.
„Ich würde euch gerne noch etwas zeigen, wenn ihr mich lasst.“
Nadja blickte hinauf zum Himmel. Es würde jeden Moment anfangen zu regnen.
Doch tief in ihr flüsterte eine Stimme, dass Breda schon wusste was er tat. Er war der
Sohn des Grafen und nicht irgendein dummer Bauerntölpel.
Sie nickte, worauf er sie bei der Hand nahm und sie um einen Mauervorsprung
führte.
Dahinter lag ein Raum, der noch etwas besser erhalten war, als der Rest der Ruine.
Es gab drei Wände und sogar das Dach war zur Hälfte noch erhalten.
„Keine Angst. Es wird nicht einbrechen. Und es wird den Regen abhalten.“
Beruhigte Breda die junge Frau, die sich gesträubt hatte unter das brüchige Dach zu
treten.
Kaum hatte er es ausgesprochen fing es auch schon an zu schütten. Das Dach war
doch nicht so wasserfest gewesen, wie er vermutet hatte. An ein paar Stellen regnete
es durch. Über ihren Köpfen raschelte es.
Schnell zog Breda Nadja beiseite und stieß dabei gegen die Wand.
Da gab dort auch schon die Decke unter dem Druck des Wassers nach und ein
Holzbalken krachte dort zu Boden, wo Nadja und Breda noch vor ein paar Sekunden
gestanden hatten.
Beide starrten erschrocken dorthin. Schließlich blickten sie sich an.
Ihre Gesichter waren nur noch ein paar Zentimeter voneinander entfernt. Sie
schauten sich in die Augen. Suchten einen Hinweis darauf, ob der andere, dasselbe
empfand.
Ihre Gesichter näherten sich einander.
Nadja schloss die Augen. Ihr Mund mit den vollen Lippen leicht geöffnet.
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Als ihre Lippen aufeinandertrafen, durchfuhr es Breda wie einen Stromschlag. Ihr
Geruch, ihr Geschmack umnebelten seine Sinne. Ließen ihn keinen klaren Gedanken
mehr fassen.
Das einzige, was er wusste war, dass er diesen Moment mit niemand anderem teilen
wollte. Dass sie die Einzige war, die er wollte. Und noch nie wollte er etwas so sehr,
wie in diesem Augenblick.
Der Regen prasselte weiterhin auf die Landschaft nieder, doch niemand schenkte
ihm mehr Beachtung.
Der Donner grollte über das Land.
Blitze zuckten am Himmel.
Das Gewitter hatte sich gelegt. Der Regen hatte die Luft reingewaschen und das
Land schien wieder aufzuatmen. Das Grün der Blätter schien zu leuchten.
In der Ferne zwitscherten auch schon wieder die ersten Vögel.
Es war kühl.
Nadja und Breda saßen an die Mauer gelehnt da. Sie hatte sich an ihn gelehnt. Seinen
Mantel hatte er über sie gebreitet, damit sie nicht fror.
„Du hattest Recht!“ erklärte sie plötzlich.
„Das weiß ich. Womit genau?“ Verschmitzt grinste er Nadja an, die ihren Kopf
gehoben hatte und ihn anblickte.
„Es ist ein Traum. Und ich habe Angst aufzuwachen.“
Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust und schloss die Augen.
Breda strich ihr sachte über die roten Locken.
„Besteht denn die Gefahr, dass du aufwachst?“
Nadja nickte unmerklich, worauf Breda leise lachte.
„Für mich fühlen sich das hier sehr real an. Traumhaft, aber real!“
„Du bist ein Traumgespinst. Du musst das sagen.“ Erwiderte sie mit geschlossenen
Augen.
„Fühle ich mich so unwirklich an?“ Murmelte er in ihr Haar.
„Ich hatte schon immer viel Phantasie.“
Sie richtete sich auf, wandte sie ihr Gesicht den Seinen zu und musterte ihn.
Schließlich nickte sie so entschlossen, das ihre Locken auf und ab flogen.
„Eindeutig ein Traum. Du kannst nicht echt sein.“
Breda betrachtete sie seinerseits nachdenklich. Ein freches Grinsen breitete sich auf
seinem Gesicht aus.
„Ich glaube, ich muss alles in meiner Macht stehende tun, um dich von Gegenteil zu
überzeugen!“
Mit diesen Worten beugte sich vor und küsste sie.
Zuerst noch vorsichtig, dann leidenschaftlicher.
Plötzlich wurde der gesamte Raum von rotem Licht durchflutet.
Die Sonne ging unter.
Nadja löst sich erschrocken von ihm und stand auf.
18
„Es ist schon so spät! Ich muss jetzt gehen, sonst macht Silva sich noch Sorgen um
mich.“
Breda versuchte nicht Sie zu bremsen, schließlich musste auch er zurück.
„Soll ich dich noch bis ins Dorf begleiten?“
Nadja schüttelte den Kopf.
„Nein, ich komme schon alleine zurecht.“
Breda widersprach ihr nicht.
Es war kein allzu langer Weg ins Dorf und Nadja brauchte bestimmt Zeit zum
Nachdenken.
Die brauchte auch er.
Mit dem heutigen Tag hatte sich einiges verändert für sie beide.
Zum positiven, wie er hoffte.
19
Einladung zum Ball
Breda saß in der Schlossbibliothek und las.
Allerdings konnte er sich nicht wirklich auf das vor ihm liegende Buch
konzentrieren, da er immer Nadjas Gesicht vor sich sah. Verträumt blickte er aus
dem Fenster.
Das Sonnenlicht fiel durch die großen Glasscheiben und malte Muster auf den
Boden.
Plötzlich knallte etwas und Breda schreckte auf. Er legte das Buch beiseite und stand
auf.
Sein Vater kam mit auf ihn zu. Sein Gesicht war ausdruckslos.
„Guten Morgen, Sohn.“
„Morgen, Vater.“
„Wie wäre es, wenn wir jetzt einen kleinen Spaziergang machen? Nur Vater und
Sohn?“ fragte Graf von Krolock.
Breda musterte seinen Vater. Die ungewohnte Freundlichkeit seines Vaters ließ ihn
misstrauisch werden. Was wollte er diesmal?
Leider konnte er es sich nur zu gut vorstellen…
„Ich würde mich darüber sehr freuen, Vater.“ Log er und rang sich ein Lächeln ab.
Sein Vater wandte sich wortlos um und Breda folgte ihm.
Zusammen gingen sie in den schlosshof hinunter und durch das Tor hinaus.
„Wie ist es dir in den letzten Wochen ergangen?“ erkundigte sich der Graf.
Breda bezweifelte, dass es seinen Vater wirklich interessiert, wie es ihm ging. Er
wollte auf etwas Bestimmtes hinaus. Breda wusste auch worauf. Aber solange der
Graf es nicht sagte, würde auch ihm kein Wort über Nadja entschlüpfen.
„Es lief soweit gut. Bis auf die Tatsache, dass ein paar der Pferde an Mauke erkrankt
sind. Aber wir konnten den Schaden soweit es ging begrenzen.“
Sein Vater blickte gelangweilt zum Wald. Breda redete stur weiter, alleine schon um
ihn ein bisschen zu provozieren. Zwar war dies meist wenig ratsam, da Graf von
Krolock leicht zu Wutausbrüchen neigte, aber Breda konnte gerade nicht anders. Er
wollte seinen Vater aus der Reserve locken.
Was ihm auch gelang.
Nachdem er ihm geschildert hatte, dass die Wachen an der südlichen und an der
westlichen Mauer verstärkt werden müssten, da immer mehr Gerüchte über
Banditen aufkamen, unterbrach sein Vater ihn harsch.
„Wer ist die junge Frau, mit der du dich in letzter Zeit so häufig triffst?“
Die vorgetäuschte Freundlichkeit war der typischen Arroganz und Überheblichkeit
gewichen.
Breda dachte darüber nach, ob er einfach einen anderen Namen nennen sollte. Aber
diese Idee verwarf er sogleich wieder, da der Graf es wahrscheinlich ohnehin schon
wusste. Seine Informanten waren sehr tüchtig, wenn es darum ging, den Sohn des
Grafen zu bespitzeln. Auch wenn sein Vater es gerne anders nannte. Verdecktes
Ermitteln.
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„Nadja?“ fragte er unschuldig nach.
„Treib deine Spielchen mit jemand anderem und nicht mit mir!“Der Graf war stehen
geblieben und sah ihn mit all seiner Autorität an.
Breda wollte ihm nicht sagen, wie viel ihm Nadja bedeutete. Wenn er das tat, hätte
sein Vater jemanden, mit dem er ihn unter Druck setzen konnte.
Wie hatte er das alles satt!
Weil er nicht wusste, was er seinem Vater sonst sagen sollte, schwieg er.
Dieser ließ sich diesmal jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Was Breda noch
misstrauischer machte.
„Ich weiß von dem Mädchen und habe jetzt lange genug zugesehen, um zu
erkennen, dass ihr nicht mehr ohne einander könnt.“
Breda hatte das Gefühl, dass sein Herzschlag kurz aussetzte. Hatte sein Vater sie
auch an dem Nachmittag beobachten lassen?
Natürlich, schalt er sich selbst, wie konnte ich nur so dumm sein?!
„Ich warne dich, Breda. Mach keine Dummheiten!“
„Dummheiten in welchem Sinne, Vater?“
Der Graf sah in finster an.
„Dummheiten, wie zum Beispiel dich zu viel mit diesem Bauernmädchen zu
beschäftigen. Das schadet dir nur und dem Mädchen ebenfalls.“
„Seit wann interessierst du dich denn für andere?“ wagte Breda zu fragen.
„Mein lieber Sohn“, entgegnete sein Vater gespielt freundlich. „Ich gebe in Kürze,
genauer gesagt nächste Woche, einen Ball, auf den ich die Tochter eines wichtigen
Mannes eingeladen habe. Du wirst dich wohl kaum an ihn erinnern, so jung und
abgelenkt wie du damals warst. Aber seine Tochter soll ein wunderhübsches junges
Fräulein sein. Weiterhin ist die Familie nicht ohne Einfluss. Als Frau wäre sie für dich
ideal.“
„Ich soll heiraten?“ Breda sah ihn erschrocken an.
Graf von Krolock nickte knapp.
„Und du sollst diese Nadja vergessen. Es würde der angehenden Verbindung nur
schaden, wenn jemand davon erfährt.“
„Und wenn es mir egal ist, wenn jemand davon erfährt?“ brauste Breda auf. „Ich
weigere mich einer Heirat zuzustimmen, die nur insoweit interessant ist, als dass sie
euch einen größeren Machtbereich verschafft!“
Sein Vater packte in fest am Arm und riss ihn zu sich herum.
„Pass auf was du sagst, Breda.“ Zischte er. „ Unfälle passieren immer wieder. Vor
allem in Dörfern. Oder im Wald.“
Bredas Hass auf seinen Vater wuchs in diesem Moment bis ins Unendliche. Und er
fasste einen Entschluss.
„Das werdet ihr nicht tun, Vater. Nicht, wenn euch irgendetwas an dieser geplanten
Hochzeit gelegen ist.“
Der Graf ließ den Arm seines Sohnes los und lachte kalt.
„Ich sehe, wir verstehen uns, mein Sohn.“
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„So, tun wir das?“ meinte Breda kühl. „Ich glaube, ihr habt nicht ganz erfasst, was
ich meinte. Ich werde diese Frau heiraten. Und ich werde Nadja wiedersehen. Egal,
was ihr dagegen unternehmen wollt. Ich bin ihr zumindest eine Erklärung schuldig.
Meint ihr nicht auch?“
Sein Vater sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
„Einverstanden. Am besten wäre, ihr klärt das sobald als möglich. Probleme müssen
schließlich beseitigt werden. Nicht wahr, Breda?“
Etwas an seinem Tonfall gefiel Breda ganz und gar nicht. Doch er konnte es nicht
benennen.
„Du kannst sie zu dem Ball einladen. Dort könnt ihr alles Weitere besprechen. Bis
dahin… Nun, wir werden sehen.“
Mit diesen Worten wandte sich der Graf um und ging zurück zum Schloss.
Breda gefiel die ganze Geschichte nicht. Er ahnte, dass sein Vater wieder einen seiner
Pläne ausheckte. Und das Nadja mittendrinn stecken würde. Wie all das enden
würde, wagte er sich nicht vorzustellen.
Am liebsten wäre er sofort zu ihr geeilt, um ihr alles zu erzählen, um mit ihr
irgendwo hinzugehen und aus dem Machtbereich seines Vaters zu entkommen.
Doch dies ging nicht.
Wenn er es Nadja erzählte, wäre sie in noch größerer Gefahr und müsste
wahrscheinlich mit dem Leben für seine Dummheit zahlen.
Und einfach fortzureiten würde auch nichts bringen. Sein Vater würde in seiner Wut
und Raserei wahrscheinlich auf dem ganzen Kontinent nach ihnen suchen lassen.
Er sah diesmal keine Möglichkeit, sich aus dem Spinnennetz seines Vaters zu
befreien.
Die einzige Möglichkeit, damit Nadja heil aus dieser ganzen Sache wieder
herauskam, war diese Frau zu heiraten, die sein Vater für ihn auserwählt hatte.
Er dürfte sie niemals wieder sehen. So schwer es ihm auch fiel.
Aber Hauptsache, sie lebte.
Zweimal würde er sie noch sehen.
Heute würde er zu ihr reiten und ihr von der Einladung seines Vaters berichten. Von
den zukünftigen Ereignissen wollte er ihr noch nichts erzählen.
Und auf dem Ball würde er ihr erklären, dass er eine andere heiraten würde.
Er sah jetzt schon ihr Gesicht vor sich, wenn er ihr das erzählen würde.
Traurig, verletzt, die großen grünen Augen würden in seinen nach der Wahrheit
suchen und sie nicht finden. Hoffte er jedenfalls.
Sie würde ihn schnell vergessen und mit einem anderen glücklich werden. Ihr Leben
würde weiter gehen. Normal, ruhig, friedlich, so wie es sein sollte.
Bei dem Gedanken daran, schmerzte das Herz in seiner Brust und zog sich
krampfhaft zusammen.
Alles in ihm wehrte sich gegen die Vorstellung, dass seine Nadja einem anderen
gehören würde.
Doch es musste sein.
Er würde nicht ihr Leben aufs Spiel setzen.
22
„Eine Einladung vom Grafen?“
Skeptisch sah Nadja ihn an.
„Auf einen Ball?“
Breda nickte, aber er sah ihr nicht in die Augen. Er hatte Angst, sie würde erkennen,
dass etwas nicht stimmte.
„Ich soll dir Vaters Einladung überbringen.“
Nadja sah an sich herunter.
„Aber ich hab kein Kleid.“
Breda lächelte unwillkürlich.
„Das sollte deine geringste Sorge sein. Du wirst ein Kleid haben.“
„Aber ich habe keine anständigen Manieren, um mich in solcher Gesellschaft
bewegen zu können.“ Widersprach sie hektisch.
„Sorge dich nicht, Nadja.“ Meinte er, fasste ihre Hand und strich ihr zärtlich über die
Haut.
Sorgen tat er sich schon für zwei.
„Ich glaube nicht, dass ich das annehmen sollte.“ Murmelte Nadja.
Breda antwortete nicht. Er war sich sicher, dass Nadja das nicht annehmen sollte.
Aber es war ein Befehl gewesen. Und wenn er es nicht tat, würde sein Vater sich
darum kümmern, dass Nadja ins Schloss kam.
„Sie werden mich auslachen.“
Sie suchte nach einer Ausrede, nicht kommen zu müssen. Obwohl es so aussah, als
würde sie sich im insgeheimen darauf freuen.
„Werden sie nicht, Nadja. Es wird alles gut.“
Das hoffte er zumindest.
Nadja ging zum Fenster und öffnete es.
Draußen wurde es dunkel. Der Mond stand schon am Himmel.
Vollmond.
„Du musst gehen“, flüsterte sie. „Ich werde kommen, das verspreche ich dir.“
Breda umarmte sie und küsste sie leidenschaftlich.
Die junge Frau ahnte nicht, dass dies sein Abschiedskuss war.
23
Tanzsaal
„Euer Vater und die Gäste warten.“
Breda nickte dem Bediensteten zu. „Dann werde ich sie nicht länger warten lassen.“
Iwan verbeugte sich vor ihm, wobei seine beginnende Halbglatze zum Vorschein
kam, und wartete bis der Grafensohn an ihm vorbei durch die Tür gegangen war,
um ihm, soweit es ging, unauffällig durch die Flure des Schlosses zu folgen.
Bevor er in den Saal trat, atmete er tief durch und straffte die Schultern. Über sein
Gesicht legte er seine, über die Jahre mühsam erarbeitete, Maske, mit der er seine
Gefühle vor den anderen verbarg.
Iwan öffnete die Tür.
Der Saal war voller Menschen, die lachten, tanzten und miteinander redeten.
Sein Vater stand in einer Ecke des Saals und redete mit anderen Adligen, die er
„Freunde“ nannte, obgleich offensichtlich war, dass diese sogenannte Freundschaft
nicht besonders tief ging und sich lediglich auf ein paar üble Machenschaften
beschränkte.
Graf von Krolock gönnte seinem Sohn nicht mehr als einen kurzen Blick, in dem
seine ganze Kälte lag und der Triumph, wieder einmal gesiegt zu haben.
Breda unterdrückte seinen Zorn und seinen Hass auf den Grafen. Versuchte sein
Lächeln aufrechtzuerhalten, obwohl er ahnte, dass es wahrscheinlich nicht besonders
freundlich, sondern kläglich wirken musste.
In einer anderen Ecke stand Nadja in einem schlicht gehaltenen Kleid.
So wie Breda seinen Vater kannte, war dieses einfache Kleid hauptsächlich dazu
gedacht, Nadja auszugrenzen. Denn wer sich dieser Gesellschafft nicht
bedingungslos anpasste, hatte kein leichtes Spiel. Selbst, besser gesagt, erstrecht,
wenn es um das äußere Erscheinungsbild ging.
Der Graf wollte Nadja zeigen, dass sie zwar heute Abend hier war, jedoch nicht dazu
gehörte und nie dazu gehören würde.
Allerdings ließ diese Gewandung Nadja noch mehr strahlen als sonst. Für Breda
konnte es keine schönere Frau geben.
Das zarte frische Grün betonte Nadjas Augen, so dass sie noch mehr leuchteten als es
sonst der Fall war. Der schmale Schnitt und ihre helle Haut ließen sie fein und
zerbrechlich wirken wie Porzellan. Der lange weite Rock umschmeichelte ihre Beine
und ihre grazilen Fesseln. Ihre sonst so widerspenstigen Locken waren kunstvoll
hochgesteckt, so dass sie ihren ungeschmückten Hals freigaben.
Alles in allem hatte Graf von Krolock Nadjas natürliche Schönheit gewaltig
unterschätzt, wenn er sie durch Mangel an Schmuck und Prunk hatte ausgrenzen
wollen. Nadja strahlte wie ein Stern am fernen Horizont. Keiner konnte sich ihr
entziehen.
Am liebsten wäre Breda sofort zu ihr geeilt, hätte sie umarmt und geküsst. Doch das
ging nicht, denn nur der kleinste Fehler konnte einen hohen Preis fordern.
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So beschränkte er sich darauf, sie kurz aus der Ferne zu bewundern. Nur so kurz,
dass es niemandem auffallen würde.
Nadjas Blick war zu ihm geeilt, sobald er den Saal betreten hatte. Ein schüchternes
Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, ihre Augen strahlten voller Erwartungen.
Oh, wenn du nur wüsstest, ging es Breda durch den Kopf. Wenn du nur wüsstest!
Er bemühte sich verzweifelt darum, seine Fassade nicht bröckeln zu lassen und
Nadja keinen weiteren Blick zu gönnen. Sein Herz schrie, kämpfte gegen die Fesseln,
in die er es gelegt hatte, als er Nadjas zuerst erwartungsvollen freudigen Blick sah,
der dann Irritation und schließlich Enttäuschung preisgab, da er ihr sie nicht weiter
beachtete, sondern zu seinem Vater ging.
Dies würde die schwärzeste Nacht seines Lebens werden.
„Nun, mein Sohn, habt ihr euch doch von euren Studien losreißen können, um uns
an diesem wunderbaren Abend Gesellschaft leisten zu können?“
Ein höfliches Lächeln mit einer Spur Ironie und Spott, was den anderen wohl nicht
auffiel, auf den Lippen musterte Graf von Krolock seinen Sohn.
„Studien, Vater?“ entgegnete Breda, während er sich ein Glas Wein einschenken ließ.
„Nun, wenn man es als Studie betrachtet, sollte man dazu sagen, dass ich noch an
einer Lösung arbeite, die allen Faktoren gerecht wird.“
Der Graf warf ihm aus zusammengekniffenen Augen einen Blick zu, der Wasser
hätte gefrieren lassen können.
Einer der anderen Männer lachte.
Es war ein untersetzter älterer Mann mit schütterem rotblondem Haar, in dem
vereinzelt schon graue Strähnen zu sehen waren. Seine Kleidung war aus den
feinsten Materialien, schien aber zerknittert und alt.
„Euer Sohn gefällt mir!“ lachte er und zeigte dabei seine gelben Zähne.
Graf von Krolock lächelte milde zurück, doch das Lächeln erreichte nicht seine eisig
blauen Augen. Diese blickten sogar angewidert auf den Älteren.
Das konnte Breda seinem Vater nicht einmal verübeln, gestand er sich ein.
Der einzige Grund, warum sein Vater sich mit diesem Mann abgab, war dessen Geld
und Einfluss. Dies stand beim Grafen in höherem Ansehen, als ein ungepflegtes
Äußeres, Mangel an Benehmen und Taktgefühl.
„Eine flinke Zunge und klare Gedanken!“ fuhr der Mann fort, während er Breda
kameradschaftlich auf die Schulter klopfte, wobei er den jungen Mann fast von den
Füßen riss. „Er wird einmal ein würdiger Nachfolge, Vlad. Ihr solltet stolz auf ihn
sein!“ Er lachte nochmals.
Breda sah, wie sich die Hand seines Vaters wütend zur Faust ballte. Sein Gesicht
jedoch nahm einen freundlichen Ausdruck an, während er eine der größten Lügen
seines Lebens verkündete.
„Ich bin auch sehr stolz auf ihn.“
Breda, der zwar an die Skrupellosigkeit seines Vaters gewohnt war, musste sich
zusammenreißen, um nichts zu erwidern, was er später bereuen könnte.
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„Noch stolzer war ich allerdings, “ fuhr Graf von Krolock fort, „als mein Sohn
verkündete, “ er warf Breda einen scharfen Blick zu, „dass er heiraten wolle.“
„Nun, dann wird es wohl auch mit Kindern nicht lange auf sich halten, so dass die
Grafenfamilie erblich abgesichert wird.“ Vermutete ein anderer Mann nach
mehreren Beglückwünschungen, die Breda stillschweigend, jedoch mit höchster
Konzentration, entgegen nahm.
„Wer ist denn die glückliche Braut?“ wollte jemand wissen.
„Anička von Brasov“ Der Graf hatte den Kopf hocherhoben und brachte es fertig, bei
der ganzen Aktion nicht mal mit der Wimper zu zucken.
„Eine hübsche junge Frau aus gutem Hause. Ein wunderbare Partie!“ freute sich der
Herr mit dem zerknitterten Anzug und schüttelte Bredas Hand.
Breda reagierte nicht auf die Glückwünsche, sondern befreite seine Hand unauffällig
aus der verschwitzten Pranke des Gegenübers.
„Und da kommt die Braut auch schon!“ rief jemand.
Breda wandte sich um, worauf er sich einer klassischen Schönheit gegenübersah.
Dunkle Augen mit langen geschwungenen Wimpern, eine gerade Nase über einem
dunkelrot geschminkten Mund mit vollen Lippen. Das Gesicht war eingerahmt von
einer üppigen schwarzen Haarpracht, die im Licht der Kerzen schimmerte. Ihr
dunkelrotes Kleid schmiegte sich an ihre schlanke hochgewachsene Figur und der
Ausschnitt zeigte eben so viel, wie es gerade noch schicklich war.
Sie machte einen formvollendeten Knicks und lächelte Breda verhalten zu.
„Ich wünsche den Herren einen guten Abend.“
Breda verbeugte sich, wie es sich für die Etikette geziemte und gab ihr einen
Handkuss.
„Den wünsche ich euch ebenfalls, verehrte Anička.“ Antwortete er um einen
freundlichen Tonfall bemüht.
Er ahnte, dass sein Vater von ihm sein bestes Benehmen erwartete und wagte nicht,
diesen Erwartungen nicht gerecht zu werden. So zeigte er Anička ein Lächeln,
während er sie fragte, ob sie nicht Lust auf einen Tanz habe.
Ihre Augen verrieten Freude und etwas, was Breda nicht recht einordnen konnte,
aber ansonsten ließ sie sich durch nichts anmerken, was sie empfand. Stolz und
erhaben ließ sie sich von ihm durch die Tänze führen, die sie alle ausgezeichnet
beherrschte. Sie war eine von den Frauen, die wahrscheinlich sogar schlafwandelnd
tanzen konnten.
Breda jedoch fühlte sich nicht ganz bei der Sache. Die Musik, das Gelächter,
Anička,…
All das nahm er nur wie durch Nebel war. Verschwommen, weit von ihm entfernt,
unwirklich.
Das Einzige, das er wahrnahm, waren die grünen Augen, die ihm folgen, die jede
seiner Bewegungen registrierten, während er sich mit Anička über die Tanzfläche
bewegte.
Er selber versuchte, ihnen keine Beachtung zu schenken, doch dies fiel ihm von
Minute zu Minute schwerer, da sich seine ganze Existenz um diese Augen und das
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dazugehörige Gesicht drehte. Um dieses Mädchen, so süß und lieblich wie ein
unbeschwerter warmer Frühlingstag.
„Was bedrückt euch?“ erklang Aničkas honigsüße Stimme von weit her, während sie
zum Ende des Tanzes einen perfekten Knicks machte. Ihr Mund war zu einem
betörenden Lächeln verzogen und ihr Augenaufschlag hätte jeden Mann schwach
werden lassen. Jedoch nicht Breda.
Er empfand für diese Frau nicht mehr als für die anderen Menschen in diesem Saal,
bis auf Eine.
Ihre Schönheit blendete ihn nicht, da er im Herzen schon längst einer Anderen
gehörte.
„Nichts, worüber es sich für euch lohnen würde, sich euren hübschen Kopf zu
zerbrechen.“ Erwiderte er gelassen und beobachtete ihre Mimik.
Für einen kurzen Augenblick entglitt ihr der höfische Gesichtsausdruck und Breda
konnte erkennen, dass es ihr nicht passte, dass er ihrer Schönheit und Perfektion
nicht verfallen war. Offensichtlich war sie es gewohnt, alles zu bekommen woran sie
auch nur dachte.
Anička von Brasov würde nicht eher ruhen, bis sie ihre Trophäe, Breda von Krolock,
in den schlanken wohlgeformten Händen hielt. Ihre Augen sagten mehr aus, als alles
andere.
Bredas Menschenkenntnis war soweit ausgeprägt, dass er sagen konnte: Sie war
keine Schönheit, wenn man diese nach dem Charakter einer Person maß.
Wenn er sich vorstellte, dass er mit dieser Frau sein Leben verbringen musste, lief es
ihm eiskalt den Rücken hinunter. Er wollte sein ganzes Leben mit niemand anderem
verbringen als mit Nadja.
Seiner Nadja.
Und es wurde ihm schwer ums Herz, dass es niemals seine Nadja werden würde.
„Entschuldigen sie, Anička.“ Bat er am Ende des nächsten Tanzes und führte sie aus
der Menge der tanzenden und lachenden Meute. „Ich habe noch etwas zu
besprechen.“
Sie zog einen Schmollmund, der zwar reizend aussah, ihn jedoch völlig kalt ließ.
„Heute ist eine Nacht, um sich dem Vergnügen hinzugeben. Sie wollen mich jetzt
doch nicht ernsthaft hier stehenlassen, um langweilige Konversationen zu
betreiben!“
„Ich muss!“ beteuerte er ihr und hob entschuldigend die Hände.
Bevor sie noch etwas sagen konnte, ging er davon, obwohl er wusste, dass dies kein
gebührliches Verhalten gegenüber einer Dame war. Doch der Blick der grünen
Augen ließ ihn nicht mehr los und er wusste, dass es über den Abend immer
schwerer werden würde, Nadja weiszumachen, er würde sie nicht mehr sehen
wollen.
Also wollte er es so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Mit dem Gefühl, den schlimmsten Fehler seines Lebens zu machen ging er zu Nadja
hinüber, die von mehreren Frauen umringt an einem der großen Fenster stand,
durch die Breda schon so oft die Landschaft betrachtet hatte.
27
„Ich weiß nicht recht“, meinte Nadja zögerlich zu einer älteren Dame. „Sie werden es
wohl kaum kennen und es ist auch nichts, was eine Dame aus ihren Kreisen
interessieren würde.“
Die ältere Frau lächelte ihr aufmunternd zu. „Aber, Herzchen! Erzählen sie ruhig.
Dann können wir immer noch entscheiden, ob es wert ist, sich dafür zu interessieren
oder nicht. Ich bin so neugierig!“ rief sie aus und tätschelte Nadjas Hand mit ihren
beringten Fingern, während von allen Seiten zustimmende und ermunternde
Aufforderungen erklangen.
Nadja blickte sichtlich gequält in die Runde.
Breda konnte es gut nachvollziehen, dass sie sich gerade gar nicht wohl fühlte. Sogar
bei ihm war es diesen Leuten schon gelungen, das Gefühl zu vermitteln, man sei eine
höchst interessante Studie. Nadja, die das alles nicht gewöhnt war, musste das noch
mehr zusetzen.
„Meine Damen!“ unterbrach Breda die Frauen und verbeugte sich.
Dann sah er Nadja an. Er blickte in ihr hübsches Gesicht, dessen Wangen mit einer
leichten Röte überzogen waren. Ihre unverhohlene Freude hätte ihn beinahe
sprachlos gemacht. Gleichzeitig bereitete es ihm Sorge, dass jeder der Anwesenden
ihre Gefühle wie ein offenes Buch lesen konnte. Was wenn das jemand gegen sie
verwendete?
„Möchtet ihr tanzen, Nadja?“ fragte er sie höflich und verfluchte sich in Gedanken
dafür.
Wenn er schon Angst hatte, jemand könnte Nadjas Gefühle gegen sie verwenden,
wie konnte er sie zum Tanzen auffordern und sein Interesse an ihr kundtun?
Nadja lächelte während sie ihm zunickte. Breda hielt ihr seinen Arm hin, den sie mit
kurzem Zögern ergriff.
„Danke“, flüsterte sie im kaum hörbar zu.
Nadja war keine besonders gute Tänzerin und im Vergleich zu Anička holzte sie
geradezu durch den Saal. Aber das tat ihm Vergleich zu der klassischen Schönheit
jeder. Aber für jemanden, der nur die Bauerntänze kannte, machte Nadja sich recht
gut. Und Breda liebte ihre Art sich zu bewegen. So ungekünstelt.
Als die letzten Töne verklungen waren, führte Breda Nadja in eine ruhigere Ecke des
Saals, wo sie ungestört waren.
„Das war unglaublich!“ lachte die junge Frau und drehte sich im Kreis. „Der Tanz
hat richtig Spaß gemacht. Und er kam genau zum richtigen Zeitpunkt.“ Fügte sie mit
einem Blick auf die Frauen hinzu, die Nadja und Breda die ganze Zeit nicht aus den
Augen gelassen hatten und sich den beiden unauffällig näherten. Zumindest
glaubten sie das.
Mit einer Handbewegung und einem Kopfschütteln bedeutete Breda ihnen, dass er
und Nadja ungestört sein wollten. Das würde ihnen zwar neuen Stoff für ihre
Klatschgeschichten liefern, aber er musste unbedingt mit Nadja alleine reden. Wenn
andere Leute dabei wären, würde er nicht dazu kommen, das zu sagen, was er sagen
musste.
28
Er atmete tief durch.
„Danke für eben“, meinte Nadja zum wiederholten Male und bemerkte nicht, wie
aufgewühlt der junge Grafensohn war.
Breda hob die Brauen. „Die werden wiederkommen. Und in der Zwischenzeit
werden sie sich das Maul über das Bauernmädchen und den Grafensohn zerreißen.“
„Ich meinte den Tanz!“ lachte Nadja. „Es war wunderbar, Teil dieser Gemeinschaft
zu sein. Zumindest für diese paar Minuten.“
Verträumt blickte sie auf die tanzenden Menschen.
Breda wollte ihr nicht die Freude verderben, aber es würde sich
höchstwahrscheinlich keine andere Gelegenheit mehr bieten, mit ihr in Ruhe zu
sprechen.
„Nadja, ich muss dringend mit euch reden“, begann er.
Er hatte sich vor dem Ball schon eine „Rede“ ausgedacht, die Nadja hoffentlich
überzeugen würde.
Nadjas Gesichtsausdruck wurde ernst, als sie seinen Tonfall vernahm.
„Ich wusste schon die ganze Zeit, dass dich irgendetwas beschäftigt. Du warst so
abwesend. Erzähl es mir!“ verlangte sie.
Breda hatte ja gewusst, dass er es nicht ganz würde verbergen können. Aber er hatte
es gehofft.
„Nadja, es gibt da etwas, von dem ich denke, dass ihr es wissen solltet.“
Er siezte sie bewusst und fühlte sich richtig schlecht, als er sah, wie ihre Augen sie
leicht weiteten.
„Keiner hört uns.“ Es kam fast als Frage heraus und in einem hoffnungsvollen Ton,
als betete sie insgeheim, dass sein förmlicher Ton nur damit zu tun hatte, dass sie
nicht alleine waren.
„Keiner hört uns.“ Stimmte Breda zu und ertrug klaglos Nadjas enttäuschten
Gesichtsausdruck. Am liebsten hätte er ihr sofort alles erklärt und sie gebeten, ihm
zu verzeihen, dass er ihr das antat.
Etwas von seinen Gefühlen musste man ihm auch ansehen, denn Nadjas Blick wurde
unerwartet weich, als sie sagte: „Ich… bin froh heute Abend hier zu sein.“ Ihre
Lippen formten lautlos die Worte „Mit dir“.
Er musste sich auf die Zunge beißen, um nichts Ähnliches zu erwidern. Breda ahnte,
dass er es nicht schaffen würde, mit ihr zu reden. In den nächsten Minuten würde er
irgendetwas sagen, was er nachher bereuen würde.
Verdammt sollten sein Vater und seine Machenschaften sein!!!
Nadja sah ihn abwartend an. Dabei strich sie nervös die Falten ihres Kleides glatt
und wippte leicht auf den Fußballen auf und ab.
Ihre Hibbelei machte es auch nicht besser. Breda versuchte sich verzweifelt an seine
„Rede“ zu erinnern, die er sich ausgedacht hatte, doch die Worte wollten nicht
kommen. Er hatte keine Ahnung, was er hatte sagen wollen. Also beschränkte er sich
auf ein kurzes Lächeln und winkte einen Bediensteten, dass er Wein bringen solle.
Vielleicht würden die Worte wiederkommen…
„Amüsiert ihr euch, meine Liebe?“
29
Breda zuckte zusammen, als er die Stimme hörte.
Unbemerkt war sein Vater zu ihnen getreten und hatte sich jetzt an Nadja gewandt.
„Sehr“, antwortete diese, lächelte und drehte sich einmal im Kreis, sodass der Rock
ihres Kleides um sie herumwirbelte. „Ich bin euch dankbar, dass ich kommen durfte.
Und für das Kleid. Es ist wunderschön!“
Graf von Krolock zeigte ein gewinnendes Lächeln, das ebenso falsch war, wie seine
Frage, ob es ihr gefalle. Bedauerlicherweise schien das niemandem außer Breda
aufzufallen.
„Ich bin erfreut zu hören, dass der heutige Ball ihr Gefallen findet. Und das Kleid ist
nur eine unbedeutende Kleinigkeit. Es wäre nichts ohne euer liebreizendes Gesicht.“
Schmeichelte er Nadja, die bei seinen letzten Worten errötete.
Der Graf nahm Nadja ihr Weinglas aus der Hand und stellte es beiseite.
„Würdet ihr mir die Ehre erweisen, mir einen Tanz zu schenken?“ fragte er galant.
Nadja zögerte, ergriff jedoch seinen Arm, wobei sie leicht zusammenzuckte.
Sie wirkte wie ein Kaninchen, das einer Giftschlange in die Augen blickte. Klein und
hoffnungslos verloren, wie sie da neben der aufrechten stolzen Gestalt des Grafen
auf die Tanzfläche schritt.
Breda sah aus den Augenwinkeln, wie Anička auf ihn zukam und ergab sich seinem
Schicksal.
Während er mit Anička tanzte, ließ er Nadja nicht aus dem Augen. Er traute seinem
Vater nicht und befürchtete, dass dieser einen seiner Pläne verfolgte. Weshalb sollte
er sich dazu herablassen, mit einem Mädchen vom Land zu tanzen?
Die Schritte seines Vaters waren kontrolliert und präzise, sodass sie in starkem
Kontrast zu den nervösen ungeübten Tanzschritten Nadjas standen.
Breda fand es fürchterlich zusehen zu müssen. Mit Anička tanzen zu müssen, nichts
tun zu können, um Nadja vor seinem Vater in Schutz zu nehmen.
Als die Musik endete, sah er wie sein Vater Nadja von der Tanzfläche führte. Als er
hinterher wollte, spürte er Aničkas sanften aber beharrlichen Widerstand.
„Ich wollt mich doch nicht schon wieder stehen lassen?“ lachte sie.
„Ich muss…“
„… etwas besprechen? Konversation?“ spottete sie. „Die Ausflucht gilt nicht mehr!“
„Und wenn es wirklich wichtig wäre?“
Aničkas Blick wanderte rüber zu Nadja und musterte sie kühl.
„Wenn SIE so wichtig ist, dann kann ich euch wohl nicht aufhalten. Ich möchte euch
nur vor den Folgen warnen.“
Breda, der die ganze Zeit Nadja und den Grafen beobachtet hatte, hatte nun das
Gefühl in eine tiefe Schlucht zu fallen.
Sollte Anička nicht nur seine Braut sein, sondern auch noch mit seinem Vater
gemeinsame Sache machen? Wenn sie dann wirklich gemerkt hatte, wie viel ihm
Nadja bedeutete…
„Ich fragt euch sicher von welchen Folgen ich spreche“, fuhr Anička unbeirrt fort
und schenkte ihm ein betörendes Lächeln.
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„Vielleicht sollten wir in einer ruhigeren Ecke reden“, schlug Breda mit einem
mulmigen Gefühl im Magen vor.
Es musste nicht jeder mitbekommen, dass auf dem heutigen Ball noch ein anderes
Spiel gespielt wurde.
„Unsere Väter haben unsere Heirat abgesprochen“, begann Anička, nachdem sie eine
abgelegene Ecke gefunden hatten. „Genaugenommen hat euer Vater alles in die
Wege geleitet. Wisst ihr die Gründe?“
Um seinen Sohn zu unterdrücken, lag es Breda auf der Zunge. Aber diese Antwort
wäre wohl weniger klug gewesen. So schüttelte er nur den Kopf.
„Eurer Grafschaft sind schon lange die finanziellen Mittel ausgegangen. Ich komme
aus einer reichen Familie und habe eine hohe Mitgift, mit der ihr sofort alle Schulden
los wärt.“
Anička lächelte ihn hochmütig an.
„Wenn ihr wollt, dass eure Grafschaft überlebt, dann solltet ihr darauf achten, mich
und meine Familie nicht zu verärgern.“
Sie warf Nadja einen weiteren Blick zu, ihn dem keine Kälte, sondern Hass lag.
„Ich teile nicht mit einem Bauernmädchen, das nicht einmal ahnt, mit welchem Ende
der Gabel man isst. Und ich lasse mir von so einer schon gar nicht meinen Platz
nehmen. Wenn euch ernsthaft etwas an dieser Heirat gelegen ist, will ich dieses Kind
nie wieder sehen!“
Anička lächelte ihn besänftigend an.
„Aber ihr werdet ohne Frage jeden Kontakt in diese Richtung abbrechen, nicht
wahr?“
Daher wehte also der Wind!
Breda war erleichtert, dass es sich nur um die Eifersucht einer verzogenen eitlen Frau
handelte.
Die Geschichte mir den finanziellen Mitteln klang realistisch. Das musste er seinem
Vater lassen. Aber der Wahrheit entsprach sie nicht wirklich. Die Menschen in der
Grafschaft waren arm und konnten sich nur knapp über Wasser halten, was aber
nicht daran lag, dass die Grafschaft kein Geld zur Verfügung hatte, sondern daran,
dass Graf von Krolock das meiste der Gelder für sich selbst beanspruchte. Die Heirat
war vermutlich hauptsächlich dafür gedacht, noch mehr Geld zu scheffeln. Wenn es
stimmte, was Anička erzählt hatte.
Er überlegte, was wohl für Aničkas Familie dabei herausspringen würde.
„Die Frage ist durchaus berechtigt“, antwortete sie auf seine Frage. „Aber es steht
mir nicht zu, Auskünfte zu erteilen ohne mit meinen Leuten Rücksprache zu halten.
Ihr werdet das sicher verstehen.“
Breda von Krolock musterte sie seinerseits mit einem kalten Blick, den er von sich
gar nicht kannte.
„Dann hoffe ich, Anička, dass es sich wenigstens für euch und eure Familie lohnt,
wenn wir ein Bündnis eingehen.“
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Mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Keine Sekunde hätte er in Gegenwart
dieser Frau noch ausgehalten. Sie war genau der Typ Mensch, den er verabscheute.
Materealistisch, egoistisch, selbstverliebt, wie sein Vater. Vielleicht nicht ganz so
grausam.
Am liebsten hätte er sich jetzt in Nadjas Arme geflüchtet und sich von ihr versichern
lassen, dass dies nur ein böser Traum war. Sein Leben konnte doch nicht wirklich so
eine Wendung genommen haben!
Anička rief ihm noch etwas hinterher, was er aber nicht verstand oder vielleicht auch
nicht verstehen wollte.
Seine Schritte führten ihn direkt zu Nadja, die immer noch bei seinem Vater stand.
Doch im Gegensatz zu vorher schien sie jetzt entspannt und lachte sogar über etwas,
was einer der Adligen sagte.
Nadja sah ihn kommen und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht
aus. Als sein Vater, der mit dem Rücken zu Breda stand, merkte, dass ihre
Aufmerksamkeit auf etwas hinter ihm gerichtet war, drehte er sich um.
„Mein Sohn! Wie erfreulich, dass ihr uns doch noch mit eurer Anwesenheit beehrt,
was wahrscheinlich an der kleinen Sonne in unserer Mitte liegt.“
Misstrauisch beobachtete Breda seinen Vater, der ihn mit einem offenen freundlichen
Lächeln begrüßt hatte. Was ging hier vor?
Der Graf machte einen zufriedenen Eindruck, der nicht gespielt war, wie man an
seinen Augen erkennen konnte. Und das machte Breda Angst.
„Es ist nicht einfach, sich die ganze Nacht dem Tanzvergnügen hinzugeben.“
Entgegnete Breda mit einem angestrengten Lächeln. „Früher oder später muss man
doch eine Pause machen und das Gespräch suchen.“
„Bei euch wohl eher später,“ bemerkte ein älterer Adliger trocken. „Ich gratuliere zu
so viel Ausdauer. Und natürlich zu der Braut. Ein reizendes Mädchen.“
„Wir danken“, antwortete Graf von Krolock anstelle seines Sohnes, der glaubte, der
Abend könne gar nicht schlimmer werden.
Nadja lächelte weiterhin, während sie mit einer jungen Frau redete. Gottseidank
schien sie von der Bemerkung mit der Braut nichts mitbekommen zu haben!
Aber er musste jetzt wirklich mit ihr reden!
„Nadja…“
„Bevor ihr wieder eine lauschige Ecke aufsucht, Breda, würde ich gerne eine kleine
Ansprache halten.“ Warf Graf von Krolock ein und ließ sich Wein nachschenken. Er
hob sein Glas und die Musik verstummte. Die Blicke wandten sich ihm zu.
„Ich möchte euch allen danken, dass ihr die Mühen auf euch genommen habt und
hierhergekommen seid, um mit uns dieses Fest zu feiern! Und es gibt einen
wunderbaren Grund zu feiern. Der Grund, der bis jetzt nur als Gerücht kursiert, und
den ich euch jetzt zu dieser späten Stunde verkünden möchte!“ Er machte eine
dramatische Pause.
Die Leute blickten gebannt zu ihm. Neugierde lag in ihren Blicken.
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Breda bemühte sich, nicht unbehaglich von einem Fuß auf den anderen zu treten.
Etwas ging hier vor…
Nadja blickte gespannt und freudig zwischen seinem Vater und ihm hin und her.
Ihre Finger spielten mit einer Schleife.
„Die Gerüchte sind insofern zutreffend, als dass es sich um eine Verlobung handelt.“
Erschrocken blickte Breda zu seinem Vater.
Das ging zu schnell! Er musste es Nadja noch sagen! Sie sollte es nicht auf diese
Weise erfahren. Das hatte sie nicht verdient!
Doch Nadja sah immer noch mit funkelnden Augen zu ihm, ein verträumtes Lächeln
auf den Lippen.
Das sie es nicht gehört hatte, war unwahrscheinlich. Warum also war sie so fröhlich?
Oder mochte sie ihn doch nicht und freute sich einfach nur über die bevorstehende
Hochzeit?
Das konnte er sich nur schwerlich vorstellen!
Plötzlich dämmerte ihm, was sein Vater vorhatte.
„Mein Sohn, Breda von Krolock, hat endlich seinen Herzensdame gefunden!“
verkündete der Graf und hielt Nadja seine Hand entgegen, die zögerlich nach vorne
trat und ihre Hand hob, um sie in die seines Vaters zu legen.
Breda durchlebte tausend Höllenfeuer. Doch er konnte nichts tun. Das Spiel hatte
seinen Höhepunkt früher und anders erreicht, als gedacht und er konnte nichts tun,
um diese Szene abzuwenden.
Wie in einem Alptraum musste er zusehen, wie Anička hinter Nadja hervortrat, sie
nicht gerade zimperlich beiseiteschob, ihr ein triumphierendes Lächeln zuwarf und
sich schließlich neben Breda stellte. Ihre zierliche Hand fasste nach seinem Arm und
nur mit Mühe konnte er das Verlangen beiseiteschieben, sie von sich zu stoßen.
Am allerschlimmsten war Nadjas Blick.
Irritiert, fassungslos und schließlich unendlich verletzt und traurig. Der Kummer
spülte wie eine Flutwelle über ihn hinweg.
„Verehrte Anička,“ begrüßte Graf von Krolock die junge Frau ohne Nadja eines
Blickes zu würdigen. „Ich freue mich, dass ich bald ein so vollkommenes Geschöpf
meine Schwiegertochter nennen darf.“
„Vielen Dank.“ Antwortete Anička.
Seltsam wie die Stimme auf einmal hallte. Das war doch eben nicht so gewesen…
Überhaupt…
Plötzlich schien alles so dumpf.
Das einzige, was er so klar wie nie wahrnahm war die kleine Träne, die Nadjas
Wange hinunterlief und von ihrem Kinn auf das grüne Kleid tropfte. Wie in Zeitlupe
sah er sie fallen.
Er blickte in Nadjas Augen. So schöne Augen. Und so viel Traurigkeit in ihnen.
Das sollte so nicht sein!
Er sah wie sie sich an den anderen vorbei zur Tür drängte, wobei ihr ein paar
mitleidige oder boshafte Blicke zugeworfen wurden.
33
Aber die ganze Aufmerksamkeit lag auf den drei Personen, zwei Männer und eine
schwarzhaarige Frau.
Erst als Nadja durch die Tür lief, konnte Breda sich aus seiner Erstarrung befreien.
Die Selbstbeherrschung des Abends war verflogen. Er konnte nur noch an SIE
denken.
„Nadja!“
Er rannte hinter ihr her, ungeachtet der Blicke, die er auf sich zog. Ungeachtet seines
Vaters und seiner…
Er weigerte sich auch nur das Wort „Braut“ zu denken.
Er rannte durch die offene Tür hinter ihr her. Wenn er doch wüsste, wohin sie
gelaufen war. Es gab im Schloss unzählige Ecken, an denen man sich verstecken
konnte.
Er versuchte sich in ihre Lage zu versetzen. Wenn er Nadja wäre, wo würde er
hinlaufen? Wo würde er sich sicher fühlen?
Breda schlug sich gegen die Stirn. Im Dorf. In ihrem Zuhause.
Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm die draußen herrschende Dunkelheit. Er betete,
dass sie nicht wirklich um diese Uhrzeit zum Dorf laufen wollte.
Ein weiterer Blick, zeigte ihm eine kleine Gestalt, die auf den Wald zu rannte.
Er sprang auf und rannte hinunter in den Schlosshof.
Im Stall griff er sich eines der Pferde und stieg auf ohne sich um einen Sattel oder
Zaumzeug zu kümmern. Es war ohnehin schon ein Wahnsinn, glauben zu wollen, er
würde Nadja finden.
Den Vorsprung würde er zwar mit dem Pferd wettmachen können, jedoch so wie er
sie kannte, würde sie sich vor ihm verstecken. Und er hätte keine Möglichkeit, sie bei
der Dunkelheit zu finden. Was wenn ihr etwas passierte? Es konnte so viel
geschehen…
Trotzdem wollte er die Hoffnung nicht aufgeben.
Die Fenster vom Saal zeigten flackerndes Kerzenlicht und vereinzelt drangen Töne
und Gelächter zu ihm hinunter. Eine aufrechte Gestalt stand am Fenster und blickte
zu ihm hinunter.
Du Monster, dachte Breda. Du bösartiges Monster!
Er wandte dem Schloss den Rücken zu und galoppierte durch das Tor in Richtung
Wald.
„NADJA!!!!“
34
Diskussionen
Die Dunkelheit im Wald war so greifbar gewesen. Die Bäume wirkten wie Wesen
aus einer anderen Welt. Wesen, die ihm nichts Gutes wollten. Die Zweige griffen wie
Finger nach ihm und beinahe hätte es ihn vom Pferd gehauen. Mit allerletzter Kraft
hatte er sich oben halten können.
In der Ferne hatte der junge Mann das Geheul der Wölfe gehört, worauf er noch
schneller geritten war. Doch als er die Lichter des Dorfes sah, wusste er, dass er
Nadja übersehen hatte. Sie konnte unmöglich vor ihm da sein.
Breda hatte also das Pferd gewendet und war zurück Richtung Schloss geritten.
Das Wolfsheulen war näher gekommen, hatte sein Pferd scheu gemacht. Jeden
Moment hatte Breda erwartet den Körper einer jungen Frau reglos am Boden liegen
zu sehen.
Diese Furcht hatte jeden Winkel seiner Seele ausgefüllt. Vor allem, als die Wölfe
verstummt waren.
Breda hatte sie nicht gefunden. Keine Spur von Nadja.
„Ich warte immer noch auf eine Antwort!“
Breda fuhr erschrocken auf.
Er war nicht mehr im Wald, sondern saß im Arbeitszimmer seines Vaters, der ihn
missbilligend ansah.
„Es tut mir leid, Vater. Ich habe nachgedacht.“
„So?“ Der Ton des Grafen verriet sein Desinteresse und seine Meinung zu den
Gedanken seines Sohnes.
„Ich habe an gestern Abend gedacht, Vater.“ Eindringlich sah Breda den älteren
Mann an, der als Antwort nur die Augenbrauen hob. Breda lehnte sich ein Stück
nach vorne. „An Nadja. Ich habe darüber nachgedacht, warum sie wohl weggelaufen
ist.“
Insgeheim ahnte Breda längst, was gestern für ein intrigantes Spiel gespielt wurde.
Und es ärgerte ihn, dass er nichts dagegen hatte unternehmen können.
Das Gesicht des Grafen zeigte keine Regung, als er antwortete: „Es ist anzunehmen,
dass junge Mädchen eine ausgeprägte Vorstellungskraft haben. Sie wird sich mehr
erhofft haben, als letztlich für sie rausgesprungen ist. Und auf Hoffnung folgt
bekanntlich Enttäuschung.“
„Womit sie wohl Erfahrung haben!“ Entschlüpfte es Breda. Er erwartete eine scharfe
Zurechtweisung, ob seiner vorlauten Bemerkung, doch alles was er sah, war ein
kaltes Lächeln, dass über das Gesicht seines Vaters huschte.
„Vielleicht hast du Recht. Ich habe schließlich auch gehofft, einen Sohn zu haben, der
die Grafschaft nicht mit seiner Unfähigkeit zugrunde richten wird, sobald mich das
Zeitliche segnet.“
„Keine Sorge, Vater. Nicht jede Hoffnung muss enttäuscht werden.“
Graf von Krolock kniff die Augen zusammen. „Erspar uns beiden deine
philosophischen Gedanken, Breda. Ich habe nicht vor mit dir Diskussionen über
35
Tatsachen zu führen.“ Die Gesichtszüge des Grafen entspannten sich und er lächelte,
während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. „Nun zu erfreulicheren Themen. Die
bevorstehende Hochzeit will wohl geplant sein und verlangt nach unserer,
insbesondere DEINER Aufmerksamkeit.“
Für einen kurzen Moment war Breda versucht zu fragen, was an diesem Thema
erfreulich sein sollte. Er konnte sich gerade noch zurückhalten.
„Diese Heirat wird sowohl für ihre als auch für unsere Familie überaus wertvoll sein.
Eure Kinder werden später über ein großes Gebiet herrschen. Unser Einflussgebiet
wird erheblich vergrößert.“
Bei der Vorstellung, Kinder mit dieser Frau zu haben, bekam Breda eine Gänsehaut.
Das war wirklich das letzte was er wollte. Doch mittlerweile wusste er, dass er
absolut gar nichts dagegen würde unternehmen können. Anička war offensichtlich
genauso auf diese Verbindung aus wie sein Vater. Die Frage war nur, warum. Die
Grafschaft bot nicht viel. Warum also, war Anička mehr als bereit, ihn zu heiraten.
Sollte sie sich nicht erstrecht dagegen wehren, in diese Einöde einzuheiraten. Eine
Frau wie sie gehörte nicht in diese Gegend.
„Vater, können wir dieses eine Mal offen und ehrlich miteinander reden?“
Ein Lächeln umspielte die Lippen des Grafen. „Wie du wünschst, Breda. Was willst
du?“
„Die Wahrheit, Vater. Und nichts als die Wahrheit. Was ist gestern Abend
geschehen?“
„Ich habe dafür gesorgt, dass nichts und niemand einer Hochzeit zwischen Krolock
und Brasov im Wege steht. Ich habe dir schon erklärt, dass ich deine Verbindung zu
diesem Bauernmädchen nicht dulde. Und gestern Abend habe ich das getan, was
eigentlich deine Aufgabe war. Sie will dich nicht mehr sehen.“
Breda runzelte ärgerlich die Stirn. „Was habt ihr Nadja erzählt?“
„Belaste deinen primitiven Verstand nicht mit unwichtigen Belangen.“
„WAS, Vater?! Ich möchte, nein, ich verlange zu erfahren, was gestern passiert ist!“
Das kleine Lächeln auf von Krolocks Gesicht erlosch und die Eiseskälte seines Blickes
schien die Raumtemperatur sinken zu lassen. „Aufgrund der gegebenen Umstände,
will ich dir deinen respektlosen Ton verzeihen.“ Er hielt inne. „Da du es
offensichtlich um jeden Preis erfahren willst, werde ich dir nichts vorenthalten.“ Der
Graf legte die Fingerspitzen aneinander. „Du bist zu weich, Breda. Wenn ich dir
die… Angelegenheit überlassen hätte, wärst du nächste Woche noch damit
beschäftigt, einen möglichst harmlosen Weg zu finden.“
Anstatt nun endlich das zu bestätigen, was Breda schon die ganze Zeit vermutete,
stand sein Vater auf und ging zu den großen Fenster, die einen wunderbaren Blick
auf die umliegende Landschaft enthüllten. Er öffnete eines der Fenster und blickte
hinaus, als ob es ihn wirklich faszinierte, was er dort zu sehen bekam.
„Als ich gestern sah, wie … fürsorglich, “ er spuckte diese Wort geradezu aus, „du
dieses Mädchen auf deine nette kleine… Geschichte vorbereitet hast, wusste ich, dass
du nicht den Mut dazu hast, ihr fernzubleiben. Jeder deiner Blicke hat gezeigt, was
du empfandest. Auch Anička konnte das nicht verborgen bleiben und wir können
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von Glück reden, dass sie die künftige Verbindung nicht durchtrennt hat.“ Er
durchbohrte seinen Sohn mit einem undurchdringlichen Blick. „Ich habe das getan,
was jeder Vater getan hat: Künftiges Unheil abgewendet. Mit ein paar wohlgesetzten
Äußerungen habe ich sie in den Glauben versetzt, du würdest SIE heiraten wollen.“
Er lachte. „Naives Kind. Als ob du nichts Besseres kriegen könntest. Letztendlich
hast du ihre Gefühle verletzt, indem du dich für eine andere entschieden hast.“ Graf
von Krolock lachte immer noch.
Breda zitterte vor unterdrückter Wut.
Er hatte sein ganzes Leben im Schatten seines Vaters verbracht. In den Lügen und
Intrigen. Er hatte sich damit abgefunden, wie sein Vater war, wie er von ihm dachte
und was er tat. Er hatte alles über sich ergehen lassen. Gleichzeitig hatte er gewusst,
irgendwann würde der dünne Faden, der seinen Vater und ihn verband und der
schon immer zerschlissen und ausgefranst war, zerreißen. Irgendwann würde er
seinen Zorn über die Ungerechtigkeit nicht mehr beherrschen können.
