Universiteit Utrecht Seminar: Bachelorarbeit Leitung: Dr. J. Richter Block 3-4 2013 Die mittelalterlichen Handschriften Welche Philologiemethode ist die beste Methode? vorgelegt von: Marieke van der Kammen Studiengang Duitse Taal en Cultuur 3. Studienjahr Stud.Nr: 3608964 Pastoor Sprengersstraat 7 NL – 5331 AG Kerkdriel Tel.: 0418 633938 E-Mail: [email protected] Abgabedatum: 16.08.2013 Wörterzahl: 7558 1 Inhaltsverzeichnis Thema: Seite: Einleitung 3 1. Die Herstellung von Handschriften und gedruckten Bücher 5 1.1 Die unterschiedlichen Handschriften 5 1.1.1 Die verfälschende Abbildung 5 1.1.2 Die Faksimile 6 1.2 Herstellung der Handschriften im Mittelalter 1.2.1 Buchherstellung während des Mittelalters als Arbeitsverfahren 1.2.2 Buchherstellung während des Mittelalters als ‚automatisches‘ Verfahren 1.3 Das gedruckte Buch 2. Die unterschiedlichen Methoden der Philologie 7 8 10 11 13 2.1 Die Philologie und der Archetyp 14 2.2 Die Philologie und das Bediérism 16 2.3 Die Philologie und Varianz 17 3. Die ‚New Philology‘ 19 Schlussfolgerung 25 Literaturverzeichnis 27 2 Einleitung Schon seit es die Menschheit gibt, gibt es einen Bedarf nach Kommunikation. In der früheren Zeiten, unter anderem die Prähistorie und frühe Historie, passierte diese Kommunikation vor allem durch mündlichen Überlieferungen. Später entstand die Schrift und die Schrift wurde zu einer der wichtigsten Kommunikationsquelle. Die Entwicklung der Schrift ist eine Arbeit an sich, womit diese Arbeit sich nicht beschäftigen wird. Die Schrift ist insoweit wichtig für diese Arbeit, da es eine Schrift geben muss, bevor ein Buch oder eine Handschrift entstehen kann. Viele Menschen, die in einer Gesellschaft wichtig waren, haben sich mit der Schrift befasst. Es wurde von Händlern, Regenten, Lehrern und noch viel mehr Instanzen als Kommunikationszweck verwendet. Das Ziel der Kommunikation für diese Personen war andere Menschen zu informieren. Es gab aber auch Personen, die die Schrift für Unterhaltungszweck verwendeten. Daraus sind später verschiedene Gattungen (sowie Romane, Novellen, Epen und so weiter) entstanden. Auch im Mittelalter gab es Personen, die Geschichte erzählt haben. Diese Geschichten wurden, häufig nicht durch die Erzähler selbst, aufgeschrieben. Weil es im frühen Mittelalter noch kein Buchdruck gab, wurde alles mit der Hand aufgeschrieben. Viele dieser Handschriften sind leider verloren gegangen, aber einige sind glücklich erhalten geblieben. Vor allem in Deutschland gibt es noch viele originale Handschriften in der Staatsbibliotheken. Wenn man eine Handschrift rekonstruieren will, braucht man unglaublich viele Kenntnisse bezüglich dieser Handschriften. Es ist nicht nur ein altes Buch, sondern Handschriften sind Kunstwerke, wobei es nicht nur um einen Text handelt, sondern auch um die Malereien die in der Handschrift gemalt worden sind. Eine Handschrift ist also nicht nur einfach ein geschriebenes Buch, sondern, wie Jakobi-Wirwald in ihrem Buch ‚Das mittelalterliche Buch‘ schreibt, „eben auch ein antikes, mittelalterliches oder frühneuzeitliches, jedenfalls von Hand geschriebenes und gleichfalls mehr oder weniger leserliches Buch.“1Als Grund der manchmal Unleserlichkeit führt sie die lateinische Sprache an. Doch sind die lateinische Handschriften deswegen nicht für ein breites Publikum uninteressant: „Sehr anziehend für eine breitere Öffentlichkeit ist hingegen ihre zuweilen prachtvolle Ausstattung, die Buchmalerei.“2 Eine Handschrift ist also nicht nur ein Buch oder eine Versammlung Geschichten, sondern ein Kunstwerk an sich. 1 Jakobi-Mirwald, Christine: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung, Stuttgart 2004, S.8. Ebd, S.8. 2 3 In dieser Arbeit stehen die Handschriften im Mittelpunkt. Im ersten Kapitel handelt es sich über reproduzierten Handschriften. Es wird kurz dargestellt, wie heutzutage Handschriften reproduziert werden können. Das ist wichtig für diese Arbeit, weil in späteren Kapiteln die unterschiedliche Methoden, womit man bei dem Editieren einer Handschrift arbeiten kann, besprochen werden. Damit werden die unterschiedlichen Philologien gemeint. Diese Philologien sind das Schwerpunkt dieser Arbeit. Man kann aber nicht direkt über die Philologien zu sprechen kommen. Es ist wichtig, erstens die anderen Aspekte der Handschriften zu beschreiben: Was genau ist eine Handschrift? Wie werden die Geschichte der Handschriften heutzutage interpretiert? Wie kann man heute noch eine Handschrift anschauen? Was war die Ansicht der Dichter, die die Geschichten schrieben? Aber auch werden die Fragen beantwortet, wie Handschriften erstellt wurden, welche unterschiedlichen Handschriften es gibt und wie Handschriften heutzutage behalten werden. Ein wichtiges Aspekt wird die Varianz sein. In dieser Arbeit wird mit Varianz die unterschiedlichen Lesarten einer Handschrift gemeint. Es gibt so viele unterschiedliche Handschriftenüberlieferungen, die die gleiche Geschichte erzählen, aber keine Überlieferung ist die gleiche. Es gibt Unterschiede in der Strophenfolge, in die Folge der Wörtern, in der Weise worauf Wörter übersetzt worden sind, und so weiter. Varianz kann auf der eine Seite durch Druckfehler oder Änderungen während des Druckprozesses entstehen, aber anderseits kam Varianz auch durch die Sänger und Erzähler der Geschichten zustande. Die Geschichten wurde nämlich meistens durch Sänger oder Erzähler in einem Gebiet erzählt, aber in jedem Gebiet erzählte der Erzähler oder Sänger die Geschichten anders. Diese Varianz steht im Mittelpunkt der Philologie, denn wenn es keine Varianz geben würde, sollte man auch nicht auf der Suche nach dem Original gehen müssen. Aber wie geht die Philologie mit dieser Varianz um? All diese Fragen führen auf die unterschiedlichen Philologien zurück. Am Ende soll die Frage beantwortet werden, welche Philologie man heutzutage am besten anwenden kann, wenn man versuchen will, eine Handschrift zu editieren. 4 1. Die Herstellung von Handschriften und gedruckten Bücher „Manche Codices, die zu ihrer Entstehungszeit in der Regel nur einem höchst exklusiven Benutzerkreis zugänglich waren, sind heute weltbekannt- durch Reproduktionen in Fachliteratur, Presse und Medien.“3 Früher war es einfacher sich eine Originalhandschrift anzuschauen. Hierbei muss aber bemerkt werden, dass dies nur für die exklusiven Gesellschaftskreisen galt. Heute ist das schon schwieriger, da die Originalhandschriften sehr gut konserviert werden müssen und die Handschriften sind auch sehr leicht zu beschädigen. Und auch heutzutage kann nicht jede Laie Zugang zu den Handschriften bekommen. Man muss ein wirklicher guten Grund haben, will man sich eine Originalhandschrift anschauen. Darüber hinaus muss man auch noch wissen wie man mit so einer Handschrift umgehen muss, denn es sind nicht einfach Bücher, sondern fast Reliquien: man sollte sehr vorsichtig damit sein. Doch ist es heute nicht unmöglich, mit einer Handschrift in Kontakt zu kommen und es ist auf verschiedenen Weisen möglich. Einige dieser Weisen werden in diesem Abschnitt beschrieben. 