Wer zu spät markiert, den bestraft das Leben

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Andreas Strebinger
Wer zu spät markiert, den bestraft das Leben
(Strebinger, Andreas (2002), „Wer zu spät markiert, den bestraft das Leben“, in: transfer
– Werbeforschung & Praxis, 47, 2, S. 8-14.)
Nicht selten wird dem Markennamen in der TV-Werbung ein ganz besonderer
Ehrenplatz zuteil: Wie der Star eines Konzertabends tritt er als glanzvoller Höhepunkt
ganz am Ende des Spots auf. Was beim andächtig lauschenden Konzertpublikum
effektvoller Abschluss ist, ist in der Werbung im Zeitalter der Reizüberflutung eine recht
zweifelhafte Ehre. Gute Werbung heißt Lernen des Konsumenten. Egal ob bewusst oder
unbewusst - die Marke soll mit vorteilhaften gedanklichen und gefühlshaften
Assoziationen verbunden werden. Eine häufig gepflegte Werbetradition beginnt dazu
zunächst mit den zu lernenden Assoziationen und erlaubt erst gegen Mitte oder gar erst
am Spotende die Identifizierung der Marke, etwa durch Einblendung des Markennamens
oder des Logos, durch Pack Shot, Darstellung eines Produkts mit einem für die Marke
typischen Design oder den gelernten Markenfarben. Vorher kann der Konsument vorausgesetzt er möchte das - bestenfalls raten, auf wen oder was sich der Spot
bezieht. Mehrere empirische Untersuchungen zeigen, dass sich die Ratelust der
Konsumenten in Grenzen halten dürfte (für einen ausgezeichneten Überblick siehe
Kroeber-Riel/Esch 2000, S. 247ff):
In einer Untersuchung mit mehr als 22.000 TV-Spots, durchgeführt durch das
USamerikanische Marken- und Werbeforschungsinstitut MSW Group (früher: McCollum
Spielman Worldwide), konnten sich durchschnittlich 45% der Testpersonen wenige
Minuten nach Sehen eines Spots nicht korrekt an den Namen der beworbenen Marke
erinnern: 35% konnten überhaupt keine Marke nennen und 10% ordneten den Spot
einer falschen Marke zu (Rossiter/Percy 1997, S. 216 und S. 234).
Wie Walker und von Gonten (1989) in einer Felduntersuchung mit 750 TV-Spots
zeigen konnten, liegt das zumindest teilweise an einer späten oder generell
ungenügenden Markenidentifizierung im Spotverlauf: Während 70% der "Top 20%
Spots", d.h. jenes Fünftels der untersuchten TV-Spots mit den besten Recall-Werten,
die Marke frühzeitig (innerhalb der ersten 8 Sekunden eines 30-Sekunden-Spots)
offenlegten und auch im folgenden Verlauf des Spots zumindest noch zwei Mal zeigten,
war das nur bei einem knappen Viertel der hinsichtlich Recall schlechtesten 20% der
Spots der Fall. Die relative Mehrheit dieser "Flop 20% Spots zeichnete sich durch eine
späte
und
seltene
Markenidentifizierung
aus
(siehe
Abbildung
1).
Abbildung 1: Ergebnisse der Feldstudie von Walker und von Gonten (1989)
Burke (1998) mit mehr als 600 TV-Spots: Eine frühe Identifizierung der Marke hilft ihren
Ergebnissen zufolge vor allem bei 30-Sekunden-Spots, die Überzeugungswirkung zu 3
steigern. Zur Maximierung des Recalls sollte die Marke im Spotverlauf zumindest 3 Mal
genannt werden. Trotz dieser empirischen Befunde begnügt sich TV-Werbung vielfach
mit einer späten und / oder seltenen Markenidentifizierung. Der vorliegende Beitrag
versucht, anhand von drei der gängigsten Werbeziele,
nierung und
die Ursachen und Folgen einer späten
oder generell ungenügenden Markenidentifizierung aus theoretischer Sicht plastisch zu
verdeutlichen. Ausgangspunkt dafür ist das sogenannte "Markenschema" im Kopf des
Konsumenten, welches seine Assoziationen zu einer bestimmten Marke bündelt.
