EUROPEAN POLICYBRIEF MYPLACE: MEMORY, YOUTH, POLITICAL LEGACY AND CIVIC ENGAGEMENT Dies ist der DRITTE Policy Brief des MYPLACE Projekts aus dem 7. EU-Rahmenprogramm mit Partnern aus 14 Ländern. Er stellt die ersten wichtigsten Politik-relevanten Ergebnisse und Politikimplikationen der transnationalen Studie vor. Laufendes Projekt Beginn im Juni 2011 Datum: März 2015 EINLEITUNG MYPLACE (www.fp7-myplace) ist ein mit 7.9 Millionen Euro finanziertes Projekt (EU 7. Forschungsrahmenprogramm) mit einer Laufzeit von Juni 2011 bis Mai 2015. Gegenstand ist die zivile, politische und soziale Teilnahme junger Menschen in 14 europäischen Ländern. Die Fragestellung war, in welchem Maße die soziale und politische Einstellung junger Menschen durch Totalitarismus und Populismus in Europa (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) geprägt sind/werden. Die Konzeption des Gesamtprojektes geht weit über den nationalspezifischen Vergleich von „politischen Kulturen“ oder verdinglichten Klassifikationen des politischen Erbes (Postkommunismus/liberale Demokratie) hinaus. So bezieht sich die Grundprämisse des Projektes auf die pan-europäische Natur einer breiten Palette von radikalen/populistischen, politischen und philosophischen Traditionen, die keineswegs neu sind, sondern immer wieder zyklisch auftreten. Empirisch ist MYPLACE eine Kombination aus einer umfassenden quantitativen Befragung, qualitativen Interviews und ethnographisch orientierten, generationsübergreifenden Fallstudien. Auf europäischer Ebene wurde so ein großer Datensatz nicht nur hinsichtlich der Messung von Engagement und Einstellungen, sondern darüber hinaus auch hinsichtlich der entsprechenden Verhaltensweisen und Handlungen junger Leute gesammelt. Analytisch ersetzt MYPLACE durch die Fokussierung auf ‚Jugend‘ und die historisch und kulturell geformte Kontextualisierung der sozialen und politischen Teilnahme von jungen Menschen die routinierten und oft abstrakten Behauptungen des sogenannten „Disengagements“ junger Leute im Bereich der Politik durch eine ausgiebige empirische Ausarbeitung ihres Verständnisses und ihrer Orientierungen hinsichtlich europäischer gesellschaftlicher und politischer Räume. - EUROPEANPOLICYBRIEF - Page|1 Auf politischer Ebene identifiziert MYPLACE so die Hindernisse, aber zugleich auch die Möglichkeiten junger Leute, die europäische politische Arena als ihren eigenen Platz zu begreifen. MYPLACE ist für europäische Politik-Agenden von hoher Relevanz, besonders für diejenigen, die von der EU Jugendstrategie 2010-18 unterstützt werden. Das Ziel dieses Berichtes Während der erste Policy Brief im Jahr 2013 die Rahmenbedingungen der Forschung des MYPLACE Projektes und der zweite Policy Brief 2014 die länderspezifischen Ergebnissen der jeweils kontrastierenden Erhebungsgebiete bezüglicher der qualitativen und quantitativen Forschung beinhaltete, liegt der Fokus von Policy Brief 3 nun auf den transnationalen Forschungsergebnissen und den daraus resultierenden Implikationen für wichtige europäische Agenden. Policy Brief 3 deckt dabei die folgenden vier Arbeitspakete (Work Packages (WP)) ab: Forschung mit Partnern in Museen/Gedenkstätten bezüglich der generationsübergreifenden Weitergabe von historischen Ereignissen (WP2), Einstellungen der Jugendlichen zur Politik und deren Engagement in politischem Aktivismus aus der quantitativen Befragung (WP4), Vertiefungsinterviews bezüglich derselben Thematik mit einer kleineren Teilstichprobe (WP5) und ein breites Spektrum der Ergebnisse der ethnographischen Fallstudien bezüglich des gesellschaftlichen und politischen Engagements von Jugendlichen (WP7). Auf nationaler Ebene wurde der Forschungsprozess in Zusammenarbeit mit jugendpolitischen Beratergruppen in jedem Land (Youth Policy Advisory Groups (YPAG)) durchgeführt, die aus lokalen oder nationalen Akteuren aus dem Bereich der Jugendpolitik bestehen. Diese Akteure spielten ebenfalls eine zentrale Rolle darin, die Forscher bei der Interpretation der Ergebnisse und der Verbreitung der politischen Implikationen zu unterstützen. Der Policy Brief profitierte zudem von einer Diskussion bezüglich der Kernergerbnisse und der daraus resultierenden politischen Implikationen, die von politischen Partnern des Europäischen Politik-Forums und den Europäischen YPAG Partnern am 20. November 2014 in Brüssel geführt wurde. Da nur eine ausgewählte Anzahl an Ergebnissen dieser einmaligen Studie innerhalb des Policy Briefs 3 zusammenfassend berichtet werden kann, sind die vollständigen Berichte für Studien und Analysen unter folgender Adresse erhältlich: http://www.fp7-myplace.eu/deliverables.php ANALYSEN UND BEFUNDE Junge Menschen in Europa und die “Politik der Erinnerungen” Die Familie kristallisiert sich als wichtige Institution für die Sozialisation eines historischen Gedächtnisses heraus. Dies ist ein Ergebnis der Befragung von Akteuren in Museen und anderen Gedenkstätten, wo die Familie und nationale Ereignisse oftmals zusammentreffen. Eines der zentralen Ergebnisse bezieht sich darauf, dass junge Menschen oftmals – nicht generalisierend und manchmal ambivalent – den Erzählungen oder Berichten der Familie mehr vertrauen als beispielweise kulturellen Quellen oder öffentlichen Repräsentanten. Die Untersuchung zeigt, dass sich historische Nacherzählungen der „schwierigen Vergangenheit“ in den Einstellungen der Jugendlichen manifestieren und ebenso Werte und Aktivitäten beeinflussen. Dieser Aspekt hängt oftmals von spezifischen nationalen und lokalen historischen Erfahrungen ab. Die Zusammenarbeit mit Museen und anderen Gedenkstätten zeigt, dass in den 14 beteiligten Ländern unterschiedliche politische Agenden verfolgt wurden, um die „schwierige Vergangenheit“ aufzuarbeiten. Dabei können folgende Cluster beobachtet werden: Cluster 1 Ehemals sozialistische Länder bemühen sich, durch staatliche Aktionen die Erinnerung an den Kommunismus und den Nationalsozialismus zu bewahren. Damit sollen - EUROPEANPOLICYBRIEF - Page|2 mehr Demokratie und eine neu definierte nationale Identität in der Gegenwart gefördert werden. Teilweise