Florian Ponholzer Geschichte und Sozialkunde 2010/2011 Die Industriegesellschaft entsteht Rückblick: Die vorindustrielle Gesellschaft war seit dem Mittelalter in streng voneinander getrennte Stände gegliedert: - Geistlichkeit Adel Bürgertum Bauern In Adel, Bürgertum und Bauernstand wurde man hineingeboren (Geburtsstände). Jeder der Stände lebte in einem anderen Recht. Ein Aufstieg war nur selten möglich, vor allem im Bereich der Geistlichkeit. Die französische Revolution und die Bauernbefreiung erschütterten das ständische System. Durch die industrielle Revolution kam es schließlich zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der sozialen Verhältnisse. Innerhalb des Bürgertums entstand die neue Kategorie der Unternehmer, die als treibende Kraft der Industrialisierung auftraten. Ihnen stand die Masse der lohnabhängigen Industriearbeiter gegenüber. 1. Die Unternehmer Die Unternehmer stammten meist aus dem besitzenden Bürgertum (die Bourgeoisie). Der Unternehmer war der Eigentümer des Betriebs, der Maschinen und der Rohstoffe. Deren Ziel war es die erzeugten Waren mit möglichst großem Gewinn zu verkaufen. Diese Gewinne wurden vor allem auf Kosten der Arbeitskräfte erzielt. Die Unternehmer waren bestrebt, dass die Arbeitsvorgänge möglichst rationell abliefen. Je mehr Arbeitskräfte in einem Unternehmen notwendig waren, desto stärker hing der wirtschaftliche Erfolg von der wirksamen Kontrolle ab. Häufig griffen die Unternehmer zu harten Maßnahmen um Gehorsam zu erzwingen und die Arbeiter an den beständigen, von den Maschinen vorgegebenen, Arbeitsrhythmus zu gewöhnen. Beispiele von Strafen: - Körperliche Züchtigung Geldstrafen Entlassung Die reich gewordenen Unternehmer orientierten sich in ihrem Denk- und Lebensstil am Hochadel. Der Wunschtraum vieler Großindustrieller war die Erhebung in den Adelsstand. Florian Ponholzer Geschichte und Sozialkunde 2010/2011 2. Die Arbeiter waren meist ehemalige Heimarbeiter, die durch die Konkurrenz der Maschinen arbeitslos geworden waren. Sie waren, wie viele Arbeitskräfte, aus der Landwirtschaft in die Industriegebiete gewandert. Die Industriearbeiter hatten keinen Besitz und verfügten nur ober ihre Arbeitskraft, die sie verkauften. Sie bildeten das rechtlose, lohnabhängige Proletariat (nach der Klasse der ärmsten Bürger in Rom) bzw. den vierten Stand. (Geistl., Adel, Bürgertum, Arbeiter/Bauern). Als sozial schwache Schicht wurden sie von den Unternehmern ausgebeutet. Trotz härtester Arbeit, meist aller Familienmitglieder, auch Mutter und Kinder, kam eine Arbeiterfamilie nie aus den dürftigsten Verhältnissen raus. Die Wohnverhältnisse waren katastrophal. Oft reichte das gesamte Familieneinkommen nicht einmal für ausreichende Nahrung. Generationen von Industriearbeitern lebten in Not und Armut. Ihre Lage zu verbessern – die soziale Frage – wurde zum drängenden Problem der Industrienationen. Die Existenzunsicherheit und die Verelendung weckten unter den Arbeitern das Gefühl der Solidarität. Ein Zusammenschluss der Arbeiter oder gar Streiks blieben lange Zeit gesetzlich verboten. Lösungsansätze für die soziale Frage: Bemühungen um die elende Situation der Arbeitermassen im 19. Jhdt. zu verbessern kamen von verschiedenen Seiten. Karl Marx und Friedrich Engels: Der Sammelbegriff für ihre Lehren hieß „Marxismus“. Karl Marx wurde 1818 in Trier geboren. Er studierte Philosophie und war journalistisch tätig. Deshalb wurde Marx ausgewiesen. Er ging nach Paris ins Exil, später nach Brüssel und London. Ab 1844 war Marx eng befreundet mit Friedrich Engels mit dem er zusammen arbeitete. Marx Hauptwerk: Das Kapital (3 Bände) ab 1867 ff. Karl Marx starb 1883 in London Friedrich Engels war der Sohn eines deutschen Textilfabrikanten. Sein Vater schickte ihn nach England, damit Friedrich Engels die kaufmännische Ausbildung abschließt. Friedrich Engels sah sich mit dem Elend des englischen Proletariats konfrontiert und schrieb das Buch: „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ 1847 verfassten die beiden im Auftrag des Londoner Bundes der Kommunisten das kommunistische Manifest (= Grundsatzprogramm). Es enthält den berühmten Aufruf: „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ Darin sagen Marx und Engels die Revolution der Arbeiterschaft voraus. LEHREN: Aufgrund der engen Zusammenarbeit der beiden fällt es schwer den Anteil am gemeinsamen Werk zu