Das Markenschema als Dreh- und Angelpunkt erfolgreicher Kommunikation
Soll der Konsument mit der beworbenen Marke dauerhaft bestimmte
Nutzenvorstellungen verbinden, entspricht das lerntheoretisch der Schaffung und
Aufrechterhaltung assoziativer Verknüpfungen zwischen Marke und möglichst
vorteilhaften Assoziationen, d. h. einer aktiven Gestaltung des Markenschemas. Ein
solches Schema kann man sich als Assoziationsgeflecht aus „Knoten“ (der Marke und
ihren Eigenschaften) und der nach ihrer Stärke und Richtung variierenden „Kanten“
(Verbindungen zwischen den Knoten) vorstellen (siehe z. B. Herkner 1991, S. 168ff). Im
Prinzip kann das Markenschema von Konsument zu Konsument variieren, allerdings
lassen sich auf Ebene von Konsumentensegmenten typische schematische
Vorstellungen einer Marke identifizieren. Abbildung 2 stellt ein fiktives Markenschema
für die Marke BACARDI dar und zeigt auch, dass Markenschemata jede Art von
Assoziation beinhalten kann: neben sprachlichen auch bildliche, akustische (in der
Abbildung: blau), geschmackliche (braun) oder stark gefühlshafte (rot).
Abbildung 2: Beispiel für ein Markenschema: Die Marke BACARDI (in Anlehnung an:
Schweiger/Koppe/Kahr 1999)
Das Markenschema bündelt damit im weitesten Sinn das "Wissen", das der Konsument
über eine bestimmte Marke besitzt. Hierarchisch ist es in übergeordnete Schemata
eingebunden, welche die Assoziationen zu Markengruppen oder einer ganzen
Produktgruppe beinhalten. Bestimmten Marken kann in solchen Markengruppen- oder
Produktgruppenschemata die Rolle eines Prototypen zukommen, d. h. eines besonders
typischen Vertreters der Gruppe. Dieses Faktum wird im Rahmen der Analyse der
Konsequenzen einer unzureichenden Identifizierung der Marke in TV-Spots noch von
Bedeutung sein. Während im fiktiven Beispiel der Marke BACARDI stark emotional
behaftete Elemente überwiegen, dominieren bei informativ positionierten Marken
"rationale" Informationen wie etwa technische Leistungsdaten des Produkts oder der
Produkte der Marke. Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit den Wirkungen
einer unzureichenden Markenidentifizierung bei informativer bzw. emotionaler TVWerbung.
Informative Werbung: Produktvorteile ohne Produkt und Marke?
Informative Werbung versucht gezielt, bestimmte „Kanten“, welche von der Marke zu
positiven Produkteigenschaften führen, zu schaffen oder zu verstärken. Damit ein
solcher Lernprozess stattfinden kann, muss jedoch zunächst einmal das Markenschema
überhaupt aktiviert werden. Wenn der Konsument nicht weiß, "wohin damit", sinkt die
Lernleistung ganz beträchtlich. Ein klassisches Beispiel von Bransford und Johnson
(1973) soll das verdeutlichen. Bitte stellen Sie sich folgenden Vorgang vor, und
versuchen Sie sich so viel wie möglich davon zu merken:
"Der Vorgang ist eigentlich ganz einfach. Zuerst unterteilen Sie die Dinge in mehrere
Gruppen. Natürlich kann auch ein Stapel genügen - das kommt darauf an, wieviel zu tun
ist. Wenn Sie wegen fehlender Möglichkeiten woanders hingehen müssen, dann ist das
der nächste Schritt, ansonsten kann es losgehen. Es ist wichtig, nicht zu übertreiben.
Das heißt, es ist besser, zu wenige Dinge auf einmal zu tun als zu viele. Das mag
zunächst nicht besonders wichtig erscheinen, aber es könnten leicht Komplikationen
entstehen. Ein Fehler kann viel Geld kosten. Am Anfang erscheint der ganze Vorgang
kompliziert. Aber bald ist er einfach ein Teil des Lebens. Es ist schwer vorauszusehen,
ob diese Aufgabe in der nächsten Zeit überflüssig sein wird. Wenn der Vorgang zu Ende
ist, muss man das Material wieder in verschiedene Gruppen anordnen. Dann kann man
sie auf ihre Plätze legen. Später werden sie wieder verwendet und der ganze Kreislauf
muss wiederholt werden. Das ist eben ein Teil des Lebens."