1.1 Die unterschiedlichen Handschriftarten 1.1.1 Die verfälschende Abbildung Obenstehender Titel sagt es schon: viele Handschriften werden bildlich reproduziert, und vor allem „Handschriften (…), die in Bibliotheken gehütet werden, für streng wissenschaftliche Benutzung reserviert sind und nur ausnahmsweise für Ausstellungen an die Öffentlichkeit gelangen.“4 Die Handschriften, wovon hier gesprochen wird, kann man nur in sehr seltenen Fälle besichtigen. Um die Handschriften trotzdem für ein breites Publikum zugänglich zu machen, werden die Handschriften bildlich reproduziert. Obwohl Fotografie meistens als ein objektives Phänomen betrachtet wird, ist das bei die Reproduktion der Handschriften nicht der Fall: „Erstens reduziert jede Fotografie ein dreidimensionales Objekt auf eine zweidimensionale Fläche, und zweitens verkleinert oder (seltener) vergrößert sie ihre Vorlage, von wenigen Ausnahmen abgesehen.“5 Jakobi-Mirwald spricht hier von einem dreidimensionales Buch, aber ein Buch umfasst immer ein vierte Dimension: das Blättern durch das Buch. Bei der bildlichen Reproduktion wird aber nicht versucht, dieses Blättern zu 3Jakobi-Mirwald, Christine: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung, Stuttgart 2004, S. 12. 4Ebd. S. 14. 5Ebd. S. 14. 5 reproduzieren („Nur selten wird in der Literatur der Versuch gemacht, bei der bildlichen Reproduktion den Eindruck eines geöffneten Buches wiederzugeben.“6). Die obenstehenden Faktoren erschweren es, eine gute bildliche Reproduktion einer Handschrift zu produzieren. Natürlich gibt es noch mehreren Faktoren: „Auswahl des Gegenstands, Ausschnittswahl und Standpunkt, über Farbabweichungen, Verteilung von Licht und Schatten (…)“ 7All diese Faktoren zusammen erschweren die Arbeit des Reproduktionsprozesses. Wer sich aber eine Handschrift in voller Pracht anschauen will, kann am Beste eine Faksimile verwenden. 1.1.2 Die Faksimile „Ein Faksimile ist eine möglichst genaue und vollständige Reproduktion einer Handschrift oder eines Druckwerks, das unter Zuhilfenahme aller möglichen technischen Mittel alle Merkmale des Originals wiedergibt, so dass es für nicht allzu spezielle Forschungsanfragen das Original ersetzen kann.“8 Wie schon eher beschrieben wurde, sind Originalhandschriften sehr leicht zu beschädigen. Man sollte sich wirklich Mühe geben, um sich ein Originalhandschrift anzuschauen und man soll auch ein sehr guter Grund dafür haben. Deswegen gibt es oft Faksimile. Diese werden mit großer Sorgfältigkeit hergestellt und ähneln dem Original sehr: Faksimile werden deswegen auch oft während einer Ausstellung benutzt. Dass so eine Handschrift ein Faksmili heißt, ist keine arbiträre Wahl, denn „nicht zufällig bedeutet fac simile ›mach’s ähnlich‹(nicht ›gleich‹)“9.Wenn ein Faksimile hergestellt wird, muss man die Vollständigkeit, Originalformat, originale Bindeart und Farbtreue des Originals beachten. Die Herstellung eines Faksimiles ist (durch alle Faktoren die man in Acht nehmen muss) ziemlich schwierig. Jeder Aspekt hat seine eigene Schwierigkeit und muss mit der größten Sorgfalt hergestellt werden. „Spätestens jetzt ist verständlich, dass das Erwerben eines solchen Faksimiles nicht jedem möglich ist. Die Herstellung ist zeitraubend, materialintensiv und höchst 6Jakobi-Mirwald, Christine: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung, Stuttgart 2004, S. 15. 7JEbd. S.14. 8Ebd. S. 17. 9Ebd. S. 18. 6 arbeitsaufwendig, sie kann Jahre dauern und somit der Herstellung des Originals nahe kommen.“10 Faksimile sind fast idyllisch, aber auch sie weisen einige Nachteile auf. Der größte Nachteil ist wahrscheinlich, weil die meisten Handschriften ein Faksimile haben, dass die Originalhandschriften immer schwieriger zu erreichen sind. Doch sind die Faksimile ein schönes Mittel um so nah wie möglich an das Original zu kommen. Oben hat man sich zwei unterschiedliche Formen einer Handschrift anschauen können. Aber Handschriften werden nicht nur reproduziert, um in einer Bibliothek aufbewahrt zu werden oder für einer Exposition verwendet zu werden. Die reproduzierten Handschriften sind auch Sammlungs- und Handlungsobjekten. Bevor Handschriften reproduziert werden können, muss man sie, logischerweise, erst herstellen. Heutzutage hat man dafür ganz viele unterschiedliche technische Hilfsmittel, aber in der Zeit der ersten Handschriften gab es diese Hilfsmittel noch nicht. Die Hersteller verwendete damals andere ‚Geräte‘. Vor allem die Schreiber waren wichtig bei der Herstellung einer Handschrift. Wichtig ist hierbei zu beachten, dass der Schreiber nicht mit dem Autor gleichzusetzen ist, aber das wird später in der Arbeit besprochen. 1.2 Herstellung der Handschriften im Mittelalter „An der klischeehaften Vorstellung von den demütig um Gotteslohn schreibenden einsamen Mönchen in efeuumrankten Kreuzgängen (so eine schöne ironische Wendung von Christopher De Hamel) hat sich im Laienverständnis bis heute wenig geändert.“11 Beim Mittelalter denkt man vor allem an schöne Schlösser, Ritter und alte Bücher die durch Mönchen geschrieben werden (und dann mindestens Jahrzehnten damit beschäftigt sind). Aus dem Zitat zeigt sich aber, dass das Letzte nicht stimmt, obwohl es ein schönes romantisches Bild darstellt. Wie es aber tatsächlich aussah, wird in diesem Abschnitt dargestellt. Man soll 10Jakobi-Mirwald, 11Ebd. Christine: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung, Stuttgart 2004, S. 21. S.148. 7 berücksichtigen, dass die nächsten Abschnitten eine Entwicklung darstellen. Es ist eine Entwicklung die Jahrhunderte gedauert hat. 1.2.1 Buchherstellung während des Mittelalter als Arbeitsverfahren Das Ansehen des Buches ist erst seit dem 7. Jahrhundert gewachsen. Es war nämlich Karl der Große, der sich realisierte, wie wichtig es war für ein Mensch um zu lesen: ,Der Kaiser ließ an seinem Hof eine Schule (Schola palatina) einrichten, wo seinen Hofleuten und deren Kindern unter anderem Schreiben und Lesen gelernt wurde. Nach diesem Vorbild richtete man auch an den Kirchen und Klöstern Schreibschulen und –stuben ein.‘12 Es gibt Hinweisen, dass die Handschriften manuell bearbeitet worden sind. Diese Hinweise gibt es meistens auf die Handschriften selbst. Zum Beispiel die Korrekturen des Buchstabenmalers und des Rubrikators fallen bei einer Handschrift auf. Es passierte, wenn eine Handschrift fertig war, dass es noch einige Fehler gab. „In vielen Handschriften stehen die Rubriktexte, teilweise beschnitten, außen neben der ausgeführten (oder auch ausgelassenen) Rubrik, und die Buchstaben, die einzufügen waren, sind ebenfalls am Rand oder an Ort und Stelle klein vorgeschrieben.