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Presse-Information
Press release  Information de presse
Trendbericht Nr. 16: Lebensmittelbiotechnologie/-verfahrenstechnik
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Dr. Kathrin Rübberdt
Tel. ++49 (0) 69 / 75 64 - 2 77
Fax ++49 (0) 69 / 75 64 - 2 72
e-Mail: [email protected]
April 2012
Functional Food – zwischen Nahrung und Medizin
Lebensmittelformulierungen mithilfe bioaktiver Inhaltsstoffe sind Chance und
Herausforderung zugleich

Die Lebensmittelindustrie muss Gesundheit und Genuss mit den Erwartungen der
Verbraucher an ein qualitativ einwandfreies Produkt in Einklang bringen

Lieferanten funktioneller Inhaltsstoffe sollen die Hersteller zunehmend auch bei der
Formulierung von Lebensmitteln beraten

Die wirtschaftliche Bedeutung von Lebensmitteln mit Zusatznutzen steigt stetig
Es ist schon paradox. Gesundheit ist eines der wichtigsten Gesellschaftsthemen
unserer Zeit und noch nie war es einfacher, sich umfassend zu informieren. Dennoch
gibt es viele Gründe, warum eine gesunde Ernährung keinen Platz in unserem Alltag
findet: Oft fehlt es an Organisation, an Zeit, an Lebensmittel- und Nährstoffkenntnis
oder schlicht und ergreifend an der Fähigkeit, sich eine gesunde Speise selbst zuzubereiten. In dieser Gemengelage hat sich ein Zweig innerhalb der Lebensmittelindustrie etabliert, der den Verbrauchern bei ihrem Wunsch nach einer gesunden und
gleichzeitig unkomplizierten Ernährung entgegenkommen will: Functional Food –
funktionelle Lebensmittel, die einen nachweislich positiven Effekt auf die Gesundheit
haben sollen.
Funktionelle Lebensmittel gibt es mittlerweile in zahlreichen Varianten. Dabei es geht es
zumeist um die ausreichende Versorgung mit gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen sowie
um die Prävention ernährungsbedingter Krankheiten. Produkte, die sich positiv auf die
Immunabwehr oder die Gesundheit des Herz-Kreislaufsystems auswirken, den Cholesterinspiegel senken, für ein gesundes Hautbild sorgen oder die Knochendichte fördern sowie
Lebensmittel, die speziell auf die Bedürfnisse von Sportlern, älteren Menschen oder Kleinkindern eingehen – die Bandbreite der potentiellen Wirkweisen ist enorm. Eine einheitliche
Definition für funktionelle Lebensmittel gibt es in Europa bislang noch nicht. Um Willkür
vorzubeugen und im Sinne des Verbraucherschutzes wird allerdings die Wirksamkeit der
funktionellen Inhaltsstoffe von der European Food Safety Authority (EFSA) geprüft, bevor
diese im Rahmen der Produktauslobung an den Verbraucher kommuniziert werden darf.
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Health Ingredients
Im Mittelpunkt stehen in diesem Zusammenhang die funktionellen, bioaktiven Inhaltsstoffe
oder „Health Ingredients“. Denn sie sind es, die im Kontext einer komplexen Lebensmittelmatrix eine besondere ernährungsphysiologische Wirksamkeit erreichen. Bioaktive Substanzen bezeichnen in Lebensmitteln enthaltene gesundheitsfördernde Wirkstoffe ohne
Nährstoffcharakter. Dabei handelt es sich vorwiegend um sekundäre Pflanzenstoffe sowie
um Ballaststoffe oder auch Substanzen aus fermentierten Lebensmitteln.