konnte ein Versagen beobachtet werden, wenn es um die Darstellung der nationalen Zusammenarbeit mit den Nazi-Streitkräften ging (Slowakei, Ungarn, Kroatien, Lettland, Estland, Georgien, Russland). Cluster 2 Andere Länder bemühen sich, die schwierige Vergangenheit, ob nun Diktatur, Deindustrialisierung oder die Thatcher-Ära, in einem kritischen Licht zu betrachten (Griechenland, Portugal, Spanien, UK). Cluster 3 Offizielle Gedenkstätten in West- und Ostdeutschland bemühen sich, der Opfer der Konzentrations- und Arbeitslager der Nazis zu gedenken und betreiben dabei ein stark moralisierendes Bildungsprogramm mit Schülern. Allerdings wird die Vergangenheit im früheren Ostdeutschland teilweise marginalisiert. Cluster 4 In beiden skandinavischen Ländern (Dänemark und Finnland) werden die Ursprünge der gegenwärtigen Konzepte der nationalen Identität durch das kollektive Gedächtnis der Kriege geprägt: Der Verlust von Staatsgebieten von Dänemark an Deutschland im Jahr 1864 und die Verteidigung Finnlands gegen die sowjetischen Mächte 1939 bis 1940. Wie auch in einigen der Länder aus Cluster 1 kann hier eine Tendenz des „Leiseseins“ bezüglich der Nazizeit beobachtet werden. Sowohl die Fokusgruppeninterviews mit jungen Menschen als auch die intergenerativen Interviews verdeutlichen eine Tendenz der Jugendlichen, uninteressiert zu sein oder mit Misstrauen gegenüber den offiziellen Versionen der Schulen oder vielen anderen Gedenkstätten bezüglich der Geschichte aufzuweisen. Zwar wurden in den Interviews auch kulturelle Quellen als Informationsursprung genannt, jedoch war deutlich zu erkennen, dass sich junge Menschen meistens auf die Berichte von Eltern oder Großeltern bezogen. Ein Jugendlicher aus Spanien sagte: Es ist besser, ihnen zuzuhören als im Internet zu suchen, weil es dort vielleicht falsch ist. Die Erfahrungen der Großeltern sind besser. Eine politisch aktive junge Person aus Ostdeutschland sagte: Es wurde klar von meinen Eltern beeinflusst. Wir wurden selbstbewusst und auch rebellisch. Junge Leute werden trotzdem nicht passiv in die Ansichten von Eltern oder Großeltern hineinsozialisiert, sondern produzieren diese aktiv mit. Dabei akzeptieren Jugendliche nicht immer die Ansichten der Eltern, sondern sind diesbezüglich auch kritisch. Ein Jugendlicher aus Kroatien hinterfragt die Feindseligkeit seiner Eltern gegenüber dem serbischen Volk, welche das Resultat vergangener Gräueltaten ist. Ok Mama, aber das bedeutet nicht, dass die Serben mir das gleiche antun werden. Ich habe auch serbische Freunde. Junge Leute sind eher an Geschichte interessiert, wenn diese für ihren Alltag von Bedeutung ist. Sowohl vom linken als auch vom rechten politischen Spektrum her beziehen sich die Jugendlichen auf Geschichte, um Xenophobie oder eine anarchistische Einstellung zu konstruieren. Dies steht oftmals in Bezug zu einem nostalgischen Blick auf die eigene - länderspezifische - Vergangenheit. Sozioökonomische Schwierigkeiten stehen in Verbindung mit einer depressiv machenden Gegenwart, die von Austerität, Unsicherheit und einer ungewissen Zukunft geprägt ist. Die vorherigen „goldenen Zeiten“ mit Wohlstand und Sicherheit werden damit kontrastiert. Eine junge Person aus Ungarn stellt exemplarisch dar: Es war besser, zu dieser Zeit jung zu sein. Damals konnte die Jugend in gute Camps gehen, zum Beispiel am See Balaton. Heute haben sie nichts, wo sie hingehen können […] Wenigstens gab es dort klare Regeln: acht Stunden Arbeit, acht Stunden Pause, alle ruhten. Jeder muss heutzutage mehr Überstunden machen. - EUROPEANPOLICYBRIEF - Page|3 Die historischen Erzählungen stehen demnach mit den gegenwärtigen sozio-ökonomischen Schwierigkeiten in Verbindung, die sich sowohl in der Eurozone als auch in postsozialistischen Gesellschaften verfestigt haben. Dementsprechend wird deutlich, dass die Wahrnehmung der Geschichte als wichtig anzusehen ist. Schulen und Museen schaffen es in manchen Fällen nicht, die Jugendlichen zu erreichen. Vielmehr wird oftmals nur die eine, autorisierte bzw. offizielle Version von Geschichte vermittelt. Es existieren aber auch Ansätze, in denen Schulen und Museen die geschichtliche Diskussion fördern. So konnte beispielsweise in Deutschland eine Verschiebung der vergangenheitsorientierten „Pflicht der Erinnerung“ zu einem zukunftsorientierteren Ansatz von „das darf nicht noch einmal passieren“ beobachtet werden. Junge Menschen scheinen diesen Aspekt positiver zu bewerten. Weitere Belege für die Wichtigkeit der Geschichte und des Gedächtnisses erschließen sich aus der quantitativen Befragung und den qualitativen Interviews. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass der Großteil der Jugendlichen der Erinnerung historischer Ereignisse als wichtig empfindet. Dies wurde besonders in den beiden Befragungsgebieten in Georgien deutlich. Als eher unwichtig wurden diese Ereignisse in dem größtenteils russisch besiedelten Teil von Daugavpils in Lettland empfunden. Viele junge Leute verstehen den Zweiten Weltkrieg als signifikanten Einfluss auf die Geschichte ihres eigenen Landes. In den entsprechenden Ländern wurde der Eintritt in die EU als historisch bedeutsamer Schritt ähnlich wichtig wie der Zweite Weltkrieg für das eigene Land eingeschätzt. Zweiter Weltkrieg 85% Erster Weltkrieg 77% Mitgliedschaft in der EU 84% Fall der Berliner Mauer und Ende des sozialistischen Regimes 61% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Abbildung 1: Wichtigkeit von vier Ereignissen (% sagen, dass es wichtig oder sehr wichtig ist) Die hohe Bedeutung des Zweiten Weltkrieges ist in beiden Teilen Deutschlands - nicht verwunderlich - hoch (jeweils über 90% in Ost- und Westdeutschland). In anderen Ländern wurde die Wichtigkeit dieses Ereignisses niedriger bewertet, wie beispielsweise in Portugal. