Kritiken zu Terézia Mora "Das Ungeheuer"

Werbung
1
Buchempfehlungen Oktober - Terézia Mora: "Das
Ungeheuer"
Was Darius für eine glückliche Ehe hielt, wird in Terézia Moras Roman "Das
Ungeheuer" dramatisch revidiert. Seine Ehefrau erhängt sich und er erfährt, dass sie an
einer starken Depression litt. Mit ihrer Urne macht er sich auf den Weg in ihre Heimat
Ungarn und zieht immer weiter auf der Suche nach ihrer und seiner Erlösung.
"Das Ungeheuer" ist eine Fortsetzung von "Der einzige Mann auf dem Kontinent" (2009),
dem erfolgreichen Roman über Darius Kopp, den übergewichtigen, glücklosen Informatiker
mit seiner großen Liebe zu seiner deutsch-ungarischen Ehefrau Flora. War der Roman eine
milde Satire auf die tragikomischen Katastrophen der IT-Branche mit einem Helden, der sich
gegen die Ansprüche der kapitalistischen Arbeitswelt mit charmanter Renitenz zur Wehr
setzte, so zeigt der Fortsetzungsband nun die tragische Unteransicht von Kopps
oberflächlichem Leben, insbesondere seinem Eheleben. Was Darius Kopp für eine glückliche
Ehe hielt, wird im neuen Roman dramatisch revidiert. Wie sich nun zeigt, hat sich Kopps
Ehefrau Flora im Wald erhängt.
Zu Beginn des Romans arbeitet sich Darius nach einem zehnmonatigen Totalabsturz in
Trauer, Alkohol und Verwahrlosung aus seiner Depression heraus und stellt sich den
Tatsachen. Er hat seine Frau, seinen Job und seine Wohnung verloren, seine Ersparnisse
gehen zu Ende. Er hat entdeckt, dass Flora, die nie über ihre Vergangenheit sprach, auf ihrem
Laptop ein ungarisches Tagebuch führte; er hat die Dateien übersetzen lassen und stellt nach
der Lektüre fest, dass er seine Frau gar nicht gekannt hat.
Er wusste nichts über ihr Vorleben, und er ahnte nichts von ihrem seelischen Zustand in den
neun Jahren, in denen er sich mit ihr glücklich wähnte und auch sie für glücklich hielt. Doch
Flora "hatte ein Parallelleben", wie ihre Tagebuch-Aufzeichnungen enthüllen - und dort
lauerte das Ungeheuer, eine unheilbare seelische Erkrankung.
Sein eigenes Leben neu erzählen
Die Lektüre ist für Darius ein Schock, sie kehrt in seinem Leben das Unterste zuoberst. Er
muss sich sein eigenes Leben völlig neu erzählen. Er packt Floras Urne ins Auto und macht
sich auf die Spurensuche nach der Herkunft seiner Frau in ihrer Heimat Ungarn. Von dort
lässt er sich weitertreiben - durch den Balkan nach Albanien, in die Türkei, bis nach Georgien
und Armenien. Zuletzt wird er Floras Urne im Ätna bestatten.
Der Roman ist typografisch horizontal zweigeteilt in eine obere und untere Hälfte. In der
oberen Hälfte wird Kopps Abenteuer-Reise mit Urne erzählt, ein Mix aus Road-Novel und
Kopps Rekapitulation seines Lebens mit Flora im Lichte seiner neuen TagebuchErkenntnisse. Die untere Hälfte besteht aus Floras Tagebuchaufzeichnungen: Sie offenbaren
ihre verheimlichte Unterwelt tiefer Seelennot in den Krallen des Ungeheuers, einer
chronischen manisch-depressiven Psychose.
Der Roman ist als große Lebensrevision angelegt: Zweierlei Erinnerungen, zweierlei
Wahrheiten, zweierlei Versionen einer Ehe stehen gegeneinander. Setzt sich in der oberen
Hälfte trotz aller Düsternis Moras berühmter quecksilbriger und temperamentvoller Erzählton
immer wieder durch, so liest sich die untere Hälfte als Text-Chaos aus ErinnerungsFragmenten und Bewusstseins-Splittern, auch stilistisch das Abbild einer gequälten,
2
zerrissenen und zerfallenden Seele. Tiefer ist Terézia Mora noch nie in die Abgründe
hinabgestiegen, um die Bodenlosigkeiten heutigen Lebens auszuloten.
Besprochen von Sigrid Löffler
Terézia Mora: Das Ungeheuer
Der einsamste Mann auf dem Kontinent
06.09.2013 · Erst ein komischer, dann ein tragischer Held. Kann das gutgehen? Terézia Mora
setzt mit „Das Ungeheuer“ ihr großes Romanprojekt um den IT-Spezialisten Darius Kopp
fort.