Für die Lebensmittelindustrie ist die Herstellung funktioneller Produkte Chance und Herausforderung zugleich. Denn einerseits gibt es eine große Nachfrage nach Produkten, die
positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Andererseits sind für Nahrungsmittel
andere Kriterien anzulegen als für Arzneimittel. Essen ist in erster Linie Erfüllung eines
essentiellen Bedürfnisses und Genuss. Und diese Maßgabe gilt auch für funktionelle Lebensmittel mit ernährungsphysiologischem Zusatznutzen. Werden solche Produkte den
hohen Erwartungen der Verbraucher hinsichtlich Geschmack, Textur und Aussehen nicht
gerecht, greifen diese kein zweites Mal zu. Für die Akzeptanz ist außerdem der wissenschaftlich nachgewiesene Nutzen ausschlaggebend. Die EFSA prüft dazu für die jeweiligen
Inhaltsstoffe die konkreten Claims und veröffentlicht die Ergebnisse; so wurde beispielsweise für eine ganze Reihe von gängigen Inhaltsstoffen wie Beta-Karotin oder Lycopin die
postulierte antioxidative Wirkung bereits verneint.
Hinzu kommt, dass die Wirkweise der bioaktiven Inhaltsstoffe auch im Rahmen des industriellen Verarbeitungsprozesses erhalten bleiben muss. Physikalische und chemische Verfahren dürfen weder Produktqualität noch die spezifische Wirkweise der wertgebenden
Inhaltsstoffe beeinträchtigen. Und auch die spezifischen technologischen Eigenschaften der
funktionellen Inhaltsstoffe selbst, wie Löslichkeit oder Temperaturempfindlichkeit, können
der Verarbeitung im Wege stehen. So sehen sich Lebensmitteltechnologen und Produktentwickler vor der Herausforderung, Gesundheit und Genuss mit den Erwartungen der
Verbraucher an ein qualitativ einwandfreies Produkt in Einklang zu bringen.
Die Bedeutung der Rezeptur
Viele bioaktive Inhaltsstoffe sind infolge schlechter Wasser- oder Öl-Löslichkeit, einem
schnellen Abbau, einer schwer zu kontrollierenden Dosierung oder einer unzureichenden
Bioverfügbarkeit nicht unmittelbar in Lebensmitteln einsetzbar. Weisen die Wirkstoffe aufgrund ihrer Molekülstruktur zusätzlich Grenzflächenaktivität auf, wie dies beispielsweise bei
Phytosterolen der Fall ist, wird die Verwendung in Lebensmittelsystemen weiter erschwert.
Um die Bereitstellung eines Inhaltsstoffes in der gewünschten bioverfügbaren Form zu
gewährleisten, kommen häufig organische Verbindungen als Trägerstoffe zum Einsatz.
Diese Trägerstoffe werden zum Lösen, Verteilen oder Modifizieren von bioaktiven Inhalts2/5
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stoffen verwendet. Dadurch wird die Handhabung der Inhaltsstoffe bei der Herstellung
funktioneller Lebensmittel nicht nur erleichtert, sondern gleichzeitig standardisiert. Trägerstoffe sind aber auch dann relevant, wenn eine Zutat dem Lebensmittel nur in geringen
Konzentrationen zugesetzt werden soll.
Wie wichtig die spezifische Formulierung funktioneller Lebensmittel ist, lässt sich am Beispiel der Phytosterole zeigen. Denn deren ernährungsphysiologisches Potenzial, den Serum-Cholesteringehalt zu senken, ist stark formulierungsabhängig. Die kristalline Form
zeigt dabei die weitaus geringste Dosiswirkung. Daher wird für mit Phytosterol angereicherte Lebensmittel häufig auf Phytosterol-Fettsäureester zurückgegriffen. Diese Form übertrifft
kristalline Phytosterole sowohl bei der Dosiswirkung als auch hinsichtlich ihrer Löslichkeit in
Öl etwa um das Zehnfache und steht somit für eine Verarbeitung in fettreichen Lebensmitteln wie Margarine in ausreichender Konzentration zur Verfügung.
Möchte man Phytosterole allerdings in verschiedenen Lebensmittelsystemen einsetzen,
müssen solche Formulierungen wasserdispergierbar sein. Desweiteren erreichen Phytosterol-Fettsäureester mit einer optimalen Dosis von ca. zwei bis drei Gramm pro Tag nicht
die Dosiswirkung, die nach klinischen Studien für freie gelöste Phytosterole zu erwarten ist.
