Material: Formen und Theorien der Demokratie H. 2 MA 13 Politisches System der Bundesrepublik Deutschland MA 14 Art. 1 und Art. 20 GG Artikel 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtssprechung als unmittelbar geltendes Recht. Artikel 20 (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung ausgeübt. (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtssprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. MA 15 Die Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung – Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung: Zu 10 den Menschenrechten gehören unter anderem die 5 Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), das Verbot der 1 Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, Abstammung, Rasse (Art. 3 Abs. 3 GG), die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), das Recht auf die Unverletzlichkeit des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG). Als vorstaatliche, dem Menschen gewissermaßen von Natur aus zustehenden Material: Formen und Theorien der Demokratie H. 2 15 Rechte dürfen diese Grundrechte vom Gesetzgeber in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden (Art. 19 Abs. 2 GG). – Volkssouveränität: Dieser Grundsatz betont, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Nur so sei 20 die demokratische Legitimation der Regierenden gewährleistet. Aufgrund negativer Erfahrungen in der Weimarer Republik mit plebiszitären Verfahren (Volksabstimmungen über Gesetzvorschläge und Volkswahl des Staatsoberhaupts!) wird die 25 Volkssouveränität keineswegs verabsolutiert […] – Gewaltenteilung: Dieser Grundsatz bringt zum Ausdruck, daß die Staatsgewalt durch voneinander unabhängige Organe ausgeübt werden soll. Mit Recht wird dabei darauf hingewiesen, daß das 30 von Montesquieu (1689 –1755) überkommene Gewaltenteilungsmodell modifiziert werden müsse. Es sei nämlich ein Kennzeichen der parlamentarischen Demokratie, daß die Mehrheit des Parlaments (Legislative) die Regierung (Exe35 kutive) unterstütze. Doch würde jede Gewaltenkonzentration, die „dem Grundsatz der Machtba- 40 – 45 – – 50 – 55 – lance eine Absage erteilt“, dem geforderten Prinzip der Gewaltenteilung widersprechen. Außerdem gibt es neue Formen der Gewaltenteilung. Hierzu zählt insbesondere der föderative Aufbau der Bundesrepublik Deutschland. Verantwortlichkeit der Regierung: Die Regierung ist von den Mehrheitsverhältnissen im Parlament abhängig und kann unter Umständen sogar gestürzt werden. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung: Alle Akte der Verwaltung müssen durch ein Gesetz legitimiert sein […] Unabhängigkeit der Gerichte: Garantiert wird die Unabhängigkeit der Gerichte von Weisungen der Exekutive oder Legislative. Die Richter sind bei ihren Urteilen nur an die Gesetze gebunden […] Mehrparteienprinzip: Die Vielzahl der in einem Volk vorhandenen gegensätzlichen Interessen verlangt konkurrierende Parteien […] Chancengleichheit für alle politischen Parteien und das Recht auf verfassungsmäßige Ausübung einer Opposition […] BVerf.GE2, 12 f. von 1952 nach: Frank Armbruster: Politik in Deutschland, Wiesbaden: Gabler 1981, S. 19 f. MA 16 Die Konzeption der streitbaren Demokratie In den folgenden Bestimmungen des Grundgesetzes findet die „streitbare Demokratie“ ihren Ausdruck. Hierdurch soll die freiheitliche demokratische Grundordnung gesichert werden. 5 10 15 20 – Art. 19 Abs. 2 GG: „In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ – Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a begründet die Möglichkeit, daß bei Grundrechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt jedermann das Recht hat, beim Bundesverfassungsgericht zu klagen (= Popularklage). – Art. 79 Abs. 3 GG: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ – Art. 21 Abs. 2 GG: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“ 25 30 35 40 – Art. 9 Abs. 2 GG: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit […] sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, sind verboten.“ – Art. 18 GG: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Art. 8), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10), das Eigentum (Art. 14) oder das Asylrecht (Art. 16 Abs. 2) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“ – Art. 33 Abs. 5 GG: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln.“ Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß die Beamten die freiheitliche demokratische Grundordnung bejahen und sich jederzeit für sie einsetzen müssen. BVerf.GE2, 12 f. von 1952 nach: Frank Armbruster: Politik in Deutschland, Wiesbaden: Gabler 1981, S. 19 f. 2 Material: Formen und Theorien der Demokratie MA 17 Die Demokratieauffassung im Grundgesetz 5 10 15 20 25 30 35 [Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes ist] ein Ausfluß der Konkurrenztheorie der Demokratie. Demokratie wird hier – im Gegensatz zur Homogenitätstheorie der Demokratie – nicht als Identität von Regierenden und Regierten angesehen, entspricht doch eine Homogenität des Volkswillens nicht der Realität. Dagegen geht das Demokratieverständnis des Grundgesetzes davon aus, daß in einer pluralistischen Gesellschaft verschiedene Interessen existieren, die gleichermaßen legitim sind. Opposition gilt folglich als ein fundamentaler Bestandteil der Demokratie. Da es kein vorgegebenes Gemeinwohl gibt, kann nur das Mehrheitsprinzip als Grundlage für politische Entscheidungen dienen. Die „Väter des Grundgesetzes“ haben aber andererseits besonderes Gewicht darauf gelegt, daß demokratische Spielregeln und für unveräußerlich angesehene Grundrechte durch das Mehrheitsprinzip nicht angetastet werden. Diese schreiben jedoch keine bestimmte Gesellschaftsordnung fest. Das Grundgesetz hat das repräsentative Prinzip besonders ausgeprägt gestaltet. Parteien und Interessenverbände organisieren den Willen der Bevölkerung und formen ihn mit. Der Idee einer unmittelbaren Demokratie wird zwar eine Absage erteilt. Dies kann aber nicht heißen, die Bevölkerung habe nur bei Wahlen ein Recht, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland stehen im Gegenteil viele Möglichkeiten offen, sich politisch zu betätigen: Sie können – beispielsweise – versuchen, sich über die Parteien Geltung zu verschaffen, auf die öffentliche Meinung einzuwirken, als Mitglied eines Interessenverbandes aktiv zu werden, in Bürgerinitiativen die Entscheidungsprozesse von Parlament und Verwaltung zu beeinflussen“. Eckhard Jesse: Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1981, S. 23 3 H. 2 Material: Formen und Theorien der Demokratie 4 H. 2