Beispielhausarbeit Bundesverfassungsgericht

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Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Politikwissenschaft
Lehrstuhl Politisches System der Bundesrepublik Deutschland
Modul: POL 210
Seminar zum Basismodul Politische Systeme:
Einführung in das politische System der Bundesrepublik Deutschland
Leitung: Dr. Sven Leunig
Sommersemester 2015
Die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht
Möglichkeiten und Einschränkungen unter den Mehrheitsverhältnissen des 18. Bundestags
Vorgelegt von:
Abgegeben am:
Jena, den 17.08.2014
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung................................................................................................................ 1
2.
Was ist Opposition? ................................................................................................ 2
3.
Welche Funktionen hat Opposition? ...................................................................... 3
4.
Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts ............................................................ 5
5.
Möglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht ....................... 7
5.1
Klagemöglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht .......... 7
5.1.1
Bund-Länder-Streit.......................................................................................... 7
5.1.2
Verfassungsbeschwerde .................................................................................. 7
5.1.3
Organstreitverfahren........................................................................................ 8
5.1.4
Abstrakte Normenkontrolle ............................................................................. 9
5.2
Nicht-institutionalisierte Möglichkeiten ............................................................. 9
5.2.1
Kontrolle im Vorhinein ................................................................................. 10
5.2.2
Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen ................................................... 10
6.
Möglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht unter den
Mehrheiten des 18. Bundestags ................................................................................... 11
6.1
Bedeutung der Einschränkung dieser Möglichkeiten ....................................... 12
6.2
Unerheblichkeit der Einschränkung dieser Möglichkeiten? ............................. 13
7.
Fazit ...................................................................................................................... 14
Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 16
Eigenständigkeitserklärung ........................................... Error! Bookmark not defined.
1. Einleitung
Seit der Bundestagswahl 2013 regiert in der Bundesrepublik Deutschland eine
große Koalition aus CDU/CSU und SPD. Eine solche große Koalition hat eine
beachtliche Machtfülle: Sie hat eine eigene verfassungsändernde Mehrheit, sie
beherrscht die Abläufe im Parlament und sie kann den Prozess der politischen
Verhandlungen aus der Öffentlichkeit ins Geheime verlagern1. Problematisiert
in diesem Zusammenhang wurde in der öffentlichen Debatte auch, dass die nun
auf 20% der Abgeordneten geschrumpfte Opposition, neben anderen Einschränkungen, im parlamentarischen Alltag nur noch einen eingeschränkten Zugang
zur Verfassungsgerichtsbarkeit hat2.
In dieser Arbeit frage ich nach den konkreten Einschränkungen, aber auch den
Möglichkeiten, die der Opposition unter diesen Bedingungen bleiben. Inwieweit
wird die Arbeit der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht tatsächlich
eingeschränkt?
Zur Beantwortung dieser Frage beschäftige ich mich zunächst mit dem Begriff
der Opposition: Wer zählt überhaupt dazu? Ist Opposition nur die, nun zahlenmäßig beschränkte, Minderheit im Parlament? Oder gehören auch andere Akteur*innen dazu? Um beurteilen zu können, inwieweit die Arbeit der Opposition
eingeschränkt wird, muss ich zudem wissen, worin diese Arbeit überhaupt besteht, welche Funktionen Opposition hat. Auch die Relevanz des Bundesverfassungsgerichts ist dazu bedeutsam: Handelt es sich um einen wichtigen Akteur
im Oppositionshandeln oder ist der Zugang zu ihm vernachlässigbar? Im Anschluss daran zähle ich die verschiedenen Möglichkeiten auf, die die Opposition
vor dem Bundesverfassungsgericht hat, um ihre Funktionen zu erfüllen, und
gleiche sie mit den Möglichkeiten unter den aktuellen Zahlen ab. Um erfassen
zu können, inwieweit die Einschränkungen dieser Möglichkeiten tatsächlich die
Opposition beeinträchtigen, frage ich daraufhin nach der Bedeutung dieser Möglichkeiten und beschäftige mich mit der Frage, ob der fehlende Zugang zu ihnen
tatsächlich eine Einschränkung für die Opposition bedeutet.
1
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? Parlamentarische Opposition, Bundesverfassungsgericht und Bundespräsident als Kontrolleure der Zweidrittelmehrheit in: Bukow,
Sebastian / Seemann, Wenke [Hrsg.]: Die Große Koalition, Regierung – Politik – Parteien, 2005
– 2009, Wiesbaden 2010, S. 59.
2
z. B. in „Opposition in Roten Roben” von Wolfgang Janisch aus der SZ vom 24.10.2013
und „Schluss mit Ausreden” von Robert Rossman aus der SZ vom 03.04.2014.
1
2. Was ist Opposition?
Zur Beantwortung der Forschungsfrage ist zunächst eine Definition dieses Begriffes notwendig: Wovon ist die Rede, wenn über „die Opposition“ gesprochen
wird? Im Grundgesetz wird dieser Begriff nicht benutzt3, daher ist eine andere
Begriffsbestimmung notwendig.
Historisch entstand der Begriff in Großbritannien aus dem „neuen Dualismus“:
Der englische Prime Minister benötigte eine parlamentarische Mehrheit zur Unterstützung seines Regierungshandelns. Dadurch standen sich nicht mehr Legislative (in Form des Parlaments) und Exekutive (in Form der*s Monarch*in) gegenüber, sondern Regierungsmehrheit und Opposition4. Das Wort selbst entspringt dabei der Tatsache, dass der Teil des Parlaments, der nicht an der Regierung beteiligt war, der Regierungsmehrheit gegenüber – also „opposite“ – saß5.
