Gandhi als Modell der religiösen Toleranz Meine sehr verehrten Damen und Herrn! . Ich möchte zu ihnen als Inder aus Kerala in Südindien über Gandhi, den großen indischen Staatsmann, den Vater der indischen Nation sprechen, der zugleich ein großartiger religiöser Denker war. Das Thema meines Vortrages ist Gandhi als Modell der religiösen Toleranz. Jeder der sich mit der Person dieses Mannes auseinandergesetzt hat, müsste eigentlich stutzen und fragen: Stimmt das? War Gandhi tolerant? 1. Ehe wir uns in dieser Frage nähern, dürfte es richtig sein einen kurzen Blick auf den Lebenslauf dieses bedeutenden Mannes zu richten. Gandhi wurde im Jahre 1869 geboren. Sein Vater war höherer Beamter in dem Fürstentum Gujarat, die Familie war Hindu, wie der gesamte Bundesstaat Gujarat noch heute Hindu ist. Man war Hindu, wie man in Österreich, meistens jedenfalls, katholisch ist. Man dachte sich nicht allzu viel dabei und war das, was man von seinen Eltern geerbt hatte. So war es auch bei Gandhi, der mit 15 Jahren von seinem Vater in einer frühen Ehe, wie es in Indien damals üblich war und heutzutage noch, verheiratet wurde. In seiner Autobiografie spricht Gandhi darüber – er wundert sich aus der Rückschau, dass er über diese frühe Ehe nicht empörter war. Damals aber fand er das ganz normal. Nach dem Tode seines Vaters wurde er von seiner Mutter erzogen. Als begabter junger Mann mit den entsprechenden Verbindungen wurde beschlossen, ihn nach England zu schicken zum Studium. Er studierte Jura. Die Mutter gab die Zustimmung hierzu nur unter der Voraussetzung dass Gandhi ihr versprach treu an den heimischen Sitten festzuhalten und auf keinen Fall beim seine indische Nationalität und den Hinduismus zu verraten. 1 Ein wichtiges Element dieses Hinduismus war und sind noch Speisevorschriften, die es dem Hindu verbieten, Fleisch zu essen und bestimmte andere Speisen zu sich zu nehmen. Gandhi hielt sich an diese Vorschriften geradezu peinlich, im gewissen Sinne streng. Auch als man ihm vorstellte, dass ein anderes Klima kräftigere Speisen erfordere, war er nicht dazu zu bewegen, von diesen Formalitäten seines Glaubens Abstand zu nehmen. Es ist aus dieser Lebensphase aber nicht bekannt, dass Gandhi sich mit den Inhalten des hinduistischen Glaubens besonders auseinandergesetzt hätte. Eine 2. wichtige Phase im Leben des jungen Advokaten war, dass er nach Südafrika verschlagen wurde, um dort die Interessen eines indischen Geschäftsmanns wahrzunehmen. Hier kam er mit den von der englischen Kolonialmacht nach Natal/Südafrika eingeführten Indern in näheren Kontakt und erkannte, wie seine indischen Lands – und Rassegenossen in Südafrika unterdrückt oder diskriminiert wurden. Erstmals in Südafrika scheint Gandhi sich seiner indischen Nationalität und auch seines Glaubens bewusst geworden zu sein. Umso interessanter ist es, dass hier auch seine ersten wirklichen Begegnungen mit dem Christentum stattfinden. In seiner Autobiografie wird das im Einzelnen beschrieben. Offenbar fand er Zugang zu frommen christlichen Kreisen auch Gebetskreisen, und es wurde ihm deutlich, dass die religiösen Inhalte des Christentums mit denen des Hinduismus anscheinend weitgehend übereinstimmenden. Das führte Gandhi dazu, sich mit dem eigenen Glauben, den Inhalten des Hinduismus näher zu befassen. Er begann intensiver in der Bhagavatgita, welche im Hinduismus etwa dem Neuen Testament für Christen entspricht, zu lesen. Die einzelnen Stationen seines Lebens sind hier