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass der Fall der Berliner Mauer und damit das Ende des sozialistischen Regimes insbesondere in den Ländern als wichtig angesehen wird, die davon direkt betroffen waren: In Ost- und Westdeutschland haben 99% bzw. 98% angegeben, dass dieses Ereignis wichtig oder sehr wichtig ist, in Russland waren dies 93%. In den südeuropäischen Ländern (Spanien, Portugal, Griechenland) hat dieses Ereignis hingegen eine geringere Relevanz. Hier haben unter 50% der Jugendlichen eine entsprechende Angabe gemacht. Das Interesse junger Menschen und ihre Teilnahme an Politik - EUROPEANPOLICYBRIEF - Page|4 Für eine künftig funktionierende Demokratie in Europa ist der Befund besorgniserregend, dass junge Menschen den formalen Formen politischer Partizipation abstinent gegenüberstehen. Die Ergebnisse der Befragung verdeutlichen, dass 58 Prozent der Jugendlichen nicht an Politik interessiert sind. Entsprechend haben 42 Prozent angegeben, sie seien politisch interessiert. Auch hier existieren länderspezifische Variationen. So weisen beispielweise Jugendliche in den Befragungsgebieten in Ostdeutschland, Griechenland und Spanien ein hohes politisches Interesse auf. Im Gegensatz dazu sind die Jugendlichen in Kroatien, Lettland, Finnland und Estland wenig an Politik interessiert. Junge Menschen interessieren sich am meisten für die Angelegenheiten im eigenen Land (79%) bzw. in der eigenen Stadt (75%). Hingegen interessiert sich nur knapp die Hälfte der Jugendlichen für die Angelegenheiten der Nachbarländer (49%). … des Landes, in dem Sie gegenwärtig leben? 79% … der Stadt, in die Sie gegenwärtig leben? 75% … Europas? 59% … der Nachbarschaft, in der Sie leben? 59% … der Nachbarländer Ihres Landes? 49% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Abbildung 2. Wie interessiert sind Sie in Angelegenheiten… (% sehr interessiert oder ziemlich interessiert) Junge Menschen weisen ein hohes Interesse an den Angelegenheiten auf, die von Relevanz für ihr eigenes Leben sind. So zeigen sie ein hohes Interesse an Themen wie Arbeitslosigkeit, der häuslichen Situation oder der Umwelt. Ein geringes Interesse ist hingegen bezüglich der Europäischen Union, der Migrationspolitik sowie den Rechten von Schwulen, Lesben und Transgendern zu erkennen. Das Fernsehen und das Internet sind dabei die zentralen Formen der Informationsbeschaffung in politischen oder öffentlichen Angelegenheiten. Diese Aspekte können eine eigene Form von Partizipation bedeuten: Ich versuche, aktiv in Politik involviert zu sein. Zumindest teile ich Erfahrungen auf meiner Facebook-Seite, da ich denke, dass diese Aspekte uns alle angehen und das ist unser Leben und niemandes sonst. Vertrauen in Politik Das durchschnittliche Vertrauen in bestimmte politische Akteure wurde auf einer Skala von 0 (kein Vertrauen) bis 10 (vollstes Vertrauen) gemessen: Ministerpräsident/Premierminister (Bundeskanzler, in) Parlament Politische Parteien - EUROPEANPOLICYBRIEF - 4.3 4.5 3.8 Page|5 Bezüglich des Vertrauens in politische Akteure sind länder- und gebietsspezifische Unterschiede zu erkennen. Junge Menschen in Griechenland, Kroatien, Spanien und Ungarn weisen das geringste Vertrauen auf, wohingegen in Dänemark, Finnland, den beiden deutschen Standorten und Georgien die Jugendlichen das größte Vertrauen in politische Akteure artikulierten. Wie auch schon zuvor angedeutet, ist hier ein Gefälle der Nord-Süd-Staaten Europas zu erkennen. 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Kuopio (FI) 20 18.54 Odense Center (DK) 17.39 Telavi (GE) 16.73 Odense East (DK) 16.69 Rostock (DE-E) 16.67 Jena (DE-E) 16.67 Bremen (DE-W) 16.40 Lieksa & Nurmes (FI) 16.34 Bremerhaven (DE-W) 15.87 Kutaisi (GE) 15.12 Coventry (GB) 14.75 Vyborg (RU) 14.35 Tartu (EE) 13.54 Nuneaton (GB) 12.68 Agenskalns (LV) 12.50 Rimavska Sobota (SK) 12.20 Kupchino (RU) 11.79 Trnava (SK) 11.01 Sopron (HU) 11.01 Narva area (EE) 10.93 Sant Cugat (ES) 10.81 Lumiar (PT) 10.11 Vic (ES) 10.11 Ozd (HU) 9.96 Forstate & Jaunbuve (LV) 9.53 Podsljeme (HR) 9.41 Barreiro (PT) 9.30 Pescenica (HR) 8.36 New Philadelphia (GR) 7.45 Argyroupouli (GR) 7.27 Abbildung 3. Vertrauen in politische Institutionen nach Standorten (Ministerpräsident/Premierminister/BundeskanzlerIn, Parlament und politische Parteien) auf einer Skala von 0 (überhaupt kein Vertrauen) bis 30 (vollstes Vertrauen) Ein weiteres Ergebnis in der Betrachtung dieser 14 Länder lautet, dass Politiker ein negatives Image bei jungen Menschen haben. Nur zwanzig Prozent der Jugendlichen sind der Meinung, dass sich Politiker für - EUROPEANPOLICYBRIEF - Page|6 junge Menschen interessieren. Zudem sind sechzig Prozent der Meinung, dass Politiker korrupt sind und 69 Prozent haben darauf verwiesen, dass reiche Personen zu viel Einfluss auf Politiker haben. Politiker erinnern mich an die Dinge, die wir heutzutage haben, ich denke dabei an Betrug, Bestechungsgelder und Korruption. Ich denke oftmals darüber nach. Es ist so: Ja, wir werden dies tun, wir werden das tun, und für das Land … und sie machen dann doch nichts. Aber unsere Regierung hört nicht auf uns, weißt du, was ich meine? Alles, worüber sie nachdenken, sind Steuererlasse für Reiche und von den Armen holen sie sich das dann zurück. Wählen Trotz eines generellen Rückgangs der Wahlbeteiligung bei jungen Menschen verdeutlichen die Ergebnisse der Befragung, dass das Wählen die beliebteste Form politischer Partizipation bei Jugendlichen in allen Standorten darstellt. Wie Abbildung 4 illustriert, haben rund siebzig Prozent der befragten Jugendlichen an Wahlen teilgenommen. Auch hier sind signifikante Länderunterschiede zu erkennen. Beispielweise liegt die Wahlbeteiligung der Jugendlichen in den nördlichen Staaten Europas, besonders in Finnland, Dänemark und Deutschland – wo das Vertrauen in politische Institutionen ebenfalls hoch ist – sowie in Vic in Spanien bei achtzig Prozent. Die geringste Wahlbeteiligung kann in Nuneaton im Vereinigten Königreich, wo Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit prägend sind, beobachtet werden. Zudem wurde deutlich, dass neben den lokalen Kontextfaktoren weitere Prädiktoren vorliegen, welche sich auf die Wahlbeteiligung auswirken. Hier können an erster Stelle sozialstrukturelle Faktoren wie die Klassenzugehörigkeit, das Geschlecht, die Religion oder die Ethnizität genannt werden: 4% Gewählt 8% 