Meist meint Opposition, wie zum Beispiel bei Schmid, „die Gruppe des Parlaments, die an der Regierungsbildung und an der Führung der Regierungsgeschäfte nicht beteiligt ist (...)“6. Es handelt sich also um ein rein parlamentarisches Verständnis von Opposition. Doch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht können nicht nur aus dem Parlament heraus erhoben werden: Beispielsweise kann sich der Bundesrat über ein Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1
Nr. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht wenden, Verfassungsbeschwerden
nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG können von Einzelpersonen oder von juristischen
Personen, in Form von betroffenen Verbänden oder Initiativen, erhoben werden7. Sind diese Teil der Opposition? Oder stellen sie nur Unterstützer*innen
der Opposition dar und müssen daher in dieser Betrachtung nicht beachtet werden?
3
Vgl. Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden 2011, S. 215.
4
Vgl. Schüttemeyer, Suzanne S.: Opposition in: Nohlen, Dieter / Schultze, Rainer-Olaf [Hrsg.]:
Lexikon der Politikwissenschaft, Band 2 N-Z, 4. Auflage, München 2010, S. 685 sowie Stüwe,
Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, Baden-Baden 1997, S.
25.
5
Vgl. Schmid, Carlo: Die Opposition als Staatseinrichtung, abgedruckt in Schumann, HansGerd [Hrsg.]: Die Rolle der Opposition in der Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 1976, S.
53.
6
Schmid, Carlo: Die Opposition als Staatseinrichtung, S. 53, ähnlich auch Steffani, Winfried:
Opposition in: Röhrig, Hans-Helmut / Sontheimer, Kurt: Handbuch des deutschen Parlamentarismus, München 1970, S. 316 sowie Oberreuter, Heinrich: Einleitung in: Oberreuter, Heinrich
[Hrsg.]: Parlamentarische Opposition. Ein internationaler Vergleich, Hamburg 1975, S. 20.
7
Vgl. Morgenthaler, Gerd zu Art. 93 in: Epping, Volker / Hillgruber, Christian [Hrsg.]:
Beck’scher Online-Kommentar GG, Edition 25, München 2015, Art. 93 Rn. 55.
2
Grundsätzlich ist für den Erfolg der Opposition ein grundsätzlicher Grad an Organisation und Infrastruktur innerhalb der Gruppe notwendig8. Aus diesem
Grund ist es, zumindest für den Erfolg, wichtig, dass sich alle möglichen Teile
der Opposition kennen und absprechen.
Dabei geht Opposition, wie oben gezeigt, hauptsächlich von der parlamentarischen Minderheit aus. Allerdings können auch andere Akteur*innen an der Arbeit, die diese Minderheit verrichtet, teilhaben und sie unterstützen. Stüwe zählt
zur Opposition neben der parlamentarischen Minderheit auch Parteien und Landesregierungen sowie einzelne Abgeordnete des oppositionellen Lagers9. Nach
Steffani gehören zur „‘Vor- bzw. außerparlamentarische Opposition‘“10 auch
Interessengruppen und Parteien; sowohl solche, die nicht im Parlament vertreten
sind, als auch Parteien, deren Abgeordnete im Parlament in der Opposition
sind11. Aber auch Einzelpersonen müssen dazu gerechnet werden, vorausgesetzt,
sie stehen in engem Kontakt zur parlamentarischen Opposition.
All diese Gruppen und Einzelpersonen können auch Opposition betreiben, sei es
zu einzelnen Situationen oder generell, mittels eines Alternativprogramms12.
Aus diesem Grund müssen sie hier auch betrachtet werden, vorausgesetzt, diese
Akteur*innen und ihre Handlungen stehen in Verbindung mit der parlamentarischen Minderheit.
3. Welche Funktionen hat Opposition?
Um zu erörtern, inwieweit die aktuellen Mehrheitsverhältnisse die Arbeit der
Opposition einschränken, muss zunächst klargestellt sein, welche Aufgaben
Opposition eigentlich hat und was sie bezweckt.
Nach Dolf Sternberger sind die Hauptfunktionen von (parlamentarischer) Opposition „Kritik, Kontrolle und Entwurf einer Alternativ-Politik“13. Die Kontrollfunktion, eigentlich eine klassische Parlamentsfunktion14, wanderte durch den
8
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 60 sowie Schüttemeyer, Suzanne
S.: Opposition in: Lexikon der Politikwissenschaft, S. 685.
9
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition in: van Ooyen, Robert Chr. /
Möllers, Martin H. W. [Hrsg.]: Das Bundesverfassungsgericht im politischen System, Wiesbaden 2006, S. 216.
10
Steffani, Winfried: Opposition in: Handbuch des deutschen Parlamentarismus, S. 315.
11
Vgl. ebd.
12
Vgl. ebd.
13
Sternberger, Dolf: Lebende Verfassung. Studien über Koalition und Opposition, Meisenheim
am Glan 1956, S. 134, vgl. auch ebd. S. 145.