nicht nachzuzeichnen, da wir keine politische Biografie treiben, sondern uns über die geistliche Entwicklung dieses Mannes Gedanken machen wollen. Aufgrund seiner Erfahrungen in Südafrika konnte Gandhi in Indien eine politische Rolle spielen, welche sich mit der seit dem Massaker von Amritsar 1919 2 langsam einsetzenden indischen Nationalbewegung (Befreiungsbewegung) verband. Im Rahmen dieser Befreiungsbewegung (quit-India) und seiner politischen Tätigkeit kam in Gandhi nun erstmals in intensiveren Kontakt mit den muslimischen Bevölkerungsteilen im Norden Indiens. II. Gandhis Toleranz Wenn ich es richtig sehe, müssen wir in der geistlichen Entwicklung Gandhis 2 Elemente unterscheiden. Die Begegnung mit dem Christentum führte bei Gandhi zu einer Erkenntnis seines eigenen Glaubens zu einer intensiveren Beschäftigung mit der Bhagavatgita und auch mit dem Neuen Testament. Es würde im Rahmen dieser Ausführungen zu weit führen, einzelne Vergleiche anzustellen zwischen der Gita, wie sie kurz genannt wird, und dem Neuen Testament. Ich glaube aber nicht fehl zu gehen, wenn ich folgendes grundsätzlich sage: Viele ethische Aussagen, welche wir als Christen vom Apostel Paulus übernommen haben, welche auch in der Bergpredigt vorgeprägt sind, finden sich, wenn auch in anderer Form, in dem heiligen Buch der Hindus wieder. Wer ein richtiger Hindu ist, kann auch Christ sein, und ich möchte, obwohl ich selber katholischer Priester bin, fast so weit gehen: der Christ, der die Lehren Jesu wirklich verstanden hat, könnte auch Hindu sein. Ich bin aber gerne bereit, über dieses Thema näher mit ihnen nachzudenken. Ich möchte nicht, dass bei Ihnen der Eindruck entsteht, als ob für mich als indischen Christen alles gleichgültig wäre. Es geht hier lediglich um die grundsätzliche Frage: Was verbindet uns Christen mit dem Hinduismus, um dann besser herauszufinden, was uns trennt. Das Verhältnis Gandhis zum Islam scheint mir von einer völlig anderen Art zu sein. Zunächst ist die Struktur des Islam kurz zu beleuchten. Der Hinduismus ist eine, wenn man so sagen darf, freie Religion, welche sich an das Gewissen des Menschen richtet, während der Islam von vorneherein eine staatsgebundene Religion ist. In der gebotenen Kürze glaube ich wie folgt sagen zu 3 dürfen: der Islam ist eine staatsgebundene, in starkem Maße vom Recht geprägte Religion (zahlreiche Vorschriften des Koran beziehen sich auf Erbrecht und andere bürgerlich rechtliche Beziehungen). Das ist der Hinduismus und auch das Christentum nicht. Es war daher in gewissem Sinne konsequent wenn die muslimischen Bevölkerungsgruppe Indiens ihren eigenen Staat forderte, wie es unter dem Muslimführer Jinnah geschah. Wenn wir in diesem Zusammenhang die Frage nach Gandhis Toleranz gegenüber dem Islam stellen, dann kommt ein politisches Element mit hinein: Gandhi, der in einem kleinen indischen Teilfürstentum aufgewachsen war, hatte immer mehr den Gedanken eines einheitlichen Indiens, bestehend aus dem gesamten Subkontinent, gefasst. Gandhi erkannte, dass die Muslime ein integraler Teil dieses großen Gebietes waren. Gandhi scheint mehr und mehr von dem Gedanken fasziniert gewesen zu sein, die zum Teil außerordentlich verschiedenen Bevölkerungsteile Indiens, welche überdies ja noch verschiedene Kasten unterteilt waren, ebenso zusammenzufassen, wie seine religiös getrennten Bevölkerungsteile. Vielleicht hat Gandhi in Indien ein Beispiel für eine künftige Weltgemeinschaft gesehen – viele Rassen, viele