6% An dem Tag verhindert Keine Übereinstimmung mit Parteiprogramm 12% Für mich sind sowohl wählen als auch nicht wählen sinnlos 70% Nicht gewählt, um Unzufriedenheit über Politiker und Parteien auszudrücken Abbildung 4. Prozentangabe von jungen Leuten, die gewählt/nicht gewählt haben, nach Gründen. - EUROPEANPOLICYBRIEF - Page|7 Höhere formale Bildung und ein höherer Klassenhintergrund hängen mit höherer Wahlbeteiligung zusammen Jugendarbeitslosigkeit senkt die Wahrscheinlichkeit auf Wahlteilnahme Männliche Jugendliche wählen eher weibliche Jugendliche; dies zeigt sich aber nicht in Kommunalwahlen Eine größere religiöse Identität führt zur vermehrter Wahlbeteiligung Ältere Jugendliche gehen vermehrt wählen Im Vergleich zu anderen Partizipationsformen wird das Wählen als am effektivsten eingeschätzt (Skala: 0= gar nicht effektiv, 10= sehr effektiv) Teilnahme an Wahlen Aufmerksamkeit durch Medien erlangen Teilnahme an illegalen Protesten Teilnahme an gewaltsamen Protesten 6.9 5.9 3.5 2.9 Nichtsdestoweniger bezweifeln auch Jugendliche, die wählen, die Effizienz von Wahlen: Egal, wen man wählt, man wird beschissen, das ist meine persönliche Meinung […] Ich wähle trotzdem[…] Die Leute sagen, wenn man nicht wählen geht, darf man sich nicht beschweren Dies kann auch bezüglich der Teilnahme an Demonstrationen beobachtet werden: Mein Eindruck ist, dass es niemals sehr erfolgreich ist. Aber ich glaube, es ist besser, zu demonstrieren, als gar nichts zu tun. Diejenigen, die nicht wählen, sind nicht zwangsläufig nicht engagiert. Aber sie haben meistens ihre Gründe: Ich nehme nicht an Wahlen teil. Ich habe damit aufgehört. Höchstwahrscheinlich da ich der Meinung bin, dass meine Stimme eh nichts verändern würde. Politischer Aktivismus, Teilnahme in sozialen Bewegungen und zivile Aktionen von jungen Leuten In den Analysen wurde die Teilnahme bzw. die Mitgliedschaft in elf Organisationen auf einer Skala von 0 (kein Engagement) bis 10 (hohes Engagement) betrachtet. Der Durchschnitt liegt bei den Jugendlichen bei 0,3. Junge Menschen in den nordischen Standorten – Finnland und Dänemark – weisen den höchsten Anteil an Mitgliedschaften in gesellschaftlichen oder politischen Organisationen auf. Hingegen kann der niedrigste Anteil im mediterranen Raum (Griechenland, Portugal und Spanien) sowie in den post-sozialistischen Gesellschaften (Ungarn, Slowakei, Georgien und Lettland) beobachtet werden. Für eine politische Involvierung fernab von formell organisierter Beteiligung wurden zwanzig verschiedene politische Aktivitäten beleuchtet. Dabei wurden ebenfalls länderspezifische Differenzen deutlich. Beispielsweise fällt die Partizipation in diesen Aktivitäten in beiden ungarischen Standorten 25-mal geringer aus als in den Standorten in Ostdeutschland oder Spanien. Allgemein kann eine geringe Beteiligung in gesellschaftlichen oder politischen Organisationen beobachtet werden. Insgesamt wurden elf Formen wie die Teilnahme in politischen Parteien, religiösen Organisationen, aber auch Friedens- und Menschenrechtsorganisationen sowie Anti-Globalisierungsbewegungen berücksichtigt. Protestaktionen konnten vermehrt in den Ländern festgestellt werden, die von der Wirtschaftskrise besonders stark betroffen sind, wie beispielsweise Griechenland, Portugal oder Spanien. Während bei der Wahlbeteiligung noch soziale Klassen oder die Bildung zu Unterschieden geführt haben, ist dies bei der Beteiligung an Demonstrationen nicht mehr der Fall. - EUROPEANPOLICYBRIEF - Page|8 Jugendlichen partizipieren politisch – darunter fällt auch ein Engagement in politischen Parteien – in den Standorten vermehrt, in denen das politische System auf proportionaler Repräsentation mit einem intervenierenden Staat basiert, also eher Staaten in Nordeuropa als in Südeuropa, UK oder postsozialistischen Gesellschaften. Neigung zu Xenophobie, rechter Politik und allgemeine Zufriedenheit mit der Demokratie Im Großen und Ganzen haben die MYPLACE Respondenten gemischte Einstellungen bezüglich der Immigration und sind der Meinung, dass Zugehörige einer Minderheit keinen positiven Beitrag zu der Gesellschaft leisten, wie Abbildung 5 illustriert. Die Einstellung zu Migranten und Minderheiten variieren über die Befragungsgebiete der Länder: In der ehemaligen Sowjetunion, Lettland und Estland sind die Einstellungen bezüglich der russischen Minderheit größtenteils positiv. Die Einstellungen zu Minderheiten sind in den nördlichen Ländern Europas positiv. Die Jugendlichen in den beiden deutschen Standorten sind Minderheiten gegenüber am wohlgesinntesten. Jugendliche in den postsozialistischen Befragungsgebieten sowie in Griechenland und Portugal artikulieren die negativsten Einstellungen gegenüber Minderheiten. Junge Menschen in den genannten Standorten würden zudem eine Politik unterstützen, die die Exklusion von Migranten beinhaltet. In Griechenland ist die Gruppe, der am wenigstens vertraut wird, die albanische Gruppe. Die Einstellungen zu verschiedenen Minderheitengruppen variieren: In vielen Standorten (zum Beispiel Dänemark, Finnland, Portugal, Spanien, Russland und Slowakei) ist die Minderheit, die am meisten Diskriminierung erfährt, die Gruppe der Roma. In den ungarischen, russischen und georgischen Gebieten sind Jugendliche eher geneigt, den Zugang für Migranten zu staatlichen Ressourcen zu beschränken. In vielen Befragungsgebieten (besonders in Finnland, Deutschland, Russland und UK) haben Respondenten mit geringer Bildung oder Klassenzugehörigkeit eine negative Einstellung gegenüber Minderheiten und Migranten. Jedoch haben beispielsweise in den beiden slowakischen Standorten junge Menschen mit geringerem sozioökonomischen Hintergrund eine positivere Sicht bezüglich Roma. Männliche Jugendliche stehen Personen aus Minderheitengruppen oder mit Migrationshintergrund eher feindselig gegenüber. - EUROPEANPOLICYBRIEF - Page|9 Einheimische solltem mehr Rechte bezüglich der Beschäftigung haben 57% Migranten sollten ähnliche wohlfahrtsstaatliche Rechte haben wie Einheimische 55% Strikte Grenzkontrollen und Visa-Restriktionen werden benötigt um weitere