Süddeutsche Zeitung Magazin

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Design & Wohnen Essen | Heft 16/2009
Gute Form, böse Form
Für Walter Gropius gehörten Design und Ethik untrennbar zusammen: Die Gestaltung unserer
Alltagswelt hat – natürlich – immer auch eine moralische Dimension. 90 Jahre nach der BauhausGründung gilt wieder die Frage: Werden die Dinge, die uns täglich umgeben, uns als Menschen
überhaupt gerecht? Über die Notwendigkeit einer neuen Moral des Designs.
Die gute Form – mit diesem Buchtitel prägte 1957 Max Bill, Bauhaus-Schüler und Mitbegründer
der Ulmer Hochschule für Gestaltung, einen bis heute feststehenden Begriff. In der
Moralphilosophie ist »das Gute« schon seit Aristoteles bekannt als das, wonach man streben
sollte.
Auch der tägliche Sprachgebrauch kennt mehrere Bedeutungen von »gut«, was beim Design
Verwirrung stiften kann: Geht es um »gut« als Gegenteil von »schlecht« und meint es dann nicht
nur das Design selbst, sondern die Tauglichkeit für einen Zweck, zum Beispiel den Gebrauch?
Oder geht es um das Gegenteil von »böse«, was eine menschliche, ja moralische Zuschreibung
wäre? Design bestimmt den Alltag, deshalb geht die Frage nach seiner moralischen Dimension
uns alle an. Womöglich gibt es sogar einen inneren Zusammenhang, ja eine Abhängigkeit des
Designs von der Moral.
Das Bauhaus wollte über Gestaltung die Lebensumstände der Menschen verbessern. Der Deutsche
Werkbund hatte sich Anfang des letzten Jahrhunderts sogar zum Ziel gesetzt, über die Moral der
Dinge, ihre gute Qualität, den Menschen zum Besseren zu erziehen. Und 1964 fanden sich
Grafikdesigner zusammen, um in dem Manifest First Things First die Konzentration auf
gesellschaftlich relevante Themen zu geloben. Es wurde im Jahr 2000 erneuert. Heute, in Zeiten
von Erderwärmung und weltweiter Rohstoffverknappung, ist »grünes Design« das Schlagwort der
Stunde.
Alle diese Ansätze eines moralischen Designs – die Erziehung zum besseren Menschen durch die
gute Form, die Verbesserung der Lebensumstände, die Auswirkung von Herstellung, Gebrauch
und Entsorgung auf die Umwelt, die Auswirkung der ästhetischen Gestaltung auf die Gesellschaft
und die Frage einer möglichen Pflicht zur »Verschönerung der Welt« – scheinen auf einer
Grundunterscheidung zu basieren: Jedes Designobjekt hat eine materielle Ebene, die sich der
Nützlichkeit, dem Gebrauch zuordnen ließe, und eine nichtmaterielle Ebene, die man vereinfacht
die künstlerische nennen könnte, den Teil, welchen der Berner Designhistoriker Beat Schneider
genauer in die ästhetischen und symbolischen Funktionen aufspaltet. Beide Seiten haben
spezifische Auswirkungen auf das Miteinander der Menschen, und begreift man Moral als die
Summe der Grundsätze, die unser Miteinander bestimmen, kann keiner der beiden Aspekte
losgelöst von moralischen Erwägungen bleiben.
Wie konkret diese im Alltag wirken, zeigt die Diskussion um die Sport Utility Vehicles (SUVs),
deren Design eine Mischung aus Luxuslimousine und Geländewagen darstellt. Neben der erhöhten
Fremdgefährdung für andere Verkehrsteilnehmer durch Form und Gewicht der SUVs stellt sich
die ethische Frage: Ist es vertretbar, ein Auto zu fahren, das 20 oder mehr Liter Benzin auf 100
Kilometer verbraucht, ohne dass es dafür eine Notwendigkeit gibt, etwa den Wohnort auf einer
abgelegenen Berghütte?