trennen. Marx und Engels begründeten den wissenschaftlichen Sozialismus. Florian Ponholzer Geschichte und Sozialkunde 2010/2011 Der Sozialismus (von lat. Socius = Genosse, Verbündeter) Darunter versteht man eine antikapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Sie strebt eine gerechte Verteilung der Güter an alle Mitglieder der Gemeinschaft an und den staatlichen Besitz der Produktionsmittel (Rohstoffe, Maschinen, Fabrik, Transportmittel,….). Im 19. Jhdt. war der Begriff Sozialismus gleichbedeutend mit Kommunismus. Aus dem Studium der Geschichte und aus der Analyse der sozialen Frage anhand konkreter Beispiele zogen Marx und Engels ihre Schlussfolgerungen. Diese wissenschaftliche Vorgangsweise führte die beiden zur Überzeugung, dass ihre Theorien exakt seien. Der historische Materialismus Marx war überzeugt: - Der materielle Unterbau des Menschen = ökonomische und soziale Verhältnisse bestimmt den ideologischen Überbau (Kunst, Recht, Staat, Moral, Religion, Wissenschaft,…) Materie (Wirtschaft) --------------------------- Bewusstsein Theorie: Nach Marx vollzieht sich der Ablauf der Geschichte nach exakten Gesetzen. Dieses Fortschreiten erfolgt nicht gleichmäßig, sondern sprunghaft (dialektisch) und ist bestimmt durch den wirtschaftlichen Gegensatz zwischen gesellschaftlichen Gruppen (=Klassen). In der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft des 19. Jhdt. ist dies der Gegensatz zwischen Proletariern und Bourgeoisie. Die Geschichte zeigt: Die besitzende Klasse hält am jeweiligen Zustand fest und die ausgebeutete Klasse sucht ihn zu verändern. Die Spannungen führen zu Klassenkämpfen und zu Revolutionen, die eine qualitativ höherwertige geschichtliche Periode zur Folge haben. Für Marx spannt sich die Geschichte vom Urkommunismus bis zum klassenlosen Endkommunismus. Für den Kapitalismus zeigte Marx die folgenden Strukturgesetze auf nach denen sich diese Wirtschaftsordnung entwickeln würde. a) Den Arbeitern geht es wirtschaftlich schlecht, weil sie von den Unternehmern weniger bezahlt bekommen, als die Arbeit wert wäre. (Mehrwert) (=Profit) b) Akkumulationstheorie (Akkumulation = Ansammlung) Der Mehrwert sammelt sich bei den Unternehmern, die ihre wirtschaftliche Macht vergrößern und den technischen Fortschritt voran treiben. Dies führt zu weiteren Entlassung von Arbeitern und ihrer Verelendung. c) Kapitalkonzentration: Klein- und Mittelbetriebe unterliegen im Konkurrenzkampf den Großbetrieben; die Zahl der Unternehmer wird kleiner. Die wirtschaftliche Macht konzentriert sich, die Zahl der klassenbewusst werdenden Proletarier wächst. d) Es kommt zu Überproduktionskrisen im Kapitalismus, weil die Unternehmer ihre Profite steigern wollen, aber die Kaufkraft ist wegen der Verelendung nur gering. e) Diese inneren Widersprüche des kapitalistischen Systems führen laut Marx schließlich zur sozialistischen Revolution: es folgt die Erhebung, Machtergreifung und Diktatur des Proletariats. Die Unternehmer werden enteignet. Dies hebt die Klassengegensätze auf. Im Endzustand des Kommunismus herrschen Gerechtigkeit, Freiheit und Humanität. Es gibt die klassenlose Gesellschaft. In ihr leistet jeder nach seinen Fähigkeiten seine Arbeit und jeder erhält vom Arbeitsertrag, das was er zum Leben benötigt. Florian Ponholzer Geschichte und Sozialkunde 2010/2011 Bedeutung des Marxismus: 1) Der Marxismus wollte nicht nur Wissenschaft sein, sondern auch Anleitung zum Kampf für eine bessere Gesellschaftsordnung. Die Arbeiter entwickelten allmählich tatsächlich zu einer selbstbewussten kämpferischen Klasse. 2) Durch den Glauben an eine paradiesische Zukunft auf Erden wurde der Marxismus häufig zu einer Ersatzreligion für die Arbeiter; viele Arbeiter entzogen sich daher immer mehr dem Einfluss der Kirche. 3) Linksgerichtete Parteien, die im Laufe der Zeit entstanden nahmen die Ansichten von Marx, Engels auf. Die sozialistische Arbeiterbewegung Die Arbeiter erkannten, dass nur der Zusammenschluss und das gemeinsame Vorgehen etwas bewirken und sie gründeten: - Parteien Gewerkschaften Genossenschaften Konsumvereine Arbeiterparteien Nach 1870 entwickelten sich, in fast allen europäischen Staaten, Arbeiterparteien (vorher streng untersagt). 