Immigtarionen zu verhindern 48% 54% Migranten tragen zur kulturellen Diversität bei 27% Muslime leisten einen positiven Beitrag 33% Juden leisten einen positiven Beitrag 14% Roma und Reisende leisten einen positiven Beitrag 0% 20% 40% 60% 80% 100% Abbildung 5. Zustimmung zu Statements bezüglich Migranten und Minderheiten (% stimmen voll und ganz zu und stimmen zu) Demokratiezufriedenheit Der Mittelwert der Befürwortung von Demokratie auf einer Skala von 0 bis 10 liegt bei 5,01. Abbildung 6 veranschaulicht die Variation auf Länder- und Standortebene. Der höchste Wert für die Befürwortung der Demokratie kann in den skandinavischen Befragungsgebieten, in Deutschland und in Odense in Dänemark beobachtet werden, wo der höchste Wert mit 7,43 vorliegt. Im Vereinigten Königreich und in postsozialistischen Standorten sind geringere Befürwortungswerte zu beobachten. Die geringsten Werte findet man in Russland und Südeuropa. Der geringste Befürwortungswert von 3,34 liegt in Nea Filadelfiai vor. Die Befürwortung von Gewalt, um politische Ziele zu erreichen, fällt im Allgemeinen relativ gering aus (auf einer Skala von 0 (niemals) bis 32 (immer)). Die größte Befürwortung kann in Rimavska Sobota in der Slowakei (14,36), in Podsljeme in Kroatien (13,31) und den beiden russischen Standorten beobachtet werden, mit jeweils Werten über 13. Die geringste Gewaltbefürwortung, um politische Ziele zu erreichen, liegt in Kuopio in Finnland (5,67), in Dänemark (weniger als 6) und in den beiden lettischen Standorten (4,62) vor. Weibliche Jugendliche sind häufiger gegen Gewalt als männliche Jugendliche. - EUROPEANPOLICYBRIEF - P a g e | 10 0 1 2 Odense Center (DK) Kuopio (FI) Odense East (DK) Bremen (DE-W) Jena (DE-E) Bremerhaven (DE-W) Rostock (DE-E) Lieksa & Nurmes (FI) Coventry (GB) Vyborg (RU) Telavi (GE) Agenskalns (LV) Tartu (EE) Podsljeme (HR) Kutaisi (GE) Sopron (HU) Nuneaton (GB) Forstate & Jaunbuve (LV) Trnava (SK) Pescenica (HR) Narva area (EE) Lumiar (PT) Kupchino (RU) Barreiro (PT) Rimavska Sobota (SK) Sant Cugat (ES) Vic (ES) Ozd (HU) Argyroupouli (GR) New Philadelphia (GR) 3 4 5 6 7 8 9 10 7.43 6.97 6.97 6.64 6.51 6.31 6.07 6.04 5.71 5.60 5.42 5.35 5.34 5.10 4.99 4.91 4.85 4.84 4.59 4.38 4.35 4.29 4.24 4.23 3.83 3.83 3.74 3.62 3.49 3.34 Abbildung 6. Demokratiezufriedenheit nach Standort auf einer Skala von 0 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) Junge Menschen und das Projekt „Europa“ Mehr als die Hälfte der jungen Respondenten hat angegeben, ziemlich oder sehr an europäischen Angelegenheiten interessiert zu sein: Sehr interessiert Ziemlich interessiert Wenig interessiert Überhaupt nicht interessiert Im Mittel % 16 42 33 9 Höchst. % (Lumiar, Port.) 32 51 14 2 Tiefst. % (Trnava, Slov. ) 6 29 51 14 In vielen Fällen brachten die zwei Befragungsgebiete eines Landes ähnliche Ergebnisse hervor. Beide Standorte in Portugal und in West- und Ostdeutschland sind im oberen Drittel des Interessengrades, während die jeweiligen Standorte in der Slowakei, in Russland und in Kroatien das untere Drittel belegen. Es existieren aber auch zwischen den Standorten eines Landes Unterschiede, wie beispielsweise im Vereinigten Königreich, wo Coventry im oberen Drittel bezüglich des Interesses liegt und Nuneaton fast am Ende rangiert. Das Vertrauen in die Europäische Kommission fällt etwas höher als das Vertrauen in die nationalen Parlamente aus. Der Mittelwert aller Länder liegt auf einer Skala von 0 (überhaupt kein Vertrauen) bis 10 - EUROPEANPOLICYBRIEF - P a g e | 11 (völliges Vertrauen) bei 5,17. Das höchste Vertrauen kann in Telavi in Georgien beobachtet werden (6,60). Beide Standorte in Dänemark, Georgien und Ostdeutschland waren im oberen Drittel des Vertrauens in die Europäische Kommission angesiedelt. Im Gegensatz dazu liegt das Vertrauen in Griechenland, Kroatien und Ungarn im unteren Drittel. Im Großen und Ganzen stehen die Jugendlichen in unserer Studie der Mitgliedschaft in der EU und den daraus entstehenden Vorteilen befürwortend gegenüber. Knapp die Hälfte der Respondenten weist hier eine positive Haltung auf, wohingegen lediglich zwanzig Prozent wenig oder gar nicht zustimmen. In Rimavska Sobota ist die Befürwortung der EU am geringsten. Zudem ist der Anteil der unentschlossenen Jugendlichen hier am größten. In Nea Filadelfiaist der Anteil der Respondenten, die die Mitgliedschaft und die daraus resultierenden Vorteile für ihr Land negativ bewerten, mit 39 Prozent am höchsten. Junge Menschen und politischer Aktivismus: Die ethnographischen Fallstudien Die ethnographischen Untersuchungen von MYPLACE bieten eine einzigartige Datenbasis mit 44 Fallstudien von jungen Menschen, die aktiv in sozialen Bewegungen und politischen Organisationen involviert sind. Die Ergebnisse liefern für Politikakteure unschätzbare Einblicke bezüglich der Motivation und Erfahrungen junger, engagierter Menschen. Ein Cluster des Engagements wird als radikal rechtes und patriotistisches Engagement benannt. Hier sind Organisationen wie die „Englisch Defence League“ (EDL) in Großbritannien enthalten, einer Selbstorganisation, die politische Wahlen meidet. Aber auch die griechische „Golden Dawn“ Partei, die danach strebt, durch Straßenaktionen parlamentarische Macht zu erhalten. Diese Organisation war die Extremste der rechten Organisationen innerhalb der Studie. Des Weiteren war die „Russian Run“ Bewegung, eine stark nationalistische, pro-sportliche Bewegung, die seit dem Neujahr 2011 existiert, Gegenstand der Untersuchung. Viele dieser Bewegungen, außer der Golden Dawn Partei, distanzieren sich jedoch selber von einer klassisch rechten Klassifizierung. Typisch für diese Bewegungen sind die Forderung nach Offenheit und Solidarität zwischen den Mitgliedern mit Tendenzen zum Aufruf zum Kampf. Dabei spielen gegenwärtig Bedenken bezüglich der Immigration wie auch der Respekt für historische Erinnerung und Gedenken eine zentrale Rolle. Patriotismus war der am häufigsten zitierte Wert in diesen Organisationen. Der Hauptkonsens bezieht sich auf den Zugehörigkeitsaspekt. Ein weiteres Cluster wird als