14
Vgl. z.B. von Beyme, Klaus: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Eine
Einführung, 11., vollständig überarbeitete Auflage, Wiesbaden 2010, S. 299, anderer Ansicht ist
3
„neuen Dualismus“ vom gesamten Parlament faktisch zur Opposition15: Durch
die Aufteilung des Parlaments in Regierungsmehrheit und parlamentarische
Minderheit schwindet das Interesse des gesamten Parlaments, Regierungshandeln zu kontrollieren. Das politische Interesse, die Regierung zu kontrollieren,
liegt damit allein bei der Opposition16. Auch erkennbar ist dies an der Tatsache,
dass bisher Klagen gegen Regierungshandeln vor dem Bundesverfassungsgericht nur von der Opposition erhoben wurden17.
Kritik und das Aufzeigen von politischen Alternativen lassen sich vor allem im
parlamentarischen Alltag, über die Mechanismen des Bundestags und über Öffentlichkeitsarbeit durchführen. Auch für die Kontrolle stehen parlamentarische
Mittel, wie zum Beispiel das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses oder
das Stellen von kleinen und großen Anfragen, zur Verfügung. Allerdings lässt
sich Kontrolle nur schwer mit dem Wunsch nach Einflussnahme durch die Opposition vereinbaren und birgt die Gefahr, dass potentielle Koalitionspartner*innen verprellt werden18. Wird die Kontrollfunktion dagegen über das
Bundesverfassungsgericht ausgeübt, hat die Opposition mehrere Vorteile: Einerseits kann sie sich auf die Neutralität des Bundesverfassungsgerichts berufen,
das, zumindest nach eigenem Selbstverständnis, allein nach dem Recht entscheidet19. Zudem kann hier eine von der Opposition beanstandete Norm verworfen werden; gesetzt dem Fall, sie ist tatsächlich verfassungswidrig. Bei der
Kontrolle handelt es sich also um eine gemeinsame Aufgabe von Opposition
und Verfassungsgerichtsbarkeit20, die, zusammen ausgeübt, effektiver sein kann.
Aus diesem Grund ist vor allem die Kontrollfunktion für die weitere Betrachtung entscheidend.
Nach Eschenburg kann die Kontrollfunktion in zwei Ebenen unterschieden werden: „politische Richtungskontrolle“, also eine Kontrolle der politischen Inhalte,
und „Leistungs- und Sachkontrolle“, die eben Leistungen von Regierung und
das BVerfG: „Das Grundgesetz hat den Bundestag als Gesetzgebungsorgan, nicht aber als umfassendes "Rechtsaufsichtsorgan" über die Bundesregierung eingesetzt“ in BVerfGE 68, 1-132,
Rn. 101.
15
Vgl. Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 210f.
16
Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht in: Breit, Gotthart
[Hrsg.]: Politische Bildung 3/2005: Recht und Politik, Schwalbach/Ts., S. 32 sowie Stüwe,
Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 216.
17
Vgl Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 232.
18
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 80.
19
Vgl. BVerfGE 2, 143-181, Rn. 127.
20
Vgl. Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 24.
4
Verwaltung oder Sachen kontrolliert21. Rudzio verzweigt diese zweite Ebene
noch in Effizienz- und Rechtskontrolle22.
Die politische Richtungskontrolle kann dabei allein am Maßstab der jeweiligen
Partei erfolgen, die Effizienzkontrolle dagegen fragt nach der Wahl der effektivsten Umsetzungsform und die Rechtmäßigkeit kann nur objektiv durch den
Abgleich mit Normen geprüft werden23. Auch dies kann, aus den gleichen
Gründen wie oben, im Zusammenspiel mit dem Bundesverfassungsgericht auf
besonders effektive Art erfolgen. Hat die Opposition verfassungsrechtliche Bedenken, spricht das Bundesverfassungsgericht gar von einer Pflicht der Opposition, diese beim ihm anzubringen24.
Um dies zu tun und um ihre Funktion aber erfolgreich erfüllen zu können, benötigt die Opposition Unterstützung: Um Entscheidungen zu verhindern oder sie
rückgängig zu machen ist sie angewiesen auf besondere Instrumente oder andere
Akteur*innen, wie eben z.B. auf das Bundesverfassungsgericht mit seiner Verwerfungskompetenz25. Zur effektiven Kontrolle ist also der institutionalisierte
und formal festgeschriebene Zugang zu diesen anderen Akteure*innen und Instrumenten für die Opposition essentiell26. Nur so kann sie „institutionalisierte[n] Widerspruch“27 erheben.
4. Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts
Dieser institutionalisierte Widerspruch kann insbesondere über das Bundesverfassungsgericht erhoben werden. Welche Rolle spielt dieses Gericht dabei?
Das Bundesverfassungsgericht hat, verglichen mit anderen Verfassungsgerichten, sehr weite Kompetenzen28. Es hat beispielsweise ein Verwerfungsmonopol,
darf also als einziges Gericht in der Bundesrepublik Normen für verfassungs-
21
Vgl. Eschenburg, Theodor: Staat und Gesellschaft in Deutschland, München 1963, S. 608f.
Vgl. Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 232.
23
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 61 sowie Rudzio, Wolfgang: Das
politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 232.
24
Vgl. BVerfGE 2, 143-181, Rn. 95.
25
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 226.