Daher besteht die Herausforderung darin, Formulierungen chemisch ungebundener, nicht
kristalliner Phytosterole zu schaffen, um die bisher erforderliche Tagesdosis bei gleich
bleibendem Effekt deutlich reduzieren zu können. Diesen Anforderungen werden sowohl
Öl-in-Wasser-Emulsionen als auch Liposomen oder micellare Systeme gerecht. Dabei ist
jedoch zu beachten, dass alle verwendeten Stoffe wie beispielsweise Lösungsmittel für den
Einsatz in Lebensmitteln zugelassen sein müssen.
Die Bioverfügbarkeit eines Inhaltsstoffes bezeichnet, wie viel von einer eingenommenen
Substanz absorbiert wird und das Blut erreicht. Um eine möglichst hohe Bioverfügbarkeit zu
schaffen, ist nicht nur die Art der Formulierung, sondern auch deren Mikrostruktur ausschlaggebend. So bestimmt beispielsweise bei Emulsionen nicht nur die Art der wertgebenden Inhaltsstoffe, sondern auch deren Tropfengröße über die zelluläre Aufnahme.
Bioaktive Inhaltsstoffe werden häufig in Form von sogenannten „Mini-Emulsionen“ verwendet, Emulsionen also mit einer Tropfengröße im Bereich zwischen 0,1 und 1 μm. Dabei
können sich Unterschiede im Zehntelmikrometer-Bereich bereits signifikant auf die Bioverfügbarkeit des wertgebenden Inhaltsstoffes auswirken.
Aus Zulieferern werden „Solution Provider“
Mit steigenden Anforderungen an die Formulierung von Lebensmitteln wird auch die Rolle
der Hersteller funktioneller Inhaltsstoffen immer wichtiger – nicht nur als Lieferanten von
Ingredienzien, sondern ebenso als Experten für umfassende Beratung und Support. Neben
ernährungswissenschaftlichem und regulatorischem Fachwissen ist eine weitreichende
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technologische Expertise Voraussetzung, um gemeinsam mit Lebensmittelherstellern funktionelle Produkte zu entwickeln, die schnell zur Marktreife gebracht werden können, höchsten Qualitätsansprüchen gerecht werden und dabei keinerlei sensorische Nachteile aufweisen.
„Das Wissen um Formulierungen, Technologien und Herstellungsverfahren ist entscheidend für zukünftigen Markterfolg“, so Rudy Wouters, Head of Food Application bei Beneo,
einem der führenden Hersteller funktioneller Inhaltsstoffe. „Verbraucher sind nicht bereit, für
einen Zusatznutzen geschmackliche Einbußen in Kauf zu nehmen und Lebensmittelhersteller legen immer größeren Wert auf eine schnelle und effiziente Produktentwicklung. Ich
erachte daher das Wissen um Anwendungsgebiete, Eigenschaften und Verhalten von
Nahrungsmittelzutaten als wichtigste Kompetenz von Herstellern funktioneller Inhaltsstoffe.“
Applikationen
Bioaktive Inhaltsstoffe werden in vielen Lebensmittelgruppen eingesetzt – vorzugsweise
aber in solchen, die bereits von Haus aus ein gesundes Image genießen. Wegbereiter für
Functional Food und immer noch sehr populär sind probiotische Milchprodukte. Die darin
enthaltenen probiotischen Kulturen sind natürliche, auch im menschlichen Darm vorkommende Kulturen, die die Darmflora positiv beeinflussen sollen.