Wahrscheinlich würden Sie auch nach mehrmaliger Lektüre dieser Beschreibung
morgen nicht mehr allzu viel von dem wiedergeben können, was darin steht. Bitte
versuchen Sie es jetzt noch einmal, diesmal jedoch mit der Information, dass es in der
Beschreibung ganz einfach um "Wäschewaschen" (im Jahre 1973) geht. Die Sache wird
dadurch recht gut verständlich und ist einfacher zu merken. Ohne Aktivierung des
entsprechenden Schemas ist das Durchlesen jedoch reine Zeitverschwendung. Genau
das geschieht aber immer dann, wenn man die Marke für den Konsumenten erst nach
der zentralen Werbebotschaft identifiziert.
Emotionale Werbung: Den Pawlow´schen Hund auf das Völlegefühl konditionieren?
Schöne Bilder, gefühlsbetonte Musik und glückliche Menschen sollen die Marke mit
emotionalen Assoziationen aufladen. Auch für diese Form der oft nicht vollständig
bewussten emotionalen Konditionierung gilt aus theoretischer Sicht: Zuerst der
Markenname (der zu konditionierende Reiz) und dann die emotionalen,
unkonditionierten Reize (vgl. Kroeber- Riel/Esch 2000, S. 212f). In diesem die älteren
Hirnregionen ansprechenden Lernprozess ist der Konsument entgegen einem
weitverbreiteten Bonmot kein viel schlaueres Tier, weswegen hier der Vergleich zum
Pawlow´schen Hund angestellt werden darf. Man erinnere sich an dieses klassische
Konditionierungsexperiment: Zuerst wurde der zu konditionierende Reiz (ein
Glockenton) dargeboten, dann erst der unkonditionierte Reiz (das Futter). Nach einiger
Zeit entwickelten die Hunde bereits beim bloßen Läute der Glocke den für die
Futteraufnahme typischen Speichelfluss, auch wenn gar kein Futter mehr präsent war –
Zeichen für eine geglückte Konditionierung. Was passiert wäre, hätte man die
Reihenfolge – wie bei einem TV-Spot mit später Markenidentifikation – umgedreht, ist
weniger klar. Vermutlich hätten die Hunde auf einen jeweils nach dem Essen
eingespielten Glockenton eher Schläfrigkeit oder Völlegefühl entwickelt. In der
Grundlagenforschung werden diese beiden Prozeduren unter den Begriffen „Forward
Pairing“ (zuerst der zu konditionierende Reiz, dann der unkonditionierte Reiz) und
„Backward Pairing (zuerst der unkonditionierte Reiz, dann der zu konditionierende Reiz)
diskutiert. Fast alle erfolgreichen Konditionierungsexperimente – gleichgültig ob bei
Mensch oder Tier – haben bislang das Forward Pairing verwendet. In einem
amerikanischen Standard- Lehrbuch kommen die Autorinnen Eagly und Chaiken (1993)
zu dem Schluss, dass Backward Pairing „im allgemeinen nachweislich viel schwächere
Konditionierungseffekte hat als Forward-Pairing“ und auch gar nicht als klassische
Konditionierung betrachtet werden kann, sondern sich aus weniger wirksamen
Mechanismen wie etwa Stimmungsübertragung erklären lässt. Zur Maximierung der
Konditionierungswirkung sollte daher die Glocke (Marke) in der Werbung immer vor dem
Futter (emotional besetzte Bild- oder Tonelemente) oder wenigstens gleichzeitig
geläutet werden.
Awareness durch Abwesenheit?