Und dieser Augenblick war jetzt, genau jetzt gekommen.
Mit seiner Äußerung „Ich habe das getan, was jeder Vater getan hätte“ und mit der
Bestätigung Bredas Vermutung hatte sein Vater das Fass zum Überlaufen gebracht
und Breda bis an die Grenzen seiner Toleranz getrieben.
„Dass ihr es überhaupt wagt, eine solche Aussage in den Mund zu nehmen“, zischte
er. „ ‚Wie andere Väter auch‘ ! Wann, ich frage euch wann, seid ihr mir je ein Vater
gewesen in den letzten Jahren, seit Mutters Verschwinden? Wann hat es euch
geschert, was ich von euch denke? Wann habt ihr euch darüber Gedanken gemacht,
wie ihr ein ‚Unheil fernhalten‘ könntet? Seid wenigstens dieses eine Mal ehrlich zu
mir und zu euch selber! Das vermeintliche Unheil betrifft doch nur euch mitsamt
euren elenden Machtgelüsten!“
Graf von Krolock fing schallend an zu lachen.
Es war das erste Mal, dass der Sohn seinen Vater lachen sah. Er hatte ja nicht einmal
geahnt, dass dieser zu solchen Gefühlsausbrüchen fähig war.
Bei diesem Anblick konnte Breda seine Mutter verstehen. Beim Lachen zeigten sich
Grübchen und früher mussten diese kalten Augen dabei gestrahlt haben. Jetzt jedoch
war dort nur diese Kälte, die das Lachen zu einer Maske, einer Grimasse verzerrte.
Undeutlich konnte er sich an eine Zeit erinnern, als er noch ein kleiner Junge
gewesen war. Damals war vieles anders gewesen. Doch irgendein Ereignis, dass sich
seiner genauen Kenntnis entzog, hatte alles verändert. Sein Vater hatte sich
verändert. Seine Mutter hatte sich immer mehr zurückgezogen und war eines Tages
verschwunden. Dieser Tag hatte Vater und Sohn endgültig entzweit. Er hatte sie zu
Fremden gemacht, die nur zufällig im selben Gemäuer wohnten.
Die Erinnerungen schienen wie längst verlorene Träume, ausgeträumt, verblasst,
unwirklich.
Das Lachen des Grafen war nach wenigen Sekunden aufgebraucht.
„Ich denke nicht, dass dies alles war, was ihr zu ihr gesagt habt.“ Kam Breda nach
kurzem Zögern wieder auf das Thema zu sprechen.
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Der Graf ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder. „Ich denke nicht, dass
dieses Thema hier noch zur Debatte steht.“ Mit einer Handbewegung bedeutete er
Breda, dass dieser sich entfernen konnte.
„Früher oder später werde ich es erfahren!“
„Das wirst du nicht!“ entgegnete Graf von Krolock in aller Seelenruhe. „Dieses
Gespräch haben wir doch schon geführt.“
Mit diesen Worten zerdrückte er einen Käfer, der es gewagt hatte, auf dem rustikalen
Holz zu krabbeln.
„Geh!“
Breda schwieg.
Er hatte verstanden, was sein Vater gemeint hatte. Er hatte verstanden, dass weiterer
Widerstand zwecklos und für Nadja sicherlich nicht ungefährlich werden würde.
Mit schnellen Schritten verließ er da Arbeitszimmer seines Vaters.
Er wusste nicht, wohin er reiten sollte. Ins Dorf, wo er sonst Zuflucht vor der
Wirklichkeit suchte, konnte er nicht. Er wagte es nicht einmal in die Richtung zu
reiten.
Ohne es bewusst wahrzunehmen, führte ihn sein Weg zu der Ruine, in der Nadja
und er im Regen Unterschlupf gesucht hatten. Es hatte sich nichts verändert. Und
doch kam es ihm vor, als wären seit diesem wunderbaren Tag Jahrhunderte
vergangen.
Die Sonne schien, sodass alles in strahlendes Licht getaucht wurde und wie eine
Märchenwelt erschien.
Seufzend ließ Breda sich auf einem Stein nieder, vergrub das Gesicht in den Händen
und hing vergangenen Tagen nach.
Den dunklen Schatten hinter den Bäumen bemerkte er so nicht.
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Falsches Spiel
In der Halle befanden sich nur wenige Personen, als Breda durch die Tür trat.
Graf von Krolock, Anička, ihre Eltern, die für wenige Tage zu Besuch gekommen
waren, und ein paar Diener, die um die große Tafel herum wuselten, damit die
hohen Herrschaften auch alles zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit vorfinden
würden.
Vor diesem Essen hatte es dem jungen Mann gegraust. Dies war das erste Mal, dass
die Angehörigen beider Familien alleine zusammentrafen, um die weiteren Pläne für
die Hochzeit zu besprechen.
Aničkas Vater war ein hagerer Mann, der aussah, als würde er schon seit geraumer
Zeit unter der Erde ruhen. Seine Haut war fahl, fast wächsern, dunkle Ringe lagen
unter wässrigen blauen Augen. Die dünne Nase prangte über einem schmallippigen
Mund, dessen bläuliche Färbung nicht gerade für die Gesundheit des Mannes
sprach.
Seine Frau hatte dieselbe bleiche Haut, die jedoch dank der Schminkkünste nicht
ganz so ungesund aussah, wie bei ihrem Gatten.
Im starken Gegensatz dazu stand Anička, die mit ihrem silbern schimmernden Kleid
nicht weniger schön aussah, als am Abend des Balls.
„Darf ich ihnen meinen Sohn Breda vorstellen?“
Mit einem Lächeln ließ Breda die Vorstellung über sich ergehen. Er nickte und
antwortete, wo es angebracht war. Schließlich gingen sie alle rüber zu der Tafel und
ließen sich nieder.
Graf von Krolock am Kopfende des Tisches, auf einer Seite die von Brasovs, auf der
anderen Seite Anička und er selber.
„Wie gefällt euch denn meine Tochter?“ von Brasov ließ sich Wein eingießen.
„UNSERE Tochter!“ unterbrach seine Frau. Mit einem entschuldigenden Lächeln
fuhr sie fort. „Ich bin zwar nur Aničkas Stiefmutter, aber ich empfinde für sie, wie
für mein eigenes Kind. Leider habe ich kein eigenes, “ meinte sie mit bedauernder
Stimme. „Das Schicksal hat es mir bedauerlicherweise verwehrt.“
„Umso mehr Glück habt ihr wohl mit dieser außergewöhnlichen jungen Frau
gemacht!“ Graf von Krolock nickte Anička wohlwollend zu.
Graf von Brasov nickte ernst. „Sie ist wirklich etwas ganz besonderes.“
So wie er das aussprach jagte er Breda einen Schauer über den Rücken. ‚Etwas ganz
besonderes‘. Es klang nicht so, wie ein Vater so etwas über seine Tochter sagen sollte.
Obwohl, er wusste selber, dass eine Beziehung zwischen Vater und Kind nicht
immer Gutes mit sich bringt. Oder sollte er sagen, eine nicht vorhandene Beziehung?
„Ihre Mutter ist gestoben, als sie noch ein kleines Kind war.“ erklärte von Brasov.
„Das tut mir leid für euch. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, seine
Mutter verloren zu haben.“
„Ich danke euch, für euer Beileid, Breda.“ Antwortete Anička in freundlichem
Tonfall, der nur durch ihren eisigen Blick getrübt wurde. „Aber ich denke nicht, dass
sich eure Vergangenheit mit meiner vergleichen lässt.“
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Gräfin von Brasov klatschte in die Hände. „Das sollte nun aber wirklich kein Thema
bei Tisch sein, meine Lieben. Solche Unterhaltungen vergraulen nur die Stimmung
und sind vollkommen unnötig, da man sowieso nichts mehr daran ändern kann.“
„Wie wahr, meine Liebe“, stimmte ihr Mann zu.
Die fünf Personen widmeten sich dem Essen.
„Verzeiht mir die Frage“, wandte sich Breda an Aničkas Vater. Aus den
Augenwinkeln beobachtete er, wie sein Vater ihn mit zusammengekniffenen Augen
anstarrte. „ aber eine Sache verstehe ich noch nicht so recht. Und sie würde mich
wirklich interessieren.“
Graf von Brasov hob die Augenbrauen. „Fragt ruhig so viel ihr möchtet. Es erfreut
mein altes Herz, meinem zukünftigen Schwiegersohn zu helfen.“
„Verzeiht mir, wenn ich ein wenig direkt werde.“
Von Brasov nickte. „Natürlich, mein Junge. Wenn wir alle unsere wahren Gedanken
nie Ausdruck verleihen würden, würden wir nie etwas im Leben erreichen.“
Breda befeuchtete sich die Lippen bevor er weiter sprach: „Durch die Hochzeit steigt
die Familie Krolock in ihrem Ansehen und deswegen verstehe ich auch, was meinen
Vater dazu bewog, zuzustimmen. Was ich nicht wirklich nachvollziehen kann ist,
was bewegt eine so hochstehende Familie, wie die eure, eure Tochter in die Provinz
zu verheiraten?“
Graf von Brasov lachte. Doch es war nicht gerade ein besonders freundliches Lachen.
Irgendetwas an dem Mann war Breda unheimlich. Er konnte es nicht benennen, aber
er wusste, dass da etwas nicht stimmte.
„Verzeiht meinem Sohn“, warf Graf von Krolock ein. „Er ist zuweilen etwas
ungehobelt. Ich glaube, die Gesellschaft eurer Tochter wird ihm gut tun.“
„Wozu sollte ich etwas verzeihen?“ rief von Brasov aus. „Die Frage ist durchaus
berechtigt.“ Er wandte sich wieder Breda zu. „Ich habe emotionale Bindungen, die
dieses Land für mich wertvoll machen. Außerdem schadet es nie, ebenfalls
Verbündete auf dem Land zu haben, die einem verpflichtet sind.“
Da war sie wieder, diese unheimliche Betonung. ‚Verpflichtet‘. Es klang nicht gerade
besonders einladend, aber außer Breda schien das niemandem aufzufallen.
Niemandem außer Anička. Die junge Frau lächelte ein hintergründiges Lächeln, das
nichts Gutes verhieß. Als sie bemerkte, dass Breda sie beobachtete, warf sie ihm
einen Blick durch die Wimpern zu, der wohl jeden anderen Mann schwach gemacht
hätte.
Den Rest der Mahlzeit sprachen sie über leichtere Themen, bei denen Breda sich
halbwegs entspannt zurücklehnen konnte.
Er dachte über das eben gehörte nach. Er bezweifelte, dass bei dieser Heirat
emotionale Bindungen eine Rolle spielten. Diese Provinz zählte nicht zu den
schönsten Landschaften Transsylvaniens, ebenso wenig zu den bedeutendsten! Sie
hatten gerade genug Männer, um sich im Falle von Raubüberfällen zur Wehr zu
setzen. Es gab keine besonderen Erzeugnisse. Das einzige, was sie reichlich hatten,
waren Schnee, Felsen und Holz. Mit ersteren ließ sich nichts anfangen und Holz gab
es wo anders auch.
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Was also bewog diese Familie dazu, ihre Tochter in dieses Nest zu verheiraten?
Eines stand für Breda fest:
Die von Brasov spielten ein falsches Spiel!
Es galt nur noch, herauszufinden, welches…
„Nun werden wir uns wohl ins Nebenzimmer begeben. Bei ein paar Gläschen lässt es
sich besser reden.“
Die Grafenfamilie erhob sich zusammen mit Breda und seinem Vater und zu fünft
gingen sie in den kleinen Saal nebenan, in dem die Dienerschaft schon vorsorglich
die Kerzen entzündet und einen der besten Weine bereit gestellt hatte. Auf einem
Tisch standen ein paar kleine Leckereien, während eine gemütliche antike Sitzgruppe
zum Verweilen einlud.
Auf dieser ließen sich die Herrschaften nun auch nieder.
„Nun, ich hoffe, ihnen hat die bisherige Verpflegung durch mein Personal
zugesagt“, begann Graf von Krolock.
Von Brasov lächelte leicht und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Vielen Dank, das
Personal ist wirklich ausgesprochen gut. Sagen sie, mein Freund, woher stammen
diese Leute? Sind es alles Einheimische?“
„Vorwiegend. Abgesehen von ein paar Ausnahmen stammen sie alle hier aus der
Gegend. Die meisten Familien dienen schon seit Generationen in diesem Schloss.“
„Wie lange ist dieses Schloss nun schon im Besitz ihrer Familie?“ beteiligte die Gräfin
sich nun am Gespräch.
„Das Schloss wurde im 13. Jahrhundert unter der Aufsicht meines Vorfahren Graf
Mical von Krolock erbaut. Er bekam damals den Grafentitel, weil er der
Königsfamilie aus einem wirtschaftlichen Engpass herausgeholfen hatte und seitdem
war dieses Schloss samt der dazugehörigen Grafschaft immer im Besitz meiner
Familie“, Schloss sich nun auch Breda an dem Gespräch an.
„Nun, durchaus interessant“, erwiderte Graf von Brasov. Und mit einem seltsam
unheimlichen Unterton fügte er hinzu: „Wir wollen doch hoffen, dass sich das in den
nächsten Jahrhunderten nicht ändert. Es wäre bedauerlich, wenn der Besitz an eine
niedere Familie übergehen würde.“
Die wässrig-blauen Augen bohrten sich in die seinen.
Da erhob sein Vater die Stimme: „Nun, ich bin der festen Überzeugung, dass es noch
lange dauern wird, falls dieser Zustand überhaupt eintreten wird. Ich für meinen
Teil habe dafür gesorgt, dass die Grafschaft in den Händen unserer Familie bleiben
wird und mein Sohn wird ebenfalls dafür Sorge tragen.“ Er erhob sich von seinem
Stuhl.
Breda, der am liebsten einfach nur weit, weit weg gewesen wäre, obwohl er wusste,
dass er so viel über diese seltsame Familie in Erfahrung bringen musste wie nur
möglich, blieb noch einige Augenblicke stehen, bevor er sich auf einen Sessel setzte,
der ein wenig abseits der Gruppe stand. Dort war die Möglichkeit, das Geschehen zu
beobachten weitaus größer. Und vor allem hoffte er, dass seine Anwesenheit etwas
in den Hintergrund geriet. Leider Gottes, war es nicht mehr als eine Hoffnung…
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„Breda, setzt euch doch etwas näher zu uns. Dort hinten seid ihr ja vollkommen
ausgeschlossen“, rief die Gräfin aus.
Breda lächelte ihr zu. „Ich bin ein wenig müde. Außerdem –“
Ein Blick seines Vaters ließ ihn verstummen.
„Wenn er sich dahinten wohler fühlt, so mag er dort bleiben.“ Sagte Graf von Brasov
mit einem Schulterzucken. „Vielleicht komme ich später in den Genuss, ein
ausführliches Gespräch mit eurem Sohn zu führen, Graf von Krolock.“
„Lasst eure Hoffnung nicht übermächtig werden, verehrter Graf“, meinte Graf von
Krolock lächelnd. „Mein Sohn ist manchmal ein etwas karger Gesprächspartner.“
„Was vielleicht daran liegt, dass meine Meinung des Öfteren eine andere ist als die
eure, Vater“, warf Breda ein. „Ihr könnt euch bei der Suche nach Gesprächen ruhig
an mich wenden“, fügte er an von Brasov gewandt hinzu, dessen Mundwinkel
amüsiert zuckten.
„Nun, ich denke, solch ein Gespräch könnte ungemein interessant werden.“
Das könnte durchaus sein, dachte Breda, der den Entschluss gefasst hatte, so viele
Informationen über den Graf und die Gräfin von Brasov einzuholen wie möglich.
Vielleicht könnte er bei einer Unterhaltung mit Graf von Brasov etwas in Erfahrung
bringen.
„Nun, wir können uns bestimmt auch ohne die beiden amüsieren.“ Lachte die Gräfin
und bedeutete Bredas Vater ihr in ein weiteres Nebenzimmer zu folgen. „Lassen wir
die beiden bei ihrem Gespräch alleine. Mein Mann wird euren Sohn jetzt wohl mit
seinen langweiligen Themen bedrängen.“
Graf von Krolock sah seinen Sohn kurz mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck an,
dann folgte er der Gräfin, die ihm grazil die Hand auf den Arm legte.
Anička sah ihn mit einem seltsamen, triumphierenden Lächeln an, bei dem Breda
ganz anders wurde. Er hoffte sehr, dass er diese Hochzeit würde verhindern können.
Breda wandte sich Graf von Brasov zu, der sich in einem gegenüberliegenden Sessel
niedergelassen hatte.
„Ward Ihr früher schon mal hier in der Gegend?“ fragte Breda höflich.
Von Brasov lächelte fahl. „Das kann man so sagen. Ich habe schon vor Jahren eine
gewisse Liebe zu diesem Land entwickelt. Auf einer meiner Reisen bin ich hier in der
Nähe gewesen. Die Menschen hier sind etwas… Kostbares.“
„Vorallem sind sie abergläubig“, fügte Breda beiläufig hinzu. „Der Glaube an die
rumänischen Mythen und Traditionen ist in keinem anderen Teil des Landes so
ausgeprägt.“
„Ist das so?“ Von Brasov richtete sich leicht auf.
Wenn Breda es richtig erkannte, so beunruhigte den Grafen das Gespräch über den
Aberglauben des Volkes. Eine eigenartige Reaktion, die er sich wahrscheinlich
eingebildet hatte.
„Besonders die Wölfe, die hier als Synonym für eine blutsaugende Kreatur gelten,
sind sehr gefürchtet.“ Sprach Breda weiter. „Aber ich denke, jede Region hat wohl
ihre eigenen, kleinen, spezifischen Merkmale.“
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„Das lässt sich nicht leugnen“, stimmte der Graf ihm zu. „Ich sehe, Ihr wisst gut über
Eure Grafschaft Bescheid.“
„Sollte man das nicht als Herrscher?“
Graf von Brasov neigte zustimmend den Kopf. Doch etwas in seinem Blick, ließ den
jungen Grafensohn aufmerken. „Ich sehe, ich bekomme einen recht passablen
Schwiegersohn.“ Lächelte Graf von Brasov.
Die Art und Weise, wie er das Wort „Schwiegersohn“ aussprach, jagte Breda einen
Schauer über den Rücken.
"Wenn ihr mich entschuldigt, ich würde mich gerne zu Bett begeben, da für den
morgigen Tag viel ansteht." bat Breda nach einiger Zeit.
"Natürlich. Wir werden demnächst wohl mehr Zeit für solch interessante Gespräche
haben.“
"Ich muss einige Erkundigungen einholen, die von höchster Dringlichkeit sind“,
antwortete Breda mit Bedacht. „Ich denke nicht, dass ich diese Zeit in den nächsten
Tagen entbehren kann.“
Und es stimmte sogar! Morgen wollte Breda so viele Informationen wie möglich über
die von Brasovs einholen. Weiterhin würde er einen wahrscheinlich vergeblichen
Versuch starten, seinen Vater auf das falsche Verhalten der Familie hinzuweisen.
Bei diesem Vorhaben konnte erholsamer Schlaf nicht schaden, befand der junge
Mann.
„Keine Sorge, junger Herr“, Von Brasov stand auf und musterte ihn kühl. „Bald
werden wir alle Zeit der Welt haben.“
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„Hütet euch vor der Finsternis!“
„Ich kann euch nicht viel sagen, Herr. Nur das, was ihr ohnehin schon wisst.“ Iwan
neigte entschuldigend den Kopf.
„Ich bitte euch trotzdem, mir alles zu sagen, was ihr gehört habt.“ Breda sah den
älteren Diener eindringlich an.
Er hatte sich entschieden, zuerst zu ihm zu gehen. Auch wenn Iwan vermutlich ein
Spitzel seines Vaters war. Aber der Mann bekam alles mit, was am Hofe vor sich
ging.
Iwan runzelte nachdenklich die Stirn. „Am besten wendet ihr euch an Katka, eine
der Küchengehilfinnen. Sie hat früher bei von Brasov gedient. Durch eine Zufall hat
es sie in die Karpaten verschlagen.“
Ein seltsamer Ausdruck glitt über Iwans Gesicht. War es nur Nachdenklichkeit, oder
etwas anderes?
„Vielen Dank.“ Breda nickte dem Mann zu, worauf dieser sich entfernte.
Breda hatte sich eigentlich mehr von diesem Gespräch erhofft. Aber es bestand
wenigstens noch ein bisschen Hoffnung, von dieser Katka etwas zu erfahren. Wenn
sie wirklich einmal bei den von Brasovs gedient hatte, dann musste sie etwas wissen!
Die Frage war nur noch, warum sie nun hier war. Es kam nicht oft vor, dass ein
Diener seinen Herrn wechselte. Oft blieben sie ihr Leben lang an einem Ort.
Nun, er würde den Grund bald erfahren…
Die Luft, die ihm aus der Küche entgegenschlug, brachte seinen Magen zum
grummeln und erinnerte ihn daran, dass er seit dem vorherigen Abend nichts
gegessen hatte.
Während die Köche und Mägde ihre Ehrerbietung zeigten und ihren gewohnten
Tagesablauf für einige Sekunden unterbrachen, fragte der junge Grafensohn nach
einer Dienstmagd namens Katka.
„Herr, die Katka mag recht … sonderbar sein, aber erlaubt mir, zusagen, sie hat noch
nie einen falschen Handgriff getan…“
„Ich bin nicht hier, um etwas zu beanstanden.“ Unterbrach Breda den fülligen Mann,
der sichtlich nervös war. Immerhin war es nicht üblich, den hohen Herrschaften zu
widersprechen.
„Das ist gut zu hören. Verzeiht, Herr.“
Breda nickte dem Mann zu, worauf dieser einer der Frauen einen Wink gab.
Eine Frau mittleren Alters trat hervor. Ihre krausen, eisgrauen Haare, die für ihr
Alter ungewöhnlich waren, hatte sie zu einem langen Zopf geflochten. Das braune
Kleid hing locker an ihrem hageren Körper hinab. Müde Augen blickten ihn an. Sie
machte einen etwas unbeholfenen Knicks.
„Herr?“
Breda lächelte ihr beruhigend zu. Jedenfalls wollte er das, doch die Frau wurde
schreckensbleich, als hätte er soeben ihr Todesurteil verkündet.
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„Geh schon, Katka.“ Der füllige Mann machte eine beruhigende Geste und sofort
schien sich ihre Haltung zu entspannen.
Breda fragte sich unwillkürlich, was diese Frau erlebt haben muss, um so vorzeitig
zu altern, so schreckhaft zu werden.
„Kommt, Katka.“
Er führte sie zu einer kleinen Kammer, in der sie ungestört würden reden können.
Ihre Haltung zeugte von Demut, aber mehr noch von Angst und Schrecken.
„Keine Sorge, Katka. Ich möchte wirklich nur mit dir reden.“
Er schloss die Tür und bat Katka, sich zu setzen. Zögernd kam diese der
Aufforderung nach.
„Du hast sicher gehört, dass die Familie von Brasov zurzeit hier im Schloss weilt? Ich
habe gehört, du wart früher Dienstmagd bei ihnen und so würde ich dich bitten …
Katka, was hast du denn?!“
Die Frau war bei der Erwähnung des Namens kalkweiß geworden. Ihre Augen
hetzten von einer Ecke des Raumes zur nächsten und ein Zittern schüttelte ihren
schmächtigen Körper.
Breda wusste nicht genau, was er jetzt tun sollte. Offensichtlich hatte er mit seiner
Frage Erinnerungen in der Frau wachgerufen, die ihr auch heute noch den Schlaf
raubten.
Er ging zu ihr und streichelte ihr unbeholfen über den Rücken.
„Sie kommen nachts…“ keuchte die Frau. „Nachts kommen sie… und töten… alles,
… was ihnen über den Weg läuft!“ Die letzten Worte schrie sie.
Ihr ganzer Körper wiegte sich vor und zurück, während er unkontrolliert zitterte.
Breda wusste nicht, was er tun sollte. So etwas war ihm noch nie passiert. Erfolglos
versuchte er, die Frau zu beruhigen.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und der Mann aus der Küche lief schwerfällig in
die Kammer.
„Katchen, Katchen, ganz ruhig. Du bist in Sicherheit. Niemand wird dir etwas tun.“
Bei diesen Worten blickte er kurz zu Breda, als sei er sich nicht sicher, ob es auch
stimmte, was er der verstörten, völlig traumatisierten Frau erzählte.
Bei seinen Worten schien sich Katka zu beruhigen. Nach wenigen Minuten drangen
nur noch vereinzelte Schluchzer über ihre rauen Lippen.
„Komm, Katka. Geh schon mal vor, ich komme gleich nach.“ Redete der Mann auf
sie ein.
Die Frau erhob sich noch ein wenig unsicher. Bevor sie die Kammer verließ, blickte
sie Breda offen ins Gesicht. „Hütet euch vor der Finsternis, Herr. Wenn sie euch
einmal heimsucht, gibt es kein Entkommen mehr.“
Mit diesen Worten, die so klar und deutlich aus ihrem Mund gedrungen waren, ging
sie und ließ einen überraschten und verwirrten Breda zurück.
Der Mann blickte ihn misstrauisch an. „Verzeiht, Herr. Was habt ihr sie gefragt?“
„Ich wollte nur in Erkenntnis bringen, was sie über die von Brasovs weiß.“
Der Mann hob die Hände. „Gütiger Himmel! Dann war das hier ja noch harmlos.
Wann immer sie mit ihren Erinnerungen konfrontiert wird, bekommt sie ihre…
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Anfälle. Es war sehr schwer, eine Verbindung zu ihr aufzubauen. Irgendetwas dort
drüber muss sie sehr verstört haben… Entschuldigt, meine lange Rede.“ Fügte er
hinzu.
Breda winkte ab. „Ich danke dir für diese zusätzliche Information. Und jetzt kümmer
dich um deine Katka, dass sie sich schnell wieder erholt. Und sagt ihr, dass es mir
leid tut. Ich wollte sie nicht mit ihrem alten Leben und den damit verbundenen
Erfahrungen konfrontieren.“
„Gewiss, Herr. Ich wird es ihr ausrichten.“ Der Mann verbeugte sich tief, was
aufgrund seines Leibesumfangs als etwas schwierig erwies. Schließlich entfernte er
sich und ließ den jungen Grafensohn mit seinen Gedanken alleine.
Hütet euch vor der Finsternis, Herr! Wenn sie euch einmal heimsucht, gibt es kein
Entkommen mehr!
Die Worte der Dienstmagd Katka gingen Breda von Krolock nicht mehr aus dem
Kopf.
Ohne Zweifel hatte die Frau furchtbares durchgemacht und war verstört, verwirrt
und ängstlich. Es war nur schade, dass Breda nicht in Erfahrung hatte bringen
können, was sie so traumatisiert hatte.
Hütet euch vor der Finsternis…
Die Worte hallten in ihm nach. Was meinte sie mit Finsternis? War sie wirklich nur
verrückt oder steckte noch etwas anderes dahinter? Konnte es ein Bild sein? Stand
die Finsternis für etwas anderes? Für von Brasovs Intrigen? Ohne Zweifel schien er
dunkle Absichten zu verfolgen…
Breda seufzte.
Er würde das heute wohl nicht mehr herausfinden, da er keinen Anhangspunkt
mehr hatte, keine Person, an die er sich wenden könnte.
Jedenfalls hatte er so etwas wie eine Bestätigung, dass es nicht mit rechten Dingen
zuging: Katkas Verhalten.
Falls es nicht von einem Erlebnis auf ihrem Weg hierher war. Oder etwas anderes…
Er seufzte nochmals.
Es war wohl keine gute Idee, sich auf das Gerede einer Verrückten einzulassen.
Vielleicht würde ein Spaziergang seinem Kopf helfen, der Verwirrung Herr zu
werden. Bis jetzt hatte das noch immer funktioniert.
Allerdings würde er vorher noch einmal versuchen, etwas Neues zu erfahren, damit
dieser Tag nicht als vollkommen sinnlos angesehen werden musste.
Er würde das Unkraut bei den Wurzeln packen und mit Anička selber reden. Die
junge Frau war zwar klug, aber auch überheblich und stolz. Und genau das wollte er
sich zunutze machen.
Breda klopfte leise an die Tür von Aničkas Gemächern. Als keine Antwort erklang
nahm er an, dass Anička ihn nicht gehört habe und öffnete leise und vorsichtig die
Tür.
„Anička? Verzeiht, dass ich so unangemeldet –“
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Der Anblick, der sich ihm bot, würde er fürs erste wohl nicht vergessen.
Der gesamte Raum war so verschlossen, dass kein Sonnenstrahl in den Raum fiel.
Dicke schwere Vorhänge, von denen er wusste, dass sie nicht von hier waren, weil
hier so ein Stoff gar nicht genutzt wurde, waren sorgsam vor die Fenster gehängt
worden. Ansonsten war der Raum leer.
Eine ungute Ahnung befiel den jungen Mann, während er sich weiter in das Zimmer
hineinbewegte. Die Luft war kühl und ein bisschen modrig, als würde er sich in
einem Kellergewölbe befinden und nicht in einer Zimmerflucht des Schlosses.
Trotz der unguten Ahnung, bewegte Breda sich wie von selbst weiter in das Zimmer
hinein.
„Anička?“ es war nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
Vor ihm lag die Tür, die eigentlich zum Schlafgemach führte. Für einen Moment
fragte er sich, ob sich wohl wirklich ein Schlafgemach hinter der festen Tür lag,
sondern… etwas anderes. Gleich darauf schalt er sich in Gedanken einen
Dummkopf. Was sollte sich schließlich anderes hinter dieser Tür befinden, als
Aničkas Gemach?
Er sah wie aus weiter Ferne wie seine Hand nach dem Türknauf griff und ihn
herunterdrückte.
47
Alptraum
Vor ihm lag Aničkas Schlafzimmer.
Auch hier verdeckten dicke Vorhänge die Fenster und sperrten das Tageslicht aus,
sodass es auch hier stockdüster war.
Doch das war nicht die Tatsache, die Breda so verstörte.
Aničkas Schlafstätte war leer. Stattdessen stand in einer besonders dunklen Stelle des
Raumes ein seltsamer unförmiger Holzkasten.
Wenn Breda es nicht besser wüsste, hätte er angenommen, dass dort ein Sarg stand.
Doch das konnte unmöglich sein! Was für Hirngespinste er wieder hatte!
Doch der Gedanke ließ sich nicht mehr verscheuchen und Breda wusste, würde er
der Sache nicht auf den Grund gehen, würde er bis ans Ende seiner Tage darüber
nachsinnen, was hier geschah.
Also schlich er auf den undefinierbaren Holzkasten zu, bis sich immer weniger
verleugnen ließ, dass er es hier mit einem Sarg zu tun hatte.
Breda starrte ihn an, unsicher, ob er träumte oder wachte.
Traum, beschloss er kurzerhand. Schließlich hatte eine junge Frau adligen Standes
wohl kaum einen Sarg in ihrem Gemach stehen. Das erschien ihm doch zu grotesk.
Wenn es also ein Traum war, beschloss Breda von Krolock, konnte er genauso gut
nachschauen, ob jemand in diesem Sarg ruhte. Vielleicht sein Vater…
Breda schmunzelte.
Dann klappte er den Sargdeckel nach oben und sah in Aničkas Gesicht.
Ihre Lieder waren geschlossen, ihre Gesichtszüge verzerrt, als habe sie einen
schrecklichen Alptraum. Und ihr Mund war beim Schlafen leicht geöffnet.
Breda blinzelte zweimal. Hatte sie etwa spitze Zähne?
Fast hätte er aufgelacht, als er das ganze Ausmaß seines verwirrenden Traumes
begriff. Sein Unterbewusstsein spielte ihm einen gehörigen Streich, in dem es Anička
zu einem Nosferatu degradierte. Wahrscheinlich weil er Katkas Warnung im Schlaf
verarbeitete.
Plötzlich schlug die Traum-Anička ihre Augen auf und sah ihm ins Gesicht und,
obwohl es ein Traum war, lag so viel Bosheit in ihrem Blick, dass Breda automatisch
einen Schritt zurückwich.
Die Frau richtete sich auf, wobei ihr Blick die ganze Zeit nicht um einen Millimeter
von Breda wich.
Ein Grollen drang an Bredas Ohren, worauf er sich fragte, wie sein Unterbewusstsein
bloß auf so einen Unfug gekommen war.
„Komm zu mir, mein hübscher Held“, schnurrte die Traum-Anička während sie
langsam auf ihn zu ging.
Breda starrte sie an, wobei er immer weiter zurück wich, bis er an eines der
verhangenen Fenster kam. Dort musste er zwangsläufig stehen bleiben.
Anička fletschte ihre Zähne. „Was haben wir denn da? Wisst ihr nicht, dass es
ungehörig ist, in das Schlafgemach einer Dame zu gehen, Breda von Krolock?“ was
wie eine unschuldige Frage klingen sollte, klang wie eine Todesdrohung.
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Allmählich fand Breda den Traum nicht mehr amüsant. Vielmehr beängstigend.
„Hat es euch die Sprache verschlagen? Vielleicht seid ihr etwas offener, wenn…“ den
Rest des Satzes verstand Breda nicht, da die junge Frau einen Tisch beiseite schlug,
der ihr im Weg gestanden hatte. Es hatte sich allerdings angehört, als hätte sie
gesagt: „Wenn ihr zu uns gehört.“
Der Traum war wirklich ganz und gar nicht mehr annehmbar, befand Breda erneut.
Aber es war nur ein Traum, in Folge dessen konnte ihm nicht viel geschehen.
Mit einem Mal machte Anička einen Satz nach vorne und stürzte sich auf den jungen
Grafensohn. Dieser riss, seinem Instinkt folgend, die Vorhänge beiseite. Leider
stolperte er dabei und fügte sich an einem kleinen Tischchen eine Platzwunde an der
Stirn zu.
Sterne tanzten vor seinen Augen und Schreie gellten in seinen Ohren. Allerdings
nicht seine…
Das Tageslicht hüllte Anička ein und es schien, als befände sie sich in einer
Nebelwolke.
Anička schrie, dass die Fensterscheiben klirrten. Hautfetzen lösten sich von ihrem
Gesicht. Das ging soweit, dass Breda nach einigen Sekunden ihren Schädelknochen
sehen konnte.
Panisch sprang Breda auf und lief an der schreienden Anička vorbei zur Tür, raus
aus ihrer Zimmerflucht. Er blieb erst stehen, als er an seinen eigenen Gemächern
angekommen war. Die Geschehnisse verwirrten ihn und ließen ein beängstigendes
Gefühl in ihm aufkommen. Das was eben geschehen war, war zwar nur ein Traum
gewesen, aber ein viel zu realistischer.
Dazu könnte man einwenden, dass es wohl kaum realistisch war, eine junge Dame in
einem Sarg vorzufinden, die sich dann auch noch auf einen stürzte und im
Sonnenlicht verbrannte.
Breda schüttelte den Kopf und ignorierte das Pochen, das er dabei fühlte.
Kurz setzte er sich auf einen Stuhl und reflektierte den heutigen Tag. Katka, mit ihrer
Warnung, der Traum von Anička, der so real gewesen war und jetzt doch so weit
weg und unwirklich schien…
Er schüttelte den Kopf. Diese Überlegungen würden zu nichts führen, dessen war er
sich sicher. Irgendwo musste er etwas Handfestes finden oder es blieb ihm nichts
anderes übrig, als sich zu fügen.
Und dann war da auch noch Nadja.
Er würde alles dafür geben, wenn er bei ihr sein konnte. Noch nie in seinem Leben
hatte er sich so alleine gefühlt, wie jetzt. Es war schier zum Verzweifeln. Da hatte er
endlich einen Sinn gefunden, der sein Leben um so vieles bereichert hatte, nur damit
sein Vater ihm auch dieses entriss.
Es war jetzt alles wie vor Nadja. Nur dass er sich dieser Leere in seiner Brust nie so
bewusst gewesen war.
Alles in ihm sehnte sich danach, jetzt bei Nadja zu sein. Und Obwohl sie nur einen
kurzen Ritt entfernt war, schien es doch weiter als der Horizont zu sein.
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Dabei war alles so leicht, als sie da war. Wenn er bei ihr war, war er frei gewesen.
Frei von allen Fesseln, die sein Vater ihm über die Jahre hinweg angelegt hatte.
Ob Nadja jetzt wohl auch an ihn dachte. Vermisste sie ihn so, wie er sie vermisste.
Oder war sie so enttäuscht und fühlte sich so verraten, dass sie glaubte, ohne ihn
besser leben zu können.
Nicht, dass dies nicht stimmte. Ohne ihn würde es ihr besser gehen. Ohne ihn, wäre
sie nie auf diesen Ball gegangen. Ohne ihn wäre sie nie so verletzt worden.
Ob er wohl erfahren konnte, wie es ihr ging? Konnte er Silva fragen?
Nein, nicht Silva! Die gute Frau war vermutlich gerade nicht besonders gut auf ihn
zu sprechen. Schließlich hatte er ihr versprochen, auf Nadja Acht zugeben. Ein
Versprechen, dass er gebrochen hatte. Ein Versprechen, dass er eigentlich nie hätte
geben sollen, da von Anfang an klar war, dass diese Geschichte kein gutes Ende
nehmen würde.
Zu Nadja selber würde er –auch wenn es ihn innerlich zerriss- nicht gehen. Sie hatte
genug erlebt und sollte am besten versuchen, mit einem bodenständigen ehrlichen
Bauern glücklich zu werden. Mit jemandem, der zu ihr passte…
Ins Dorf konnte er nicht, ohne sie zu gefährden. Sonst wäre das sein nächster
Gedanke gewesen. Doch so blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten und auf das
Beste zu hoffen.
Seufzend stand Breda auf, strich sich die Klamotten glatt und wollte gerade seine
Gemächer verlassen, als sein Blick in den Spiegel fiel.
Vorsichtig fasste er sich an die Stirn, wo eine tiefe Wunde prangte. Das Blut war
seitlich an seinem Gesicht und den Hals runter gelaufen, ohne dass er es bemerkt
hatte.
Breda erinnerte sich, wie er mit dem Kopf auf die Tischkante geprallt war. Als er den
Vorhang runter gerissen hatte und Anička…
Das war kein Traum gewesen!!!
Fassungslos starrte Breda die Platzwunde an. Dann seinen Finger, an dem sein
eigenes Blut klebte. Dann wieder sein Spiegelbild.
Aber wenn das kein Traum gewesen war, dann…
Es konnte doch gar nicht sein! Es durfte nicht sein! Und doch schien es wahr zu sein,
wenn Breda nicht davon ausgehen wollte, dass er verrückt war.
„Sie kommen nachts…“ keuchte die Frau. „Nachts kommen sie… und töten… alles, … was
ihnen über den Weg läuft!“
Jetzt gaben Katkas Worte einen Sinn. Die arme Frau war nicht so verrückt, wie er
zunächst geglaubt hatte. Sie hatte nur das Schrecklichste durchgemacht, was ein
Mensch auf Erden erleben konnte.
Breda schüttelte den Kopf.
Sollte es wirklich wahr sein, was sich die Bauern abends über die Wesen der Nacht
erzählten?
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Gab es diese blutsaugenden Monster wirklich? Und beherbergten er und sein Vater
etwas welche von ihnen?
Und …
Er erinnerte sich an Aničkas Schreie, an die Hautfetzten, die sich von ihrem Gesicht
gelöst hatten. Sie war regelrecht verbrannt. Und tot? Konnte er das wissen?
Es rauszufinden sollte jedoch nicht allzu schwer sein. Sollte sie heute Abend nicht
anwesend sein und auch morgen nicht, konnte er davon ausgehen, dass sie nicht
mehr war.
Breda wunderte sich darüber, wie kalt er über diese… Sache nachdenken konnte. Für
so abgebrüht hatte er sich nie gehalten. Obwohl musste man nicht anhand der
gegebenen Umstände nicht andere Maßstäbe setzen?
Jedenfalls musste er jetzt alles daran setzen, mehr darüber zu erfahren. Immerhin
wusste er jetzt, wonach er suchen musste. Und…
Breda erbleichte, als ihm klar wurde, dass er diese Frau heiraten sollte. Wenn sie
noch lebte… existierte…
Er würde unter allen Umständen verhindern, dass ihm ein solches Schicksal blühte!
Das wäre sein persönlicher finsterster Alptraum!
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Unerwartete Hilfe
Breda hatte fast die ganze Nacht nicht geschlafen. Seine Gedanken wirbelten ziellos
in seinem Kopf umher und machten es ihn schier unmöglich auch nur einen
Entschluss zu fassen. Und das zu einer Zeit, wo er doch unbedingt ein Ziel brauchte,
einen Plan, wie er aus diesem Horrorszenario wieder herauskam.
Anička hatte er nicht mehr gesehen, dass hieß, er wusste immer noch nicht, ob sie
das Sonnenlicht überlebt hatte, oder tot war. Er hatte eigentlich befürchtet, dass sie
kommen würde. Wenn sie nicht tot war, musste sie auf Rache aus sein. So hatte er
sie jedenfalls eingeschätzt.
Breda setzte sich auf, um sich gleichdarauf wieder zurücksinken zu lassen. Sein Kopf
schmerzte von der durchwachten Nacht und den wirren Gedanken. Wie betäubt
starrte er an die Decke.
Schließlich stand er entschlossen auf, da er es sich nicht leisten konnte, auch nur
einen Tag zu verschwenden.
Er würde später einen kurzen Ausritt in die Berge machen. Die Luft würde ihm
hoffentlich helfen, die Kopfschmerzen zu vertreiben.
Er hatte sich getäuscht, als er angenommen hatte, ein Ausritt würde helfen. Jeder
Schritt seines Pferdes schien in Bredas Kopf nachzuhallen. Er hatte das Gefühl,
jemand schlug mit einem Knüppel auf ihn ein.
Nach ungefähr zwei Meilen hatte er es aufgegeben und war abgestiegen, um zu Fuß
weiter zu gehen. Seitdem waren die Kopfschmerzen besser geworden.
Breda ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen. Die Berge mit ihren scheinbar
undurchdringlichen Wäldern und felsigen Schluchten, in die sich kaum ein Mensch
wagte, aus Angst von einer der nicht ganz so seltenen Gesteinslawinen überrollt zu
werden.
Der Himmel war von einer dichten Wolkendecke bedeckt, die das Sonnenlicht
abhielt.
Für einen kurzen Moment fragte Breda sich, ob so ein Wetter die Vampire ebenfalls
abhalten würde, nach draußen zu gehen. War es das Licht generell, was ihnen
schadete oder nur die direkte Sonneneinstrahlung?
Breda seufzte. Er wusste einfach viel zu wenig. Sobald er zurück war würde er sich
seinen Forschungen in der Bibliothek widmen. Auch wenn er befürchtete nichts
Nennenswertes dort zu finden. Er hatte schon seit Jahren genügend Zeit in der
Bibliothek verbracht und die meisten Bücher gelesen. Soweit er sich erinnern konnte,
hatte nirgendwo etwas über den Nosferatu gestanden. Höchstens ein paar alte
Schauermärchen.
Irgendwann würde er die Bibliothek vergrößern, beschloss Breda.
Jetzt aber würde er erst einmal den Heimweg antreten.
Seine Kopfschmerzen waren hinreichend verflogen, sodass er zu Pferd weiterreiten
konnte.
Er wendete und ritt auf dem Weg zurück auf dem er hergekommen war.
52
Schon nach kurzer Zeit erreichte er eine Weggabelung. Stirnrunzelnd ließ er seinen
Hengst anhalten und musterte die Verzweigung.
Von wo war er gekommen?
Er muss so in Gedanken gewesen sein, dass er nicht registriert hatte, wo er war,
geschweige denn wo er hinging. Und er kannte sich in dieser Gegend zu wenig aus.
Auf seinen Ausflügen war er meistens Richtung Dorf geritten, aber hier war er
vielleicht ein oder zweimal gewesen.
Das hat noch gefehlt, um meinen Tag perfekt zu machen, dachte er.
Kurz kam ihm der Gedanke, im Boden nach den Hufspuren seines Hengstes zu
suchen, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder, da der Boden so trocken war,
dass er Spurensuche praktisch unmöglich machte.
Zusätzlich dazu hatte er keine Ahnung, wie weit der Tag fortgeschritten war und
musste sich auf die Hoffnung verlassen, dass er noch nicht so lange unterwegs war,
wie er dachte. Seinem Gefühl nach mussten Stunden vergangen sein, seit seinem
Aufbruch.
Betend, dass er den richtigen Weg einschlug, ritt Breda weiter.
Wie lange er auf dem Rückweg zum Schloss war, konnte Breda nur schätzen. Jedoch
musste es ziemlich lange sein, da es begann dunkel zu werden.
Vielleicht wäre es sogar besser, wenn er einfach da bliebe wo er war und darauf
hoffte, dass sein Vater jemanden ausschickte, um nach ihm zu suchen.
So wie er seinen Vater kannte, würde das aber wahrscheinlich lange dauern. Er
würde seinen Sohn freiwillig eine Nacht oder sogar länger im Wald lassen, nur um –
Ein Wolf heulte weit entfernt und unterbrach seine Gedankengänge. Das Tier schien
noch sehr weit entfernt zu sein, und bereitete Breda weniger Sorgen als seine
Irrwege.
Er ritt weiter.
Mittlerweile hatte er vollkommen die Orientierung verloren und konnte nicht einmal
mehr sagen, in welche Himmelsrichtung er sich bewegte, da die Wolkendecke
zuverlässig eine Orientierung anhand der Himmelskörper verhinderte.
Das Pferd schien erschöpft ob des langen Rittes und auch Breda hatte das Gefühl,
nicht mehr lange durchzuhalten. Heute würde er das Schloss wohl nicht mehr
erreichen, da konnte er auch genauso gut einen Unterschlupf für die Nacht suchen.
Er stieg vom Pferd ab, um es ein wenig zu schonen, und ging weiter. Insgeheim
fragte er sich, wie er es eigentlich geschafft hatte, sich so in seiner Heimat zu
verirren. Eigentlich hatte er immer von sich angenommen, einen recht passablen
Orientierungssinn zu besitzen. Der schien ihn jedoch heute verlassen zu haben…
Am meisten ärgerte ihn jedoch, dass er den ganzen Tag verschwendet hatte. Nichts
hatte er heute erreicht, keine neuen Erkenntnisse gewonnen. Er hatte nicht einmal
etwas gegessen, weshalb sein Magen ihn schon seit geraumer Zeit mit Krämpfen
plagte.
Mit einem Mal erklang ein Rascheln hinter ihm im Gebüsch. Sein Hengst schnaubte
nervös verdrehte die Augen zur Quelle des Geräusches.
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„Liniștit, cal negru, liniștit. Beruhige dich.“ Sprach Breda beruhigend auf den Hengst
ein, doch dieser wollte sich nicht beruhigen. Ängstlich trippelte er auf dem Weg, die
Muskeln des Tieres zitterten unter der Haut.
Das Rascheln ertönte noch einmal. Diesmal näher. Breda, der vorerst geglaubt hatte,
dass die Geräusche von einem wilden Tier stammten, beschlich ein ungutes Gefühl,
ähnlich dem, das er in Aničkas Gemächern gespürt hatte.
Er drehte sich um.
„Guten Abend, Exzellenz.“ Ein etwas missratenes Lächeln umspielte ihre
Mundwinkel.
Nichts ließ an dieser Gestalt die Schönheit erahnen, die vor wenigen Tagen noch auf
dem Ball bewundert worden war.
Ihre vornehmen Gewänder waren zerschlissen und dreckig, die Haare zerzaust, die
Hände zu Krallen gekrümmt, das Gesicht zu einer Fratze verzerrt. Kürzlich verheilte
Wunden kündeten von ihrer unfreiwilligen Begegnung mit dem Sonnenlicht.
Anička legte den Kopf schief. „Freut ihr euch nicht, mich wohlbehalten zu sehen,
Breda?“
Breda starrte sie noch einen Moment an, bevor er mit trockener Kehle zu einer
Antwort ansetzte. „Falls man mir die Freude nicht ansieht, vergebt mir, Anička.
Jedoch vermag ich nicht, euer Äußeres als wohlbehalten zu beschreiben.“
Gleichzeitig fragte er sich, warum er zu einer höflichen Plauderei ansetzte und
warum sie darauf einging. Was machte das für einen Sinn? Es war wohl
offensichtlich, dass sie sich für die Geschehnisse des gestrigen Abends rächen wollte.
„Nun denn, Breda.“ Sie kam einige Schritte näher. „Ich bitte euch, meine
Erscheinung zu entschuldigen, aber es ließ sich nicht vermeiden, ein wenig an
Schönheit und Eleganz einzubüßen, während ich euch aufspürte.“ Spöttisch blickte
sie sich um. „Ihr habt euch wahrlich schlimm verirrt. Ihr solltet mir ein wenig
Dankbarkeit entgegenbringen, da ich mir die Mühe gemacht habe, euch zu suchen.
Und da ich euch letztendlich gefunden habe.“
Als sie noch einen Schritt näher kam, scheute Bredas Pferd.
Der Hengst wieherte entsetzt. Das Weiße in seinen Augen war überdeutlich zu
sehen. Er stieg, entriss Breda die Zügel und stürmte auf und davon.
Breda wurde zu Boden gestoßen.
Hilflos musste er mit zusehen, wie der Hengst verschwand und er mit Anička
zurückblieb, ohne die Hoffnung, noch irgendwie wegkommen zu können.
Er war nicht wütend auf den Hengst, der sonst immer bei ihm geblieben war. Das
Tier hatte so eine Panik vor dem Vampir gehabt, vor einem Wesen, das es eigentlich
gar nicht geben dürfte, das gegen jedes Naturgesetz verstieß.
Langsam stand er wieder auf und sah zu Anička, die fasziniert seine Stirn anstarrte.
Irritiert fasste er sich an den Kopf und spürte eine warme Flüssigkeit an den
Fingerspitzen.
Seine Kopfwunde war wieder aufgerissen!
Jetzt war Anička wahrscheinlich gar nicht mehr aufzuhalten. Sie würde dem Rausch
erliegen, sich auf ihn stürzen, ihn beißen und sein Blut trinken. Und er…
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Verzweifelt sah er sich nach einer Möglichkeit um, Anička zu besiegen oder ihr
wenigstens zu entkommen.
Anička kam näher, jegliches Gefühl war von ihr gewichen und hatte dem Monster
Platz gemacht, das sie war.
Breda erblickte einen abgebrochenen Ast. Hieß es nicht, Vampire könnte man mit
einem Pfahl ins Herz unschädlich machen?
Er hechtete genau in dem Moment zur Seite, wo Anička auf ihn zu stürzte. Seine
Hände griffen nach dem Ast, verfehlten ihn jedoch.
Breda rollte auf den Rücken und zu Anička auf, die sich über ihn beugte. Ihre Augen
waren erfüllt von Gier. Der vermeintliche Pflock lag außer Reichweite.
Resigniert schloss Breda die Augen und wartete auf den Schmerz. Der zu seinem
Erstaunen nicht kam.
Müsste es nicht längst vorbei sein oder empfand man dabei generell keinen
Schmerz?
Verwundert öffnete Breda wieder die Augen und blickte in Aničkas.
Aus ihrem Gesicht sprach nun Erstaunen und Schrecken.
Was hatte sie innehalten lassen?
Er sah, wie Anička ihre Hände zur Brust bewegte, aus der ein stabiler sorgsam
geschnitzter Pflock ragte.
Anička röchelte, ihre Hände umklammerten den Pflock, versuchten den unliebsamen
Gegenstand herauszuziehen. Nutzlos.
Dann brach sie über ihm zusammen.
Einige Sekunden lag Breda von Krolock auf der Erde, die tote Anička über ihm. Und
ihn erfüllte nichts als Staunen, noch am Leben zu sein. Und Verwunderung.
Schließlich siegte diese über das Staunen und er schob Anička von sich und stand
auf. In einem Reflex wollte er seine Kleidung abklopfen, erachtete dieses
Unterfangen dann jedoch als sinnlos und sah sich nach seinem unbekannten Retter
um.
Vor ihm stand niemand anders als Iwan, der ältere grauhaarige Diener des Schlosses.
Breda brachte zunächst kein Wort heraus. Dann riss er sich zusammen.
„Danke, Iwan.“ Meinte er und lächelte dem vertrauten Gesicht zu. „Ich weiß zwar
nicht, was du hier tust und wie du wissen konntest, dass…“ er blickte zu Anička und
verstummte.
Jetzt im Tode sah sie so friedlich aus, als würde sie Schlafen. Nichts erinnerte an das
blutrünstige Monster, das ihn noch vor wenigen Augenblicken beinahe getötet und
verdammt hätte.
Iwan reichte ihm den Zügel eines der beiden Pferde, die er mit sich führte. Breda
erkannte seinen Hengst und war froh, dass dem armen Tier nichts zugestoßen war.
„Wir wollen später darüber sprechen, euer Hoheit.“ Antwortete Iwan und stieg in
den Sattel der Fuchsstute. „Dies ist kein rechter Ort für solch ernste
Gesprächsthemen. Und ich kann mir denken, dass euch einige Fragen auf den
Lippen brennen.“
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Breda bemerkte die verschwundene Unterwürfigkeit des Mannes, worauf er sich
fragte, was er an diesem Mann noch falsch eingeschätzt hatte. Offensichtlich war er
nicht nur ein einfacher Diener. Und er stellte sich die Frage, warum Iwan ihm nicht
einfach gesagt hatte, was vorging, als er ihn gestern nach den von Brasovs gefragt
hatte. Sichtlich hatte er es schon gewusst, sonst wäre er nicht so vorbereitet hier
erschienen. Kein Mensch lief mit Holzpflöcken durch die Gegend.
Aber Iwan hatte recht, diese Wildnis lieferte wirklich keinen geeigneten Ort für ein
Gespräch. Und schon gar nicht bei Nacht.
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Wahrheit
„Was wissen sie, Breda von Krolock?“
Iwan lehnte sich auf den alten Holzstuhl zurück, sodass ein lautes Knarzen ertönte.
Es grenzte schon beinah an ein Wunder, dass dieses Möbelstück nicht auseinander
fiel, sobald man seinen Blick darauf richtete. Aber das war bei der ganzen Hütte der
Fall…
Das ganze Haus, soweit man es ein Haus nennen konnte, machte einen sehr
heruntergekommenen Eindruck. Der Boden und die Wände waren schief, die
Einrichtung kaum mehr als Brennholz. Wenn überhaupt. Davon ließen sich die
Menschen hier aber scheinbar nicht stören.
Hierher in dieses Wirtshaus hatte Iwan ihn gebeten, um mit ihm zu reden. Alleine,
ohne die Spitzel des Grafen.
Breda ließ seinen Blick nochmals durch den Schankraum streifen.
Ein Mann in der hinteren Ecke erwiderte seinen Blick aus dunklen Augen.
„Und dieser Ort ist wirklich geeignet für solch ein Gespräch? Mir erscheint er etwas
zu öffentlich.“
Iwan lächelte leicht. „Glaubt mir, die Menschen hier haben andere Sorgen, als das
Gespräch von zwei Fremden zu belauschen. Und euer Vater würde euch nie in solch
einer zwielichtigen Kneipe vermuten.“
Der Mann in der Ecke beobachtete ihn noch immer.
„Wäret ihr nun bereit, mir euer Wissen mitzuteilen?“
Breda wandte seine Konzentration wieder Iwan zu, was ihm nicht leicht fiel.
Irgendetwas beunruhigte ihn hier.
„Ich habe nicht viel erfahren in der kurzen Zeit, die ich hatte seit Anička mir
unfreiwillig ihr… Geheimnis offenbart hatte.“
Er erzählte dem Älteren von seiner Begegnung mit Anička, von seinen Recherchen.
Nur Nadja verschwieg er ihm.
Am Ende des Berichts legte der Diener die Stirn in Falten und nickte ernst. „Also
wisst ihr in der Tat nicht viel. Mich wundert, dass ihr überhaupt davon erfahren
habt. Die Vampire beschützen ihr Geheimnis zwar nicht besonders gut, jedoch
machen es Unglaube und Naivität zuweilen schwer, die Wahrheit ans Tageslicht zu
bringen. Die Menschen neigen zu Selbstzweifel und zur Verdrängung von
Tatsachen, die nicht in ihr Weltbild passen. Auch ihr habt die Wahrheit er mit einem
Beweis, dem Anblick der Wunde, die Anička euch zufügte, geglaubt. Und sie hätte
euch beinah das Leben gekostet.
Was ist nun also gefährlicher? Die Wahrheit nicht zu kennen und ins Ungewisse zu
laufen oder über die Vampire Bescheid zu wissen und in eine offene Konfrontation
mit ihnen gelangen?“Iwan blickte nachdenklich vor sich hin.
„Mir erscheint der Zeitpunkt deiner philosophischen Fragen etwas unangebracht,
Iwan. Ihr wolltet mir Erklärungen abgeben. Das ist schließlich der Grund, warum
wir uns hier getroffen haben.“
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„Verzeiht“, Iwan lächelte entschuldigend. „Aber es ist eine durchaus interessante
Frage und meine Gedanken sind mit mir durchgegangen. Kommen wir also zum
Grund unseres Treffens.“
Iwan lehnte sich nach vorne und senkte die Stimme.
„Erst einmal solltet ihr über die Geschichte der Vampire informiert sein.