Von Hubert Spiegel
Der Blick in den Spiegel gebiert Ungeheuer: „Die Kreuzung zwischen einem blonden,
stupsnäsigen Jungen Mitte 40 und einem Reptil. Tränensäcke, Kehllappen. Ich sehe versoffen
aus. Was ich auch bin. Geliebte, Geliebte, Geliebte...“ So klingt die verkaterte Morgenklage
des Darius Kopp: das heisere Krächzen eines gescheiterten Lebenskünstlers mit Laptop, der
als gerupfter Trauervogel in der Asche seiner Niederlagen hockt. Arbeitslos, verwitwet,
versoffen, verwahrlost. Ein Wrack von einem Mann.
Als vor vier Jahren Terézia Moras zweiter Roman erschien, war Darius Kopp noch „Der
einzige Mann auf dem Kontinent“, wie der Romantitel lautet: ein IT-Spezialist, der für eine
internationale Firma mit dem schönen Namen „Fidelis Wireless“ (drahtlos treu) in ganz
Europa Produkte verkaufen soll, die niemand haben will und die das Unternehmen, sollte
doch einmal ein Kunde zugreifen, meistens auch gar nicht liefern kann: „Sales engineer
Darius Kopp. Seit 2 Jahren mutterseelenallein in einem 12 qm großen Arbeitskabuff in der
ersten Etage eines sogenannten Businesscenters.“
Deutsches Jedermännchen des beginnenden
21.Jahrhunderts
Damals war Darius Kopp ein deutsches Jedermännchen des beginnenden 21.Jahrhunderts.
Wohnort selbstverständlich Berlin, Berufsfeld selbstverständlich irgendwas mit IT und neuen
Medien. Kopp war ein harmloser Durchschnittstyp aus dem Heer der neuen Angestellten: ein
fröhlicher Business-Boy, der glaubte, es geschafft zu haben, ein williger Söldner der jüngsten
Spielformen des Kapitalismus, also immer bereit, die bestehenden Verhältnisse gegen
jedweden Vorwurf zu verteidigen: Wer sich nicht arrangiert, lebt verkehrt. Ein chronischer
Positiv-Denker, der sich für unangreifbar und das Komasaufen mit seinen spätpubertären
Freunden für eine angesagte Form der Wochenendgestaltung hielt. Kopps Rosenkranz kannte
nur eine Gebetsformel: Es wird schon gutgehen.
Kurzum, Kopp war noch jenseits der vierzig ein großer Junge: heiter, gutmütig, schlicht und
durchaus liebenswert. In der sensiblen Ungarin Flora, einer Übersetzerin, die sich mit
Aushilfsjobs über Wasser hält, findet er die Frau, mit der er teilen kann, was er für sein großes
Glück hält: ein ganz normales Leben. Dann kommt die Krise: „Du bist die Liebe meines
3
Liebes, sagte Darius Kopp zu seiner Frau. Sie standen am Rande einer Geburtstagsfeier. Du
bist die Liebe meines Lebens. Und, ach ja, ich bin gefeuert worden.“
Ein Buch wie ein Roadmovie
Am Ende des Romans war Fidelis Wireless ein abgewickeltes Unternehmen und Kopp
Mitglied der Armada arbeitsloser IT-Spezialisten. Das allein hätte ihn nicht umgeworfen, wie
er im Rückblick weiß. Gemeinsam gingen sie durch die Welt, „im ständigen Geschrei der
Angsthändler, aber wir hatten keine Angst, denn wir waren eine Einheit, zwei Rädchen, die
ineinandergriffen. Obwohl wir im Grunde nie mehr in etwas anderem waren als in Krise,
Zusammenbruch, Erholung, Zusammenbruch, manchmal parallel zur Börse, manchmal nicht.“
Was Kopp noch nicht weiß, nicht einmal ahnt: Wenn Flora eines nicht ist und niemals war,
dann ein Rädchen, das fröhlich vor sich hinfunktioniert und sich durch nichts umwerfen lässt.
Vor vier Jahren war Darius Kopp der einzige Mann auf dem Kontinent. In Terézia Moras
neuem Roman „Das Ungeheuer“ ist er der einsamste Mann auf dem Kontinent. Denn Flora
hat sich umgebracht.
Als das Buch einsetzt, ist Flora seit einem Jahr tot. So lange schon währt Kopps Absturz.
Zehn Monate lang hat er die Wohnung nicht mehr verlassen. Man könnte sagen, Kopp lässt
sich gehen. Man könnte sagen, Kopp hat eine schwere Depression. Kopp selbst bezeichnet
seinen Zustand als Trauer. Ein Prozess wird daraus erst, als Kopp eine Entscheidung treffen
muss: Floras Leichnam wurde eingeäschert, aber die Beisetzung ist noch immer nicht erfolgt.