“13 Der Fakt, dass es diese Anmerkungen neben dem Text der Handschrift gäbe, beweist auch, dass es also ein Rubrikator gegeben hat. Dieser Rubrikator war derjenige, der den Text überarbeitet hat. Wenn man eine Handschrift liest und rote Überschriften findet, heißt das also, dass ein Rubrikator sich mit dem Text beschäftigt hat und eventuelle Fehler neben dem Text geschrieben hat. Der Autor hat damit nichts zu tun. Der Autor ist während des Mittelalters sowieso eine sehr geheimnisvolle Figur. Meistens ist es nicht herauszufinden, wer ein Text als Original geschrieben hat. Von manche Autoren wissen wir nicht einmal, ob sie tatsächlich gelebt haben. Jakobi-Mirwald gibt aber eine Faustregel, an was man erkennen kann, ob der Autor sich auch tatsächlich mit der Bearbeitung des Textes beschäftigt hat: 12 Funke, Fritz: Buchkunde. Ein Überblick über die Geschichte des Buches, München 1999, S. 72. Christine: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung, Stuttgart 2004, S 149 . 13Jakobi-Mirwald, 8 „Erstens, je älter die Handschrift ist, zweitens, je weniger aufwendig ihr Buchschmuck und drittens, je kleiner die Schreibstube (das Kloster), in dem sie entstanden ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Schreiber auch die Ausstattung angefertigt hat. Arbeitsteilige Verfahren zeugen dagegen von einer großen Produktionsstätte mit vielen Arbeitskräften, die meist auch relativ anspruchsvolle Handschriften hervorbrachten.“ 14 Wenn es sich also um alte, einfache Handschriften handelt, kann man meistens davon ausgehen, dass der Autor sich mit dem Text beschäftigt hat. Das soll aber nicht bedeuten, wie Jakobi-Mirwald in ihrem Buch schreibt, dass die Handschriften, die in größeren Produktionsstätte hergestellt werden, von geringere Qualität sind. Der Autor ist hier nicht intensiv mit seiner Arbeit beschäftigt, während Rubrikatoren hier meistens schon intensiv mit der Arbeit beschäftigt sind. Es hat aber ein Grund, dass Autoren lieber anonym bleiben: „meum nomen non pono quia me laudare nolo: ich setze meinen Namen nicht hin, weil ich mich nicht loben will.).“15. Bescheidenheit war damals für Autoren geboten. Der Kolophon nimmt auch ein besonderer Platz in den Handschriften ein. Vor allem das Stoßseufer und der Bücherfluch-Text. Das Stoßseufer wird vom Schreiber hingeschrieben. Jakobi-Grimwald nimmt hier als Beispiel das Cadmag-Evangeliar: „Amen deo gratias ago cadmug scribsi (Amen, ich danke Gott, ich, Cadmug, habe [ dies ] geschrieben (…)“16. Meistens folgt auf einem Stoßseufer ein Bücherfluch-Text. Das Ziel dieser Texte wird im folgenden Zitat deutlich: „Si quis hunc librum sancto Willibrordo illique servientibus abstulerit, tradatur diabolo et omnibus infernalibus penis et sit anathema. fiat fiat amen amen. (Wenn jemand dieses Buch dem heiligen Willibrord und denen, die ihm dienen, wegnimmt, soll er dem Teufel und allen Höllenqualen übergeben und verflucht werden. Es sei, es sei, Amen, Amen.)“17 Erst ab dem 13. Jahrhundert wurde es gängiger , der Name des Schreibers bekannt zu machen. Diese Änderung „verläuft parallel zur Emanzipation der Persönlichkeit des Künstlers 14Jakobi-Mirwald, Christine: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung, Stuttgart 2004, S. 149-150. 15Ebd. S.150- 151. 16Ebd. S. 152. 17Ebd. S. 153. 9 in den anderen Bereichen.“18. Jakobi-Mirwald sagt auch etwas über eine parallele Änderung: „Ab der Zeit um 1200 vollzieht sich auch in der eigentlichen Buchherstellung ein tiefgreifender Wandel.“19 Es war nämlich in dieser Zeit, dass nicht die Klöster, sondern professionellen Schreibstuben die wichtigsten Buchhersteller wurden. Vor allem Universitäten machten „eine unvorstellbare Masse an Studienbüchern erforderlich und ihre Produktion wurde von der Universität aus überwacht.“20 Es war aber erst später (rundum den 14. Jahrhundert), dass auch die Name der Werkstätten bekannt wurden. 1.2.2 Buchherstellung während des Mittelalters als ‚automatisches‘ Verfahren „When the first scribes were entrusted to the press, the last scribes were not working so badly and people stayed with them in the homogeneous and reassuring space of writing by hand (…) The printed text was anything but certain: grievances were commonplace (…)”21 Wie bei allen Änderungen, geschah auch diese Änderung nicht auf einmal. Es dauerte Jahre (wenn nicht Jahrzehnte) bevor es üblich war, dass man mit einem Skript nicht mehr zum handarbeitenden Schreiber ging, sondern zur masseproduzierenden Schreibstube. Genau wie bei den meisten Änderungen, traute man die Neuen nicht und stehen lieber beim Alten. Am Anfang war der größte Nachteil, dass der Autor bei der Druckerei das Gefühl hatte, zusammen mit seiner Arbeit auch sich selbst überzugeben. Das kam vor allem, weil die Druckereien sehr fehlerempfindlich waren. Dafür nahmen die Redakteuren aber keine Verantwortung auf sich: „old books repeated a long litany of “Errata, si quae occurrent, benevolus Lector,“22. Dieses Phänomen hat sich in den nächsten Jahrhunderten überhaupt nicht geändert, da Editoren auch heute noch immer keine Verantwortungen für eventuelle (Tipp)Fehler im Text auf sich nehmen. Sogar heutzutage ist es fast unmöglich, einen fehlerfreien Text herzustellen. Man wird nie ein Buch lesen, ohne irgendeiner Fehler in dem Buch zu finden, egal ob es Tippfehler oder Schönheitsfehler sind. Mit Schönheitsfehler werden hier zum Beispiel Fehler gemeint, die bei der Einbindung des Buches entstanden sind. Der Grund, dass hier in der Arbeit ein ganzes Kapitel der Herstellung der Bücher gewidmet wird, liegt daran, dass die Ursache der Varianz bei der unterschiedlichen 18Jakobi-Mirwald, Christine: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung, Stuttgart 2004, S. 156. S. 156. 20Ebd. 157. 21 Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 4. 22 Ebd. S. 4. 