Rauh und Rissig Kleine Archäologie des (Stahl-) Betons im Kontext sozial-ethischer Architekturkonzepte Seminararbeit im Rahmen des Seminars Technikphilosophie der Medien im WS 2012/2013, bei Dr. Wolfgang Pircher und Mag. Marianne Kubaczek Vorgelegt von Milan Ammel Studiengang B.A. Philosophie, Matr.-Nr. 0748318, [email protected] „Ihre Bauten erinnern an mittelalterliche Burgen, an Kerker und Kasernen“ - Rauh und Rissig – Brutalismus. In: Der Spiegel. Ausgabe 47, Frankfurt am Main: 1967, S. 188 – Autor konnte nicht ermittelt werden „Der Architekt ist ein Vermittler zwischen dem Ego seines Bauherren und der Gesellschaft“ - Schregenberger, Thomas: Brutalism. In: As Found – Die Entdeckung des Gewöhnlichen. URL: http://sammlungen-archive.zhdk.ch/view/exhibitions/. Aufgerufen am 23.04.2013, 17:12h Inhalt 1. Vom Pantheon zum Wasserkraftwerk ............................................................................................3 1.1. Erste Mischung .............................................................................................................................3 1.2. Bauten und Diskurse .....................................................................................................................3 1.3. Try and Error ................................................................................................................................5 2. Nachkriegszeiten – Wohnungsnot und Städteplanung ............................................................ 6 2.1. Architekten als Tausendsassa: Architektur-Konzepte nach dem ersten Weltkrieg ......................6 2.2. Der CIAM .....................................................................................................................................8 2.3. Aufbau und Aufbruch: Architektur-Konzepte nach dem zweiten Weltkrieg ...............................9 3. New Brutalism, Group Ten und die Nachkriegsmoderne ......................................................10 3.1. Smithsons ....................................................................................................................................10 3.2. Team Ten und Brutalismus ........................................................................................................10 3.2.1. Secondary School in Hunstanton (1954) .........................................................................12 3.2.2. Robin Hood Gardens in London (1972) ..........................................................................13 3.3. Ende des Team Ten und des Brutalismus ...................................................................................13 3.4. Geborgenheit und Zeichenfunktion ............................................................................................14 4. Fazit ......................................................................................................................................15 5. Literaturverzeichnis ..............................................................................................................16 2 1. Vom Pantheon zum Wasserkraftwerk 1.1. Erste Mischung Die Geburtsstunde jener Idee, Sand, Kalk, Mörtel und Wasser zu mischen und daraus einen ästhetischen, ökonomischen, soziokulturellen und von Metaphern bespickten Material-Determinanten unserer Zeit zu entwickeln, liegt offenbar weit zurück. - Manche Forscher sprechen von über 10.000 Jahre altem Mörtel in türkischen Bauwerken. Etymologisch beginnt unser Exkurs jedoch vor ca. 2000 Jahren in der Römischen Republik, mit dem Opus caementitium (Lat. Werk, Bauwerk und Zuschlagstoff, Bruchstein) sowie jenem daraus errichteten und im zweiten Jahrhundert vor Christus fertiggestellten Pantheon mit seinen sechs Meter dicken Beton-Wänden, welche einen 43 Meter hohen zylindrischen Zentralbau bilden, der durch eine Kuppel und