26
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 60, Schüttemeyer, Suzanne S.:
Opposition in: Lexikon der Politikwissenschaft, S. 685, Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 31 sowie Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim
Bundesverfassungsgericht, S. 32; im Besonderen zum Zugang zur Verfassungsgerichtsbarkeit:
Kelsen, Hans: Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit in Veröffentlichungen der
Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 5, Berlin und Leipzig 1929, S. 75.
27
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 60 sowie Schüttemeyer, Suzanne
S.: Opposition in: Lexikon der Politikwissenschaft, S. 685.
28
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 67.
22
5
widrig erklären. Auch die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle besteht
nicht an jedem Verfassungsgericht.
Mittlerweile werden zudem Vorwürfe laut, die Grenze zwischen (Verfassungs-)
Judikative und Legislative verschwämme29, das Bundesverfassungsgericht entwickele sich zur „Superlegislative“, die die Legislative auch ersetzen könnte30.
Insbesondere ist dabei die „positive Gesetzgebungskompetenz“31 des Bundesverfassungsgerichts gemeint. Diese wird angenommen, weil das Gericht in manchen Urteilsbegründungen Hinweise auf Möglichkeiten der verfassungskonformen Regelung des Sachverhalts gibt, die sehr genaue inhaltliche und zeitliche
Vorgaben machen.
Kann man das Bundesverfassungsgericht also als politisch und, eventuell sogar,
als politische Partnerin der Opposition begreifen? Das Bundesverfassungsgericht muss politische Fragen beantworten, es kann sich dem nicht entziehen und
wird dadurch unweigerlich politisch in seinen Urteilen32. Allerdings entscheidet
es Streitigkeiten über Prüfung an höherrangigen Normen33 und „allein nach dem
Recht“ 34; nicht nach politischem Gutdünken. Nur weil eine Entscheidung über
eine politische Streitfrage getroffen wird, bedeutet das also nicht, dass auch die
Entscheidungen politisch sind35. Eine politische Partnerin der Opposition kann
das Bundesverfassungsgericht also nicht sein.
Sehr bedeutsam für die politische Opposition ist allerdings das geordnete juristische Verfahren, dass das Bundesverfassungsgericht ihr zur Behandlung von
Streitfragen bietet: In diesem Verfahren herrscht Chancengleichheit zwischen
Regierung und Opposition, was im politischen Prozess nicht der Fall ist36; aufgrund der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse, der Redeanteile im Parlament, sowie der öffentlichen Aufmerksamkeit für beide Seiten.
29
Vgl. Schlaich, Klaus / Korioth, Stefan: Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfahren,
Entscheidungen, 9., neu bearbeitete Auflage, München 2012, Rn. 503 / S. 340.
30
Vgl. Sontheimer, Kurt / Bleek, Wilhelm / Gawrich, Andrea: Grundzüge des politischen Systems Deutschlands, völlig überarbeitete Neuausgabe, München 2007, S. 149.
31
Vgl. ebd. S. 151.
32
Vgl. ebd. S. 156.
33
Vgl. Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, München 1980,
§44 II 3b, S. 957.
34
BVerfGE 2, 143-181, Rn. 127.
35
Vgl. Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 957.
36
Vgl. Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 79.
6
5. Möglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht
Die Opposition hat mehrere Möglichkeiten, vor dem Bundesverfassungsgericht
in Erscheinung zu treten. Einige davon sind im (Grund-) Gesetz festgeschrieben,
bei anderen handelt es sich um nicht institutionalisierte Einflussmöglichkeiten.
5.1 Klagemöglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht
Obwohl die Opposition als Gruppierung nicht im Grundgesetz festgeschrieben
ist, ist es doch anerkannt, dass es ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht der
Minderheit gibt, vor dem Bundesverfassungsgericht Klagen einzureichen37. Im
Folgenden erläutere ich die verschiedenen Möglichkeiten zur Einreichung einer
Klage, einzelne Voraussetzungen dafür sowie die Bedeutung dieser Klagearten.
5.1.1 Bund-Länder-Streit
Im Bund-Länder-Streit entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 I
Nr. 3 GG Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes
und der Länder. Diese „Meinungsverschiedenheiten“ können unter anderem die
Nichtwahrnehmung von Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten in Organen der
EU durch die Bundesregierung, ein Handeln in privatrechtlicher Gestalt oder ein
Gesetz sein38. Antragssteller*in und Antragsgegner*in können nach §68 BVerfGG die Bundesregierung oder eine Landesregierung sein.
Der Großteil dieser Verfahren wird von Landesregierungen initiiert, die von der
Opposition besetzt sind39. Oft geschieht das allerdings, weil Landesrecht betroffen ist. Es gibt keinen Beleg dafür, dass eine Landesregierung ein Verfahren für
die zu kleine parlamentarische Opposition übernommen hat40. Im überwiegenden Teil der Fälle dient der Bund-Länder-Streit also nicht dem Austragen von
parteipolitischen Streitigkeiten41.
5.1.2 Verfassungsbeschwerde
Verfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG können von Einzelpersonen oder von juristischen Personen, in Form von betroffenen Verbänden oder
37
Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 32, sowie Stüwe,
Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 216.
38
Vgl. Morgenthaler, Gerd in Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 93 Rn. 41.
39
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 221.
40
Vgl. ebd. S. 221f.
41
Vgl. ebd. S. 223.
7
Initiativen42, erhoben werden. Für die parlamentarische Opposition als Gruppierung im Bundestag kommt diese Verfahrensart also nicht in Betracht. Für sie
besteht aber die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerden zu unterstützen und sich
so politisch einzubringen43.