19Ebd. 10 Handschriften in der Herstellung eines Buches liegt. Die Varianz kommt durch „corrections during the print run ( with the result that copies from the same edition can be different (…)), and there were corrections at the end of the print run (…).”23. Varianz kommt aber nicht nur so zustande. Weitere Gründe werden in der Fortsetzung dieser Arbeit besprochen. Weil man also schon während der Produktion Änderungen an der Handschrift anbringen konnte, gab es die Möglichkeit, dass Varianz zustande kam. Der Fakt, dass Editionen jetzt maschinell hergestellt wurden, hatte zur Folge, dass der Entwurf immer mehr geschätzt wurde. Hierbei soll aber in Acht genommen werden, dass obwohl es „maschinell‘ ist, manche Sache noch immer manuell zugepasst werden mussten. Auch das ist ein Phänomen, dass man heutzutage noch in der Gesellschaft findet. Das maschinelle Verfahren erhöhte der Wert des Entwurfes, auch weil das maschinelle Verfahren dafür sorgte, dass der Text eine feste Gesamtheit war.24 1.3 Das gedruckte Buch „Ein augenfälliger Unterschied der mittelalterlichen Handschriften gegenüber dem neuzeitlichen gedruckten Buch liegt im Fehlen des Titelblatts vor. Als Ersatz dafür dient das Incipit, so genannt nach der meist verwendeten lateinischen Anfangsformel des Textes „Hic incipit liber…“ (Hier beginnt das Buch…), der dann eine kurze Titelbezeichnung folgt. ”25 Mit incipit wird eine Notiz auf der ersten Seite einer Handschrift gemeint: es deutete die Anfang der Geschichte an. Der Fakt, dass nur manchmal der Name des Autors verwendet wird, ist schon im vorigen Absatz aufgeklärt worden. Die gedruckten Bücher versuchen meistens die Authentizität einer Handschrift intakt zu lassen (wie das oben genanntes Beispiel ‚incipit‘), aber das gedruckte Buch hat mit andere Problemen als die Handschriften zu kämpfen. Das fing vor allem in der Periode an, wo der Markt für gedrucktes Material ziemlich wuchs. Auch wurde die Bedarf nach billigen Massenwaren immer großer. Das kam durch große wirtschaftlichen und auch sozialen Änderungen rundum des 14. Und 15. Jahrhunderts. 26 . Es war auch in dieser Zeit, dass man mit Fälscher in Kontakt kam. Es war ein völliges neues Phänomen, aber „the degree of 21 July 1793 granted authors (and their heirs) the 23Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 5. S. 7. 25Funke, Fritz: Buchkunde. Ein Überblick über die Geschichte des Buches, München 1999, S. 73. 26Ebd. S. 99. 24Ebd. 11 exclusive right to sell, cause to be sold, and distribute their works or to surrender, wholly or partially, ownership of them. […] It announced the birth of the modern author.”27 In diesem Kapitel ist ausgebreit über die Herstellung der Bücher während die vergangenen Jahrhunderte geschrieben. Viele Aufmerksamkeit hierfür ist wichtig, weil das gedruckte Buch, und mit dem gedruckten Buch auch der feste Text, das Fundament der Philologie ist28. Hierüber wird in dieser Arbeit ausführlicher erörtert. 27Cerquiglini, 28 Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 11. Ebd. S. 12. 12 2. Die unterschiedlichen Methoden der Philologie Im vorherigen Kapitel ist der Begriff ‚Philologie‘ schon einige Male genannt worden. Dieser Begriff ist das Fundament, worauf die weiteren Kapitel aufbauen. Aber was ist Philologie überhaupt? Es ist leider kein Begriff, den man einfach klären kann. Es ist auch kein eindeutiger Begriff, da unter Philologie mehrere Methoden zusammengefasst worden sind. Die Philologie konzentriert sich nicht nur auf mittelalterliche Texte, was in dieser Arbeit schon der Fall ist, sondern auch auf moderne Texte. Deswegen werden in diesem Kapitel nur die Methoden der Philologie beschrieben, die sich mit mittelalterlichen Texten beschäftigen. Was aber alle Methoden gemeinsam haben ist, dass sie sich alle auf mittelalterliche Texte konzentrieren. Die mittelalterlichen Texte haben, wie fast alles, eine Entwicklung durchgemacht: am Anfang wurden die mittelalterliche Texte auf Lateinisch geschrieben, weil diese Sprache noch immer ein bestimmtes Ansehen hatte: ‚The language of religion, Latin was also an extremely useful medium of communication for the very few scholars, as well as the vehicle for the production, or rather, reproduction of knowledge.‘29 Cerquiglini bestätigt mit dieser Aussage, dass das Schreiben und Lesen von Texten nur für Gelehrte zugänglich war. Laien beschäftigten sich überhaupt nicht mit geschriebenen Texten. Es war erst rundum die Jahrtausendwende, dass auch die gesprochene Sprache (Umgangssprache) für Texte verwendet wurde: ‚The change that took place between A.D. 1000 and 1100 was, on the one hand, the mere quantity of inscriptions of every sort produced by medieval society (measured by the consumption of manuscripts and ink as well as sealing wax). On the other hand, the greatest change was that the written object was beginning to institutionalized. In England, for example, the least baronet would soon be required to read and sign (or to possess a seal), as would more than one of his newly rich serfs.’30 Immer mehr Menschen waren also imstande, ein Text zu lesen. Das kam hauptsächlich dadurch, dass immer mehr Texte in der Umgangssprache geschrieben wurden. Immer mehr Menschen hatten auch das Bedürfnis, ein Text lesen zu können und dadurch Kenntnisse zu erwerben. Nach der Meinung Erich Auerbach (ein wichtiger deutscher Philologe) ist ein 29 30 Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 14. Ebd. S.15. 13 wichtiger Grund, dass Texte immer mehr in der Umgangssprache geschrieben wurden, ‚the need to Christianize the servants and staff in monastires and places of worship had some bearing upon the very first texts in the vernacular‘.31 Die Folge dieser ‚Revolution‘ ist, dass die gesprochene Sprache nicht mehr so wichtig war wie vorher (und auch nie mehr so wichtig geworden ist). Allgemein bekannt ist, dass es in früheren Zeiten vor allem eine orale Tradition gab, wenn es auf das Erzählen von Geschichten ankam. Ab der Jahrtausendwende ändert sich das langsam zu einer Tradition der geschrieben Sprache und das hat sich nie mehr geändert. Das ist aber logisch, da die Verschiebung von gesprochener zur geschriebenen Sprache einen Fortschritt war.32 Für spätere Philologen ist es nicht einfach gewesen (und ist es heutzutage noch immer schwer) mittelalterliche Handschriften zu reproduzieren. Erstens sollte man die Sprache verstehen: die Umgangssprache ändert sich schnell, manchmal sogar schneller als die Standardsprache. Zweitens ist es nicht so, dass im Mittelalter nur eine Version einer Geschichte besteht. Es gibt unglaublich viele Variation zwischen den unterschiedlichen Handschriften. Über die Variation wird aber später in dieser Arbeit noch ausführlich gesprochen. 2.1 Die Philologie und der Archetyp Eine der ältesten Methoden der Philologie ist das Kreieren eines Archetyps. Dieses Kreieren war ‚der Suche nach der „richtigen“ Fassung, die Rekonstruktion der für original gehaltenen Form (…).