Die neuere Werbeforschung geht davon aus, dass Werbung für Low-InvolvementProdukte eigentlich gar keine dauerhaften Produktassoziationen schaffen kann
(möglicherweise gerade wegen des traditionellen Spotaufbaus), sondern eigentlich nur
im Aufbau von Awareness für die Marke und von Unsicherheit im Produktbereich („Gibt
es wirklich Unterschiede?“) reüssiert (einen besonders lesenswerten Überblick bieten
dazu Vakratsas/Ambler 1999 von der London Business School). Das muss jedoch kein
Nachteil sein, zeigt doch eine Reihe von Untersuchungen, dass bloße
Markenawareness – auch ohne besondere Produktassoziationen – gerade unter
niedrigem Involvement kaufentscheidend sein kann. Die Grundlagenforschung spricht in
diesem Zusammenhang von der Zugänglichkeit („Accessibility“) eines Gedächtnisinhalts
und konnte zeigen, dass der Grad an Zugänglichkeit von zwei Variablen abhängt: der
Häufigkeit der Aktivierung des Gedächtnisinhalts ("Frequency") und dem Zeitabstand
zur jeweils letzten Aktivierung ("Recency"). Einer der in diesem Fachbereich führenden
Sozialpsychologen, E. Torry Higgins, verglich diesen Mechanismus 1989 mit einer
Energiezelle („energy cell“) bzw. Batterie: Bei Aktivierung lädt sie sich auf und verliert
dann ihre Energie langsam, aber ständig (Higgins 1989). Das entspricht übrigens exakt
den in der Gehirnforschung durchgeführten Untersuchungen: Stimuliert man ein Neuron
mittels eines elektrischen Impulses, erleichtert das eine spätere Aktivierung zunächst
sehr stark, danach degressiv abnehmend (Kolb/Wishaw 1990, S. 41ff). Je häufiger also
das Markenschema (oder bloß der Knoten der Marke darin) aktiviert wurde und je
weniger Zeit zwischen der letzten Aktivierung und der Kaufentscheidung vergangen ist,
desto größer ist die Zugänglichkeit der Marke am POS und desto besser sind auch ihre
Chancen. Geht man nun einmal davon aus, dass ein Werbekontakt nichts anderes
erreicht, als das Markenschema zu aktivieren, ohne es zu verändern, so scheint auch
puncto einer solchen Awareness-Wirkung ein Werbespot, bei dem die Marke spät und
selten identifiziert wird, einem Werbespot mit früher und häufiger Markenidentifizierung
unterlegen. Im ersten Fall wird das Markenschema nämlich lediglich einmal aktiviert, im
zweiten Fall kann damit gerechnet werden, dass das Markenschema während des
gesamten Spots – und damit länger – aktiviert bleibt oder während eines Spots
wiederkehrend aktiviert wird. Mit anderen Worten: Die Marke bekommt mehr Energie.
Argumente für eine späte Markenidentifizierung?
Für drei der gängigsten Werbeziele legt die Lerntheorie genau das Gegenteil von dem
nahe, was in heutigen Werbespots so oft geschieht: Statt die Marke am Schluss
offenzulegen, sollte die Markenidentifizierung gleich zu Beginn des Spots erfolgen und
danach mehrfach wiederholt werden. Warum in der Praxis dennoch häufig dem
traditionellen Ablaufmuster gefolgt wird, lässt sich möglicherweise mit zwei Argumenten
erklären:
1. „Die Spannung soll während des Spots erhalten bleiben. Kreative Ideen verlieren ihre
Wirkung, wenn die Marke gleich zu Beginn offengelegt wird“.
Dieses Argument ist für den Durchschnittsspot und den Durchschnittskonsumenten nicht
schlüssig. Die Vorstellung, dass Otto Normalverbraucher während eines Werbeblocks in
atemloser Spannung darauf wartet, endlich die beworbene Marke zu erfahren, ist im
Zeitalter zeitungslesender, bügelnder, essender, umhergehender oder zappender TVSeher grotesk (Pousek 1995). Gerade kreative Spots, die sich das fehlende Interesse
an Produkt oder Marke durch aktivierende, aber produkt- und markenfremde Elemente
erkaufen wollen, laufen Gefahr, sich durch eine späte Markenidentifikation selbst den
"Vampir" für die Marke zu schaffen (vgl. Schweiger/Schrattenecker 2001). Der USamerikanische Markenforscher Kevin Keller spricht hier von „geborgtem Interesse“ und
attestiert ihm auf Basis einer Reihe von Experimenten mit Werbespots, welche in ein
realitätsnahes Werbeumfeld eingebettet waren, eine überwiegend negative Wirkung
(Keller 1998).