Allerdings muss für das Einlegen einer Verfassungsbeschwerde nach §90 II 1
BVerfGG der Rechtsweg erschöpft sein. Aus diesem Grund dauert es in den
meisten Fällen sehr lange, bis eine Verfassungsbeschwerde eingelegt werden
kann. Sie stellt daher kein verlässliches, schnell wirksames politisches Mittel
dar44; auch weil eine Entscheidung aus diesem Grund meist in eine Zeit fällt, in
der der große politische Druck bereits vorüber ist45.
Auch über eine Verfassungsbeschwerde können Normen überprüft werden:
entweder direkt oder indirekt über Beschwerden gegen Gerichtsurteile46.
5.1.3 Organstreitverfahren
Das Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1 GG ist schon qua Verfassung ein
kontradiktorisches Verfahren. Es stehen sich Antragssteller*in und Antragsgegner*in gegenüber. Nach §63 BVerfGG können das Bundespräsident*in, Bundestag, Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder der Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten
ausgestatteten Teile dieser Organe sein. Zu diesen Organen zählen einzelne Abgeordnete, Fraktionen (in Prozessstandschaft für den gesamten Bundestag) und
politische Parteien47.
Über ein Organstreitverfahren kann jedes Handeln oder Unterlassen des*r Antragsgegner*in überprüft werden, und damit auch eine Norm48. Voraussetzung
ist aber, dass durch diese Norm spezifische, im Grundgesetz festgeschriebene,
Rechte oder Pflichten des*r Antragssteller*in verletzt sein könnten49. Das
schränkt den Kreis der überprüfbaren Normen erheblich ein.
Vgl. Morgenthaler, Gerd in Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 93 Rn. 55.
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 224.
44
Vgl. ebd.
45
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 63.
46
Vgl. von Beyme, Klaus: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 419.
47
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 218.
48
Vgl. Morgenthaler, Gerd in Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 93 Rn. 24.
49
Vgl. ebd. Art. 93 Rn. 23.
42
43
8
Fast alle Organstreitverfahren wurden bisher durch die Opposition beantragt50,
aus diesem Grund wird es auch als „ausgesprochen oppositionelles Instrument“51 bezeichnet.
5.1.4 Abstrakte Normenkontrolle
Bei der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG gibt es dagegen
keine*n Klagegegner*in, sondern hier ist ein Gesetz der Antragsgegenstand.
Berücksichtigt man aber, dass Gesetze von der Regierung bzw. von der Regierungsmehrheit beschlossen werden, richtet sich auch eine Normenkontrolle im
Ergebnis gegen die Regierung52, das Verfahren wird dadurch „praktisch streitähnlich (i. O. fett gedruckt; Die Verf.)“53. Antragsberechtigt sind nach §76 I
BVerfGG die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestags. Auch hier gibt es keinen Beweis dafür, dass eine Landesregierung bisher ein Verfahren für die parlamentarische Opposition geführt
hat, weil diese nicht antragsberechtigt war54. Die politisch bedeutsamsten Klagen wurden durch die Opposition eingebracht, auch wenn diese insgesamt nur
wenige Anträge einbringt55.
Eigentlich dreht sich die abstrakte Normenkontrolle allein um die „Wahrung des
höherrangigen objektiven Rechts, nicht um irgendwelche subjektive Rechtspositionen“56. Sie birgt aber die Möglichkeit in sich, ein Gesetz, auch ein Zustimmungsgesetz zu völkerrechtlichen Verträgen57, verwerfen zu lassen und verleiht
damit dem*der Antragssteller*in relativ große Macht. Sie ist damit „vor allem
ein Instrument des Schutzes der Minderheiten und der Opposition“58.
5.2 Nicht-institutionalisierte Möglichkeiten
Neben den institutionalisierten Klagemöglichkeiten stehen der Opposition aber
auch andere Wege offen, ihre Ziele in Zusammenarbeit mit dem Bundesverfassungsgericht durchzusetzen.
50
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 217 sowie Stern, Klaus zu
Art. 93 in: Kahl, Wolfgang / Waldhoff, Christian / Walter, Christian [Hrsg]: Bonner Kommentar
zum Grundgesetz, 44. Lieferung (Zweitbearbeitung Art. 93 / März 1982), Heidelberg 1991, Art.
93 Rn. 76.
51
Stern, Klaus in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 93 Rn. 76.
52
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 219.
53
Stern, Klaus in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 93 Rn. 206.
54
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 221f.
55
Vgl. ebd. S. 220.
56
Stern, Klaus in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 93 Rn. 202.
57
wie in BVerfGE 36, 1 zum Grundlagenvertrag.
58
von Beyme, Klaus: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 415.
9
5.2.1 Kontrolle im Vorhinein
Eine Möglichkeit ist die Ausübung von Kontrolle im Vorhinein durch die bloße
Androhung einer Klageerhebung59: Eine solche Drohung kann schon „verfassungswidrige Interessensverletzungen“60 durch die Mehrheit verhindern. Die
Interessen der Opposition können durch so eine Vorab-Kontrolle schon im Vorhinein bedacht werden61, aus diesem Grund hält Beyme die antizipatorische
Wirkung für wichtiger als die ex post facto Kontrolle im Nachhinein 62. Allerdings besteht die Gefahr, dass dadurch die Politik gelähmt wird, weil sie eine
verfassungsrechtliche Kontrolle umgehen will63.