Der Vampir, auch Nosferatu genannt, ist ein wiederbelebter menschlicher Leichnam,
der sich von menschlichem, in seltenen Fällen auch tierischem Blut, ernährt. Das Blut
ist für ihn unabkömmlich, seine gesamte Existenz richtete sich nach diesem
Verlangen. Die Entstehung des Vampirs an sich ist, wie ich leider zugeben muss,
unklar. Es gibt mehrere Thesen, die hier aber nicht weiter interessieren. Wichtig ist
nur zu wissen, dass der Vampir allergisch gegen Kirchen, Weihwasser und Kruzifixe
ist, was meine persönliche Vermutung bestätigt, dass der Fluch durch eine
gotteslästerliche Tat ausgelöst wurde. Weiterhin ist er nicht im Stande, Knoblauch zu
ertragen.“
„Knoblauch?“ Verwundert hob Breda die Brauen. „Wie –“
Iwan hob abwehrend die Hand. „Bitte, lasst mich zu Ende reden. Schließlich könnt
ihr eure Fragen stellen und ich werde sie euch, so gut ich vermag, beantworten.
Was man dem Vampir auch nachsagt ist, dass er im Besitz von Unsterblichkeit ist.
Normale Verletzungen können ihm nichts anhaben, da er sich selbst innerhalb von
wenigen Sekunden oder Minuten heilt. Allerdings ist er nicht vollkommen ohne
Schwächen. Er ist nicht in der Lage, fließendes Gewässer zu überqueren und kann
nur dann ein Haus betreten, wenn einer der Bewohner in hineinbittet.
Seine Merkmale sind erst einmal seine spitzen Zähne, mit denen er seine Opfer beißt
und aussaugt. Diese werden dann selbst zu einem Dasein als Vampir verdammt.
Sich einem älteren Vampir zu verschließen ist als eine unmögliche Aufgabe
anzusehen, da er sehr geschickt darin ist, seine Opfer zu verführen und sie seiner
Anziehungskraft nur selten etwas entgegenzusetzen haben.
Der Vampir hat außerdem kein Spiegelbild.“ Iwan stoppte.
Breda ließ die Informationen einen Moment auf sich wirken. Dann platzte es aus ihm
heraus. „Nach allem, was du mir gerade erzählt hast, wie kann es dann möglich sein,
sich erfolgreich gegen ihn zu wehren. Natürlich hat dein Pfahl geholfen, doch
erscheint es mir als ziemlich gefährlich, so nah an ein solches Ungeheuer
heranzutreten. Gibt es keine anderen Möglichkeiten?“
„Doch, die gibt es. Es ist das Sonnenlicht. Vampire sind Geschöpfe der Finsternis
und verbrennen zu Asche, wenn sie mit einem Sonnenstrahl in Berührung kommen.“
„Heißt das, Aničkas Körper ist bei Sonnenaufgang verbrannt?“
„Das heißt es. Obwohl es wahrscheinlicher ist, dass ihre Eltern sie gefunden haben.“
„Sind der Graf und die Gräfin von Brasov denn auch Vampire?“
„Ja. Und sie werden es nicht ungestraft hinnehmen, dass man ihre Tochter getötet
hat. Ihr werdet mit ihnen noch einigen Ärger bekommen, fürchte ich. Ihr Ziel war es,
den Vampirismus weiter auszubreiten, indem Anička euch heiratet und verwandelt.
Nun, da ihr zu ihrem Tod beigetragen habt, kann euch ihre Rache gewiss sein.“
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Breda konnte kaum glauben, was er hier alles erfahren hatte. Es war einfach
unglaublich. Und nach alldem erschien es ihm wie ein Wunder, dass er noch lebte.
Das ganze hätte auch deutlich anders ausgehen können. Wenn er nicht versucht
hätte, etwas über die von Brasovs zu erfahren, wenn er nicht in Aničkas Zimmer
gegangen wäre, dann würde er immer noch im Ungewissen schweben.
Jetzt war er zwar nicht weniger in Gefahr, aber dafür kannte er seine Gegner.
Und wenn sie Rache wollte, dann –
Nadja!
Breda stockte der Atem.
Sie wussten von seiner Verbindung zu ihr und würden bestimmt nicht zögern, diese
auch zu nutzen. Nadja schwebte in großer Gefahr. Er musste unbedingt zu ihr!!
„Ich ahne, was euren Geist bewegt.“ Unterbrach Iwan seine Gedanken. „Es ist dieses
Mädchen, nicht wahr?“
„Woher-“
„Vergesst nicht, dass euer Vater mich auf seiner Seite wähnt. Ich habe euch
beobachtet.“
Breda sprang von seinem Stuhl auf. „Dann warst du es, der Vater von ihr berichtet
hat?!“
„Beruhigt euch!“ Iwan bedeutete ihm, sich wieder zu setzen. „Ich habe nichts erzählt.
Das kann ich euch mit reinem Herzen versichern. Ich wollte nicht, derjenige sein, der
ein unschuldiges Mädchen in diese Geschichte reinzieht. Auch wenn es letztendlich
nichts bewirkt hat.“ Er sah grimmig auf die Tischplatte hinab. „Niemand sollte in
sowas geraten. Nicht einmal eurem Vater hätte ich das gewünscht.“
Breda horchte auf. „Meinem Vater? Wie viel weiß er davon?“
Iwan sah ihm immer noch nicht in die Augen. „Er weiß, dass es Vampire gibt.“
„Sag mir, Iwan, woher weißt du das alles? Wer bist du?“
„Wollen die Herren noch etwas zu trinken?“ Eine junge Frau, die Tochter des Wirtes,
war zu ihnen getreten.
„Nein, Danke, Becka. Wir wollten gerade aufbrechen.“ Antwortete Iwan und drückte
ihr einige Münzen in die Hand.
Vor der Hütte fasste Iwan Breda bei der Schulter. „Ihr solltet auf keinen Fall zu dem
Mädchen reiten. Das ist zu gefährlich. Ich werde ihr eine Warnung zukommen
lassen. Das muss reichen.“
Breda wollte etwas entgegnen, doch Iwan hatte sich schon auf seine Stute
geschwungen und ritt davon.
Kurz darauf machte sich auch Breda über einen Umweg auf den Weg ins Schloss.
Sie hatten vor dem Treffen ausgemacht, dass es wohl besser sei, wenn sie getrennte
Wege ritten, damit niemand Verdacht schöpfen konnte.
Die Einsamkeit kam Breda jetzt gerade Recht, da er über so vieles nachdenken
musste.
Und immer wieder kehrten seine Gedanken zu Nadja zurück. Seine Nadja, sein
Engel, der durch sein Verschulden in Gefahr schwebte.
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Ein süßes Geheimnis
Breda saß an seinem Schreibtisch und hatte das Gesicht in den Händen vergraben.
Sein Grundgedanke an sich war zwar nicht schlecht gewesen, doch haperte es jetzt
gewaltig an der Umsetzung. Seit Stunden schon überlegte er sich schon, was er tun
sollte, beziehungsweise konnte. Leider Gottes war es zu wenig. Viel zu wenig ...
Musste denn alles in seinem Leben so kompliziert sein? So verzwickt hoffnungslos?
Was hatte er Gott bloß getan?!
Er seufzte auf.
Als Iwan plötzlich in der Tür stand schreckte er auf. Der Ältere sah ebenso müde aus,
wie er sich fühlte.
„Ist etwas passiert?“ wollte Breda wissen.
Iwan winkte ab. „Nein. Muss denn gleich etwas passiert sein, wenn ich euch
aufsuche?“ er lächelte verschmitzt. „Nein, ich wollte euch nur sagen, dass es eurer
Nadja gut geht. Ich war im Dorf.“ Seine Miene wurde wieder ernst. „Sie hat nach
euch gefragt.“
Breda sprang von seinem Stuhl auf. „Und? Was hast du ihr gesagt? Jetzt sprich!“
Ungeduldig erwartete er Iwans Antwort.
„Ich sagte ihr, dass es euch den Umständen entsprechend gut ginge. Allerdings …
Sie schien etwas zurückhaltend.“
Breda lachte bitter auf. „Ist das denn ein Wunder? Darf ich dir das Ende des Balles in
Erinnerung rufen? Mein geschätzter Vater hat ihr Hoffnungen gemacht und dann
eiskalt meine Verlobung mit Anička verkündet. Nadja weiß nicht, dass Anička tot ist
und noch viel weniger weiß sie von den äußeren Umständen, wenn ich sie so
titulieren darf.“ Er atmete scharf aus. „Und sie darf es unter keinen Umständen
erfahren. Sie muss zurück in ihr Heimatdorf. Nur dort ist sie sicher. “ Alleine der
Gedanke, dass Nadja so fern sein würde, tat in seiner Seele weh. Aber es wäre
tatsächlich das Beste für sie. Und nur darauf kam es an. Außerdem … was für eine
Zukunft würden sie beide schon haben können. Er, ein Grafensohn, und sie, die
Tochter einer einfachen Bauersfamilie? Solche Verbindungen wurden nur selten
geduldet und hatten wenig Chancen.
„Ja“, stimmte Iwan ihm zu. „Unter normalen Umständen wäre ihr dieses Wissen
nützlich. Aber momentan würde es sie nur unnötig aufregen.“
Breda horchte auf. „Unter normalen Umständen, sollte sie es wissen? Iwan, was
verstehst du im Bezug auf Vampire unter normalen Umständen?“
Iwan wich seinem Blick aus, was ihn noch misstrauischer machte. Irgendetwas hatte
der ältere Diener ihm verschwiegen.
„Iwan, was hast du im Dorf noch erfahren? Fehlt Nadja etwas? So sprich doch!“ Er
fasste Iwan an den Schultern und zwang ihn, seinen Blick zu erwidern.
„Ich denke, es wäre ein Fehler, euch davon zu berichten.“ Sagte Iwan mit fester
Stimme.
„Wovon berichten?“ Breda kniff die Augenbrauen zusammen. „Iwan, dir steht es als
Leibeigener nicht zu, deinem Herrn etwas zu verschweigen.“
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„Es steht mir nicht zu, Euer Leben unnötig in Gefahr zu bringen. Und das, was ich
im Dorf gesehen habe, würde Euch zu sehr ablenken. Fragt mich nicht danach, ich
bitte Euch.“
Breda ließ den Mann los. „Du weißt, dass ich das nicht kann.“
Iwan blickte ihn ernst und traurig an. „Das ahnte ich bereits.“ Er seufzte. „Nun gut,
da mir nichts anderes übrig bleibt, werde ich Euch alles berichten. Aber dabei solltet
Ihr Euch setzen.“
Breda kam der Bitte nach und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Seine Gedanken
kreisten um das bevorstehende Gespräch. Was konnte es sein, das Iwan erfahren
hatte? Wenn Nadja etwas geschehen wäre, so hätte er es längst erfahren. Was also
war das Geheimnis?
„Ihr werdet Vater.“
Diese drei Sätze warfen ihn mehr aus der Bahn als es für möglich gehalten hätte.
Vater? Er? Er sprang auf. „Woher willst du das wissen, Iwan? Hat sie es dir gesagt?“
Iwan schüttelte den Kopf. „Sie hat es mir nicht gesagt.“
„Woher willst du es dann wissen?“ aufgekratzt ging Breda auf und ab, während er
mit seiner Selbstbeherrschung rang.
Iwan bedeutete ich, sich wieder zu setzen. „Beruhigt Euch. Ich bitte Euch. Dann
werde ich Euch den Grund für meine Vermutungen berichten.“
Schweren Herzens setzte Breda sich neben den Diener und wartete. Alles in ihm war
ein einziges Chaos. Seine Gedanken reisten wie ein Orkan im Kreis um ein einziges
Wort. Vater.
„Ich habe selber 3 Kinder und eine Frau zuhause“, begann Iwan. „Glaubt mir, ich
erkenne die Anzeichen für eine Schwangerschaft. Auch wenn äußerlich noch nichts
zu sehen ist.“
„Und diese Anzeichen wären?“ verlangte Breda zu wissen.
„Erst einmal: Übelkeit.“ Antwortete Iwan ernst. „Ihr Gesicht war bleich und sie
musste sich zunächst setzen. Das alleine wäre es nicht einmal gewesen. Ihre Hand
Wanderte immer wieder unbewusst zu ihrem Bauch. Dazu die Blicke ihrer Tante
Sylva. Es war nicht schwer, die verschiedenen Teile zusammenzufügen.“
Breda blendete den anderen Mann aus und schloss die Augen. Ein Kind. Er konnte
es nicht fassen. Nadja würde sein Kind bekommen! Sein Vater durfte es nicht
erfahren. Niemand durfte es erfahren, wenn er wollte, dass Nadja und das Baby in
Sicherheit waren. „Dieses Kind ist ein weiterer Grund, weshalb dieses ganze
Unglück von ihr ferngehalten werden muss.“ Meinte er nach einigen Minuten des
Schweigens.
„Vielleicht war es gut, dass euer Vater…“ Iwan brach ab, als der Blick des
Grafensohns auf ihn fiel.
„Dass mein Vater sie vertrieben hat?“ hakte Breda nach. „Ja, vielleicht. Je weiter weg
sie von diesem Schloss und seinen Bewohnern ist, desto besser wird es für sie sein.
Ich werde nicht zulassen, dass jemand sie verletzt!“
Iwan nickte. „Soll ich veranlassen, dass sie nach Hause geschickt wird?“
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Breda runzelte die Stirn. „Ich denke, das wäre das Beste. Und überbring ihr bitte eine
Nachricht von mir.“
Iwan sah überrascht auf. „Seid Ihr sicher, dass dies klug ist?“
Breda straffte die Schultern und stand auf. An seinem Schreibtisch verfasste er eine
kurze Mittteilung, die er in einen Umschlag steckte und versiegelte. „Es ist das
Klügste, was ich in dieser Situation machen kann. Auch wenn ich dabei Nadjas und
mein Herz brechen werde. Alles, was zwischen uns war, muss zu ihrer eigenen
Sicherheit ein Ende finden.“ Er überreichte Iwan den Brief. „Sie wird mich nie wieder
sehen wollen.“ Sein Herz krampfte sich bei diesen Worten zusammen und er
brauchte alle Kraft, die er besaß, um nicht wegen dem, was er gerade tat,
zusammenzubrechen.
Iwan nickte erneut. „Gut, ich werde ihr eure Nachricht geben. Ich hoffe, Ihr wisst,
was Ihr tut“, fügte er noch leise hinzu, bevor er den Raum verließ.
Breda von Krolock hoffte das Gleiche. Erschöpft ließ er sich auf den Stuhl fallen und
vergrub das Gesicht in den Händen. Was er soeben getan hatte, würde sich nicht
mehr rückgängig machen lassen. Er würde Nadja nie wieder sehen. Aber sie wäre in
Sicherheit und das war alles, was für ihn zählte.
Er dachte an den Inhalt des Briefes.
Meine liebe Nadja,
Das, was neulich auf dem Ball geschehen ist, tut mir von Herzen leid, doch es lässt sich nicht
ändern. Ich habe mich verliebt und ich werde Anička heiraten.
Ich werde dich nicht wieder sehen, doch ich hoffe, es geht dir gut und du wirst einen guten
Ehemann finden.
Hochachtungsvoll,
Breda von Krolock
Er hatte nicht einmal gelogen…
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Schwäche
Breda warf sich unruhig in seinem Bett hin und her.
In seinen Träumen wurde er von finsteren Gestalten heimgesucht. Finstere Gestalten
mit messerscharfen Krallen und Zähnen und Augen so rot wie frisch vergossenes
Blut. Sie jagten ihn, wollten ihn restlos vernichten. Ihn sowie alle, die ihm am Herzen
lagen.
Und inmitten dieser blutigen Träume war ein Kind. Ein kleiner Junge mit
goldblonden Haaren und grünen Augen, der lachend auf ihn zu lief, um dann von
einer der Kreaturen gepackt und getötet zu werden.
Mit einem Aufschrei erwachte der junge Grafensohn. Er setzte sich auf und
entzündete die Lampe auf seinem Nachttisch.
Dann blieb er einige Sekunden einfach nur dort sitzen.
Sein Atem ging keuchend, als wäre er kilometerlange Strecken gelaufen. Sein
Nachthemd klebt völlig verdreht an seinem verschwitzen Körper. Und jedes Mal
wenn er die Augen schloss, sah er dieses Kind vor sich. Das Kind mit dem blonden
Haar und den grünen Augen.
Sein Kind, wie es zu ihm flüchtete und schließlich wieder und wieder getötet wurde.
Er würgte.
Der junge Mann stand auf und ging ans Fenster.
Draußen erhellte der Vollmond die Landschaft Transsilvaniens. In der Ferne sah
Breda den Rauch aus den Schornsteinen des Dorfes aufsteigen.
Dort war seine Nadja jetzt. Und sein ungeborenes Kind. Ein Kind, das er nie
kennenlernen würde.
Er seufzte.
Nun konnte es nicht mehr ungeschehen gemacht werden.
Vielleicht würde Nadja einen gütigen Mann finden, der sie und das Kind aufnimmt.
Jemand, der Ein Stich der Eifersucht fuhr ihm durch sein Herz bei der Vorstellung. Und doch
würde es auf nichts anderes hinauslaufen.
Und es wäre das Beste so.
Er seufzte nochmals. Dann beschloss er, sich anzukleiden und hinunter in die
Bibliothek zu gehen. Er würde sowieso nicht mehr schlafen können, also könnte er
genauso gut nach etwas Ablenkung suchen.
Mit einer Kerze in der Hand betrat der junge Grafensohn die Schlossbibliothek.
Es war ungewöhnlich kühl in dem großen Raum. Fröstelnd zog Breda den
Morgenmantel fester um sich.
Dann erblickte er die Ursache für die Kälte.
Das große Fenster der Bibliothek stand speerangelweit offen, sodass die kühle
Herbstluft ungehindert einströmen konnte.
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Die Kerze in Bredas Hand flackerte, als er sie abstellte, um das Fenster zu schließen.
Irgendjemand musste wohl vergessen haben, es zu schließen. Im Gegensatz zu
seinem bisherigen Leben war das eine Lappalie.
Breda ließ seinen Blick noch einen Moment über die Landschaft schweifen, dann
wandte er sich um.
Unversehens sah er sich einem Schatten gegenüber.
Breda hatte das Gefühl, ihm bliebe das Herz stehen, so sehr erschreckte er sich vor
der Gestalt, die sich nach einigen Augenblicken und im Schein der Kerze als Graf
von Krolock herausstellte.
„Vater!“ Breda atmete erleichtert aus, hatte er doch weit schlimmeres befürchtet.
Der Graf stellte seinen Leuchter ab. „Breda, was suchst du zu so später Stunde in der
Bibliothek?“ fragte er, ohne seinen Sohn anzusehen.
„Ich wollte mir die Zeit bis zum Sonnenaufgang vertreiben“, antwortete Breda
ehrlich.
Er betrachtete seinen Vater näher.
Im Schein der Flammen sah sein Gesicht alt und müde aus. Dunkle Schatten lagen
unter seinen dunklen Augen. Seine sonst so aufrechte Gestalt schien auf einmal
schwach und gebeugt.
„Geht es euch gut, Vater?“
Der Graf sah ihn stirnrunzelnd an. „Die Frage dürfte ich dir stellen, mein Sohn.“
Erwiderte er.
„Vater?“
Müde setzte der Graf sich in einen Sessel und bedeutete seinem Sohn, sich ebenfalls
niederzulassen.
Breda wunderte sich, ob der friedlichen Stimmung, in der sich sein Vater befand. Es
musste irgendetwas geschehen sein. Und ein Ereignis, das diesen kalten, harten
Mann so aus der Fassung brachte, konnte nichts Gutes bedeuten.
„Glaubst du, ich merke nicht, was hier vor sich geht?“ fragte Graf von Krolock ihn
plötzlich.
Breda schwieg, da er es für das Beste hielt, erst einmal nichts zu erwidern und zu
warten, bis sein Vater ausgesprochen hatte. Mit einer Frage war es bei diesem Mann
nie getan.
„Glaubst du, du kannst uns alle mit deinem Versteckspiel zum Narren halten, Breda
von Krolock? Ich weiß, was passiert ist und glaub mir, wenn ich es in Erfahrung
bringen konnte, so wissen SIE es mit allergrößter Sicherheit. Und IHREM Zorn wirst
du dich nicht so leicht entziehen können!“
Breda stockte der Atem.
Er hatte zwar damit gerechnet, dass seine Pläne, die eigentlich schon wieder so
unvollständig waren, dass es gar keine Pläne waren, zum Scheitern verurteil waren.
Er würde sie nicht beschützen können!
Graf von Krolock machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du musst von meiner
Seite nichts befürchten. Das wird allerdings keinen Unterschied machen. Deine
Nadja ist nicht sicher. Sie war es nie und wird es nie sein. Gib sie auf, Breda!“
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Breda starrte den Mann an. „Aufgeben? Wisst ihr, was ihr da von mir verlangt,
Vater? Sie-“
„Sie ist die Liebe deines Lebens. Das hast du in unseren vorherigen Gesprächen
schon angedeutet. Aber was bedeutet das in dieser Situation schon? Sie wird
sterben.“ Der Graf lehnte sich in seinem Sessel zurück und blickte seinen Sohn
eindringlich an. „Sie ist dein Schwachpunkt, Breda. Und du darfst keinen
Schwachpunkt haben.“
Breda schüttelte fassungslos den Kopf, sagte jedoch nichts.
Er durfte keinen Schwachpunkt haben? Solch einem Menschen würde er gerne mal
begegnen.
Obwohl… doch lieber nicht. Was für ein Mensch musste das sein, dem alles egal
war? Der keine Achillesferse hatte?
„Wo liegt euer Schwachpunkt, Vater?“ rutschte es ihm unwillkürlich raus. „Wenn es
einem Menschen, ob Graf oder Bauer -das sei hier einerlei- nicht gestattet ist,
Schwächen zu haben, wie sieht diese Welt dann aus? Was für einen Sinn soll das
alles hier haben? Zeigt mir, dass es einen Menschen gibt, der keine Schwäche hat!
Gebt mir einen Beweis und ich werde es euch glauben. Jedoch dürft ihr mir glauben,
dass ich nie so sein kann! Ich bin ein Mensch, kein Monster!“
Eigentlich hatte Breda erwartet, dass sein Vater aufspringen würde, wütend werden
würde. Das tun würde, was er immer tat, wenn Breda es wagte, seine Stimme gegen
ihn zu erheben.
Doch es geschah nichts.
Graf von Krolock war ein Mann, der gezeigt hatte, dass er hart und kalt, wie ein
Eisklotz sein konnte. Ein Mann, der seine Herrschaft über alles ausdehnte, was er
erblickte.
Und ebendieser Mann saß nun einfach in diesem Sessel in der Bibliothek seines
Schlosses und hatte die Augen geschlossen. Seine Miene war undurchschaubar, als er
antwortete: „Du magst Recht haben, mein Sohn. Doch sieht die Wirklichkeit anders
aus. Das Leben ist hart und grausam. Wenn du nicht zu Grunde gehen willst, musst
du lernen, ebenso zu sein.“
Mitleid kam in Breda auf, als der den Grafen betrachtete, der plötzlich nur noch ein
alter Mann war. Verbittert und vom Leben enttäuscht.
„Wie ihr, Vater?“ fragte Breda leise. „So eisig und herzlos, dass die eigene Frau
lieber stirbt, als noch länger in diesem Schloss zu bleiben?“
Graf von Krolock hatte sich bei den Worten seines Sohnes aufgerichtet. Die
Müdigkeit war in dem Moment aus seinen Augen gewichen, wo Breda seine Mutter
erwähnt hatte.
„Beschäftige dich nicht mit Dingen, die du nicht verstehst! Du hast deine Mutter
kaum gekannt, weißt nichts über das, was damals geschehen ist. Wie kannst du es
wagen, diese Worte in den Mund zu nehmen?! Was weißt du vom Leben, Breda?
Nichts!“ Bredas Vater hatte sich in seine gewohnte Rage geredet, das Gesicht voll
Wut und Hass zu einer Grimasse verzerrt. Einen Augenblick starrte er auf den
jungen Mann hinab, dann rauschte er aus der Bibliothek.
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Die plötzliche Stille lastete nun schwer auf Breda, dem die letzten Sätze seines Vaters
noch in den Ohren klangen.
66
Erklärungen
Nachdem sein Vater die Bibliothek verlassen hatte und Breda die Unterhaltung in
seinem Kopf nochmal durchgegangen war, machte der junge Grafensohn sich mit
schnellen Schritten auf den Weg zu den Dienstbotenquartieren, die im unteren Teil
des Schlosses in der Nähe der Stallungen lagen.
Es dauerte einige Minuten bis er sein Ziel erreicht hatte und eine schäbige Holztür
aufriss, die in einen Raum, nicht größer als ein Besenschrank führte.
Es gab gerade einmal genug Platz für eine Strohmatratze und ein kleines
Schränkchen, in dem man persönliche Sachen aufbewahren konnte.
Erstaunlicherweise war Iwan um diese Zeit noch wach.
Der ältere Diener saß auf der Matratze und benutze einen kleinen selbst
gezimmerten Hocker als Tisch.
Als Breda die Kammer betrat, sah der ältere Diener überrascht auf. „Ist etwas
geschehen?“ Eilig schob er die Papiere zusammen, die er eben noch studiert hatte.
„Es ist Zeit“, antwortete Breda knapp und ließ seinen Blick kurz über die kahlen
Steinwände schweifen.
„Zeit wofür?“ fragte Iwan und musterte ihn mit einem undurchdringlichen Blick.
Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck schloss Breda die Tür. „Zeit, dass du mir all
die Kleinigkeiten berichtest, die du mir bis jetzt verschwiegen hast.“ Abwartend sah
der junge Grafensohn den Diener an, dessen Gesicht unmissverständlich zeigte, dass
er verstanden hatte, was Breda meinte.
Anstatt aber nun alles zu erklären, begann Iwan die Papiere, die auf der Matratze
und dem Boden verstreut lagen, zusammen zu sammeln. Schließlich legte er den
Stapel in ein Loch hinter einem losen Stein in der Wand.
Für einen kurzen Moment flammte in Breda die Neugierde auf, was das wohl für
Aufzeichnungen waren, dann registrierte er, dass Iwan immer noch keine Anstalten
machte, ihm etwas zu erklären, sondern nachdenklich eine Spinne beobachtete, die
oben in einer Ecke ihr Netz gesponnen hatte und nun auf Beute wartete.
Bredas Blick verfinstere sich. „Verdammt, Iwan!“ Aufgebracht ging er die zwei
Schritte auf den anderen zu. „Verstehst du denn nicht, dass ich Antworten brauche?
Diese ganze Geschichte ist mir über den Kopf gewachsen! Mein Vater –“
Iwan unterbrach ihn mit einer rüden Handbewegung. „Hier haben die Wände
Ohren. Wir müssen woanders reden. Wenn es nicht schon längst zu spät ist“,
murmelte er mit einem verärgerten Ausdruck auf dem Gesicht. Er ging an Breda
vorbei auf den Flur und bedeutete ihm, ihm zu folgen.
Iwan führte ihn in die Kellergewölbe des Schlosses.
Die feuchte kühle Luft roch nach Moder und Staub. Überall waren Spinnweben,
Krabbeltiere und an den meisten Türen und Wänden bildete sich Schimmel.
Die Schritte der beiden Männer hallten in den langen, engen Fluren so laut, dass
Breda befürchtete, jemand könnte sie hören.
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Schließlich führte Iwan ihn in eine kleine Zelle, die fast noch kleiner war als der
Raum, in dem Iwan schlief. Ein Stuhl und ein Tisch standen in einer Ecke und an der
Wand hing eine Karte mit Zeichen, die Breda nicht deuten konnte.
„Was ist das hier?“ fragte Breda so leise er konnte, da er immer noch befürchtete, das
Echo würde seine Worte durch den gesamten Keller tragen.
Iwan steckte die Fackel in einer Halterung an der Wand, während er antwortete: „Ihr
braucht nicht zu flüstern. Die dicken Wände dieses Raumes schlucken jedes
Geräusch. Ich habe es höchstpersönlich getestet, nachdem ich diesen Ort entdeckt
habe. Das war vor ungefähr zwei Jahren, während dieser schrecklichen Hungersnot.
Setzt euch doch“, forderte er Breda auf.
Nachdem der junge Mann sich auf dem etwas instabil wirkenden Stuhl nieder
gelassen hatte, sprach Iwan weiter, wobei er zusehends wütender wurde. „Euch ist
schon bewusst, dass niemand erfahren sollte, wie wir zueinander stehen? Es geht
nicht nur um euch und Nadja! Auch mein Leben steht auf dem Spiel, sowie das
Leben eines jeden, der hier wohnt. Folglich solltet ihr Überraschungsbesuche
möglichst vermeiden.“ Sprach Iwan weiter.
Den Ton, den Iwan angeschlagen hatte, hätte normalerweise kein Adliger geduldet,
doch Breda sagte nichts, da er wusste, dass Iwan recht hatte. Sein Handeln war
wirklich unbedacht gewesen.
„Ich entschuldige mich hiermit für mein plötzliches Auftauchen“, erwiderte Breda.
„Aber es war dennoch unvermeidbar. Eure Worte haben nochmals verdeutlicht, dass
meine Unwissenheit zu groß ist.“
Iwan ließ die Hände, die er aufgebracht erhoben hatte, sinken und seufzte einmal
laut auf. „Ich kann eure Wut verstehen, Breda. Aber ich bitte euch ebenfalls um
Verständnis. Es ist alles viel komplizierter, als ihr es euch vorstellen könnt. Mir steht
es nicht zu, euch alles zu erzählen, da auch dritte Personen in diese Geschichte
verwickelt sind.“ Er lehnte sich an die Wand und rieb sich müde über die Augen.
Breda schüttelte den Kopf. „Ich kann und darf dieses Verständnis nicht länger
aufbringen. Ich bin unfreiwillig in diese Geschichte geraten und bei alldem, was für
mich auf dem Spiel steht, habe ich ein Recht darauf, eben diese Details zu erfahren,
die du mir verschweigst!“
Iwans Blick hatte sich bei Bredas letzten Worten verhärtet. „Bei alle dem, was für
euch auf dem Spiel steht?! Was steht denn für euch auf dem Spiel? Eure Freiheit,
Nadja… Versteht mich bitte nicht falsch, wenn ich sage, dass ihr vor lauter Liebe den
Blick für das Ganze verloren habt. Habt ihr einmal wirklich darüber nachgedacht,
was passieren würde, sollten die Vampire siegen? Glaubt ihr, diese kleine Grafschaft
am Ende der Welt ist alles, was sie wollen? Das ist doch nur der Anfang!“
„Der Anfang wovon?“ eindringlich sah der Grafensohn den Diener an. „Iwan, wie
soll ich etwas unternehmen können, wie soll ich helfen können, wenn ich nicht weiß,
worum es geht?“
Leise Zweifel waren auf Iwans Gesicht zu erkennen. „Wie ich schon sagte, steht es
mir nicht zu, euch alles zu erklären. Diese Art von Information darf nicht in falsche
Hände geraten.“
68
„Du weißt, dass ich niemandem davon berichten würde.“
Iwan verzog das Gesicht, als er erwiderte: „Nun, dessen bin ich mir sogar sehr sicher.
Noch. Denn ihr dürft nicht vergessen, dass Graf von Brasov euch Rache geschworen
hat. Solltet ihr zu einem Vampir werden, im Besitz dieser Informationen, so mag ich
mir gar nicht vorstellen, was dann geschehen würde.“
Breda erschauerte bei dieser Vorstellung, jedoch sah er nicht ein, wegen diesem
Einwand klein bei zugeben. Iwans Argument war äußerst schwach gewesen.
Schließlich konnte jeder Mann in Gefahr laufen, zu einem Vampir zu werden. Auch
Iwan.
Bei ihm selbst lag die Wahrscheinlichkeit nur eben etwas höher, wie Breda sich leise
eingestehen musste.
„Wäre es nicht sinnvoller, mich einzuweihen“, begann er wieder und betete, dass
dieser Gedankengang Iwan endlich überzeugen würde. „Wenn ich vorbereitet bin,
bin ich schließlich eher in der Lage, mich zu verteidigen. Somit wäre es
unwahrscheinlicher, dass…“ er verstummte, da er es immer noch nicht aussprechen
wollte.
In Gedanken flehte er Gott an, ihm dieses Schicksal zu ersparen. Er war in seinem
kurzen Leben bisher schon genug gestraft worden. Mit dem Tod seiner Mutter,
einem Vater, der nie für ihn da war und es sich zum Ziel gemacht hatte, Bredas
Leben zur Hölle zu machen. Sein einziger Lichtblick war Nadja gewesen. Sein Engel,
sein Stern.
Iwan schwieg nachdenklich und zwischen den beiden Männern breitete sich
Schweigen aus.
Das Einzige, was zu hören war, war das Wasser, welches von der feuchten Decke auf
den Boden tropfte.
„Nun gut“, seufzte Iwan letztendlich. „Ich verstehe eure Motivation und ahne, dass
ihr mir ohnehin keine Sekunde der Ruhe lassen würdet, wenn ich mich weiterhin
weigern würde. Ich werde euch so viel erzählen, wie ich kann, aber bitte verlangt
nicht mehr von mir.“
Breda nickte. „Damit gebe ich mich vorerst zufrieden.“ Zur Not würde er bestimmt
eine Möglichkeit finden, den allerletzten Rest zu erfahren.
Iwan setzte sich auf den Tisch, der bedenklich wackelte, und blickte nachdenklich
zur Decke. „Nun, womit soll ich beginnen?
Ich habe von der Existenz der Vampire erfahren, als ich in eurem Alter war. Ich und
einige meiner damaligen Freunde. Wir waren unwissend und unerfahren, was wir
jedoch in jugendlicher Arroganz ignorierten. Wir glaubten uns auf einem
Höhenflug, sahen wir doch eine Möglichkeit unsere Stärke endlich für den Nutzen
der Menschheit einzusetzen. Und genauso schnell kam der Fall.“ Trauer
überschattete die Züge des Mannes, dessen Blick in die Ferne gerichtet war, als
würde er alles, was damals geschehen war, noch einmal sehen.
Breda ahnte, dass wohl etwas Schreckliches geschehen sein musste und war sich
plötzlich nicht mehr sicher, ob er dieses Detail wirklich erfahren wollte.
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Die Stimme des älteren Mannes klang alt und brüchig, als er weitersprach: „An
diesem Tag haben wir erfahren, was diese Monster antreibt und sie zu den
gefährlichsten und gottlosesten Raubtieren der Erde macht. Wir hatten ein Nest
ausgemacht und waren uns darin einig, die Vampire zu beobachten und danach
wieder zugehen. Wir wollten ihr Verhalten studieren und unsere Ergebnisse sollten
uns Ruhm und Anerkennung einbringen. Doch als wir dort in der Kälte saßen,
wollte ich mich nicht damit zufrieden geben nur von Weitem zuzugucken. Ich wollte
näher ans Geschehen, vielleicht sogar ein paar Gespräche belauschen.“ Er stockte,
atmete einmal tief durch und sprach dann weiter: „Ich habe durch meine eigene
Dummheit und meinen Wissensdurst meinen eigenen Bruder und besten Freund
verloren. Jedoch habe ich eines daraus gelernt, was ich nie vergessen werde.“ Iwan
blickte Breda eindringlich an, als wollte er ihn aufrufen, nicht denselben Fehler zu
begehen, seine Lehre zu beherzigen und nicht in Frage zu stellen. „Das Einzige, was
diese Monster am Leben hält, ist die Freude am Töten. Die Befriedigung, wenn sie
einen Menschen leiden lassen, bis dieser daran zerbricht. Kein Tier, kein Mensch
kann so grausam sein. Keinem Lebewesen mangelt es so an Respekt vor dem Leben,
an Moral und Gewissen.“ Iwan war zum Schluss immer lauter geworden, seine
Hände hatten sich zu Fäusten geballt, bis die Knöchel weiß wurden und sich die
Fingernägel in seine Haut gruben. Dann ganz plötzlich, als hätte ihm jemand die Luft
zum Atmen genommen, verschwand die Anspannung und ließ nur einen alten,
kraftlosen Mann zurück.
Breda mochte sich gar nicht vorstellen, was dieses Erlebnis für Spuren hinterlassen
haben mochte. Iwan gab sich selbst die Schuld am Tod seines Bruders.
„Wir schworen uns damals, dass wir diesen Tod nicht ungesühnt lassen würden.
Und wir begannen mit unseren Recherchen. Diesmal jedoch ohne Überheblichkeit
und mit einem Ernst, den wir vorher gar nicht hätten aufbringen können.“
„Was habt ihr herausgefunden?“ unterbrach Breda ihn gespannt.
Iwan verzog das Gesicht. „Wir haben erfahren, dass man die Vampire nicht
unterschätzen darf, auch wenn sie ihren tierischen Instinkten folgen und ihre Moral
gemeinsam mit ihrer Menschlichkeit hinter sich gelassen haben. Uns sind mehrere
Gruppierungen und eine gewisse Art von Hierarchie aufgefallen.“
„Sie organisieren sich?“ erstaunt riss Breda die Augen auf. „Wie ist das möglich? Ihr
habt mir selbst erzählt, dass sie kaum mehr als Tiere sind!“
Iwan nickte ernst. „Das hat damals auch unter uns für einige Diskussionen gesorgt,
hatten wir damit doch am wenigsten gerechnet. Wir sind nicht davon ausgegangen,
dass sie noch genug Verstand besitzen, um sich zu organisieren. Aber nun genug der
Unterbrechungen.“ Er warf Breda einen strengen Blick zu, bevor er fortfuhr: „In
diesen Tagen haben wir begonnen, die Vampire zu jagen und sind mittlerweile zu
einer großen Organisation herangewachsen, die im Geheimen arbeitet.
Es versteht sich wohl von selbst, dass ich nicht mehr Informationen preisgeben kann.
Nicht ohne mich mit den anderen abzusprechen.“
Breda nickte als Zeichen, dass er verstanden hatte.
Dann dachte er über das eben gehörte nach.
70
Und je länger Breda über alles nachdachte, desto mehr wurde ihm das Ausmaß
dieser Geschichte bewusst. Es ging nicht nur um ihn und Nadja! Sollten die Vampire
nicht instinktiv handeln, sondern planmäßig, so war die ganze Welt in Gefahr!
Sollten die Vampire über die gesamte Welt herrschen, so wäre ein Menschenleben
nicht mehr wert, als das Leben eines Schweines, das zur Schlachtbank geführt wird.
In ihrem Blutrausch würden sie jedes Leben auslöschen und die Erde in eine blutige
Einöde verwandeln.
Schnell schüttelte er diese Vorstellung ab. Obwohl sie der Wahrheit entsprach,
überstieg ihre Grausamkeit seinen menschlichen Verstand.
Er dachte an Nadja, an Sylva und ihre kleine Tochter Natascha, an ihren kranken
Vater, an all die Menschen im Dorf, die vom Grafen abhängig waren und der ihr
Leben in Kauf nahm, um seine eigenen egoistischen Ziele zu verfolgen, was auch
immer diese sein mochten.
Und Breda von Krolock verstand, dass er alles tun würde, um zu helfen.
Er wusste jetzt, woher Iwan über die Vampire Bescheid wusste. Er wusste jetzt
darüber Bescheid, dass die Vampire ebenso wie die Menschen nicht viel dem Zufall
überließen. Zumindest traf das bei einigen zu. Und zu dieser Sorte gehörten gewiss
der Graf und die Gräfin von Brasov. Die Frage war nur nach wie vor, welches Ziel
die beiden verfolgten und ob noch jemand hinter ihnen stand. Und wenn ja, dann
wer diese Person war.
Er sprach seine Gedanken aus, in der Hoffnung, dass Iwan ihm etwas darüber
erzählen konnte, doch dieser schüttelte nur den Kopf.
„Es tut mir leid, aber ihr Handeln ist auch für uns noch ein Rätsel. Über den Grafen
ist insgesamt nur sehr wenig bekannt. Diejenigen, die in seinem Dienst stehen,
bekommen keine Gelegenheit, etwas auszuplaudern und diejenigen, die seinem
Machtbereich entkommen sind, können nicht darüber reden. Erinnert euch an Katka!
Die arme Frau wird immer noch von Alpträumen heimgesucht.“ Iwan schwieg.
Breda seufzte enttäuscht. Es wäre auch zu einfach gewesen, wenn Iwan etwas
darüber gewusst hätte.
„Jetzt würde ich ebenfalls gerne eine Frage stellen“, sagte Iwan plötzlich. „Was war
der Anlass für euch, mitten in der Nacht in meine Kammer zu stürmen und von mir
Antworten zu verlangen?“
Mit dieser Frage erinnerte Iwan ihn an das Gespräch mit seinem Vater, das während
der Erzählung von Iwan in den Hintergrund gerutscht war.
Der junge Mann erwiderte Iwans Blick grimmig. „Ich hatte eine kleine Unterhaltung
mit meinem verehrten Vater. Sie wissen von Nadja und dem Kind. Und ich denke
nicht, dass sie noch länger vor etwas zurückschrecken werden. Und mein Vater
hängt irgendwie in dieser Sache mit drinnen. Ich verstehe nur noch nicht, was er sich
davon verspricht, was er sich dabei denkt.“ Er verspürte immer noch eine enorme
Fassungslosigkeit, wenn er darüber nachdachte.
Iwan befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. „Nun, es ist nichts Neues, dass Graf
von Krolock tief in diese Sache verwickelt ist. Ich bin schon seit einigen Jahren in
diesem Schloss, doch leider kann ich nicht sagen, was ihn antreibt. Ich glaube, es gibt
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eine Art von Vertrag zwischen eurem Vater und einem bestimmten Vampir. Doch
Details darüber sind mir nicht bekannt.“
Breda schüttelte fassungslos den Kopf. „Es ist alles so verzwickt. Wenn wir nur
wüssten, wer wirklich hinter alldem steckt.“
Iwan hob die Hände uns sah Breda mit einem Ausdruck des Unverständnisses an.
„Das macht den größten Teil ihres Planes aus, Breda! Die Verbreitung des
Vampirismus. Aber ihr habt Recht. Da ist noch mehr. Dieser Vertrag ist einer der
Gründe, weshalb ich damals hierhergekommen bin. Doch bis jetzt war es mir nicht
möglich Einzelheiten zu erfahren. “
„Aber was hätte mein Vater von so einem Pakt?“ abwartend sah Breda Iwan an.
Iwan konnte nur den Kopf schütteln.
„Er hat selber Angst.“ Meinte Breda als er sich an den Gesichtsausdruck des Grafen
erinnerte.
„Die kommt ein wenig spät“, bemerkte Iwan trocken.
„Und wie wollen wir nun weiterkommen?“ fragte Breda nach einigen Sekunden der
Stille. „Wir müssen etwas gegen sie unternehmen!“
Iwan lächelte. „Nun, wenn all ihre Aufmerksamkeit bei euch liegt, so habe ich genug
Freiraum, um zu agieren. Allerdings möchte ich sichergehen, dass ihr euch zu
verteidigen wisst.“
Breda winkte ab. „Ich denke, dass ich in der Lage bin, mich gegen diese Monster zu
wehr zusetzen.“
Iwan sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an.
„Nun, ich denke, eine kleine Lektion von einem professionellen Vampirjäger könnte
euch nicht schaden. Wir treffen uns morgen Nachmittag an der Ruine.“
Breda antwortete mit einem Nicken.
72
Unterricht
Die Tage vergingen wie im Fluge.
Es war jetzt ungefähr fünf Tage her, seit Iwan ihm berichtet hatte, dass es Nadja gut
ging.
Bis zum Nachmittag versuchte Breda, sich etwas zu schonen, dann traf er sich mit
Iwan an der Ruine, wo dieser ihm die effektivsten Methoden zeigte, wie man gegen
einen Vampir vorging, und Nachts versuchte Breda, sich nicht umbringen zu lassen.
Dies mochte sich für einen Außenstehenden vielleicht ganz amüsant anhören, jedoch
war es das bei weitem nicht. Ganz im Gegenteil.
In der ersten Nacht hätte Breda schwören können, dass irgendjemand in seinem
Zimmer war. Schritte, leises Flüstern, eine Bewegung im Schatten, doch jedes Mal,
wenn er nachsah, war es ruhig. Das Einzige, was er hörte, war das Knistern der
Flammen und der Wind, der draußen durch die Zinnen strich. Es war zum verrückt
werden!
Und vielleicht wurde er das ja auch. Vielleicht bildete er sich diese Sachen nur ein.
Wer konnte das schon wissen. Und vielleicht war es auch genau das, was von Brasov
vorhatte: Ihn in den Wahnsinn treiben, bevor er ihn letztendlich tötete.
Breda hielt sich immer vor Augen, dass eigentlich gar nichts Schlimmes passieren
würde, wenn er keinen Fehler machte. Zumindest hoffte er das…
Seinen Vater hatte er in den letzten Tagen immer weniger gesehen und das war ihm
nur zu recht. Er wusste einfach nicht, wie er sich ihm gegenüber noch verhalten
sollte. Ihr Verhältnis war schlechter denn je.
Wie um dies auszugleichen, hatte der Graf, wenn er ihm begegnete, sich von einer
ungewohnt friedlichen Seite gezeigt und sich sogar nach seinem Befinden erkundigt.
Jedoch konnte er damit auch nicht viel bewirken und Breda hatte sich bemüht,
seinen Vater das spüren zu lassen. Ob mit oder ohne Erfolg konnte er nicht sagen.
Aber er konnte einen Mann, der vorgab, sein Vater zu sein und dann in solche
monströsen Intrigen verwickelt war, nicht freundlich behandeln.
In diesem ganzen Wahnsinn war der Gedanke an Nadja, das einzige, was ihn noch
aufrecht hielt. Vor allem, seitdem sie sich in Sicherheit befand und Breda jede
einzelne Sekunde diese Angst um sie und das Kind verspürte.
Jetzt konnte er endlich wieder klar denken und all seine Kräfte dafür einsetzen, dass
es ein gutes Ende nahm.
Breda ritt durch das Schlosstor auf den Wald zu und spürte die schwache
Nachmittagssonne im Rücken.
Das kurze trockene Gras raschelte im Wind und hatte längst die frische grüne Farbe
verloren. Der kühle Wind trug den Geruch des Herbstwaldes heran und machte
Breda deutlich, wie schnell die Zeit vergangen war.
73
Es war noch gar nicht so lange her, da war er ins Dorf geritten und hatte das
bezauberndste Wesen auf Gottes Erde kennen und lieben gelernt. Was waren das für
schöne Wochen gewesen…
Und jetzt ritt er zu der Ruine, an der sie sich damals geliebt hatten, um von einem
Diener und Vampirjäger Unterricht zu bekommen.
Das Schicksal war wirklich ein seltsamer Zeitgenosse.
Er trieb seinen Hengst zu einer schnelleren Gangart an und genoss es,
ausnahmsweise einmal frei durch den Wald zu reiten und einfach nur
nachzudenken.
Er beobachtete die kleinen Tiere, die sich ihren Speck für den harten
transsilvanischen Winter anfutterten und beneidete sie einen kurzen Augenblick um
ihr einfaches überschaubares Leben.
Viel zu schnell kam er an der Ruine an, wo Iwan schon auf ihn wartete.
Und wie jedes Mal, wenn er hierherkam, konnte er nicht anders, als an Nadja zu
denken.
Er stieg ab und führte sein Pferd zu dem von Iwan, das friedlich an einem Baum
festgebunden graste. Dann ging er zu dem Platz, den die beiden Männer in den
letzten Tagen geräumt und für ihre Übungen genutzt hatten.
Iwan saß mit dem Rücken zu ihm auf einem alten Mauerrest und wühlte in seiner
Tasche. Er erwiderte Bredas Begrüßung mit kaum mehr als einem Brummen.
Ohne sich daran zu stören, setzte Breda sich neben den Vampirjäger, der nur kurz
innehielt, um dann weiter nach einem für Breda unbekannten Objekt zu forsten.
Offensichtlich wurde Iwan fündig, denn er zog mit einem triumphierenden „Aha!“
einen Gegenstand aus den Untiefen der Tasche.
Der Grafensohn musterte den Gegenstand in der Hand des Älteren mit einem
missmutigen Gesichtsausdruck. Er hatte Knoblauch noch nie besonders leiden
können, doch er sah ein, dass der Verzehrt wohl unvermeidbar war.
Wenn der Geschmack nur nicht so stark wäre, dachte er und nahm die
Knoblauchzwiebel seufzend entgegen.
Er würde sie jedenfalls nicht jetzt essen, gleichgültig wie unvernünftig das war.
Auf einen Blick Iwans meinte er entschuldigend: „Ich werde die Köchin bitten, mir
ein paar Zehen unter mein Essen zu mischen.“
Iwan zuckte mit den Schultern. „Wenn ihr sie für vertrauenswürdig haltet, so mag
das eine Möglichkeit sein.“
Breda von Krolock ignorierte die stille Warnung und streckte das Gesicht der Sonne
entgegen, um die Wärme zu genießen, bevor Iwan mit seinen Lektionen fortfahren
würde.
Bis jetzt war aus diesem Unterricht nichts wirklich Sinnvolles hervorgegangen.
Abgesehen davon, dass Iwan ihm gezeigt hatte, wohin er mit dem Pflock zielen
musste, um auch wirklich das Herz zu treffen.
Zwischen die sechste und die siebente Rippe.
74
Mit der Anatomie des Menschen hatte er sich noch nicht wirklich auseinander
gesetzt. Er würde das demnächst irgendwann nachholen, wenn er Zeit dafür fand.
Er hörte, wie Iwan neben ihm mit einem Seufzer aufstand.
Der ältere Mann ging quer über den ehemaligen Burghof. Sein Blick schweifte
wachsam über die Landschaft.
Verwundert ob der unerwarteten angespannten Stimmung trat Breda neben ihn.
„Irgendetwas wird geschehen“, murmelte Iwan. „Ich spüre, dass ein Unheil aufzieht.
Es ist so unnatürlich ruhig, wie kurz vor einem Gewitter, nur das der Himmel über
uns so klar ist, wie ein kühler See an einem warmen Sommertag.“
Breda lauschte in die Natur hinein, dann schüttelte er den Kopf. „Ich merke nichts
von alldem. Bist du dir sicher?“
Iwan nickte entschlossen ohne seinen Blick von der Landschaft Transsylvaniens
abzuwenden. „Ich bin mir sicher. Ich vermag bloß nicht, zu sagen, wann und in
welcher Form das Unwetter über uns hereinbrechen wird.“
Breda strich sich nachdenklich eine Strähne seines schwarzen Haares zurück, die sich
aus dem Zopf gelöst hatte.
Er war theoretisch nicht gewilligt, darüber nachzudenken, was alles schief gehen
könnte. Zu groß waren seine Hoffnungen auf ein gutes Ende, zu groß der Willen,
sich nicht von der vermeintlichen Übermacht erdrücken zu lassen, zu groß die
Gewissheit, dass Nadja in Sicherheit war und von dieser Seite keine Gefahr drohte.
Iwan selbst hatte ihm wieder Mut gemacht, als er am Boden zerstört war, warum
sollte er sich jetzt wieder von dem Vampirjäger runterziehen lassen?
Andererseits, das wusste Breda gut genug, wäre es extrem leichtsinnig, nicht auf den
älteren zu hören, seine Bedenken gewissenlos beiseite zu schieben. Die Gefahr, dass
Iwan recht haben könnte, überwog die Unvernunft, die in einem Winkel von Bredas
Verstand dafür eintrat, den alten Mann einfach reden zu lassen.
„Ich denke, wir sollten zurück.“ Erklärte Iwan mit einem Mal und riss den jungen
Grafensohn aus seinen Gedanken.
Als die beiden Männer auf den Hof ritten, wurden sie schon erwartet. Breda stieg aus
dem Sattel und ging seinem Vater mit schnellen Schritten entgegen, während Iwan
sich um die Pferde kümmerte.„Vater“, grüßte Breda, „Ist etwas geschehen, dass ihr
mich hier draußen erwartet?“
Graf von Krolock hob die Augenbrauen. „Nun, muss denn gleich etwas geschehen,
wenn ich einfach nur mit meinem Sohn reden will?“
„Habt ihr jemals ein Gespräch ohne Hintergedanken geführt?“wollte Breda wissen.
„Ich fürchte in letzter Zeit nicht“, gab sein Vater zu. „Aber es hatte jedes Mal einen
Sinn. Auch wenn du das in deinem jugendlichen Leichtsinn nicht immer
nachvollziehen konntest.
Du hast dir in letzter Zeit viele Freiheiten herausgenommen, Breda. Zu viele. Doch
weil du mein Sohn bist, will ich dir das noch einmal verzeihen.
Bis heute Abend, wenn der Mond über diesem Berg steht, werde ich dir Zeit geben,
nochmal über alles nachzudenken.“
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„Du oder Graf von Brasov?“ wagte Breda zu fragen und erntete einen vernichtenden
Blick.
„Nutze die Zeit, mein Sohn. Und triff die richtige Entscheidung.“ Mit diesen Worten
wandte Graf von Krolock sich ab und ging.
Breda glaubte, sich verhört zu haben.
Es gab nichts mehr zu entscheiden!
Die Fronten waren ebenso klar, wie die unausgesprochene Drohung in den Worten
seines Vaters.
76
Überleben
Die Zeit bis der Mond aufging verbrachte Breda damit, die letzten Wochen und Tage
in Gedanken noch einmal durchzugehen.
Er hatte mit Iwan gesprochen, doch auch dieser hatte ihm keinen Rat geben können.
Als es soweit war, machte Breda sich auf den Weg zum Arbeitszimmer seines Vaters,
wo die Vampire zweifelslos auf ihn warteten.
Iwan hatte ihn zunächst nicht alleine gehen lassen wollen, doch Breda wollte nicht,
dass sich der Vampirjäger zu erkennen gab. Wenn etwas passieren sollte, so wäre der
Ältere in der Lage, weiterzumachen. Schließlich hatte Iwan das auch eingesehen.
Breda hatte, bevor er sein Zimmer verließ, einen Pflock unter seinem Umhang
versteckt, dessen Sitz er jetzt nochmal prüfte. Er würde nicht zögern, ihn ins Herz
seines Gegners zu stoßen.
Als er die schwere Tür öffnete, lag der vor ihm liegende Raum im Dunkeln. Einzig
das Licht seiner Fackel beleuchtete die Szene, die sich seinen Augen bot.
Sein Vater saß, wie so oft, an seinem Schreibtisch, den Blick ausdruckslos auf ihn
gerichtet. Neben ihm standen der Graf und die Gräfin von Brasov.
Ein kaltes Lächeln umspielte die Lippen des Vampirs. „Wie schön, dass ihr euch zu
uns gesellt, Breda von Krolock. Ich sagte eben noch zu eurem Vater, wie sehr ich
unsere Gespräche genieße.“
„Das beruht nicht auf Gegenseitigkeit“, lautete Bredas knappe Antwort.
„Warum so unhöflich, mein junger Freund?“ fragte Graf von Brasov scheinheilig und
kam auf ihn zu.
Alle falsche Freundlichkeit war aus dem Gesicht des Vampirs gewichen. Seine
Augen blickten ihn so eisig und voller Hass an, dass es Breda kalt den Rücken runter
lief.
„Reden wir offen und ohne Maskerade“, sagte der Graf.
Breda richtete sich etwas auf und nickte. Er war entschlossen, vor diesem Monster
kein Anzeichen von Angst zu zeigen.
„Ihr habt alle Pläne zerstört, mit denen wir hierhergekommen waren. Ihr habt
Anička ermordet ohne über die Folgen nachzudenken.“
Breda sah ihn kühl an. „Nun, vielleicht hättet ihr eurer Tochter etwas mehr
Zurückhaltung beibringen sollen. Ich habe mich lediglich verteidigt.“
„Wenigstens gesteht ihr“, meinte Graf von Brasov verächtlich. „Dabei wäre Anička
die angenehme Variante gewesen. Jetzt bleiben nur noch wenige andere Wege, wie
wir das erreichen können, wofür wir hergekommen sind.“
„Was hat euch dazu getrieben, hierher zu kommen?“ fragte Breda, der eigentlich
nicht glaubte, auf diese Frage eine Antwort zu erhalten.
„Ich denke nicht, dass dies hier zur Debatte steht. Alles, was ihr wissen müsst, ist,
dass ihr die Geschichte unnötig kompliziert gemacht habt. In zweifacher Weise.“ Er
stand auf und trat an Breda heran, der ebenfalls aufgestanden war. Er kam dem
jungen Mann so nah, dass dieser seinen faulen Atem riechen konnte. „Ihr werdet
leiden. Auf jede erdenkliche Art und Weise. Das kann ich euch versprechen.“
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Flüsterte er und für einen Moment meinte Breda, die Fangzähne sehen zu können,
die im Mund seines Gegenüber aufblitzten. „Und mit eurer Kleinen werde ich
anfangen.“
„Das wagt ihr nicht!“ zischte Breda wütend zwischen seinen Zähnen.
Graf von Brasov trat einen Schritt zurück und lachte lauthals. „Und wie ich das
wagen werde. Ich will, dass ihr Nadjas Schreie bis hier hin hört, dass sie euch bis in
eure Träume verfolgen. Und wenn sie eine von uns ist, dann seid ihr an der Reihe.“
Breda stürzte sich auf ihn, doch der Vampir stieß ihn einfach zur Seite. Breda prallte
mit dem Kopf gegen die Tischkante und blieb benommen liegen.
„Provoziert mich nicht noch mehr, Breda von Krolock.“ Zischte der Vampir.
Breda wollte aufstehen, doch Graf von Brasov stieß ihn mit dem Fuß zurück.
Schließlich blieb dem jungen Grafensohn nichts anderes übrig als auf dem Boden
liegen zu bleiben. Der Gnade des anderen ausgeliefert.
Blut lief von seiner Stirn und vernebelte seine Sicht.
„Nun, kommen wir zur Sache“, fuhr der Vampir fort, ging zur Tür und drehte den
Schlüssel im Schloss herum, bevor er ihn an sich nahm und in seiner Brusttasche
aufbewahrte. „Ich hoffe, die Botschaft ist bei euch angekommen und ihr habt die
richtige Entscheidung getroffen.“
„Das habe ich.“ Breda, der sich langsam und vorsichtig aufgerichtet hatte, packte den
Pflock unter seinem Umhang.