anti-kapitalistische, anti-rassistische und anti-faschistische Bewegungen bezeichnet, das ähnlich wie das vorherige Cluster verschiedene Typen an sozialen oder politischen Bewegungen beinhaltet. Viele junge Menschen betonen dabei eine bottom-up Mobilisierung, eine Desillusionierung der formalen Politik, Offenheit, Solidarität, informellen Aktivismus, und einen reinigenden Ausdruck marginalisierter Standpunkte. Die Organisationen in diesem Cluster sind größtenteils kulturelle Bewegungen wie beispielweise der anti-faschistische Punk Aktivismus (Antifa Punk) in Kroatien, die „Freiheit für das Internet“ Organisation estnische Piraten Partei, eine Bewegung in Kroatien für freie Bildung, die zum Beispiel öffentlich geförderte Bildung vom Studenten zum Graduierten fordert, und die Anti-Diskriminierungs-AG von Fußballfans in Deutschland. Occupy and Anti-Austeritätsbewegungen wurden ebenfalls klassifiziert. Hier sind Bewegungen wie die „Indignados“ aus Spanien oder die Aganaktismen aus Griechenland verortet, die in 2011 gegründet wurden. Diese haben zu parlamentarischen Veränderungen durch „Podemos“ in Spanien oder „Syriza“ in Griechenland geführt. Aber nicht überall hat dies zu parlamentarischen Veränderungen geführt, wie beispielweise im Falle der Bewegungen in der UK oder der dänischen Occupy Bewegung. Charakteristisch für alle Bewegungen ist, dass die Austerität und die Limitierungen der gegenwärtigen Formen repräsentativer Demokratie in Frage gestellt werden. Das Cluster bezüglich Geschlechter- und Minderheitenrechte beinhaltet eine Reihe von Bewegungen, wie beispielweise die „empörten Feministen“ in Barcelona, die Feministen im Vereinigten Königreich sowie die estnische Schulen, Lesben und Transgenderbewegung. Der Cluster-Report bezüglich anti-kapitalistischer Organisationen verdeutlicht, dass, obwohl eine formale Verpflichtung zu Gleichheit existiert, keine praktischen Umsetzungen implementiert worden sind. Diese Bewegungen, wie die meisten der - EUROPEANPOLICYBRIEF - P a g e | 12 ethnographischen Fallstudien, nutzten häufig das Internet für ihre Aktivitäten, welches dazu beitrug, Offenheit und horizontale Organisationsformen zu fördern. Dabei konnte bei vielen Bewegungen ein starker Ausdruck individueller und kollektiver Emotionen beobachtet werden, was als Reaktion auf die Politik gesehen werden kann, welche versucht, diese Bewegungen zu beschränken. Ein weiteres Cluster ist das Cluster der Jugendsektion der gewerkschafts- und staatlich geförderten Organisationen. Hier sind Fallstudien wie die rechte „True Finns“ Partei, die linke Jugendpartei der dänischen sozialistischen Jugend-Front, der christlichen demokratischen Partei in der Slowakei und die Jugendsektion der deutschen Gewerkschaft IGMetall enthalten. Die Untersuchungen legen dar, dass junge Aktivisten manchmal aufgrund ihrer Beziehung zu der Hauptorganisation frustriert sind. Sie sind oftmals an die Regeln der Hauptorganisation gebunden, was ihre Bemühungen nach Unabhängigkeit und der Ausbildung der eigenen Identität erschwert. POLITISCHE IMPLIKATIONEN UND EMPFEHLUNGEN Dieser Abschnitt thematisiert die zentralen politischen Implikationen unserer Forschung, insbesondere die, die zu europäischen Agenden in Relation stehen. Hier wäre zum einen die EU Jugendstrategie für 2010-18 zu nennen. Dabei ist ein Bewusstsein von hoher Bedeutung, dass die Zukunft Europas von der eigenen Jugend abhängt. Dennoch muss konstatiert werden, dass die Lebenschancen vieler Jugendlicher „verdorben“ sind. Die EU Jugendstrategie für 2010-18 hat zwei zentrale Zielsetzungen: Eine Investition in die Jugend, besonders durch die Bereitstellung verbesserter Chancengleichheit für Jugendliche in Bildung und auf dem Arbeitsmarkt. Jugendliche ermächtigen, sich aktiv in der Gesellschaft in unterschiedlichen Formen zu partizipieren. Für die Investition in die Jugend wird ein breites Spektrum an Beschäftigungsangeboten bereitgestellt, um Kompetenzen und die (Aus-)Bildung, aber auch die Arbeitsmarktfähigkeit und den Unternehmersinn zu verbessern, um damit auch das Humankapital zu fördern. Dabei liegt der Fokus auch auf Gesundheit und Wohlbefinden. Um den Folgen der Weltwirtschaftskrise von 2008 entgegenzuwirken, unter denen die Jugendlichen in Europa leiden – die Arbeitslosigkeitsrate der unter 25-Jährigen bei 1/4 liegt (in Griechenland ist dieser Anteil mit 50% am höchsten) - hat die Europäische Kommission im April 2013 eine „Jugendgarantie“-Politik verabschiedet. Alle jungen Menschen sollen ein qualitativ gutes Angebot an Beschäftigung, Aus- und Weiterbildung oder ein Praktikum nach spätestens vier Monaten nach Schulabschluss oder bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit erhalten. Die Ermächtigung Jugendlicher beruht auf der Strategie, die fortlaufende Lücke zwischen der Jugend und den politischen Institutionen und Akteuren zu schließend und folgende Aspekte zu thematisieren: Dialog mit Jugendlichen, um die Partizipation in nationaler oder europäischer Politik zu unterstützen Unterstützung von Jugendorganisationen sowie nationalen und lokalen Jugendräten Förderung der Partizipation von unterrepräsentierten Gruppen Förderung des Konzeptes “Lernen durch Partizipation” im frühen Kindesalter Förderung von E-Demokratie, um auch nicht organisierte Jugendliche zu erreichen Policy Brief 3 abschließend liegt der Fokus auf einer faktenbasierten Politik. Die empirischen Belege durch das MYPLACE Projekt sind relevant, um die EU und deren Partnerländer bei der Realisierung dieser politischen Agenden zu unterstützen. - EUROPEANPOLICYBRIEF - P a g e | 13 In vielen Fällen unterstützen unsere empirischen Evidenzen die Strategien, die bisher verabschiedet worden sind. Es kommen dabei aber Fragen auf, ob diese Strategien effektiv genug implementiert worden sind. Unsere empirischen Evidenzen hinterfragen, bedingt durch die kritischen Stimmen der Jugend und dem Nachweis von Unzufriedenheit, die gegenwärtigen Vereinbarungen der Partizipation von und die Investierung in die Jugend. Unsere Untersuchungen zeigen in Bezug auf die Partizipation – nicht generalisierend – eine „verlorene Legitimität“ von jungen Menschen gegenüber politischen Institutionen und der Demokratie: Es muss viel mehr getan werden, um junge Menschen mit dem Wissen und der Einsicht in Politik auszustatten, damit sie selber in der Lage sind, effektiv zu partizipieren. Eine verstärkte Berücksichtigung von Wegen, um eine Beteiligung zu vereinfachen, beispielweise durch vereinfachte Registrierungsverfahren. Der Trend, das Wahlalter herabzusetzen, ist ein positives Zeichen, das helfen wird, Partizipation zu ermöglichen. Junge Menschen sind der Meinung, dass das politische System eher für ältere oder reiche Personen arbeitet. Dieser Aspekt kann junge Leute von Wahlen fernhalten und zudem eine Art Kreislauf von politischer Ablehnung schaffen. Es ist die Aufgabe der Politiker, diesen Kreislauf zu durchbrechen, indem sie den Jugendlichen das Gefühl geben, dass sich die Politik um die Belange der Jugend kümmert und dass es sich lohnt, sich politisch zu engagieren. Politiker müssen berücksichtigen, dass…: junge Menschen angegeben haben, dass sie sich von der Politik dadurch entfernen, wie sie die Politik wahrnehmen. Meistens wird Politik durch ältere, formal angezogene und „langweilige“ Personen geprägt. Bemühungen von Seiten der etablierten politischen Institutionen wahrgenommen wurden, Protestbewegungen einzuschränken, da sie als Bedrohung der „öffentlichen Ordnung“ bezeichnet wurden. Dies kann dazu führen, dass junge Menschen von der Teilhabe abgehalten werden und die Demokratie damit untergraben wird. die Unzufriedenheit der Jugendlichen nicht als Problem wahrgenommen werden sollte, sondern vielmehr als positiven Wunsch nach bedeutsamerer und leichter zugänglicher Demokratie, was eine Wiederbelebung der Demokratie für alle Personen bedeuten könnte. Die Untersuchungen verdeutlichen zudem, dass Museen und Gedenkstätten Geschichte in einer sensiblen und explorativen Art und Weise vermitteln sollten, anstatt vorzuschreiben, wie Geschichte zu verstehen ist. Es sollte vermieden werden, Geschichte zu vergessen oder sogar die schwierige Vergangenheit zu unterdrücken. Unser Vorschlag beinhaltet die Entwicklung von angemessenen politischen Aktionen durch Museen und Gedenkstätten, um ein balancierteres Bild der Vergangenheit vermitteln, anstatt ein öffentliches Verständnis von Geschichte aufzudrängen. Zusätzlich kann die aktive oder passive Unzufriedenheit junger Menschen die Antwort auf ein Versagen in der inhaltlichen Bewältigung der im Folgenden aufgeführten Angelegenheiten verstanden werden. Diese Aspekte betreffen zwar auch die ganze Gesellschaft, jedoch in besonderem Maße junge Menschen, die sich eine positive, individuelle und kollektive Zukunft wünschen: Die sich immer weiter ausdehnenden sozioökonomischen Ungleichheiten in und zwischen den Gesellschaften nehmen auch intergenerationale Ausmaße an; Anhaltende Misserfolge um die akuten und dringlichen Probleme des Klimawandels zu bekämpfen; - EUROPEANPOLICYBRIEF - P a g e | 14 Zunehmende Exklusion einer steigenden Zahl von jungen Menschen vom Arbeitsmarkt und damit von zufriedenstellenden, bedeutenden Karrieren, was den Übergang in Erwachsenenrollen auf unbestimmte Zeit verzögert. Die Dominanz des Neoliberalismus auf Länder- und EU-Ebene führt dazu, dass junge Menschen zunehmend ihr eigenes Leben in einer deprimierenden Gegenwart erleben, mit wenig Hoffnung für ihre Zukunft. Dadurch müssen sich die politischen Akteure mit den inhaltlichen Folgen der ökonomischen Krise und der Austerität auseinandersetzen, damit der Glaube in die Demokratie wieder hergestellt werden kann – besonders in den südeuropäischen Ländern. Unsere Forschung beinhaltet Politikimplikationen für die Agenda „Investition in die Jugend“ der Europäischen Jugendstrategie 2010-18, die gegenwärtig eher eine dominante neoliberale Angebotsstrategie bevorzugt als ein Fortschreiten der kollektiven, sozialen Rechte sowie eine Förderung des europäischen sozialen Modells. Die „Jugendgarantie“ ist zweifelsfrei ein Versuch, die Bedürfnisse der Jugendlichen in den Mittelpunkt der Politik zu bringen. Es wurden aber auch kritische Stimmen laut, die einen unzureichenden Einsatz von EU-Ressourcen und eine zu langsame Implementierung in den Mitgliedsstaaten bemängelten. Austerität ist ebenfalls ein Aspekt, der konträr zu der EU Jugendstrategie 2010-18 wirkt. Obwohl diese Gesichtspunkte auf die informelle Jugendarbeit abzielen, hat es in vielen Ländern aufgrund des Austeritätsprogramms vehemente Kürzungen in der Finanzausstattung gegeben. Unsere Forschung unterstützt angemessene Jugendpartizipationsstellen – Jugendorganisationen und Vereinigungen, sowie lokale und nationale Jugendräte – um Jugendlichen mehr Möglichkeiten zu geben, mit Politikern in Kontakt zu kommen und somit auch in den politischen Prozess involviert zu sein. Viele Respondenten im MYPLACE-Projekt sind nicht der Meinung, dass sie durch Schulen bzw. Bildungsinstitutionen adäquat darauf vorbereitet werden. So beispielweise: Es sollte mehr Stunden Sozialkunde in der Schule geben, und auch mehr Geschichte Was wir brauchen, ist Bildung. Bildung ist unsere Waffe, sonst nichts. Die Beteiligungsmöglichkeiten, welche die Schuljugendräte bieten, werden von den Schülern geschätzt und wahrgenommen. Deswegen muss mehr getan werden, um junge Menschen mit Wissen auszustatten, ihnen Einblicke in die Politik zu gewähren und praktische Partizipationskompetenzen durch nicht-formales Lernen zu ermöglichen. Dies würde zu einem effektiveren Lernen führen. Die Herabsetzung des Wahlalters könnte eine positive Maßnahme sein, um die Partizipation zu fördern. Unsere empirische Evidenz stützt eine stärkere Fokussierung der Europäischen Kommission auf die Jugend, aber eröffnet zudem Fragen, ob diese angemessen gegen die dominanten ökonomischen Ausrichtungen und leichten Formen der Implementierung durch lediglich offene Methoden der Koordination ankommen. Auch, wenn junge Menschen Probleme haben, sind sie selber nicht das Problem. Wie das EU Jugendstrategiedokument verlauten lässt: „Junge Menschen sind keine belastende Verantwortung, sondern