Jetzt muss Kopp den Ort finden, an dem er Flora beerdigen lassen will. Er fährt in ihre
Heimat, nach Ungarn, Kopps Reise beginnt. Über sechshundert Seiten hinweg ist „Das
Ungeheuer“ ein Buch wie ein Roadmovie: ein Mann, ziellos unterwegs durch jenes Europa,
für das er einmal als Sales engineer zuständig war. Im Gepäck hat er nichts weiter als die
Erinnerungen an seine tote Frau, seine Einsamkeit, sein Handy mit viertausend gespeicherten
Nummern, von denen er nur einmal eine anwählen wird, und Floras Laptop, auf dem er nach
ihrem Tod zahlreiche Dateien gefunden hat, allesamt auf Ungarisch verfasst.
Fortsetzung, Ergänzung und Kommentar zum
vorangegangenen Roman
Von nun an, wir befinden uns erst auf Seite 83 des Romans, teilt ein horizontaler Strich jede
Seite in zwei Hälften: oben geht die Reise von Darius weiter, nach Ungarn, Albanien, in die
Türkei, nach Griechenland, Armenien und schließlich Georgien. Unten stehen Floras Dateien:
Notizen, Tagebucheintragungen, angefangene Übersetzungsarbeiten ungarischer
Schriftsteller, Exzerpte aus der Fachliteratur über psychische Erkrankungen. Es sind
Dokumente aus Floras Doppelleben.
Zwei Bücher in einem, wenn man so will, die überdies zusammen Fortsetzung, Ergänzung
und Kommentar zu dem vorangegangenen Roman bilden. Wie soll man das lesen? Von oben
nach unten, in kurzen Portionen, Kapitel nach Kapitel? Das muss jeder Leser für sich selbst
herausfinden. Man darf verschiedene Methoden erproben, kann sich aber auch an die von der
Autorin vorgenommen Numerierung der Kapitel halten. Mitunter sind oben und unten einer
Seite aufeinander bezogen, aber allein schon der fragmentarische Charakter von Floras
Aufzeichnungen sorgt dafür, dass man nach etlichen Seiten wieder zu Darius zurückkehrt.
Das Verfahren ist gewiss ein wenig sperrig, aber literarisch reizvoll und inhaltlich gut
begründet: „Zwischen den Lebenden und den Toten verläuft eine Grenze“. Seit Orpheus in
die Unterwelt stieg, kann die Literatur diese Grenze überwinden.
4
Ihre Erzählstimme versagt sich jedes Urteil
„Das Ungeheuer“ ist die Fortsetzung von „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ und beginnt
sogar mit denselben Sätzen wie der Vorgänger, kann aber auch ohne dessen Kenntnis gelesen
werden, als eigenständiger Roman, in dem das zunächst satirisch gezeichnete
Stehaufmännchen Kopp als gereifter Schmerzensmann wiederkehrt. Mora erzählt jetzt die
Bildungsgeschichte ihres Jedermanns, der an seinen Verlusten wächst. Der Mann, der nicht
wusste, mit wem er glücklich war, lernt seine Frau erst nach ihrem Tod kennen und liebt sie
nur umso mehr.
Kopp lässt sich treiben, reist von Ungarn nach Albanien, weil er sich in die Anhalterin Oda
verliebt hat, die er aus den Augen verliert, um wenig später mit dem ausgebrannten Engländer
Doiv einen neuen Reisegefährten auf Zeit zu finden. Die Urne mit Floras Asche, die er sich
nach Budapest hatte kommen lassen und die seitdem im Kofferraum seines Autos ruht, hat
auch nach 684 Seiten keine letzte Ruhestätte gefunden, was eine Fortsetzung erwarten lässt.
Und tatsächlich sind Darius Flora auch nach insgesamt fast elfhundert Seiten noch nicht
auserzählt.
Worin liegt der Reiz dieses allzu ungleichen Paares? Darius stammt aus der ehemaligen DDR,
Flora aus dem kommunistischen Ungarn, wo sie in einem Heim aufwuchs. Beide haben das
Land ihrer Kindheit verloren, aber sie sind keine Flüchtlinge wie Oda, deren Eltern illegal von
Albanien nach Italien übersetzten.Die depressive, an Leib und Seele kranke Flora ist nicht
einfach nur die dunkle Kehrseite des optimistischen lebensfrohen Darius. Trägt Darius Schuld
an Floras Tod? Hätte er nicht bemerken müssen, wie schlecht es Flora ging, wie krank sie
war? Diese und andere Fragen werden im Roman durchaus gestellt, aber Terézia Mora spielt
ihre Figuren nicht gegeneinander aus und verweigert eindeutige Antworten. Ihre
Erzählstimme versagt sich jedes Urteil. Welche Erzählstimme? Wer erzählt hier überhaupt
und wie?
