Kreativität und Innovation im Design Designer sollten auf drei Trends achten: Erstens gilt „innovativ“ inzwischen als mehr oder weniger gleichbedeutend mit „nachhaltig“. Der Energieverbrauch bei der Herstellung und Verwendung von Produkten, die Kosten ihrer Entsorgung, die ökologische Kennzeichnung von Waren und das Problem des Stromverbrauchs von Geräten im „Schlummermodus“ – das ist die neue Religion im Design. Kult ist zweitens die Anreicherung von Produkten mit allem, was Verbrauchern das verspricht, was man heute „Erlebnis“ nennt – also das Markenerlebnis, die sinnstiftende Produkterfahrung oder die spielerisch-kreative Selbstbetätigung des Verbrauchers als Co-Designer seiner Gebrauchsgegenstände. Und drittens beherrscht eine pikante Mischung aus Furcht und Herablassung die Diskussion über China, Indien und bald möglicherweise auch Russland als neue Konkurrenten im Designgeschäft. Die Klimadoktrin Auch Designer sind nicht taub für die Mahnungen der Weltuntergangspropheten. Schon heute gehört die Umgestaltung eines wehrlosen Wasserkochers im Blickwinkel der Corporate Social Responsibility zu den angesagtesten Projektaufgaben an vielen Ausbildungsstätten für Designstudenten. Nebensache, dass britische Wasserkocher nur für einen Ausstoß von 1,09 Prozent der von Elektrizitätswerken emittierten Kohlendioxidmenge verantwortlich sind. Nebensache, dass Millionen Briten – trotz Starbucks – nicht so schnell von ihrer historisch gewachsenen Vorliebe für Tee ablassen werden. Nein, was grüne Eiferer antreibt, ist die Überzeugung, die Briten würden bessere Menschen, dächten sie bei jeder Tasse Tee an den Treibhauseffekt. Doch die Nachhaltigkeitshysterie macht nicht beim Wasserkocher halt, sondern breitet sich gnadenlos auf alle Produktarten aus: Alles muss Ökostandards gerecht werden. Um damit nicht unnütz Zeit zu verschwenden, sollten Designer sich von der Wissenschaft den rationalen Umgang mit dem Klimawandel weisen lassen. Nur Wissenschaftler vermögen sinnvolle umweltschonende Projekte von solchen zu unterscheiden, die bestenfalls das Gewissen beruhigen, im schlimmsten Fall aber den Lebensstandard senken und eine autoritäre politische Atmosphäre erzeugen. Designer müssen wissenschaftlich unterscheiden lernen, um Design- und Innovationsprozesse von irrationaler Zensur zu befreien. Grüne geben sich gerne radikal und behaupten, nachhaltige Produkte bräuchten kreatives, innovatives Denken. Doch da alle Nachhaltigkeitsforderungen darauf hinauslaufen, möglichst keine Spuren in der Natur zu hinterlassen, kann ihre Sicht auf Produktdesign und Innovation zwangsläufig nur eine zutiefst konservative sein. Sinnstiftende Erfahrung als Innovationshemmer Zahlreiche mittelgroße britische B2B-Produkthersteller begegnen der Herausforderung der neuen Konkurrenz aus China, indem sie ihre Angebote in Bereichen wie Beratung, Wartung und Reparatur sowie kundenspezifischer Designlösungen ausbauen. Ebenso ausgeprägt ist der Trend zur Stilisierung von Produkten als sinnstiftende Erfahrungen. Das hört sich innovativ an, spricht aber eben auch nur die Kunden an, die sich vom Trinken kalten Tees seelische Läuterung erhoffen. Im Gegensatz zu Asien gilt im Westen technischer Ehrgeiz als kalter Kaffee. Aber Technik macht das Produkterlebnis des Kunden überhaupt erst möglich. Um beim Kaffee zu bleiben: Am 17. Februar 2006 schwärmte ein Leitartikel in der Times über Starbucks als Paradebeispiel für „die neue Art, in der Geld die Welt regiert“. Die aktuellste Diskussion zum Thema Produkterlebnis findet sich jedoch in dem von Darrel Rhea, Steve Diller und Nathan Shedroff verfassten Werk Making Meaning: How Successful Businesses Deliver Meaningful Customer Experiences (New Riders, 2006). Für Rhea und seine Co-Autoren ist Marketing längst über reine Promotion, Produktentwicklung und Markenpflege hinaus. Es gehe darum, die persönlichen Werte des Kunden zu bestätigen und seine Identität mit einem Angebot an sinnstiftendem Genuss zu stärken. Starbucks, Harley-Davidson und Apple machen – so Making Meaning – großes Geld mit sinnstiftenden Erfahrungen dieser Art. Dem stimmt auch Design Director Lars Engman bei IKEA zu. Er zitiert den selten gelesenen, aber oft zitierten Psychologen aus der Ära des Kalten Krieges, Abraham Maslow, und meint, im 21. Jahrhundert gehe es darum, nicht nur grundlegende Kundenbedürfnisse zu befriedigen, sondern sie in ihrer Selbstverwirklichung (oder Selbstaktualisierung, wie Maslow das nennt) zu unterstützen. Beim Besuch der britischen IKEA-Website stelle ich bestürzt fest, dass das auch die offizielle Botschaft des Unternehmens ist. Hier werden Fragen wie „Wie schaffe ich die richtige Atmosphäre in meinem Schlafzimmer? (Keine Angst vor Experimenten.)“ seitenlang abgehandelt. Dagegen findet sich von den vielgehassten, aber äußerst nützlichen Montageanleitungen keine Spur, obwohl diese doch grundlegend zum Markenerlebnis IKEA beitragen. Kevin Clark, Director of Brand and Client Experience Design bei IBM, liefert ein Gegenargument zu Engmans Selbstverwirklichungsdoktrin: Für zusätzliche 30 Cent ergänzte Big Blue seinen ThinkPad um ein kleines Lämpchen, das die Bedienung des Bildschirms erleichtert. Hier wird also doch noch auf Funktionalität gesetzt. In Asien haben Wissenschaft und Technologie einen viel höheren Stellenwert als im Westen. Während in London die elektronische Oyster Card nur die Tür zu den öffentlichen Verkehrsmitteln öffnet, bietet die Octopus Card in Hongkong Zugang zu einer für uns geradezu unvorstellbaren Bandbreite an Dienstleistungen. Nahfeldkommunikation, Mobiltelefone, Batterien, Sprachsteuerung, neue Materialien, Miniaturisierung, RFID-Tags und die meisten Schlüsseltechnologien der Zukunft – in all diesen Bereichen werden asiatische Länder die Führung übernehmen. Derweil sinniert man im dekadenten Westen über Öko-Wasserkocher und Selbstaktualisierung. Westliche Designer sollten sich wieder der Sprache der Wissenschaft und der Technologie zuwenden – nur so können sie Respekt für ihre Arbeit finden. Auch die Aneignung von Grundkenntnissen der asiatischen Sprachen, Geografie und Geschichte wäre angesagt. Weder Anbiederung an den Osten noch moralisierende Herablassung sind der Kreativität zuträglich. Produktdesigner müssen über ihr Ursprungsland, ihre subjektiven Erfahrungen und ihr Fachgebiet hinauswachsen und internationale Kooperation in einer professionellen und weltoffenen Atmosphäre anstreben: Das wäre wirklich innovativ und würde das Produktdesign zu der Zukunft führen, die ihm gebührt. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Reul. Published in: Novo 84, September 2006