Den Anwesenden blieb diese Bewegung nicht verborgen, doch schienen sie es in
ihrer Selbstsicherheit nicht für nötig zu halten, ihm die Waffe zu entwenden, die er
so offensichtlich vor ihnen versteckte.
„Ihr wollt doch wohl keine Dummheiten begehen“, warnte ihn von Brasov. „Gegen
unsere Stärke seid ihr machtlos. Da hilft euch auch ein Stück Holz nicht weiter.“
Breda zeigte ein kleines trauriges Lächeln. „Hoffnung ist nicht die Überzeugung,
dass etwas gut ausgeht, sondern dass es einen Sinn macht, dafür zu kämpfen.“
„Sieh mal einer an! Ein Philosoph!“ höhnte der Vampirgraf. „Vielleicht sollte ich es
euch überlassen, ihn zur Vernunft zu bringen“, meinte er an Bredas Vater gewandt,
der keine Miene verzog.
„Auch wenn ihr bis jetzt noch nie geschafft habt, in irgendeiner möglichen Weise auf
ihn Einfluss zu nehmen.“ Er grinste sadistisch, so dass die Spitzen seiner Eckzähne
zu sehen waren, was ihm ein diabolisches Aussehen verlieh. „Wisst ihr, ich glaube,
als Vater habt ihr versagt. Aber vielleicht fehlt nur das richtige Anreiz, damit ihr
euch ein bisschen mehr bemüht.“
Mit einem schnellen Schritt trat er hinter den Grafen und hielt ihm ein Messer an die
Kehle. „Vielleicht ist dieser Anreiz ja der richtige“, drohte er.
Der Graf wurde kalkweiß im Gesicht, als er die kalte Klinge an seinem Hals spürte.
„Das dürft ihr nicht!“
Der Vampir lachte. „Nun, ich sehe keinen Grund, es nicht zu tun.“
„Ihr brecht den Vertrag, Graf von Brasov“, warnte Bredas Vater ihn eindringlich
und, wie Breda bemerkte, etwas nervös.
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Von Brasov übte etwas Druck auf die Klinge aus, die dem Grafen leicht in die Haut
ritzte. „Denkt ihr es kümmert mich, was euer Vertrag mit Andrej besagt? Der Gute
ist nicht hier, wie ihr sehen könnt. Außerdem habt ihr eure Grenzen schon lange
genug überschritten. Ich denke ein paar kleine Maßnahmen würde auch er für
angebracht halten.“ Er nahm die Klinge weg und lachte. „Aber so einfach mache ich
es euch nicht. Wisst ihr, verehrter Graf, als Vampir könntet ihr vermutlich viel
erreichen. Ihr habt genau den Charakter, den wir brauchen. Aber leider“, er verzog
bedauernd das Gesicht, „leider habt ihr euch ja dagegen entschieden.“
Er nahm das Messer weg, was Bredas Vater dazu brachte, erleichtert aufzuatmen.
Breda hatte dem mit angehaltenem Atme zugesehen. Anscheinend hatte sein Vater
sich etwas übernommen, als er sich auf diese Verbindung eingelassen hatte.
Graf von Brasov hielt das Messer in der Hand, an dem noch einige Tropfen Blut
hingen. Er sah Breda mit zusammengekniffenen Augen an. „Nun, habt ihr uns etwas
mitzuteilen?“
Breda schüttelte entschlossen den Kopf, sagte aber nichts.
„Dann sehe ich wirklich keine andere Möglichkeit.“ Er zuckte bedauernd mit den
Schultern und ging zu der kleineren Tür, die in einen Nebenraum führte, in dem
Graf von Krolock seine Dokumente verwahrte. Der Vampir öffnete die Tür und
zerrte jemanden hinaus.
Breda riss die Augen auf, als er Iwan erkannte.
Der Vampirjäger musste versucht haben, ihm, trotz der Abmachung zu folgen und
war geschnappt worden.
Sie hatten ihn gefesselt und geknebelt, sodass Iwan auf den Boden knallte ohne sich
irgendwo festhalten zu können. Das Gesicht vor Schmerzen verzogen lag der ältere
Mann hilflos auf dem harten Boden.
Graf von Brasov kniete sich neben den Gefangenen und trennte die Fesseln durch.
„Vielleicht werdet ihr eure Entscheidung jetzt noch einmal überdenken, Breda“,
sagte er während er den Knebel löste und das dreckige Stück Stoff angewidert fallen
ließ.
Er würde Iwan töten, wenn er sich nicht richtig entschied, dachte Breda wütend.
Sein Freund, denn das war er mittlerweile geworden, wie er bemerkte, sah ihn mit
einem Ausdruck an, der besagt: „Tu es nicht!“
Breda schüttelte fassungslos den Kopf. Er konnte doch nicht einfach zulassen, dass
Iwan starb! Er fühlte sich wie in einer Zwickmühle.
„Ihr solltet nicht zu viel Zeit verlieren.“ Der Vampir trat Iwan hart in die Seite, so
dass der Mann sich krümmte. „Sonst könnte er tot sein, bevor ihr euch entscheidet.“
In dem Moment, wo Breda sah, wie Iwans schmerzhaft das Gesicht verzog und so
zusammengekrümmt auf dem Boden lag, vollkommen wehrlos, der Gnade dieser
Monster ausgeliefert, konnte er sich nicht mehr beherrschen.
Ehe er sich versah, hatte er den Pflock herausgezogen und sich auf den Vampir
gestürzt. Dieser war so überrascht, dass er nicht rechtzeitig reagieren konnte und
schneller als irgendjemand was sagen konnte, bohrte Breda den Pflock in das Herz
seines Gegenübers, der die Augen aufriss, als könnte er nicht glauben, was gerade
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geschah. Ein letzter keuchender Atemzug entrang sich der Kehle des Vampirs, bevor
die Augen glasig wurden und er zu Boden sank.
Einen Moment lag der Leichnam dieses Monsters auf dem Boden des
Arbeitszimmers. Dann zerfiel er zu Staub, so dass nichts weiter von dem Grafen von
Brasov übrig blieb, als ein Haufen Asche.
Breda starrte ungläubig auf den Boden, auf den Pflock und auf seine eigenen Hände.
Er konnte nicht glauben, dass es so einfach gewesen war.
Iwan sah stumm auf den Aschehaufen.
Breda hätte erwartet, dass er sich freuen würde, doch Iwan sah einfach nur so
erschöpft wie er sich fühlte.
Ein Schrei ertönte hinter ihm.
Erschrocken wandte Breda sich um und erblickte das wütende Gesicht der Gräfin,
das nur noch zu einer Fratze verzogen war.
Die Vampirin stürzte sich auf ihn, wurde jedoch im letzten Moment zurückgehalten.
Dann lief alles wie in Zeitlupe ab.
Breda sah mit weit aufgerissenen Augen auf das Geschehen. Er konnte einfach nicht
fassen, was dort geschah.
Graf von Krolock versuchte verzweifelt, die Vampirin festzuhalten, die sich auf
seinen Sohn stürzen wollte. Allerdings hatte er ihrer Stärke nur wenig entgegen
zusetzen. Sie zerrte ihn einfach mit sich.
Erst jetzt sah Breda den Pflock in der Hand seines Vaters.
Auch die Gräfin sah das Stück Holz.
Und das war wohl das Einzige, was Breda das Leben rettete.
Die Vampirin schrie wütend auf, als sie die Waffe sah, und stürzte sich auf seinen
Vater, der sich vor dem Angriff kaum schützen konnte.
Und schneller als Breda irgendetwas tun konnte, um seinem Vater zu helfen, sah er,
wie Gräfin von Brasov mit ihren Zähnen die Kehle seines Vaters zerfetzte.
Das Blut spritzte pulsierend aus der tiefen Wunde und benetzte die Gräfin, die die
heiße Flüssigkeit gierig aufleckte.
Auf der plötzlich so weißen Haut des Grafen schien das Rot die einzige Farbe zu
sein.
Mit allerletzter Kraft stieß Graf von Krolock zu und rammte der Vampirin den Pfahl
in die Brust.
Und zum zweiten Mal in einer Nacht, sah Breda zu wie ein Vampir zu Staub zerfiel.
Nur noch der Pflock lag in der grauen Asche.
Schließlich besann Breda sich und sprang auf. Doch für seinen Vater kam jede Hilfe
zu spät.
Graf von Krolock war tot.
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Die letzte Ruhe
Die Nacht war schon weit voran geschritten und Breda saß noch immer auf dem
Boden im Arbeitszimmer des Grafen neben der einen Person, die seit Jahren an
jedem einzelnen Tag verflucht hat und die sich in dieser Nacht für ihn geopfert hat.
Der junge Mann wusste nicht, was im Kopf seines Vaters vor sich gegangen war. Er
verstand es jetzt noch weniger als vorher.
Vorher war für ihn klar gewesen, dass Graf von Krolock in seinem Leben war, um
ihm eben dieses zur Hölle zu machen und ihn jeden einzelnen Tag daran zu
erinnern, dass Breda nicht würdig war, das Erbe seines Vaters anzutreten. Sein Vater
war ein gehässiger, verbitterter Mann gewesen, dem man am liebsten aus dem Weg
ging.
Doch gestern…
Gestern hatte der Graf etwas getan, was genau diesen Vorstellungen nicht entsprach!
Breda sah den Leichnam seines Vaters an. Er sah in das Gesicht, das ihn immer mit
Verachtung und Arroganz betrachtet hatte. Jetzt waren die Augen geschlossen, die
Haut blass. Es sah aus, als würde der Mann schlafen.
Allerdings währte dieser Eindruck nur kurz, da Bredas Blick unvermeidbar weiter
nach unten wanderte und er die zerfetzte Kehle sah.
Das Blut war mittlerweile geronnen und die Kleidung, die sich mit der roten
Flüssigkeit vollgesogen hatte war starr.
Breda sah genauer hin. Er nahm jedes Detail in sich auf. Doch er fühlte nichts.
Da war keine Trauer um den Verlust. Seine Augen waren trocken und seine Miene
starr, wie bei einer Statue.
Er konnte nicht einmal Freude über seinen Sieg empfinden, denn ob es wirklich ein
Sieg war, bezweifelte er. Es gab noch so viele offenstehende Fragen und niemanden
mehr, der sie beantworten konnte.
Der Vergleich mit der Statue war wirklich treffend gewesen, dachte er. Genauso
fühlte er sich. Starr, leer, kalt, wie aus Stein.
Sollte so ein Sohn fühlen, dessen Vater gerade gestorben war? Egal, wie viel dieser
Vater getan hatte, um sein Leben zu einem Alptraum zu machen?
Breda hörte vorsichtige Schritte hinter sich und wandte sich um.
Iwan stand hinter ihm. In seinem Gesicht sah Breda noch den Schmerz, der von den
Verletzungen der Vampire herrührte.
Der Vampirjäger drückte ihm wortlos den Pflock in die Hand, den er zuvor vom
Boden aufgehoben hatte.
Breda sah auf das Stück Holz in seiner Hand. „Was soll das werden?“ fragte er müde
und wollte Iwan den Pflock zurückgeben.
Iwan deutete mit dem Kopf auf die Leiche. „Jemand muss es tun. Ich weiß, was ich
von euch verlange, aber ich bin zu geschwächt.“
„Er ist tot, Iwan! Sie hat seine Kehle zerfetzt!“
Iwans Blick wanderte zu dem blutüberströmten Leichnam des Grafen. „Das habe ich
durchaus bemerkt, Breda. Aber ich habe auch bemerkt, dass sie ihn gebissen hat.“
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„Ich denke nicht, dass ein Vampir mit einer solchen Verletzung überleben könnte“,
bemerkte Breda.
„Wir wissen nicht genug darüber, um das mit Sicherheit ausschließen zu können. Es
muss getan werden.“
Bredas Finger verkrampften sich um das Holz, das schwer in seiner Hand lag. „Ich
weiß nicht, ob ich das kann.“
„Ihr habt es bereits einmal getan, Breda von Krolock.“
„Das ist mein Vater!“ fuhr Breda den Älteren an.
„Es ist nur noch der Körper. Das müsst ihr euch bewusst machen. Der Graf ist tot
und es wäre besser, wenn das so bleibt.“
Breda kniff die Augen zusammen. „Warum kannst du das nicht machen?“
„Weil ich nicht stark genug bin, um den Pfahl zwischen den Rippen durch ins Herz
zu bohren. Glaubt mir, ich würde euch diese Last abnehmen, wenn ich könnte“,
antwortete Iwan ehrlich. „Erspart euch und eurem Vater die Möglichkeit, dass er als
Vampir zurückkehrt.“
„Vielleicht hat er nichts anderes verdient.“ Meinte Breda und wunderte sich
gleichzeitig über die Kälte und den Hass in seiner Stimme.
Iwan legte ihm die Hand auf die Schulter. „Niemand, nicht einmal euer ärgster
Feind, hat so ein Schicksal verdient. Und wenn euch das nicht überzeugt, so bedenkt
was geschehen würde, sollte ein Mann wie euer Vater über so viel Macht verfügen.
Ihr tätet niemandem einen Gefallen damit und würdet unsere Situation bloß noch
verschlimmern.“
Breda musterte nachdenklich das Stück Holz. Doch wenn er nur drüber nachdachte,
was er tun sollte, drehte sich ihm der Magen um.
Er konnte doch niemandem das Herz mit einem Stück Holz durchbohren!
Sicher, er hatte es diese Nacht schon getan, aber das war aus Wut geschehen und aus
Notwehr. Er hatte sich nicht anders zu helfen gewusst. Doch wenn er das jetzt tat,
dann war es bewusst und egal, ob der Körper vor ihm tot war oder nicht, es war eine
grauenerregende Vorstellung, nur daran zu denken.
„Ich verstehe, dass es euch schwerfällt“, fügte Iwan hinzu. „Dieser Mann hat
schlimme Dinge getan, hat euch schlimme Dinge angetan und allen Menschen, die
ihr liebt. Doch er ist immer noch euer Vater.“
„Er war es einmal“, flüsterte Breda mit rauer Stimme. „Aber das ist so lange her. Als
ich noch ein kleiner Junge war, als meine Mutter noch lebte, da war er ganz anders.
Liebevoll, warm, freundlich.“ Er schluckte. „Aber er hat mit seinen Taten jedes
Andenken an diese Jahre vernichtet.“
„Aber hat er nicht, indem er sich für euch hat umbringen lassen, gezeigt, dass dieser
Mann immer noch irgendwo in ihm war?“ fragte Iwan sanft. „Er hat sich mit
Mächten angelegt, die zu groß für ihn waren und seinen Preis dafür bezahlt. Seine
Menschlichkeit und seine Liebe für euch waren von seinen Ängsten und seiner Gier
nach Macht verdrängt worden, aber sie waren immer da.“
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„Glaubst du, das hilft mir weiter?“ fragte Breda scharf. „Es ist so wie es ist. Er ist tot
und ich bin nicht bereit dazu, die Leiche meines Vaters zu schänden, indem ich sein
Herz mit einem Holzpflock durchbohre!“
„Wollt ihr wirklich, dass er euch als Vampir weiter quält? Tut es im Gedenken, an
den Mann, der er einmal war.“
„Es steht nicht einmal fest, ob er …“ er konnte nicht weitersprechen.
Langsam hatte Breda das Gefühl, die ganze Welt würde über ihm
zusammenbrechen. Es war einfach zu viel, was in letzter Zeit passiert war!
„Nein, sicher bin ich mir nicht, aber die Möglichkeit ist gegeben und wir würden uns
alle besser fühlen, wenn wir wüssten, dass wir alles in unserer Macht stehende getan
hätten.“ Iwan verstummte und rieb sich die Stirn.
Breda betrachtete wieder den Pflock und den Leichnam, während er nachdachte.
Schließlich konnte er nicht anders, als Iwan zuzustimmen. Dennoch graute es ihm
bei der Vorstellung.
„Ihr tut das richtige, Breda“, meinte Iwan tröstend.
Breda atmete tief durch. „Ich kann das nicht. Ich habe diesen Mann über die Hälfte
meines Lebens so gehasst, aber dennoch vermag ich nicht, so etwas durchzuführen.
Es ist nichts anderes als Leichenschändung!“
„Das zeigt nur, dass er euch trotz allem etwas bedeutet hat. Breda!“ er sah den
Jüngeren eindringlich an. „Rettet ihn und euch! Wenn er wieder aufwachen würde,
dann würde er euch wirklich hassen. Er würde euch dafür hassen, dass ihr nichts
unternommen habt und dafür, dass alles so gekommen ist wie es nun einmal ist.
Diesen Hass würde er an euch und an Nadja auslassen.“
Breda schwieg.
Dann beugte er sich zum Körper seines Vaters runter und hob den Pflock.
„Zwischen die sechste und die siebente Rippe“, erinnerte Iwan ihn.
„Schweig!“ donnerte Breda wütend.
Er konnte nicht glauben, dass er das wirklich tat!
Er atmete einmal tief durch, brachte den Pflock in die richtige Position und schloss
die Augen.
Mit einem Stoßgebet auf den Lippen rammte er den Pflock in das tote Fleisch.
Er glaubte zu hören, wie das Holz über die Rippen kratzte.
Breda würgte. Dann erbrach er sich direkt neben dem Leichnam.
Die Sonne ging über den Bergen auf und tauchte die Tannenwälder Transsylvaniens
in ein frisches rötliches Licht.
Der Wind ließ die Wipfel hin und her schwanken und strich pfeifend um die Zinnen
der alten Burg, die über der Landschaft thronte.
Nichts an diesem kühlen Herbsttag erinnerte an die Geschehnisse der vergangenen
Nacht.
Nichts außer dem Sarg, der aus braun-rot schimmerndem Holz gezimmert war und
in der Eingangshalle des Schlosses auf einem für diesen Zweck errichteten Sockel
stand.
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Breda hatte seinen besten Anzug angelegt und stand mit ernster Miene neben dem
Sarg seines Vaters.
Der Gedanke daran, dass Nadja sicher leben konnte, war das einzige, was ihn gerade
nicht zusammen brechen ließ. Er würde sie morgen aufsuchen und ihr alles erklären.
Alles würde gut werden.
Er würde sie fragen, ob sie mit ihm auf dem Schloss leben würde, ob sie bereit wäre,
seine Frau zu werden. Sie würden ihr Kind gemeinsam großziehen und ein
glückliches Leben haben.
Zumindest träumte er davon.
Denn etwas Grundlegendes hatte sich verändert.
Er hatte sich verändert.
Und er hoffte, dass diese Änderung sich nicht zwischen sie beide stellen würde.
Er hoffte, dass sich alles klären würde.
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Schatten der Vergangenheit
In den folgenden Stunden der Nacht kamen mehrere Bedienstete.
Woher sie wussten, was hier geschehen war, wer es ihnen gesagt hatte, war Breda
ein Rätsel.
Breda konnte sich vorstellen, wie die Szene wohl aussehen mochte, die sich einem
beim Betreten des Raumes bot: Sein Vater mit gebrochenem Blick, zerfetzter Kehle
und einem Pflock in der Brust, überall Blut und schließlich er selbst, der inmitten
dieses Grauens saß und den Blick nicht davon lösen konnte.
Jeder musste glauben, dass er seinen Vater in einem Anfall von Wut ermordet hatte.
Schließlich waren die waren Mörder zu Staub zerfallen und wurden gerade von den
ahnungslosen Bediensteten weggefegt.
Er war offiziell der Mörder!
Diese geheimen Anschuldigungen konnte er den hastigen Bewegungen, den
ausweichenden ängstlichen Blicken entnehmen. Niemand sah ihn an, niemand
sprach mit ihm. Schnell und schweigend wurde der Leichnam seines Vaters
weggetragen und man würde ihn waschen und ihm seine beste Kleidung anlegen,
bevor das Begräbnis am frühen Nachmittag stattfinden würde.
Er war in ihren Augen der Mörder und das Schlimme daran war, dass es keine
Beweise dagegen gab, außer der Aussage eines alten Mannes, der halbtot geprügelt
worden war. Seine Zeit als Graf würde mit Gerüchten über seine Grausamkeit und
Machtgier beginnen. Eine Gier, so groß, dass Moral und Gewissen nichts mehr
bedeuteten.
Diese Gerüchte entsprachen nicht der Wahrheit, das wusste Breda von Krolock. Doch
wie er die Menschen kannte, würden sie sich nicht stoppen lassen. Gerüchte waren
wie eine Flut, zunächst langsam und fast unbemerkt, doch unaufhaltsam. Und wenn
er nicht achtgab, würde er ertrinken.
Auf Mord stand die Todesstrafe. Selbst für einen Grafen.
Mittlerweile war er wieder alleine im Arbeitszimmer seines Vaters, das jetzt ihm
gehörte. Er würde sich demnächst in die Unterlagen seines Vaters einarbeiten.
Das Positive daran war die Tatsache, dass er nun ungestört etwas über diesen
Vertrag ausfindig machen könnte, den Graf von Brasov erwähnt hatte.
Der Vertrag mit Andrej…
Wer auch immer dieser Andrej war, er würde es herausfinden, beschloss Breda
grimmig. Später.
Aber jetzt würde er es sich erst mal erlauben, kurz durchzuatmen und neue Kraft zu
sammeln.
Denn dass es vorbei war, mochte er nicht so wirklich glauben. Zu viele Fragen
standen noch offen, zu viele Dinge waren noch nicht getan, nicht einmal
ausgesprochen.
Er erhob sich und ließ seinen Blick nochmals durch den Raum schweifen, bevor er
sich dem Fenster zuwandte, um den Blick auf die wilde, raue Natur Transsylvaniens
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auf ihn wirken zu lassen, der ihm bis jetzt immer geholfen hatte, zumindest zu einem
Lösungsansatz zu gelangen.
Diesmal jedoch half auch das nicht. Sein Blick wanderte bloß immer zum unter ihm
liegenden Burghof, auf dessen gegenüberliegender Seite der Eingang zur Gruft lag,
in der die meisten seiner Ahnen lagen und in der auch sein Vater ruhen würde, so
wie er selbst eines Tages und seine legitimen Nachkommen.
Was wäre wohl geschehen, wenn er eingeknickt wäre, aufgegeben hätte?
Der Graf wäre noch am Leben und Nadja hätte sich nicht in solch großer Gefahr
befunden. War es selbstsüchtig von ihm gewesen, andere Menschen in Gefahr zu
bringen, nur um sein eigenes Leben zu schützen? Er wusste es nicht. Vielleicht wollte
er es auch nicht wissen. Denn ändern würde dies nichts.
„Ihr grübelt zu viel, Exzellenz.“ Unterbrach eine bekannte Stimme seine Gedanken.
Er wandte sich Iwan zu, der sich zwischenzeitlich um seine Verletzungen
gekümmert hatte. Vermutlich war es der ältere Diener und Vampirjäger gewesen,
der den Bediensteten die Anweisung gegeben hatte, die gewohnte Ordnung wieder
herzustellen.
„Vergesst nicht, dass das Leid und der Kummer, der mit eurem Fall einhergegangen
wäre, größer wäre, als alles Leid, welches ihr in letzter Zeit durchgemacht habt. Euer
Vater hat seinen Tod selbst verschuldet, als er einen Pakt mit diesen Bestien einging.
All der Schmerz hat seine Ursache in der Schwäche des ehemaligen Grafen. Gebt
nicht euch die Schuld.“
Verwundert hob Breda die Augenbrauen. „Was lässt euch vermuten, dass ich die
Schuld bei mir suche?“
„Verzeiht, ihr habt wohl laut gedacht“, vermutete Iwan mit einem Lächeln.
„Eine kleine Marotte, die ich mir wohl in Zukunft abgewöhnen sollte“, gab Breda
nach einigen Sekunden zu.
Er sah, wie Iwans Lächeln etwas breiter wurde, bevor es gänzlich verschwand.
Dann wies der Ältere auf einen Bogen Pergament, der vorhin noch nicht auf dem
Schreibtisch gelegen hatte. „Dort ist der Vertrag, den ihr wegen der Titelübergabe
unterzeichnen müsst. Wie ihr wisst, muss das Geschehen und die Tatsache, dass ihr
das Erbe eures Vaters antretet, in Târgoviște gemeldet werden.“
Breda verzog das Gesicht. „Der Bürokratie muss natürlich nachgekommen werden.“
„Danach solltet Ihr euch einem anderen Problem widmen“, meinte Iwan ernst. „Die
Sache ist noch nicht ausgestanden.“
„Andrej…“
„Wer?“
„Der Vampir, mit dem mein Vater das Bündnis eingegangen ist. Sein Name ist
Andrej.“
Iwan sah ihn erstaunt an. Dann räusperte er sich. „Nun, es ist gut, dass wir jetzt den
Namen wissen. Das sollte die Recherchen zumindest etwas einfacher gestalten.“
Breda nickte, dann stand er auf. „Und ich werde mit der Suche in den Akten meines
Vaters beginnen. Geh jetzt! Ich muss alleine sein!“
Iwan verneigte sich, dann verließ er den Raum.
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Entschlossen drückte er den Rücken durch und ging mit schnellen Schritten zu den
Regalen, in denen sein Vater die Dokumente der vergangenen Jahre verwahrt hatte.
Er würde jetzt handeln und seinen Gegner dazu zwingen, sich zu offenbaren. Er war
jetzt der Graf und trug die Verantwortung für das, was in seiner Grafschaft geschah.
Und er würde mit dem Vertrag anfangen, den sein Vater mit Andrej geschlossen
hatte.
Wenn er nur wüsste, wo er mit der Suche beginnen sollte. In welchem Jahr war der
Vertrag abgeschlossen worden? War er überhaupt hier oder hatte sein Vater ihn
woanders aufbewahrt? War es ein offizielles verbindliches Schriftstück oder nur eine
mündliche Vereinbarung? Breda beschloss, die zweite Möglichkeit auszuschließen,
da sein Vater kein Freund halber Sachen gewesen war.
Vielleicht war die plötzliche Verhaltensänderung seines Vaters mit dem
Vertragsabschluss in Verbindung zu bringen. Wenn man einen Vertrag mit
Vampiren abschloss, eventuell sogar dazu gezwungen wurde, direkt oder indirekt,
wenn dieser Vertrag etwas beinhaltete, was sich nicht mit den Idealen eines Grafen,
Ehemannes und Vaters deckte, konnte man danach noch derselbe sein?
Er konnte sich durchaus vorstellen, dass diese spontane Vermutung der Wahrheit
entsprach. Also, konnte er den Bereich, in dem er suchen musste, zumindest
eingrenzen.
Er erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem sein Vater plötzlich so anders
gewesen war. Er erinnerte sich daran so genau, dass er die Szene immer noch vor
sich sah. Es war im Winter 1596, als er noch ein Junge gewesen war. Am Abend war
alles gewesen wie immer und am Morgen, als er seinem Vater beim Frühstück unter
die Augen trat, war dem kleinen Jungen etwas aufgefallen, was er nicht benennen
konnte. Es lag an diesem Blick, in dem plötzlich etwas Fremdes lag, etwas Kaltes,
aber auch ein Funken von etwas anderem.
An das folgende Szenario erinnerte Breda sich nur ungern.
Es war zu einem Streit gekommen, wie es vorher noch keinen Streit zwischen seinen
Eltern gegeben hatte. Seine Mutter hatte geschrien und geweint, doch der Graf hatte
sich ohne ein weiteres Wort von ihr abgewandt, was er vorher nie getan hätte.
Im Nachhinein dachte Breda, dass dies wohl der Augenblick gewesen war, der die
Ereignisse ins Rollen gebracht hatte.
Seine Mutter hatte sich immer mehr zurückgezogen, weil sie es nicht ertragen hatte,
was aus ihrem Mann geworden war. Sie hatte es nicht verstehen können, genauso
wenig wie ihr Sohn, der immer mehr unter diesen familiären Umständen gelitten
hatte.
Und irgendwann war sie fort gewesen.
Geflohen? Tot?
Breda wusste es immer noch nicht.
Damals hatte Breda nicht verstanden, was seinen Vater so verändert hatte. Aber
vielleicht konnte er es jetzt verstehen.
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Er suchte in den Regalen nach dem Jahr 1596. Sorgfältig ging er jedes Regal, jedes
Fach durch, bis er am Ende angelangt war.
Doch er fand nichts, was ihm in irgendeiner Weise behilflich sein konnte.
Enttäuscht über diesen sinnlosen Zeitvertreib wollte er den Raum verlassen, als ihm
etwas auffiel.
Zwischen zwei der Regale war ein kleiner Spalt, in dem etwas lag.
Breda von Krolock trat näher und bückte sich. Vorsichtig zog er an der Ecke, die
zwischen den Holzbrettern hervor lugte.
Ein kleines dünnes Büchlein lag in seiner Hand. Sein dunkelblauer Einband war
abgegriffen und die goldenen Muster, die ihn zierten, größtenteils abgeblättert und
nur noch zu erahnen.
Vorsichtig öffnete Breda das schon etwas ältere, oft gelesene Buch, worauf eine schon
etwas vergilbte, geschwungene Schrift zu erkennen war.
Sein Herz machte einen Satz, als er einen, ihm so vertrauten Namen las.
Catrinel von Krolock
Es war nichts geringeres, als das Tagebuch seiner Mutter aus der Zeit, kurz bevor sie
verschwand.
Mit wachsendem Staunen blätterte Breda um und begann zu lesen.
Schloss Krolock, Transsylvanien den zweiten Februar im Jahr 1596
Ich beginne dieses Buch mitten in der Nacht, nur von dem Licht einer Kerze bewacht und
unter den schützenden Augen Gottes, der über mich und meine Liebsten wacht.
Ich sehe keine andere Möglichkeit, um über das nachzudenken, was mich im Innersten bewegt
und mir den Schlaf raubt, als mich dem Papier anzuvertrauen. Ich wage es nicht, meine
Gedanken, Ängste, Hoffnungen und Wünsche jemand anderem zu erzählen.
Und der Grund dafür ist niemand anderer als der Mensch, der mir am nächsten auf der Welt
steht und mich bis jetzt durch meine glücklichsten Tage begleitet hat. Mein geliebter Mann,
der Vater meines einzigen Kindes.
Es fällt mir schwer es zu glauben und noch schwerer, es zu verstehen.
Wie könnte ich es verstehen, wo er doch nicht zu mir spricht?
Er schließt sich ein, redet mit niemandem und wenn doch, dann spricht ein anderer aus
seinem Mund. Jemand, den ich nicht kenne und nicht kennenlernen will, da mir die Kälte
und der Hass zuwider sind, die aus seinen Worten sprechen.
Ich sehe keinen Ausweg aus meinem Dilemma, aus diesem Teufelskreis, dessen Wirken mich
sogar in meine tiefsten und heiligsten Träume verfolgt. Eine kalte Faust drückt mir auf die
Brust und stiehlt mir meinen Atem. Ich ersticke langsam und in meinen Ohren klingt das
Gelächter des Teufels, der sich an meinen Seelenqualen ergötzt.
Liebster, was ist geschehen in jener Nacht? Was ist mit uns beiden geschehen, dass ich es
nicht wage, mit euch zu sprechen, in eurer Nähe zu sein, unbeschwert, wie wir einst waren?
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Ich habe Angst vor dieser Veränderung, Angst vor der Person, der ich bis jetzt am meisten
vertraute und der ich so viel verdanke. Und gleichzeitig kann ich nicht aufhören, ihn zu
lieben und ihm meine Treue zu schenken. Er ist mein Mann, mein Geliebter, mein Freund.
Wie könnte ich ihn so einfach aufgeben?
Doch als er an jenem Abend vor dieser schicksalsträchtigen Wendung an meiner Seite in die
Welt der Träume geglitten war, war er noch ein anderer Mann gewesen, als der Fremde, der
mir nun jeden Tag gegenübersteht.
Die Befürchtung, dass etwas Furchtbares geschehen sein muss, wandelt sich von Tag zu Tag
mehr in Gewissheit. Wenn ich in dieses mir vertrautes Antlitz blicke, so erkenne ich tief
verborgen dieselbe Angst, die sich auch in meiner Seele eingenistet hat. Aber dies lässt mich
auch hoffen, dass es nur die Fassade ist, die sich geändert hat, und nicht das Innere.
Und schließlich ist es die Hoffnung, die mich weiter leben lässt und mich tröstet, wenn nichts
und niemand anderer es vermag.
Wie schwer es mir fällt, diese Worte zu Papier zu bringen. Ich wage es kaum, es in meinen
Gedanken auszusprechen, mich meinen Dämonen zu stellen. Ich bin zerrissen zwischen
meiner Liebe zu meinem Gatten und meiner Furcht vor den kommenden Ereignissen, vor
dem, was aus uns werden wird.
Ich bange um mein Herz und um unser aller Seelenheil.
Gott, steh uns bei und hilf uns, die Schatten zu verjagen, die sich über dieses Schloss und
seine Bewohner gelegt haben!
Bredas Blick verweilte auf diesem letzten Satz, aus dem ihm Verzweiflung, Trauer
und namenlose Furcht entgegenschlugen, die seine Mutter in den letzten Tagen auf
dem Schloss verzehrt hatten.
Erfüllt von Neugierde und der Hoffnung, etwas zu erfahren, was ihm helfen könnte,
blätterte er um und las weiter.
Schloss Krolock, Transsylvanien den dritten Februar 1596
Ein schreckliches Unheil liegt dieser Tage über allem, was mir heilig ist.
Ich glaubte bis gestern nicht, dass sich die ungewohnte Kälte und Fremdheit noch weiter
ausbreiten konnte, doch wurde ich heute eines besseren belehrt.
Ich will nun diese Situation zusammenfassend schildern, damit ich sie auch nicht vergessen
werde. Vielleicht wird es mir rückblickend gelingen, aus dem heutigen Tag eine Erkenntnis
zu ziehen.
Es geschah kurz vor dem Morgengrauen, dass ich aufwachte. Mein Geist war ruhelos, die
Luft schien angespannt wie das Seil eines Luftakrobaten.
Das Bett des Grafen war verlassen, die Decke lag so ordentlich, wie am Abend zuvor. Meine
Kehle war wie ausgetrocknet und ich fürchtete mich.
Besorgt, was meinen Gatten vom Zubettgehen abgehalten hatte, stand ich auf und meine
Beine führten mich wie von selbst in das Arbeitszimmer, dessen Türe einen Spalt breit
offenstand, sodass Licht und Stimmen in den Flur drangen.
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Mein schlechtes Gefühl wuchs ins unermessliche, als ich die Stimme meines Mannes
erkannte, aus der reine Hoffnungslosigkeit und Resignation sprachen. Noch Schlimmer aber
waren die Worte, die ich bis an mein Lebensende nicht vergessen werde.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als eurem Anliegen zuzustimmen. Ich werde die Grafschaft
weiterhin verwalten und sollte ich nicht mehr sein, so wird mein Sohn Breda an meine Stelle
treten. Die einzige Bedingung, die ich stelle ist euch bereits bekannt.
Eine andere Stimme, die mir vollkommen fremd war, antwortete ihm und ließ mir einen
kalten Schauer über den Rücken laufen. Es war die reine Bosheit, der Teufel selbst, der aus
dem Mund des Fremden sprach.
Natürlich. Meine Männer und ich werden euch kein Leid zufügen und ihr könnt euer
menschliches Leben in Seelenruhe beenden. Ihr erklärt euch somit damit einverstanden, dass
euer Sohn den Platz einnehmen wird, der ursprünglich für euch bestimmt war. Als Vampir
wird er in wenigen Jahren in unserem Sinne handeln. Ich werde kommen, wenn die Zeit reif
ist. Bis dahin werdet ihr kein Wort an irgendjemanden verlieren.
Der Fremde lachte auf eine bösartige Weise, die ich noch bei keinem menschlichen Wesen
zuvor beobachtet hatte. Die Erwähnung der Vampire überraschte mich keineswegs, war mir
doch deren Existenz schon bekannt gewesen. Doch mich überfiel reine Panik, bei dem
Gedanken, meinen Sohn an diese Monster zu verlieren.
Erfüllt von Furcht trat ich näher an die Tür, um einen Blick in den Raum zu werfen, obwohl
alles in mir schrie und ich am liebsten wieder in mein Schlafgemach zurückgekehrt wäre. In
mir keimte der Wunsch, dass dies alles nur ein böser Traum sei und ich jeden Moment an der
Seite meines Geliebten Mannes aufwachen würde. Doch nichts dergleichen geschah.
Ich warf einen Blick durch den Türspalt und sah meinen Gatten, der zusammengesunken an
seinem Schreibtisch saß, den Kopf in den Handflächen vergraben. Mein nächster Blick fiel auf
den Fremden.
Es war ein hochgewachsener, schlanker Mann. Seine blauschwarzen Haare schimmerten im
Licht der Kerzen. Die Kleidung war ebenso schwarz und aus den feinsten Stoffen
geschneidert.
Ihn umgab eine Aura der Bösartigkeit, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Seine ganze Art
strahlte Hochmut, Arroganz und Überlegenheit aus. Seine Art stillzustehen hatte etwas von
einem Raubtier, kurz vor dem Sprung.
Als hätte er meine Anwesenheit gespürt wandte er sich um und seine Augen trafen auf
meine.
Ich habe auch jetzt noch das Gefühl, dass seine rotglühenden Augen mir folgen und jede
meiner Handlunge überwachen.
Ich habe etwas gesehen und gehört, was nicht für meine Ohren bestimmt gewesen war und
ich fürchte, dass ich dafür zahlen muss.
Doch wie kann Vlad das zulassen? Wie konnte er sich so sehr verändern, dass er bereit ist,
unseren Sohn zu opfern, um sein eigenes Leben zu retten?
Der dünne Lichtstrahl am in der Dunkelheit verblasst und lässt nichts zurück als die kalte
erdrückende Finsternis der Nacht.
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Ich befürchte, dass dies das letzte Mal ist, wo ich meine Gedanken in diesem Büchlein
festhalten kann. Doch ich hoffe, dass Breda eines Tages diese Worte lies, bevor es zu spät ist.
Das Leben meines Kindes ist mir wertvoller, als mein eigenes und ich würde alles dafür tun,
um ihm ein unbeschwertes, glückliches Leben zu bieten.
Mein geliebter Sohn,
wenn du dies liest, ist es vielleicht schon zu spät und diese Worte verhallen im Nichts. Doch
ich bete inständig, dass dem nicht so ist.
Flieh, so schnell du kannst und höre auf dein Herz. Es wird dir den besten und sichersten
Weg weisen.
Ich werde nicht fliehen. Das könnte ich nicht. Ich sehe die Seelenqualen deines Vaters und
ahne, wie er sich fühlt. Doch er ist nicht stark genug, um dem Unheil zu widerstehen. Wie
könnte ich ihn dafür bestrafen und ihm meine Liebe entziehen, wo er sie doch gerade jetzt am
meisten braucht?
Ich werde wahrscheinlich sterben und dich zurücklassen und es schmerzt mich ungemein,
mein lieber Breda, dich so zurückzulassen. Doch ich habe keine Wahl.
Lebe wohl und möge Gottes Segen auf die liegen und dir helfen mit den Schatten der
Vergangenheit fertig zu werden und dem Übel stolz und stark entgegenzutreten.
Breda blätterte um, doch auf den folgenden Seiten stand nichts mehr.
Er schlug das Büchlein zu und legte es auf dem Schreibtisch ab.
Dann setzte er sich.
Er konnte kaum glauben, was er soeben erfahren hatte.
Seine Mutter hatte ihm die Informationen geliefert, die ihn weiterbringen würden.
Und er wusste jetzt, was mit ihr geschehen war.
Sein Vater hatte ihren Tod verschuldet!
Sie hatte zu viel erfahren und war aus dem Weg geräumt worden. Catrinel von
Krolock war ermordet worden, weil sein Vater zu feige gewesen war, seine Familie
zu beschützen und sein Leben über das der anderen gestellt hatte. Und sie hatte
geahnt was geschehen war und hatte dem mit offenen Augen entgegen geblickt.
Selbst damals, als sie gesehen hatte, wozu sein Vater fähig war, hatte sie es nicht über
sich gebracht, ihn zu verlassen!
Mit Tränen des Kummers in den Augen sah Breda auf die letzten Worte, die seine
Mutter an ihn gerichtet hatte.
Dann blätterte er weiter durch das kleine Büchlein, doch die Seiten hinter dem
gelesenen Eintrag waren leer. Seufzend klappte er das Buch zu. Dabei fiel ihm eine
kleine kaputte Stelle im Einband auf, die aussah, als hätte jemand mit dem Messer
daran gearbeitet. Breda runzelte die Stirn. Unter dem Leder steckte ein Zettel, den er
mit Mühe und Not aus seinem engen Gefängnis befreite.
Mein geliebter Sohn,
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Ich werde leider nie erfahren, ob diese Zeilen dich erreicht haben, doch ich bete inständig, dass
dies geschehen möge. Wenn du nun diesen Brief in den Händen hältst, so wurden meine
Gebete erhört.
Ich sehe am Horizont schon den ersten Schimmer des Morgens und muss mich kurz fassen.
Meine Zeit ist abgelaufen, Breda. Doch ich möchte, dass du weißt, ich werde nicht umsonst
sterben. Wenn ich sterbe, dann in der Gewissheit, dass ich das Unheil von dieser Grafschaft
abgewendet habe.
Andrej ist tot.
Ich habe ihn mit meinen eigenen Augen sterben sehen. So mächtig und bösartig er auch war,
Gottes Licht hatte er nichts entgegenzusetzen. Die Sonne, die in wenigen Minuten auch
meinen Tod besiegeln wird, hat ihn verbrannt, zu Asche werden lassen, wie es schon vor
Jahren hätte geschehen müssen.
Ich habe mich ihm gestern Nacht gestellt. Andrej hat mich nicht getötet, Breda. Doch er hat
mich zu einem Schicksal verdammt, das ich kaum zu ertragen vermag. Er hat mich gebissen,
meinen Lebenssaft getrunken.
Der einzige Gedanke, der mich beseelt hat und der mir immer noch hilft, war der Gedanke an
dich, mein Sohn.
Und zumindest diesen Sieg habe ich davon getragen. Ich konnte Andrej so lange ablenken,
dass er den Sonnenstrahlen nicht mehr entkommen konnte. Ich würde es nicht glauben, wenn
ich es nicht selber gesehen hätte.
Ich habe dir ein Leben ohne diese Kreaturen ermöglicht und der Preis dafür war im Vergleicht
gering.
Nun sitze ich hier und kämpfe mit aller Kraft gegen die Kreatur in mir an. Ich habe Angst,
zu verlieren, doch ich weiß um meinen starken Willen und hoffe, dass ich nicht schwach
werde.
In wenigen Minuten werde ich dem Tod ein zweites Mal ins Angesicht blicken. Ich habe keine
Angst davor. Ich habe nichts böses getan und wenn ich jetzt sterbe, so weiß ich, dass mir ein
Platz in Eden sicher ist und dass wir uns eines Tages wiedersehen werden.
Deine dich liebende Mutter, Catrinel
Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und vergrub das Gesicht in seinen Händen.
Auch wenn seine Mutter ihr Leben gegeben hatte, damit er in Sicherheit war, so war
es ihm nicht verwehrt geblieben, ein unbeschwertes Leben zu führen.
Vielleicht wäre es besser gewesen, seine Mutter hätte dem Grafen davon erzählt.
Dann wäre bestimmt einiges anders gekommen. Und doch…
Es musste wohl einen triftigen Grund gegeben haben, warum sie das nicht getan
hatte. Doch wollte dieser sich ihm nicht erschließen.
Nachdenklich fuhr er mit den Fingern über den Namen seiner Mutter.
Was war, wenn sie sich getäuscht hatte? Oder wenn sie gezwungen worden war,
diesen Brief zu schreiben?
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Sein Vater hatte nicht geglaubt, dass Andrej tot war und Graf von Brasov hat
ebenfalls von ihm gesprochen, als würde er noch existieren. Wobei, letzterer auch
bewusst zu einer Lüge gegriffen haben könnte.
Er schüttelte den Kopf und erhob sich von seinem Stuhl. Langsam schob er die
Vorhänge beiseite und ließ das Licht der untergehenden Sonne in den Raum fallen.
Es tat gut, sich nicht jeden Tag auf neue vor den dunklen Stunden der Nacht zu
fürchten.
Er beschloss, den geschriebenen Worten seiner Mutter Glauben zu schenken. Wenn
sie stark genug gewesen war, ihren eigenen Tod zu wählen, in die Sonne zu gehen
und das Monster in sich zurückzuhalten, dann hätte Andrej sie nicht zwingen
können, diese Worte zu schreiben. Sie war stärker gewesen, als ihr Gatte und sie
hatte alles für ihre Liebsten getan.
Nachdem er einige Minuten die vor ihm liegende Landschaft betrachtet hatte,
wandte er sich um und verließ das Arbeitszimmer.
Er begriff, dass ihnen keine Gefahr mehr durch die Vampire drohte. Nadja und das
Kind waren in Sicherheit.
Und wenn er es ihr erklärte, würde sie vielleicht zu ihm zurückkommen. Sie würden
ein gemeinsames Leben führen können!
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Amore Motus
Die Sonne begann unterzugehen, doch Breda von Krolock ritt entschlossen durch
den Wald zum Dorf.
Dort angekommen stieg er vom Pferd ab und ging Sylva, die in ebendiesem Moment
aus der Hütte trat, entgegen.
„Sylva, wie schön, euch zu sehen!“ begrüßte er sie.
Ihr scharfer Blick musterte ihn von oben bis unten. „Ihr habt einiges zu erklären,
Breda von Krolock.“ Lautete ihre direkte Antwort.
Der junge Mann nahm die Falten war, die sich in den letzten Wochen in das Gesicht
der Frau gegraben hatten. Ihre Familie hatte es noch nie leicht gehabt, doch die
Sorge, die Sylva in letzter Zeit wegen Nadja ausgestanden hatte, hatte ihre Spuren
hinterlassen.
Breda senkte den Kopf. „Das ist wahr. Aber glaubt mir, wenn ich sagen, dass ich
alles getan habe, um eure Familie zu schützen.“
Sylva sah ihn ausdruckslos an. „Meine Familie schützen? Wovor? Meint ihr nicht,
dass es mehr als unverschämt ist, einfach so über das Leben von Menschen zu
bestimmen? Ich habe euch bis jetzt immer für einen Adligen gehalten, der für die
untere Bevölkerungsschicht einen Funken der Hoffnung auf bessere Zeiten darstellt,
einen Mensch, der uns als Menschen zu würdigen weiß, doch ich habe mich wohl
getäuscht. Ihr habt euer Versprechen gebrochen und Nadja tief verletzt. Mehr als
verletzt! Wisst Ihr, was sie in den letzten Wochen durchgemacht hat?“
Sylva hatte ihre Stimme und ihre Mimik vollständig unter Kontrolle. Sie war nicht
laut geworden, sondern hatte ruhig mit ihm gesprochen. Jedoch war alleine die
Tatsache, dass sie dies überhaupt ausgesprochen hat, ein Beweis dafür, wie wütend
sie war.
Und das nicht einmal zu Unrecht, wie Breda sich eingestehen musste. Jeder Satz von
ihr war mehr als wahr gewesen.
„Ihr habt mit jedem Wort Recht“, Breda atmete tief ein, bevor er fortfuhr. „Und ich
muss hinzufügen, dass ich seit dieser Nacht des Balles keine Nacht mehr ruhig
schlafen konnte, weil mein Gewissen, meine Angst und meine Sehnsucht nach eurer
Nichte mir fast den Verstand raubten. Aber“, er sah Sylva in die Augen, „ich war
stets um euer Wohlergehen, eure Sicherheit bemüht. Das, was geschehen ist, war die
einzige Möglichkeit, um zu garantieren, dass euch nichts zustößt.“
Die Wut wich aus Sylvas Augen, doch sie war offensichtlich noch nicht bereit, ihre
Zurückhaltung aufzugeben. Das hatte der junge Graf auch nicht erwartet.
„Das sind schöne Worte, Breda von Krolock“, meinte die Frau. „Doch helfen sie
niemandem. Sie geben keine Erklärung für die letzten Wochen, sie können nicht über
die Tatsache hinweg täuschen, dass Nadja noch nie in ihrem Leben so unglücklich
war.“
Breda hoffte, dass Sylva nicht darauf bestehen würde, nähere Details zu erfahren.
Denn die würde er ihr nicht geben können. Bedauerlicherweise schien Sylva nicht
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gewilligt, sich mit seiner etwas fadenscheinigen Entschuldigung zufrieden zugeben.
Nadja hatte ihr gewiss von dem Brief erzählt und es war mehr als verständlich, dass
diese Nachricht kein gutes Licht auf ihn warf.
„Ich glaube kaum, dass es für meine Nichte besonders tröstlich ist, wenn diese
Entschuldigung alles ist. Ich würde mich damit zufrieden geben, aber es ist falsch,
dass ihr Nadja noch einmal begegnet.“
„Ich muss sie sehen, Sylva! Ich muss ihr die Wahrheit erzählen. Sie verdient die
Wahrheit!“
„Mama!“ Die glockenhelle Stimme der kleinen Natascha hallte durch die Luft.
Breda lächelte, als er sah, wie das kleine Mädchen auf sie zu rannte. Ein Stahlen legte
sich über ihr Gesicht, als sie Breda entdeckte.
So schnell sie konnten trugen ihre kurzen Beinchen sie zu den Erwachsenen und sie
fiel Breda lachend in die ausgebreiteten Arme.
„Ich grüße dich, kleiner Wirbelwind.“ Lachte Breda und wirbelte das Mädchen
einmal durch die Luft, bevor er sie wieder absetzte.
Natascha grinste ihn an und vollführte einen anmutigen kleinen Knicks. „Ich
ebenfalls“, erwiderte sie artig, bevor sie wieder zu kichern anfing.
Die Freude dieses kleinen, jungen Geschöpfs tat Breda in der Seele gut und er spürte,
wie er sich zum ersten Mal seit Wochen ein wenig entspannte. Es war ein gutes
Gefühl, die Kleine unbeschadet wiederzusehen und ihre Lebenslust zu spüren.
Sylva strich ihrer Tochter über die Haare und fragte besorgt: „Wieso seid ihr schon
zurück?“
„Nadja war schlecht“, ließ Natascha besorgt verlauten. „Ich bin vorgelaufen, um dir
Bescheid zu sagen, dass wir ganz viele Pilze gefunden haben und dass du einen
Umschlag machen sollst wegen den Bauchschmerzen.“
„Bauchschmerzen?“ Besorgt sah Breda erst Natascha, dann Sylva an. „Ist –“
Seine begonnene Frage wurde durch Nataschas Ruf gestört. „Da ist sie!“
Graf von Krolock wandte sich um.
Und das Erste, was er erblickte, waren zwei tiefgrüne, große Augen.
Es war niemand anders als Nadja, die nur wenige Meter von ihm entfernt stand.
Seine Nadja.
Ihr Anblick stimmte ihn so glücklich, erfüllte ihn mit solch einer Intensität. Es war als
würde er zum ersten Mal das Licht der Sonne erblicken.
Ein Strudel von Emotionen riss ihn mit sich und völlig wehrlos ließ er sich hinab
ziehen. Die Liebe zu diesem Mädchen, zu dieser Frau, hüllte ihn ein, wärmte ihn.
Erinnerungen an ihre gemeinsamen Tage, als nichts vermochte, das Licht der Sonne
zu trüben, entstanden vor seinen Augen. Er sah ihr Lächeln, hörte ihr Lachen, spürte
ihre Liebe.
„Ich werde mich um die Pilze und den Kräuterumschlag kümmern“, meinte Sylva
mit einem warnenden Blick zu Breda, bevor sie Nadja den Korb aus der Hand nahm
und Natascha ins Haus scheuchte. „Komm, du kannst mir helfen, meine Kleine.“
Bredas Blick hatte sich nicht von seinem Engel gelöst. „Nadja, ich…“ Er stoppte, als
er ihre Tränen sah.
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Tränen, die wie durchsichtige Perlen über ihre Haut liefen.
Breda wollte auf sie zu treten, sie in die Arme nehmen, trösten und nie wieder
loslassen, doch als er einen Schritt tat, wich Nadja zurück und schüttelte schwach
den Kopf.
„Nicht!“ Sie schluckte und wischte sich die Tränen weg. Zurück blieben nur die
salzigen Spuren. „Bitte.“
Breda fühlte sich vollkommen hilflos. Was sollte er tun? Was konnte er tun? „Nadja.“
Er kostete ihren Namen auf seiner Zunge aus.
Sie wandte den Kopf ab. „Ich bitte euch. Geht.“
Mit ein paar großen Schritten war er bei ihr und fasste sie sanft am Arm. „Euch?
Nadja, ich dachte, diese Förmlichkeiten hätten wir hinter uns gelassen damals an der
Ruine.“
Sie schüttelte leicht den Kopf und entwand sich seinem Griff. „Denkt Ihr, ich könnte
Euren Brief vergessen? Die Worte waren selbst für eine ungebildete Bäuerin wie
mich deutlich genug.“
„Anička ist tot.“
Nadja lächelte traurig. „Und dann könnt Ihr wieder zu dem kleinen Dorfmädchen
zurückkehren als wäre nichts geschehen? Ich habe lange gebraucht, um es zu
verstehen, aber unsere Welten passen nicht zusammen.“
Jetzt war es an ihm, den Kopf zu schütteln. „Mein Stern, ich könnte dir niemanden
nennen, der besser in meine Welt, zu mir, passen würde, als du.“ Und es stimmte. Sie
war die einzige, die seinem Leben noch einen Sinn gab. Sein Nordstern, der ihn
immer wieder nach Hause führte, ihm die Richtung angab.
Sie hob den Kopf. Ihr verletzter Blick traf ihn bis ins Mark. „Wie könnte ich das
glauben?“
„Ich denke, wir sollten uns nicht mehr sehen, Breda.“ Nadjas Kummer war
überwältigend, als sie diese Worte aussprach. „Es war ein Fehler, dass alles
überhaupt so weit gekommen ist. Ich-“
„Nadja, du warst kein Fehler! Wir waren kein Fehler!“ Eindringlich sah er ihr in die
Augen.
Lange hielt sie seinem Blick nicht stand. Ihre leise Entgegnung konnte Breda kaum
verstehen. „Als Anička noch gelebt hat, hast du mich abgeschoben! Und jetzt, wo sie
tot ist, dann kommst du und erklärst mir, wie sehr dich deine Liebe zu mir
verzehrt?“
„Anička war schon vorher tot.“
Sie blickte überrascht auf. „Dann verstehe ich nicht, wieso du das getan hast.“
Breda nahm ihre Hand in seine. „Ihr ward alle in Gefahr. Du warst in Gefahr.“ Er
überlegte, wie weit er gehen konnte, ohne sie ein weiteres Mal zu belügen. „Mein
Vater wollte mich dazu zwingen, Anička zu heiraten und hat gedroht, dir etwas
anzutun, wenn ich mich nicht füge.“
Mit großen Augen sah sie ihn an. Diesmal entzog sie ihm sich nicht, als er sie in seine
Arme schloss.
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„Es tut mir so unendlich leid. Ich wollte nie, dass so etwas passiert.“ Hauchte Breda
ihr ins Ohr, während er mit der Hand sanft über ihre Locken strich. „Ich habe in dem
Brief nichts als die Wahrheit geschrieben“, fügte er hinzu. „Ich habe mich verliebt. In
dich, meinen Stern, meinen Engel.“ Für einen Moment spürte er, wie ihr zierlicher
Körper sich an ihn schmiegte, dann löste sie sich aus der Umarmung.
„Ich kann es trotzdem nicht“, flüsterte sie. „Es tut mir unendlich leid, aber ich kann
nicht. “
„Merkst du nicht, dass wir zueinander gehören, weil Gott es so will. Nadja, “ Breda
strich sanft über ihre Wange, worauf sie die Augen schloss und ihre Wange in seine
Handfläche drückte. „Als ich dich das erste Mal gesehen habe, hat das mein Leben
verändert. Du bist die Frau, die ich an meiner Seite haben möchte. Die Frau, mit der
ich mein Leben verbringen will. Und nun, da uns niemand daran hindert, darfst du
nicht aufgeben. Die schlimmen Tage sind vorbei und sie werden nicht
wiederkommen.“ Liebevoll sah er sie an, wobei er gleichzeitig eine weitere salzige
Perle von ihrer Wange wischte. „Ich liebe dich, mein Stern. Mein Nordstern. Mein
Engel.“
Die junge Frau öffnete die Augen, die ihn voller Wehmut und Niedergeschlagenheit
anblickten. „Woher willst du wissen, dass ab jetzt alles gut wird? Ich gehöre nicht in
deine Welt. Meine Welt ist hier im Dorf. Glaubst du wirklich, wenn ich mit dir gehe,
dass es keine Schwierigkeiten gibt? Dass uns aus deinen Kreisen keine Hindernisse
in den Weg gestellt werden?“
Breda schüttelte verzweifelt den Kopf. „Erkennst du nicht, was für ein Geschenk wir
erhalten haben mit diesem Wiedersehen? Nadja, ich flehe dich an, gib uns nicht auf!“
Plötzlich wurde ihr Blick härter. „Vergiss nicht, dass du den ersten Schritt dazu getan
hast. Du hast mir offenbar nicht genug Vertrauen entgegengebracht, um mir zu
sagen, was vor sich geht.“
Diese Worte verletzten ihn mehr, als er es sich eingestehen wollte. Er hatte es ihr
verschwiegen, um sie zu schützen, doch war es eine logische Schlussfolgerung für
sie, fehlendes Vertrauen dort hineinzuinterpretieren, sich wie eine Puppe zu fühlen,
die in einer Ecke abgesetzt wurde, weil man genug damit gespielt hatte.