5.2.2 Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen
Die Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen ist zwar institutionalisiert, allerdings besteht auch hier informell die Möglichkeit der Einflussnahme durch die
Opposition64.
Die Bundesverfassungsrichter*innen werden jeweils zur Hälfte vom Bundesrat
und vom Wahlausschuss des Bundestags mit einer 2/3-Mehrheit gewählt (Art.
94 I 2 GG, §6 BVerfGG). Die Anforderung einer 2/3-Mehrheit führt dazu, dass
sich die beiden großen Parteien, CDU/CSU und SPD, die Richter*innensitze
untereinander aufteilen65: Der*die Kandidat*in der „Gegenseite“ wird unter der
Auflage gewählt, dass auch der*die eigene Kandidat*in 2/3 der Stimmen bekommt.
Wie schon oben angesprochen, entscheidet das Bundesverfassungsgericht auch
über politische Streitfragen66. Daher ist es für die Parteien wichtig, das Gericht
mit Richter*innen zu besetzen, die zumindest eine ähnliche politische Anschauung haben wie sie selbst.
59
Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 34.
Kelsen, Hans: Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, S. 81.
61
Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 35, sowie Stüwe,
Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 224f.
62
Vgl. von Beyme, Klaus: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 413.
63
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 225.
64
Vgl. Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 132.
65
Vgl. Landfried, Christine: Die Wahl der Bundesverfassungsrichter und ihre Folgen für die
Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: van Ooyen, Robert Chr. / Möllers, Martin H. W.
[Hrsg.]: Das Bundesverfassungsgericht im politischen System, Wiesbaden 2006, S. 234.
66
Vgl. Sontheimer, Kurt / Bleek, Wilhelm / Gawrich, Andrea: Grundzüge des politischen Systems Deutschlands, S.156.
60
10
Haben CDU/CSU und SPD zusammen keine 2/3-Mehrheit, kann die Opposition
auf die Wahl Einfluss nehmen. Es kann zum Beispiel sein, dass der kleineren
Koalitionspartei in der Regierung ein Richter*innenposten überlassen wird67.
6. Möglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht
unter den Mehrheiten des 18. Bundestags
Welche dieser Möglichkeiten sind unter den aktuellen Mehrheitsverhältnissen
noch umsetzbar? „Das Grundgesetz legt keine Mindestgröße für Opposition
fest“68. Aktuell haben die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen 127
von 631 Sitzen des Deutschen Bundestages inne69. Damit besitzen sie für viele
parlamentarische Verfahren, wie das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses, nicht mehr die erforderlichen Mehrheiten. Aus diesem Grund wurde zwar
die Geschäftsordnung des Bundestags geändert70, dem Versuch der Fraktion Die
Linke, das Grundgesetz zu ändern, wurde allerdings nicht stattgegeben71. Da bei
der abstrakten Normenkontrolle damit immer noch erst ¼ der Mitglieder des
Bundestags antragsberechtigt sind, steht der Opposition dieser Klageweg nicht
mehr offen; Organstreitverfahren, Verfassungsbeschwerde und Bund-LänderStreit sind dagegen auch weiterhin möglich.
Auch auf das Wahlverfahren der Richter*innen am Bundesverfassungsgericht
kann die Opposition keinen Einfluss nehmen: CDU/CSU und SPD sind, zumindest im Bundestag, nicht auf die Stimmen der kleineren Parteien angewiesen um
eine 2/3-Mehrheit zu erreichen. Zwar sind sie im Bundesrat auf die Stimmen
von Landesregierungen mit Beteiligung anderer Parteien angewiesen, allerdings
sind diese zahlenmäßig zu klein, um Druck auszuüben.
67
Vgl. Landfried, Christine: Die Wahl der Bundesverfassungsrichter und ihre Folgen für die
Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 234.
68
Korte, Karl-Rudolf: Über das Politikmanagement einer modernen Opposition, APuZ 38-39
2014, S. 12.
69
Vgl. Deutscher Bundestag, vertreten durch Prof. Dr. Norbert Lammert,
http://www.bundestag.de/bundestag/plenum/sitzverteilung_18wp [abgerufen am 11.08.15, Stand
Oktober 2013].
70
Vgl. Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache18/481 vom 11.02.2014:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/004/1800481.pdf [abgerufen am 14.08.2015], dazu auch:
Stoltenberg, Helmut: „Auch ohne Mehrheit“, Das Parlament Nr. 15, 2014, nachlesbar z.B. auf
https://www.das-parlament.de/2014/15/Innenpolitik/50502012/327012
[abgerufen
am
14.08.2015].
71
Vgl. Stoltenberg, Helmut: „Auch ohne Mehrheit“.
11
6.1 Bedeutung der Einschränkung dieser Möglichkeiten
Was bedeutet nun die Einschränkung dieser Möglichkeiten für die Opposition,
vor allem hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Funktionen?
An den Möglichkeiten, eine Alternativ-Politik anzuzeigen oder die Regierung zu
kritisieren, hat sich nichts geändert. Allein die Ausübung der Kontrollfunktion
könnte erschwert worden sein. Diese Kontrollfunktion besteht, wie erwähnt, aus
der politischen Richtungskontrolle, der Effizienz- und der Rechtskontrolle72. Die
politische Richtungskontrolle wird nicht beeinträchtigt, sie kann weiterhin über
Öffentlichkeitsarbeit und parlamentarische Befugnisse ausgeübt werden. Vergleichbar ist dies auch bei der Effizienzkontrolle der Fall. Allein die Rechtskontrolle könnte verstärkt eingeschränkt worden sein.