2. „Die angeführten Argumente für eine Markenidentifizierung zu Beginn des Spots
haben nur für den ersten Werbekontakt Gültigkeit. Ab dem zweiten oder dritten Kontakt
hat der Konsument bereits gelernt, um welche Marke es in dem Spot geht.“
Eine Beurteilung dieses zweiten Arguments ist nur aus einem Zusammenspiel von
Konsument und Marke erklärbar. Ob der Konsument am Ende eines Werbespots
dauerhaft die gesehene Werbung als zur richtigen Marke gehörig speichert, hängt wohl
ab (vgl. z. B. Mackie 1987; Sengupta/Goldstein/Boninger 1997) vom dauerhaften oder
situativen
Produktinvolvement:
Ein
Computerfreak
(dauerhaft
hohes
Produktinvolvement) wird hier ebenso wie ein Computerlaie, der gerade einen neuen PC
kaufen möchte (situativ hohes Produktinvolvement), die Brücke zwischen Werbung und
Marke herstellen.
die
aus sonstigen Gründen einen Nahebezug zur konkreten Marke haben (z. B. die eigenen
Mitarbeiter), ist die nachträgliche Herstellung des Konnexes wahrscheinlicher als bei
Nicht-Markeninvolvierten.
des Markenschemas:
Starke Marken, die auch bei Personen ohne überdurchschnittliches Produkt- oder
Markeninvolvement über ein reichhaltiges und zugängliches Markenschema verfügen,
bieten dem Konsumenten eher die Möglichkeit, die Werbebotschaft nachträglich an
einem Punkt des Markenschemas anzubinden.1 In allen anderen Fällen führt die
nachträgliche Offenlegung der Marke
- oder Produktzuordnung und
Fall zu einer Zuordnung zur Konkurrenz.
„Schau mal, die Werbung ist gut“ – Irrwege der Markenzuordnung bei unzureichender
Markenidentifikation
Werbungen mit unzureichender Markenidentifikation können auch nach wiederholter
Exposition zu Irrwegen in der Zuordnung führen. Um das zu zeigen, ist es gar nicht
1
Jene Verantwortlichen im werbetreibenden Unternehmen, welche zwischen konkurrierenden
Agenturvorschlägen zu entscheiden haben, weisen in der Regel sowohl hohes Involvement als auch ein
reichhaltiges Markenschema auf und erhalten für alle Fälle den Zusammenhang zwischen Werbung und
Marke in der Präsentation auch noch erklärt (vgl. Lachmann 1996). In dieser Situation ist die Gefahr
besonders groß, die Bereitschaft des Konsumenten zu "gedanklichen Purzelbäumen", zu welchen ihn
eine zu späte Markenidentifizierung nötigt, zu überschätzen.
notwendig, die oben angeführten empirischen Studien zu Rate zu ziehen: Vielleicht hat
die Leserin oder der Leser schon einmal auf ein: „Schau mal, die Werbung ist gut“
nachgefragt: „Von welcher Marke ist sie denn?“ Die Antworten zeigen einen oft hohen
Grad an Verwirrung, welche sich im Zusammenspiel zwischen Gedächtnisstruktur und
später Markenidentifizierung gut erklären lässt.
Der einfachste Fall: „Weiß ich nicht“
Sieht man von der Tatsache ab, dass dieser Fall das Werbebudget wenigstens teilweise
den Rhein oder die Donau hinunterschickt, ist er noch die neutralste Wirkung einer
späten Markenidentifikation. Niedriges Produkt- und Markeninvolvement vorausgesetzt,
tritt er wahrscheinlich vor allem
kreativer, aber unzureichend markierter Werbung und
auf.