‘33 Der Archetyp war also der Fassung, wie es einmal als Original zustande gekommen ist. Der wichtige Mann, der sich mit dieser Methode beschäftigt hat, ist Karl Lachmann (‚the mythic figure of a great, political, and worldly professor, an impeccable and extremely arrogant Prussian scholar’34). Man soll sich aber nicht durch das Wort ‚ arrogant‘ täuschen lassen (obwohl Cerquiglini nicht der einige ist, der sagt, dass Lachmann arrogant war). Man soll dadurch aber nicht voreingenommen die Theorie von Lachmann studieren. In seinem Buch ist Cerquiglini ziemlich negativ über Lachmann und seine Theorie. Das heißt aber nicht, weil Lachmanns Theorie alt ist, es auch gleich eine schlechte Theorie ist. Damals war diese Archetyptheorie, was die Philologie betrifft, einen Fortschritt . 31 Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 19. Vgl. ebd. S.16. 33 Cramer, Thomas: Mouvance. In: ZfdPh. Hgg. v. Besch, Oellers e.a. Band 166 Sonderheft, 1997, S. 150. 34 Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 48. 32 14 Lachmann arbeitet nach dem Prinzip des Archetyps, wobei alle unterschiedlichen Überlieferungen einer Handschrift studiert werden und wobei der Versuch gemacht wird, daraus letztendlich die Handschrift zu entdecken, wie der Autor es sich vorgestellt hat. Philologen, die sich mit dieser Art der Philologie beschäftigten, waren einverstanden, dass man den Text so lesen sollte, wie man den Text unter Augen kommt. Dazu sagt Hans Ulrich Gumbrecht in seinem Aufsatz ,Ein Hauch von Ontik‘ folgendes: ‚(…) im Vergleich zur Beobachter-Position der frühen Neuzeit, ist das wissensproduzierende Subjekt seither – mindestens – ein Beobachter zweiter Ordnung (…) (ein Beobachter zweiter Ordnung weiss, dass er nur das beobachten kann, was er beobachten kann).‘35 Die mittelalterlichen Texte wurden nicht in die Zeit versetzt, in der sie geschrieben waren, aber die Philologen hielten immer ihre eigene Zeit im Hinterkopf. Sie konstruierten Handschriften anhand Ereignissen und Methoden aus ihrer eigenen Zeit, statt sich im Kontext zu versetzen, in der die Handschriften geschrieben wurden. Das Zeitalter in dem Karl Lachmann lebte, weist ein großer Unterschied mit der Zeit worin die Handschriften aufgeschrieben wurden auf. Cerquiglini beschreibt kurz, wie Lachmann bei dem Rekonstruieren der Handschriften vorgegangen ist: ‚Lachmann spread a method to which he gave his name, thus establishing the practice of “scientific” editing of old texts. The method consisted of reducing the editor’s subjectivity as a factor in the choice of the good readings and using an almost mechanical method for reconstructing the original. (...) Lachmann thus provided scholarly and renowned (...) ancient and venerated texts that the scribes of late antiquity and the Middle Ages had copied with respect.’36 Alles, was die Schreiber an den Handschriften hinzugefügt haben, wird durch Lachmann vernichtet. Varianz kam bei ihm überhaupt nicht zur Sprache, da es irgendwann ein Original der Handschrift gegeben haben muss. Aber wie konnte Lachmann dann überhaupt folgern, welche Handschrift eine Kopie und welche Handschrift ein Original war? Worauf er zum Beispiel geachtet hat, sind die Fehler: Handschriften, die die gleichen Fehler aufweisen, 35 36 Gumbrecht, Hans Ulrich: Ein Hauch von Ontik. In: ZfdPh. Hgg. v. Besch, Oellers e.a. Band 166 Sonderheft, 1997, S. 35. Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 48. 15 müssen unbedingt kopiert sein, denn keine zwei Schreiber machen den exakt gleichen Fehler. 37 Diese Sichtweise ist aber beschränkt, denn manche Fehler sind keine Schreibfehler (oder Flüchtigkeitsfehler), sondern sind im Grammatiksystem eingebettet. Diese Systemfehler können nach heutiger Sicht also sicherlich schon in unterschiedlichen Handschriften durch unterschiedlichen Schreiber gemacht worden sein. Für Lachmann waren diese ‚Fehlerhandschriften‘ wichtig: ‚the manuscripts that show a shared wrong were copied, and only the thing copied (…) was worthy of interest, because it allowed one to come closer to the original.‘38 Der Grund, dass Lachmann glaubte, die kopierten Handschriften könnte ihm zum Original führen, lag darin, dass Lachmann überzeugt von dem Fakt war, dass die Fehler vom Original kopiert worden sind (denn wie sollte sonst zwei exakt gleiche Fehler auftreten können?). Durch alle diese Zusammenhänge zwischen den Handschriften konnte Lachmann einen Archetyp erstellen. Eine editierte Handschrift Karl Lachmanns, besteht deswegen eigentlich aus allerlei Teilen aller Handschriften, zu ‚dem Original‘ zusammengebunden. Diese Methode war in Deutschland schon sehr bekannt, bevor sie in der 1860’er Jahre durch Gaston Paris nach Frankreich transportiert wurde.39 2.2 Die Philologie und das Bediérism Ein später bekannt gewordener Philologe, Jospeh Bédier (der am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts lebte), fing damit an, die Methode von Lachmann und Paris zu kritisieren. Cerquiglini fasst kurz zusammen, was ‚Bediérism‘ beinhaltet: ‚“Is there any sure way of reconstructing a sufficient approximation of the contents of the first manuscript, presumably unsullied by errors, the one that Jean Renart, on the eve of publishing his poem, must have written in his own hand and then, to be certain the text was right, must have read and reread with his own eyes?”. Bédierism is basically the regret over not being able to give a positive response to that question.’40 Bédier, und die Philologen die seine Meinung vertreten, sind also enttäuscht darüber, dass man das Original finden kann. Bédier nimmt sich lieber eine Handschrift, die am besten ist: ‚The best idea was to accept a good manuscript (…) and to stick with it, reducing and 37 Vgl. Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 48. Ebd. S. 48. 39 Ebd. S. 51 40 Ebd. S. 66. 38 16 explaining the necessary corrections41. Der Fakt, dass so viele Philologen nach Bédier (und auch während des Lebens von Bédier) diese Methode übernommen haben, liegt daran, dass die Methode von Bédier auch die Zeit in der den Text geschrieben wurde, für ganz wichtig hält. Der größte Unterschied zwischen den Methoden von Lachmann und Bédier liegt darin, dass Lachmann selbst eine Handschrift herstellt, während Bédier sich eine Handschrift als ‚die beste Handschrift‘ wählt, und die Änderungen, die die Schreiber angebracht haben, respektiert. Ein anderer Unterschied ist auch, dass Lachmann wirklich auf der Suche nach ‚dem Original‘ war, im Gegensatz zu Bédier, der versucht hat, die beste Handschrift zu finden und nicht an den Handschriften herumzuhantieren. 