Die weggefallene abstrakte Normenkontrolle wird als „die wirksamste rechtliche Kontrollmöglichkeit gegenüber der Regierungsmehrheit“73 bezeichnet. Mit
diesem Mittel kann sich die Opposition, wie oben erläutert, in einem prinzipiell
nicht kontradiktorischen Verfahren an das Bundesverfassungsgericht mit der
Bitte nach objektiver verfassungsrechtlicher Kontrolle einer Norm wenden.
Normen können prinzipiell immer noch über Bund-Länder-Streitigkeiten, Verfassungsbeschwerden oder Organstreitverfahren überprüft werden, allerdings
steht hier nur das Organstreitverfahren der parlamentarischen Opposition ohne
den Umweg über andere Akteur*innen offen. Dazu kommt, dass dieser Klageweg nur eröffnet ist, wenn, wie oben erwähnt, die Norm den*die Antragssteller*in spezifisch in ihren im Grundgesetz verliehenen Rechte oder Pflichten
verletzen könnte74. Damit fehlt der Opposition eine Möglichkeit, jede Norm auf
ihre Übereinstimmung mit der Verfassung überprüfen lassen zu können.
Bereits als diese Situation noch nicht eingetreten war, sah Stüwe durch einen
erschwerten Zugang zur abstrakten Normenkontrolle die Gefahr „einer weiteren
Schwächung der Kontrollfähigkeit der parlamentarischen Minderheit“75; Rasehorn befürchtete bei der Aufhebung der abstrakten Normenkontrolle dass „das
72
Vgl. Eschenburg, Theodor: Staat und Gesellschaft in Deutschland, S. 608f sowie Rudzio,
Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 232.
73
Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 227.
74
Vgl. Morgenthaler, Gerd in Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 93 Rn. 23.
75
Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 227.
12
Verhältnis zwischen Regierung und Opposition kaum erträglich neurotisiert und
hysterisiert“76 würde.
Problematisch ist dabei auch, dass die Kontrolle im Vorhinein wegfällt: Eine
Klageandrohung kann nur als Drohung wirken, wenn tatsächlich die Möglichkeit zu klagen besteht. Im Fall der abstrakten Normenkontrolle steht der Opposition diese Möglichkeit allerdings nur noch über den Umweg der Übernahme des
Verfahrens durch eine Landesregierung offen. Im Bundesrat ist die schwarz-rote
Koalition bei Abstimmungen zwar auch auf Stimmen von Landesregierungen
mit Beteiligung von Grünen, Linken oder FDP angewiesen77, allerdings kann
daraus nicht geschlossen werden, dass der Bundesrat insgesamt eine solche Klage der Opposition übernimmt. Aus dem Streben nach Konsens kann nicht gefolgert werden, dass der Bundesrat für die Opposition aktiv wird, wie es für das
Einbringen einer Klage nötig wäre. Auch für die Übernahme einer Klage durch
Landesregierungen gibt es, wie schon mehrfach erwähnt, keine Belege in der
Vergangenheit78. Wenn eine oppositionelle Landesregierung ein Verfahren
übernimmt, dann weil auch speziell Landesinteressen betroffen sind79. Voraussetzung dafür ist aber stets, dass die Opposition die komplette Regierung stellt
und nicht nur Juniorpartner*in ist80.
6.2 Unerheblichkeit der Einschränkung dieser Möglichkeiten?
Doch muss Opposition überhaupt Klage erheben können? Oder ist es nicht sogar
problematisch, dass die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht relativ
große Macht hat, ohne diese Macht von den Wähler*innen, in Form einer Mehrheit bei Wahlen, bekommen zu haben81?
Auch wenn die Opposition keine Mehrheit hat und damit nicht demokratisch
legitimiert ist, so besteht doch eine rechtsstaatliche Legitimation der Kontrolle82:
Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Opposition angewiesen, um Handeln
76
Rasehorn, Theo: Aus einer kleinen Residenz. Zum Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts in Däubler, Wolfgang / Küsel, Gudrun [Hrsg.]: Verfassungsgericht und Politik, Reinbek
bei Hamburg 1979, S. 167.
77
Vgl. Korte, Karl-Rudolf: Über das Politikmanagement einer modernen Opposition, S. 11.
78
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 221f.
79
Vgl. ebd. S. 221.
80
Vgl. ebd.
81
Angesprochen z.B. bei Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S.
33f. sowie bei Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 227.
82
Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 227.
13
der Regierung und beschlossene Normen überprüfen zu können83, denn es ist
antragsgebunden: Gibt es kein*e Kläger*in, gibt es auch kein*e Richter*in und
keinen Urteilsspruch. Für eine wirksame verfassungsrechtliche Kontrolle ist es
daher essentiell, dass die Opposition Zugang zum Bundesverfassungsgericht hat,
da sie allein das politische Interesse daran hat, die Regierung zu kontrollieren84.
Das bedeutet also, dass die „normative Kraft der Verfassung gestärkt wird“85,
selbst wenn die Verfassungsgerichtbarkeit für den politischen Kampf der Opposition genutzt wird.