Nicht selten möchte Werbung besonders kreativ sein und rückt dabei assoziativ so weit
von Marken- und Produktschema ab, dass der Konsument während des Spots ohne
Markenidentifizierung nicht einmal die Produktgruppe erschließen kann.2 Selbst wenn
die Werbung später in allen Einzelheiten nacherzählt werden kann, macht sie im
Endeffekt nur für sich selbst Reklame. Schematisch stehen am Ende zwar reichhaltige
Werbeassoziationen,
diese
aber
völlig
losgelöst
von
Markenund
Produktgruppenschema (siehe Abbildung 2). Natürlich gibt es außergewöhnlich kreative
Ideen, die beim Konsumenten ein derart starkes Ausmaß an Beschäftigung mit dem
Spot hervorrufen, dass die Verbindung zwischen Werbung und Markenschema trotz
später Markenidentifikation hergestellt wird. Allerdings: Cannes-Löwen sind weder für
die Masse der TV-Spots noch für die typischerweise angestrebten Kommunikationsziele
repräsentativ. Der "Durchschnittshumor" in TV-Spots dürfte bei unzureichender
Markierung des Spots oft zu einem Ergebnis führen, wie Abbildung 2 es zeigt.
2
Gegen die Wortwahl könnte man vorbringen, dass humorvolle Werbung, deren Witz nicht spontan mit
der angestrebten Markenpositionierung in Verbindung gebracht werden kann, gar nicht "kreativ" genannt
werden sollte.
Abbildung 3: Kreative Werbung ohne Markenbezug
Lesehilfe: Abbildung 3 bis Abbildung 6 stellen die schematischen Konstellationen dar,
welche sich durch eine späte Markenidentifikation nach der Werbeexposition ergeben.
Darin steht W für den Knoten der Werbung, M für den Knoten der beworbenen Marke,
PG für den Knoten der Produktgruppe, MG für den Knoten einer Markengruppe und K
für den Knoten eines Konkurrenten innerhalb dieser schematischen Konstellationen. Die
von den Knoten ausgehenden Kanten zu den Assoziationen A werden durch Stärke und
Richtung der Pfeile symbolisiert. Die grün gefärbte Pfeile in Abbildung 5 und Abbildung 6
stehen für Assoziationsverläufe, die durch eine späte Markenidentifikation unmittelbar
nach der Werbung stattfinden.
Während im obigen Fall ein Marken- und Produktschema zwar vorhanden ist, aber nicht
mit der Werbung in Verbindung gebracht wird, betrifft die zweite Situation, in der man oft
ein "Weiß ich nicht" hören wird, einen schlecht markierten TV-Spot, der für eine
unbekannte Marke in einer unbekannten Produktkategorie wirbt. Bestehen vor dem
Werbeempfang weder zu Marke noch zu Produkt schematische Vorstellungen im Kopf
des Konsumenten („Werbung im freien Raum“), ist es sehr unwahrscheinlich, dass der
Konsument bei einer späten Markenidentifizierung durch gedanklichen Rückgriff auf das
soeben Gesehene ein solches Schema entwickelt. Im Endeffekt existieren nach der
Werbeexposition zwar gewisse Erinnerungen an die Werbung, aber nach wie vor keine
Assoziationen zu dem Produkt oder der Marke. In der Praxis dürfte das häufig bei
schlecht markierter Werbung in einer neuartigen oder wenig verbreiteten
Produktkategorie anzutreffen sein.
Abbildung 4: Werbung im "freien Raum" Der schlechte Fall: „Von irgendeiner
Versicherung“ oder „Von irgendeinem ´Japaner´“
Die Werbung trifft hier auf eine Schemakonstellation, in der es keine der Marken
geschafft hat, sich assoziativ von der Produktgruppe ("Versicherungen") oder einer
Markengruppe (z. B. „japanische Automarken“) zu lösen. Der Konsument denkt hier
nicht auf der Ebene von Marken, sondern speichert die Werbung unter der erschwerten
Lernbedingung „Marke am Schluss“ ganz einfach unter der für ihn sinnvollen Ebene der
gesamten Produkt- oder Markengruppe ab. Diese Globalzuordnung muss sich auch
durch oftmaligen Werbekontakt nicht auflösen, im Gegenteil, sie wird sogar mit jeder
Werbung stärker, weil die fehlende Markenidentifizierung am Anfang des Spots auch bei
jedem weiteren Kontakt dazu führt, dass während der Spotdauer erneut nur an die nach
dem letzten Werbekontakt gespeicherte Produkt- oder Markengruppe gedacht oder der
Werbekontakt vom Konsumenten frühzeitig abgebrochen wird.