Religionen und doch ein Volk. Indien war für ihn möglicherweise ein vorweggenommenes Beispiel der globalisierten Welt. Das Verhältnis Gandhis zum Islam war daher ein politisches und weniger ein religiöses. Nach meiner Kenntnis hat Gandhi sich niemals ernsthaft mit dem Islam als Religion auseinandergesetzt. Seine Forderung nach Toleranz bezog sich darauf, dass Hindus und Muslime Teil eines gemeinsamen Volkes sind oder sein sollten. Hier findet auch der von Gandhi als Wahlspruch verkündete Grundsatz Ahimsa seine Bedeutung. Dieses Sanskrit Wort bedeutet Nicht – Gewalt. Zunächst war damit gemeint, dass die in Indien lebenden Bevölkerung – und Religionsgruppen einander ohne Gewalt begegnen, folglich einander annehmen müssen. Daraus folgte der weitere Gedanke, dass niemand im Namen Gottes zu irgendetwas gezwungen werden darf. Ein hinsah 4 bedeutet dann auch die Bereitschaft, einander zu ertragen und am Ende auch positiv anzunehmen. Die Trennung, welche Gina forderte, mochte politisch sinnvoll und realistisch sein. Wenn wir uns heute die islamische Welt anschauen können wir kaum. zu einem anderen Ort verkommen das ist aber nicht das was Gandhi meinte mit nicht Gewalt: einander aus dem Wege gehen ist etwas anderes als gewaltlos miteinander zu leben. Division Gandhis von einem großen trotz seiner Vielfalt innerlich einheitlichen Indien, war zerstört, wenn eine wichtige Bevölkerung – und Religionsgruppe nicht mehr Teil dieses Indiens sein wollte. Die Trennung Pakistans von Indien war daher die wohl größte politische und menschliche Enttäuschung, die Gandhi in seinem sonst erfolgreichen Leben hinnehmen musste. II. Ist Ghandi gescheitert? Anscheinend ist Gandhi mit seinem politischen Programm gescheitert. Er hat es nicht verhindern können, dass Britisch Indien in 2 Teile zerfiel, in Indien und das dann so genannte Pakistan. Es scheint ihm auch nicht gelungen zu sein, eine Brücke zwischen Hindus und Muslimen zu schlagen, denn 1948 wurde er von einem fanatische Hindu –Godse- erschossen. Die Frage: Ist Gandhi gescheitert? möchte ich mit einer anderen Frage verbinden: Ist Jesus nicht auch gescheitert? Auch Jesus ist gewaltsam ums Leben gekommen und die von ihm gestiftete Gemeinde/Kirche hat sich in den Jahrhunderten seit ihrem Bestehen in vielfacher Weise gegenseitig bekriegt und höchst unchristlich zerfleischt. Wenn wir die christliche Kirchengeschichte betrachten, kann man eigentlich nur an wenigen Stellen erkennen, dass hier der Geist Christi waltete. Das führt mich zu der Frage, die ich aber zugleich auch als Schlussfrage in den Raum stellen möchte. Vielleicht ist das 5 Scheitern des großen Mannes die Bedingung und Gewährleistung dafür, dass seine Nachfolger sich um die Erreichung des von dem großen Propheten vorgestellten großen Ziels bemühen. Es ist nicht die Aufgabe von uns Menschen, hier auf Erden das Paradies oder etwas Vollkommenes zu erreichen. Wir schaffen es auch nicht. Die Aufgabe des großen Mannes in Politik und Religion ist vielleicht nur, die großen Ziele zu beschreiben und sie mit seinem Blut zu besiegeln. Wenn Sie mir mit diesem Gedanken folgen, dann haben wir ein weiteres Beispiel für die innere Nähe zwischen Hinduismus und Christentum, aber vielleicht auch ein weiteres Zeichen dafür, dass der Islam von einer grundsätzlich anderen Form ist, um die wir uns in Indien bemühen müssen, aber - wenn ich mich hier in Europa umschaue - haben Sie mit dem Islam ähnliche Probleme wie wir in Indien. 12.7. 13 6