vielmehr eine kritische Quelle der Gesellschaft“. Unsere Ergebnisse zielen darauf ab, dass Politiker vermehrt Anstrengungen auf sich nehmen müssen, um junge Leute zu erreichen und entsprechend auf die Anliegen der jungen Menschen reagieren, die sich am MYPLACE-Projekt beteiligt haben. Jugendliche sprechen explizit an, dass Politiker bessere Ergebnisse bezüglich prozessualer Angelegenheiten demokratischer Partizipation und inhaltlicher Angelegenheiten sozialer Gerechtigkeit, Rechte, Armut und Gleichheit, sowohl generell als auch auf die Jugendlichen bezogene Aspekte, erzielen sollen. Die qualitativen und ethnographischen Untersuchungen verdeutlichen, dass junge Menschen sehr stark an einer besseren Gesellschaft interessiert sind, in der sie keine ideologischen Ausrichtungen unterstützen oder radikale Änderungen befürworten müssen. Die folgenden Statements sind zwar nicht repräsentativ, aber wir sind der Meinung, dass es keinen besseren Weg gibt, den Policy Brief 3 abzuschließen, in der Hoffnung, dass Politiker und in der Politik beteiligte Akteure dieses zur Kenntnis nehmen: Eine Gesellschaft, in der Menschen ein Leben verdienen, was wir momentan nicht haben - EUROPEANPOLICYBRIEF - P a g e | 15 Die totale Eliminierung der Arbeitslosigkeit, sodass jeder einen Job finden kann und weniger Stunden arbeiten muss. Eine kommunikativere Gesellschaft mit Politikern, die wirklich mit den Menschen reden und nicht nur untereinander oder so tun, als würden sie mit den Leuten reden. Der Staat sollte den jungen Leuten nicht die Träume nehmen. Sie sollten dahin getrieben werden, mehr zu tun und zumindest die Hälfte davon bewältigen. Wäre jeder etwas rücksichtsvoller und jeder würde ein bisschen mehr auf den anderen Acht geben, und wäre jeder auch etwas toleranter… das wäre wichtig. Eine bessere Gesellschaft? Das wäre eine Gesellschaft, in der sich die Leute nicht gegenseitig verurteilen und die Gesellschaft etwas weniger voreingenommen wäre, weniger rassistisch, weil in der Gesellschaft ziemlich viel Rassismus existiert. Wo Leute einander vertrauen und ehrlich miteinander sind, sowohl beruflich, als auch in persönlichen Beziehungen. Für mich gäbe es keine Kämpfe. Das ist ziemlich unrealistisch, aber es würde keine Kämpfe geben. Das Leben sollte nicht auf materiellen Güter basieren, sondern auf menschlichen Werte […] All dies ist schwer zu erreichen. Aber ja, wären wir weniger von der Ökonomie und den Märkten abhängig, wären viele Sachen besser. Der vollständige Forschungsbericht, auf dem dieser Policy Brief basiert, ist hier erhältlich: http://www.fp7-myplace.eu/deliverables.php FORSCHUNGSPARAMETER MYPLACE: (Memory, Youth, Political Legacy and Civic Engagement) Ein vierjähriges, €7.9 Million EC gefördertes Projekt Untersuchung, wie die soziale Beteiligung junger Menschen von den Schatten (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) des Totalitarismus und Populismus in Europa geformt wurde MYPLACE kombiniert Befragungs-, Interview- und ethnographische Forschung, um gesamteuropäische Daten zu liefern, die nicht nur den Partizipationsgrad messen, sondern vielmehr die Bedeutung erfassen, die Jugendliche dieser Thematik beimessen: Untersuchung der Konstruktion und Vermittlung historischer Erinnerungen anhand von Fokusgruppen und ca. 30 intergenerationalen Interviews (Work Package 2) Erfassung der Partizipation Jugendlicher durch die Nutzung einer standardisierten Befragung, die Angaben von 17.000 Jugendlichen in 14 Ländern beinhaltet (Work Package 4) Verständnis bezüglich der Partizipation durch 900 vertiefende Folgeinterviews (Work Package 5) - EUROPEANPOLICYBRIEF - P a g e | 16 Interpretation des Aktivismus junger Menschen durch mindestens 42 ethnographische Fallstudien (Work Package 7) MYPLACE stellt eine enorm reiche und anspruchsvolle Datensammlung zur Verfügung, die die Einstellungen junger Menschen sowie deren Beziehung und spezifische Haltung gegenüber rechten und linken Ideologien abdeckt, aber auch Themen wie Klassendenken, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Bildung und Vertrauen in demokratische Prozesse und Assoziierungen bezüglich sozialer und politischer Exklusion beinhaltet. Wir begrüßen die Möglichkeit, mit interessierten, politischen Akteuren zusammenzuarbeiten, während unsere Datenanalysen voranschreiten. Bitte kontaktieren Sie: [email protected] PROJEKTIDENTITÄT PROJEKT NAME Memory, Youth, Political Legacy and Civic Engagement (MYPLACE) KOORDINATOR Professor Hilary Pilkington, University of Manchester, United Kingdom [email protected] KONSORTIUM Caucasus Research Resource Centre Tbilisi, Georgia Centro Investigacao e Estudos de Sociologia Lisbon, Portugal Daugavpils Universitate Daugavpils, Latvia - EUROPEANPOLICYBRIEF - P a g e | 17 Debreceni Egyetem Debrecen, Hungary Friedrich-Schiller Universitaet Jena Jena, Germany Institut Drustvenih Znanost Ivo Pilar Zagreb, Croatia Manchester Metropolitan University Manchester, United Kingdom Panteion University of Social and Political Sciences Athens, Greece State Institution of Ulyanovsk Research and Development Centre “Region” Ulyanovsk, Russian Federation Syddansk Universitet Sønderborg, Denmark Tallinn University Tallinn, Estonia The University of Manchester Manchester, United Kingdom The University of Warwick Coventry, United Kingdom Universitaet Bremen Bremen, Germany Universitat Pompeu Fabra Barcelona, Spain University of Eastern Finland Kuopio, Finland Univerzita sv Cyrila a Metoda v Trnavae Trnava, Slovakia FINANZIERUNGSSYSTEM FP7 Framework Programm für die Forschung der Europäischen Union – kollaborative Projektaktivitäten SSH-2010-5.1-1: “Demokratie und der Schatten des Totalitarismus und Populismus: Europäische Erfahrungen” DAUER Juni 2011 – Mai 2015 (48 Monate). BUDGET EU-Leistungen: 7 994 463 €. WEBSITE www.fp7-myplace.eu FÜR WEITERE INFORMATIONEN Kontakt: Martin Price (Projektmanager) – [email protected] - EUROPEANPOLICYBRIEF - P a g e | 18 WEITER BERICHTE Alle veröffentlichten Berichte myplace.eu/deliverables.php - EUROPEANPOLICYBRIEF - sind hier erhältlich: http://www.fp7- P a g e | 19