Abbildung 5: Werbung für Produkt- oder Markengruppen
Problematisch ist dieser Fall deswegen, weil zwar für die richtige Produkt- oder
Markengruppe geworben wird, aber nicht prognostizierbar ist, auf welche der Marken
der Produkt- oder Markengruppe sich die Kaufentscheidung später tatsächlich
fokussiert. Ein schlechter distribuierter Anbieter macht so möglicherweise Werbung für
einen besser distribuierten Anbieter aus der selben Markengruppe. Das macht Werbung
für die Marke ineffizient und kann auch dann negativ wirken, wenn die konkrete
Werbung nicht – wie im nächsten Fall – explizit einem Mitbewerber zugeordnet wird.
Der schlechteste Fall: Werbung für die Nummer 1 der Produkt- oder Markengruppe
Der schlechte Fall kann eine unangenehme Wendung nehmen und zum schlechtesten
Fall werden, wenn nämlich die Zuordnung zu einer Produkt- oder Markengruppe auf
direktem gedanklichen Weg zum „Platzhirsch“ in dieser Gruppe führt, d. h. zum Top-ofthe-Mind- Japaner oder dem Marktführer bei Versicherungen. Die Werbung trifft in
diesem Fall auf die in Abbildung 5 dargestellte Schemakonfiguration.
Abbildung 6: Werbung für die Nummer 1
Werbung mit unzureichender Markenidentifikation wird dann für eine der schwächeren
Marken in dieser Gruppe nicht nur ineffizient, sondern zum selbstbezahlten Bumerang.
Aus Sicht dieses Beitrags ist die häufig beobachtete Tatsache, dass der Kleinere für die
Nummer 1 eines Bereichs mitwirbt, kein Naturgesetz, sondern lerntheoretisch direkte
Folge der traditionell unzureichenden, weil zu späten oder zu seltenen
Markenidentifizierung im Spotverlauf. Die Steigerungsform ist eine zusätzliche
Anlehnung an den Werbestil der Nummer 1. Umgekehrt bedeutet das natürlich: Bei Topof-the-Mind-Marken stellt eine unzureichende Markenidentifizierung ein geringeres
Problem dar. Das bestätigen auch die Ergebnisse von Walker und von Gonten (1989):
Jene TV-Spots, die trotz einer unzureichenden Markenidentifizierung hinsichtlich Recall
unter den Top-20%-Spots rangierte, waren oft Spots von Marken, die ihre Produktklasse
dominierten oder deren Namen generischen Charakter für eine bestimmte
Produktkategorie gewonnen hatte. Etwas anders gelagert ist der Fall, wenn man sich an
den Werbestil einer Marke aus einem fremden Produktbereich anlehnt. Auch hier dürfte
jedoch eine späte Markenidentifizierung das ohnehin bereits hohe Risiko einer
Fehlzuordnung noch weiter steigern, wie der folgende Fall zeigt: Vielleicht erinnert man
sich noch an den BP-Spot "I´m walking", in welchem ein Fahrer, dem auf einer
Landstraße das Benzin ausgegangen war, zur Musik des gleichnamigen Songs weite
Wege in Kauf nahm, um seinen Benzin-Kanister an einer Aral-Tankstelle auffüllen zu
können. Dieser im Jahre 1992 geschaltete Spot war derart erfolgreich, dass er in
Werbeerinnerungsmessungen von Research International im April 1995 - also mehr als
zwei Jahre nach seiner letztmaligen Ausstrahlung - bei deutschen Konsumentinnen und
Konsumenten noch immer einen produktgestützten Recall von 15,4% erzielte. Im Juni
1995 schaltete Opel einen Spot, welcher dem BP-Spot "I´m walking" zum Verwechseln
ähnlich war und erst am Schluss als "Opel-Spot" aufgelöst wurde. Ergebnis: Im August
1995 erreichte der genannte Opel-Spot einen Recall von 3,7%. Der Recall des im Jahr
1992 zuletzt geschalteten BP-Spots schnellte hingegen auf 21,7% hinauf!