einem Oculus seinen repräsentativen und architektonischen Höhepunkt erreicht.1 „In the ancient Roman empire, concrete was the fundamental basis for the lives oft the populations in the big cities, and for the imperial infrastructure and commerce. Limestone and pozzolans for cement production and aggregates were abundantly available”2. Diese und weitere notwendige Materialien sollten jedoch noch zum Großteil bis zum 19. Jhd. in Bergen und Böden schlummern, bis industrielle Produktion, internationale Normen und Standards, Mischungsverhältnisse und Statiker-Formeln den Bau von riesigen Siedlungsblöcken ermöglichen. Ein kurzer Überblick der Entwicklung jener Normen sowie der Diskurse in einschlägigen Fachzeitschriften ermöglichen uns eine kleine Archäologie des Betons und seiner Symbiose mit Stahlstreben zu formulieren. 1.2. Bauten und Diskurse John Smeaton lässt sich dabei als Wegmarke ausmachen. Während seiner dreijährigen Unternehmung, ab 1756 an der Küste von Cornwall einen Leuchtturm zu errichten, bestand der größte Zeitaufwand im systematischen Experimentieren mit Materialien und Mischungsverhältnissen: „He obtained the strongest cement by burning an argillaceos limestone and the strongest mortar by mixing this cement with a pozzolan, which he obtained from Civitavecchia, to the north of Rome.“3 Sein Leuchtturm wurde 1876 abgetragen, nicht aufgrund von Mängeln am eigentlichen Turm, sondern Zersetzung des Fundaments, wurde in Plymouth wiedererrichtet und prangert dort weiterhin als Wahrzeichen. 1 Vgl. Idorn, Gunnar: Concrete Progress. London: Thomas Telford, 1997, S. 19 Ebd., S. 17 3 Ebd., S. 22 2 3 Smeaton verglich seine Mischung mit der Festigkeit des damals schon berühmten Zements aus Portland, welcher in London ausgiebig genutzt wurde. Das Produkt Portland-Zement sollte ab 1824 durch maritime Konstruktionen wie Häfen, Schiffe4 oder am Meer gelegene militärische Basen sein späteres Monopol erreichen. – Hundert Jahre später offenbaren Fachzeitschriften5 und Lehrbücher Portlandzement als unumgängliches Bindemittel, während Inserate6 von neuen Zementfabriken berichten, welche sich auf Portland berufen oder Innovationen bewerben, wie bspw. betonverkleidete Stahlstreben. Als ein weiterer Wegweiser drängt sich Joseph Monier auf unsere Bühne, welcher ab 1867 erste Patente zur Herstellung von Eisenbetonkübeln, Rohren und Zementplatten einreichte. Seine Konzepte lassen jedoch erkennen, dass er sich über die Möglichkeiten des Eisenbetons noch nicht vollständig bewusst war7 bzw. „die Geschichte des Eisenbetons ein deutlicher Beweis dafür [ist], daß der wissenschaftlichen Erkenntnis und Theorie häufig die empirische Praxis weit voraus eilt.“8 Währenddessen „schwärmte [Francois Coignet über] die Möglichkeiten der Theorie und der Anwendung des neuen Baustoffes; er sah mit ihm eine Revolution in der Kunst des Bauens aufkommen, die zur Beglückung der Bevölkerung beitrage.“9 Es sollte nur zehn Jahre dauern, bis Monier seine erste Stahlbetonbrücke der Welt über den Schlossgraben von Chazelet errichten würde, welche aufgrund ihrer Holzverschalung den Eindruck vermittelt, aus Holz gebaut zu sein. Wiederum zehn Jahre später reichte er Patent Nr. 175-513 ein, einem „System zur Herstellung fester oder tragbarer, hygienischer und wirtschaftlicher Häuser aus Zement und Eisen.“10 Zwölf Jahre später wurde durch Karl Hage der Deutsche Beton-Verein gegründet, aus welchem 1907 der Deutsche Ausschuss für Eisen-Beton hervorgehen sollte.11 Angeregt dadurch wurde 1901 die erste Fachzeitschrift namens „Beton und Eisen“ in Wien gegründet, welche wiederum drei Jahre später nach Berlin übersiedelte.12 Fritz von Emperger, Gründer der Zeitschrift, wurde besonders durch seinen Besuch der Weltausstellung 1900 in Paris beeinflusst und fasst im Selbstverlag „neuere Bauweisen und Bauwerke aus Beton und Eisen nach dem Stande“13 zusammen. Unter dem Motto „Bilanz eines Jahrhunderts“ hinterließ jene 4 Das erste Betonschiff wurde 1848 von Joseph-Louis Lambot konstruiert, welcher 1855 ein entsprechendes Patent einreichte. Sie gelten selbst heute noch als langlebig und werden vereinzelt noch konstruiert. Aufgrund des Mangels an Stahl wurden gegen Ende des zweiten Weltkriegs Schiffe aus Leichtbeton (überwiegend als Transporter) konstruiert. 