Der Schmerz zerreißt seine Seele
Ein Beispiel. Der notorische Nicht-Leser Darius liest in den Dateien der literaturliebenden
Flora: „Am Nachmittag um 4 hatte er etwa die Hälfte des Ausdrucks geschafft, 80 Seiten von
150, so viel habe ich noch nie in einem Zug gelesen. Er brach ab, als er selbst das erste Mal in
den Aufzeichnungen auftauchte.“ Auf engstem Raum wechselt Terézia Mora beständig
zwischen Außen und Innen, auktorialem Erzählen und Ich-Erzählung. Der innere Monolog
wird beständig durch eine Außenperspektive gebrochen. Das ist nicht verwirrend, sondern
ungeheuer dynamisch. Gelegentlich werden kursivierte Sätze eingestreut, Zitate, aus dem
Buch des Jeremia etwa, des Propheten der Klagen und Konfessionen. Das ist kein Zufall:
Kopp jammert nicht, er klagt und bekennt. Er ist nicht weinerlich, sondern der Schmerz
zerreißt seine Seele. Darius Kopp, der Mann, der geglaubt hat, der Mensch werde geboren,
um glücklich und zufrieden zu sein, droht an seinem Unglück zu zerbrechen. „Wer lebt, hat
die Aufgabe, am Leben zu bleiben“, sagt die junge Albanerin Oda. Sie weiß, wovon sie
spricht. Dass Darius Kopp ihr glaubt, setzt die tote Flora nichts ins Unrecht.
Und wer ist das Ungeheuer, von dem der Titel spricht? In Floras Aufzeichnungen findet sich
die Behauptung, der Mensch sei das „unnatürlichste Tier“. Was ist ein Ungeheuer anderes als
ein unnatürliches Tier? Terézia Mora hat ein großes, ein zutiefst humanes Buch geschrieben
über das Ungeheuer und seine vielen Gesichter.
5
Terézia Mora: „Das Ungeheuer“. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2013. 684
S., geb., 22,99 €.
Terézia MoraRadikal bis zur schmerzhaften
Wahrhaftigkeit
Von Katja Lange-Müller
picture alliance
8. Oktober 2013
Radikale Humanistin: Terézia Mora, Trägerin des deutschen Buchpreises 2013
Térezia Mora erhielt für ihr Buch „Das Ungeheuer“ den deutschen Buchpreis 2013. Die
Schriftstellerin Katja Lange-Müller erklärt, was Moras Texte einzigartig macht
Seite 1 von 2
Der Text erschien in der Herbstausgabe 2013 von „Literaturen“.
Die Zeitschrift für Leser liegt der aktuellen Ausgabe des Cicero bei.
6
Terézia Mora ist für mich diejenige unter meinen Autorenkolleginnen und -kollegen, die mich
am meisten an- und aufregt – im besten Sinne. Was immer sie schreibt, es lässt mich nie,
niemals kalt. Denn Mora ist in ihrer ganzen Haltung, insbesondere in ihrer literarischen
Haltung, eine radikale Humanistin und eine fast ebenso radikale Stilistin, die, wie ich es sehe
(und ihre Texte laut lesend auch vernehme), beim Schreiben allein auf ihre Protagonisten
hört; denen, erst einmal nur denen, sucht sie so nahezukommen wie irgend möglich, also bis
zur äußersten und innersten Wahrhaftigkeit, einer selbst für mich, ihre Leserin, oft
schmerzhaften.
Es gibt bei ihr Sätze, die mich umhauen, etwa diesen: «Ich schäme mich, ein Mensch zu
sein.» Leider kenne ich ihren neuesten Roman «Das Ungeheuer» noch nicht zur Gänze, aber
ansonsten alles, was sie bislang veröffentlich hat. Und weil zum Vorgänger-Roman des
«Ungeheuers» jener mit dem Titel «Der einzige Mann auf dem Kontinent» gehört wie der
eine Flügel eines Falters, in dem Fall eines Nachtfalters, zum anderen, will ich hier von
diesem Lektüreerlebnis erzählen.
Namen als Teil von Moras literarischem Konzept
Der einzige Mann auf dem Kontinent ist, laut seiner eigenen, großspurigen Auskunft, Darius
Kopp, der im Osten Deutschlands aufgewachsene Sohn eines Polen mit Ingenieursdiplom und
Unternehmergeist, den Darius Senior allerdings erst nach dem Mauerfall recht erfolgreich
einem realen Geschäft einzuhauchen vermag. Auch Darius Juniors – vom Senior verlassene –
Mutter Greta, eine lieblose, dafür fortwährend klagende, vor allem Sohnesliebe einklagende,
nur an ihren echten und eingebildeten Krankheiten interessierte alte Schachtel sowie dessen
dünne, nichts auf die Reihe bekommende, ewig klamme Schwester sind Teil des Soziotops,
dem dieser 106-Kilo-Prachtkerl entwachsen, aber noch immer nicht ganz entronnen ist. Denn
erstens hat sein Londoner Kollege, der Westeuropavertreter Anthony Mills, ein
«Deutschenhasser», der fies genug ist, den nichts Böses ahnenden Darius ein wenig zu
mobben, die lukrativen Märkte und jener die «miesen», und zweitens «wird der Deutsche und
der Ossi niemals Chef», wie es im Roman heißt.