Die ungewohnte Härte wich aus ihrem Blick, als sie die Hand hob und zart sein
Gesicht berührte. „Wir hatten ein paar schöne Wochen. Gott weiß, dass es die
schönsten Wochen meines Lebens waren. Und auch, wenn ich es tun sollte, ich
bereue nichts von dem, was geschehen ist. Aber wir sind nicht für einander
bestimmt.“
Sein Hals war trocken, als er ein letztes Mal versuchte, sie umzustimmen. „Ich würde
für dich sorgen, Nadja. Für deine Familie. Für das Kind.“
Verblüfft sah Nadja auf. Ihre Rechte ruhte auf ihrem noch flachen Bauch. „Woher…“
Sanft legte er seine Hand auf ihre. „Iwan hat es bemerkt.“
Nadja ließ seine Hand noch einen Moment auf ihrer Ruhen, bevor sie sich
zurückzog. „Dann wirst du sicher verstehen, dass es für mich nicht viele
Möglichkeiten gibt. Eine unverheiratete Frau mit Kind…“ ihre Stimme erstarb.
„Es muss so nicht sein, mein Stern.“
97
„Ich weiß“, antwortete sie zögerlich. „Aber ich möchte, dass er eine unbeschwerte
Kindheit hat. Ich möchte ihn glücklich aufwachsen sehen und nicht im Schatten der
adelsüblichen Intrigen. Gerade du müsstet das verstehen können, Breda.“ Sie holte
tief Luft. „Außerdem sind wir nicht alleine. Es gibt jemanden, der für uns sorgen
könnte, der mein Kind auch als seines annehmen würde.“ Ängstlich ob seiner
Reaktion sah sie ihn an.
Breda versuchte sich den Schmerz, den diese Worte verursachten, nicht anmerken zu
lassen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Die Vorstellung, jemand anderes würde mit
seinem Engel leben, sie lieben, war unerträglich für ihn. Sie mit jemand anderen zu
sehen, das Wissen, dass sie es so wollte, war grausamer als jeder körperliche
Schmerz. „Wer ist es?“ fragte er heiser.
Nadja senkte den Blick. „Gravil, der Sohn des Wirtes.“
Er nickte knapp.
„Wenn er das Wirtshaus erbt, wird er sich gut um uns beide kümmern können. Bitte
versteh, dass ich keine andere Möglichkeit sehe“, flehte Nadja ihn an.
„Weil du deine Augen aus Angst verschließt!“ entgegnete Breda. „Aber ich werde
dich zu nichts zwingen. Ich möchte, dass du glücklich wirst.“ Er nahm ihr Kinn und
hob es an, sodass sie ihn ansehen musste. „Und ich möchte, dass du weißt, dass du
immer zu mir kommen kannst, Nadja. Ich bin immer für dich da.“
Erneut liefen der jungen Frau Tränen über die Wangen. „Danke“, flüsterte sie.
Breda ließ sie los, worauf Nadja zurücktrat und ihn noch einmal anlächelte.
Sie jetzt so gehen zu lassen, war das Schwerste, was Breda jemals hatte tun müssen.
Und doch blieb ihm keine andere Wahl. Wenn seine Worte sie nicht zu überzeugen
vermochten, konnte er nichts mehr tun. Er würde sie niemals zu etwas zwingen.
Es tat so unendlich weh, auch nur darüber nachzudenken und doch wusste Breda,
dass Gravil ihr ein gutes Leben würde ermöglichen können. Er kannte den jungen
Mann und hatte ihn als sehr sympathisch, gewissenhaft und fürsorglich in
Erinnerung. Nadja würde es ohne Zweifel gut bei ihm haben und sein Kind würde in
einem liebevollen Elternhaus aufwachsen.
Sein Kind.
Er würde es nicht einmal sehen können. Gewiss würde ihm es niemand verwehren,
wenn er seinen Sohn oder seine Tochter sehen wollte, doch Nadja wieder zu sehen
würde die Wunde nur noch weiter aufreißen lassen. Und diesen Schmerz könnte er
nicht ertragen.
Zumindest konnte er getrost sagen, dass er alles getan hatte, um die Bedrohung
durch die Vampire von dieser Grafschaft fernzuhalten. Erfolgreich fernzuhalten.
Die von Brasovs waren nur noch in seinen Alpträumen lebendig, sein Vater war tot
und was Andrej anging, so hatte er einen Beweis in der Hand, dass dieser ihn nie
aufsuchen würde. Er wäre nicht in der Lage dazu, denn Andrej war seit vielen Jahren
nicht mehr als eine Geschichte.
Er war tot, zu Staub zerfallen.
98
Traum oder Wirklichkeit?
Die Tage vergingen mit einer quälenden Langsamkeit. Sonne und Mond wechselten
in regelmäßigen Abständen den Platz am Firmament, Wolken zogen auf und
verzogen sich wieder. Und der neue Graf von Krolock ging tagsüber seinen Pflichten
nach, um abends in seiner Gedankenwelt zu versinken, in der er immer wieder von
denselben Bildern heimgesucht wurde. Es waren trostlose Tage voller Einsamkeit
und Breda bezweifelte, dass jemals ein Licht die Dunkelheit erhellen würde. Sein
einziges Licht war nicht bei ihm, wollte nicht bei ihm sein.
Alleine dieser Gedanke schien ihn in ein tiefes, schwarzes Loch hinunterzuziehen,
ohne eine Möglichkeit, je wieder das Tageslicht zu erblickten. Er fühlte sich seelisch
tot. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sein Körper seiner Seele nachfolgen
würde.
Dann gab es wieder kurze Momenten, in denen ihm klar wurde, dass es wenigstens
in seiner Macht lag, das Leben der Menschen in dieser Gegend zu erleichtern. Und
somit auch Nadjas Leben. Wenn er ihr sonst nichts geben konnte, so wollte er ihr
zumindest auf diese Weise helfen.
Breda von Krolock ging über den Innenhof des Schlosses. Es war wieder einer dieser
Augenblicke, wo alle Pflichten getan waren und seine Gedanken wieder um eine
einzige Person kreisten. Er würde gerne wissen, was sie jetzt tat, wo sie war, was sie
dachte, doch niemand konnte ihm diese Antworten geben, sodass er nur auf seine
Fantasie angewiesen war, die ihm Bilder von Nadja zeigte, sie sie glücklich mit
Gravil spazieren ging, seine Hand hielt. Wie dieser ihren Bauch berührte und sich
um sie kümmerte.
Diese Bilder halfen ihm nicht, seinen Zustand zu verbessern. Sie trieben ihn nur noch
tiefer in die Dunkelheit hinab.
Umso überraschter war er, als er zum Tor blickte und eine einsame, kleine Gestalt
sah, die zögerlich auf ihn zu ging.
Er blieb stehen.
Er sah die roten Locken, die Augen, deren Farbe er nicht sehen konnte, da sie zu
Boden blickte, die anmutigen Bewegungen.
Es musste ein Traum sein, dass er sie sah. Vermutlich sehnte er sich so sehr nach ihr,
dass sein Geist ihm eine Illusion vorgaukelte.
Und doch war es keine Illusion.
Es war Nadja, die vor ihm stand, kein Trugbild.
Sofort fand er sich in dem mittlerweile vertrauten Chaos aus Sorge und Freude,
Angst und Liebe gefangen. Er trat langsam auf sie zu. „Nadja, was ist geschehen? Ist
etwas mit Sylva oder Natascha? Geht es um Gravil?“
Stumm schüttelte sie den Kopf. „Es geht allen gut.“ Sagte sie leise, dann sah sie ihn
an.
Breda erblickte die Tränen in ihren Augen. Und er spürte ihre Angst, auch wenn er
nicht wusste, wovor sie Angst hatte. „Ich habe…“ sie verstummte. Ihre Mimik
drückte eine Zerrissenheit zwischen Liebe, Angst und Nervosität aus.
99
Breda sah sie liebevoll an. „Sprich mit mir, Nadja. Deswegen bist du hergekommen.“
Sie schluckte. „Ich konnte es nicht tun, Breda.“ Verzweifelt sah sie ihn an. „Verstehst
du? Ich konnte Gravil nicht heiraten.“ Ihr Blick wanderte über sein Gesicht, dann
senkte sie wieder den Kopf. „Ich dachte, es wäre so das Beste. Ich denke es immer
noch, doch es ging nicht. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe sehe ich dein
Gesicht vor mir. Ich spüre deine Liebe, als ob du jede Sekunde da wärst.“ Ein paar
Tränen tropften auf den staubigen Boden. „Wie kann ich Gravil heiraten und ihm
versprechen, ihn ewig zu lieben, wenn mein Herz mir etwas ganz anderes sagt?“
flüsterte sie.
Ihre Worte wärmten Breda das Herz. Doch ihr Kummer stimmte ihn traurig. „Bist du
weggelaufen?“ wollte er wissen.
Sie antwortete mit einem abgehackten Nicken. „Ich sollte in eben diesem Moment in
der Kirche sein.“ Sie schluchzte auf. „Ich wollte das alles nicht. Gravil hat das nicht
verdient. Er war bis jetzt so gut zu mir. Er liebt mich. Mich und das Kind. Und ich
laufe einfach weg. Ich hasse mich selbst dafür. Doch ich weiß, dass ich es mit dieser
Heirat noch schlimmer machen würde.“ Die Schluchzer schüttelten ihren zierlichen
Körper.
Breda fasste ihre Schultern und hielt sie sanft fest.
Seine Berührung schien sie zu beruhigen, doch der Kummer auf ihrem Gesicht
wollte nicht vergehen.
„Ich muss jedes Mal daran denken, dass ich dein Kind in mir trage. Und ich weiß,
dass ich durch ihn immer an dich erinnert werde. Das will ich Gravil nicht antun.“
Flüsterte sie.
Breda strich ihr liebevoll eine krause Haarsträhne zurück. „Das musst du Gravil
nicht antun, Nadja. Das weißt du.“ Meinte er leise. „Und doch war es falsch von dir,
einfach wegzulaufen ohne jemandem Bescheid zu sagen. Sie machen sich bestimmt
Sorgen um dich.“
„Natascha weiß, wo ich bin. Sie ist mir nachgelaufen, doch ich hab sie wieder nach
Hause geschickt.“ Sie schniefte geräuschvoll. „Ich weiß einfach nicht, was ich
machen soll, Breda. Egal, was ich tu, ich mache alles kaputt.“
Er nahm Nadjas Hand. „Komm“, bat er sie. „Es ist kühl und du bist vollkommen
erschöpft. Ruh dich drinnen ein wenig aus.“
Widerstrebend ließ die junge Frau sich von ihm ins Schloss führen.
Die Gedanken in Bredas Kopf wirbelten umher wie bei einem Sturm. Sie wollte ein
einfaches Leben führen, wollte eine Familie, glücklich sein und das weitab vom Hofe.
Und doch ging sie die Ehe nicht ein, die ihr ein eben solches Leben ermöglichen
würde. Wegen ihm. Weil sie es nicht konnte.
Ein Funke begann in der Finsternis zu glimmen, obwohl Breda es nicht gut hieß,
angesichts ihrer Zerrissenheit eine solche Hoffnung, aufkommende Freude und
Liebe zu verspüren.
Er führte Nadja in ein kleines Zimmer direkt neben seinem Schlafgemach. Dort setzte
er sie in einen weichen Sessel und wies ein Mädchen an, etwas zu Essen und zu
Trinken für die junge Frau zu holen.
100
Er setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl.
Dankbar sah Nadja ihn an. „Ich danke dir.“
Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Wofür?“
Der Ernst schlich sich in ihre Augen und ließ ihr Gesicht um einige Jahre älter
aussehen. „Dafür, dass du mich nicht abgewiesen hast. Du hättest jedes Recht dazu
gehabt.“
Er musste wieder lächeln. „Das würde ich nie machen, Nadja. Ich wäre gar nicht
fähig dazu. Du weißt, warum.“ Fügte er hinzu.
Sie schwieg und blickte zum Fenster, hinter dem die Dunkelheit Einzug hielt. „Ich
weiß“, gestand sie fast unhörbar.
„Benötigst du noch irgendetwas?“ fragte er nach einem kurzen Augenblick des
Schweigens, doch sie schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich möchte mich nur ein bisschen ausruhen. Ein wenig alleine sein und
nachdenken.“
Breda nickte und stand auf. „Wenn es das ist, was du willst. Du musst nur klingeln,
wenn etwas ist. Meine Bediensteten sind dann sofort zur Stelle. Und ich auch.“
Liebevoll sah er sie an.
Nadja lächelte müde. „Danke.“
Er lächelte ihr noch einmal aufmunternd zu, bevor er den Raum verließ.
Es fiel ihm schwer, sie jetzt alleine zu lassen, wo sie so unglücklich war. Er hatte
Angst, dass sie, wenn er wiederkäme, verschwunden wäre. Dass sie vielleicht doch
nur ein Traum war. Denn wie ein Traum erschien sie ihm immer noch. Wochenlang
hatte er sich nach ihrer Nähe gesehnt, hatte sich am Boden befunden, weil er wusste,
dass sie bei einem anderen war. Dass sie ihn nicht wollte. Und jetzt war sie hier
hinter dieser Türe.
Sie hatte bei ihm Zuflucht gesucht, was bedeuten musste, dass sie ihn immer noch
mochte, ihm vertraute, ihn, trotz ihrer Angst, liebte.
Er wollte nicht darüber nachdenken, dass sie ihn vielleicht wieder verließ, ihre
Meinung änderte. Sie war jetzt hier. Bei ihm. Und das war alles, was zählte.
101
Gravil
Als Breda das nächste Mal in Nadjas Zimmer trat fand er seinen Engel auf schlafend
vor. Sie hatte es offenbar nicht gewagt, sich in das frisch gemachte Bett zu legen,
sondern hatte es sich auf dem großen weichen Sessel gemütlich gemacht.
Ihre Haare fielen ihr ins Gesicht und Breda konnte er Versuchung nicht
wiederstehen, sie zu berühren. Sanft schob er die Strähnen beiseite. Dann nahm er sie
ganz vorsichtig, um sie nicht zu wecken, auf die Arme und trug sie hinüber zum
Bett, wo er sie ebenso vorsichtig hinlegte und die Decke über ihrem zierlichen
Körper ausbreitete.
Nadja war so erschöpft, dass sie nichts davon bemerkte, sondern sich auf die Seite
drehte und ihr Gesicht an das weiche Kissen drückte.
Breda lächelte.
Wenn sie schlief, war jeder Kummer aus ihrem Gesicht gewichen. Sie hatte etwas
Kindliches, Unschuldiges an sich, das ihn völlig in seinen Bann zog. Ein Lächeln
umspielte ihre Mundwinkel.
Der junge Graf betrachtete sie noch einen Augenblick, bevor er sich abwandte und
auf leisen Sohlen den Raum verließ. Sie sollte sich völlig erholen.
Kaum hatte er den Raum verlassen, als Iwan ihm entgegeneilte.
Der ältere Mann war völlig außer Atem, als er beim Grafen ankam. „Ihr solltet sofort
in die Eingangshalle kommen. Ein junger Mann aus dem Dorf ist soeben begleitet
von Sylva und dem Wirt Mihail eingetroffen. Er zeigt sich äußerst aufgebracht.“
Breda seufzte. „Dabei kann es sich nur um Gravil halten. Er und seine Begleiter
sollen ins Kaminzimmer kommen.“
Iwan verneigte sich kurz. „Natürlich.“
Bevor er wieder verschwand, hielt Breda den Vampirjäger zurück. Seine nächste
Frage kam leise. „Habt ihr etwas Neues in Erfahrung bringen können?“
Iwan schüttelte verdrießlich den Kopf. „Nein. Es gibt keine Anzeichen für einen
weiteren Nosferatu.“
Breda hatte Iwan von seinen Erkenntnissen über Andrejs Tod berichtet. Zunächst
war der Ältere skeptisch geblieben, hatte aber sich aber schließlich überzeugen
lassen. Zur Sicherheit sollte er noch weitere Informationen über Andrej ausfindig
machen.
„Ich habe keine Dokumente über ihn gefunden, was mich nicht weiter verwundert
hat. Schließlich sind geschichtliche Zeugnisse über diese Kreaturen denen ein Dorn
im Auge. Aber ich werde einem Freund in Târgoviște schreiben. Dort hat man mehr
Möglichkeiten.“
Breda nickte, dann entließ er den Mann und begab sich in das Kaminzimmer, wo er
auf Gravil, Sylva und Mihail warten würde. Er hoffte das aufgebrachte Wesen des
jungen Mannes durch eine entspannte Atmosphäre etwas zu besänftigen. Weiterhin
befand es sich weit weg von der schlafenden Nadja.
102
Als er den Raum betrat, warteten seine drei Gäste bereits auf ihn. Gravil stand mit
dem Rücken zu ihm, sodass Breda nicht mehr als einen schmalen Rücken zu sehen
bekam, seine braunen Haare waren mit einem Band zurückgebunden, doch auf dem
Weg zum Schloss hatten sich mehrere Strähnen gelöst. Seine Hose wies am linken
Bein einen kniehohen, fransigen Riss auf, den er sich wohl im Wald geholt hatte.
Der junge Mann wandte sich zu Breda um. Die blauen Augen waren voller Wut.
Mihail, sein Vater, war ein etwas beleibter, älterer Mann mit kleinen Augen, die den
Grafen misstrauisch musterten. Die wenigen grauen Haare waren kurz und klebten
an der verschwitzten Kopfhaut. Seine Kleidung war abgetragen und das Oberteil
spannte über dem Bauch.
Sylva stand aufrecht und stolz neben Gravil.
Breda blickte in ihre grauen Augen, die ihn vorwurfsvoll anblickten und zu fragen
schienen, warum Nadja ihn einfach nicht vergessen konnte. Warum er immer noch
ihre Gedanken beherrschte, ihr Herz besetzte. Warum ihre Verbindung so stark war,
dass sie Nadjas Glück im Wege stand.
„Nehmt doch bitte Platz.“ Forderte er seine Gäste auf und deutete auf die
altmodische Sitzgruppe vor dem prasselnden Feuer.
Mihail schien sichtlich erleichtert, sein Gewicht dem Sessel anzuvertrauen. Der Wirt
ließ sich schwerfällig nieder und legte die groben Hände auf seine Oberschenkel.
Nach einigem Zögern ließ sich auch Sylva auf dem Rand eines Sessels nieder, doch
ihr Körper blieb weiter angespannt.
Einzige Gravil blieb stehen, wo er war. Seine Körperhaltung war verkrampft, aus
seinen Augen blitzte die Wut über einen Grafen, der ihm seine Braut weg nahm,
doch er gab keinen Ton von sich.
„Nadja ist wohlauf“, beantwortete Breda von Krolock die Frage, die
unausgesprochen in der Luft lag.
„Wo befindet sie sich?“ Gravils Stimme war ruhig, doch Breda konnte die
Anspannung wahrnehmen.
„Sie ist in einem aufgelösten Zustand hier eingetroffen und ruht nun in einem der
Gästezimmer.“ Beantwortete Breda die Frage sachlich. „Wenn ich mir die
Bemerkung erlauben darf, die anstehende Hochzeit schien sie zu überfordern. Lass
ihr Zeit, bevor du sie bedrängst.“
Der Wirtssohn ballte die Hände zu Fäusten. „Sie ist meine Braut. Sie sollte sich bei
mir ausruhen, sollte bei mir Zuflucht suchen und nicht in den Gästezimmern eures
Anwesens.“
„Ich werde keine Entscheidungen mehr für sie treffen“, erklärte Breda nach einigen
Sekunden des Schweigens. „Wenn du mit ihrem Handeln nicht einverstanden bist,
so musst du mit ihr ein Gespräch ersuchen.“
„Wo ist sie?“
Der Blick des Grafen verhärtete sich. „Sie schläft, Gravil“, gemahnte er den jungen
Mann streng. „Wenn du sie liebst, sollte es auch in eurem Interesse sein, dass sie zur
Ruhe kommt.“
103
Die beiden Männer sahen sich an, dann senkte Gravil den Blick. „Nun gut, aber
sobald sie erwacht, werden wir das Schloss verlassen. Sie hat mir ihr Wort gegeben.“
Bredas Herz verkrampfte sich bei diesen Worten. Alleine die Vorstellung, dass Nadja
ihn wieder verlassen würde, schien so schmerzhaft, dass er es kaum ertragen konnte.
Nadja hatte bei ihm Schutz gesucht. Bei ihm und nicht bei Gravil, was bedeutete,
dass sie ihn immer noch liebte. In ihm hatte die Hoffnung angefangen zu keimen,
dass sie sich letztendlich doch für ihn entscheiden würde, doch er begann zu
fürchten, dass Nadja, sollte Gravil mit ihr sprechen, wieder gehen würde. Ihre
Zerrissenheit zwischen Gefühl und Verstand war enorm. Sollten Sylva und Gravil
auf sie einreden, würde sie sich gegen ihn entscheiden, auch wenn sie dabei ihr
eigenes Herz betrügen würde.
Auf welcher Seite Mihail stand, konnte er nicht sagen. Vermutlich würde er zu
seinem Sohn halten, doch wie viel war dem Wirt das Glück seines Sohnes wert?
Sollte es zu dieser Hochzeit kommen, so wären alle Beteiligten unglücklich, da Nadja
dem jungen Mann nicht das geben konnte, was dieser verdiente.
Äußerlich ließ sich Breda nichts von seinen Gefühlen anmerken. Seine Miene war
wie aus Stein, als er antwortete: „Ihr könnt hier warten.“ Er wandte sich ab und ging
wieder hinaus.
„Breda, wartet!“ Sylva folgte ihm nach draußen. „Wie geht es Nadja wirklich?“
Er seufzte und überprüfte, ob die Tür auch richtig geschlossen hatte. „Sie ist völlig
durcheinander. Sie will das Beste für sich und das Kind, aber gleichzeitig will sie
ihrem Herzen folgen. Sie hat Angst, einen Fehler zu machen.“
Sylva antwortete nicht, sondern sah ihn einfach nur an. Ihre Miene war
nachdenklich, als sie langsam und bedächtig antwortete: „Ihr seid beide unglücklich.
Mittlerweile frag ich mich, ob ich meine Einstellung nicht überdenken sollte. Kann es
so falsch sein, seinem Herzen zu folgen?“ Sie verstummte.
Breda lächelte traurig. „Die Umstände waren bis jetzt nicht die besten, aber glaub
mir, es wird nie wieder eine Frau geben, für die ich so empfinden werde, wie für
sie.“
Stumm sah sie ihn an und Breda erkannte, was sie bewegte. Wie so viele Mädchen in
diesen Zeiten hatte auch Sylva nicht aus Liebe, sondern aus Notwendigkeit
geheiratet. Kurz darauf, war ihm Mann im Winter gestorben. Sie wünschte Nadja ein
besseres Leben, ein Leben in Sicherheit und voller Glück und Liebe. Auch Sylva
bekümmerte es, Nadja so unglücklich zu wissen und sie schien zu ahnen, dass eine
Hochzeit mit Gravil, die Situation nicht verbesserte.
Sylva straffte die Schultern. „Von meiner Seite könnt ihr nichts mehr erwarten. Es
liegt bei euch und bei Nadja.“ Mit diesen Worten machte sie kehrt und ging zurück
zu den beiden Männern.
Breda blickte ihr nach und dachte über ihre Worte nach.
Es lag bei ihm und bei Nadja. Sie waren selber für ihr Glück verantwortlich und
auch, wenn Breda die junge Frau verletzt hatte, so war ihre Tante anscheinend bereit,
ihm eine zweite Chance zu geben.
Eine leise Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Breda?“
104
Er sah auf und fand sich Nadja gegenüber. Breda lächelte leicht. „Geht es dir
besser?“
Sie nickte. „Danke.“
Er sah sich gezwungen, ihr von seinen Gästen zu berichten. „Gravil ist hier.
Zusammen mit seinem Vater und deiner Tante.“
Sie riss die Augen auf, doch er hob beschwichtigend die Hände.
„Nadja, hör mir zu. Sie können dich zu nichts zwingen. Und deine Tante wird sich
dir nicht in den Weg stellen, egal, welche Entscheidung du triffst. Aber bedenke,
dass du Gravil nicht glücklich machst, wenn du ihn nicht aus Liebe heiratest.“
Nadja senkte den Blick und nickte leicht. „Ich weiß, aber selbst, wenn ich meinem
Herzen folge, so kann das keine Zukunft haben.“
„Warum denkst du so?“ fragte Breda leise. „Du kannst nicht wissen, wie unsere
Zukunft aussehen würde. Doch du sollst wissen, dass ich für dich Berge versetzen
würde. Ich würde alles für dich tun. Ich würde sterben für dich. Nadja…“ Seine
Stimme brach. Da spürte er eine Berührung in seinem Gesicht.
Nadja hatte die Hand gehoben und strich ihm eine Träne von der Wange. In ihren
Augen lag diese unsterbliche Liebe, der sie sich beide nicht entziehen konnten.
„Dieser Brief…“
Bevor sie ihre Hand zurückziehen konnte, hatte Breda sie ergriffen und hielt sie fest.
Er genoss das Gefühl ihrer zarten Haut auf seiner Wange. „Mein Vater hat gedroht,
dir etwas zu tun, wenn ich mich nicht bedingungslos füge. Dieser Brief war zu
deinem Schutz.“ Und wieder war da diese Angst, dass sie ihn wieder verlassen
würde. Wie konnte er ihr zeigen, dass sie beide zusammengehörten?
„Breda…“ Nadja hauchte seinen Namen.
Er drückte einen liebevollen Kuss auf ihre Handfläche, dann ließ er sie los. Aber nur,
um sich vorsichtig ihrem Gesicht zu nähern. Er wartete auf einen Hinweis von ihr.
Ein Hinweis, ob sie einverstanden war oder zurückweichen würde, doch ihre grünen
Augen hatten sich vor Verlangen verdunkelt.
Ohne noch eine Sekunde länger auf eine mögliche Zurückweisung zu warten,
berührte er ihre Lippen mit seinen.
Sie leistete keinen Widerstand, als er sie mit seinen Lippen liebkoste. Und sie beide
versanken in einem Kuss, der voller Liebe und Trauer, Angst und Hoffnung zugleich
war.
Nie hatten sie sich auf solch eine Art geküsst und keiner der beiden schien in der
Lage zu sein, sich diesem Gefühl zu entziehen.
Da erklang plötzlich eine Stimme und sie lösten sich von einander. Nadja
erschrocken, Breda immer noch berauscht von diesem Erlebnis.
Vor ihnen stand Gravil.
Der junge Wirtssohn hatte die Tür geöffnet und stand ihnen jetzt gegenüber. Er
schien kaum glauben zu können, was er soeben gesehen hatte. Seine Wut gegenüber
dem Grafen wandelte sich in Hass, als er Breda ansah. „Wie konntet ihr Nadja das
antun?“ zischte er.
105
Sylva trat hinter ihn und musterte die kleine Gesellschaft. In ihren Augen sah Breda,
dass sie verstanden hatte, wofür Nadja sich entschied. „Gravil, beherrscht euch!“
meinte sie kühl zu ihm.
Nadja sah Gravil mit Tränen in den Augen an. „Es tut mir leid, Gravil.“ Ihre Stimme
war kaum zu hören und brüchig. „Ich kann dich nicht heiraten. Ich weiß, was ich dir
damit antun würde.“
Gravils Hass und Zorn verflüchtigte sich bei ihren Worten und hinterließ Trauer. Er
verstand, dass er gegen diese Übermacht der Gefühle keine Chance hatte. „Du hast
keine Ahnung was du mir und dir antust. Ich hätte für dich gesorgt. Was willst du
auf diesem Schloss? Du gehörst hier nicht hin.“
„Auf das Schloss vielleicht nicht, “ stimmte Breda ihm zu, „Aber sie gehört zu mir.“
Gravil sah die beiden stumm an. Dann nickte er und wandte sich Nadja zu. „Ich habe
gehofft, dass ich dich glücklich machen könnte und ich finde es bedauerlich, dass wir
keine Möglichkeit hatten, es miteinander zu versuchen.“ Er verneigte sich vor ihr
und lächelte sie traurig an. Schließlich nickte er dem Grafen zu.
Breda erwiderte das Nicken. „Ich danke dir.“
Ohne ein weiteres Wort ging Gravil.
Sylva lächelte ihnen beiden noch einmal leicht zu, bevor sie und Mihail dem jungen
Mann folgten, der soeben seine Braut verloren hatte.
„Verzeih mir.“ Breda streichelte ihr sanft über das Haar.
Nadja, die den drei Menschen traurig nach geblickt hatte, sah überrascht zu ihm auf.
„Was kann ich dir verzeihen?“
„Dass du vor dieser Entscheidung gestanden hast.“
Sie lächelte traurig. „Gravil ist ein guter Mann. Ich wollte ihn nicht so verletzen.
Aber…“
Er legte ihr einen Finger auf die Lippen. „Shhh. Sprich nicht weiter. Ich weiß, wie du
fühlst und glaub mir, ich würde alles tun, um dir diese Last abzunehmen.“
„Ich liebe dich, Breda.“ Sie fuhr mit der Hand durch sein langes, schwarzes Haar.
Er lächelte. „Ich liebe dich auch. Euch beide.“ Er legte seine Hand auf ihren noch
flachen Bauch. „Ich würde sterben für euch.“
Sie grinste leicht. „Bitte nicht.“
Dann lachten sie beide.
Doch trotz der Unbeschwertheit, die gerade ausgebrochen war, ahnte Breda, dass
ihrer beiden Probleme sich noch nicht verzogen hatten.
Sie mussten beide mit dem fertig werden, was sie erlebt hatten.
Doch irgendwann, vielleicht schon in ein paar Wochen, würden sie glücklich sein.
Vollkommen glücklich.
106
Verlobung
Breda von Krolock lag auf dem Rücken in seinem Bett. Er spürte die frühen
Sonnenstrahlen in seinem Gesicht und Nadjas warmen, weichen Körper, der neben
ihm lag. Ein tiefes Glückgefühl breitete sich in ihm aus, als er sich vorsichtig auf die
Seite drehte und die Augen aufschlug.
Nadja schlief auf der Seite mit dem Gesicht zu ihm. Ein Lächeln lag auf ihren Zügen,
als sie sich im Schlaf an ihn schmiegte.
Breda streichelte vorsichtig, um sie nicht zu wecken, über ihre Haare bis zu den
weißen Schultern. Sie sah im Schlaf so friedlich aus wie ein Kind. Er lächelte.
Durch das gegenüberliegende Fenster konnte er die Sonne über den Karpaten
aufgehen sehen. Die Vögel begannen zu singen und die Wolken trieben vorbei. Er
wünschte sich, dass dieser friedliche Moment nie vergehen würde, dass es ihm
möglich wäre, die Zeit aufzuhalten.
Doch die Welt da draußen erwachte und drehte sich weiter.
Er spürte, wie Nadja sich regte.
Schläfrig öffnete sie ihre grünen Augen und sah ihn an.
„Guten Morgen, mein Engel.“ Breda hauchte einen Kuss auf Stirn.
Nadja lächelte. „Guten Morgen.“ Sie gähnte leicht und rückte näher, bis ihr Kopf auf
seiner Brust zu liegen kam.
Beide lagen sie in einträchtigem Schweigen nebeneinander und genossen die Nähe
des anderen. Endlich einmal schien Ruhe eingekehrt zu sein. Niemand, der zwischen
ihnen stand.
Bis auf die Geheimnisse, die Breda tief in seinem Innersten begraben hatte.
„Ich wünschte, es könnte immer so sein. Das Leben“, flüsterte Nadja. „Dieses Gefühl
und das Wissen, dass du direkt da bist.“
Breda fuhr mit den Fingerspitzen über ihren Rücken. „Es wird so sein, Nadja. Ich
liebe dich und ich lasse nicht zu, dass sich unserer Liebe noch einmal etwas in den
Weg stellt.“
Sie seufzte. „Ich weiß. Aber ich traue mich immer noch nicht, die Augen zu
schließen. Aus Angst, dass du nur ein Traum bist.“
Breda lächelte, dann näherte er sich ihrem Gesicht. „Können Träume so etwas?“ Er
bedeckte ihre Haut mit sanften Küssen, unter denen sie wohlig erschauerte.
„Nein“, lachte sie keuchend. „Das können sie nicht.“
„Es kann immer so sein“, flüsterte Breda ihr ins Ohr. „Es wird immer so sein.“
„Versprichst du mir das?“ fragte sie leise.
„Ich verspreche es. Und um dir meine ernsthaften Absichten zu beweisen, habe ich
hier etwas für dich.“ Er löste sich von ihr und stand auf. Breda spürte ihre
neugierigen Blicke in seinem Rücken, als er an eine Kommode trat und eine kleine
Schachtel aus der obersten Schublade nahm. Dann ging er zurück zu Nadja, die sich
mittlerweile aufgesetzt hatte und ihm erwartungsvoll, aber auch ein wenig ängstlich
entgegenblickte, und setzte sich neben sie auf die Bettkante. „Ich weiß, du hast dir
das vermutlich anders vorgestellt“, begann er zögerlich, „Aber ich möchte damit
107
nicht länger warten. Ich liebe dich.“ Breda von Krolock fürchtete ihre
Zurückweisung. Dass es ihr vielleicht zu viel war. Würde sie diesen Bund mit ihm
eingehen? Andererseits wäre es eine Bestätigung ihrer Liebe. Und als Gräfin wäre
ihre Zukunft und die ihres gemeinsamen Kindes gesichert. Niemand außer dem Tod
würde sie dann noch trennen können. Selbst dann wären sie noch im Garten Eden
vereint für alle Zeit. Er sah ihre Augen aufleuchten, als er ihr die alles entscheidende
Frage stellte.
„Ja!“ rief Nadja aus.
Er lachte erleichtert, als sie ihn stürmisch umarmte und ihren Mund auf seinen
presste.
Plötzlich jedoch schreckte sie zurück und sah ihn mit großen Augen an. „Verzeih.
Mein Verhalten ist für eine zukünftige Gräfin wohl nicht ziemlich.“
Breda lächelte sie an und schüttelte sanft den Kopf. „Ich liebe dich so, wie du bist.
Versprich mir, dass du dich nie änderst.“ Hauchte er ihr ins Ohr bevor er ihren Hals
und ihre Schultern mit lauter kleinen, zärtlichen Küssen bedeckte.
„Niemals“, versprach sie ihm und zog seinen Kopf zu sich hoch. Ihre Finger fuhren
durch seine langen, schwarzen Haare, während sie ihn innig küsste und er ihren
Kuss erwiderte.
Dann öffnete er das Kästchen und zum Vorschein kamen zwei goldene Ringe. Er
nahm den kleineren vorsichtig heraus. „Er gehörte schon meiner Großmutter. Sie
und ihr Mann führten ein glückliches Leben in diesen Mauern. Ich hoffe, etwas von
ihrem Glück wird auch uns vergönnt sein.“
Sie bestaunte das zierliche Schmuckstück. „Er ist wunderschön.“
„So wie du.“
Sie lachte leise. Dann wurde sie ernst. „Die Hochzeit…“
Er wurde ebenfalls ernst. „Ich werde dir eine große Feier nicht ersparen können. Der
gesamte Adel Rumäniens wäre vor den Kopf gestoßen, sollten wir uns das
Versprechen ohne seine Anwesenheit geben.“
Sie verzog das Gesicht. „Werden sie es dulden, dass ich nicht zu ihnen gehöre?“ Er
hörte die Sorge aus ihrer Stimme und legte tröstend einen Arm um sie.
„Sorge dich nicht, mein Stern. Sie werden keine andere Wahl haben, als es zu
akzeptieren. Außerdem sind sie selber nicht wählerisch, was ihre Liebschaften
angeht, auch wenn offiziell niemand davon weiß.“
Sie lehnte sich an ihn und er genoss das Gefühl, das sie in ihm auslöste. Wärme,
Geborgenheit, Liebe. Noch vor ein paar Wochen hatte er sich ein solches Glück nicht
ausmalen können.
„Dann werden sie mich nicht akzeptieren.“
Er hauchte einen Kuss auf ihre Stirn und hielt sie weiter fest. Seine Hand streichelte
über ihren Bauch. „Unsinn. Kümmer dich nicht um sie, Nadja. Ich liebe dich. Wir
lieben uns. Und das ist alles, was zählt.“
„Ja“, seufzte Nadja und sah ihn an.
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Er wurde von seinen Gefühlen überwältigt, als er die Liebe in ihrem Blick sah.
Staunend sah er das Wunder in seinen Armen an. „Ich danke Gott, dass er dich zu
mir geführt hat.“ Flüsterte er heiser.
Nadja lächelte sanft. „Und ich danke ihm dafür, dass er mir einen Menschen wie
dich geschenkt hat. Du bist mehr als ich je verdient habe.“
Als Antwort küsste er sie erneut. Er wusste nichts, was er in diesem Moment lieber
getan hätte. In seinem Leben, das bis jetzt nur von Einsamkeit und Erinnerung an
bessere Zeiten bestimmt wurde, fühlte er sich endlich einmal komplett. Sie war seine
bessere Hälfte, sein Stern, sein Leben. Ihr gemeinsames Leben hatte endlich
begonnen und er hoffte, es würde nie enden.
Während sich die beiden Menschen auf dem Bett des gräflichen Anwesens ihrer
Liebe hingaben, ging die Sonne vollständig auf und der Tag begann.
109
So viel mehr
War es normal, dass die Zeit nur so dahinflog, wenn man glücklich war, wohingegen
eine Sekunde des Leids wie eine Ewigkeit erschien? Die Zeit war eine seltsame
Gefährtin, die nur selten das tat, was man sich von ihr am meisten erhoffte. Doch auf
eines konnte man sich immer verlassen: Sie blieb niemals stehen.
Die Wochen flogen vorbei, hinterließen nichts als Erinnerungen an glückliche
Stunden zu zweit, an Lachen, Sonnenuntergänge, aber auch an stille Momente, in
denen jeder in seiner eigenen Welt versunken war, an Tränen, wenn Vergangenes
wieder an die Oberfläche kam, an Trost, wenn der andere schützend seinen Arm um
einen legte und man seinen Kummer teilen konnte. Erinnerungen an Vorfreude und
an Angst, Lachen und Weinen. Erinnerungen an den Beginn ihres gemeinsamen
Lebens.
All das ging Breda von Krolock durch den Kopf als er in der Schlosskapelle stand,
deren wenige Bänke durch Nadjas Familie und durch einen kleinen Anteil des
rumänischen Adels besetzt wurden. Die Adelsmitglieder, die für die nächsten Tage
angereist waren, waren größtenteils entfernte Verwandte und deren Familie. Aber
auch ehemalige Freunde seines Vaters fanden sich darunter. Dass diese nur unter
dem Vorwand gekommen seien, die Hochzeit des neuen Grafen von Krolock
mitzuerleben, erschien Breda bedenklich. Er vermutete eher, dass sie, wenn er nicht
aufpasste, nach einer neuen Gelegenheit Ausschau hielten, die Grafschaft wieder in
ihre Intrigen und Machtpläne hineinzuziehen. Natürlich mit dem jungen,
vermeintlich ahnungslosen Grafen als Marionette.
Doch all diese Gedanken verflogen, als er Nadja sah, die neben ihrer Tante den Gang
hinunter schritt. Ihr Kleid, das sie die Traditionen befolgend selbstgenäht hatte, um
ihre Tüchtigkeit zu zeigen, war einfach, doch wunderschön. Der dunkelgrüne
Farbton brachte ihre Augenfarbe zur Geltung, die goldfarbenen Verzierungen ließen
das Gewand edel wirken, auch wenn sie nur aus einfachem Garn bestanden. Ihre
roten Locken waren kunstvoll geflochten und mit den wenigen Herbstblumen
verziert, die man um diese Jahreszeit noch finden konnte. Mit ihren Händen hielt sie
den Strauß so vor ihren Bauch, dass die leichte Wölbung nicht zu erkennen war. Ihre
großen, grünen Augen verrieten ihren Unglauben, dass dies hier wirklich geschah.
Auch Breda erschien es wie ein Traum, als er seine Liebste auf ihn zu gehen sah,
damit sie beide sich auf ewig aneinander binden konnten. Bis der Tod sie trennen
würde. Auch wenn er glaubte, dass nicht einmal mehr der Tod für ihn ein Hindernis
darstellen konnte, das er nicht für sie überwinden würde. Noch nie hatte er eine
solche Liebe empfunden wie für diese Frau. Die Frau, mit der er die schönsten
Stunden seines Lebens verbracht hatte, die er verloren und wiedergefunden hatte,
die sein Kind unter ihrem Herzen trug. Die Frau, die er ab dem heutigen Tag die
seine nennen durfte auf dass niemand mehr sie beide entzweireißen möge.
Sie lächelte ihm zu, als sie sich neben ihn stellte und er erwiderte dieses Lächeln.
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Die Zeremonie ging vorbei wie ein Traum. Es schien unwirklich, kaum greifbar. Der
junge Graf fühlte sich in seinem Glück so leicht, dass es ihn wunderte, dass er immer
noch mit beiden Beinen auf dem Boden stand. Sein Blick galt einzig seiner Braut,
seinem Stern. Seinem Engel ohne Flügel.
Die Worte des Geistlichen erreichten ihn wie durch einen Schleier, doch nahm er
jedes Wort war und als er Nadja die Treue schwor, ihr sein Leben und Glück
versprach, so versprach er ihr dies mit seinem ganzen Herzen.
Nadjas Blick war voller Liebe, als sie sprach und ihm ihrerseits ihre Treue versprach.
Als er sie küsste war es ein Gefühl, als wolle die Liebe in seinem Innern jeden
Moment überlaufen. Als könnte sein menschlicher Körper diese Emotionen nicht
länger halten. Doch er riss sich zusammen und nach einigen Augenblicken lösten sie
sich wieder von einander.
Auch dieses Erlebnis konnte er jetzt zu den schönsten Erinnerungen in seinem Leben
zählen, dachte Breda von Krolock.
Sie waren im Ballsaal des Schlosses angekommen und die Festlichkeiten, die drei
Tage dauern würden hatten schon längst begonnen.
Zusammen mit Nadja nahm er die Glückwünsche der Menschen entgegen.
Bei vielen von ihnen waren die Worte, die ihren Mund verließen, ernst gemeint.
Unter ihnen war Nadjas kleine Familie, die aus Sylva, Natascha und Nadjas kranken
Großonkel bestand.
„Ich hoffe, ihr meintet eure Worte in der Kapelle ernst.“ Sagte Sylva mit einem
Lächeln zu ihm.
Nadjas Lächeln wurde eine Spur breiter. „Tante, du hättest diese Hochzeit mit allen
Mitteln verhindert, wenn du dir nicht sicher gewesen wärst, dass es mir gut gehen
wird.“
Sylva hob nur die Augenbrauen und erwiderte ihren Blick. „Ich glaube nicht, dass es
mir möglich gewesen wäre, mich einem Grafen in den Weg zu stellen.“
Breda lachte leise. „Wir werden es hoffentlich nie erfahren müssen.“
Nadjas Tante nickte ihm freundlich zu. „Hoffentlich.“ Dann griff sie nach der Hand
ihrer Tochter. „Komm Natascha. Du kannst nachher noch mit deiner Cousine reden.“
„Ist Nadja jetzt vornehm?“ hörte Breda die Kleine mit ihrer hellen Stimme fragen
und unterdrückte das Lachen. Dann waren die beiden zu weit entfernt, als dass man
Sylvas Antwort hätte hören können.
Nadja drückte seine Hand, worauf er sich ihr zuwandte und auch in ihren Augen ein
amüsiertes Funkeln fand.
Dann begann der vergnügliche Teil der Feier. Die Musik setzte ein und die Paare
stellten sich zum Tanz auf. Auch Breda und Nadja nahmen ihren Platz ein, so wie
man es von dem Hochzeitspaar erwartete.
Während dem Tanz bewunderte er ihre natürliche Anmut, die kaum übersehen
werden konnte. Zwar war sie in den höfischen Tänzen nicht geübt, weshalb ihr ab
und zu kleine Fehler unterliefen, doch gerade diese Fehler ließen sich noch schöner
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erscheinen. Ein Engel, der menschgeworden für ihn auf Erden weilte. Und wieder
einmal überkam ihn das Glück, diese Frau die Seine nennen zu dürfen.
„Welcher Gedanke lässt dich so lächeln?“ fragte Nadja leise, als sie aufeinander
zugingen und die Handflächen aneinander legten.
„Der Gedanke an dich“, lautete seine schlichte Antwort.
Nadjas Wangen färbten sich leicht rot.
„Ich habe daran gedacht, dass uns niemand mehr trennen kann.“
Sie lächelte selig.
„Und dass wir heute Nacht endlich alleine sind.“ Die letzten Worte hauchte er ihr
ins Ohr und beobachtete, wie die Röte auf den Wangen sich vertiefte. Ihre Unschuld
bezauberte ihn.
Die Musik endete, die Paare verbeugten sich voreinander, bevor ein neues Stück
erklang. Doch diesmal führte Breda Nadja von der Tanzfläche hin zu einem der
prächtig gedeckten Tische und reichte ihr ein Glas mit Wasser. „Trink.“
Verwundert blickte sie ihn an. „Ich bin nicht durstig.“
Er strich ihr liebevoll über den Arm. „Du darfst dich nicht überanstrengen, Liebste.“
Mit einem Seufzen gab sie nach, hob das Glas an ihre Lippen und trank.
„Breda von Krolock!“ Eine Hand legte sich plötzlich auf die Schulter des jungen
Grafen, der sich verwundert umwandte. Sein Blick fiel auf einen jungen Mann mit
kurzen braunen Haaren und lächelnden braunen Augen.
„Adrian! Schön dich zu sehen!“
Adrian grinste. „Nun, ich hätte nicht erwartet, einen von uns so bald in den Fängen
der Ehe vorzufinden.“ Er lächelte Nadja zu und gab ihr einen formvollendeten
Handkuss. „Und noch dazu mit einer so anmutigen, jungen Braut.“
„Nadja, das ist Adrian Dumitru, einer der wenigen Menschen dieses Planeten, denen
ich mein Leben anvertrauen würde“, stellte er den jungen Mann vor.
„Das solltest du nicht tun.“ Erwiderte Adrian trocken. „Die Bestechungsgelder
machen auch vor den entlegensten Provinzen nicht halt.“ Seine Augen funkelten
amüsiert. „Aber das ist kein Thema, dass es heute zu besprechen gilt. Darf ich einen
Tanz mit deiner entzückenden Braut wagen? Vorausgesetzt, deine Nadja ist damit
einverstanden.“
Die junge Frau stellte das Glas ab. „Es wäre mir eine Freude, mit ihnen zu tanzen.“
Adrian neigte den Kopf. Dann führte er die junge Gräfin zur Tanzfläche.
Nachdenklich blickte Graf von Krolock den beiden hinterher.
Er kannte Adrian Dumitru schon so lange, dass er ihn wie einen Bruder betrachtete.
Er war ein entfernter Verwandter, der Sohn der Cousine seines Vaters. Sie hatten sich
nicht allzu oft gesehen, doch fiel es jedem Menschen schwer, sich dem Charme dieses
Mannes zu wiedersetzen. Er war ein Frauenheld, der, trotz seiner Geldprobleme oder
gerade deshalb, in den Tag hineinlebte. Breda hatte ihn oft um seine Freiheit
beneidet, allerdings irgendwann eingesehen, dass auch Adrian, der jede Situation so
nahm, wie sie war und keine Mühen scheute, einer Konfrontation aus dem Weg zu
gehen, nicht glücklich war. Sein Verhalten war seine Art, das Glück, das sich jeder
Mensch wünschte, selbst zu suchen.
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Doch auch wenn er auf den ersten Blick unstet wirkte, so konnte man sich immer auf
diesen Mann verlassen, wie Breda aus eigener Erfahrung wusste. Adrian würde eher
sterben, als seine Freunde zu verraten, was in diesen Zeiten eine Tugend war, von
der nicht viele Leute behaupten konnten, sie zu besitzen.
„Ein hübsches Paar“, lachte plötzlich jemand neben ihm.
Innerlich angewidert blickte Breda einen der ehemaligen Speichellecker seines Vaters
an. Doch Äußerlich zwang er sich zu einer unbewegten Mine.
„Es bleibt wohl nichts anderes, als zu hoffen, dass der junge Mann eure Braut wohl
in eure Arme geleiten wird und nicht in eine dunkle Ecke.“
Breda wusste, was der Mann mit diesen Worten bezweckte, aber alleine der Gedanke
an dieses Bild machte Breda rasend, doch er beherrschte sich, wusste er doch, dass
genau diese Reaktion beabsichtigt war. Mit vorgetäuschter Gleichgültigkeit
erwiderte er: „Meint ihr nicht, ihr habt den Ort und die Zeit für solche … Gedanken
… ungünstig gewählt?“
Der ungeliebte Gesprächspartner lachte noch lauter. „Gewiss. Ich hoffe, ihr mögt mir
diesen kleinen Spaß verzeihen. Euer Glück kann jeden Mann neidisch machen.“
Breda nickte ihm zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder den Tanzpaaren
schenkte. Es war zwar nicht ratsam, geschweige denn einfach, einen Mann wie
diesen zu ignorieren, doch er fühlte sich nicht in Stimmung für zweideutige
Gespräche. Heute war ein Tag, an dem er sich einfach nur glücklich fühlen wollte.
Adrian und Nadja wechselten während dem Tanz kurze Worte, bei denen Nadjas
Wangen sich teilweise verfärbten. Breda konnte sich durchaus vorstellen, was für
eine Art von Kommentaren sie momentan über sich ergehen lassen musste. Adrian
hatte sich nicht verändert seit dem letzten Mal.
„Die Hochzeit kommt gerade noch rechtzeitig, nicht wahr?“ fragte der Adlige
plötzlich neben ihm.
Irritiert sah Breda den Mann an. „Wie meinen?“
Der Mann grinste, wobei seine schlechten Zähne sichtbar wurden. „In ein paar
Wochen wäre es schwierig geworden ihr kleines Geheimnis zu verstecken.“ Er
deutete auf Nadja. „Wann wird der Erbe denn geboren?“ Als Breda nichts erwiderte,
lachte der Mann laut auf. „Oder hat sie euch bis jetzt in Ungewissheit gelassen?
Frauen pflegen diese kleinen Intrigen gegenüber ihren Männern nur zu gerne. Meine
Katarina hat sich einen regelrechten Spaß daraus gemacht. Bis ich ihr die kleinen
Späße schließlich austreiben musste, da sie sich daran machte, das Kind ertränken zu
wollen, damit mir die Freude eines Stammhalters verwehrt bliebe.“ Er lachte noch
einmal und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Weinglas. Ein roter Tropfen blieb
an seiner Lippe hängen. Es sah aus wie ein Bluttropfen.
Breda schauderte innerlich. Die arme Frau tat ihm leid. „Nein, ich weiß davon.“
„Ist es euer Kind?“
Breda fuhr herum und bohrte den Mann mit seinen Blicken auf. „Ihr geht zu weit mit
euren Fragen! Wollt ihr meiner Braut Untreue vorwerfen?“
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Sein Gegenüber legte den Kopf schief und lächelte hintergründig. „Ihr seid erst seit
dem heutigen Tage verheiratet. Ein Kind braucht Zeit, um im Bauch der Mutter
heranzuwachsen. Mehr als die paar Stunden seit der Trauung.“
„Wenn es euch beruhigt, ich kann euch versichern, dass es mein Kind ist.“ Mit
unbewegter Miene sah Breda den Mann an, der noch einen Schluck seines Weines
kostete, bevor er jemanden hinter Breda ausmachte und ein schleimiges Lächeln zur
Schau trug.
„Verehrteste! Ihr tanzt bezaubernd.“ Sagte er und deutete eine Verbeugung an.
In diesem Moment traten Nadja und Adrian an die Seite des Bräutigams.
Adrian hob die Augenbrauen und bemerkte trocken. „Und dabei war ich der
Meinung ich hätte mit der Braut getanzt. Aber er hat Recht, “ er verbeugte sich vor
Nadja und drückte ihr galant einen Kuss auf den Handrücken. „Ihr ward
wunderbar.“
Ein Stich der Eifersucht durchzuckte Breda als Nadja Adrian ein Lächeln schenkte. Er
wusste, dass er keinen Grund zur Eifersucht hatte, würde sein Freund ihn doch nicht
so verletzen, doch leider musste er gestehen, dass das Gift, welches der ältere Adlige
versprüht hatte, Wirkung zeigte. Und ihm gefiel diese Situation ganz und gar nicht.
„Nun, wenn Ihr gestattet, werde ich mich etwas zurückziehen“, erklärte der Mann
plötzlich. „So viel Trubel ist nichts mehr für einen alten Mann wie mich. Auch ihr
solltet euch etwas Ruhe gönnen, meine Liebe.“ Er hielt inne, bevor er freundlich
fortfuhr: „Graf, ich gratuliere euch zu eurer Braut. Gebt acht, dass niemand ihre
Treue infrage stellt. Gerade bei einer jungen Frau nehmen solche Fälle gerne ein
böses Ende.“ Mit diesen Worten, die von einem hinterhältigen Lächeln begleitet
wurden, wandte er sich um und ging.
Bredas Blick folgte ihm, bis er hinter einer Säule verschwand.
„Breda?“ Nadja sah ihn fragend an. „Worauf war diese Anspielung bezogen?“
Der junge Graf schüttelte den Kopf. „Gar nichts.“ Murmelte er. Dann wiederholte er
mit fester Stimme. „Gar nichts.“
Nadja runzelte unzufrieden über diese Antwort die Stirn. „Wollte er andeuten, dass
–“
„Ich werde euch bei diesem Gespräch alleine lassen.“ Verkündete Adrian. „Und euch
die Meute vom Hals halten.“ Fügte er mit Blicken auf den Adel hinzu.
„Nein. Bleib.“ Bat Breda seinen Freund. „Diese Unterhaltung muss nicht geführt
werden. Es ist nichts Wichtiges, mein Stern, “ fügte er an eine besorgte Nadja
gewandt hinzu. „Wir haben noch so viel Zeit zusammen. Wozu sollten wir unseren
Hochzeitstag mit spekulativem Geschwätz vergeuden?“ Breda von Krolock lächelte
Nadja zu, während er ihr eine Locke aus dem Gesicht strich.
„Ist es wirklich nicht wichtig?“ fragte sie besorgt.
Er schüttelte den Kopf. „Sticheleien eines alten Mannes gepaart mit Neid. Es gibt
keinen Grund für deine Sorge. Lächel.“
Sie lächelte, worauf er ihr einen Kuss auf die Lippen drückte. „Ich liebe dich, Breda
von Krolock.“ Flüsterte sie.
„Und ich liebe dich, mein Stern.“ Flüsterte er zurück.
114
„Mein Stichwort.“ Verkündete Adrian. „Ich ertrage diese Liebe nicht mehr. Ihr findet
mich bei den Damen.“
Kopfschüttelnd sah Breda seinem Freund hinterher.
Nadja hob die Brauen. „Ist er immer so?“ fragte sie mit einem amüsierten Grinsen.
Breda widmete sich wieder seiner Gräfin. „Er ist auch neidisch.“ Meinte er grinsend.
„Du bist wohl ein Mann mit sehr viel Glück.“
Das Grinsen wich von seinem Gesicht, als er ernsthaft erwiderte: „Das kann man so
sagen. Mir fällt keine anderes Wort ein für die Tatsache, dass das Schicksal dich in
meine Arme geführt hat.“
115
Unter freiem Himmel
„Sie ist wunderschön.“ Bewundernd strich Nadja der Fuchsstute über die
sternförmige Blesse.
Breda von Krolock lächelte zufrieden. „Es freut mich, dass sie dir gefällt.“
Nadja lachte ein glockenhelles Lachen. „Wie könnte sie nicht. Es ist ein wunderbares
Tier. Aber, Breda, …“ Sie zögerte, worauf er ihre Hand nahm und sie leicht drückte.
„Was hast du, mein Stern?“
Sie legte den Kopf schief. „Zu welchem Anlass schenkst du mir ein Pferd? Noch
dazu eine solch kostbare Stute, die womöglich ein Vermögen gekostet hat.“
Er lächelte. „Du bist der Anlass. Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass
eine so wunderbare Frau sich für einen Normalsterblichen entschieden hat.
Desweiteren, “ unterband er ihren aufkommenden Widerspruch, „Desweiteren hilft
mir dieses wunderbare Tier bei der Durchführung meines Plans.“
Neugierig legte Nadja den Kopf schief. „Was für ein Plan?“
Er lächelte geheimnisvoll. „Du wirst noch früh genug davon erfahren.“
Sie riss die Augen auf. „Geheimnisse? Vor mir?“
In gespielten Schrecken legte er die Hand vor den Mund. „Hab ich zu viel verraten?“
„Du hast gar nichts verraten.“
„Gut so. Es soll nämlich eine Überraschung sein für meine Frau. Sie weiß noch nichts
davon, aber …“
Ihr glockenhelles Lachen unterbrach seine kleine Rede und er konnte nicht anders,
als mit einzustimmen.
„Ich störe eure Idylle ja nur ungerne.“ Unterbrach eine bekannte Stimme ihre traute
Zweisamkeit.
Der junge Graf wandte sich zu dem Sprecher um. „Adrian! Du bist noch nicht
abgereist?“
Der Adlige grinste verschmitzt. „Ohne mich von dir und deiner reizenden Gattin zu
verabschieden? Wie denkst du von mir?“
Breda schmunzelte. „Wenn ich mich richtig erinnere, bist du schon öfters ohne einen
Abschied verschwunden.“
Adrian lachte kurz. „Du weißt warum.“
„Leider war ich oft genug unfreiwillig an deinen Problemen beteiligt.“ Er erinnerte
sich an die kleinen Abenteuer, die er Adrians unbeschwertem, sorglosem Gemüt zu
verdanken hatte, und seine Mundwinkel zuckten.