5 Vgl. Saliger, Rudolf (Hrsg.): Der Betonbau, Heft 1. Wien: Compassverlag, 1913 6 Vgl. Ebd 7 Hager, Karl: Vorlesung über Theorie des Eisenbetons. Paderborn: Salzwasser, 2012. - Koenen hat die statischen Vorteile, die Übertragung der inneren Zugkräfte der Stahl-Beton-Kombination, erkannt und Verfahren zur Berechnung der Monierschen Zementplatten konzipiert. 8 Der Betonbau, Heft 2, S. ?? sowie Vgl. Vorlesung von Hage, S. 2 9 Stiglat, Klaus: Im 100. Jahrgang: „Beton und Eisen“ / „Beton und Stahlbetonbau“ und ihre Schriftleitungen. In: Stiglat, Klaus (Hrsg.): Beton und Stahlbetonbau, Ausgabe 100, Berlin: Ernst & Sohn, 2005, S. 750 10 Wikipedia, Eintrag Monier –andere Quelle finden! 11 Karl Hage VO 12 Stiglat, Klaus, a.a.O., S. 751 13 Ebd. 4 Ausstellung überwiegend Bauwerke klassizistischen Barocks oder Neobarocks, watete andererseits mit der ersten U-Bahn -Linie oder einem Riesenrad mit 100 Metern Durchmesser auf. Während in Paris die Plauener Spitze, eine maschinengestickte Tüllspitze, mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde, lassen sich anhand der verschiedenen Zeitschriften ansteigende Auseinandersetzungen mit der Symbiose von Beton, Eisen (später Stahl bzw. Stahlbeton), Zement etc. erkennen. Vor dem 1. Weltkrieg wurde bereits über notwendige und plausible Normen diskutiert, verschiedene Zusätze und Methoden der Mischung im Experiment auf Tauglichkeit geprüft.14 1.3. Try and Error Im April 1913, in der Morgendämmerung des ersten Weltkriegs, wurde die internationale Monatszeitschrift „Der Betonbau“ bzw. „Zeitschrift für Betonbau“ veröffentlicht. Jene, unter Mitwirkung von Ingenieuren, Baudirektoren und Physikern aus Russland, Deutschland, Österreich, Tschechien, Dänemark den Niederlanden und weiteren Ländern des europäischen Kontinents verfasste Zeitschrift, ermöglicht uns eine kurze Momentaufnahme der Entwicklung, ihrer Hoffnungen, Intentionen und Probleme. - Ein intensiv diskutiertes Attribut betrifft die Wirtschaftlichkeit des BetonStahl-Gemischs. Gegenüber gängigen teuren Stahlbauten liefert es, abhängig von der Konstruktion, größere Stabilität zu geringeren Kosten. Die „Möglichkeit des rationellen Konstruierens“15, d.h. weniger Materialverbrauch, höhere, komplexer gestaltete Gebäude, untermauern, neben den geringeren Löhnen für geringer qualifizierte Arbeiter, die wirtschaftliche Attraktion. Jene Materialeigenschaften überbieten vor allem Stahlgerüste und Holzbauten aufgrund der Stabilität. Wegen „steigende[r] Kohlepreise und der Angst vor einer absehbaren Kohlennot“16 wurden größere und effizientere Wasserkraftwerke als Prestigeprojekte und Versuchsbauten fokussiert: „Denn es wird wenige andere Bauwerke geben, wo Zement und Beton schon eine so hervorragende Rolle spielen und berufen sind, in noch höherem Maße als bisher die gebräuchlichen Rohstoffe zu ersetzen.“17 Für den Städtebau ergeben sich zwei Vorteile gegenüber gängigen Materialien: höhere Gebäude, d.h. mehr Raum auf weniger Platz sowie höhere Feuersicherheit. „Da man für das Fundament und Erdgeschoss massiver konzipiert als die Stockwerke darüber, sind diese in weit höherem Maße Vgl. Stiglat – Oft wurde das Beimischen von Ölen zum Schutz vor Wasser versucht, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führte. Ebenso die Bedeutung von Rissebildungen und der Rostsicherheit der Stahlstreben. Vgl. A.a.O., S. 57f 15 A.a.O., S. 51 16 A.a.O., S. 24 17 Ebd. - Nichts desto trotz bleibt zu beachten, dass zu diesem Zeitpunkt über die Klärung von grundlegenden Fragestellungen diskutiert wurde, wie bspw. der korrekten Berechnung der Belastungsspannung, der zulässigen Beanspruchung (zu dieser Zeit 1200 kg/cm²) oder in welcher Art die Stahlstreben im Beton eingelassen werden sollen. 