Trotzdem gehört Darius Kopp nicht zum Heer der scheinselbstständigen Selfmade-ITSpezialisten, die all die zahllosen Web-Seiten ebenso zahlloser Wer-Weiß-Was-Anbieter
gestalten oder betreuen und auf deren soziale Situation der nun auch schon im neuesten
Duden nachschlagbare, einigermaßen drollige Begriff «Mausbeutung» zutreffen mag. Der
Rufname Darius, und die Namen sind bei Mora ja stets Teil des literarischen Konzepts,
stammt aus dem Altpersischen und bedeutet «das Gute besitzend». Jener Darius mit dem
Familiennamen Kopp, den sie zum fragwürdigen Helden dieses Romans ernannte, macht sich
aber so gar keinen Kopp über das Leben, sondern vertraut ihm, da er sich als Sonntagskind
versteht, blind.
Er hat Informatik studiert, wie sein Vater ein Ingenieursdiplom, die New-Economy-Krise der
Jahrtausendwende glimpflich überstanden, in Flora Meier seine große Liebe gefunden und ist
nun «regional sales manager» einer weltweit operierenden, aus allerlei
Pleiteunternehmensresten zusammengeflickten, dementsprechend undurchsichtigen USamerikanischen Firma. Für diesen nicht nur wegen der Zeitunterschiede irreal schwer
erreichbaren kalifornischen Laden, dessen Kernkompetenz eigentlich die Verbesserung der
Kommunikation ist, verdealt Darius, ganz allein zuständig für den gesamten osteuropäischen
Raum, mäßig erfolgreich, doch unbeirrbar zuversichtlich Computernetzwerk-Komponenten.
7
Über Stadtindianer und Würde an der Bar
Seine Tage gehen dahin mit Anrufen, die ins Leere laufen, mit unerwiderten E-Mails und
selbstvergessenem Surfen im Welt-Weit-Web, mit dem Trinken vieler Cappuccinos, O-Säfte,
Biere, Rotweine, dem Verschlingen von Steaks, Sushi und Kuchen, mit Socken- und
Hemdenkäufen, dem wunderbar komisch geschilderten Probeliegen auf einem Massagesessel,
mit schweißtreibenden Reisen via öffentliche Nahverkehrsanstalt, mit Kneipentouren an der
Seite seines Spezis Juri, den Besuchen bei seiner nöligen Mutter oder der schwer schuftenden
Flora und – nicht zu vergessen – mit etwas Sex.
Darius Kopp präsentiert sich uns als sanftmütiger, großzügig-schlampiger, etwas infantiler,
konsumfreudiger, mit einer Art angeborenem Optimismus gleichermaßen begabter wie
geschlagener, im Hier-und-Heute aufgehender Stadtindianer, der sehr an seiner nach der
altrömischen Frühlingsgöttin und – Flora/Mora – ein wenig wohl auch nach der Autorin
benannten Ehefrau hängt, einer ihm so gar nicht seelenverwandten, extrem empfindsamen,
alles und am meisten sich selbst infrage stellenden, dennoch praktischen, ihrem Namen
entsprechend der Botanik zugetanen Ungarin, die es trotz Literaturstudiums und guter
Sprachkenntnisse vorzieht, in einer Stadtstrandbar zu kellnern, weil sie meint, ihre Würde dort
eher wahren zu können als im Frondienst bei einem dieser umtriebig-arroganten
Medienschaffenden aus sämtlichen Weltgegenden, die Berlin bevölkern wie Kiefern die Mark
Brandenburg, oder beim lausig bezahlten Übersetzen von ambitionierten Theaterstücken.
Wir Leser begleiten Darius, seine Kumpel, seine Familie, seine Frau, mit der er gerne ein
Kind hätte, und nicht zuletzt einen Karton voll – erschreckenderweise echten – Geldes im
Wert von 40.000 Euro, den armenische Kundschaft abgegeben hat am Tresen des
Businesscenters, in dem auch Darius eine Karnickelbuchte unterhält, die er sein «Büro»
nennt; wir begleiten ihn von einem September-Freitag bis zum folgenden, über acht Tage und
Nächte, durch eben jene Woche, die der Roman währt und an deren Ende Darius eine
Asthma-Attacke erleiden, sich davon aber schnell wieder erholen, seinen Führerschein
zurückbekommen und die Baranzahlung der Armenier spurlos verschwunden sein wird.
Kommt die Katastrophe?
Seinen Job ist er ohnehin los, und zwar schon seit jenem Freitag, mit dem der Roman beginnt;
das begreift Darius, der sich – wie weiland Voltaires Candide – in der besten aller möglichen
Welten wähnt und dem es lange glückte, jedes noch so deutliche Indiz für das Gegenteil zu
ignorieren, jedoch erst, als Stinkstiefel Anthony, der Londoner Kollege, ihm dies
unmissverständlich sagt, am Handy, im Auto, während unser armer Held unterwegs ist – zu
Mutter, Schwester und Pflaumenkuchen –, dann heim zu Flora.
