Friedrich-Schiller Universität Jena Institut für Soziologie Sommersemester 2013 Seminar: Einführung in die Medizinsoziologie Dozent: Tobias Franzheld Exzerpt zum 03.06.2013 Abgegeben von: Jan Philipp Meyer Literatur: Glaser, Barney, Strauss, Anselm (1965): Interaktion mit Sterbenden. Beobachtungen für Ärzte, Schwestern, Seelsorger und Angehörige, Göttingen, S. 108-141. Innenansichten des Krankenhauses - Der Umgang mit Sterbenden Der zu behandelnde Text stammt von Barney Glas und Anselm Strauss und handelt von dem Umgang mit Sterbenden im Krankenhaus. Die Studie beruht auf einer teilnehmenden Beobachtung und ist in zwei Kapitel unterteilt. I. Direkte Aufklärung des Todkranken Zunächst stellen Glaser und Strauss fest, dass 60-90% der Ärzte generell davon absehen würden, Patienten mitzuteilen, dass ihr Fall hoffnungslos ist und sie definitiv sterben werden. (Glaser/Strauss 1965: 108) Dies hätte eine Vielzahl von Gründen mangelnde Kenntnis von der Psyche des Patienten und mangelnder Kommunikation zwischen behandelndem Arzt und Patient. Jedoch gebe es auch viele Gründe den Patienten die Wahrheit zu sagen, beispielsweise um Vertrauensverlust vorzubeugen, sollte dieser von sich aus etwas über seinen tatsächlichen Zustand aufschnappen. (ebd. 109) Glaser u.a. widmen sich anschließend den Reaktionen, welche Patienten nach der (oftmals radikalen siehe ebd. 111f.) Aufklärung ereilen könnten. (ebd. 110) Diese könnten Unterschiedlich ausfallen, jedoch sei die allererste Folge der Aufklärung meisten eine Depression. Nach dieser könne der Patient jedoch selbst „entscheiden“, ob er den bevorstehenden Tod akzeptieren würde, oder aber verdränge. (ebd. S. 115) Manchmal würden sich jedoch auch beide Gemütslagen abwechseln. Wenn der Patient seinen Tod annehmen würde, so würde sich dies aktiv oder passiv äußern können. Anzeichen für aktive Akzeptanz wären beispielsweise: offenes Philosophieren, das Veräußern seines Besitzes, oder gar Selbstmord. (ebd. 116 f.) Passive Akzeptanz des Todes würde sich eher durch Resignation äußern. (ebd. 118) Das Ablehnen der Vorstellung zu sterben äußere sich im Gegensatz dazu, so Glaser und Strauss, durch Faktoren wie Zukunftsorientierung, Verweigerung des Kontaktes mit dem Stab sowie dem Verlangen von Beweisen. (ebd. 119) Unterstützt werden könnte diese Ablehnung durch die Ungewissheit über einen ungefähren Todeszeitpunkt. (ebd. 120) Ob diese Ablehnung für den Patienten besser oder schlechter sei als komplette Ahnungslosigkeit über die eigene Situation würde vom Einzelfall abhängen und sich nicht generalisieren lassen. (ebd. 123) II. Die Ahnungslose Familie In diesem Kapitel widmen sich Glaser und Strauss den Familienangehörigen. Es beginnt mit den Problemen, welche diese Schwestern bereiten können. Ein einzelner Angehöriger sei für die Schwestern oftmals kein Problem, doch in dem Moment, wo die Familie eines Sterbenden sich zusammen tuen würde, um die Schwestern unter Druck zu setzen mit dem Ziel mehr Informationen zu erhalten, würde die Familie zum Dauerproblem werden. (ebd. S. 124) Verschärft werden könnte diese Problematik zusätzlich noch durch mehrere, manchmal sogar verfeindete, Familiengruppen. Glaser u.a. unterscheiden zwischen dem „offenen“ und „geschlossenen“ Bewusstheits-Kontext der Angehörigen und des Patienten. Ist dieser „offen“, so sind die Akteure ahnungslos, ist dieser „geschlossen“, so sind sie eingeweiht. (ebd. 125) Zunächst erläutert er die Nachteile die damit einhergehen würden, wenn man die Angehörigen zu früh von dem nahenden Tod des Patienten in Kenntnis setzen würde (bzw. weshalb diese besser außerhalb des geschlossenen BewusstheitsKontextes verbleiben sollten bis der Todesfall „relativ“ kurz bevor steht): beispielsweise könnte eine Kurzzeitige Verbesserung der Symptome das Vertrauen in den Arzt nachhaltig zerstören. (ebd. 126) Auch würden sich Angehörige generell umgänglicher zeigen, wenn sie noch an eine Genesung glauben würden. (ebd. 127) Sollte die Familie misstrauisch werden, so würden diverse Taktiken bereitstehen um damit zurecht zu kommen, wie zum Beispiel das sukzessive Einweihen einzelner Angehöriger, (ebd. ff.) oder das weiterverweisen an die nächst höhere Instanz in Form des Arztes. (ebd. 131) Irgendwann jedoch sei immer der Zeitpunkt gekommen, an dem die Wahrheit nicht länger zu verbergen sei und die Angehörigen aufgeklärt werden müssten. (ebd. 132) Glaser u.a. empfehlen hierzu, den emotional stabilsten Verwandten oder Freund aufzuklären und das weitere Vorgehen mit diesem abzustimmen. Aber auch dem Patienten selbst die Wahrheit zu eröffnen und diesem die Überführung der Angehörigen in einen offenen Bewusstheits-Kontext sei eine Möglichkeit. Anschließend widmen Glaser u.a. sich den Taktiken, welche der Stab an Krankenhausmitarbeitern habe, um den Übergang in den offenen Bewusstseins-Kontext zu erleichtern. (ebd. S. 134) Eine davon sei beispielsweise die „sanfte Aufklärung“ (ebd. 135), bei welcher die Schwestern inkrementelle Hinweise an die Angehörigen geben würden, dass der Tod des Patienten nun bevorstünde. Dieser Art der Aufklärung gegenüber würde die „brüskere Aufklärung“ (ebd. 137) stehen, welche erforderlich sei, wenn der Tod abrupt eintreten würde. Dies wären sehr kritische Momente sowohl für Schwestern, als auch für Ärzte und Angehörige. (ebd. 138f.) Auch erläutern Glaser u.a. noch mögliche Orte der Aufklärung von Patienten. So seien von der Öffentlichkeit abgeschottete Räume besser geeignet Angehörigen schlechte Nachrichten zu überbringen, als Orte mit anwesenden Externen Menschen. (ebd. 139) Zuletzt schließlich gehen Glaser u.a. auch noch auf Fälle ein, in denen gar keine Aufklärung erfolgen würde. Dies könnte dadurch bedingt sein, das der Arzt den bevorstehenden Tod des Patienten für die Augen aller (aus welche Gründen auch immer), für offensichtlich hält. (ebd. 140 f.)