1875 entstand die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, die Vorbild für alle zukünftigen AP wurde. Ferdinand Lassalle, August Bebel, Wilhelm Liebknecht ideologische Basis: Marxismus, bekannten sich zum Klassenkampf In Österreich: Dort gelang es Viktor Adler 1888 die Spaltung zw. radikalen und gemäßigten Arbeitern durch einen Kompromiss zu überschreiten. Es entwickelte sich der Austro- Marxismus. Die AP forderten die Ausdehnung des Wahlrechts auf die ärmsten Schichten: Allgemeines und gleiches Männerwahlrecht (1907) weitere wichtige Forderung: 8-Stunden-Tag Massenkundgebungen der Arbeiter in vielen Ländern am 1. Mai 1890 sollte Nachdruck verleihen -> heute noch Maifeiern Der 8-Stunden-Tag wurde erst nach dem 1. Weltkrieg verwirklicht. Nach dem 1. Weltkrieg kam es zur Spaltung der Arbeiterparteien in kommunistische und in sozialdemokratische (sozialistische) Parteien -> die Kommunisten halten an allen Theorien von Karl Marx fest; sie streben die gewaltsame Weltrevolution des Proletariats an, um die klassenlose Gesellschaft zu erreichen. Sie lehnen die Religion ab, weil sie dem menschlichen Leid einen Sinn gibt und damit die Bereitschaft der Arbeiter zum Klassenkampf schwächt. Florian Ponholzer Geschichte und Sozialkunde 2010/2011 Der demokratische Sozialismus verzichtet auf die Weltrevolution. Die Sozialisten versuchen durch Wahlsiege die Macht im Staat zu erreichen. Durch Gesetze zum Schutz der Arbeiter soll die Lage der Arbeiter schrittweise verbessert werden (=soziale Gesetzgebung). -> heute in Österreich SPÖ (Vorsitzender: Werner Faymann). Konsumvereine/Genossenschaften: Um die Kosten für Lebensmittel zu verringern schlossen sich Arbeiter zur Selbsthilfe in Vereinen zusammen. Durch den gemeinsamen Einkauf schalteten die Mitglieder den Zwischenhandel aus, der die Lebensmittel verteuerte und die Arbeiter wurden von den Läden der Unternehmer unabhängig. In Österreich entstanden zahlreiche Konsumläden. „Der Konsum Österreichs mit 800 Märkten und 17000 Arbeitern musste 1995 den Ausgleich anmelden.“ (17 Mrd. Schaden). Gewerkschaften: Gewerkschaften sind Organisationen der Arbeitnehmer zur Verbesserung der Arbeits- und Lohnbedingungen. Die Gewerkschaftsbewegung ging von England aus. Trade Unions strebten Kollektivverträge mit den Unternehmern an in denen Löhne Arbeitszeit und Arbeitsschutz festgesetzt sind. Ein wichtiges zur Durchsetzung der Forderungen der Gewerkschaften war der Streik => gemeinsame organisierte Arbeitsniederlegung. Es gab aber auch Streikbrecher (jemand der aber auch trotz Streiks in diesem Betrieb weiterarbeitet). Die Unternehmer reagierten häufig mit Aussperrungen (=Ausschließung von der Arbeit, Entlassungen). Die Gewerkschaften stießen bei den Unternehmern auf schroffe Ablehnung und wurden lange Zeit nicht als Vertreter der Arbeiter anerkannt. Österreich: In Österreich erhielten die Arbeiter erst 1870 das Koalitionsrecht (= Recht Vereine zu bilden). Erst ab dieser Zeit waren in Österreich Streiks als Mittel des Arbeitskampfes legal. - Nach 1945 ÖGB Der ÖGB besteht aus 14 verschiedenen Fachbereichsschaften GÖD -> Gewerkschaft öffentlicher Dienste In Österreich bevorzugt man statt Streiks eine friedliche Verhandlungsstrategie. Der ÖGB hat maßgeblichen Einfluss auf die österreichische Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die christlich-soziale Bewegung Die Amtskirche fand erst spät eine Antwort auf die soziale Frage aus dem Geist des Christentums. 1891 nahm Papst Leo XIII in seiner Enzyklika „Rerum Novarum“ zur Lage der Arbeiterschaft, Stellung. Daraufhin entstanden christlich-soziale Parteien. Der Egoismus der Unternehmer sollte aus christlicher Nächstenliebe überwunden werden. Die christlich-sozialen Parteien setzten sich besonders für die sozial bedrohten Schichten der Handwerker aber auch für die Arbeiter ein. Die christlich-sozialen Parteien sprachen vorallem das Kleinbürgertum, die Bauern und die Adeligen als Wählerschaft an. Die führende Persönlichkeit der christlich sozialen war um 1900 Dr. Karl Lueger. 1897-1910 war er Bürgermeister von Wien. Er Betrieb eine fortschrittliche Gemeinde-Politik (Errichtung von Schulen, Spitälern, Gas und Elektrizitätswerke, Elektrifizierung der Straßenbahn,...) Stadt Wien erlebte einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Lueger war allerdings antisemitisch eingestellt. Er nützte Florian Ponholzer Geschichte und Sozialkunde 2010/2011 die in der Bevölkerung vorhandene Abneigung gegen die Juden für seine politischen Ziele (Vorwurf sie seien kapitalistisch).