Aber Flora, die Darius, der widrigen Umstände wegen und in der ihm eigenen chaotischen
Egomanie, mal wieder stunden-, ja taglang ohne jede Nachricht gelassen hat, ist entwichen,
ins Grüne, zu Freundin Gaby. Nach einem Anfall von Menstruations- oder gar
Fehlgeburtsschmerzen und abgrundtiefer Verzweiflung floh Flora, eh schon durch eine
vollbusige Ukrainerin ersetzt, das Strandcafé und anschließend das gemeinsame Zuhause, also
die – bislang immerhin physisch mögliche – Nähe ihres selbst anwesend meist abwesenden,
um Beistand so fatal verlegenen, völlig konfliktunfähigen Ehemanns. Nur dies, ein Leben
ohne sein bestes und Gegen-Stück Flora, wäre die ultimative Katastrophe für Darius, eine, die
ihn komplett aus der Bahn würfe.
8
Kommt es so weit, ist es schon so weit? Kann Darius es noch verhindern? Sich ändern,
womöglich? Der Roman schließt offen, mit dem kursiv gedruckten Satz «Die Nacht».
Figuren wurzeln in der Luft
So viel oder wenig zum Inhaltlichen; denn ich kann das personale Spektrum, die
Unterschiedlichkeit der Ebenen, den Reichtum an Dissonanzen, ja, Antagonismen in und
zwischen den Protagonisten hier nur gerafft und aus meiner Sicht darstellen. Doch wie ist
dieses Buch geschrieben?
Obwohl sich dessen Held, Darius Kopp, sehr von Abel Nema, dem Helden ihres großen
Erfolgs «Alle Tage», unterscheidet, ist auch «Der einzige Mann auf dem Kontinent»
sozusagen Mora-spezifisch. Wieder steht ein Mann im Fokus der Aufmerksamkeit, wieder
sind die Figuren Luftwurzler, die es von woandersher in die große Stadt Berlin geschwemmt
hat, wieder geht die Autorin übers realistische Erzählen weit hinaus und strickt, diesmal
allerdings buchstäblich, Netzwerke, in denen sich ihre Figuren verfangen, wieder suchen sie –
schwankend auf doppeltem und dreifachem Boden – nach Wegen und Auswegen und finden:
Umwege, Abwege, Irrwege.
Aber Darius Kopp, wenigstens der, ist ein schlichteres Wesen als Abel Nema, und neben der
personal erzählenden Stimme gibt es Darius’ Gedankenstimme sowie Dialoge zwischen den
Protagonisten und dann noch eine, mindestens eine, auktoriale, nun wirklich gottähnlich
allwissende Erzählstimme, die sich situativ einschaltet, um – über Szenen hinwegspringend,
mal gnadenlos nüchtern, mal spöttisch, mal resigniert – zu kommentieren, was geschieht, was
Darius meint, vermutet, plant und dann viel zu oft dennoch bleiben lässt. Hinzu kommt, dass
die Perspektive immerfort wechselt, von innen nach außen, von einem Tempus in das andere,
gelegentlich sogar im selben Satz. Erstaunlicher-, ja, bewundernswerterweise funktioniert das
nicht nur, sondern erweist sich als unerlässlich, denn so steht der dicke Darius unter
sozusagen multipler Beobachtung und gewinnt die fast schon virtuelle Geschwindigkeit, mit
der er durch das Buch und seine, ihm selten bewussten, Missgeschicke surft.
Terézia Mora, diese sensible Schriftstellerin
Die Zeit, die flüchtige, ungenutzte, unwiederbringliche, mal langsamere, mal dahineilende,
mal fehlende, nie und für nichts ausreichende Zeit ist eines der stilprägenden Leitmotive des
Romans, eben weil Terézia Mora, diese sensible, intelligente, mutige Schriftstellerin, uns klar
zu machen vermag, dass auch wir irgendwie Dariusse, Floras, Gretas oder Juris sind und dass
die gnadenlos verrinnende Zeit, die nur im Traum und in Momenten großen Glücks oder
großen Leids einmal stillzustehen scheint, ein elementarer Teil unserer «Ächzistenz» ist, eines
Da-Seins mit unbekanntem biologischen Verfallsdatum, das aus allen Nähten platzt, uns quält
mit Terminen und Aufgaben, die wir kaum bewältigen, mit Strömen von Informationen, die
wir nicht mehr verarbeiten können.
Ja, wir alle sind Zeit-Genossen, die kämpfen, wie Darius oder Flora, mit den stetig
schwindenden Resten der einen oder anderen Vorstellung von gelingendem Leben, die wir
jeden Tag mehr aufgeben, denn jeder dieser von wem auch immer gezählten Tage hat nur 24
Stunden, wie wir uns sagen, oft und doch nicht völlig verzweifelt, noch nicht.