Zu fragen wäre aber auch, wie Formgebung und Ästhetik solch eines Autos auf die Gesellschaft
wirken – vor allem in ihrem symbolischen Gehalt im Sinne Beat Schneiders. Viele der modernen
SUVs benutzen die Formensprache der Macht, des Reichtums und der Abgrenzung: Man sitzt
höher in ihnen, schaut auf die anderen buchstäblich hinunter. Dazu gesellt sich ein
unterschwelliges Bedrohungspotenzial durch die martialische Gestaltung.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Speziell in einer Zeit sozialer Unsicherheit kann mehr noch als
die Zurschaustellung von Luxus gerade die Darstellung von Macht gesellschaftszersetzende
Wirkung haben)
Welche Auswirkungen hat solch ein Design in einer Konsensgesellschaft wie der deutschen, die in
den letzten Jahren verstärkt über das Thema »Ausgrenzung« diskutiert unter dem Schlagwort des
»abgehängten Prekariats«? Dieses Prekariat leidet ja nicht nur an der Nichtbefriedigung
materieller Bedürfnisse. Zugespitzt ausgedrückt: Es ist hart genug, von Hartz IV zu leben,
verheerend aber für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist das Gefühl der Chancenlosigkeit und
Ausgegrenztheit.
Dieses Gefühl wird aber durch die Konfrontation mit einem Design verstärkt, das Macht und
Luxus derjenigen nach außen betont, die zentral in der Gesellschaft stehen. Speziell in einer Zeit
sozialer Unsicherheit kann mehr noch als die Zurschaustellung von Luxus gerade die Darstellung
von Macht gesellschaftszersetzende Wirkung haben und damit allein aus der symbolischen Kraft
des Designs heraus ethisch fragwürdig sein. Ein Problem, das die SUVs übrigens mit anderen
Luxusautos teilen: Auch in diesem Segment zeigt die Gestaltung weniger Eleganz und
Schnelligkeit als vielmehr Kraft, Macht, Aggression und Behauptungsanspruch. Dabei geht es
nicht um die subjektive Frage: Was ist schön und was nicht?, sondern um die weiteren Funktionen
und Aussagen des Designs.
Das Bauhaus wollte gesellschaftliche Gräben überwinden – mit Design, das Schlichtheit zum
Prinzip erhob. Für den Gründungsdirektor Walter Gropius gehörten Design und Ethik zusammen
im Sinne einer Sozialmoral. In seinen Grundsätzen der Bauhaus-Produktion forderte er eine neue
Werkgesinnung, die sich ausdrücklich auf die soziale Frage bezog. Durch »Einfachheit im
Vielfachen, knappe Ausnutzung von Raum, Stoff, Zeit und Geld« und die »Schaffung von Typen
für die nützlichen Gegenstände« sollten die Lebensumstände der Menschen verbessert werden.
Gropius wollte Ressourcen effizienter nutzen. Wenn Gegenstände so gestaltet würden, dass
Materialeinsatz und Herstellung sie günstiger machen, kommt dies sozial Schwächeren zugute, die
sich diese Gegenstände dann leisten können. Geht dies mit einer »guten Gestaltung« einher,
können die Lebensverhältnisse auch ästhetisch verbessert werden – ein doppelter Gewinn.
Der sozialreformerische Designansatz ist heute gegenüber ökologischen Aspekten in den
Hintergrund getreten. Steht in Zeiten des Klimawandels das »grüne Design« in der logischen und
legitimen Nachfolge des sozialreformerischen, oder haben wir es nur mit einer Mode zu tun? Ist
Grün das neue Rot im Design? Womöglich kommt der Frage nach Energieverbrauch und
CO2-Ausstoß heute dieselbe moralische Relevanz zu wie damals den sozialen Anliegen.
Andererseits sind – gerade jetzt in der wirtschaftlichen Krise – die sozialen Probleme nicht
verschwunden. Hinzu kommt: Ökologisches Design ist meist teurer. Nicht jeder kann es sich
leisten. Und welcher Aspekt hat Vorrang: der soziale oder der ökologische? Könnte es, falls
ökologisch korrekte Produkte zu einem neuen Statussymbol werden, nicht zu einer weiteren
Ausgrenzung finanziell schwächerer Bevölkerungsteile kommen – zu einem Non-Öko-Prekariat?