Im Trend liegen aktuell auch funktionelle Riegel, denn sie werden sowohl dem hohen Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher, als auch dem Wunsch nach einer bequemen und
unkomplizierten Ernährungsweise gerecht. Europas führender Vertragshersteller von Riegeln, das niederländische Unternehmen VSI, verwendet zahlreiche bioaktive Inhaltsstoffe
und kennt die damit verbundenen Herausforderungen. Dazu Henk Jan Neerhof, Manager
Product Development bei VSI: „Viele dieser funktionellen Inhaltsstoffe sind unkompliziert zu
verarbeiten, aber einige stellen uns tatsächlich vor große technologische und sensorische
Herausforderungen. Omega-3-Fettsäuren sind ein gutes Beispiel. Hier geht es vor allem
darum, deren fischigen Eigengeschmack in den Griff zu bekommen – uns gelingt das zum
einen durch die Wahl eines möglichst reinen Rohstoffes und eine harmonische Kombination verschiedener Aromen bei der Rezepturentwicklung. Zum anderen wenden wir technologische Verfahren an, um die Formulierung weitgehend sauerstofffrei zu halten. Denn
durch Oxidation würde sich der fischige Geschmack wieder stärker herausbilden. Neben
solchen technologischen Fragen dürfen wir aber auch die regulatorischen Hürden nicht
außer Acht lassen, die bei der Vermarktung funktioneller Produkte zu nehmen sind.“
Nicht für jeden Verbraucher ist jedes funktionelle Lebensmittel geeignet. Mangel an bestimmten Nährstoffen tritt oft nur in bestimmten Bevölkerungsgruppen auf – so sind ältere
Menschen überdurchschnittlich oft mit Vitaminen und Proteinen unterversorgt. Biotechnologische Methoden können dazu beitragen, Nährstoff- und Nährwertprofile für verschiedene
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Zielgruppen zu entwickeln. Auch die Wirkungsweise im Körper muss besser verstanden
werden, damit entsprechende Lebensmittelkomponenten entwickelt werden können. Die
Fachgruppe Lebensmittelbiotechnologie der DECHEMA hat dazu im Frühjahr 2012 eine
Stellungnahme veröffentlicht, in der der entsprechende Forschungsbedarf zusammengefasst ist.
Wirtschaftliche Bedeutung
Lebensmittel mit ernährungsphysiologischem Zusatznutzen sind nicht nur aus ernährungswissenschaftlicher Sicht interessant. Auch wirtschaftlich sind sie von hoher Bedeutung. Der
Markt der funktionellen Produkte generiert laut Euromonitor International in Deutschland
einen jährlichen Umsatz von etwa 4,5 Milliarden Euro, seit 2005 ist der Umsatz der Branche
um annähernd 30 Prozent gestiegen. Dabei erzielen funktionelle Lebensmittel Premiumpreise. Zahlen von AC Nielsen aus dem „TrendNavigator Functional Food“ zeigen, dass
probiotische Milchgetränke bis zu 100 Prozent mehr kosten als herkömmliche Varianten.
Diese höheren Deckungsbeiträge und die innovativen, nicht leicht zu kopierenden Herstellungsverfahren innerhalb der Functional-Food-Branche, bieten gerade den kleinen und
mittelständischen Unternehmen eine große Chance. Denn deren Anteil bei der Herstellung
von Massenprodukten nimmt aufgrund der kleinen Deckungsbeiträge stetig ab. Gleichzeitig
ist die Lebensmittelindustrie in Deutschland stark von kleinen und mittelständischen Betrieben geprägt. 2010 wurde nach Angaben der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) durch die Lebensmittelindustrie ein Umsatz von etwa 150 Milliarden
Euro erwirtschaftet. Daran waren rund 5.900 Betriebe mit ca. 544.000 Mitarbeitern beteiligt,
wobei 55 Prozent der Betriebe weniger als 50 und 98 Prozent der Betriebe weniger als 500
Mitarbeiter hatten. So ist der Nischenmarkt „Functional Food“ gerade für diese Unternehmen ein interessantes Gebiet.
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(Die Trendberichte werden von internationalen Fachjournalisten zusammengestellt. Die
DECHEMA ist nicht verantwortlich für unvollständige oder falsche Informationen.)
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