„Unfreiwillig selbstverständlich.“
Nadja sah mit großen Augen von einem Mann zum anderen. „Möchte ich erfahren,
um was es sich bei diesen Problemen handelte?“
Breda schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht.“
Adrian lachte lauthals. „Nein wirklich nicht. Aber sorge dich nicht, Kleines. Dein
Gatte hat sich stets geziemend betragen. Aber um wieder auf das eigentliche Thema
zurückzukommen, ich wollte mich tatsächlich verabschieden. Ich habe eure
Gastfreundschaft schon zu lange in Anspruch genommen.“
116
Breda wurde wieder ernst. „Du weißt, dass du solange bleiben kannst, wie du
wünschst.“
Adrian winkte ab. „Das ist mir bewusst. Aber, wenn du mir diesen Ausdruck
erlaubst, ich habe auch noch ein Leben außerhalb dieser Mauern.“ Das freche
Lächeln kehrte zurück. „Mein wildes, unziemliches Leben erwartet mich zurück.“
Breda lachte. „Nun, wenn das so ist, werde ich dich nicht aufhalten können. Aber
vielleicht besuchst du uns innerhalb des nächsten Jahres nochmals.“
Adrian neigte den Kopf. „Ich denke über dein Angebot nach.“
Breda half seinem Jugendfreund beim Satteln, während Nadja sich auf den Weg in
die Schlossküche machte und mit einem Beutel Proviant wiederkam, den sie Adrian
in die Hände drückte. „Hier. Es ist nicht viel, aber es wird dir zumindest über einen
Tag hinweg helfen.“
Adrian bedankte sich. „Es war ein Vergnügen, dich kennen zu lernen, Nadja von
Krolock.“ Er verneigte sich galant und führte Nadjas Hand an seine Lippen. „Ich
hoffe, wir werden uns wieder sehen.“
Nadja lächelte breit. „Du musst spätestens zur Tauffeier des Kindes kommen.“
Adrian hob die Brauen. „Hab ich eine andere Wahl, wenn deine reizende Frau mich
so bittet?“ fragte er an Breda gewandt, der nur den Kopf schüttelte. Dann
verabschiedete er sich von dem frisch vermählten Grafen und seiner Frau, stieg auf
sein Pferd und ritt nach einer weiteren Danksagung davon.
Breda und Nadja sahen ihm noch einen Augenblick hinterher bis er verschwunden
war. Dann drehte Nadja sich abrupt zu Breda um. „Wirst du mir jetzt verraten, was
du vor hast?“
Breda seufzte. „Ich dachte, Adrians Abschied hätte es dich vergessen lassen.“
Nadja lachte leise. „Und ich glaubte, du würdest mich besser kennen.“
Liebevoll sah Breda die Frau an seiner Seite an. „Nun gut, aber du musst mir
vertrauen.“
Nadja schmiegte sich an ihn und strich über seine Brust. „Das tu ich doch schon
längst.“
Ein Schauder durchfuhr seinen Körper, doch er zwang sich dazu, einen Schritt von
Nadja wegzutreten, die ihn fragend ansah. „Die Überraschung befindet sich nicht
hier.“ Er führte sie zurück in den Stall, wo der Stallbursche die Fuchstute aufgezäumt
und gesattelt hatte. Vorsichtig packte er Nadja, die einen überraschten Laut von sich
gab, und setzte sie in den Sattel.
Verkrampft hielt die junge Frau sich fest. „Was machst du?“
Er lächelte sie beruhigend an und schob ihre Füße in die Steigbügel. „Sei ganz
entspannt und vertrau mir. Du musst nichts machen. Ich werde sie führen.“
Nervös spähte Nadja zum Boden, der sich in ungewohnter Ferne befand. „Ist das
hier wirklich nötig?“
„Wir müssen eine kleine Strecke zurücklegen und ich möchte dir in deinem Zustand
keinen anstrengenden Fußmarsch zumuten.“ Entschuldigte Breda sich. Er vermeinte
eine leise Erwiderung zu hören und lächelte nochmals entschuldigend. Dann ging er
langsam los und die Stute folgte ihm ruhigen Schrittes. Er warf ab und zu einen Blick
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zu Nadja, die anfangs noch verkrampft im Sattel saß, sich nach einiger Zeit jedoch an
die Bewegungen des Tieres gewöhnte. Er dachte an das Ziel dieses kleinen Ausflugs,
worauf ein Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Nach der dreitägigen Feier
würden ein paar Stunden Abgeschiedenheit ihnen beiden gut tun, wie er hoffte.
„Wo führst du mich hin?“ fragte Nadja neugierig, als hätte sie seine Gedanken
gelesen.
Er schüttelte lachend den Kopf. „Das erfährst du noch früh genug.“ Er hatte
absichtlich einen etwas ungewöhnlichen Weg gewählt, damit Nadja nicht erkannte,
wo er sie hin brachte.
Als sie fast angekommen waren, hielt er an und hob Nadja vorsichtig vom
Pferderücken.
Neugierig blickte sie sich um. „Was machen wir hier?“
Er hob ein rotes Tuch. „Ich werde jetzt deine Augen verbinden.“ Verkündete er.
Mit großen Augen blickte sie ihn und das Tuch an. „Was -?“
Er legte einen Finger auf ihren weichen Mund. „Shh. Nicht fragen. Dreh dich um.“
Widerstandslos befolgte sie seine Anweisung.
Liebevoll strich er ihre über ihre roten Locken, über die weiße Haut ihres Nackens
und über die Schultern.
Ein Schauer durchlief ihren Körper. Breda hörte sie zischend einatmen. „Breda!“
„Still!“ Er küsste zärtlich ihren schlanken Hals.
Ihr Körper zitterte vor Verlangen, ebenso wie seiner, doch, so schwer es ihm auch
fiel, jetzt war nicht der Zeitpunkt dafür.
Er verdankte es alleine seiner Disziplin, dass er wieder von ihr abließ und stattdessen
behutsam ihre Augen mit dem Tuch bedeckte, wobei er sorgsam darauf achtete,
keine Haare mit in den Knoten zu binden. Dann führte er sie weiter, passte dabei
jedoch genau auf, wo sie ihre Füße hinsetzte und warnte sie vor Wurzeln und
anderen Stolperfallen, die sich auf ihrem Weg befanden. Schließlich nahm er das
Tuch von ihren Augen.
Vom plötzlich zurückkehrenden Licht geblendet blinzelte Nadja ein bis zweimal,
bevor sie erkannte, wo sie sich befanden.
Es war die Lichtung kurz vorm Dorf, auf der sie sich das zweite Mal getroffen hatten.
Nur mit dem Unterschied, dass sich unter dem Baum, auf dem Nadja sich damals
vor Natascha versteckt hatte, jetzt ein Tisch und zwei Stühle befanden, soviel einige
Speisen und Getränke.
Breda von Krolock stellte sich hinter seine Frau und umfasste ihre Taille. „Was hältst
du von einer Mahlzeit im Freien?“ flüsterte er in ihr Ohr.
Nadja lächelte sacht, drehte sich zu ihm um und gab ihm einen liebevollen Kuss.
„Viel.“ Hauchte sie bevor ihre Lippen wieder aufeinander trafen.
„Ich sprach von einer richtigen Mahlzeit.“ Lachte Breda während des Luftholens.
Ein Grinsen stahl sich auf das feine Gesicht seines Sterns. „Ich ebenfalls.“
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Jahreszeiten
Winter 1617
Der transsilvanische Winter äußerte sich wie jedes Jahr durch eisige Kälte, Stürme,
Eis und Schnee. Die bergige Landschaft der Karpaten verschwand unter einer
weißen Decke, die mit ihrer Schönheit jeden bezauberte, deren Kälte jedoch jeden
schutzlosen Reisenden zu einem schleichenden Tod verurteilen konnte, wenn man
keinen schützenden Ort hatte.
Glücklicherweise war das Krolock Anwesen für ein Schloss des späten dreizehnten
Jahrhunderts gut beheizbar, sodass die Bewohner sich wenig Gedanken um die Kälte
machen mussten.
Breda von Krolock beobachtete die Flocken, die in der Dunkelheit am Fenster vorbei
schwebten. Jede einzelne ein Kristall, der nach seinesgleichen suchte.
Nadja, die mittlerweise im fünften Monat schwanger war, saß mit einem Buch vor
dem wärmenden Kamin. Die roten Locken fielen ihr ins Gesicht und ungeduldig
strich sie sich die Strähnen hinter die Ohren.
Breda lächelte, als er ihren konzentrierten Gesichtsausdruck sah.
Es war noch nicht lange her, da hatte Nadja beschlossen, die Tücken der
geschriebenen Worte zu bewältigen und Breda hatte sie in ihrem Vorhaben bestärkt,
da er Tag für Tag beobachten konnte, wie Nadja, die ein arbeitsreiches Leben
gewohnt war, sich immer unwohler fühlte. Es behagte ihr nicht, andere Leute für
sich arbeiten zu lassen, während sie selber als Gräfin und zukünftige Mutter dazu
angehalten wurde, sich zu schonen.
Bei einem besonders schwierigen Wort gab sie einen unzufriedenen Laut von sich,
bei dem sich Bredas Lächeln vertiefte.
„Benötigst du Hilfe?“
Sein Stern schüttelte den Lockenschopf. „Wie soll ich das jemals richtig beherrschen,
wenn du mir jedes Mal helfend zur Seite eilst?
Amüsiert beobachtete er, wie sie nach einigen Minuten das Buch missmutig
betrachtete und auf den Beistelltisch legte. „Ich werde das nie richtig verstehen“,
seufzte sie.
„Ich habe damals nicht darüber nachgedacht“, sinnierte Breda, „Aber wie hast du
meine … Nachricht lesen können?“
Nadja sah ihn verlegen an. „Der Priester musste sie mir vorlesen. Verzeih mir, dass
ich –“
Besänftigend griff Breda nach ihrer Hand. „Gräm dich nicht.“ Er nahm das Buch
vom Tisch und las den Titel, wobei er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. „Es ist
ein schwieriger Roman. Vielleicht solltest du etwas Einfacheres probieren.“
Müde schloss sie die Augen. „Später. Aber ich befürchte, dass ich das Lesen nie
beherrschen werde.“
Sanft streichelte er mit dem Daumen über ihren Handrücken. „Du bist perfekt so wie
du bist. Mich kümmert nicht, ob du lesen kannst oder nicht. Und unser Kind“,
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lächelnd legte er seine Hand auf ihren gewölbten Bauch, „Unser Kind wird sich
daran ebenfalls nicht stören.“
„Aber mich kümmert es!“ ereiferte sich sein Engel. „Was soll ich für eine Gräfin sein,
wenn ich nicht einmal die einfachsten Dinge beherrsche? Ich habe keinerlei Bildung
und nicht einmal die Möglichkeit, mir Wissen anzueignen!“ Beschämt blickte sie zur
Seite und entzog ihm ihre Hand.
Der junge Graf kniete sich vor sie auf den weichen Teppich und blickte sie ernst an.
„Nadja, mein Stern, du bist in erster Linie meine Frau und die Mutter unseres
gemeinsamen Kindes. Du bist die Person, der ich mein Leben verdanke, denn ohne
den Gedanken an dich und unsere Liebe hätte ich es nicht geschafft, mich meiner
Ketten zu entledigen. Ich liebe dich und“, er lächelte wieder, „glaub mir, wenn ich
sage, dass vom Lesen und Schreiben nicht der Wert eines Menschen abhängt.“ Er
drückte einen Kuss auf ihre Handfläche und stand wieder auf. „Lass dir Zeit, dich an
alle Änderungen zu gewöhnen.“
Traurig sah Nadja ihn an. „Ich wünschte, es gäbe diese Änderungen nicht.“
Dieser eine Satz verletzte ihn mehr, als es die Klauen und Zähne eines Vampirs
hätten tun können. Er wusste, dass ihre Liebe stark genug war, sowie er wusste, dass
Nadja ihn nicht hatte verletzen wollen. Breda versuchte, sich nicht anmerken zu
lassen, was ihn in diesem Moment bewegte, doch schon hatte Nadja erschrocken die
Hand vor den Mund geschlagen.
„Es tut mir leid!“ rief sie leise aus. „Ich liebe dich, aber –“
Ihre Erschrockenheit, die aufgerissenen, grünen Augen, ließen sie noch
zerbrechlicher wirken, sodass Breda nicht anders konnte, als sie sanft zu
unterbrechen. „Ich weiß, was du mir sagen wolltest. Ich wünschte mir ebenfalls, ich
wäre nicht in dieses Leben hineingeboren und könnte dir mehr Freiheit und
Unbeschwertheit anbieten.“
Nadja schüttelte den Kopf. „Ich bin undankbar. Jede Frau träumt von solch einem
Leben. Ohne Arbeit und Geldsorgen. Und ich liege dir mit meinen kleinen
Problemen im Ohr. Verzeih mir, Breda.“
Er küsste sie sanft auf die Stirn. „Es gibt nichts zu verzeihen, mein Stern.“ Dann
schloss er sie in die Arme. Gemeinsam betrachteten sie das flackernde Feuer im
Kamin und vergaßen im Arm des anderen die Zeit.
Frühling
Der Mai rückte immer näher, die Tage wurden wieder länger und wärmer. Wenn
Breda nicht seinen gräflichen Pflichten nachkam, kümmerte er sich um seine Frau. In
den Momenten friedlicher Zweisamkeit vergaß er den Rest der Welt um sie herum
und war glücklich.
Er würde nie den Augenblick vergessen, wo er das Strampeln des Kindes zum ersten
Mal gefühlt hatte.
So klein, so zerbrechlich, doch schon mit einer gewissen Eigensinnigkeit gesegnet
hatte das Kleine ihn, als er den Kopf an Nadjas Bauch gelegt hatte, zielsicher gegen
120
den Wangenknochen getreten. Nadja hatte bei seinem verdutzen, doch gleichzeitig
entrückt lächelnden Gesichtsausdruck angefangen zu lachen.
„Ich beneide dich“, hatte Breda ihr gesagt. „Du hast viel mehr Zeit mit dem Kleinen.“
Nadja hatte gelächelt, ihn geküsst und ihm dann liebevoll ins Ohr geflüstert: „In den
ersten Jahren ist die Mutter am wichtigsten. Aber danach wirst du ganz viel Zeit mit
unserem Kind verbringen. Das versprech ich dir.“
„Meinst du?“ Er hatte ihr die Locken aus dem Gesicht gestrichen und hatte mit dem
Daumen die Konturen ihrer weichgeschwungenen Lippen nachgezeichnet.
Sie hatte gegrinst. „Natürlich. Und ich werde schrecklich wütend auf dich sein, weil
du unserem Kind nur Unsinn beibringst.“
Sie hatten beide gelacht.
„Ich kann es kaum erwarten.“ Er hatte die Hand auf ihren Bauch gelegt. „Wenn du
wütend bist, siehst du bestimmt sehr reizend aus.“
Von diesem Augenblick war es zu einer Lieblingsbeschäftigung des Grafen
geworden, einfach nur bei Nadja zu sein, eine Hand auf dem Bauch, und das neue
Leben zu bestaunen, das dort heranwuchs.
Es waren wirklich die schönsten Wochen in Bredas Leben.
Die Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg durch die Baumwipfel und schmolzen
den Schnee. Man konnte förmlich zusehen, wie es immer grüner wurde und die
Natur sich entfaltete. Auch die Tiere schienen langsam aus ihrem Winterschlaf zu
erwachen. Überall bewegte sich etwas. Der Wald war lebendig.
Zufrieden lächelnd beobachtete Graf von Krolock die Frau an seiner Seite, die die
steigenden Temperaturen genoss.
„Wollen wir nicht wieder zurückgehen, mein Stern?“
Sie lachte leise. „Wenn ich dich damit beruhigen kann.“
Er strich über ihren Bauch. „Nun, du würdest mich damit sehr beruhigen. Du sollst
dich in deinem Zustand nicht anstrengen. Es kann jeden Tag soweit sein.“
Sie küsste ihn auf die Wange. „Du hast Recht. Dann lass uns nach Hause gehen. Ich
muss ohnehin noch etwas erledigen.“
Er hob die Augenbrauen. „So?“
„Du erfährst es noch früh genug.“ Lachte sie.
Dann gingen sie den Weg zurück, den sie gekommen waren. Es dauerte nicht lange
und die Mauern des Schlosses hoben sich vor ihnen empor.
Der graue Stein, der seiner Familie schon seit drei Jahrhunderten Schutz bot, schien
verwittert, doch immer noch stabil und ehrfurchtgebietend. Seit Generationen lag
das Schloss im Besitz der Familie von Krolock und jede Generation war im Schutze
dieser Mauern herangewachsen. Auch sein Kind würde bald dort im Schlosshof
spielen, in der großen Bibliothek lesen, eines fernen Tages sein Amt übernehmen und
seine eigenen Kinder großwerden sehen.
Breda von Krolock lächelte.
„Breda?“ Die Stimme seines Engels holte ihn wieder in die Gegenwart zurück.
„Wünschst du dir einen Sohn oder eine Tochter?“
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Mittlerweile hatten sie das Schloss, ihr Zuhause, betreten und ein Diener kam, um
ihnen die Mäntel abzunehmen.
Bevor er ihr antwortete, führte er sie ins Kaminzimmer, wo sie sich setzten und einen
Augenblick ausruhten. „Solange es unser Kind ist, deines und meines, bin ich
glücklich, Nadja.“
Sie legte den Kopf schief. „Aber was wäre dir lieber?“
Er lachte leise und nahm ihre Hand. Zärtlich strich er mit dem Daumen über die
Handfläche, bevor er sie hob und einen kleinen Kuss darauf drückte. „Was immer
dir Recht ist, mein Stern.“
Sie lehnte den Kopf gegen seine Schulter und seufzte verträumt. „Wenn es ein Junge
ist, so wird er das Ebenbild seines Vaters.“
Breda strich ihr über die Locken. „Und wenn es ein Mädchen wird, so wird sie deine
Schönheit und Tugendhaftigkeit besitzen.“
Sie richtete sich auf. „Ich wünsche mir einen Jungen, weißt du? Er wird dein Erbe
sein. Ich weiß, dass das auch in deinem Interesse liegt.“
Er lachte. „Nun, gleich ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, es wird unser Kind
sein und wir werden es lieben und hier im Schloss. Und vielleicht“, er grinste und
strich sanft über ihren gewölbten Bauch, „Vielleicht bekommt er oder sie noch ein
Geschwisterchen.“
Sie legte ihre Hand auf seine. „Das wäre wunderbar.“
Und die Welt um die beiden versank in einem langen Kuss.
122
Herbert
Breda eilte durch die dunklen Gänge zu Nadja. Schon von weitem konnte er die
gesteigerte Geräuschkulisse wahrnehmen. Rufe, beruhigende Worte, Schritte und
dazwischen Nadjas schmerzerfülltes Stöhnen und Ächzen hallten ihm entgegen.
Gerade letzteres machte einen beunruhigenden Eindruck auf ihn, woraufhin er einen
Schritt zulegte.
Es war früher Morgen und er hatte sich gerade auf den Weg ins Dorf machen wollen,
um dem Dorfvorsteher eine Senkung der Abgaben zu verkünden, als ein Mädchen
atemlos zu ihm gerannt kam und ihm erzählte, Nadja liege in den Wehen. Er hatte
sofort alles stehen und liegen gelassen und hatte sich aufgeregt zum Schlafgemach
seiner Frau begeben.
Als er die Tür zu ihren Gemächern öffnete, fiel sein Blick als erstes auf Nadja.
Sein Engel lag auf dem Bett. Ihr Gesicht war kalkweiß und der Körper so
schweißüberströmt, dass das Nachthemd wie eine zweite Haut an ihrem Körper
klebte. Der schmale Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, die für eine Geburt
nicht normal sein konnten.
Er wollte zu ihr eilen, doch eine Frau hielt ihn zurück. „Ihr könnt ihr jetzt nicht
helfen, Exzellenz.“
„Ich –“
Sie schüttelte sanft den Kopf. „Lasst uns unsere Pflicht erfüllen. Wir werden ihr
helfen, so gut wir können.“
Gequält sah er zu seinem Engel. „Das kann doch keine normale Geburt sein! Seht Ihr
denn nicht, dass sie leidet?“
Für einen kleinen Moment erschien ein Lächeln auf dem Gesicht der Frau. „Das sind
die Wehen, Exzellenz. Sollte es Grund zur Besorgnis geben, würde ich es Euch nicht
verschweigen.“
Etwas beruhigter nickte der Graf. „Ich werde diesen Raum nicht verlassen. Ich
möchte meine Frau jetzt nicht alleine lassen.“
Sie knickste. „Wie Eure Exzellenz meinen.“ Dann ging sie weiter ihrer Arbeit nach.
Breda setzte sich zu Nadja.
„Das Kind!“ Die Frau, mit der Breda zu Beginn der Geburt geredet hatte, zeigte ein
erleichtertes Lächeln. „Der Kopf kommt endlich raus. Und ich dachte schon, das
Baby hätte sich vielleicht quer gelegt.“
Breda sprang auf, setzte sich jedoch gleich wieder, als Nadja seine Hand
umklammerte und erneut presste. „Quer gelegt?“ fragte er halb panisch.
„Keine Sorge. Es ist alles in Ordnung. In ein paar Minuten könnt ihr euer Kind im
Arm halten, Exzellenz.“
Eine gefühlte Ewigkeit verging, bis endlich die Schreie eines Neugeborenen die Luft
durchschnitten.
Die Amme wischte mit einem nassen Tuch das Blut und das Fruchtwasser vom Kopf
des kleinen Wesens ab. Dann lächelte sie dem Grafenpaar beruhigend zu. „Es ist ein
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kleiner, gesunder Junge, euer Exzellenz.“ Sie wickelte das Kind in ein Tuch, bevor sie
es der Mutter reichte.
Nadja, die von der anstrengenden Geburt nohc völlig erschöpft war, strahlte, als sie
das kleine Wesen in den Armen hielt.
Auch Breda hatte das Gefühl, noch nie einen so wunderschönen Moment erlebt zu
haben. Das war sein Kind. Sein Sohn. Wie soll sein Name nun lauten?“ Breda griff
nach Nadjas Hand.
Sie strich dem Kind, das aufgehört hatte, zu schreien und dessen kleiner Mund
begierig die Milch aufsaugte, über den Kopf. Tränen des Glücks hatten sich in ihren
Augenwinkeln gesammelt.
„Ich würde ihn gerne Herbert nennen“, meinte sie leise nach einigen Sekunden, in
denen sie einfach nur das Kind liebevoll betrachteten. „Nach meinem Großvater
mütterlicherseits.“
Eine Amme trat näher, nahm ihr das nun schlafende Kind vorsichtig ab und legte es
in die Wiege, wo sie es liebevoll zudeckte.
Die Eltern folgten ihr mit Blicken.
„Ein guter Name“, stimmte Breda ihr zu. Dann küsste er Nadja. „Weißt du, wie
glücklich du mich machst?“ fragte er leise. „Mein Leben könnte kaum noch perfekter
werden. Ich habe eine vollkommene Frau, die mich liebt und mir soeben einen Sohn
geschenkt hat.“
Nadja küsste ihn sanft zurück. „Ich liebe dich, Breda.“ Sie lehnte sich erschöpft
zurück in die Kissen.
„Euer Exzellenz?“ Die Amme trat näher und versank in einem Knicks, bevor sie
fortfuhr. „Es war eine anstrengende und komplizierte Geburt, Exzellenz. Eure Gattin
ist erschöpft und braucht dringend Ruhe.“
Breda nickte der Frau zu. Dann beugte er sich nochmals über Nadja und drückte ihr
einen Kuss auf die Stirn.
Nadja lächelte, während sich ihre müden Augen schlossen und sie einschlief.
„Träume süß, mein Engel.“ Flüsterte Breda noch, bevor er ging.
124
Im Angesicht des Todes
Die Wochen vergingen so rasant wie vor Herberts Geburt. Das Glück schien die Zeit
auf eine unheimliche Art und Weise zu beschleunigen. Die kleine Grafenfamilie
schien trunken davon und das Leben erschien perfekter denn je. Auch das Wetter
schien dies nicht trüben zu wollen. Es wurde von Tag zu Tag wärmer, fast schon
ungewöhnlich warm für die Karpaten, und der Sommer kam immer näher.
Dieses Jahr seitdem Breda von Krolock Nadja kennengelernt hatte, kam ihm
gleichzeitig wie eine Ewigkeit vor und doch wie ein einziger Tag. So viel war
geschehen, so viel in seinem Leben hatte sich verbessert. Und das nur durch diese
zwei Menschen in seinem Leben.
Herbert hatte sich schon einen Platz in seinem Herzen gesichert, bevor er überhaupt
auf der Welt war. Und er beanspruchte immer mehr. Mit jedem Mal, wenn er seinen
Vater anstrahlte und die kleinen Händchen nach ihm ausstreckte, mit jedem Lachen,
jedem Laut, kurz mit jeder Faser seines noch winzigen, zerbrechlichen Körpers, liebte
Breda ihn noch mehr, bis sein Herz schier platzen wollte.
Es war perfekt.
Und sollte doch nicht perfekt bleiben…
Ein Schrei hallte durch die Nacht.
Nadja fuhr erschrocken auf. „Breda, was war das?“
Auch der junge Graf hatte es vernommen und er bedeutete seinem Engel, sich
wieder zu beruhigen. „Ich werde nachsehen, mein Stern.“ Er fuhr liebevoll durch
ihre roten Locken. „Warte hier.“
„Breda!“ Nadja hielt ihn fest. „Pass auf dich auf. Ich habe plötzlich so ein komisches
Gefühl“
Er versprach es ihr. Dann verließ er den Raum und griff nach einer Fackel.
Auf dem Schlosshof herrschte die Finsternis. Zwar brannten vereinzelt Fackeln, doch
ihr Licht durchbrach die Dunkelheit nur dürftig und kalte Winde ließen die
Flammen flackern, sodass die Schatten lebendig wurden. Mehrmals glaubte Breda
von Krolock eine Gestalt auszumachen, die sich in diesen Schatten verborgen hielt,
doch im nächsten Augenblick schon löste sie sich in Nichts auf und nur die Angst
blieb zurück. Die Männer, die ihn nach draußen begleitet hatten, waren ebenso
nervös wie er. Vorsichtig und leise bewegten sie sich über den vertrauten Hof, der in
dieser Nacht so fremd wirkte. Kein Laut war zu hören. Diese Stille war unnatürlich.
Nicht einmal der Ruf einer Eule auf Beutezug durchbrach die Nacht.
Einer der Männer trat zu ihm. „Euer Exzellenz, eine Wache am Tor wird vermisst.
Nur der Speer lag noch am Boden.“ Er schluckte. Als der Wind erneut aufkam und
zwischen den Zinnen heulte, zuckte er fast unmerklich zusammen.
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Der Graf hob die Augenbrauen. „Bist du sicher, dass er deswegen gleich
verschwunden ist?“
„Am Speer befindet sich Blut. Und er wurde einfach auf den Boden geworfen. Oder
fallen gelassen.“
Nachdenklich sah Breda in die Nacht hinaus. Was sollte er jetzt tun? Handelte es sich
hierbei um seinen schlimmsten Alptraum, so wäre es unverantwortlich, die Männer
mit ins Unglück zu stürzen.
„Exzellenz“, fuhr der Mann nervös fort. „Die Nacht macht die Männer unruhig.
Irgendetwas verbirgt sich dort vor unseren Blicken. Wäre es nicht besser, die Suche
morgen weiter zu führen?“
Der Graf sah den Mann ruhig an, doch in seinem Innersten war er nicht minder
aufgewühlt als sein Gegenüber. Er wusste, ahnte zumindest, wobei es sich um diesen
Nachtmahr handelte, doch die Männer waren alleine ihrer Fantasie ausgesetzt und
die konnte noch grausamer sein als die Realität. Falls das irgend möglich war. Denn
seine Realität konnte, wenn dieser Alptraum wirklich wahr war, kaum noch an
Schrecken überboten werden. „Ich verstehe deine Bedenken, aber dennoch sollten
wir der Sache nachgehen. Wer immer dort geschrien hat, hat dies wohl kaum aus
Vergnügen getan.“
„Exzellenz, die Männer fürchten sich.“
„Wir befinden uns auf dem Schlosshof. Es gibt keinen Grund sich zu fürchten. Aber
die arme Seele, die wir eben vernommen haben, würde es sicherlich bevorzugen,
wenn wir sie finden würden. Sag den Männern, dass vorher keiner an seinen
Schlafplatz zurückkehrt. Und zwei Leute sollen jeweils am Schlosstor und an der
Eingangstür postiert werden. Zusätzlich zu den normalen Wachen. Außerdem soll
eine Gruppe von sechs Männern die Umgebung durchsuchen. Ich werde mich dieser
Truppe anschließen.“ Breda von Krolock versuchte so viel Sicherheit wie nur
möglich auszustrahlen. Und er versuchte die aufkommende Panik in sich selber zu
besiegen. Es wäre niemandem geholfen, wenn er jetzt den Überblick verlieren
würde. Während er sprach nahm er die nächste Fackel aus der Halterung. „Du wirst
hier auf dem Hof bleiben und darauf achten, dass diese Anordnung auch ausgeführt
wird. Wenn ich zurückkomme möchte ich nicht sehen, dass einer seinen Posten aus
Angst vor Gespenstern verlassen hat.“
„Exzellenz.“ Der Mann verneigte sich kurz. „Ich werde die Männer persönlich auf
ihre Posten aufteilen. Aber wäre es nicht besser, wenn ihr das Schloss nicht verlasst?“
Mit einem scharfen Blick musterte Breda das Gesicht des Mannes, in dem sich
Unsicherheit und auch ein Funken von Angst breit machten. „Ich werde nicht mit dir
über meine Befehle diskutieren. Und ich werde die Männer selber einteilen.“ Mit
einer kurzen Handbewegung entließ er den Mann.
In diesem Augenblick war ein aufgeregtes Rufen zu hören. „Hier herüber! Ich habe
ihn gefunden!“ Jemand kam durch das Tor gelaufen und winkte mit beiden Armen.
Mit schnellen Schritten näherte Breda sich dem Mann, der ihn ohne eine
Aufforderung durch das Tor und ein Stück an der Außenmauer langführte.
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„Ich dachte, vielleicht sei er dort hinab gefallen.“ Stammelte er. „Und dann sah ich
ihn dort liegen.“ Er deutete auf eine Nische, in der ein regungsloser Körper lag.
Der Graf befahl den anderen, etwas zurück zu bleiben. Er wollte zuerst sehen,
welches Ausmaß die Verletzungen hatten. Und er wollte etwas ganz bestimmtes
suchen. Vorsichtig beleuchtete er mit der Fackel den Toten und Entsetzen machte
sich in ihm breit.
Halb geronnenes Blut bedeckte das Gesicht und den Hals des Leichnams.
Doch die Wunde an der Kehle war weiß. Kein einziger roter Tropfen sammelte sich
in den beiden Löchern.
Mehr reflexartig, als wirklich überlegt, verdeckte Breda diese auffällige Wunde.
„Die Wölfe.“ Flüsterte jemand mit vor Grauen heiserer Stimme.
Man konnte förmlich spüren, wie sich die Panik unter den Männern breitmachte.
Nicht wegen des Toten, sondern wegen diesen nicht greifbaren Spukgestalten, die
den Aberglauben der Karpatenbewohner prägten.
Und wie musste diese fromme Angst erst ausarten, wenn sie wüssten, was für Wesen
die Nach anstatt ihrer Gespenster und Spukgestalten bevölkerten?
Bevor er jedoch reagieren konnte, hörte er hinter sich ein stöhnen.
„Er lebt noch!“ keuchte ein junger Mann, der kaum dem Kindesalter entwachsen
war.
Das Entsetzen, das Breda beim Anblick des Todes verspürt hatte, war nichts im
Gegensatz zu dem Entsetzen, das sich jetzt in ihm breit machte. Er wusste, was
diesem Mann noch bevorstand. Es wäre ihm lieber gewesen, einen Pflock in das Herz
eines ohnehin schon Toten zu stoßen, als einem Menschen beim Sterben zusehen zu
müssen und das Werkzeug, das diesen vor einer blutigen, seelenlosen Ewigkeit
bewahren würde, hinter dem Rücken bereit zuhalten.
„Schnell!“ rief jemand. „Bringt ihn rein und ruft einen Arzt. Vielleicht besteht noch
Hoffnung!“
Hoffnung! Welch makaberes Spiel des Schicksals! Welche Ironie, im Angesicht des
Todes und der Verdammung von Hoffnung zu sprechen! Dieser Mensch, der zu
seinen Füßen lag, hatte keinerlei Chance mehr, war verdammt, verflucht und zum
Tode verurteilt!
Ein verzweifeltes Lachen drang durch die Nacht. Wie konnte man jetzt lachen? Wer „Exzellenz?“ Jemand fasste ihn am Arm. Zögerlich. Ängstlich.
Jetzt erst merkte er, dass er es war, der lachte. Sofort versiegte die verzweifelte
Heiterkeit.
Die Männer blickten ihn verstört an. Sie verstanden nicht, was vor sich ging.
Unschuldiges Unwissen stand in ihren Gesichtern geschrieben und er beneidete sie
darum.
„Bringt ihn rein.“ Befahl er kühl. „Ich werde mich persönlich um ihn kümmern.“
„Exzellenz? Der Arzt -“
„Ich sagte, bringt ihn rein!“ Noch nie hatte seine Stimme so kalt geklungen. Er
meinte, seinen Vater zu hören. Er war nicht mehr als ein Geist, doch mächtig genug,
127
das Leben seines Sohnes auch nach dem Tod zu beeinflussen. Er war nicht tot, er
lebte in ihm, seinem Sohn, weiter. Ein Schauer lief über seinen Rücken.
Die Männer brachten den Sterbenden ins Schloss und der Graf folgte ihnen mit
nachdenklicher Miene. Erst als sie den Mann auf ein Lager legten, fand Breda aus
seiner Gedankenwelt zurück in die Realität.
„Geht nun. Ich werde ihn selbst versorgen.“
Nur Zögerlich gehorchten die Männer seinem Befehl.
Als er mit dem Verwundeten alleine in der Kammer war, setzte er sich neben diesen
und fühlte seinen Pulsschlag, der schwach und unregelmäßig das Ende verkündete.
„Es tut mir leid, mein Freund.“ Flüsterte Breda von Krolock. Und es tat ihm leid. Er
hatte nicht gewollt, dass Unschuldige starben.
Die Augen des Sterbenden brachen, ein letzter Atemzug ging über die leicht
geöffneten, rissigen Lippen.
Jetzt galt es, schnell zu handeln, bevor das Gift wirken konnte.
Seit den Vorfällen des letzten Jahres und besonders seit dem mysteriösen Brief, war
Breda nie unbewaffnet gewesen. Mit einer schnellen, geübten Bewegung zog er einen
Pflock hervor, den er unter seiner Kleidung verborgen hatte. Als Nadja die hölzerne
Waffe das erste Mal gesehen hatte, waren ihre Augen noch größer geworden und sie
hatte ihn gefragt, ob das wirklich nötig sei. Doch gerade die Situation, in der er sich
jetzt befand, zeigte ihm wie nötig das wirklich war.
Breda von Krolock setzte den Pflock auf die Brust des Mannes, als dieser die Augen
aufschlug.
Noch ehe er reagieren konnte, wurde ihm die Waffe aus der Hand geschlagen und
der junge Graf fand sich wehrlos einen neugeborenen Vampir gegenüber.
Wieso war es so schnell gegangen? Das konnte nicht sein, es sei denn… Sein Blick,
fiel auf die Handgelenke, des Mannes, die von Wundmalen entstellt waren.
Der Vampir machte einen Schritt auf ihn zu. In seinen Augen spiegelte sich
Verwirrung. Und Blutgier.
Breda konnte förmlich sehen, wie diese die Überhand gewann und die gefletschten
Zähne immer näher kamen. Doch so einfach würde er es ihm nicht machen. Ein
kurzer Tritt beförderte den Nosferatu an die Wand.
Das schien den Zorn noch mehr anzustacheln. Mit einer schnellen Bewegung, die er
nur erahnen konnte, wurde er gepackt.
Er hätte Nadja wegschicken sollen, dachte er. Weit weg. Niemals hätte er sie in
diesen Alptraum hineinziehen dürfen. Jetzt war es zu spät.
Ein Schlag schickte ihn zu Boden.
Schmerz explodierte in seinem Kopf.
Und ein grellender Schrei dröhnte in seinen Ohren.
Jemand starb.
Und er war es nicht. Oder?
Angestrengt öffnete er die Augen und blickte mehr verblüfft als verängstigt auf die
vor ihm liegende Szene.
128
Der Vampir lag mit einem Pflock in der Brust auf dem Boden. Die Haut kreidebleich,
die Lippen rissig und die Augen starr wirkte er als sei er schon seit Stunden tot und
nicht erst seit wenigen Sekunden.
Eine Hand streckte sich dem Grafen entgegen.
„Verzeiht meine Unpünktlichkeit, Exzellenz.“ Sprach eine dunkle, kalte Stimme und
der Blick aus den eisblauen Augen bohrte sich in seinen. „Aber wie ich sehe, bin ich
gerade noch rechtzeitig eingetroffen.“
129
Ein Angebot zum Sterben
Reflexartig hatte Breda von Krolock die dargebotene Hand ergriffen und sich
hochhelfen lassen. In seinem Kopf wütete ein dumpfer Schmerz und er hatte sich bei
seinem Sturz am Arm verletzt. Erschöpft ließ er sich auf dem Totenlager des eben
verstorbenen Wachmanns nieder, bevor er die Worte des Fremden registrierte.
Beinah erschrocken fuhr er auf.
Der Fremde war gut, wenn auch ein wenig altmodisch, gekleidet und seine
schwarzen Haare waren im Nacken zusammengebunden. Die Haut war extrem hell,
die Augen so blau, wie Breda es noch nie gesehen hatte. Und ebenso kalt.
Wie eine Spinne ihre Beute musterte, betrachtete dieser Mann den jungen Grafen,
dem es allmählich dämmerte mit wem er es hier zu tun hatte.
Seine Mutter hatte ihn in ihren Briefen beschrieben. Sie hatte ebenfalls seinen Tod
geschildert, aber dennoch stand er vor ihm und erwiderte mit kaltem Spott.
seinen Blick. Wie konnte das sein? Er musste sich irren, befand Breda, konnte aber
den Gedanken, der sich in seinem Kopf eingenistet hatte, nicht entfernen. Zumindest
würde er, solange er die Identität und die Ziele des Fremden nicht bestätigt
bekommen hatte, sich mit seinem Dank zurück halten.
Den Mann schien die kühle Begrüßung, die doch, ob der Tatsache, dass er gerade das
Leben des jungen Grafen gerettet hatte, unangemessen erschien, jedoch nicht zu
erzürnen.
Die Antwort bestand aus einem schmalen, unechten Lächeln. „Verzeiht meine
Unhöflichkeit. Es ist normalerweise nicht meine Art, … unangekündigt in das Heim
eines anderen zu platzen. Insofern kann ich Euren Unmut nachempfinden.“
Bredas Blick fiel auf den Toten zwischen ihnen. „Nun, nennt es Aberglaube, aber
seinen Besuch, ob unangekündigt oder nicht, mit einem Toten zu beginnen, gilt hier
keineswegs als ein gutes Omen.“ Er bemühte sich, seine Stimme selbstsicher klingen
zu lassen. In Gedanken fragte er sich, wie und wann er es eigentlich geschafft hatte,
in diese Geschichten hineinzurutschen. War es mit der Ankunft der von Brasovs
gewesen? Nein, es hatte schon viel früher begonnen, erinnerte er sich. Damals vor so
vielen Jahren, als sein Vater angefangen hatte, sich von seiner Familie zu entfremden.
Als Andrej das Schloss zum ersten Mal besucht hatte.
Ein kaltes, leises Lachen riss ihn aus seinen Gedanken und er tadelte sich dafür, dass
er sich hatte ablenken lassen. „Es ist wahrhaft erbaulich, Euch zu beobachten,
Exzellenz. Ihr tragt Eure Gedanken, wie ein offenes Buch mit Euch, das jeder lesen
kann, auch wenn Ihr Euch noch so anstrengt, es zu verbergen. Aber das mag an der
Jugend liegen. Ihr lernt es schon noch.“ Der Mann legte den Kopf schief. Seine Augen
waren in der ganzen Zeit nicht einen Millimeter von Breda gewichen. „Aber dieses
Gespräch muss nicht jetzt geführt werden. Und schon gar nicht hier“, er deutete auf
die kahlen Mauerwände und das einfache Bett, das so gar nichts luxuriöses an sich
hatte, „in dieser Kammer. Wollt Ihr mich vielleicht nicht auffordern, Euch in ein
komfortableres Zimmer zu begleiten, wo wir unsere Unterhaltung fortführen können
130
oder gilt dies in Eurer Region als ebenso unhöflich wie ein Toter als Auftakt eines
Besuches?“
„Ich denke nicht.“ Erwiderte der Graf kühl den Spott des Gegenübers. „Für mich
reicht dieser Raum vollkommen aus.“
„Nun, wenn dies einem Grafen genügt muss ich mich als einfacher Mann wohl
ebenfalls damit zufrieden geben und mich für meine Dreistigkeit entschuldigen.“
„Vorerst würde mir Euer Name genügen.“
„So bescheiden“, spottete der Fremde. „Dabei ist mein Name, das einzige, was Ihr
von mir wisst.“
Die Mutmaßungen des Grafen wurden zur Gewissheit, als er den Blick dieser
frostigen Augen erwiderte. Und doch musste er die letzten Zweifel beseitigen. Er
wollte es hören, wollte die Wahrheit bestätigt haben. Die Wahrheit über einen Mann,
der über die Nosferatu Bescheid wusste, stark genug war, einen von ihnen, einen
Neugeschaffenen, zu töten. Einen Mann mit schwarzen Haaren und eisblauen Augen
dessen Lächeln ebenso frostig war wie die kälteste Winternacht. „Man sagte mir, ihr
wäret gestorben.“
Ein triumphierendes Lächeln umspielte den dünnen, harten Mund. „Diese
Information entspricht durchaus den Tatsachen, Breda von Krolock. Doch liegt
dieser Tod schon länger zurück, als Ihr es Euch vorstellen könnt.“
„Andrej.“ Der Name kam wie ein Flüstern über seine Lippen. Heiser, fast unhörbar
und doch deutlich und unleugbar.
Andrej deutete eine Verbeugung an. „Zu Euren Diensten.“ Er bleckte die Zähne.
„Mehr oder weniger.“
Der junge Graf konnte keinen Muskel bewegen. Er wagte es nicht einmal. Er sah
diesen Mann an, der das Unheil über die Familie von Krolock gebracht hatte, doch er
konnte es immer noch nicht glauben.
Seine wirren, sich im Kreis drehenden Gedanken mussten ihm wohl deutlich
anzusehen sein, denn Andrej lächelte wieder. „Es war wirklich schwer, Eure Mutter
von meinem Tod zu überzeugen, das könnt Ihr mir glauben. Sie war eine starke
Frau.“ Er leckte sich über die fahlen Lippen. „Und dabei so köstlich.“
Der Hass auf dieses Monster wuchs ins Unermessliche und drohte, den jungen
Grafen zu überrollen wie eine Flutwelle. Seine Hände ballten sich unmerklich zu
Fäusten, die Nägel bohrten sich in die Handfläche, doch er spürte den Schmerz nicht.
Die Worte waren mehr ein Zischen als artikulierte Laute. „Was habt Ihr ihr
angetan?“
Der Vampir hob die Augenbrauen. „Wenn Ihr mich fragt, was aus ihr geworden ist,
so kann ich Euch dies nicht beantworten. Ich weiß es nicht. Zu meinem Bedauern.“
Seine Finger fuhren über die Mauer, während er einen Schritt näher kam. „Sie hat
sich selber in der Sonne angekettet, nachdem einer meiner Diener sie unerlaubt
gebissen hatte. So naiv“, flüsterte er. „Und so mutig. Sie hätte eine wunderbare
Gefährtin abgegeben.“
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„Ihr habt sie umgebracht!“ Während er dem Nosfertu diese Worte ins Gesicht
schleuderte, die diesem ohnehin nichts bedeuteten, wich Breda zurück bis er die
kalte Mauer im Rücken spürte.
Andrej lachte. Die spitzen Fänge blitzten in seinem Mund auf und jagten Breda einen
Schauer über den Rücken. Er wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er
nähere Bekanntschaft mit diesen Spitzen schließen würde. „Ich weiß nicht, ob sie tot
ist.“ Gab der Vampir offen zu. „Die Wandlung setzt nur nachts ein. Die Ketten waren
für eine Neugeborene kein Hindernis mehr.“
„Wollt Ihr damit sagen, dass -“
„Ich will gar nichtsss sagen!“ fauchte Andrej. Die s-Laute wurden zu einem Zischen,
bis die Worte nicht mehr menschlich klangen „Sselten überlebt ein schutzlossser
Vampir die ersssten Jahre!“ Plötzlich war er wieder ruhig. Er richtete sich wieder auf
und sah den Grafen verächtlich an. „Wenn Ihr nichts dagegen habt, möchte ich nun
endlich auf den Grund meines Besuches zu sprechen kommen.“ Sein Blick wanderte
zu dem Toten und er hielt inne. Dann beugte er sich zu dem Mann, nahm ihn hoch
und legte ihn auf das Lager, bevor er weiter sprach. „Ich habe noch eine Schuld
einzutreiben.“
„Vater ist tot.“ Entgegnete Breda kalt. „Er hatte einen Pakt mit Euch, nicht ich. Damit
betrachte ich diese Angelegenheit als erledigt.“ Er ahnte, dass es damit nicht erledigt
war, doch hatte er nicht das Bedürfnis sich dieser Tatsache von selber zu stellen. Und
er sollte Recht behalten.
„Aber, aber“, tadelte Andrej. „Kennt ihr in den Karpaten keine Ehre? Keinen
Anstand? Ich habe meinen Teil erfüllt und nun ist es an Euch, den Euren zu erfüllen.
Als Euer Vater starb, was ich wirklich bedauere, habt Ihr seinen Titel geerbt, seine
Verpflichtungen. Nun könnt Ihr damit anfangen, dem Genüge zu tun.“
„Was wollt ihr?“
„Nun, Ihr seid jetzt der Graf.“ Er tat so, als müsste er schwer überlegen.
„Ursprünglich wart Ihr der Preis, den Euer Vater bereit war zu zahlen.“
Breda zuckte bei diesen Worten zusammen.
„Ich würde mein Bündnis gerne erneuern und es wäre doch unverschämt, wenn ich
immer noch das Selbe verlangen würde.“ Ein diabolisches Grinsen erschien auf
Andrejs Gesicht. „Ihr werdet ein menschliches Leben führen und in meinem Sinne
Geschäfte tätigen, die auch Euch zugutekommen werden. Ich werde Euch alle
möglichen Mittel zukommen lassen und Ihr werdet den Preis zahlen, den ich
diktiere: Euren Sohn.“
Breda dachte an das kleine unschuldige Kind und ihm wurde übel bei dem
Gedanken, ihn wie ein Stück Ware an dieses Monster zu verscherbeln.
„Ich sehe schon, Ihr könnt euch nicht für diesen Gedanken erwärmen.“ Fuhr Andrej
mit sanfter Stimme fort.
„Wie könnt Ihr glauben, dass ich mich auf solch einen widerwertigen Handel
einlasse?“ fragte Breda erbost mit einiger Verspätung.
Als Antwort erhielt er nicht mehr als ein niederträchtiges Lächeln. „Es liegt in Eurem
Blut. Euer Vater wusste das.“
132
Wenn er sich nicht in solch großer Gefahr befunden hätte, wenn es sich bei Andrej
nicht um einen Vampir gehandelt hätte, dann hätte der Graf wohl spätestens in
diesem Moment seine Beherrschung verloren. Doch im Angesicht der
übermenschlichen Gefahr wurde sein Zorn von Angst und Sorge um seine kleine
Familie unterdrückt. Und er hasste diese Angst. Er hasste es, dass sein Leben nicht
in unbeschwerten Bahnen laufen konnte.
„Aber“, Andrej hob die Hände, „Ich will Euch noch etwas Zeit geben. Ihr sollt
wissen, dass ich nicht das Monster bin, für das Ihr mich haltet.“
Breda versuchte zu verstehen, welchen Sinn ein Vampir in diesem Bündnis sehen
mochte. Warum hatte er ihm das Leben gerettet? Warum machte er ihm das
Angebot, sich den Handel noch einmal zu überlegen? Er verstand es einfach nicht. Er
war sich nicht einmal sicher, ob er es verstehen wollte.
„Doch überleg nicht zu lange.“ Die Zähne blitzten im Licht der Fackeln gefährlich.
„Es könnte sein, dass Euch und Eurer Familie demnächst die Zeit davonläuft.“
Der Blick des Grafen verhärtete sich. „Was bedeutet das?“ Er vergaß für einen
Moment die Natur seines Gegenübers und machte einen Schritt auf ihn zu. „Was für
ein Spiel spielt Ihr, Andrej?“
Das falsche, gefährliche Lächeln wich von dem blassen Gesicht des Nosferatu.
„Treibt es nicht zu weit, Breda von Krolock? Vergesst nicht, dass Ihr in meiner
Schuld steht. Ich habe soeben Euer Leben gerettet.“
„Vor Jahren habt ihr mir meine Eltern genommen. Ihr habt meine Mutter ermordet
und meinen Vater zerstört. Damit hat sich die Schuldfrage ein für alle Mal geklärt.
Ich werde mit Euch kein Bündnis eingehen! Und schon gar nicht, wenn es das Leben
meines Sohnes beinhaltet!“
Für einen Moment waren in den blauen Augen nichts als Hass und Zorn zu sehen.
Und eine gewaltige Leere, die ihn bis auf das Innerste abschreckte. Wer konnte mit
diesem Abgrund in sich leben?
Es war kein Leben, das diese Kreatur führte, rief er sich in Erinnerung. Es war ein
Alptraum.
Andrej beherrschte sich mühevoll, wie Breda erkennen konnte, auch wenn er nicht
wusste warum. „Ich denke, in diesem Gespräch ist das letzte Wort noch nicht
gefallen, Breda von Krolock.“ Der Vampir lächelte höhnisch. „Ihr werdet keine
andere Wahl haben, wenn Ihr Eure Familie retten wollt.“ Und mit diesen Worten
war Andrej verschwunden.
Breda blinzelte. Dann rannte er panisch aus dem Raum und sah sich um, doch der
Vampir war tatsächlich verschwunden.
133
Vertrauen
Während er zurück zu Nadjas Zimmer eilte, versuchte die Panik überhand zu
gewinnen. Doch genau das konnte er nicht zulassen.
„Andrej lebt.“ Flüsterte er. Was sollte er jetzt tun? Diese Begegnung hatte ihn bis ins
Innerste erschüttert. Und der Vampir hatte Nadja und Herbert bedroht!
Was konnte er tun? Was sollte er Nadja erzählen?
Er öffnete die Tür.
„Nadja?“
Zwei grüne Augen sahen ihn erleichtert, aber auch fragend an. Sein Engel stand auf
und lief auf ihn zu. „Breda!“ Froh fiel sie ihm um den Hals, dann hielt sie besorgt
inne. „Was ist geschehen?“
Breda führte sie zurück zu der Sitzgruppe. „Komm, setzt dich, Nadja.“
Das Paar ließ sich auf zwei Sesseln nieder und Breda von Krolock lehnte sich nach
vorne. „Einer der Wachmänner wurde getötet. Nadja, du und Herbert, ihr müsst
umgehend das Schloss verlassen.“ Begann er ohne Umschweife.
Nadja sah erschrocken auf. „Wieso sollten wir?“ rief sie aus.
Er atmete tief durch. Noch immer konnte er nicht glauben, dass ein Glück in einer
einzigen Nacht zerstört worden war.
„Bitte sag mir die Wahrheit.“
„Die Wahrheit…“ Breda lachte bitter. „Ich kann es dir nicht sagen, Nadja. “ Er
versuchte, Entschlossenheit in dieses eine Wort zu legen. „Du bist in Gefahr, Herbert
ist in Gefahr. Der Rest ist zu abscheulich, um ihn dir anzuvertrauen. Vertrau mir! Ich
will nicht, dass dich dieses Geheimnis nicht mehr schlafen lässt und dich bis an dein
Lebensende verfolgt.“
Nadja lachte kurz auf. „Meinst du das ernst? Glaubst du, es beruhigt mich, zu
wissen, dass etwas dich belastet und du mir nichts davon erzählen willst? Ein Mann
wurde gerade eben getötet! Und du willst mir nicht sagen, wie das passieren konnte!
Verstehst du das unter Vertrauen?“
„Nadja, bitte…“ er wünschte sich, er hätte ihr eine Erklärung geben können. Doch
egal, was er jetzt tat, Nadja würde nichts anderes als die volle Wahrheit akzeptieren.
Gerade das, was er ihr nicht geben konnte, ohne sie in Angst und Schrecken zu
versetzen.
Eine Träne lief über Nadjas Wange. „Was immer es auch ist, ich komme damit
zurecht. Womit ich nicht zurechtkomme, ist dein Verhalten mir gegenüber.“ Sie
stand auf. „Ich gehe auf meine Zimmer. Wenn…“ sie schluckte, „Wenn du mit mir
reden willst, kannst du jederzeit kommen.“ Sie wandte sich um.
„Nadja!“ Breda sprang auf. „Mein Stern, mein Engel!“ Er hielt sie am Arm zurück.
„Versuch doch mich zu verstehen!“
Die Tränen flossen jetzt ungehindert über ihre Wangen, doch sie hielt sich stolz
aufrecht, als sie mit fester Stimme entgegnete: „Ich will dich jetzt nicht sehen, Breda.
Und ich bitte dich, das zu akzeptieren.“ Dann wandte sie sich aus seinem Griff und
floh aus dem Raum.
134
Es schien Breda von Krolock als würde es sein Herz zerreißen, als er sie so davon
laufen sah.
Wie hatte es nur soweit kommen können?! „Ich hätte ihr alles erzählen müssen“,
sagte er sich und vergrub das Gesicht in den Händen. Der Graf fühlte sich völlig
kraftlos. Ohne Nadja war er nicht er selbst, war nur zur Hälfte ein Mensch,
verdammt dazu ihn einem Ozean aus Nichts dahin zu treiben.
„Redet mir ihr“, meinte plötzlich eine vertraute Stimme und eine Hand legte sich auf
seine Schulter.
Überrascht blickte Breda von Krolock auf und sah Iwan ins Gesicht, der ihn voller
Mitleid musterte.
„Erzählt ihr alles oder ihr werdet sie wirklich verlieren.“ Riet der Ältere ihm.
Breda von Krolock schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Auch jetzt nicht. Wenn sie
davon erfährt, was soll dann geschehen? Wie wird sie es verkraften?“ Er hatte nicht
nur Angst darum, dass sie es nicht verkraftete, gestand er sich in Gedanken ein. Er
hatte Angst, dass sie es nicht ertrug, so in der Aufmerksamkeit solcher Kreaturen
gerückt zu sein. Würde sie solche Panik bekommen, dass sie ihn verlassen würde? Es
wäre das sicherste für sie, doch Breda hatte sich schon längst bitter eingestehen
müssen, dass er nicht selbstlos genug war, sie einfach gehen zu lassen.
„Sie wird die Geheimnisse nicht verkraften.“ Erklärte Iwan leise.
„Ich kann nicht.“ Seine Augen brannten als er zum Fenster blickte, wo er die
Dunkelheit herannahen sah. „Ich kann nicht."
Er hörte nicht, wie Iwan sich entfernte, doch als er sich umsah, war der alte Mann
verschwunden und er war alleine in dem Raum.
Verlassen.
Verlassen von Nadja, die er verletz hatte, ohne es zu wollen. Ja, ohne es einmal
wirklich zu merken. Wie dumm er gewesen war! Doch jetzt ließ sich die Zeit nicht
mehr zurückdrehen. Der Schaden war angerichtet und er musste die Scherben
zusammenfegen und retten, was noch zu retten war.
Wie auch immer diese Rettung aussehen sollte…
Er verbrachte noch einige Minuten in seiner stillen Verzweiflung, bevor er aufstand
und den Raum verließ. Zwar war ihm immer noch unklar, wie er sich jetzt verhalten
sollte, doch er würde nicht weiter in dieser Untätigkeit verweilen, die ihn noch um
den Verstand bringen würde.
Er würde mit ihr reden, aber er wusste nicht wie. Wie sollte er beginnen? Was genau
sollte er erzählen? Wann sollte er es ihr erzählen? Jetzt sofort? Oder sollte er lieber
ein paar Stunden warten? Und wie würde sie damit umgehen? Oder sollte er
schweigen und darauf hoffen, dass sich schon alles wieder zum Guten wenden
würde?
Breda von Krolock schüttelte den Kopf. Nein, das wäre wahrscheinlich der größte
Fehler, den er jetzt noch machen könnte.
„Euer Exzellenz!“ Ein Diener kam ihm auf halben Weg zu Nadjas Zimmern
entgegen. Es war ein etwas jüngerer Mann, der noch nicht lange im gräflichen Dienst
135
stand und soweit Breda sich recht erinnern konnte, auf den Namen Vadim hörte. „Es
ist soeben eine Nachricht von einem Überfall auf einen der entlegenen Bauernhöfe
eingetroffen. Der Bauer selbst hat die Meldung überbracht und erwartet euer
Exzellenz unten in der Halle.“
Der Graf unterdrückte einen Fluch.