2.3 Die Philologie und Varianz Die letzte Methode der Philologie, die in diesem Kapitel nur kurz besprochen wird, ist die ‚Neue Philologie‘. Die ist aber besser unter dem englischen Namen bekannt: ‚New Philology‘. Ein wichtiger Aspekt dieser Philologiemethode, und worin es sich von den anderen beiden Philologien unterscheidet ist, dass diese Philologie versucht, die Kultur und Zeit, in der der Text geschrieben wurde, während das Editieren zu respektieren. Die Frage warum man eine neue Philolgie ‚erfunden‘ hat, wird durch Stephen Nichols in seinem Aufsatz ‚Introduction: Philology in an Manuscript Culture‘ beantwortet: ‚(...) the consensus seems to be that medieval philology has been marginalized by contemporary cognitive methodologies, on the one side, while within the discipline itself, a very limited and by now grossly anachronistic conception of it remains far too current.’42 Die Varietät ist in der neuen Philologie unglaublich wichtig. ‚Varianz‘, kann man sagen, ist der Kernbegriff dieser Philologie. Im nächsten Kapitel wird über diese Philologie weiter erörtet. Eine kleine Bemerkung soll aber schon hier gemacht werden. Denn Peter Stroschneider schreibt in seinem Aufsatz ‚Situationen des Textes‘ nämlich das Folgende: ‚Keineswegs folgen diese Texte [höfische Erzählungen] durchwegs dem Prinzip der variance. Variabel sind sie zwar auf jener linguistischen Ebene des ‚Wortlauts‘, auf 41 Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 67. Nichols, Stephen: Introduction: Philology in a Manuscript Culture, in: Speculum. Hg. v. Medieval Academy of America. Band 65.1, 1990, S. 1 42 17 welcher sich erst für die Episteme der Buchkultur die Identität eines Werkes entscheiden kann, doch auf zahlreichen anderen Ebenen ist die poetische Rede vielmehr spezifisch gekennzeichnet durch die ‚invariance‘ ihrer Traditionalität, Konventionalität, Habitualität, Formiertheit.‘43 Stroschneider sagt hier also, dass es keine Varietät bei den höfischen Romanen gibt, nur auf der linguistische Ebene des Wortlauts. Aber genau diese Ebene ist für die Varietät wichtig, da man mit Wortlaut immer ‚spielen‘ kann: Schreiber haben, während des Mittelalters, nicht seltsam die Reihenfolge geändert, ein Wort durch ein anderes Wort ersetzt oder es werden nur kleine Adaptationen durchgesetzt, die aber für Varietät sorgen. Stroschneider hat aber Recht, dass der rote Faden der Geschichte sich nie ändert. Weil die neue Philologie die neueste und auch interessanteste Philologie ist, wird diese ein eigenes Kapitel gewidmet. Strohschneider, Peter: Situationen des Textes. Okkasionelle Bermerkungen zur ‚New Philology‘. In: ZfdPh. Hgg. v. Besch, Oellers e.a. Band 166 Sonderheft, 1997, S. 83. 43 18 3. Die ‚New Philology‘ Philologie ist, wie schon eher erwähnt ist, kein einfaches Untersuchungsfeld. Die Zeit ändert sich und damit auch die Methode, mit der man sich mit Philologie beschäftigt. In den vorherigen Kapiteln sind schon drei unterschiedliche Methoden besprochen. Seit einige Jahrzehnten gibt es eine Methode, die man als ‚New Philology‘ (‚neue Philologie) bezeichnet . Der Grund, dass gerade dieser Philologie ein ganzes Kapitel gewidmet liegt, liegt daran, dass das Wort ‚neu‘ in diesem Philologiename eingewebt ist. Denn etwas, das ‚neu‘ ist, wird oft argwöhnisch beobachtet und durch ältere Wissenschaften kritisiert. In diesem Kapitel wird die neue Philologie vorgestellt und erklärt in welchen Aspekten diese Philologie, im Gegensatz zu den anderen beschriebenen Philologien, anders ist. Am Ende des 20. Jahrhunderts sind zwei Arbeiten erschienen, die für die Entwicklung der neuen Philologie wichtig gewesen sind. Die erste Arbeit ist das Buch von Bernhard Cerquiglini ‚In Praise of the Variance‘, das in dieser Arbeit schon mehrere Male zitiert worden ist. Die zweite Arbeit ist einen Aufsatz, geschrieben durch Stephen Nichols in der Zeitschrift ‚Speculum‘. Ein wichtiger Schwerpunkt der neuen Philologie ist die Varianz der Handschriften: die Varianz muss respektiert werden und man muss vor allem nicht versuchen, die Varianz zu nivellieren . Es wird hier nicht, wie bei Karl Lachmanns Archetyp, nach einer originalen Handschrift gesucht. Die neue Philologie versucht zu den Wurzeln der Philologie zurückzukehren. Damit ist gemeint, dass man bei der neuen Philologie die Varianz nicht nur respektiert sondern auch versteht. Man versteht also warum es überhaupt Varianz gibt und an dieser Varianz muss man nicht herumhantieren sondern man soll diese Varianz so lassen, wie die ist: ‚On the one hand, it is a desire to return to the medieval origins of philology, to its roots in a manuscript culture where, as Bernard Cerquiglini remarks, “medieval writing does not produce variants; it is variance.” On the other hand, a rethinking of philology should seek to minimize the isolation between medieval studies and other contemporary movements in cognitive methodologies (...).’44 44 Nichols, Stephen: Introduction: Philology in a Manuscript Culture, in: Speculum. Hg. v. Medieval Academy of America. Band 65.1, 1990, S. 1 19 Was auffallend ist, ist, dass Nichols hier von ‚return to the medieval origins of philology‘ spricht. Weiter schreibt er auch noch ‚a rethinking of philology‘. Anhand dieser zwei Aussagen kann man sich die folgende Frage stellen: was ist ‚neu‘ an dieser Philologiemethode, wenn Nichols hier über ‚return‘ und ‚rethinking‘ spricht? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Nichols wirft den anderen Philologiemethoden vor, dass sie wichtige Aspekte der Handschriften ignoriert haben. Diese Aspekte sind, unter anderem, die Malereien, die für die Handschriften so wichtig waren und auch Bedeutung für die Geschichte hatten. Auch haben diese Philologiemethoden auf den Fakt verzichtet, dass es kein Individuum war, die eine Handschrift herstellte, sondern dass es viele Personen gab, die damit beschäftigt waren: Dichter, Schreiber, Illuminator und Kommentator. Diese Personen arbeiteten alle zusammen und fügten auch alle was an eine Handschrift zu. Es war nicht nur der Schreiber, der an einer Handschrift arbeitete:45 ‚What is “new” in the philology to all the contributions may be found in their insistence that the language of texts be studied not simply as discursive phenomena but in the interaction of text language with the manuscript matrix and of both language and manuscript with the social context and networks they inscribe.’46 Die neue Philologie ist natürlich nicht in allen Aspekten neu: sie baut noch immer auf die Wurzel, in den auch die anderen Philologiemethoden entsprungen sind, auf und deswegen weisen alle Methoden der Philologie Ähnlichkeiten auf. Was aber neu ist, ist, dass die neue Philologie eine Handschrift in ihren Kontext stellt und alle Faktoren, die während der Herstellung einer Handschrift zutage treten, respektiert. Ein anderer Faktor, der für die neue Philologie unglaublich wichtig ist, ist die Varianz die ein Text aufweisen kann. In der Einleitung steht geschrieben, was in dieser Arbeit mit Varianz gemeint wird. Es soll hier weiter beschrieben werden. Im ersten Kapitel wurde eine Ursache für Varianz genannt: die Korrekturen während des Druckens einer Geschichte könnte zur Folge haben, dass es innerhalb einer Edition unterschiedliche Kopien gab.47 Die Ursache dieser Varianz lag aber im Drucksystem: Korrektoren, und in den späteren Zeiten auch Verlage, bemühte sich mit dem Druck eines 45 vgl. Nichols, Stephen: Introduction: Philology in a Manuscript Culture, in: Speculum. Hg. v. Medieval Academy of America. Band 65.1, 1990, S. 7 46 Ebd. S. 9 47 Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 5. 