9
Aneinander vorbei
Furios, aber nicht vollkommen: Terézia Moras Roman "Das Ungeheuer". von Katharina
Döbler
28. September 2013 17:12 Uhr 1 Kommentar
Die Schriftstellerin Terézia Mora | © dpa
Darius Kopp ist zurück: der dickliche IT-Spezialist, der in Terézia Moras vorangegangenem
Roman Der einzige Mann auf dem Kontinent in eine tiefe berufliche und private Krise geriet.
Nun, im zweiten Teil einer geplanten Kopp-Trilogie, ist aus der Krise die Katastrophe
geworden. Die labile Flora, Kopps ungarische Ehefrau, ist tot: Nach einem langen, kalten
Winter der Trennung hat sie sich an einem Baum erhängt. Und Darius Kopp, der trotz
Arbeitslosigkeit und unmöglicher Beziehung immer an so etwas wie Normalität festhielt, ist
aus der Welt gefallen. Und zwar in einer ihm entsprechenden (und zeittypischen) Art der
Verwahrlosung: Alkohol, Pizza, Fernsehen, Kaffee. Fast ein Jahr lang hat er die Wohnung
nicht verlassen, als ihn sein alter IT-Kumpel Juri zurückschubst in die Wirklichkeit. Aber
Wirklichkeit ist nichts, mit dem Kopp noch etwas anfangen könnte.
So setzt Moras Roman Das Ungeheuer, der auf der Shortlist zum deutschen Buchpreis steht,
ein: Die alte Existenz ist endgültig vorbei, Darius und die Weltwirtschaft stecken in der
Depression, oder, wie er selbst sagt: Er trauert. Die tote Flora scheint ihrem Witwer ihre
Lebensunfähigkeit hinterlassen zu haben, nebst ihrer Asche und ihrem Laptop mit ungarisch
geschriebenen Textdateien, und der hat keine Ahnung, was er mit dieser dreifachen Last
machen soll. Terézia Mora hat Darius Kopp schon im ersten Buch als die Figur eines Mannes
entworfen, der sich selbst nicht kennt, weder Ziele noch Fragen hat und sich von einem
unreflektierten Anpassungs- und Vergnügungsinstinkt steuern lässt. Darius Kopp also
flüchtet. Er macht sich auf den Weg nach Ungarn, auf die Suche nach Floras Spuren, begleitet
von ihrer Asche.
Es ist ein alter Topos: Die Reise in die Vergangenheit als Suche nach sich selbst. Aber weil
dieser Kopp planlos ist und von sich selbst nicht allzu viel wissen will, lässt er seine Reise
10
bestimmen von Zufallsbekanntschaften, die ihn an die Ränder Europas führen, nach Albanien,
Bulgarien, Georgien, Armenien, bis er schließlich im Krisenzentrum der Gegenwart landet: in
Athen. Mit Smartphone, Auto, Kreditkarte und Laptop bricht er auf. Diese nützlichen Geräte
seiner IT-Welt kommen ihm unterwegs abhanden wie Gold und Stein dem Hans im Glück.
Der Auftakt der Erzählung ist furios. Terézia Mora verwendet für ihre Dialoge eine großartig
literarisierte Umgangssprache, schildert genüsslich bizarre Begebenheiten, stellt Komik und
Verzweiflung direkt nebeneinander. Die starke Sogwirkung aber entsteht durch den
Widerspruch zwischen dem, was Flora getan hat, und Kopps Wahrnehmung seiner Ehe: "...
wir hatten keine Angst, denn wir waren eine Einheit, zwei Rädchen, die ineinandergriffen.
Obwohl wir im Grunde nie mehr in etwas anderem waren als in Krise, Zusammenbruch,
Erholung, Zusammenbruch, Erholung, manchmal parallel zur Börse und manchmal nicht."
Aber leider hält Terézia Mora diesen Widerspruch, aus dem sich ein großer Roman hätte
entfalten können, nicht durch. Mit dem vierten Kapitel setzt Floras schriftlicher Nachlass ein:
Erinnerungen an eine lieblose Kindheit in Ungarn; dann die Jahre in Berlin, Studium, Armut,
Promiskuität, Depression, Abtreibung und das Gefühl, missachtet zu werden als Frau, als
Intellektuelle. Immer wieder Wahrnehmungen im Zustand der Depression – "wenn selbst die
Form, die Farbe der Dinge schmerzt, die Pflastersteine, die Linien im Beton, und das ist noch
das wenigste".