Dieser Bauer hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können! Im Grunde
genommen, wusste Breda, dass der arme Mann nur aus Not hergekommen war,
doch konnte diese Tatsache ihn nicht wirklich trösten. Er konnte den Mann nicht
einfach dort unten warten lassen. Schon gar nicht wenn es um dessen Existenz ging,
die nach dem Überfall zweifellos auf dem Spiel stand. Doch egal, wie er darüber
dachte, er musste so handeln, wie es die Pflicht von ihm verlangte.
Zusätzlich zu seiner Unzufriedenheit über diese unerwartete Angelegenheit mischte
sich ein Gefühl von Erleichterung über den kleinen Aufschub.
Nachdem das Gespräch vorbei und die Angelegenheit geregelt war, wobei er dem
Bauern eine Entschädigung sowie das Versprechen, die Diebe ausfindig zu machen
und zu sanktionieren, gegeben hatte und er wieder alleine war, ließ Graf Breda von
Krolock kurzzeitig die Maske fallen, die er anderen Menschen gegenüber aufsetzte.
In seinen Augen spiegelte sich seine innere Müdigkeit, die Erschöpfung und
Melancholie und seine aufrechte Gestalt schien von einer unsichtbaren Last
niedergedrückt zu werden.
Mit langsamen, bedächtigen Schritten machte er sich auf den Weg zu Nadjas
Gemächern.
Das Bild der geschlossenen Tür brannte sich ihm ins Gedächtnis, so lange stand er
dort auf dem Gang und wagte es nicht, hineinzugehen, wagte es aber auch nicht
unverrichteter Dinge wieder zu verschwinden und Nadja in ihrem Kummer alleine
zu lassen.
Plötzlich schwang die Tür auf und Iwan kam ihm entgegen.
Fragend hob der Graf die Augenbrauen, doch Iwan schüttelte nur den Kopf, was
Breda als Antwort auf seine stille Frage betrachtete, ob Iwan Nadja etwas erzählt
hatte.
Vielleicht war es auch einfach nur ein Hinweis darauf, dass Nadja nicht bereit war,
sich weitere Ausflüchte anzuhören.
Breda sah dem älteren Diener hinterher, als dieser im nächsten Gang entschwand,
dann fiel sein Blick wieder auf die nun offene Türe vor ihm und er ahnte, wenn er
jetzt noch einen Augenblick zögerte, dann würde er es nie schaffen, dieses Gespräch
mit Nadja zu führen. Beherzten Schrittes betrat er ihre Gemächer.
Von Nadja war nichts zu sehen. Eine angefangene Handarbeit lag auf dem Tisch,
ansonsten zeugte nichts von ihrer Anwesenheit. Nichts außer dem Plätschern des
Wassers, das aus dem Badezimmer zu hören war.
Der Graf ließ sich in einem Stuhl nieder und beschloss zu warten. Es würde sich
nicht ziemen, seine Frau beim Baden zu stören. Zumal ihre Blöße ihn nur vom
eigentlichen Thema ablenken würde.
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Während er wartete, überlegte er sich, wie er das Gespräch beginnen konnte. Sollte
er diskret vorgehen oder es direkt sagen und ihren Unglauben riskieren? Sie von der
Wahrheit zu überzeugen würde in jedem Fall nicht einfach sein.
Breda hatte das Gefühl, eine Ewigkeit zu warten, bis er hörte, wie Nadja aus dem
Wasser steig. Er hatte sich nicht getraut, sich bemerkbar zu machen und war mehrere
Male sogar kurz davor gewesen, still und heimlich wieder zu gehen und diesen Teil
des Tages auf später zu verschieben. . doch er war standhaft geblieben.
Endlich hörte er Schritte und sprang eilig aus dem Stuhl auf. „Nadja!“
Überraschte und irgendwie geschockt sah sie ihn an und zog den Morgenmantel
fester um ihren Leib. „Breda.“ Abwartend sah sie ihn an und etwas wie Trauer und
Mitleid schlich sich in ihren Blick.
Der Graf ging zögerlich einen Schritt auf sie zu. „Ich muss mit dir reden. Das, was
eben vorgefallen ist tut mir unendlich leid und…“ er hielt inne, als sie näher kam
und nach seinen Händen griff.
„Ich glaube dir, wenn du sagst, dass du mich nur schützen wolltest“, begann sie leise
und ohne ihm in die Augen zu blicken. „Fällt es dir wirklich so schwer, mit mir
darüber zu sprechen, mit deiner Frau, die du geheiratet hast und der du ewige Liebe
geschworen hast?“ Jetzt blickte sie ihm endlich in die Augen.
Breda von Krolock konnte nicht antworten, jedoch schien ihr das als Antwort genug.
„Lass uns wann anders darüber sprechen“, bat sie plötzlich. „Was immer es ist…“
Breda schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich mich später noch in der Lage dazu
sehe. Es zerrreißt mich bereits jetzt. Dieser Wunsch, alles Übel der Welt von dir
fernzuhalten und gleichzeitig meine Pflicht und mein Wunsch, dir als Freund,
Geliebter und Ehemann die Wahrheit zu sagen. Ich weiß nicht, wie ich das länger
ertragen soll, aber ich weiß jetzt, dass du nichts Geringeres als die Wahrheit verdient
hast und dass alles andere dich nur weiter von mir entfernen würde.“ Er hob ihre
zarte Hand an seinen Mund und küsste sie. „Ich liebe dich.“
Sanft entzog sie ihm ihre Hand, legte sie jedoch an seine Wange und strich mit dem
Daumen sachte über die Haut. Der Blick ihrer grünen Augen wurde von
verschiedenen Emotionen überschwemmt. „Vergiss nicht, dass du einen Teil meines
Herzens besitzt, ebenso wie mir ein Teil des deinigen gehört. Wenn dich etwas
bedrückt, empfinde ich das so wie du.“ Sie trat noch näher und legte die andere
Hand auf seine Brust. „Wenn jeder von uns alleine trauert, ist das Leid doppelt so
groß. Lass es uns teilen!“
Selbst wenn er ihr nicht hätte erzählen wollen, so wäre es jetzt um seine
Selbstbeherrschung geschehen gewesen. So war es kein Wunder, dass er es jetzt
schaffte, endlich den Mut für die folgenden Worte aufzubringen: „Vampire. Die
Wahrheit, dich ich dir schulde, handelt von Vampiren.“
Und entgegen seiner Angst, sie würde ihm entweder nicht glauben und dies für eine
weitere Lüge halten oder in Panik das Schloss verlassen, war sie vollkommen ruhig
und ernst, als sie erwiderte: „Ich weiß.“
Überrascht und geschockt sah Graf Breda von Krolock sie an. „Du weißt es?“ Die
Worte kamen mehr gestottert als flüssig aus seinem Mund. „Woher?“
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Unruhig knetete Nadja den Stoff ihres Rockes zwischen den Fingern. „Ich weiß es
noch nicht so lange.“
„Woher-“, da ging Breda ein Licht auf. „Iwan.“
Nadja wich seinem Blick aus.
Der Graf fühlte in sich die Wut aufsteigen. Wut auf den Mann, der Bredas
Entscheidung nicht abgewartet hatte, sondern nach eigenem Ermessen und ohne
Absprache gehandelt hatte.
„Ich wollte es eigentlich gar nicht von ihm erfahren“, gab Nadja leise zu. „Du solltest
es mir sagen und niemand sonst. Aber gleichzeitig war da diese Angst und so hab
ich mit Iwan geredet, der mich gebeten hat, dir nichts davon zu erzählen.“
Ausdruckslos sah Breda seine Frau an. „Was hat er dir erzählt?“
Ihre Finger strichen weiterhin nervös über den Stoff. „Er hat von den Vampiren
gesprochen.“ Sie seufzte leise. „Ich wollte ihm zunächst nicht glauben, aber es schien
alles zu passen.“
„Er hat dir von Anička erzählt?“
Sie nickte fast unmerklich, dann blickte sie endlich auf. „Mir tut es leid, was du
durchmachen musstest, aber warum hast du nicht mit mir geredet? Ich liebte dich!“
Eine kleine Träne lief über ihre Wange und ihre feuchten Augen kündigten weitere
salzige Zeugnisse ihres Kummers an.
Breda war wie erstarrt. „Liebte?“ fragte er mir rauer Stimme nach.
Sie fasste ihn bei den Schultern. „Du bist mein Freund und Gatte, Breda von
Krolock!“ Eindringlich bohrten sich ihre Augen in die seinen. „Du bist der Vater
meines Kindes! Doch was wird aus unserer Liebe, wenn wir einander nicht
vertrauen?“
Der junge Graf sah sie mit all seiner Liebe an. „Ich habe einen schweren Fehler
begangen. Kannst du mir verzeihen?“
Nadja lächelte, dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn kurz.
Breda konnte sein Glück kaum fassen. Er schloss sie in seine Arme und wirbelte sie
einmal umher. Dann küsste er sie und es war ihm, als wäre dies ihr erster Kuss,
soviel Leidenschaft lag darin.
Als sie sich voneinander lösten, sah Nadja ihn mit einem Mal besorgt an. „Aber bitte
bestrafe Iwan nicht dafür, dass er nur helfen wollte.“
Plötzlich hatte sich der Ernst wieder in ihr Gespräch geschlichen und verdunkelte
den Blick des Grafen. „Er hätte das nicht tun dürfen.“
Flehend sah sein Stern ihn an. „Ja, aber es ist geschehen und ich bin ihm nicht böse
darum. Also sei du es auch nicht.“
Nachdenklich rieb er sich die Stirn und nach einigen Sekunden des Schweigens
neigte er zustimmend den Kopf. „Da Iwan Unterstützung bei einer reizenden Gräfin
findet, kann ich ihm wohl keine angemessene Strafe zukommen lassen, ohne ihre
Missgunst zu erregen.“
Erleichtert lächelte Nadja. „Danke.“
Eine Frage tauchte plötzlich in Bredas Gedanken auf. „Hast du keine Angst?“
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„Vor den Vampiren?“ sie biss sich leicht auf die Unterlippe. „Doch, aber würde es
helfen, wenn ich panisch fliehen würde? Wir wären nur beide alleine.“ Sie schüttelte
den Lockenkopf.
Was war nur passiert, fragte der junge Graf sich im Stillen. Vor wenigen Tagen noch
war ihnen das Glück hold gewesen und hatte ihnen ein ruhiges Leben beschert und
nun war alles um so vieles komplizierter geworden und sein Engel legte eine
entschlossene Tapferkeit an den Tag, als wollte sie in einen Krieg ziehen.
„Verzeih mir, mein Stern.“
Nadja lächelte nur. „Komm, wir wollen etwas essen.“
Sie hat es nicht ausgesprochen, dachte er in leiser Verzweiflung. Sie hat es nicht
gesagt!
Doch dann sagte etwas in ihm, ihre Augen, ihre Augen hatten es deutlicher gesagt,
als Worte es jemals tun könnten. Sie hatten gesagt: „Ich liebe dich.“
Das war alles, was er brauchte.
139
Pläne
„Was werden wir jetzt unternehmen?“ Graf von Krolock blickte von Nadja zu Iwan,
der nachdenklich die Stirn in Falten gelegt hatte und mit den Fingern über die
Landkarte fuhr, die auf dem Tisch ausgebreitet war.
Vor diesem Zusammentreffen hatte Breda ein Gespräch mit Iwan geführt, in dem er
diesen auf Nadja angesprochen hatte. Der ältere Vampirjäger hatte den Kürzeren
gezogen und seine Abreise verkündet, wenn der Sommer vorbei war. Der Zorn des
Grafen war bei diesen Worten so schnell verraucht, wie er gekommen war, als er
begriffen hatte, dass er mit Iwan auch einen verlässlichen Freund verlieren würde.
Immerhin hatte der Diener im besten und im Nachhinein auch vernünftigsten Sinne
gehandelt. Auf seine Bitte hatte Iwan nichts erwidert, sondern dieses Treffen
vorgeschlagen.
Es war erst wenige Stunden her, dass Andrej verschwunden war. Niemand wusste,
wo der Vampir sich aufhielt, geschweige denn was er vorhatte. Es lag eine zittrige
Spannung in der Luft, während die drei Menschen im Arbeitszimmer des Grafen
saßen und nicht wussten, was als nächsten auf sie zukommen würde. Dank dieser
Ungewissheit waren alle Nerven bis ans Äußerste gereizt und brachte den Grafen im
Zusammenhang mit Schlafmangel und Sorge fast um den Verstand.
Dazu kam eine Nachricht von Andrej, die er auf seinem Schreibtisch gefunden hatte
und die ihm wieder einmal seine Verletzlichkeit offenbarte, da es für den Vampir
leichter als ein Kinderspiel gewesen war, sich in das alte Schloss zu schleichen, ohne
von einer Menschenseele entdeckt zu werden.
Ich freue mich bereits auf den goldenen Sommer Transsylvaniens hatte auf einem kleinen
Zettel in blutroter, altertümlicher Schrift gestanden.
Er hatte sich ursprünglich mit Iwan alleine treffen wollen, doch nun hatte er auch
Nadja dazu gebeten. Da sie nun wusste, worum es ging, was auf dem Spiel stand,
konnte er sie nicht länger ausschließen. Er musste einsehen, dass er sie nicht vor der
Wahrheit beschützen konnte. Und Nadja hätte es ihm niemals verziehen, wenn er sie
nicht mit einbezogen hätte.
„Wir müssen ihn aufspüren und töten“, befand Iwan nüchtern. „Erst dann wird in
dieses Land Ruhe einkehren.“
Nadja hatte sich bei diesen Worten weiter angespannt. Ihre Finger lagen verkrampft
in ihrem Schoß.
„Das ist einfacher gesagt, als getan, Iwan.“ Breda von Krolock berührte tröstend die
Schulter seiner Frau. „Wenn du genauere Pläne hast, wäre es freundlich, wenn du sie
uns mitteilen würdest!“
Nadja griff nach seiner Hand. „Wir sind alle angespannt, Liebster. Deswegen musst
du nicht so einen rauen Ton anschlagen.“ Meinte sie leise.
„Nadja, mein Engel, ich weiß. Aber wir können momentan keine Rücksicht auf
Sentimentalitäten nehmen. Je eher wir das durchstehen, desto eher kann das Leben
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wieder in geregelten und konventionellen Bahnen laufen.“ Er lächelte freudlos.
„Falls dieser Alptraum überstanden wird.“
Nadja kniff die Lippen zusammen und nickte ernst.
Es stimmte den Grafen traurig, sie so ernst und entschlossen zu sehen, wenn er an
das fröhliche, junge Mädchen dachte, dass er vor beinah einem Jahr kennengelernt
hatte. Sie hatte Glück verdient. Doch was hatte er ihr gegeben? Er wusste, sie würde
enttäuscht sein, wenn sie wüsste, was er dachte, aber es stand fest: Hätte sie ihn nicht
getroffen, würde sie ein normales Leben führen. Ohne Vampire und Gefahren. Und
ohne ihn.
Iwan stand auf. „Nein, ich habe keinen detaillierten Plan, Exzellenz.“ Er stützte sich
auf den Tisch. „Ich weiß nicht, wie wir erfahren sollen, wo Andrej sich aufhält,
weder weiß ich, wie wir ihn töten sollen, da es sich bei ihm offensichtlich um ein
jahrhundertealtes Geschöpf handelt, dem nicht durch einen einfachen Mann und
Willenskraft beizukommen ist. Wir brauchen ein Wunder. Ein Wunder, Exzellenz!“
Die drei Menschen schwiegen betreten.
Jedes Wort entsprach der Wahrheit, doch es war nicht einfach, sich mit der Wahrheit
konfrontiert zu sehen. Das war es nie.
„Und wenn wir ihn wieder hierher locken?“ fragte Nadja plötzlich mitten in die
Stille. „Ihm eine Falle stellen? Wäre das möglich?“
„Um seine Wut zu entfachen und die Gefahr zu vergrößern?“ entgegnete Breda von
Krolock.
Auch Iwan schüttelte den Kopf. „Das ist zu gefährlich. Wie euer Gemahl schon
angemerkt hat, würde das die Wut des Vampirs schüren wie Alkohol eine Flamme.
Das würde schwerwiegende Folgen haben. Wer weiß, wie viel Menschen sterben
würden.“
„Vielleicht könnte man ihn aus der Reserve locken?“ wandte Nadja dagegen ein,
doch Iwan schüttelte immer noch den Kopf.
„Das ist zu gefährlich. Wir wissen nicht, mit wem wir es zu tun haben, er hingegen
schon.“
Nadja lehnte sich gegen Breda und seufzte. „Wenn man das so hört, können wir
gleich aufgeben. Wie sollten wir gegen so einen Gegner triumphieren?“
Breda drehte sie zu sich um und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Das möchte
ich nicht nochmal hören, Nadja.“ Bat er sie eindringlich. „Ich will nicht, dass du uns
aufgibst. Ich selber, werde jeden Augenblick, den ich noch atme, für unsere Familie
kämpfen und ich erwarte von dir dasselbe. Wir, uns,… Verstehst du, mein Engel?“ er
küsste sie sanft auf die roten Locken. „Das ist es, was uns stark macht. Andrej weiß
nicht, mit wem er sich anlegt.“ Er wünschte sich, es wäre mehr als nur eine schön
klingende Rede. Er wünschte sich, es wäre tatsächlich so einfach. Er wollte glauben,
dass es so einfach war!
Nadja reckte sich zu ihm hoch und küsste ihn kurz. „Es tut mir leid, Breda. Verzeih
mir.“
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Das Grafenpaar sah sich tief in die Augen und Breda spürte wieder diese
Verbundenheit zwischen ihnen, die ihn fast trunken machte, als Iwan plötzlich
enthusiastisch auf den Tisch hieb.
„Das ist es!“ rief der ältere Mann aus, worauf er fragende Blicke erntete. „Genau das
wird uns alle retten!“ Entschlossen richtete der Vampirjäger sich auf. „Ihr habt Recht
mit dem, was Ihr Eurer Gattin soeben gesagt habt“, erklärte er an Breda gewandt.
„Und genau diesen Zusammenhalt müssen wir uns zunutze machen. Andrej ist
alleine. Er ist stark, aber alleine, während wir“, er lächelte grimmig, „uns
aufeinander verlassen können. Vertrauen kennen die Nosferatu nicht, Liebe kennen
sie nicht. Und die Stärke, die wir dadurch gewinnen, die Entschlossenheit, das Leben
an sich wird uns zur Seite stehen.“ Er umrundete den Tisch und näherte sich dem
Grafenpaar.
Breda lächelte. „Wie sieht dein Plan aus?“
„Wir wissen, dass Andrej zurückkommt.“ Begann Iwan. „Wir wissen sogar, wann er
zurückkommt. Der goldene Sommer Transsylvaniens“, zitierte er die Nachricht, „Wir
werden, wie Nadja vorgeschlagen hat, ihm eine Falle stellen, für deren Aufbau wir
bis zum Ende des Sommers, wenn die Felder reifen, Zeit haben.“ Iwan sah sie
entschlossen an und Breda begriff.
„Wir werden ihn angemessen empfangen.“ Erklärte der Graf grimmig und hielt
Nadja, die sich in seine Arme schmiegte, fester.
„Für das Leben“, flüsterte sein Engel.
„Für Herbert.“ Flüsterte Breda zurück. „Für uns.“
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Frost an einem Sommertag
Sommer 1617
„Ich kann nicht zulassen, dass du dich in Gefahr begibst, Nadja!“ Breda von Krolock
fasste seine Frau sanft an den Schultern, doch sie entwand sich ihm und sah ihn mit
ihren grünen Augen entschlossen an.
„Ich war die ganze Zeit in Gefahr, Breda.“ Erwiderte sie. „Wir waren in Gefahr und
sind es immer noch!“
Der Graf seufzte. Sein Blick glitt über das Gesicht seines Engels, der einen weiteren
Schritt zurücktrat und ihn trotzig anblickte.
Es waren viele Wochen voller Vorbereitungen, Plänen und Vorsichtsmaßnahmen
vergangen, die er selber mit Iwan und auch mit seiner Frau, die keine Geheimnisse
mehr akzeptieren wollte, ausgearbeitet hatte. Dass er sich Nadja nun anvertrauen
konnte war für ihn, neben seinem Sohn, der mit seinem Lachen und den speckigen
Wangen jedermann entzückte und um den kleinen Finger wickelte, sowie mit seinen
Eigenheiten, die er ausgebrütet hatte, das ganze Schloss auf Trab hielt, das
Wertvollste für ihn. Und genau das war der Grund, weshalb er nicht zulassen wollte,
dass die beiden sich im Schloss aufhielten, wenn es soweit war.
„Mein Engel, ich –“
„Du wolltest keine Heimlichkeiten mehr vor mir haben.“ Unterbrach ihn sein Engel
flehend.
Er hob beschwichtigend die Hände. Zwar hatte er keinerlei Geheimnisse mehr vor
seinem Stern, doch sie nun daran zu erinnern, dass es keine Geheimnistuerei war,
wenn er sie zu Adrian nach Königsberg schickte, um sie in Sicherheit zu wissen,
erschien ihm als wenig sinnvoll. Vielmehr würde es ihre momentane Wut weiter
steigern. „Lass mich bitte ausreden“, bat er sie indessen und war erleichtert, dass sie
wartend innehielt. „Ich liebe dich, Nadja. Dich und Herbert. Ihr seid mein Leben. Ich
bitte dich um Verständnis, wenn ich dir sage, dass ich nur im Sinne eurer Sicherheit
handel, wenn ich euch fortschicke. Das Risiko, dass Andrej einen von euch verletzt,
ist mir zu groß.“
Nadja sah ihn traurig an. Ihre Hände strichen unruhig über den Stoff ihres
dunkelblauen Kleides. „Du verlangst von mir, dass ich dich verstehe, Breda. Das tue
ich, glaub mir. Aber ich möchte auch dein Verständnis haben. Auch ich sorge mich
um dich und Herbert und ich möchte ebenso wenig wie du, dass unserer kleinen
Familie ein Leid widerfährt. Ich kann nicht in der Ungewissheit leben, wie es dir
geht. Und wenn es soweit kommen sollte, dass wir“, sie schluckte hörbar, „dass wir
es nicht überleben, so möchte ich in diesen Stunden bei dir sein. Bei dir und
nirgendwo anders.“
Schnell trat Graf von Krolock einen Schritt auf seine geliebte Frau zu und schloss sie
in seine Arme. Wie immer überkamen ihn die Glücksgefühle, als er spürte, wie sich
ihr zarter, kleiner Körper an den seinen schmiegte und ihr Gesicht an seiner Brust
lag. Doch wie so oft in letzter Zeit wurde dieses Glücksgefühl von dem Schatten des
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nahenden Todes überragt. Seit dieser Nacht hatte er keine ruhige Minute mehr
gehabt. Immerzu hatte er die Vorsichtsmaßnahmen überprüft, die er und Iwan im
Schloss angebracht hatten. Immerzu machte er sich Sorgen, es könnte nicht genug
sein. Und immerzu quälte ihn das schlechte Gewissen, da er Nadja in diese Lage
gebracht hatte. Er strich liebevoll über die roten, hochgesteckten Locken und atmete
den Duft ihrer seidigen Haare ein.
„Ich verstehe dich besser, als du vielleicht denkst“, flüsterte er. „Aber ich habe
Angst. Zu viel steht auf dem Spiel und wenn wir versagen, verdammen wir damit
alle, die wir lieben.“
„Ich weiß“, Nadja schlang die Arme noch fester um ihn und so stand das Grafenpaar
festumschlungen in ihren Privatgemächern.
Plötzlich löste sich sein Engel von ihm. „Ich werde tun, was du verlangst“, erklärte
sie leise. „Aber versprich mir, dass dir nichts passiert.“
„Das kann ich nicht und das weißt du.“
Flehend sah sie ihn an und er ahnte, dass sie diesmal kein Nein akzeptieren würde.
Er nickte. „Ich verspreche es.“ Er hoffte nur, dass er dieses Versprechen würde halten
können und er erkannte dieselbe verzweifelte Hoffnung in Nadjas Augen.
Er dachte an alles, was sie in den letzten Wochen getan hatten. Knoblauch war
mittlerweile zum Leidwesen der meisten in jeder Nahrung wiederzufinden. Zwar
hatte Breda diesem Vorhaben zunächst skeptisch gegenübergestanden, doch Iwan
hatte ihm versichert, dass der Lauch seine Wirkung auf den Vampir nicht verfehlen
würde. Jeder einzelne Raum im Schloss war so präpariert worden, dass man einen
Vampir dort gefangen nehmen konnte. Die Vorhänge waren von den Fenstern
genommen worden, sodass die Sonne ungehindert die Zimmer erhellte, die Türen
waren verstärkt worden und in jedem Raum fanden sich Waffen, mit deren Hilfe sie
den Vampir überwältigen konnten. Viele der kleineren Zimmer des Schlosses waren
versperrt, sowie die Dienstbotengänge und mehrere selten benutzte Flure. Die
Tatsache, dass niemand wusste, wann Andrej genau wiederkommen würde und was
passieren würde, hatte ihnen alles erschwert, sodass sie sich auf jede mögliche
Wendung dieses Alptraumes vorbereiten mussten. Sollte der Vampir das Schloss
nun betreten, wäre sein endgültiger Tod hoffentlich besiegelt.
„Ich werde veranlassen, dass deine Koffer gepackt werden, mein Stern.“ Meinte
Breda, nachdem sie sich von einander gelöst hatten. „Ich möchte, dass du heute noch
aufbrichst. Je eher, du und Herbert außer Gefahr seid, desto besser wird es sein und
ich muss mich nicht länger mit den Ängsten quälen, dass euch etwas passieren
kann.“
Nadja nickte, doch sie sah ihm nicht in die Augen.
Er legte die Hand unter ihr Kinn, womit er sie zwang, seinen Blick zu erwidern.
In ihren Augen lag so viel Traurigkeit, aber auch so viel Liebe, dass Breda nicht
anders konnte, als sie zu küssen.
Sie löste sich ruckartig von ihm, als plötzlich Iwan den Raum betrat und mit
schnellen Schritten herannahte.
144
Bevor er etwas sagen konnte, sprach Breda: „Nadja wird mit Herbert heute noch zu
Adrian nach Königsberg fahren.“
Iwan nickte. „Das wird das Beste sein, aber vorher müssen wir alle hier im Raum
noch etwas besprechen, was von höchster Wichtigkeit ist.“ Das Grafenpaar sah ihn
fragend an, weshalb er sofort fortfuhr. „Wir haben bis jetzt alles in unserer Macht
stehende getan, um den Kampf für das Leben auszufechten. Wir haben Vorsorgen
getroffen, von denen wir hoffen, dass sie uns nützen würden und“, er lächelte bitter,
„wir glauben an das, wofür wir kämpfen.“ Er hielt inne und atmete einmal tief
durch, während sein Blick durch den Raum irrte und er nach Worten suchte, die
seine Gedanken am deutlichsten würden darstellen können.
„Sprich weiter, Iwan.“ Forderte Graf von Krolock unwirsch, als das Schweigen über
eine halbe Minute andauerte.
Nadja sah ihren Mann mit einem undeutbaren Blick an und legte dann sachte eine
Hand auf sein Herz.
„Verzeiht meine Langsamkeit, Exzellenz.“ Iwan verneigte sich leicht. „Ich denke, wir
sollten zur Sprach bringen, was im Falle einer Niederlage passieren sollte.“
Nadja zitterte kurz unmerklich und Breda spürte, wie auch in ihm die Angst vor
dieser möglichen Wendung des Schicksals einen Schauder heraufbeschwor. Doch er
erkannte ebenfalls, dass es unsinnig wäre, dies einfach so abzutun.
„In dieser Situation weiß ich, was zu tun ist.“ Sprach er mit heiserer Stimme.
Iwan blickte ihn ernst an. „Der Tod ist besser als die Verdammnis. Denkt immer
daran.“
Nadja sah von einem zum anderen. In ihrem Gesicht spiegelte sich das
Unverständnis. „Was soll das bedeuten?“ fragte sie nervös. „Iwan, was willst du
damit sagen? Breda?“ Sie blickte die beiden, schweigenden Männer an. Dann schien
ihr zu dämmern, auf welches Thema dieses Gespräch hinauslaufen sollte. Sie
erbleichte und krallte die Hand in Bredas Ärmel.
„Wenn einer von uns durch die Hand des Nosferatu stirbt, muss seine Leiche
gepfählt und verbrannt werden.“ Erklärte Iwan ruhig und sachlich. „Ansonsten stellt
derjenige eine Gefahr für uns alle dar. Und noch mehr, da die Vampire dann um
unsere Pläne wissen würden. Das darf unter keinen Umständen passieren.“
„Wie kann man von mir verlangen, dass ich im schlimmsten Falle meine Freunde,
Familie oder gar meinen Gatten pfähle?“ erwiderte Nadja panisch. „Das könnte ich
niemals!“
Breda umfasste sie sachte und küsste sie leicht auf die Schläfe. „Das wirst du nicht
müssen Nadja.“ Er blendete den Blick aus, den Iwan ihm bei diesen Worten zuwarf.
„Iwan oder ich werden das tun, falls“, er betonte dieses Wort stark, um Nadja seine
Zuversicht zu vermitteln, „einer durch einen Biss sterben sollte.“
Entsetzt sah sein Engel ihn an. „Wie könntest du jemanden pfählen, den du gekannt
und geliebt hast? Würdest du mich pfählen können, Breda? Ich möchte nicht zum
Vampir werden, aber könntest du es tun?“
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„Ich habe es bereits getan. Mein Vater …“ Die Erinnerungen an seinen Vater
überkamen ihn. Wieder holte ihn dieses schreckliche Gefühl ein und ein säuerlicher
Geschmack breitete sich in seinem Mund aus.
Mitleid sprach jetzt aus Nadjas Blick. „Du hast deinen eigenen Vater gepfählt?“ Sie
berührte ihn sachte an der Brust.
Breda sah sie an. „Ich musste es tun.“
„Dein Vater hatte sich mit Mächten angelegt, die zu groß für ihn waren und er hat
den Preis gezahlt.“ Iwan sah aus dem Fenster zur untergehenden Sonne.
Breda von Krolock schüttelte den Kopf. „Nein, den Preis für seine Taten hat er uns
aufgebürdet. Und das werde ich ihm niemals vergessen.“
„Er ist tot, Breda“, sein Engel strich ihm tröstend über die Hand. „Es nutzt nichts,
sich mit Vergangenem auseinander zu setzen. Wir sollten uns auf das Hier und Jetzt
konzentrieren, damit wir eine Zukunft haben können.“
Der Graf sah seinen Stern dankbar an und küsste sie kurz. „Du hast Recht, mein
Engel.“ Er blickte zu Iwan, der immer noch aus dem Fenster sah.
Die Sonne tauchte den Abendhimmel in zarte Töne und verwandelte die Landschaft
in ein Bild wie aus einem Traum.
Plötzlich straffte Nadja sich und blickte ihren Mann entschlossen an. „Wenn einer
durch den Biss eines Vampires stirbt, so werde ich nicht zögern, … ihn zu pfählen.“
„Du musst nicht –“ wandte der Graf ein, doch sie schnitt ihm das Wort ab.
„Was, wenn euch beiden etwas passiert? Dann bin ich die einzige Person, die es tun
kann. Und ich werde es tun, das verspreche ich so wahr ich lebe. Und ich möchte,
dass du dieses Versprechen ebenfalls ablegst, Breda. Für mich.“
Breda wusste nicht, wie er dieses Versprechen würde einhalten können. Alleine bei
dem Gedanken daran, wollte ihm schier das Herz brechen. Doch er wusste, er würde
es tun, alleine weil sie ihn darum bat. Weil er ihr nichts abschlagen konnte. Weil er
sie liebte.
146
Die Nacht beginnt
Die Kutsche stand bereit und die Koffer waren gepackt, als das Grafenpaar die
Treppe des Schlosses hinunterging.
Breda von Krolock drückte zuversichtlich die Hand seiner Frau, als diese zögerte. Er
wollte sich nicht von ihr trennen, insofern konnte er ihre Ängste verstehen, doch
schien es keine andere Lösung zu geben, wie er ihre Sicherheit und die ihres Sohnes
gewährleisten könnte.
Einer der Diener wuchtete soeben den letzten Koffer auf die dafür vorgesehene
Ablage, bevor er sich verneigte und sich zurückzog, sodass die beiden Liebenden
noch die wenigen Minuten vor der Abfahrt unter sich verbringen konnten.
„Ich liebe dich, Nadja“, Breda küsste seinen Engel sachte. „Und ich werde dich sofort
zurückholen, wenn all das hier überstanden ist.“
Nadja lächelte. „Das ist gut.“ Ihre Arme umschlangen ihn zu einem letzten
leidenschaftlichen Kuss.
Das Salz ihrer Tränen hinterließ einen bitteren Geschmack in Bredas Mund, aber er
durfte jetzt nicht schwach werden. Zu viel stand auf dem Spiel.
„Pass auf dich auf, Geliebter.“ Flüsterte Nadja.
Er verstärkte seine Umarmung. „Das werde ich.“ Er ließ sie los und trat einen Schritt
zurück. „Wir sehen uns bald wieder, mein Engel.“
Sie lächelte traurig. „Wenn nicht hier, dann anderswo.“
Diese Worte versetzten ihm einen Stich. Zu wahrscheinlich war es, dass einer von
ihnen dieses unfreiwillige Abenteuer nicht überleben würde. Er wischte eine ihrer
stillen Tränen mit dem Daumen fort. „In nur wenigen Wochen ist alles überstanden.“
Seine Stimme klang ungewohnt heiser, als wollten ihm die Stimmbänder versagen,
diesen Satz auszusprechen. Er beobachtete, wie Nadja in die Kutsche stieg und die
Amme ihr das kleine Bündel Leben reichte, das Herbert war, bevor die ältliche Frau
dazu stieg, sich Nadja gegenübersetzte und die Tür der Kutsche zugemacht wurde.
Graf von Krolock blickte dem Gefährt nach, bis es aus seinem Blickfeld verschwand.
Das letzte Bild von Nadja, die ihn durch das kleine Fenster in der Tür traurig ansah,
hatte sich unauslöschlich in seine Gedanken gebrannt. Er erneuerte seinen Schwur,
zu überleben und zu seinem geliebten Engel zurückzukehren, vor sich selber. Er
schwor es sich bei seinem Blut, bei dem Blut seiner Ahnen und bei dem
unveränderlichen Sternenhimmel, der über sie alle wachte.
Breda legte den Kopf in den Nacken, um zu eben diesem Himmel aufzublicken. Die
Sonne war noch nicht ganz untergegangen und doch konnte er schon den Mond
sehen, der voll am Himmel stand, darauf wartend, dass seine strahlende Gefährtin
sich von ihrer gemeinsamen Bühne verabschiedete und er still sein sanftes Licht
verbreiten durfte. Es waren die wenigen Minuten, die dieses ungleiche Paar
gemeinsam verbrachten. Sonne und Mond.
Zu gerne hätte sich Breda den romantischeren Aspekten dieses Anblicks gewidmet,
doch ohne Nadja schien ihm die Welt farblos und kalt, ohne Freude, ohne Gefühl.
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Desweiteren hatte die Nacht schon seit langem ihre beruhigende Ausstrahlung für
ihn verloren. Vielmehr schien sie ein Versprechen von Angst, Gefahr und Tod zu
sein. Die Ahnung einer ungewissen Zukunft für ihn, für Nadja, Herbert und den Rest
der Menschheit, der ahnungslos in die Dunkelheit blickte, im Vertrauen, schon in
wenigen Stunden wieder das Tageslicht zu sehen.
Könnte es doch wieder wie früher sein! Er würde alles dafür geben.
Die Sonne ging hinter den Baumwipfeln unter und Graf von Krolock begab sich
langsamen Schrittes wieder ins Innere des Schlosses. Er spürte die letzten schwachen
Sonnenstrahlen in seinem Rücken, als er durch das Tor trat und empfand plötzlich
das unerklärliche Gefühl, dass er diese tröstende Wärme viel zu selten gewürdigt,
viel zu wenig genossen hatte in seinem Leben. Er schüttelte schwach den Kopf. Nein,
mit diesen Gedanken würde er nicht gewinnen.
Sein Weg führte ihn zu seinem Arbeitszimmer. Während er durch die Gänge des
Schlosses schritt, weilten seine Gedanken bei den finalen Vorkehrungen, die noch zu
treffen waren und zusätzlich zu seiner Abschiedstrauer überkam ihn die
Erleichterung, Nadja und Herbert aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu wissen.
Und mit diesem Gefühl in seinem Inneren drückte er die Klinke herunter und öffnete
die Tür, hinter der sein Freund, zu dem Iwan in all der Zeit, die seit Aničkas Tod
vergangen war, geworden war, ihn schon erwartete.
Doch die Gestalt, die ihn hinter seinem Schreibtisch erwartete, war zu
hochgewachsen, zu sehr mit den Schatten des Raumes, der von keiner einzigen
Kerze erleuchtet wurde, verwachsen, als das es hätte Iwan sein können.
148
Schwerwiegende Folgen
„Breda von Krolock“, begrüßte ihn eine dunkle Stimme. „Ich bin erfreut, Euch jetzt
schon wiederzusehen.“ Kalter Spott mischte sich unter die Worte.
„Andrej“, der junge Graf blieb mitten in der Tür stehen, hin und her gerissen
zwischen dem Drang, zu fliehen und Hilfe zu holen, und der Pflicht, die ihm
unterstellten Menschen zu schützen und diesem Kampf endgültig ein Ende zu
setzen. Er bemühte sich, nicht zu dem Ort zu blicken, an dem er sorgfältig eine
Waffe verborgen hatte.
Umsonst, denn der Vampir lächelte spöttisch, bevor er das Geheimfach kurzerhand
aufbrach. „Ihr seht, Eure Bemühungen waren völlig umsonst, werter Graf.“ Aus
seinem Mund klang der Titel beinah wie eine Beleidigung.
Vielleicht war es das auch, dachte Breda. Vielleicht hatte der Jäger vor ihm diesen
Punkt seiner Existenz erreicht, in dem er, sich seiner eigenen Stärke und Macht
bewusst, nur noch Verachtung für seine Beute empfinden konnte.
„Habt Ihr wirklich gedacht, Eure Pläne würden mir verborgen bleiben?“ Abfällig sah
er den wehrlosen, jungen Mann vor sich an, dann lachte er plötzlich auf, sodass die
Eckzähne im Dämmerlicht blitzten. „Das habt Ihr tatsächlich, mein naiver Freund.“
„Kommt zum Punkt Eures Besuches“, brachte Breda zwischen zusammengebissenen
Zähnen heraus. Krampfhaft überlegte er, wie er wieder Herr der Lage werden
konnte, doch ihm wollte keine Lösung einfallen. Mit Trauer und Bedauern dachte er
an Nadja, die er erst vor einer Stunde mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen
weggeschickt hatte. Auch wenn er sie in der Stunde seines Todes gerne an seiner
Seite gehabt hätte, ihre Liebe für ihn gespürt hätte, so war er doch froh, sie in dieser
Situation in Sicherheit zu wissen. Weit weg von Gefahr und Tod.
Der Vampir trat zurück an den Tisch, sein kaltes Lächeln schien die Temperatur im
Raum sinken zu lassen. „Nicht so eilig. Euer Vater hatte es ebenso eilig und seht,
wohin es ihn gebracht hat.“
„Ihr habt kein Recht, über meinen Vater zu sprechen!“
„So?“ Andrej legte den Kopf leicht schief. „Ihr habt ihn endgültig getötet, aber nehmt
Euch dieses Recht heraus?“
„Er war mein Vater. Die Vampire haben ihn getötet, nicht ich. Spart Euch also eure
lügnerischen Worte!“ Grimmig sah Breda den Vampir mit zusammengekniffenen
Augen an. Wenn das Schicksal es so wollte, würde er jeden Moment die Gelegenheit
bekommen, sich für seine Familie zu rächen und dieses Übel von der Welt zu tilgen.
Seine Hand griff unter der Weste nach dem Holzpflock, den er stets bei sich trug,
seitdem er um die Vampire wusste. Wenn er es richtig anstellte, würde Andrej nicht
wissen, wie ihm geschah. Die Finger glitten über das kühle Holz, sein Zorn und seine
Angst beruhigten sich. In wenigen Sekunden würde es soweit sein.
„Nun, es sei wie es sei“, der Vampir wischte seine Antwort mit einer Geste fort.
„Deswegen bin ich nicht hier.“ Er wandte sich dem Fenster zu und sah in die Nacht.
Breda, der seine Chance gekommen sah, sprang auf den Vampir zu und hob den
Pflock.
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Im letzten Moment fuhr Andrej herum und hatte schneller, als das menschliche Auge
es beobachten konnte, Bredas Arm ergriffen, den er ihm auf den Rücken drehte,
sodass der junge Graf sich nicht im Stande sah, den Pflock weiter festzuhalten und
schmerzhaft das Gesicht verzog.
Mit einem Klappern fiel das Holz auf dem Boden und blieb dort still liegen.
Andrej stieß Breda mit einer Handbewegung von sich.
Keuchend blieb der Graf auf dem Boden liegen. Er schloss resignierend die Augen
und dachte an Nadja. Er hatte versagt.
Doch nichts geschah.
„Wie könnt Ihr es wagen?!“ schrie der Vampir zornentbrannt. „Dachtet Ihr wirklich,
es wäre so leicht? Habt Ihr vergessen, dass ich, im Gegensatz zu Euch, der Ihr erst
seit kurzem auf diesem Planeten wandelt, im Besitz von jahrhundertealten
Erfahrungen und Weisheiten bin. In meinem Blut fließt die Kraft tausender, naiver
Narr, der Ihr seid!“ Das Gesicht des Vampirs hatte sich voll Zorn in eine Maske
gleich einem Alptraum verwandelt, doch nun glätteten sich die Züge und machten
einer kalten Beherrschtheit Platz.
Breda, der immer noch auf dem Boden lag und das Gefühl hatte, den Tod gerade nur
um einen Millimeter verfehlt zu haben, richtete sich langsam auf. Sein Blick fiel auf
den Pflock der neben ihm auf dem kalten Stein lag.
Andrej bückte sich nach dem Holz und umspielte die scharfe Spitze mit den Fingern.
„Ich werde Euch dieses eine Mal verzeihen.“ Er legte den Pflock auf den Tisch und
streckte Breda die Hand entgegen. Wohl um ihm aufzuhelfen, doch der junge Graf
wich zurück und stand alleine auf. „Ihr wäret nicht der Mann, für den ich Euch halte,
wenn Ihr anders gehandelt hättet.“
Voller Abscheu und Hass erwiderte Breda den berechnenden Blick des Vampirs.
„Dann wisst Ihr auch, dass ich es wieder und wieder versuchen werde, solange ich
lebe.“
„Das weiß ich“, diese plötzliche Ruhe und das hinterhältige Lächeln ließ Breda
schauern. „Und ich werde es sogar riskieren, Euch dieses lächerliche Stück Holz
wiederzugeben.“ Meinte Andrej unerwartet, griff nach dem Pflock und warf ihn
kurzerhand Breda zu, der ihn erleichtert, aber auch sehr verwundert auffing und mit
festem Griff umschloss. Er unterdrückte ein grimmiges Lächeln. Andrejs Arroganz
würde ihn zu Fall bringen. Der Kampf für das Leben konnte nicht im Tod enden.
„Nun können wir zum eigentlichen Gespräch übergehen“, fuhr der Vampir fort und
setzte sich wieder hinter Bredas Schreibtisch. „Unsere Zusammenarbeit könnte um
einiges erleichtert werden, wenn Ihr Euren Hass ablegen könntet. Immerhin biete ich
Euch mehr, als Ihr Euch erträumen könnt.“
„Warum sollte ich darauf eingehen?“ entgegnete Breda von Krolock kühl. „Eure
Versprechungen bringen nichts als den Tod. Das ist wohl kaum etwas, was es sich zu
bestreben lohnt!“
Andrej fuhr mit den Fingern über ein kleines Portrait von Nadja, das Breda stets auf
dem Schreibtisch stehen hatte, uns am liebsten hätte der Graf dem Vampir das Bild
aus den Klauen gerissen und ihn sofort getötet.
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„Ich kann Euch nicht zwingen, Breda von Krolock“, meinte der Vampir, „Doch liegt
es mit großer Wahrscheinlichkeit in Eurem Interesse. Dass Eurer Frau und Eurem
Sohn kein Leid widerfahren.“
Breda packte den Pflock mit beiden Händen und trat drohend einen Schritt auf
Andrej zu. „Was wollt Ihr damit sagen? Nadja ist in Sicherheit! Ich habe sie
fortgeschickt!“
„Eure kleine Familie befindet sich in diesem Moment auf dem Weg zurück ins
Schloss.“ Erklärte Andrej ruhig.
Es waren keine weiteren Worte nötig, um Breda zu erklären, was dies bedeutete. Er
hatte Nadja in den Tod geschickt! Sie sollte sicher sein, doch er hatte den größten
Fehler seines Lebens begangen, als sie sich trennten. Wie sollte es jetzt weitergehen?
Konnte ein Sieg noch möglich sein, wo doch der Gegner über jeden ihrer Schritte
Bescheid zu wissen schien? Nadja würde nicht wollen, dass er aufgab, sie würde sich
sogar opfern, aber er konnte das nicht tun.
Resigniert ließ er den Pflock sinken. „Woher weiß ich, dass Ihr die Wahrheit
sprecht?“
„Ihr müsst mir wohl oder übel glauben, Graf.“ Andrej stellte das Bild zurück. „Seht
Ihr nun, dass es besser ist, meinen Argumenten zugänglicher zu sein?“
Breda schwieg. Was sollte er auch sagen? Was tun? Er hatte keine andere Wahl.
„Was wollt Ihr von mir?“
„Ihr werdet dieses Land mir und den meinen zu Verfügung stellen. Das schließt
Nahrung und Schutz vor dem Gesetz mit ein. Weiterhin werdet Ihr die Politik mir
überlassen.“
„Ihr wollt mein Amt.“
„Nein“, Andrej grinste höhnisch, „den Titel dürft Ihr behalten.“
„Weshalb? Warum mein Vater? Warum ich?“ Er erwartete nicht, darauf eine
Antwort zu bekommen und war umso überraschter, als Andrej entgegnete: „Dieses
Stück Land ist so abgelegen, dass es bei den meisten Menschen in Vergessenheit
geraten ist. Wenn wir erstmal unsere einstige Stärker in diesen unbekannten
Wäldern zurückerlangt haben, wird uns keiner mehr im Wege stehen.“
„Und dafür seid Ihr bereit, das Leben unzähliger Menschen zu zerstören.“ Murmelte
Breda mehr zu sich selbst. Dann sah er Andrej an. „Das ist abscheulich!“
„Was kümmern mich die Menschen“, lachte das Monster. „Sie richten sich früher
oder später selbst zugrunde! Niemand wird später mehr danach fragen.“
Breda dachte an all das Leid, das Andrej alleine schon über seine Familie gebracht
hatte. Natürlich würde später niemand mehr danach fragen, aber machte es das nicht
noch grausamer?
„Aber ich will Euch dennoch einen Tag Bedenkzeit geben, mein Freund.“ Lenkte
Andrej plötzlich ein. „Einen Tag, in dem Ihr über Eure Zukunft und die Eurer
Gemahlin nachdenken könnt.“ Er stand auf, öffnete die Tür und winkte zwei fremde
Männer herein, die offensichtlich schon länger vor der Tür auf den Befehl ihres
Meisters warteten. Die Fremden packten Breda unsanft an den Armen.
151
Der Versuch des Grafen sich aus dem eisernen Griff zu befreien endete damit, dass
einer der Männer ihm in den Rücken trat und ihn zu Boden schleuderte.
„Das werdet Ihr noch bereuen, Andrej!“ zischte Breda schmerzerfüllt. „Ich schwöre
es. Das Leid, das Ihr über meine Familie gebracht habt, wird nicht ungesühnt
bleiben!“ Er versuchte, sich aufzurichten, doch der Fuß in seinem Rücken presste in
weiter gen Boden.
Eine kalte Hand packte sein Kinn und zwang seinen Kopf nach oben.
„Ich denke nicht, dass Ihr in der Lage seid, Drohungen auszusprechen, Breda von
Krolock.“ Andrej gab den beiden Fremden ein Zeichen und der Graf wurde grob auf
die Beine gezerrt.
Ein stechender Schmerz ließ sein Knie nachgeben, doch er hielt den Kopf aufrecht.
„Das werden wir noch sehen.“
Andrej neigte den Kopf.
Dann wurde Breda aus seinem Arbeitszimmer gezerrt.
152
Im Kerker
Staubig, feucht und muffig war die Luft in diesem Loch von einem Kerker.
Sie hatten den jungen Grafen in eines der ältesten Verließe des Schlosses gesperrt.
Damit war er so weit abgeschnitten vom restlichen Schloss, dass ihn dort niemand
finden würde. Denn die alten Verließe lagen in einem abgeschotteten Winkel der
Kellergewölbe, die aufgrund der Einsturzgefahr nicht mehr genutzt wurden. Und
obwohl Andrej sich nicht einmal die Mühe machte, ihn bewachen zu lassen,
schwand Bredas Hoffnung auf Flucht mit jeder Minute, die verging.
Das Schloss war, wie er nach einigen Minuten vergeblicher Mühe festgestellt hatte,
fest und ausbruchsicher.
Sein Blick irrte durch die Zelle. Bei dem wenigen Licht blieb ihm der Anblick der
schimmeligen Mauern glücklicherweise erspart. Doch den Geruch von Rattenkot,
schimmeligem Stroh und modrig, feuchter Kellerluft konnte er nicht so einfach
ausblenden.
Noch nie hatte er sich so gedemütigt gefühlt wie jetzt, wo er ein Gefangener in
seinem eigenen Schloss war. In seinem Zuhause, dass er von Kindesbeinen an
kannte.
Er betete, dass Nadja und Herbert nicht ebenfalls in einer solchen Zelle saßen. Das
würde keiner von beiden lange überleben.
Er wusste längst nicht mehr, wie lange er bereits in dieser Zelle war. Er hatte
jegliches Zeitgefühl verloren und konnte nicht einmal sicher sagen, ob es Tag oder
Nacht war. Es kam ihm jedenfalls wie eine Ewigkeit vor, auch wenn sein Verstand
ihm sagte, dass es unmöglich mehr als einige Tage sein konnten.
Zu Essen hatte Andrej ihm nichts bringen lassen, doch die Magenkrämpfe hatten
wenigstens seit einiger Zeit aufgehört und nur ein Gefühl der Schwäche hinterlassen.
War es in dieser Situation noch verwunderlich, dass er nicht mehr auf ein glückliches
Ende hoffen konnte? Er hätte schon in normalem Zustand Andrej kaum besiegen
können, aber je weiter der Vampir ihn aushungerte, desto geringer wurden die
Chancen. Was bezweckte er damit? Konnte es für ihn nützlich sein, wenn Breda in
einem dreckigen Keller mangels Nahrung, Wasser und Hygiene starb?
Der junge Graf schüttelte den Kopf. Das hätte er sich nie träumen lassen, dass es so
enden würde.
Er schloss die Augen und dämmerte wieder in einen unruhigen Schlaf.
Das Umdrehen des Schlüssels schreckte ihn aus seinen dämmrigen Träumen auf und
sein Blick fiel sofort auf die Tür, die soeben geöffnet wurde.
Herein kam niemand anderes als Nadja, mit dem kleinen Herbert auf den Armen.
Ungläubig starrte Breda die beiden Menschen an, bis er verstand, dass es keiner
seiner Träume war, sondern die Wirklichkeit.
Wärme flutete sein Innerstes und erfüllte ihn bis in den letzten Winkel. Sie lebten. Es
ging ihnen, soweit man es in solch einer Situation sagen durfte, gut.
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„Nadja!“ Er sprang auf und machte einen Schritt auf seine Frau zu, die ihn traurig
ansah. Dann erblickte, er Andrej, der hinter den beiden stand.
Sofort versuchte er, Nadja und das Kind zwischen sich und den Vampir zu bringen.
Dieser ließ das sogar zu.
Am liebsten hätte der Graf seine Familie in die Arme geschlossen, gesagt, dass alles
gut war, und sie nie wieder losgelassen. Doch unter diesen Umständen beschränkte
er sich auf einen sorgsamen Blick, der ihm zeigte, dass keiner der beiden verletzt
war. Zumindest äußerlich nicht. Dann wandte er sich an Andrej. „Was wollt Ihr?“
„Immer noch dasselbe, wie vor 4 Tagen, Exzellenz.“ Antwortete der Vampir kühl.
Dann lächelte er. „Doch damit Ihr seht, dass ich kein… Unmensch… bin, dachte ich
mir, Ihr würdet Euch über eine kleine Familienzusammenführung freuen.“
Hasserfüllt sah Breda ihn an. „Lasst sie gehen!“
„Damit ich mein einziges Druckmittel verliere? Wohl kaum.“ Andrej schloss die Tür
hinter sich, sodass die drei Erwachsenen auf engem Raum in dem kleinen Kerker
standen. Es gab für die Grafenfamilie keinen Ausweg, als Andrej langsam auf sie
zukam. Sein spöttischer Blick streifte Nadja und das Kind, das sie in den Armen
hielt, bevor er sich wieder Breda zuwandte, während seine Finger über den groben
Kerkerschlüssel fuhren. „Ihr solltet bald zustimmen.“ Meinte er nach einem gespielt
mitleidigen Blick. „Ihr seht nicht gut aus. Diese Unterkunft und die Verpflegung
scheinen Euch nicht zu bekommen.“
Der junge Graf verkniff sich einen Kommentar zu der sogenannten Verpflegung und
beschränkte sich auf abwartendes Schweigen.
„Wenn Ihr Euch nicht entscheiden könnt, so wird Euch der Tod wohl die
Entscheidung abnehmen.“ Meinte der Vampir kalt und verzichtete auf weitere
Spielchen. „Ihr könnt nicht ewig hier ausharren. Schon jetzt hat der Hunger Euch
Eure Kräfte geraubt. Und solltet Ihr diesen Tod freiwillig wählen, so lasst Euch
gesagt sein, dass Eure kleine, glückliche Familie Euch innerhalb weniger Stunden
folgen wird.“ Er betrachtete den Schmutz und den Schimmel überall, der jetzt im
Fackellicht zu deutlich zu sehen war. Dann verließ er die Zelle und ging ohne ein
weiteres Wort.
Nachdem die letzten Schritte in der Dunkelheit verklungen waren, wagte Breda es
endlich, sich zu rühren. Ungeachtet seines momentanen äußeren Erscheinungsbildes,
schloss er Nadja in den Arm. Es fühlte sich so gut an, wie sich ihr zierlicher Körper
an den seinen schmiegte.
Die ersten Minuten sprach keiner von ihnen ein Wort. Zu kostbar waren ihnen die
gemeinsamen Minuten, um sie mit höflichen Begrüßungsfloskeln zu vertun.
Doch schließlich trat Breda einen Schritt zurück. „Nadja, hat er dir und Herbert
etwas getan?“
Sie schüttelte den Kopf. „Kurz nachdem wir das Schloss verlassen hatten, wurde die
Kutsche abgefangen und man hat uns zurück gebracht. Mich und Herbert hat man in
meine Gemächer gesperrt.“ Ihre Stimme brach. „Ich wusste nicht, wo du warst.“ Ein
Schluchzer entrang sich ihrer Kehle. „Ich hatte solche Angst, Breda.“
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Tröstend schloss er sie wieder in seine Arme bis sie sich beruhigt hatte. „Es tut mir so
unendlich leid, mein Engel.“ Flüsterte er. „Ich hätte dich nie wegschicken dürfen.“
Sein Blick fiel auf den schlafenden Herbert in Nadjas Armen. „Ist mit ihm alles in
Ordnung?“ fragte er besorgt.
Sie nickte. „Man hat uns nichts weiter getan. Aber… du…“ ihr Blick irrte durch die
Zelle und blieb schließlich wieder an ihm haften. „Wie geht es dir?“
Er lächelte schwach. „Besser als noch vor einer Stunde“, meinte er.
„Weich mir nicht aus!“ verlangte sie.
Der Graf seufzte. „Nachdem ihr weggefahren seid, bin ich in mein Arbeitszimmer
gegangen und dort auf Andrej gestoßen.“ Er zögerte, als er an die vergangene
Unterhaltung und an die Drohungen dachte. „Er will meine Unterstützung. Als ich
diese verweigert habe…“, er verstummte und dachte zornig an die Lage, in sie sich
jetzt alle befanden. Und er dachte an Iwan. Was war ihm zugestoßen? Hatte der
Vampirjäger sich noch retten können? War er tot oder saß er ebenso hilflos wie er
selber in einer Kerkerzelle fest? Er befürchtete, dass ihm die Antwort auf diese
Fragen nicht gefallen würde.
„Egal, was er tut, geh nicht darauf ein, Breda“, flehte Nadja.
Breda wandte das Gesicht ab. „Ich werde früher oder später keine andere Wahl
haben, mein Engel. Der Preis für den Widerstand ist zu hoch, als dass ich auch nur
darüber nachdenken könnte, ihn zu zahlen. Glaubst du ich könnte es ertragen, zu
wissen, dass ich euren Tod verschuldet habe?“
Sie griff nach ihm und zwang ihn, ihren Blick zu erwidern. „So ein Leben will ich
nicht führen und auf keinen Fall will ich, dass unser Sohn so leben muss. Wenn wir
alle sterben, können wir wieder zusammen sein, Breda! Ohne Hindernisse! Frei und
ungezwungen.“
Eine verlockende Vorstellung. Gewiss, aber dennoch zu traurig, zu schrecklich, um
sie in Betracht zu ziehen. Nadja war noch so jung. Und Herbert war erst wenige
Wochen alt. Ihr Leben zu beenden, bevor es überhaupt begonnen hatte, erschien ihm
wie ein Verbrechen. Ein Verbrechen, für das er keineswegs die Schuld übernehmen
wollte. Doch wie sollte er es umgehen? Früher oder später würde es so kommen. Er
war machtlos. Wie Andrej es gesagt hatte, blieb ihm schon jetzt nicht mehr als sein
Titel und seine Liebe zu Nadja. Er spürte, wie eine einzelne Träne über seine Wange
lief. „Nadja, ich -“
„Tu es für mich!“ flüsterte sie und küsste ihm sacht die Träne fort, so wie er es sonst
bei ihr tat.