20 Buches und es war nicht der Autor selbst, der Änderungen an seiner Geschichte angebracht hat. Durch diese Varianz gab es die Möglichkeit, dass kleine Dinge einer Geschichte sich ändern konnten: eine Kommaversetzung, die Verwechselung einiger Wörter innerhalb eines Satzes, usw. Diese Änderungen scheinen auf dem ersten Blick nicht so bedeutungstragend zu sein, aber können doch dafür verantwortlich sein, dass man eine Geschichte anders interpretiert. Varianz kam aber auch noch wegen anderer Ursachen zustande. Eine der wichtigsten Ursachen wird durch die Zeitschrift ‚Literatur [nu]‘ kurz zusammengefasst: ‚Buiten de geestelijkheid kon vrijwel niemand lezen of schrijven. Literatuur werd daarom nauwelijks gelezen. Verhalen werden mondeling overgeleverd door rondreizende dichters en zangers. Omdat de ene verteller iets toevoegde en een ander weer iets wegliet, veranderden de verhalen door de eeuwen heen.’ 48 Dieses Zitat beschreibt den Kern der Varianz: es gab am Anfang des Mittelalters noch gar keine Gesellschaft, in der es üblich war, Bücher zu lesen oder zu schreiben. Das Buch war damals bei weitem nicht so wichtig wie es in späteren Zeiten geworden ist. Geschichten las man nicht in einem Buch, sondern wurden von Sängern und Erzählern an das Publikum vorgetragen. Die Sänger und Erzähler kamen nicht allen aus dem gleichen Gebiet. Es gab Sänger und Erzähler im Norddeutschland, Süddeutschland, Westdeutschland und Ostdeutschland. Und in diesen Gebieten gab es unterschiedliche Dialekte und könnte es passieren, dass die Umgangssprache später unterschiedlich interpretiert wurde‚ wodurch es Unterschieden in den Übersetzungen gibt: „Variance is the main characteristic of a work in the medieval vernacular: a concrete difference at the very basis of this object (...).‘49 Cerquiglini redet hier von ‚vernacular‘: der Dialekt war für diese unterschiedlichen Geschichten der Erzähler und Sänger wichtig. Das Gebiet, wo die Geschichten erzählt wurden, war so groß, dass es eine unglaublich große Menge Dialekte gab. Diese Geschichten wurden durch die Erzähler und Sänger in ihrem eigenen Dialekt übersetzt und während dieser Übersetzung kam es zu den Übersetzungsfehler. Es ist auch wahrscheinlich, dass man mit einem Wort in einem bestimmten Dialekt nicht bekannt war, sodass man es mit mehreren Wörtern umschreiben musste. Dies hat manchmal zur Folge, dass die Bedeutung des 48 Noordhoff: Middeleeuwen. Heldendichten, ridderromans en hoofse gedichten. In: Literatuur [nu] Duits. HAVO/VWO Tweede Fase. Hgg. v. Berkman, Blum e.a.2011-2012, S. 32. 49 Cerquiglini, Bernhard: In Praise of the Variant. A Critical History of Philology, Baltimore 1999, S. 37-38. 21 übersetzten Wortes verloren ging, was für eine Geschichte meistens anderen Sichtweise bringt. Es ist nicht nur Varianz, die die Philologen, die die Strömung der neuen Philologie folgen, untersuchen. Diese Philologiemethode versteht nämlich, dass die unterschiedlichen Handschriftüberlieferungen in unterschiedlichen Zeiten geschrieben worden sind. Während das Rekonstruieren oder Editieren einer Handschrift versucht diese Philologiemethode sich in der Zeit, worin einer Handschrift geschrieben wurde, zu versetzen. ‚Die Rede ist etwa von den sozialen oder ‚realen‘ Kontexten der Texte, von „oral situations“, „performance“, der Pragmatik von Diskursen und davon, daß der „New Philologist must, insofar as possible, recontextualize the text as acts of communication […].‘ 50 Das was die neue Philologie hier versucht, ist unglaublich schwierig: sie versucht zu verstehen, wie man in der Vergangenheit dachtet, was üblich war und vor allem wie man mit einander kommunizierte. Denn ein Text, der vor tausend Jahren erzählt worden ist, enthalt ganz andere Normen, Werten und auch Ideen und Meinungen als heutzutage. Die neue Philologie versucht während des Rekonstruiere einer Handschrift, und auch während des Publiziere einer Edition, mit diesen Eigenschaften des Textes eine Handschrift so gut wie möglich in die Standardsprache zu übersetzen. Der neue Philologe hat mit dieser Methode keine einfache Aufgabe. Er muss die Semiotik der mittelalterlichen Sprache kennen und versuchen die Bedeutungen in die heutigen Gesellschaft Bedeutung zu geben, sodass man versteht, was man damals mit der Geschichte erzählen wollte. Anhand eines Beispiels wird hier gezeigt, dass die Varianz in mittelalterlichen Handschriften nicht versehentlich war, sondern ‚als je authentische Zeugnisse eines historischen Zustandes, mehr noch: als ein Ergebnis eines planvollen, bewußten und beabsichtigten Arbeitsprozesses am Gedicht anzusehen, wer immer ihn zu verantworten hat.‘51 Der Fakt, dass Varianz als bewusstes Mittel eingesetzt wurde, weckt die Frage, ob es dafür auch Regeln gegeben hat. Wenn diese ‚bewusste Varianz‘ Regeln hat, ist es wichtig, die Regeln aufzuspüren und auch 50 Strohschneider, Peter: Situationen des Textes. Okkasionelle Bemerkungen zur ‚New Philology‘. In: ZfdPh. Hgg. v. Besch, Oellers e.a. Band 166 Sonderheft, 1997, S. 72. 51 Cramer, Thomas: Mouvance. In: ZfdPh. Hgg. v. Besch, Oellers e.a. Band 166 Sonderheft, 1997, S. 150. 22 muss man immer bedenken, dass es Regelverstöße geben kann: variierte Überlieferungen einer Handschrift muss man nicht gleich als ‚sinnlos‘ bezeichnen, aber auch nicht direkt alle ‚sinnvoll‘. 52 Thomas Cramer gibt in seinem Aufsatz ‚Mouvance‘ ein sehr schönes Beispiel für Varianz, anhand des Minnesangliedes ‚V‘ von Heinrich von Veldeke. Dieses Beispiel wird hier auf der nächste Seite gezeigt. ‚Heinrich von Veldeke Lied V, Fassung B Heinrich von Veldeke Lied V, Fassung C I In den zitten vor dem iare, I Die mich darumbe wellen niden, das die tage sint lang das mir leides iht geschiet, und das wetter wider clare, das mac ich vil sanfte liden, <sunder sinen dang,> noch mine blideschaft vermiden so vernúwet offenbare und wil darumbe niet die merlichen ir sang, gevolgen den unbliden, die uns bringent liebú mere. danach das man mich gerne siet got mag er sin wissen dang, dú mich dur die rehten minne swer hat rehte minne lange pine doln liet. sunder rúwe ane twang. II Die mich darumbe wellen niden, II In den zitten vor dem iêre, das mir laides iht beschiht, das die tage sint lanc das mag ich vil sanfte liden und das weter wider clere, und will darumbe niht so vernúwet offenbere mine blitschaft vermiden dú merlin ir sanc, noch gevolgen den unbliden die uns bringent liebú mere danach das si mich gerne siht, got mag er sin wissen danc, dú mich dur die rehten minne swer hat rehte minne lange pine dolen liet sunder rúwe ane wanc. III Ich will vro sin durch ir ere, III Ich will vro sin durch ir êre, dú mir das hat getan, dú mir das hat getan, 52 Cramer, Thomas: Mouvance. In: ZfdPh. Hgg. v. Besch, Oellers e.a. Band 166 Sonderheft, 1997, S. 151. 