Themen für Ethik Klausur: Das Wesen moderner Technik Texte aus dem Ethik-Buch, S. 258/259: M2: Das Bacon-Projekt M3: Vormoderne und moderne Technik Technikbewertung / Verantwortung des Wissenschaftlers S. 270, M5: Werteoktogon Spiegel-Artikel: „Ich hasse die Person, die ich war“ – Ken Alibek Gentechnik: Tomate und Brokkoli nach Schnittmuster http://www.deutschlandfunk.de/biopatente-tomate-und-brokkoli-nachschnittmuster.724.de.html?dram:article_id=271154 (auch als Audiodatei zum Nachhören – s. Link, Spalte rechts, oben) Gentechnik auf dem Acker (Artikel von Jost Herbig, s. unten) Die Zeit, 25. September 1981 Werden Großkonzerne die Landwirtschaft der Zukunft kontrollieren? Von Jost Herbig Um zu erkennen, wie in Zukunft Agrartechnik die Mägen von Milliarden hungernder Menschen füllen soll, genügt es jedoch nicht, nur auf das wissenschaftlich Mögliche und das technisch Machbare zu schauen. Deutlich wie kein anderes Anwendungsgebiet der genetischen Technik spiegelt der Agrarsektor die soziale Vieldeutigkeit des technischen Fortschritts. Beispiel Grüne Revolution: In den vierziger Jahren begannen wohlmeinende Agrarspezialisten, darunter der spätere Friedensnobelpreisträger Norman Borlaug, in Mexiko mit Regierungsunterstützung ein umfangreiches Entwicklungsprogramm. Ziel war, die auf der Welt führende amerikanische Land wirtschaftstechnik auf mexikanische Verhältnisse zu übertragen. Und von Mexiko aus griff die Grüne Revolution seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre auf Entwicklungsländer in aller Welt über. Gemessen an den Erträgen kann diese kapitalintensive Form der Landwirtschaft eine beachtliche Erfolgsbilanz vorweisen: In Mexiko gelang es innerhalb zweier Jahrzehnte, die durchschnittlichen Hektarerträge beim Weizen von 880 Kilogramm im Jahr 1950 auf 2840 im Jahr 1970 zu steigern. In Europa hat es nicht weniger als sechs Jahrhunderte gedauert, um beispielsweise in England von mittelalterlichen 800 auf 2720 Kilogramm im Jahr 1950 zu gelangen. Aus dieser Perspektive plädierte vor wenigen Wochen der englische Biophysiker und Nobelpreisträger Max Perutz in der ZEIT (Nr. 35) engagiert für die Grüne Revolution: „Ohne Chemie kein Brot“. Untersucht man jedoch, wer den Nutzen zog, so zeigt der scheinbare Fortschritt sein anderes Gesicht: In Mexiko erwirtschafteten zwischen 1950 und 1960 ganze vier Prozent der Bevölkerung 80 Prozent dieser eindrucksvollen Ertragssteigerungen. Nutznießer der Grünen Revolution waren dort und auch in vielen anderen Entwicklungsländern vor allem Großgrundbesitzer und große, kommerziell orientierte Farmer. Superpflanzen für Kleinbauern Fortschrittliche. Landwirtschaft verlangte auf einmal teures Saatgut, Chemiedünger, Bewässerungsanlagen und chemische Schädlingsbekämpfungsmittel. Die Grüne Revolution setzte auf den Typus des Agrarunternehmers, der für den Markt produziert. Durch Verdrängungswettbewerb und ein regelrechtes Bauernlegen verloren Millionen von Kleinbauern die Existenzgrundlage. Wie wenig dies alles mit technischen Sachzwängen zu tun hat, zeigen Studien des Forschungsinstituts der Vereinten Nationen für Sozialen Wandel (UNRISD). Trotz massiver Regierungsunterstützung erwirtschafteten die großen, kommerziell orientierten mexikanischen Farmen um zwölf Prozent geringere Hektarerträge als die Kleinbauerngenossenschaften der eijdos. In ihrem Bericht über Zukunftsperspektiven durch moderne biologische Forschung sagen Gros, Royer und Jacob gewaltige Konzentrationsbewegungen voraus: „Von heute bis zum Jahr 2000 werden wahrscheinlich nur noch wenige Nationen übrigbleiben, die imstande sind, die genetischen Ressourcen zu kontrollieren, ihren Wert auszuschöpfen und in Form einer geringen Zahl verbesserter Sorten kommerziell auszuwerten.“ Das Fusionsfieber hat die Zubehörindustrie für moderne Landwirtschaft schon erfaßt. Giganten der Erdöl-, Chemie- und Pharmabranchen wie Royal Dutch/Shell, Ciba Geigy, Sandoz, Monsanto, Occidental Petroleum und andere haben Saatgutunternehmen zu Dutzenden aufgekauft. Die notwendigen Entwicklungsarbeiten Verlangen ein hohes wissenschaftliches Können, viel Kapital und bergen Risiken, die nur große Konzerne tragen können. Nach einem Bericht des angesehenen amerikanischen Wirtschaftsmagazins Forbes investieren große amerikanische Ölkonzerne, Chemie- und Pharmaunternehmen bereits heute jährlich Beträge zwischen 20 und 60 Millionen Dollar in langfristig angelegte Agrarforschung. Chemiekonzerne wie DuPont, Dow oder Allied Chemical interessieren sich für pflanzliche Stickstoffbindung und Photosynthese; die Pharmahersteller Eli Lilly, Pfizer und Merck beschäftigen sich mit Gentechnik an Pflanzen; die Ölriesen Atlantic Richfield und Occidental Petroleum erforschen landwirtschaftliche Verwendungszwecke der Biotechnik. In Zukunft könnte ein internationales Agro-Oligopol eine ähnliche Macht über die Ernährung der Menschheit gewinnen, wie es heute die „Sieben Schwestern“, die großen Erdölkonzerne, auf dem Erdölmarkt haben. Für solche Konzerne war die Grüne Revolution der Weg zu den bis dahin unzugänglichen Märkten der Entwicklungsländer. Sie konnten entscheidenden Einfluß auf die Agrarentwicklung vieler Länder der Dritten Welt nehmen. Die Fehlentwicklungen der Vergangenheit würden durch die Forschungs- und Vermarktungsstrategien zukünftiger Agromultis vermutlich entscheidend verschärft: wachsende Abhängigkeit von einer aufwendigen Landwirtschaftstechnik; wachsende Abhängigkeit der Entwicklungsländer von importierter Technologie; Vergrößerung der sozialen Unterschiede in Entwicklungsländern und damit verbundene Verelendung großer Bevölkerungsteile; zunehmende Vereinheitlichung der Pflanzen und Pflanzenkulturen, die zur Ursache steigender Schädlingsanfälligkeit wird und Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen notwendig macht. Solche Gefahren sollten uns nicht blind für die außergewöhnlich vielversprechenden Möglichkeiten der heutigen pflanzengenetischen Forschung machen. Es hieße, leichtfertig eine der großen Zukunftschancen zu verspielen, würden wir übersehen, was Gentechnik zur Ernährung der Menschheit beitragen könnte. Doch zuerst müßte sich der technische Fortschritt an den Bedürfnissen der Menschen und nicht an den Interessen einer kleinen und weiter schrumpfenden Zahl von Unternehmen orientieren.