Die beiden Erzählungen laufen typografisch parallel, oben die des lebenden Mannes auf
Reisen, unten die der toten Frau im Kampf mit dem Ungeheuer ihrer Krankheit. Darius Kopp
wirkt allerdings von der – auch für einen heiteren Leser langfristig schwer zu ertragenden – in
Worte geronnenen Verzweiflung seiner Frau erstaunlich unberührt. Flora ihrerseits hat "D." in
ihren Aufzeichnungen kaum je erwähnt. Das sei bei Depressiven so, erklärt die Witwe eines
Selbstmörders Darius später, sie interessieren sich nicht für andere. Die Erzählweise scheint
vor allem belegen zu wollen, dass die Sensible und der Normalo verschiedene Welten
bewohnten. Aber diese Verschiedenheit wird sprachlich und auch im erzählerischen Bezug
nicht lebendig. Die empfindsamen Passagen von Kopps Reiseerzählung traut man ihm
ohnehin nicht zu – sie zeigen die poetischen Fähigkeiten der Autorin. Und sie gleichen dem
Sprachduktus der schmerzvoll klarsichtigen Flora.
Das hätte eine gewisse Logik, läge eine gewisse Entwicklung darin. Aber Darius Kopp hat
nur Erlebnisse, er verändert sich nicht: als Figur bleibt er starr und immer etwas dümmer als
die Autorin selbst. Deshalb geht das Konstrukt des Romans nicht auf.
Es gibt viele großartige Passagen darin, sinnlich starke Schilderungen, wunderbar morbide
Satire und gekonnt skizzierte Nebenfiguren; es gibt überhaupt viele Nebengeschichten, die
auf verschiedene Weise zeigen, wie gut Terézia Mora erzählen und wie kraftvoll sie schreiben
kann. Aber leider vertraut sie ihren Figuren nicht. Das gilt auch für Flora: Deren Notizen,
zunehmend angereichert mit Sätzen aus Beipackzetteln von Psychopharmaka und Exzerpten
aus klinischen Fachbüchern, sollen über ihre ausgestellte Authentizität Wirkung erzeugen,
doch sie sorgen im Gegenteil für zunehmende Distanz. Ihr Leiden an der Realität wird
pseudodokumentarisch pathologisiert. Und irgendwann ist Flora keine literarische Figur mehr,
sie ist ein Fall.
Zu der allzu großen Durchsichtigkeit dieser Hauptfiguren kommt hinzu, dass Terézia Mora
die eigene Anwesenheit als Autorin gelegentlich etwas kokett ins Spiel bringt, etwa indem sie
ihren Darius Kopp herablassend kommentiert oder auch indem sie gestrichene und ersetzte
11
Worte in den Text stellt. Jeder Leser soll, nein, muss kapieren, dass es sich hier um einen geund bearbeiteten Text handelt.
Terézia Mora will offenkundig zu viel Verschiedenes: Sie will von Entfremdung sprechen mit
all ihren Folgen und dabei zeigen, wie Literatur gemacht wird. Sie will schwadronieren und
amüsieren, psychologisieren und rühren, ironisieren und eine altmodische Authentizität
behaupten – der sie allerdings als moderne und eigentlich wagemutige Literatin selbst nicht
traut. Und sie kann das alles. Sie kann das sogar sehr gut. Aber aus all diesem Können ist
noch kein überzeugender Roman geworden.
Google-Anzeige
Leserkommentare
Kommentarseite 1 / 1
1.
o
o
pr-agentur
01.10.2013 um 22:50 Uhr
1. Sehr begabt, jedoch Bedenken
Mora ist äußerst talentiert, was die plastische Ausarbeitung komplexer Einzelszenen
angeht, die zugleich aus dem innerem Erleben der Figuren und der Schilderung
äußerer Details montiert sind, wobei die äußeren Details häufig verfremdet und
zersplittert werden, und den Figuren auch als entfremdet erscheinen, etwa so, wie
einem ein riesiger Buchstabe 'A' auf einem weissen Blatt Papier erscheint, nachdem
man ihn im Zustand des fortschreitenden Schlafentzugs 2 Stunden lang unentwegt
angestarrt hat.
Die Bedenken resultieren daraus, dass einem hier jemand weissmachen will, sie könne
das Innenleben einer Depression schildern. Ich wage sogar zu behaupten, dass selbst
ein Schriftsteller, der persönlich jahrelang wegen Behandlung von Depressionen in
Kliniken verbracht hat, anschließend, d.h. in einem gesundeten Zustand, nicht dazu
imstande wäre, sich wieder so weit in seine frühere Verfassung zurück zu versetzen,
dass er eine adäquate Schilderung von Depression zustande brächte.
Anders als bei kognitiven Störungen, laufen nämlich Depressionen in erster Linie auf
der emotionalen Ebene ab. Gesunde Gefühle kann man erinnern, aber pathologische
Gefühle, kann man die im Zustand der wieder erlangten Gesundheit zwecks
literarischer Verwertung reproduzieren?
Und wie sollte das erst dann funktionieren, wenn die Autorin selbst nie depressiv war?
Ist es dann nicht zwangsläufig so, dass dem Publikum einfach irgendetwas als
Depression serviert wird, was aber bloß ein Etikettenschwindel ist?
Herunterladen