23 das ich von der rúwe kere, das ich von der rúwe kere, dú mich wilent ierte sere, dú mich wilent irte sere, das ich mich nu so vergan, das ist mich nu so vergan, das ich bin rich und gros here, das ich bin rich und gros here, sit ich si muoste alumbe van, sit ich bin muoste alumbe van, dú mir gab rehte minne dú mir gab reht minne sunder wich und wan. sunder wig und wan.‘ 53 Was gleich ins Auge springt, ist natürlich die Wechselung der ersten zwei Strophen. Aber auch wenn man die gleichen Strophen nebeneinander legt, sieht man, dass manche Wörter anders geschrieben sind: iêre statt iare, wanc statt twang, und in Fassung C ist ein ganzer Satz weggelassen: <sunder sinen dang,>. Cramer nach ist Fassung B die normale Fassung: ‚Die Handschrift B bietet dagegen die nach dem erwartbaren Minnesangmuster „normale“ Fassung, indem sie der Natureingangprobe den Platz zuweist, den sie ihrem Namen nach verdient: den Anfang des Gedichts.‘54 Wenn aber Fassung B die „normale“ Fassung ist, warum hat jemand sich dann die Mühe gegeben, eine Fassung C zu editieren? Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Höchstwahrscheinlich hat es mit dem Reimschema zu tun. Fassung C muss näher an die Autorenfassung kommen mit der Anwendung des durchlaufenden a-Reims und ‚also ausweist, daß sie nicht Rohmaterial bietet, und gleichzeitig durch die unkonventionelle Stellung der Natureingangsstrophe den Anreiz gibt, die gewohnte Ordnung und damit eine weitere, sinnvolle Fassung des Gedichtes herzustellen.‘55 Schon anhand dieses kleinen Beispiels kann man sehen, dass es unglaublich schwierig ist, die Varianz zwischen unterschiedlichen Fassungen zu untersuchen. Die neue Philologie versucht, diese Varianz zu untersuchen aber vor allem zu respektieren. Man muss die Varianz respektieren und versuchen, die Bedeutung der Varianz zu verstehen und anhand der Varianz eine schon überlieferte Handschrift als beste wählen und anhand dieser Handschrift eine neue Edition publizieren. 53 Cramer, Thomas: Mouvance. In: ZfdPh. Hgg. v. Besch, Oellers e.a. Band 166 Sonderheft, 1997, S. 154-155. Ebd. S. 155. 55 Ebd. S. 156. 54 24 Schlussfolgerung Das Rekonstruieren des Textes einer Handschrift ist eine unglaublich schwierige Sache. Man soll mit so viele Faktoren, die in dieser Arbeit genannt worden sind, Rechnung halten und man soll die Sprache kennen, in der die Handschriften geschrieben worden sind. Die Sprache war auch nicht eine Einheit, sondern die Handschriften wurden in unterschiedlichen Dialekten aufgeschrieben. Neue Editionen werden heutzutage noch immer hergestellt und alte Handschriften wird man immer rekonstruieren bleiben. Das Rekonstruieren hatte zur Folge, dass es unterschiedliche Methode gab, die man angewendet hat. In dieser Arbeit sind drei Methoden der Philologie besprochen worden: der Lachmannmethode, das Bediérism und die neue Philologie. Die neue Philologie hat nicht ein ‚Frontmann‘, obwohl Stephen Nichols und Bernhard Cerquiglini mit ihren Texten wichtig für die Entwicklung dieser Philologie waren. Die neue Philologie ist nicht in alles neu, aber schon in der Umgang mit Varianz und das Respektieren der Varianz. Es heißt aber nicht, dass etwas Neues meint, dass man die vorherigen Methoden als ‚alt‘ und ‚unbrauchbar‘ bezeichnen muss. Karl Lachmann versuchte ein Archetyp herzustellen, der das Original sein sollte. Er kreierte, seiner Meinung nach, das Original. Das konnte dafür sprechen, dass er in der Tat arrogant war, da es unmöglich war (und noch immer ist) das Original herzustellen. Aber in seiner Zeit war diese Methode ein großer Fortschritt. Das Bediérism war vor allem das Bedauern, dass es unmöglich war, ein Original herzustellen. Joseph Bediér nahm sich eine Handschrift, wovon er dachtet, dass es die beste Handschrift war und die in nächster Nähe zu dem Original stand. Diese Handschrift wurde für weiteren Editionen angewendet. Bediér kreiert also keine Handschrift, sondern wählt sich eine Handschrift. Die Frage, die man bei dieser Methode äußern kann, ist wie man die beste Handschrift wählt. Die neue Philologie ist die beste Methode für das Rekonstruieren einer Handschrift: es berücksichtigt einige wichtige Faktoren die die anderen Methoden nicht, oder nicht zusammen, berücksichtigen. Der erste Faktor ist die Varianz. Die neue Philologie respektiert diese und versucht die Varianz in neuen Editionen zu behalten. Auch ist es für diese Philologiemethode wichtig, dass die Zeit, in der die Handschriften geschrieben wurden, berücksichtigt wird. Die Gesellschaft, in der die Handschriften entstanden, nimmt diese Methode in Acht und wird auch durch die Methode, während das Kreieren einer Edition, angewendet. 25 Das in dieser Arbeit die neue Philologie als die beste Methode gewählt worden ist, heißt nicht, dass man die andere Methoden einfach in den Papierkorb werfen kann. In der Zeit, in der diese Methoden entstanden sind, war es ein großer Fortschritt und Fortschritte soll man niemals wegwerfen, sondern immer respektieren. 26 Literaturverzeichnis Cerquiglini, Bernhard. 1997. In Praise of the Variant: A Critical History of Philology. Übers. Betsy Wing. Baltimore: The John Hopkins University Press Cramer, Thomas. 1997. „Mouvance“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Besch, W., Oellers, N., e.a. (Hrsg.). Band 166 Sonderheft: 150-181 Funke, Fritz. 1999. Buchkunde. Ein Überblick über die Geschichte des Buches. München: K.G. Saur Gumbrecht, Hans Ulrich. 1997. „Ein Hauch von Ontik“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Besch, W., Oellers, N., e.a. (Hrsg.) Band 166 Sonderheft: 31-45 Jakobi-Mirwald, Christine. 2004. Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung. Stuttgart: Reclam Philipp Jun Nichols, Stephen. 1990. „Introduction: Philology in a Manuscript Culture”.In: Speculum. Medieval Academy of America (Hrsg.) Band 65.1: 1-10 Noordhoff. 2011-2012. „Middeleeuwen. Heldendichten, ridderromans en hoofse gedichten”. In: Literatuur [nu] Duits. HAVO/VWO Tweede Fase. Berkman, H.P., Blum, A. e.a. (Hrsg.): 32-35 Strohschneider, Peter. 1997. „Situationen des Textes. Okkasionelle Bemerkungen zur ‚New Philology‘“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Besch, W., Oellers, N., e.a. (Hrsg.) Band 166 Sonderheft: 62-86. 27