14 5 feuersicher“18. In Anlehnung an einen Bericht über Werkstätten-Brände wird der Schluss gezogen, dass „eine ungeschützte Eisenkonstruktion gleich nach Beginn des Brandes eingestürzt, eine Holzkonstruktion vollständig verbrannt“19 wäre. Währenddessen wurde das Theater an der Champs Elysée gebaut, ganz aus Eisenbeton20, die Anzahl der Patente und Mischmaschinen wuchs kontinuierlich. Ein Überblick geplanter Eisen-Beton-Bauten in Europa offenbart Elektrizitätswerke, Gasanstalten, Schlachtanlagen, Papierfabriken und weitere Großprojekte.21 2. Nachkriegszeiten – Wohnungsnot und Städteplanung 2.1. Architekten als Tausendsassa: Architektur-Konzepte nach dem ersten Weltkrieg „Architektur ist […] schon durch die Beachtung der alten Vitruv’schen Forderungen nach Zweckdienlichkeit, solider Bauweise und Anmut (utilitas, firmitas, venustas) notwendig vielfältig und widerspruchsreich.“22 Dementsprechend verstrickt man sich schnell in strukturalistische Gliederungen, wenn die Architektur zu jener Zeit thematisiert wird. – Besonders bei Dekadensprüngen wie wir sie unternehmen, über den ersten bis zum zweiten Weltkrieg bis in die frühen siebziger Jahre. Wir greifen daher als Ausgangspunkt die „echte menschliche Behausung“23 in ihren Grundelementen auf, welche sich durch das „Abtrennen begrenzter Räume vom großen Raum der Natur mithilfe der massiven Form von Wänden“24 definiert. – Vilém Flusser wird es heiles Haus nennen, ein Produkt des Menschen, seit er „aus der Lebenswelt in die Subjektivität ausbrach [und Dächer baute].“25 Nach dem ersten Weltkrieg findet sich der architekturtheoretische Fokus in Auseinandersetzung mit den Themen Stadt, Industriefertigung und sozialen Bedingungen. So ist „das neue haus […] als trockenbaumontage ein industrieprodukt, und als solches ist es ein werk von spezialisten: volkswirte, statistiker, hygieniker, klimatologen, betriebswissenschaftler, normengelehrte, wärmetechniker“26. Der Architekt, welcher immer auch Künstler war, entwickelt sich folglich zum Spezialisten der Organisation ökonomischer, funktionell-biologischer und sozio-kultureller Formen. Seine Definition als affektiver Künstler ist obsolet geworden. Hannes Meyer, Bauhaus-Meister, formuliert neben dieser Definition des 18 a.a.O., S. 18 Vgl. Ebd. 20 Vgl. A.a.O., S. 50 21 Vgl. Ebd. 22 Venturi, Robert: Für eine beziehungsreiche Architektur! In: Moravánszky, Ákos (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. Wien, New York: Springer, 2003, S. 531 23 van der Laan, Dom H.: Der architektonische Raum. In: Moravánszky, Ákos (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. a.a.O., S. 241 24 Ebd. 25 Flusser, Vilém: Häuser entwerfen. In: Moravánszky, Ákos (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. a.a.O., S. 566 - Flussers Grundelemente für das Haus: Dach, Mauern, Fenster, Türen. 26 Meyer, Hannes: bauen. In: Moravánszky, Ákos (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. a.a.O., S. 326 Anmerkung: Meyer verzichtete auf Majuskeln 19 6 Architekten auch das Bauen als eine „überlegte organisation von lebensvorgängen“27, deren Resultat die Siedlung ist, „ein endziel der volkswohlfahrt, ein bewußt organisiertes gemeinnütziges werk.“28 Jedoch stehen diese Siedlungen meist am Randbezirk, welcher von architektonischen Planspielen nicht weniger berührt bleibt aber aufgrund ihrer Verortung andere Kodierungen erhalten als bspw. das Stadtzentrum. Bedingt durch das Trauma des Krieges, Industrialisierung, Arbeits- und Wohnungsnot, finden sich Zukunft und Überleben in der Großstadt, während sich außerhalb die Landwirtschaft bemüht, dem Hungerleiden entgegenzuarbeiten. „Das Entwerfen neuer Häuser ist eine Sanierungsaktion nach dem Erdbeben, in dessen Verlauf das Individuum zusammengestürzt ist.