Bei den Biolebensmitteln und der Diskussion, ob man bei Discountern noch einkaufen darf, kann
man das heute zum Teil schon erleben.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: War das Massendesign des Sozialismus gut gemeint, aber eben
nicht gut gemacht?)
Für Gropius war gutes Design auch eine Frage der Herstellung. Durch Standardisierung sollte die
Produktion von Bauhaus-Design so billig werden, dass jeder es sich leisten konnte. Die
sozialistischen Länder verfolgten diesen Ansatz später weiter und erhoben ihn beispielsweise in
Form des Plattenbaus zum Prinzip. Nicht nur zur Freude der Bewohner: Neben bauphysikalischen
Schwächen führte gerade die Uniformität, die geringe Auswahl etwa an Tapeten oder Ausstattung
zu Unbehagen, zu einem Gefühl der Monotonie.
War das Massendesign des Sozialismus gut gemeint, aber eben nicht gut gemacht? Der Verdacht
liegt nahe, doch spricht der weltweite Erfolg uniformierender Moden und Marken eher dagegen.
Und verfolgen nicht Firmen wie Ikea und H & M mit ihren in hoher Auflage günstig
produzierten Produkten die Strategie der Standardisierung im Sinne des Bauhauses? Damit wären
diese beiden Inbegriffe von Kapitalismus und Globalisierung zumindest in diesem Punkt
wirkmächtige Vertreter sozialreformerischer Ideale. Damit wären wir beim Paradox, dass
gewinnorientiertes Produktmarketing ohne moralische Absichten die moralisch hochgesteckten
Ziele des Bauhauses vielleicht nicht auf dessen ästhetischem Niveau, dafür aber in der Praxis
umso erfolgreicher erreicht.
Am Ende bleibt die Frage, wie viel ethische Verantwortung der Designer selbst trägt. Im Manifest
First Things First 2000 heißt es dazu, dass die ökologischen, sozialen und kulturellen Krisen die
Aufmerksamkeit der Designer fordern. Nötig sei »eine geistige Wende weg vom
Produktmarketing und hin zu einer neuen Sinngebung«. Dies blieb nicht unwidersprochen. Im
Zentrum der Debatte stand die Frage, inwieweit sich der Designer zum Erziehungsberechtigten der
Gesellschaft aufschwingen darf. Der Grafiker Alex Cameron warnte, wenn »der Designer als
Vermittler durch den Designer als Priester des Guten abgelöst wird, bedeutet das die
Entmündigung des Publikums«. Einer derartigen Entmündigung sei aber, so Cameron, »allemal
vorzuziehen, dass die Menschen ihre Entscheidungen selbst treffen – ungeachtet der Tatsache,
dass der Designer diese Entscheidungen möglicherweise falsch findet«.
Die erzieherischen Designansätze, wie sie das Bauhaus und der Werkbund verfolgten, reiben sich
in der Tat mit demokratischen Grundsätzen. Wer legt fest, was als schön und gut zu gelten hat?
Führt solch ein Designidealismus in letzter Konsequenz nicht zu Bevormundung, ja zu einer
Gestaltungsdiktatur? Gehört zu den Grundrechten nicht auch das auf schlechten Geschmack?
Solch eine Bevormundung wäre tatsächlich höchst fragwürdig, ginge es nur um die Frage: schön
oder hässlich. Bei der moralischen Frage von gut oder böse aber kann niemand seine Hände nach
getaner Arbeit in Unschuld waschen. Ein Produzent von Landminen kann sich auch nicht darauf
berufen, dass er die Kriegsparteien dieser Erde bei der Wahl ihrer Mittel nicht bevormunden will.
Design ist nicht ethisch neutral, und ein Designer kann sich ebenso wenig wie jeder andere auf den
Standpunkt zurückziehen, was aus seiner Arbeit entsteht, gehe ihn nichts an. Design ist
Gestaltung, und zu gestalten beinhaltet Verantwortung.
Rainer Erlinger, 43, ist Mediziner, Jurist und Publizist. Seit sieben Jahren beantwortet er die
»Gewissensfragen« unserer Leser.
Quelle: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/28958
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