Der slowenische Lyriker Ales Steger (39), der im Rahmen der Kulturhauptstadt Maribor 2012 das spartenübergreifende internationale Programm kuratiert hat, zieht am Ende des Jahres eine positive Bilanz. Mit der APA sprach er über die schwierigen Bedingungen bei Planung und Umsetzung, nachhaltige Erfolge und die enorme Kraft, die hinter den derzeitigen Protesten gegen die politische Elite in Slowenien steckt. APA: Das Kulturhauptstadtjahr neigt sich dem Ende zu, nicht alles konnte realisiert werden. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus? Ales Steger: Wir haben das in dem Wissen gemacht, dass die Umstände sehr ungünstig waren. Die politischen Entscheidungsträger haben viel zu lange gezögert, die Verantwortlichen zu ernennen und so blieb sehr wenig Zeit, das ganze Konzept zu implementieren und auszuführen. Zudem hat es mehrere nicht realisierte infrastrukturelle Pläne gegeben, was die Ausführung noch schwieriger machte. Aber wenn man das alles in Betracht zieht, ist in Maribor ein kleines Wunder geschehen. Wir haben es in weniger als einem Jahr geschafft, ein sehr reizvolles und breites Programm mit über 3000 Events aufzustellen und damit nicht nur Akteure aus der Stadt, sondern auch aus der Region und international begeistert. APA: Wo lagen die Stärken des Programms? Steger: Wir haben uns sehr bemüht, so viele Verbindungen wie möglich für die Zeit nach 2012 zu knüpfen, sowohl mit einzelnen Künstlern als auch Institutionen. Ich glaube, dass die Kulturhauptstadt für die Kulturträger in Maribor und die Partnerstädte ein kleiner Elektroschock war, der sich noch auswirken wird. Viele Institutionen werden sich an eine neue Denkweise und das Niveau anpassen müssen, das jetzt gesetzt wurde. Außerdem kam es durch das breit ausgelegte Konzept und die Tatsache, dass es nicht nur um Maribor ging, sondern auch fünf Partnerstädte eingebunden waren, zu einer Identifizierung in der ganzen Region. Hier muss ich die Zusammenarbeit loben, die von außen gesehen vielleicht normal erscheint, aber vorher nicht da war. APA: Welche Projekte waren besonders erfolgreich? Steger: Ein Viertel des Programms hat sich unter dem Titel "Urbane Furchen" sozial-ökologischen Fragen und Projekten gewidmet. Das reicht von Schrebergärten bis zur Samenbank autonomer Pflanzenarten, der Belieferung von Kindergärten durch lokale Ökobauern über Projekte mit Roma. Das Großprojekt soll weitergeführt werden, es wurde auch ein Zentrum ins Leben gerufen. Dieser Inhaltspunkt hat viel positiven Anklang im In- und Ausland gefunden und die Europäische Kommission wird es als Vorzeigekonzept empfehlen. Leider gibt es zur Zeit noch keine langfristige Perspektive. Wir haben sehr großen Rückhalt in der lokalen Population, die Leute wollen das. Aber Maribor befindet sich in einer sehr schwierigen politischen Situation. Man muss abwarten, wie sich die neue politische Struktur in der Stadt herauskristallisiert. APA: Inwiefern hat der von Ihnen angesprochene kulturelle "Elektroschock" zu den gegenwärtigen Protesten beigetragen, die bereits zum Rücktritt des Bürgermeisters von Maribor geführt haben? Steger: Ich würde mir für die Zukunft einen weltoffenen, organisationsfähigen Bürgermeister wünschen. Es war kein Zufall, dass die slowenienweiten Proteste in Maribor anfingen, einer Stadt, die extrem von der negativen Konjunktur gekennzeichnet wurde, die ihre Identität sucht. In diesem Kontext hat die Kulturhauptstadt ein neues Emanzipierungsbewusstsein geschaffen. Zwar will ich die Proteste und die Kulturhauptstadt nicht direkt miteinander in Verbindung setzen, aber man kann nicht übersehen, dass sehr viele Kulturschaffende an den Protesten teilnehmen. APA: Was sind die wesentlichen Forderungen an eine neue politische Kultur in Slowenien? Steger: Derzeit wird sehr stark über radikal andere Sozialmodelle diskutiert. Ich halte es für extrem positiv, dass es sich um Proteste handelt, die - obwohl es so begonnen hat - nicht gegen eine Partei oder einen Politiker gerichtet sind, sondern gegen politische Vorgehensweisen im Generellen, gegen verkrustete politische Strukturen. Egal, ob es sich um eine rechte oder linke Regierung handelt, eigentlich waren das immer mehr zwei Facetten des Gleichen. Die Slowenen möchten einen Wandel, nicht nur immer wieder die Möglichkeit, vor einer schlechten und noch schlechteren Wahl zu stehen. Man will andere Vorgehensweisen von politischen Eliten erzwingen. APA: Tragen die Proteste bereits Früchte? Steger: Ja! In den vergangenen 14 Tagen wurden sehr wichtige Gesetze mit einer Mehrheit verabschiedet, die bis vor Kurzem undenkbar gewesen wäre. Es gab Reformen, die vorher keiner durchbringen konnte, weil eine starke Opposition immer wieder dagegen war. Die politischen Eliten sind jetzt dazu gezwungen, sich nicht nur einzugraben und zu verharren, sondern nach kreativen Auswegen zu suchen. Ich will nicht überidealistisch sein, aber zur Zeit scheinen die Proteste zu wirken, etwa beim Beschluss einer Pensionsreform oder des Budgets: Die Regierung zeigt sich auf einmal kompromissfreudig und -fähig. APA: Wie soll es weitergehen? Steger: Diese Fortschritte sind eine direkte Reaktion auf die Proteste. Das Problem der Proteste ist allerdings, dass sie noch ohne Zentrum sind, ohne Anführer, ohne direktes Ziel... aber im Hintergrund geschieht doch auch ein Mentalitätswandel. Vor ein paar Monaten wäre man nie davon ausgehen, dass es jetzt möglich ist, solche Mengen zu mobilisieren und Kritik zu üben. Es liegt ein Gefühl in der Luft, es ist wieder was möglich. Auch die junge Generation, die am aussichtslosesten dasteht, ist zu einem großen Prozentsatz dabei. Jene gut Ausgebildeten, die zu Hause sitzen müssen. Diese traurige, schlafende Seite von Slowenien ist jetzt aufgewacht und sucht einen Platz. Im Generellen sieht man, dass es sich um extrem artikulierte, intellektuelle Proteste handelt. Ich nehme an, die Proteste werden noch weitergehen, und Ideen werden sich herauskristallisieren. Das heißt noch nicht, dass das alles von der Politik übernommen wird, aber der Prozess, der jetzt läuft, ist irreversibel. Viele Vorgehensweisen, die bisher toleriert wurden, werden nicht mehr möglich sein. APA: Gibt es eine bestimmte Partei, der Sie den Wandel zutrauen? Steger: Nein, keine bestimmte Partei. Aber auch innerhalb aller Parteien gibt es junge, andersdenkende Parteimitglieder, die sich nun gruppieren und versuchen, eine andere Denkweise anzupeilen. (Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)