Doch die Einschränkung der Klagemöglichkeiten der Opposition könnten noch
aus einem anderen Grund unerheblich sein: Empirisch gesehen sind Klagen der
Opposition nicht oft erfolgreich86. Anträge durch parlamentarische Minderheiten
fallen eher negativ für diese aus, durch Landesregierungen angestrebte Klagen
haben eine knapp positive Erfolgsbilanz87. Doch aus fehlendem Erfolg in der
Vergangenheit kann nicht darauf geschlossen werden, dass auch in der Zukunft
Klagen der Opposition keinen Erfolg haben werden. Eine „eher negative“ Erfolgsbilanz bedeutet auch, dass zumindest einige Klagen erfolgreich waren, in
denen sich die Regierung verfassungswidrig verhalten hat, bzw. in denen Normen verfassungswidrig waren. Hinzu kommt, dass in der Vergangenheit die
Klagen der Opposition, die erfolgreich waren, eine umso größere politische
Strahlkraft hatten88.
Außerdem wird angeführt, dass Kontrollmaßnahmen der Opposition nur dann
angebracht sind und steigen müssten, wenn die Regierung aufgrund ihrer großen
Mehrheit übermütig wird und fehlerhaft und vorschnell agiert89. Auch dieses
Argument spricht aber nicht dagegen, dass es prinzipiell Kontrollmöglichkeiten
durch die Opposition geben muss.
7. Fazit
Astrid Lorenz hatte in ihrem Beitrag bereits beschrieben, dass die Kontrollmöglichkeiten der*s Bundespräsident*in, des Bundesverfassungsgerichts und der
Opposition nicht auf den Fall einer Großen Koalition ausgelegt sind und dann
83
Vgl. Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 77
Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 32.
85
Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 226.
86
Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 33.
87
Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 226.
88
Vgl. ebd.
89
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 63.
84
14
nur eingeschränkt funktionieren90. Sie stellte sich die Frage, ob deren Instrumente einen Schutz vor der 2/3-Mehrheit der Großen Koalition bieten könnten, und
beantwortete dies mit einem „Ja mit Zweifeln“91. Betrachtet man allerdings allein das Zusammenspiel von Opposition und Bundesverfassungsgericht, sind
diese Zweifel erheblich größer:
Tatsächlich fällt durch die neuen Mehrheitsverhältnisse allein die Möglichkeit
der Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle weg. Alle anderen Verfahren
stehen der parlamentarischen Opposition weiterhin offen. Auch die abstrakte
Normenkontrolle könnte theoretisch über einen Umweg über weitere unterstützende Akteur*innen, wie eine Landesregierung, weiterhin erhoben werden. Dies
geschieht in der Praxis aber nicht, zumindest war es in der Vergangenheit nicht
der Fall. Damit fehlt der Opposition die Möglichkeit, jede Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin prüfen lassen zu können. Damit verbunden ist auch, dass
kein Druckmittel gegen die Regierung mehr besteht: Die Opposition kann die
Regierung nicht durch die Androhung einer Klage zum verfassungskonformen
Verhalten im Vorhinein bewegen.
Damit wird die Kontrollfunktion, insbesondere die Rechtskontrolle, der Opposition stark eingeschränkt. Selbst wenn der Opposition andere Möglichkeiten der
Kontrolle bleiben, wie beispielsweise das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses, so fällt doch die Möglichkeit weg, Normen vom Bundesverfassungsgericht kontrollieren und im Ernstfall aufheben zu lassen. Die Große Koalition
kann sich also darauf verlassen, dass von ihr beschlossene Normen nicht auf ihre
Verfassungsmäßigkeit hin überprüft werden. Da die Opposition keinen Zugang
zur abstrakten Normenkontrolle hat, hat damit auch das Bundesverfassungsgericht, mangels einer*s potentiellen Kläger*in, nicht die Möglichkeit, über diese
Normen zu urteilen.
Dies bedeutet einen starken Einschnitt für die Möglichkeiten der Opposition,
ihre Arbeit vor dem Bundesverfassungsgericht wird also stark beschränkt. Ändern würde dies nur eine Öffnung der Antragsberechtigung für die Opposition
und damit eine Änderung des Grundgesetzes, was jedoch politisch nicht gewollt
ist92.
90
Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 81.
Vgl. ebd.
92
Schließlich wurde ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes
abgelehnt, Vgl. Stoltenberg, Helmut: „Auch ohne Mehrheit“.
91
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Zudem benutzt:
Janisch, Wolfgang: „Opposition in Roten Roben”, SZ vom 24.10.2013.
Rossman, Robert: „Schluss mit Ausreden”, SZ vom 03.04.2014.
Stoltenberg, Helmut: „Auch ohne Mehrheit“, Das Parlament Nr. 15, 2014,
https://www.das-parlament.de/2014/15/Innenpolitik/50502012/327012 [abgerufen am 14.08.2015]
Deutscher
Bundestag,
vertreten
durch
Prof.
Dr.
Norbert
Lammert,
http://www.bundestag.de/bundestag/plenum/sitzverteilung_18wp [abgerufen am
11.08.2015, Stand Oktober 2013].
Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache18/481 vom 11.02.2014:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/004/1800481.pdf
[abgerufen
am
14.08.2015].
BVerfGE 2, 143-181.
BVerfGE 36, 1.
BVerfGE 68, 1-132.
Grundgesetz, Bundesverfassungsgerichtsgesetz.
18
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