Wie könnte er sich ihr widersetzen? Wie könnte er es nicht tun? Er war hin und
hergerissen zwischen Vernunft und Gefühl. Ja und nein. So viel hing von seinen
Entscheidungen ab. Dabei hatte er bis jetzt nur an Nadjas und Herberts Wohl
gedacht. Doch was würde mit den ganzen Menschen geschehen? Die Leute im Dorf?
Sie waren alle verdammt. Alle waren sie abhängig davon, wie er entschied.
In genau diesem Moment öffnete sich die Tür.
„Es tut mir leid, aber eure gemeinsame Zeit ist vorbei“, verkündete Andrej mit
genüsslicher Boshaftigkeit. „Ich hoffe, Ihr werdet bald zu einer Entscheidung
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kommen, Graf von Krolock.“ Er griff nach Nadja, die sich ihm mit einer ruckartigen
Bewegung entzog, worauf Herbert aufwachte und begann zu schreien.
Tränen liefen über das Gesicht der jungen Gräfin, als sie dennoch unsanft aus der
Kammer befördert wurde. Und auch dem Grafen ließ ein Tränenschleier die Sicht
verschwimmen. Wie konnte eine Kreatur auf dieser Erde so grausam sein?
Die Tür schloss sich mit einem Krachen.
„Breda!“ Nadja schrie auf.
Er hatte keine Wahl. „Ich tu es!“ rief er durch die schwere Tür und hoffte einen
Moment, dass der Vampir es doch nicht gehört hatte.
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Mit Blut besiegelt
Breda von Krolock stand wie ein Bittsteller vor seinem eigenen Schreibtisch,
während Andrej sich genüsslich im Stuhl zurücklehnte und ihn mit einem
bösartigen, katzengleichen Lächeln bedachte. Der Graf hielt dem Blick des Vampirs
aufrecht stand, versuchte, seine Demütigung und seine Angst zu überspielen. Er
hatte zugestimmt. Er hatte es nicht länger ertragen können, war schwach und
furchtsam geworden. Es gab kein Zurück mehr. Wahrscheinlich hatte es das nie
gegeben.
Natürlich hatten die scharfen Ohren des Vampirs ihn nicht überhört und was auf
seine eigene Zustimmung gefolgt war, würde er so schnell nicht vergessen.
Man hatte ihn aus der Zelle geführt und ihm erlaubt, sich zu baden und frische
Kleider anzuziehen. Er hatte sogar etwas zu essen bekommen, bevor er zu Andrej
geführt wurde. Und Nadja war die ganze Zeit bei ihm gewesen.
Sie hatte kein Wort gesagt, aber ihre Tränen hatten mehr verraten, als es Worte je
hätten tun können. Sie war verletzt, enttäuscht von ihm. Liebte sie ihn noch oder
würde sie ihm seine Schwäche nicht verzeihen können?
Er würde nun dafür sorgen, dass sie von diesem verfluchten Ort entkommen konnte,
während er versuchte, in seinem Leben zu retten, was noch zu retten war. Sie würde
sich nicht noch einmal freiwillig von ihm trennen, doch er würde ihr keine andere
Wahl lassen.
„Was wollt Ihr noch?“ fragte er Andrej müde, da der Nosferatu keine Anstalten
machte, etwas zu sagen.
„Vielleicht will ich mich nur an meinem Sieg ergötzen“, antwortete dieser hämisch.
„Vielleicht will ich auch sicher gehen, dass Ihr zu Eurem Wort steht.“
Hass loderte in dem jungen Grafen auf. „Ihr habt mir alles genommen, was mir
etwas bedeutet! Ihr habt eine gesamte Familie mit Eurer Bosheit und Euren Spielchen
vergiftet.“
„Was für eine drastische Wortwahl. Ihr habt Eure Frau und Euren Sohn.“
Er würde sich nicht auf diese Diskussion einlassen. Es gab nur eines, was er wissen
wollte. „Was wollt Ihr?“ Langsam und bedächtig sprach er jedes Wort einzeln aus.
„Nur meiner Veranlagung zum Sadismus nachgehen.“ Andrej fletschte die Zähne in
einem bösartigen Grinsen. „Wisst Ihr“, fuhr er dann fort, „es wäre für mich um
einiges einfacher gewesen, wenn Ihr gestorben wäret. Ich hätte ohnehin bekommen,
was ich wollte. So wie es jetzt ist, ist es vielleicht etwas mühselig, aber dafür um so
vieles interessanter.“
„Elender Bastard!“ zischte der Graf zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Ihr
hättet mich einfach töten können!“
„Das hätte ich“, stimmte Andrej ruhig zu. Plötzlich, schneller als Bredas Augen ihm
zu folgen vermochte, stand er hinter dem jungen Mann und drückte in einer einzigen
Bewegung seinen Kopf zur Seite bis der Hals frei lag. „Ich könnte es immer noch tun.
Ich sollte es tun.“ Sinnierte der Vampir. „Und ich werde es tun, wenn mir der Sinn
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danach steht. Vielleicht jetzt in diesem Augenblick, vielleicht in einer Stunde oder in
einer Woche. Wir haben alle Zeit der Welt“
Breda von Krolock spürte den harten Griff der klauenähnlichen Finger, den kalten
Atem an seinem Hals und fühlte die nackte Angst um sein Leben und um seine
Seele. Er hasste dieses Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein.
Kurz bevor er glaubte, die scharfen Fangzähne an der empfindlichen Haut seiner
Kehle zu spüren, ließ Andrej lachend von ihm ab.
Die Beine des Grafen gaben nach. Kraftlos ließ er sich in einen Stuhl sinken.
„Machtdemonstrationen sind beinah so köstlich wie das Blut einer jungen Frau.“
Lächelnd nahm Andrej wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. „Und so nützlich.“
„Nicht zu vergessen, unnötig.“ Langsam fand Breda seine Kraft wieder und
erwiderte den Blick des Nosferatu voller Verachtung. „Ihr habt gesiegt. Ich habe
verloren. Welche Befriedigung verschafft es Euch, einen am Boden Liegenden noch
weiter zu treten?“
Andrej lachte nur. „Ich wusste, es würde interessant mit Euch. Euer Herz ist so voller
Leben, Liebe, Stolz und Ehrgefühl, dass Ihr Euch, selbst nach allem, was geschehen
ist, nicht vorstellen könnt, wie es ist, ohne diese vermeintlichen Tugenden zu leben.
Das Leben ist dabei um so vieles wunderbarer, wenn einen kein Gewissen und keine
Moralvorstellungen, keine Konventionen mehr gefangen halten. Ich habe all dies
losgelassen und nicht schlecht dabei abgeschnitten. Doch meine Ehre ist mir dabei
nicht verloren gegangen.“ Drohend beugte er sich nach vorne und verströmte dabei
solche Gefahr, dass Breda sich zusammenreißen musste, um dem Fluchtimpuls
entgegenzuhalten. „Deshalb solltet Ihr es nicht wagen, diese infrage zu stellen. Ihr
schwachen Menschen könnt nicht verstehen, was einen Mann antreibt, der seit
Jahrtausenden auf dieser Erde weilt.“
Breda wollte es nicht verstehen. Auch wenn Andrej von seiner Ehre sprach, schien es
ihm wie ein makaberer Scherz, dass ein solches Ungeheuer dieses Wort überhaupt
im Mund führen durfte, ohne von einer überirdischen Macht dafür zur Rechenschaft
gezogen zu werden. Das Monster, das vor ihm stand, mochte einmal ein Mann
gewesen sein, er mochte sogar Ehre besessen haben, doch war diese, wenn nicht bei
seinem Tod, über die Jahre hinweg elendig verkümmert. Unwillkürlich fragte er sich,
was für ein Mensch Andrej einmal gewesen war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass
er jemals anders gewesen sein mochte – welche gute Seele konnte sich schon in so ein
Ungetüm verwandeln? -, doch war es nicht auszuschließen.
Er schüttelte innerlich den Kopf über sich selber. Welchen Sinn und Zweck konnte es
haben, jetzt über so etwas nachzudenken?
„Ich habe vieles gesehen, Breda von Krolock.“ Andrejs Blick rückte in die Ferne, als
sähe er etwas, was der Graf nicht sehen konnte. Längst vergangene Zeiten, Leben
und Tod, die Angst und den Hass seiner Opfer. Wer wusste das schon? „Vieles, was
sich selbst mir nicht erschließt, doch eines habe ich erkannt. Den Menschen gefällt es,
von Ehre zu sprechen, von Glück und Hoffnungen und einem erfüllten Leben. Sie
träumen davon und lassen sich ganz davon gefangen nehmen, aber wenn der
entscheidende Augenblick kommt, dann lassen sie ihn vorüber ziehen und
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verkriechen sich in dem Schmutz, aus dem sie einst hervorgekrochen sind.
Kleingeistig und feige, zögerlich und jede Gefahr abwiegend leben sie, bis der Tod
sie zu sich ruft.“
Es war ein düsteres Bild, was Andrej von der Menschheit malte. Düster, wahr und
doch erschreckend falsch.
„Ich werde mich nicht von solch einer Kreatur über Ehre belehren lassen. Auch wenn
Ihr, wie ich zugeben muss, mehr Größe beweist, als die meisten Menschen es je getan
haben. Jedoch fehlt auch Euch die Kraft, das zu nehmen, was Ihr begehrt.“
„Weil ich zu viel Rücksicht auf das Glück anderer nehme?“ entgegnete Breda scharf.
„Ich sehe nicht, was daran negativ sein soll.“
Andrej schien beinah betrübt ob dieser Reaktion, dann aber lächelte er hintersinnig.
„Ihr werdet es noch lernen.“ Mit diesen Worten sprang er dämonengleich über den
Tisch auf Breda zu und stieß den jungen Mann zu Boden.
Breda versuchte, den Vampir von sich zu stoßen. Er rammte ihm sogar das Knie in
den Magen und beantwortete das amüsierte Lachen mit einem Faustschlag mitten
ins Gesicht, ohne sich darum zu kümmern, dass dies den Vampir nur angriffslustiger
machte. Doch es schien, als würde Andrej seine Hiebe nicht mal wahrnehmen. Ja, als
würde dieser seine nutzlose Gegenwehr sogar noch genießen, bevor er sich blitzartig
wie eine Kobra niederbeugte und seine messerscharfen Zähne in Bredas Hals bohrte.
Dies war keine Machtdemonstration mehr. Er brachte ihn um!
Noch immer wand Breda sich in dem harten Griff des Nosferatu. Der scharfe
Schmerz und das Ziehen in seinen Adern, als das Blut gewaltsam seinem Körper
entrissen wurde, raubten ihm fast den Verstand und sein Sichtfeld verschwamm.
Seine Muskeln verweigerten ihm den Dienst und erschlafften.
Schier endlos zogen sich die Qualen hin bis Andrej von ihm abließ, obwohl es nur
wenige Sekunden gewesen sein konnten.
Blut färbte die Lippen und Zähne des Vampirs rot und troff ihm vom Kinn.
Sein Blut.
Breda versuchte, sich aufzurichten und sank kraftlos wieder zu Boden. Er fühlte sich
schwach wie ein Neugeborenes.
„Damit wäre unser Bund endgültig besiegelt.“ Mit dem Handrücken wischte Andrej
sich das Blut aus dem Gesicht.
Erst jetzt begriff Breda genau, was Andrej getan hatte und er erkannte die Folgen
dieser tödlichen Begegnung. Entsetzt griff er nach der Wunde an seinem Hals und
zuckte zusammen, als seine Finger das wunde Fleisch berührten. „Was habt Ihr
getan?“ Seine raue Stimme hörte sich seltsam fremd an. Er hustete, wobei ein
erneuter Schmerz ihm die Tränen in die Augen trieb.
„Ich habe dafür gesorgt, dass Ihr mich nicht mehr hintergehen werdet, Breda von
Krolock.“
Seine Gedanken schwirrten wirr durch seinen Kopf. Sie kreisten um Nadja, um
Herbert, sein eigenes Leben und das Grauen, welches ihm noch bevorstand. Trauer,
Angst, Sorge, Schmerz, alles verdichtete sich zu einem gewaltigen Ball aus Hass auf
dieses Ungeheuer, das genüsslich sein gesamtes Leben zerstört hatte. Wenn er sich
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durch den Blutverlust nicht so schwach gefühlt hätte, würde er sich schon längst auf
Andrej gestürzt haben. Ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben hätte er einen Weg
gefunden, ihn zu töten. Dessen war er sich sicher. Doch so… selbst das Atmen fiel
ihm momentan so schwer, dass er sich nicht einmal vorstellen konnte, aus eigener
Kraft aufzustehen. Auch wenn er es verabscheute, vor dem Vampir auf dem Boden
zu liegen, wie ein Stück Dreck.
„Bald schon werdet Ihr besser verstehen können.“ Es klang beinah tröstlich wie
Andrej es sagte. „Bis dahin könnt Ihr zurück auf Eure Gemächer wo Eure Gattin
sicher schon sehnsüchtig auf Euch wartet.“ Er lächelte bösartig.
Ein Eisklumpen bildete sich in Bredas Innersten. Nadja… Sie durfte nicht in seiner
Nähe sein! Nicht nachdem Andrej ihn gebissen hatte und er…
Er konnte diesen Gedanken nicht zuende verfolgen. Zu ungeheuerlich, zu grausam
erschien ihm, was nun geschehen würde. Und doch war ein Teil von ihm ruhig. So
ruhig wie schon lange nicht mehr. Dieser Teil hatte aufgehört, zu kämpfen und fügte
sich in sein Schicksal.
Nun hatte er die Gewissheit. Er würde sterben. Nicht irgendwann, sondern heute
oder morgen. Und Nadja, seine Nadja, würde alleine sein und vielleicht sogar ihrem
geliebten Gatten selbst zum Opfer fallen. Er wusste, dass er an dieser Tat zerbrechen
würde. Aber würde das Monster, zu dem er eben verflucht worden war, sich
überhaupt an sie erinnern oder sich darum kümmern. Die Vorstellung, dass er es
genießen könnte, sie umzubringen, machte ihn wahnsinnig. Dazu durfte es nicht
kommen!
„Ich werde gespannt zusehen, wie Ihr Euren Kampf endgültig verlieren werdet, Euer
Exzellenz. Ihr werdet sehen wie einfach es ist, die Gefängnisse der Konventionen
und des Gewissens zurückzulassen.“
Breda erwiderte diesen kalten Blick voller Hass und Abscheu. „Eher sterbe ich.“
Andrej lachte. „Nur Geduld. Dieser Wunsch wird sich schon bald erfüllen.“ Mit
diesen Worten wies er zwei seiner Männer, die kurz zuvor den Raum betreten
hatten, an, ihn hinauszubegleiten. „Seid nicht zu rau gegenüber unserem neuen
Verbündeten.“ Mahnte er die beiden lächelnd als sie Breda vom Boden hochhievten.
„Sonst könnte es euch bald schlecht ergehen.“
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Verfehlt
Unsanft war er in den Raum gestoßen worden und entkräftet auf dem Boden liegen
geblieben. Nadja war zu ihm geeilt. Er erinnerte sich daran, wie sie ihn mit Hilfe aufs
Bett gelegt hatte, wie sie das Blut von seiner Haut gewaschen hatte. Sein Blut. Er
erinnerte sich an ihre traurigen Augen und wusste, dass sie alles verstanden hatte.
Doch sprach sie es nicht aus, das Übel. Es hieß, wer das Übel beim Namen nannte,
hatte schon halb verloren. Er lächelte. Vielleicht war das der Fehler gewesen.
Vielleicht hätten sie einfach alle schweigen sollen.
Nein, mit Schweigen konnte man nichts aufhalten. Auch Nadja wusste das. Und
doch… er konnte sie nicht dafür tadeln. Nicht für ihre stummen Gebete, nicht für die
schwache Hoffnung, die immer noch in ihren Augen stand und besagte, dass ihm
nichts geschehen würde. Es war ja so viel leichter, zu verdrängen. Ja, es war das, was
die Menschen am besten konnten. Verdrängen. Vergessen. Weiter machen wie
bisher. Aber es würde nichts ändern.
Er spürte, wie ihre Finger warm auf seiner Haut lagen. Doch jetzt, wo sie alles getan
hatte, was sie hatte tun können, war die Berührung zögerlich, ängstlich.
„Breda?“ So viele Fragen lagen darin verborgen. Wie sollte er sie beantworten? Er
fürchtete die Wahrheit, konnte sie aber nicht verdrängen. Nicht solange er für sie zur
Gefahr werden konnte.
Langsam setzte er sich auf. Die Kraft kehrte langsam in seine Glieder zurück, der
Schock lähmte ihn nicht länger. „Nadja, Liebes, “ er schluckte, „erinnerst du dich an
unser Versprechen?“ Wie sehr er ihr das ersparen wollte! Iwan hätte es tun sollen,
doch Iwan war nicht da. Er wusste nicht, wo sich der ältere Vampirjäger aufhielt.
Entsetzen und Gewissheit lagen in ihren schönen, grünen Augen. „Ich…“, sie
schüttelte den Kopf, unfähig etwas zu sagen.
Er schloss kurz die Augen. „Mein Engel, ich verlange dies nicht leichten Herzens von
dir, doch es muss sein. Andrej hat dafür gesorgt.“ Er strich über ihre Locken und
liebkoste die zarte Haut ihrer Wange, die sich kurz in seine Handfläche schmiegte.
„Breda, du verlangst zu viel von mir“, flüsterte Nadja.
„Ich weiß“, flüsterte er zurück, dann zog er sie an sich ungeachtet seiner ruinierten,
blutigen Kleider. Tröstlich spürte er die Wärme ihres zierlichen, kleinen Körpers,
roch den süßen Duft ihrer Haut. Er verlangte von ihr, ihn zu töten. Obwohl, nein, sie
würde ihn nicht töten, das hatte Andrej schon längst getan. Nadja musste nur das
tun, was er bei seinem Vater hatte tun müssen. Und er hasste es. Wenn er könnte,
würde er sich den Pflock selber ins Herz rammen, anstatt seinen Engel damit zu
belasten und ihr Leben damit zu zerstören. Er wusste, sie würde danach nicht mehr
dieselbe sein, so wie er nicht derselbe sein würde, wenn die Situation verkehrt wäre.
„Du musst es nicht jetzt tun“, beschwichtigte er seine Frau.
Verwirrt und mit verweinten Augen sah sie zu ihm auf.
Er richtete sich entschlossen auf. Auch, oder gerade weil, er in einem geschwächten
Zustand war, so würde er immer noch gegen Andrej kämpfen. Er hatte nichts mehr
zu verlieren. „Nadja, ich werde sterben, aber vorher wird Andrej dem Tod
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entgegentreten. Er hält mich für besiegt. Ich selbst spüre den Blutverlust, doch
gleichzeitig bin ich jetzt im Vorteil. Er wird nicht mehr mit Gegenwehr rechnen.“
Erklärte er.
„Was willst du also tun?“ Müde strich sein Engel sich eine Locke aus dem Gesicht,
die ihr jedoch sofort wieder in die Stirn fiel. „Hat er nicht recht, wenn er uns für
besiegt hält?“
Ein müdes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Man hat nur dann wirklich
verloren, wenn man aufgibt, mein Stern. Andrej weiß es nicht, aber diese Gewissheit
ist alles, was mir noch bleibt. Wenn ich aufgebe, dann seid auch du und Herbert
verloren, doch wenn ich beschließe, zu kämpfen, gibt es für euch noch eine
Möglichkeit, dieser Hölle zu entkommen. Das ist alles, was ich mir noch wünsche.
Ich wünsche mir ein Leben für euch, wie ihr es verdient habt. Ohne dieses Leid und
die Qualen, ohne Angst vor der nächsten Nacht.“
„Ein Leben ohne dich“, sagte Nadja mit bitterer Stimme. „Ich weiß, Herbert verdient
das Beste, aber was ist mit mir? Wie kann ich leben, wenn dein Blut an meinen
Händen klebt?“
„Nicht an deinen“, unterbrach Breda sie sanft. „Es klebt an Andrejs Händen. Und er
wird dafür zahlen. Er wird sich für all dies verantworten müssen.“ Er erläuterte
Nadja seinen Plan.
Ruhig und nachdenklich hörte sie ihm zu, dann nickte sie knapp. „Ich werde dir
helfen. Nur“, zögerlich sah sie zu dem kleinen Kinderbett am Ende des Raumes, „Ich
will nicht, dass ihm etwas geschieht. Ich will nicht auch noch meinen Sohn verlieren,
wo ich doch dich schon verloren habe.“
„Es wird alles gut.“ Erneut schloss er sie in die Arme. Dann ging er zu dem Bettchen
hinüber und blickte auf das schlafende Kind. Ein tiefes Gefühl von Frieden und Liebe
überkam ihn bei dem Anblick seines Sohnes. Er stützte sich auf den Rand der Wiege,
bedacht, sie nicht übermäßig zum Schaukeln zu bringen und beugte sich vor. Er
hauchte einen zarten Handkuss auf die Stirn des Kindes. Und erschrak sich, als er
sah wie seine Hand dabei zitterte.
„Breda!“ Nadja zog ihn von dem Bett weg. „Liebster, du solltest dich vorher
erholen.“
Schweigend sah er sie an. Erholen? Er würde sich nie mehr erholen, doch es war
müßig, sie daran zu erinnern. Zweifellos sah er einer Leiche momentan nicht
unähnlich. Traurig schüttelte er den Kopf. „Hilf mir. Und dann flieh mit unserem
Sohn. Versuch nicht, mir zu helfen. Dafür ist alles zu spät.“ Er konnte ihren Anblick
nicht mehr ertragen und wandte sich ab.
Nadja legte die Arme von hinten um ihn. „Ich werde tun, was du verlangst. Das
verspreche ich dir.“ Sie trat vor ihn hin und reckte sich, bis ihre Lippen auf seine
trafen. „Ich liebe dich.“ Flüsterte sie mit Tränen in den Augen.
„Ich liebe dich, mein Engel“, flüsterte er zurück. „Und es tut mir so unendlich leid,
was geschehen ist.“ Dann versank die Welt um ihn herum in einem verzweifelten
Kuss, intensiver als jemals zuvor, bevor er sich langsam von ihr löste.
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Nadja straffte die Schultern, dann nahm sie eine der Blumenvasen und ließ sie auf
den Boden fallen, wo sie zersprang und Scherben und Wasser sich in alle Richtungen
verteilten. Ihre mitleidigen Blicke galten kurz dem so schändlich behandelten
Gesteck, bevor sie die Tür zum Flur öffnete. „Ich brauche Tücher und etwas zum
Aufkehren“, erklärte sie dem Mann, der vor der Tür Wache gestanden hatte.
„Seit wann wischt eine feine Dame ihren Dreck selber auf?“ höhnte dieser mit einem
Blick auf das vermeintliche Ungeschick.
„Du kannst dich sofort zu dem Dreck gesellen.“ Breda der außerhalb des Blickfeldes
des Mannes gestanden hatte, schlug ihn mit aller Kraft zu Boden. Zwar war der
Schlag nicht so kräftig, wie er es beabsichtigt hatte, doch reichte es aus. Lautlos ging
ihr Wächter in die Knie und blieb in den Scherben liegen, die ihm in die Handflächen
ritzten. Anscheinend war er alleine gewesen, da keiner folgte, um zu schauen, was
hier vor sich ging.
Breda nickte Nadja dankbar zu, dann verschwand er durch die Tür, wobei er sich
noch darüber wunderte, wie einfach das gewesen war. Hatte Andrej das
beabsichtigt? Hatte er… nein, er durfte nicht zu viel hineininterpretieren, sonst
würde er wahnsinnig werden!
Mit raschen Schritten ging er durch das dunkle Schloss. Keine Menschenseele
kreuzte seinen Weg. Glücklicherweise auch niemand anderes. Er ahnte, dass er
Andrej in seinem Arbeitszimmer finden würde, wo dieser sicherlich noch seinen
Triumph auskostete und die nächsten finsteren Pläne schmiedete.
„Ich ahnte, dass so etwas geschehen würde.“ Andrej stand mit dem Rücken zu ihm.
Dass er Bredas Eintreten gehört hatte, wunderte den jungen Grafen nicht. Er hatte
sich keine Mühe gegeben, leise zu sein.
In seiner rechten Hand ruhte ein Pflock und während Breda sich dem Nosferatu
näherte. „Ihr hättet besser daran getan, sicher zu stellen, dass dies nicht geschehen
würde.“
„Vielleicht.“ Immer noch sah Andrej ihn nicht an. Doch der Graf konnte die
Belustigung in seiner Stimme hören. „Doch so ist es für mich und für Euch
unterhaltsamer.“
„Unterhaltsamer…“ Bitter lag dieses Wort auf seiner Zunge.
Jetzt wandte der Vampir sich um. Doch entgegen Bredas Erwartung lag kein
Triumph in seinem Blick, keine Überheblichkeit oder Spott. Ernst sahen die kalten
Augen auf ihn und blieben kurz an dem Blut hängen, das an Bredas Kleidung
haftete. „Ein altes Spiel, das auf Eurem Rücken ausgetragen wird.“ Sagte er, als wäre
das Erklärung genug für all das Leid. „Glaubt nicht, dass Ihr noch etwas an dem
Verlauf der Geschichte ändern könnt.“
Entschlossen hob der Graf den Pflock. „Finden wir es heraus.“ Mit diesen Worten
schnellte er vorwärts.
Der Pflock bohrte sich in Andrejs Körper und dieser verkrampfte sich. Ein Röcheln
entkam seinem Mund und seine Hände krallten sich um den Pflock in seiner Brust.
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Breda wagte nicht, das Holz loszulassen, aus Angst, Andrej würde sich doch
irgendwie davon befreien. Doch in seinem Inneren brach der Jubel über den Sieg aus.
Er hatte es geschafft! Andrej war… seine Euphorie brach ab, als er den Vampir Blut
husten sah.
„Ihr seid nicht tot“, keuchte er entsetzt.
Der Nosferatu rang sich ein schmerzverzerrtes Lächeln ab. „Euer starker Wille
scheitert offensichtlich an Eurer Unfähigkeit. Ihr habt das Herz verfehlt. Und“,
erneutes Husten unterbrach ihn, dann fuhr er fort“, was wollt Ihr nun
unternehmen?“ Obwohl das Holz tief in seiner Brust steckte, konnte es doch den
Hohn nicht vertreiben. „Wenn Ihr neu ansetzen wollt, müsst Ihr den Pflock wieder
herausziehen. Und genau in diesem Moment werde ich Euch töten, Breda von
Krolock.“ Hass erleuchtete die kalten, blauen Augen.
Als Antwort drückte Breda noch mehr auf den Pflock und spürte wie die Spitze an
einem Knochen entlang schrappte. „Ihr seid geschwächt, Andrej“, entgegnete er
zwischen zusammengebissenen Zähnen.
„Ihr ebenso. Wie fühlt es sich an, zu wissen, dass man zu dem wird, was man am
meisten hasst auf dieser Welt?“
„Soweit wird es nicht kommen.“
Andrej lachte atemlos. Mittlerweile hatte er aufgehört, sich gegen den Grafen zu
wehren.
Und Breda wusste, dass der Vampir Recht hatte. Sobald er den Pflock neu ansetzen
würde, würde Andrej ihn töten. Der erste Schock war bereits überwunden und es
war nur noch eine Frage der Zeit. Er hätte sofort neu zustoßen müssen. Mit jeder
Sekunde gewann Andrej mehr Kraft zurück, während er sich vor Anstrengung
immer mehr verausgabte. Er musste es wohl darauf ankommen lassen. Oder
versuchen, den Pflock so, wie er jetzt in Andrejs Brust steckte, in eine andere
Richtung zu schieben. Er drückte ihn weiter nach oben.
Andrej keuchte. „Das wagt Ihr nicht!“ Erneut trat Blut über seine Lippen und ließ ihn
aussehen, als hätte er soeben getötet. Dabei würde er es jetzt sein, der starb.
„Wer sollte mich aufhalten?“ entgegnete Breda von Krolock grimmig.
„Ich.“ Erklang hinter ihm eine Stimme.
Breda blickte über die Schulter und sah in panische, grüne Augen. „Nadja!“
Sie wollte etwas sagen, doch der Mann hinter ihr, hielt ihr ein scharfes Messer gegen
die Kehle. Es war der Mann, den Breda vor kurzem niedergeschlagen hatte, wie er an
dem Veilchen erkennen konnte.
Tränen liefen seinem Engel über das Gesicht und an ihrem Hals war bereits eine
dünne rote Spur, aus der sich langsam ein roter Tropfen löste und ihren Hals hinab
rann bis zu ihrem Ausschnitt, wo er vom Stoff ihres Kleides aufgefangen wurde.
„Tötet Ihr mich, wird er Nadja töten“, klärte Andrej ihn über die neue Lage auf.
Voller Verzweiflung lockerte Breda den Griff um das Holz.
164
Neue Hoffnung
„Breda, achte nicht auf mich!“ schrie Nadja, als sie sah, wie ihr Mann die Hände vom
Pflock nahm. Dann schrie sie erneut auf, als das Messer den flachen Schnitt über
ihrer Kehle vertiefte und weitere Blutstropfen über ihre blasse Haut rannen.
Der Mann lächelte nicht, er zeigte gar keine Gefühle. Mit dem zweiten Arm hielt er
Nadja an der Hüfte umklammert und zog sie noch etwas an sich ran.
Breda biss die Zähne zusammen bei diesem Anblick. Es war mehr als er ertragen
konnte, seinen geliebten Engel von diesem Barbaren berührt zu sehen. Zu sehen, wie
die Klinge in ihre weiche Haut ritzte.
Nadja schluchzte nur noch leise.
Sie würde dafür sterben, wenn sie wüsste, dass er und Herbert in Sicherheit wären.
Für Herberts Sicherheit würde sie ihre eigene Seele aufs Spiel setzen. Und sie ebenso
verlieren, wie er es getan hatte. Auch wenn es ihm unendlich schwer fiel, Andrej
musste sterben! Dieses Elend musste ein Ende nehmen! Und wenn damit nur ihr Sohn
gerettet würde, dann sollte es so sein. Ja, das wusste er. Doch dies in die Tat
umzusetzen, fiel so unendlich viel schwerer. Wie könnte er sie umbringen? Doch…
wenn er nachgeben würde, dann wäre nicht nur ihr Leben sondern auch ihre Seele
verwirkt. Es war zu spät für eine Rettung…
Fast unbemerkt festigte er seinen Griff wieder.
„Denk darüber nach, was ihr tut, Exzellenz.“ Keuchte Andrej.
Breda sah ihn nicht an. Sein Blick verweilte bei seiner Frau. Er sah das
Einverständnis in ihren Augen, sah die Aufforderung, dem ein Ende zu machen.
„Das tu ich.“
Andrej schwieg. Dann, als der Nosferatu begriff, fing er an zu lachen. Er lachte im
Angesicht seines Todes. „Nun“, er hustete, „es ist mir gleich. Ihr werdet in dem
Gewissen leben, dass ich dennoch gewonnen habe.“ Er nahm die Hände zurück und
bot seine Brust nun offen dar. „Ich werde mich nicht mehr wehren. Stattdessen
werde ich den Gedanken genießen, dass Ihr sie sterben sehen werdet und dass Ihr
der Verdammnis nicht werdet entfliehen können. Sie wird nicht die erste sein, die Ihr
töten werdet. Bald schon, “ er wurde von einem krampfartigen Husten unterbrochen.
Frisches, rotes Blut benetzte seine Lippen. Er jetzt begriff Breda, dass er nicht das
Herz, aber die Lunge getroffen hatte. Doch wo jeder Mensch dran gestorben wäre,
zeugte bei dem Vampir nicht mehr als leichte Atemnot und das Aushusten von Blut
von der Verletzung, die sich ohne den Pflock schon längst wieder geschlossen hätte.
„Bald schon wird die Menschheit diesen Ort vollkommen verloren haben.“ Schloss
Andrej. „Und Ihr werdet es erleben. Ihr werdet es für mich genießen, Breda von
Krolock.“
Er konnte, durfte dem nicht länger zuhören. Wenn er noch länger warten würde,
würde ihm die Entscheidung abgenommen. Er würde sterben. Und Nadja würde
sterben. Es lag alleine bei ihm, ob sie beide ihren Frieden von allem Weltlichen
losgelöst finden würden. Es lag bei ihm.
Und er zögerte nicht länger.
165
Mit einem wutentbrannten Schrei riss er den Pflock aus dem geschundenen Fleisch
und stach erneut zu. Diesmal an der richtigen Stelle.
Er traf das Herz.
Und Andrej starb. Er starb mit diesem spöttischen Lachen, bevor er endgültig zu
Staub zerfiel. Die Tragödie hatte ein Ende gefunden.
Die Zeit schien still zu stehen.
Ein Windstoß durch das offene Fenster verteilte die Asche im Raum bis nichts
übrigblieb als die Erinnerung und der Tod, der sie beide erwartete. Doch ihr Sohn
würde leben. Er würde unbeschwert leben. Sicher würde Sylva sich um ihn
kümmern.
Durch die Tränen, die über Bredas Gesicht strömten, lächelte er. Ja, es war gut, dass
es zuende war. Es war gut so, wie es jetzt war. Sie würden beide ihren Frieden finden
und Andrej würde im Unrecht bleiben. Nie wieder sollte ein Vampir diese Mauern
heimsuchen!
„Breda…“ ein Flüstern.
Er sah seine Nadja an, seinen Engel, seinen Stern, sein Leben.
Der Mann hielt sie immer noch fest, ein grimmiges Lächeln umspielte seine
Mundwinkel. Er hatte gewartet. Er hatte gewartet, bis Breda zusehen würde. Ganz
langsam packte er das Messer fester und hob es leicht, um danach sofort zustoßen zu
können.
Nadja, seine tapfere Nadja, lächelte nur.
Wie gelähmt saß der junge Graf dort auf dem Boden und sah zu den beiden
Menschen auf. Andrej war tot. Nun sollte Nadja ihm folgen und bald darauf er…
Er schloss die Augen, wollte es nicht sehen, doch seine Ohren konnte er nicht
verschließen.
Ein leiser Schrei ließ ihn zusammenzucken, dann hörte er das dumpfe Aufschlagen
eines Körpers auf den harten Boden.
Nässe benetzte seine Wangen, ein lautloses Schluchzen entrang sich seiner Kehle und
er presste die Hände gegen den Boden, als wollte er sich an der Fläche festhalten.
Tot. Sie war tot. Wenn er die Augen öffnete würde er nur noch ihren leblosen Körper
sehen. Tot. Kalt. Leer.
Eine Hand berührte ihn sanft am Arm und er zuckte zurück.
„Ihr solltet aufstehen, wenn Ihr nicht bald in einer blutigen Pfütze sitzen wollt.“
Breda von Krolock öffnete die Augen und wollte zunächst nicht glauben, welcher
Anblick sich ihm bot.
Vor ihm am Boden lag der Mann, der Nadja hatte töten wollen, in seinem eigenen
Blut. Jemand hatte ihn von hinten erstochen, wobei sich die Überraschung in das
Gesicht des Toten eingegraben hatte. Sein Engel, nicht ganz unversehrt, aber
dennoch lebendig, stand neben niemand anderem als Iwan. Ungläubig schüttelte der
junge Graf den Kopf und folgte der Anweisung des Älteren. Seine Schuhspitzen
standen in der Blutlache, die sich weiter ausbreitete. „Iwan, … wie…“ Nur langsam
begriff er. Und dann schloss er Nadja in die Arme, die sich erleichtert an ihn drückte
und ihre Finger in seinen Rücken bohrte, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Doch
166
er konnte nur den älteren Vampirjäger anstarren, der so unerwartet zu ihrer Rettung
geeilt war.
Was für eine unerwartete Wendung. Er konnte es nicht glauben und doch spürte er
ihren warmen, lebendigen Körper an seinem. Fühle ihren Atem und ihre Tränen auf
seiner Haut.
Iwan lächelte freudlos. „Ein lange Geschichte, Exzellenz. Sicherlich zu lang für
Euch.“ Sein Blick blieb an der Wunde an Bredas Hals hängen, der unwillkürlich
zusammenzuckte und Nadja von sich fortschob. Einen Augenblick hatte er es doch
tatsächlich vergessen. Es war ein kurzes Glück, was ihnen beiden beschert war.
Schon bald würden Nadja und Herbert ohne ihn sein.
Auch Nadja hatte es verdrängt und nun, wo die Erinnerung wieder auf sie
einströmte und die Erkenntnis dessen, was jetzt folgen musste, wurde ihr Gesicht
starr wie eine Maske. Das rote Haar hob sich noch deutlicher von der blassen Haut
hervor und die Augen schienen etwas von ihrem Strahlen verloren zu haben.
Wahrscheinlich machte er selbst einen viel schlimmeren Eindruck.
Breda atmete tief durch, dann griff er nach dem Pflock, der unbeschädigt auf dem
Boden lag, wo er Andrej getötet hatte. Er hielt in Iwan schweigend entgegen.
Dieser schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht, Breda von Krolock. Ich habe vielleicht
etwas erfahren, was uns allen nützlich sein könnte. Insbesondere Euch.“
„Wovon sprichst du?“ Er verzog müde das Gesicht. „Alles was für mich noch
wichtig ist, ist dass Nadja und Herbert in Sicherheit sind. Und du weißt, was du
dafür tun musst.“ Ernst sah er seinen Freund an, doch dieser schüttelte sachte den
Kopf. „Ich erzähle Euch alles später, aber zunächst solltet Ihr wissen, dass ich eine
Möglichkeit gefunden habe, den Biss… rückgängig zu machen. Wir werden sehen,
ob sie funktioniert.“
Breda riss ungläubig die Augen auf. „Das ist nicht möglich! Iwan, ich bitte dich, geh
kein Risiko ein! Alles, was mich erwartet, ist der Tod und ich wünsche, diese
Erfahrung als Mensch zu machen. Bevor es zu spät ist!“
Nadja berührte ihn besänftigend an der Schulter. In ihren Augen spiegelte sich ein
Funke Hoffnung. Hoffnung, die wahrscheinlich wieder enttäuscht werden würde.
„Breda, was haben wir noch zu verlieren?“
Iwan lächelte. „Sie hat Recht. Was habt Ihr zu verlieren?“
Er lachte freudlos. „Ich habe nichts mehr zu verlieren. Aber Nadja. Ich möchte nicht,
dass sie das erleben muss.“
„Das wird vielleicht nicht nötig sein.“ Iwan zog ein Blatt Papier aus seiner Tasche.
„Wenn wir es sofort versuchen, habt Ihr eventuell noch eine Chance.“
Breda blickte zu Nadja.
Sein Engel lächelte hoffnungsvoll. Wie könnte er sie enttäuschen, wenn es eine noch
so geringe Möglichkeit gab? Denn sie hatte Recht: Er hatte nichts zu verlieren. Sein
Tod war sicher. Da konnte man vorher genausogut noch einen winzigen
Rettungsversuch wagen.
„Dann sollten wir uns beeilen“, stimmte er zu. „Der Biss ist nicht mehr frisch und ich
möchte nicht mit einem Mal die Kontrolle über mich verlieren.“
167
Iwan trat um die Leiche herum an den Tisch. „Nadja, wie viel Eures Blutes wärt Ihr
bereit für das Leben Eures Gatten zu geben?“
Sie antwortete ohne zu zögern: „Alles.“ Während Breda abwehrend die Hände hob
und zurück trat. „Ich werde nicht auf Kosten ihres Lebens gerettet werden!“
Iwan wandte sich um und Breda erkannte eine dicke Nadel in seiner Hand. „Es wird
nicht alles nötig sein. Ihr braucht einen Aderlass und unverseuchtes Blut.“
168
Ein Sommertag
Die Sonne schien warm und kräftig. Ihre Strahlen fühlten sich gut auf der Haut an.
Sie wärmten angenehm und machten ihn schläfrig. Ein ungewohntes Gefühl der
Behaglichkeit und des Glücks hatte sich in ihm breitgemacht, als wollte es ihn nie
wieder verlassen, und vertrieb die Anspannung des vergangenen Jahres.
Es war vorbei.
Es war endgültig vorbei.
Drei Tage waren seit Andrejs Tod vergangen. Heute Morgen hatte Breda
beschlossen, sich nicht mehr davor zu fürchten, plötzlich die Gier nach anderer Leute
Blut zu verspüren. Der Aderlass und die Bluttransfusion schienen ihn gerettet zu
haben. Er erinnerte sich noch an den Anblick, als Iwan ihm die Adern fachmännisch
geöffnet hatte. Er erinnerte sich an die Angst, die er dabei verspürt hatte. Die Angst,
dass der zusätzliche Blutverlust den Fluch noch beschleunigen würde. Doch nichts
war geschehen und nachdem Iwan Nadjas Blut in seine Adern geleitet hatte, hatte er
sich schon etwas besser gefühlt.
Er war so froh, dass ihr nichts geschehen war.
Eine zarte Hand strich ihm über die Stirn und er öffnete die Augen. Ein Lächeln
schlich sich auf seine Lippen, als er in die grünen Augen seines Engels blickte.
Sie strich ihm durch die dunklen Haare und verharrte in ihrer Bewegung, als sie die
grauen Strähnen in seinem sonst schwarzen Haar musterte. Eine Erinnerung an all
den Schrecken. Das silbrige Grau hatte sich unmittelbar nach dem Biss in das seidige
Schwarz geschlichen. Sie nahm eine der Strähnen und hielt sie gegen das Licht,
sodass sie beinah weißlich schimmerte. Er wusste nicht, was sie dachte, doch er
selber fühlte sich momentan so wohl, dass ihm die frühzeitige Alterung seines
Haares unwichtig erschien.
Die Sonnenstrahlen ließen ihre roten Locken feurig glänzen und umgaben sie wie
eine Aureole weißgoldenen Lichts. Leicht geblendet schloss er die Lider ein wenig,
woraufhin sie grinste, die graue Strähne fallen ließ und näher kam, sodass ihr
Gesicht nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war.
Er kam ihr ein Stück entgegen bis ihre Lippen weich und warm auf seinen lagen. Er
fühlte sich leicht, als er so in ihren Armen lag. Frei von Ängsten, von der
Vergangenheit. Er wüsste keinen Ort, wo er lieber wäre.
Seine Hand griff in ihre weichen Locken und er zog sie näher zu sich, bis sie beide
auf dem mit weichem Gras bedecktem Boden lagen. Die Halme kitzelten ihn im
Nacken, doch alles, was er wahrnahm, war die Frau an seiner Seite. Ihre zärtlichen
Hände schienen überall zu sein und setzten seinen Körper in Brand. Kurz erinnerte
er sich an das erste Mal in den Ruinen, wo sie beide noch voller Unschuld und
Unwissen gewesen waren. Damals waren sie der Sohn des Grafen und das
Bauernmädchen gewesen. Nichtsahnend von der Gefahr, die über ihnen geschwebt
hatte und voller Verliebtheit. Damals war ihr Bund geschlossen worden und
entgegen aller Ängste hatten sie die dunkelsten Monate ihres Lebens überstanden,
um daraus gestärkt hervorzugehen. Sie waren nicht mehr das süße Paar, das in der
169
Ruine das erste Mal die Scheu hinter sich gelassen hatte. Sie waren mehr. Graf und
Gräfin, Mutter und Vater, Liebster und Geliebte, Frau und Mann. So vieles hatte sich
verändert in der Zeit.
Atemlos ließ sie von ihm ab schob ihn ein Stück weit von sich. In ihren Augen
spiegelten sich noch immer die Leidenschaft und das Verlangen. „Vielleicht sollten
wir es langsamer angehen.“ Lachte sie atemlos.
Er grinste und zog sie zurück. „Angst, dass es mich noch überfordert, mein Engel?“
Sie rümpfte leicht die Nase und ließ ihren Kopf an seiner Brust ruhen. „Nein. Aber
ich kann immer noch nicht glauben, dass es so enden soll. Dass es vorbei ist. Ich habe
Angst, dass wir unser Glück zu schnell wieder verlieren, es verbrauchen. Wir sollten
es mehr zu schätzen wissen, Breda.“ Sie schmiegte sich an ihn und er strich liebevoll
über ihre roten Locken, die sich aus der Frisur gelöst hatten.
Er lächelte. „Es ist vorbei, Liebste. Und glaub mir, ich weiß jede Minute mit dir zu
schätzen. Der drohende Tod lässt einen erkennen, wie wertvoll und kostbar das
Leben ist.“ Er ließ den Kopf zurücksinken und starrte hinauf in den wolkenlosen
Himmel, der im Westen schon rotgolden schimmerte. „Du musst es festhalten“,
murmelte er wie zu sich selber.
Sie setzte sich auf und sah ihm ins Gesicht. „Ich wollte dich nicht in melancholische
Stimmung versetzen.“
„Das hast du nicht.“ Er lächelte leicht, setzte sich auf und legte den Arm um seinen
Engel. „Ich bin glücklich.“ Flüsterte er in ihr Haar hinein. „Ich bin glücklich, dich als
Frau zu haben, deine Liebe erleben zu dürfen. Ich bin glücklich, dass du mir einen
gesunden Sohn geschenkt hast. Ich bin glücklich, dass du lebst. Dass wir beide leben
und hier sitzen.“
Sachte zog sie ihn wieder in eine liegende Position bis sie beide nebeneinander in
den Himmel sahen. „Ich bin auch glücklich.“ Stimmte sie ihm zu. „Glücklich, dass
du lebst. Du ahnst ja nicht, was ich für eine Angst hatte, als du…“ sie sprach nicht
weiter und er drückte ihre Hand, die in seiner lag.
Schweigend lagen sie im Gras und genossen die Nähe des anderen. Es waren keine
weiteren Worte nötig. Sie lebten, sie liebten, sie waren eins, solange der andere da
war.
Breda von Krolock lächelte. „Ich liebe dich, Nadja.“ Er schloss die Augen. „Ich liebe
dich so sehr.“ Murmelte er und spürte, wie eine seltsame Schwere über ihn kam. Er
war so müde. Müde und glücklich. Wahrscheinlich war es noch eine Nebenwirkung
des Aderlasses.
Nadjas Wärme neben ihm war tröstlich, als er in einen tiefen, traumlosen Schlaf glitt.
Die Dunkelheit drang von allen Seiten auf ihn ein und drohte, ihn zu überwältigen.
Er meinte, Stimmen zu hören. Sein Vater, der ihn daran erinnerte, dass er adligen
Geblüts war und seine Zeit nicht bei den Bauern verschwenden sollte, seine Mutter,
die ihm zurief, er solle fliehen und dem ein Ende setzen, solang er noch konnte.
Sylva versuchte, Nadja von ihm fernzuhalten.
Iwan erzählte ihm von den Vampiren.
170
Gravil warf ihm vor, ihm seine Braut genommen zu haben.
So viele Menschen…
Und Nadja… Ihr enttäuschter Blick, nachdem er aufgegeben hatte, zu kämpfen.
Im Hintergrund dieses Chores erklang Andrejs Lachen. Der siegessichere Teufel.
Die Stimmen verstummten und er spürte wieder die Welt um sich herum.
Ein Schrei erklang. „Breda!“
Er lächelte. Schon jetzt fühlte er sich viel besser. Ihre Nähe machte alles besser. Doch
warum hatte sie geschrien?
„Breda?“ Ihre Stimme klang fragend und ängstlich. Was jagte ihr jetzt noch Angst
ein? Er wollte ihr erzählen, dass alles gut war, doch irgendetwas stimmte ganz und
gar nicht. Er konnte sich nicht bewegen. War das ein Traum? Es musste so sein.
„Breda?“ Ein Schluchzen begleitete seinen Namen und er spürte, wie sie ihn an der
Schulter rüttelte. Erst vorsichtig, dann stärker. „Wach auf!“ Schrie sie ihm ins
Gesicht.
Er war doch wach. Es war doch alles… gut… oder?
Wieder packte ihn die Dunkelheit und er glitt in die Schwärze.
Er wachte mit einem Schrei auf und setzte sich auf. Sein Atem ging keuchend und
unregelmäßig. Etwas fehlte. Bevor er überlegen konnte, was es war, schlangen sich
zwei dünne Arme um ihn und er wollte zuerst zurückweichen, bis er begriff, dass es
sein Engel war, der sich auf ihn geworfen hatte. „Nadja?“
Sie weinte.
Er schob sie ein Stück von sich weg und betrachtete ihre verquollenen, roten Augen,
die zerzausten Haare, die gerötete Haut und ihren schlanken, wohlgeformten Hals.
Was war geschehen? Er hatte doch nur geschlafen, auch wenn er sich jetzt etwas
seltsam fühlte. Nicht erholt, sondern… ausgelaugt? Nun, was war von einem
Nickerchen auf dem harten Boden schon zu erwarten?
„Breda, ich dachte…“ sie begann wieder zu weinen und warf sich nochmals in seine
Arme. „Du warst wie tot!“
Er fing sie auf und hielt ihren zitternden Körper umklammert. Seine Gedanken
rasten. Was hatte sie zu dem Glauben veranlasst, ihm wäre etwas geschehen? Er
hatte geschlafen. Er hatte schlecht geschlafen, doch er war nicht tot. Er fühlte sich nur
so… seltsam. Und er hatte Hunger.
Jetzt wo er diesen Gedanken gedacht hatte, wollte er ihm nicht mehr aus dem Kopf
weichen. Er beherrschte sein Denken. Hunger. Gott, er fühlte sich als hätte er seit
Tagen nichts mehr gegessen.
Im Hintergrund hörte er ein Pochen, was den Hunger noch verstärkte. Was war das?
Ein stetiges, dumpfes Klopfen ähnlich einem Herzschlag.
Verwirrt schüttelte er den Kopf.
Ihre Wärme war ihm noch bewusster als sonst. Sie drang in seinen Körper,
vernebelte ihm die Sinne und entfachte ein ungebändigtes Verlangen in ihm. Ohne
dass es ihm bewusst war, packte er sie so fest, dass sie sich nicht mehr rühren
konnte.
171
„Breda?“ Ihren Protest erstickte er im Keim. Gott, er hatte solchen Hunger! „Breda!“
Sie hieb mit ihren zarten, kleinen Fäusten gegen seine Brust. Das Klopfen im
Hintergrund war zu einem hektischen Galopp geworden, der ihn in einen Strudel
aus Verlangen und Gier riss. Er näherte sich ihrem Hals und berührte die weiche
Haut mit seinen Lippen.
Nadja schrie. Warum schrie sie?
Er spürte wie er mit einem Zahn durch die dünne Haut an ihrem Hals stach. Was …
?
„Du warst wie tot!“ hörte er ihre Stimme in seinem Kopf und Grauen erfasste ihn. Das
konnte nicht sein! Das durfte nicht sein!
Ein winziger Tropfen Blut trat aus der kleinen Wunde und blieb an seinen Lippen
hängen.
Reflexartig fuhr er mit der Zunge darüber.
Und seine Welt explodierte in Rot.
172
Epilog
Transsilvanien, 1980
Ein roter Mond stand über den dunklen Tannenwäldern der Karpaten. Ein
Unglückszeichen. Eines von tausenden.
Er stand am Fenster der Bibliothek und sah in die Nacht hinaus. Seine Gedanken
schweiften durch die vielen Erinnerungen an längst vergangene Tage. Es war ein
ständiger Kreislauf. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr wiederholte sich
sein persönlicher Alptraum. Normalerweise verdrängte er diese Gefühle, schob sie
beiseite, da er es nicht ertragen konnte, doch ganz aufgeben mochte er sie nicht. Zum
Einen waren sie ein Teil von ihm, zum Anderen hatte er es nicht verdient, den
einfacheren Weg zu gehen. Vergessen wäre einfach. Aber er wollte nicht vergessen.
Also erlebte er, wie jedes Jahr an diesem Tag, diesen einen Moment aufs Neue. Den
Verlust seiner Seele, seines Lebens, seiner Liebe.
Nadja.
Er selbst hatte sie getötet.
Es hatte ihn zerbrochen.
All das Unglück, was zuvor geschehen war, hatte er überstanden. Durch sie.
Doch dieser eine Sommertag hatte alles verändert.
Er verdiente es zu leiden. Er verdiente es, immer wieder diesen Schmerz des
Verlustes zu durchleben. Den Schmerz seiner Schuld, die nie von ihm genommen
werden könnte.
Er hätte es geschafft, wenn sie noch da gewesen wäre, davon war er überzeugt. Er
hätte es geschafft, nicht in diesen Abgrund aus Blut, Schmerz und Gier zu stürzen.
Irgendwie hätten sie eine Lösung gefunden.
Der Verlust seiner Menschlichkeit, seines Selbst war nicht durch den Biss und die
Verwandlung entstanden. Er fühlte noch. Er fühlte viel zu viel.
Sein Blick schweifte in vergangene Zeiten.
Das rote Elixier füllte seinen Mund und floss seine Kehle hinab. Noch nie in seinem Leben
hatte er so etwas gekostet. Leben, das pure Leben in seiner reinsten Form. Seine Welt
konzentrierte sich auf dieses, nahm nichts anderes mehr wahr. Es gab nur ihn und diese
lebendige –
Ein schriller Schrei holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Bewegung in seinen Armen, ein
schwaches Wehren, ein Protestieren und das Salz der Tränen, das sich mit dem Blut mischte,
brachten seine Erinnerungen zurück.
Er war mit Nadja auf ihrer Lichtung im Wald. Er hielt sie im Arm. Er… konnte nicht
aufhören.
Der Schrei verebbte, der zierliche Körper in seinen Armen wurde schlaff und kraftlos.
Er hatte auf dem Waldboden gesessen, ihren toten, kalten Körper in seinen Armen,
während ihr Blut durch seine Venen rauschte.
173
Er fühlte sich leer. Hohl und leer. Ein Zustand, der ihn durch die Jahrhunderte
begleitete.
Er hatte sie dort liegen gelassen und war einfach gegangen. Es hatte ihn nicht
gekümmert! Die Kreatur, das Monster war befriedigt gewesen und er selbst zu
keinem klaren Gedanken in der Lage.
Seine Hände verkrampften sich in hilfloser Wut und Selbsthass.
Auf seinem Weg zurück ins Schloss war er Iwan ausgewichen.
Danach hatte er keinen der beiden jemals wiedergesehen.
Der Vampirjäger hatte seine Nadja vor der Ewigkeit bewahrt und war danach
verschwunden. Wahrscheinlich hatte auch er einsehen müssen, dass es Dinge gab,
gegen die man sich nicht wehren konnte. Der unabänderliche Lauf der Welt.
Die folgenden Jahre waren ein aufeinanderfolgen von Tod, Gier und Leid, bis kein
Mensch mehr im Schloss lebte. Das Kind, das Einzige, was ihm von Nadja geblieben
war, hatte er weggeschickt. Weit weg, wo der Junge ohne diese Verdammnis
aufwachsen konnte. Die letzte menschliche Tat in seiner Existenz.
Doch hatte sein Sohn der Vergangenheit genauso wenig entfliehen können, wie er
selber.
An einem Winterabend hatte er vor den Toren des Schlosses gestanden. Ein junger
Mann, noch keine dreißig, auf der Suche.
Er war entschlossen und unwissend in seinen Untergang gelaufen, die grünen
Augen seiner Mutter voller Hoffnung, dann voller Schrecken, war er in den Armen
seines Vaters gestorben.
Eine weitere Tod, der der von ihm verschuldet war.
Doch Herbert kam mit diesem Unleben besser zurecht als sein Vater. Er schaffte es
auf seine unglaubliche Art, sich selbst treu zu bleiben, was wahrscheinlich unter
anderem daran lag, dass er nicht die Schuld am Tod seiner Familie trug.
Doch in den letzten Jahren hatte sich etwas verändert. Herbert war ruhiger als sonst,
nachdenklich und zurückgezogen, was so gar nicht zu ihm passen wollte, und seit
einer Woche war er verschwunden. Nicht mehr als einen Zettel mit den Worten Ich
bin bald zurück hatte er hinterlassen.
Der Graf sah besorgt auf den langsam verschwindenden Mond. Und er hoffte, dass
es seinem einzigen Sohn gut ging. Mittlerweile war er das Einzige, was ihn noch
hielt. Seit langem spielte er mit dem Gedanken, dem allem ein Ende zu setzen. Nur
Herbert und das Wissen darum, dass er, der Graf, es nicht verdiente, seinen Frieden
zu finden, hielten ihn davon ab, diese Pläne zu realisieren.
Der Mond verblasste in der leichten Morgendämmerung immer mehr und noch
immer stand Graf von Krolock am Fenster der Bibliothek.
Schon der schwache Schimmer brannte in seinen Augen und auf seinem Gesicht,
doch er wandte sich nicht ab. Noch ein paar Minuten würde er ausharren.
Noch ein paar Minuten –
„Vater?“ Herberts Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken.
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Breda lächelte. „Du bist zurück.“ Er verbannte das Lächeln wieder von seinem
Gesicht, zog endlich die Vorhänge zu und drehte sich zu seinem Sohn um.
Und er erstarrte, als er in zwei Paar grüne Augen blickte.
„Hallo, Breda.“
Ein sanftes Lächeln umspielte weiche Lippen und spiegelte sich warm in diesen
leuchtenden, grünen Augen wieder.
Eine einzelne, kalte Träne rollte über seine Wange.
„Nadja.“
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