Zusammenfassung
Aus lerntheoretischer Sicht sind wenige Situationen vorstellbar, in denen eine
Markenidentifizierung am Ende eines Spots Vorteile bringen könnte:
beispielsweise, dass in Spots nach dem Schema „Problem – Problemlösung“, in denen
das Problem mit emotional negativ besetzten visuellen oder akustischen Elementen
dargestellt wird, eine späte Markenidentifikation vorteilhaft ist.
sich ferner auch starke Marken, die vom Konsumenten als Nummer 1 eines
Produktbereichs oder einer Markengruppe gespeichert sind, eine späte
Markenidentifikation „leisten“. Ansonsten widersprechen empirische Forschung und
Theorie dem oft anzutreffenden Spotaufbau: Wenn ein Spot für die Marke untypisch
witzig, erotisch oder in sonstiger Weise überraschend ist, ist eine frühe
Markenidentifizierung notwendig. Sonst ist der Spot für den Konsumenten zwar
unterhaltsam, wird aber in der Regel nicht gemeinsam mit der beworbenen Marke
gespeichert. Das gilt auch dann, wenn Werbung gravierende Imagedefizite einer Marke
beheben soll: Botschaften, die so weit vom gelernten Markenschema abweichen, dass
sie bei frühzeitiger Markenidentifizierung eine innere Gegenargumentation des
Konsumenten auslösen würden, werden auch dadurch nicht glaubwürdiger, dass man
die Marke bis zum Ende des Spots versteckt. Sie laufen durch eine ungenügende
Markierung nur zusätzlich Gefahr, einer falschen Marke zugeordnet zu werden. Besser
ist es, in einem solchen Fall die Marke ausreichend offen zu legen, aber im
Botschaftsinhalt nur gerade soweit vom Markenschema abzuweichen, dass es für den
Konsumenten noch glaubwürdig ist (vgl. Maheswaran/Chaiken 1991; Peracchio/Tybout
1996; Garbarino/Edell 1997).
-Spots, welche auf dominierende Markengruppen- oder Produktgruppenschemata
treffen, gehen ohne ausreichende Markenidentifikation ein hohes Risiko ein, vom
Konsumenten falsch zugeordnet zu werden. Besonders empfehlenswert ist eine frühe
Markenidentifikation im Spotverlauf daher
Niedriginvolvierten später zu einer Zielgruppe entwickeln. Das ist beispielsweise bei
Produkten mit langen Kaufzyklen oder bei Marken mit Potenzial für zukünftige
Markenerweiterungen der Fall.
vor allem Neukunden gewinnen statt bestehende Kunden halten soll.
genommen über kein
zugängliches und reichhaltiges Markenschema in den Köpfen der Konsumenten
verfügen, besonders dann, wenn Produktgruppen- oder Markengruppenschemata
existieren, die vielleicht auch noch auf geradem Weg zum stärksten Mitbewerber führen.
Mit gutem Grund haben bereits manche Marken, die in ihrer Kategorie nicht Top-of-Mind
sind, den Weg gewählt, den Markennamen am Anfang des Spots einzublenden. Will
man diesen Weg nicht gehen, bieten sich für eine frühe Markenidentifikation an:
le Identifikation der Marke durch Logo, typisches Produkt- oder
Verpackungsdesign oder extensive Verwendung gelernter Markenfarben. Ein gutes
Beispiel für diese Vorgangsweise bietet die Werbung der Marke Red Bull, welche den
Markenaufbau durch eine Einblendung der Dose am Anfang des Spots unterstützt hat.
Dieser Weg ist vor allem dann eine gute Option, wenn auch die Kaufentscheidung selbst
sehr stark visuell getroffen wird (wie häufig bei schnell drehenden Konsumgütern). Greift
der Konsument hingegen während der Kaufentscheidung stark auf verbale Verarbeitung
zurück, sollten auch die verbalen Markenelemente gut zugänglich sein (Rossiter/Percy
1997, S. 109ff).
Mineralwasser hat etwa die österreichische Marke Römerquelle in einem jahrzehntelang
gepflegten Werbestil für ihre Spots ein Identifizierungsmerkmal geschaffen, dass richtige
Zuordnung und hohen Recall garantiert. In Summe soll dieser Beitrag aber vor allem
eines zeigen: Wie man es auch konkret bewerkstelligt, der Star des Abends – die Marke
– muss in der Regel möglichst frühzeitig und danach möglichst oft auftreten, um dem
Publikum in guter Erinnerung zu bleiben.
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