“29 In Großstädten angesiedelte avantgardistische Gruppierungen der 20er Jahre offenbaren hinsichtlich unseres Untersuchungsgegenstandes einen immensen Fundus neuer Definitionen und Ideen: Ludwig Hilberseimer, welcher ebenfalls am Bauhaus lehrte, konzipierte 1919 eine Stadtplanung für das Existenzminimum. Oben intendierte Entwicklungen der Industrie, Ingenieure, Physiker und Statiker trafen auch seine Überlegungen. Er sah in „Eisen, Beton und Eisenbeton […] Baumaterialien, die für die großstädtischen Anforderungen notwendigen neuartigen Konstruktionen ermöglichen, Konstruktionen zur horizontalen oder bogenförmigen Überdeckung weitgespannter Räume und weit vorspringende, freitragende Auskragungen.“30 Sie setzen der Phantasie des Architekten „relativ keine Grenzen“31 und das „alte Stütz- und Lastensystem, das nur ein Bauen von unten nach oben […] ermöglichte [wurde] überwunden.“32 Die Großstadt selbst wird als Organismus verstanden, ihre Bauwerke als Zellen und letztlich werden chaotische Formen in ein Maß gezwungen: „logisch, unzweideutig, Mathematik, Gesetz.“33 Stadtpläne strotzen seit Jahrhunderten mit parzellenförmiger Aufteilung, um Nicht-Orte in Lokalisationen zu transformieren. Als Pendant schließen sich die Wände eines Hauses zu Privaträumen zusammen, werden zum plastischen Raum in einer überwundenen Natur, die vor Jahrhunderten mit Ortlosigkeit und topografischer Wüste aufwartete.34 So wie der Plan einer Idealstadt nach Eiximenis Gebäude und Straßen ordnen will, werden wir mit den obigen Beschreibungen Zeugen eines Ordnungswillens mit sozialem, ökonomischem und ästhetischem Bewusstsein. - Es wird sich herausstellen, dass besonders jener Diskurs für unsere Untersuchung essentiell wird, wenn der vorletzte CIAM-Kongress stattfindet (an welcher auch Hilberseimer teilnahm). 27 a.a.O., S. 327 Ebd. – Meyer skizziert ebenfalls eine Liste von Materialien sowie die Kennzeichen der „neuen Formenwelt“. 29 Flusser, Vilém: Häuser entwerfen. a.a.O., S. 566 30 Hilbersheimer, Ludwig: Großtstadtarchitektur. In: Moravánszky, Ákos (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. a.a.O., S. 82 31 Ebd. 32 a.a.O., S. 83 33 a.a.O., S. 85 34 Vgl. Siegert, Bernhard: (Nicht) Am Ort, In: Thesis, Ausgabe 3 Weimar: Universitätsverlag, 2003, S. 96 28 7 2.2. Der CIAM Oben beschriebene funktionale Orientierung und die zahlreichen neuen Ansätze im Städtebau wurden „als Chance auf neue Lebensqualität“35 begriffen. 1928 trafen sich „die wichtigsten Architekten und Städteplaner dieser Zeit“36 (Karl Moser, Walter Gropius, Hans Schmidt, Uno Åhrén und viele mehr) auf Schloss La Sarraz zur Gründungsversammlung des CIAM (Internationaler Kongress für neues Bauen). Als Resultat offenbarte sich eine Erklärung, basierend auf einer Gliederung der Stadt in vier Funktionen: „Wohnen, Arbeiten, Erholung, Verkehr.“37 Zudem enthielt sie 95 Thesen einer modernen Metropole aus stadtplanerischer, architekturtheoretischer und soziologischer Perspektive. Ausgehend vom Axiom einer Stadt „als Teil eines ökonomischen, sozialen und politischen Ganzen“38, der bewussten architektonischen Abtrennung von Industrie- und Wohnungsteilen einer Stadt, schließt das dogmatische Programm mit Punkt 95: „Das Privatinteresse wird in Zukunft dem Interesse der Gesellschaft unterstellt sein.“39 In der Gründungszeit des CIAM „befand sich die Hauptströmung der modernen Architektur in der wissenschaftlich-analytischen Phase des Funktionalismus (Vgl. Mart Stam, Hans Schmidt, Hannes Meyer und andere) mit einer auffallend starken Affinität zum analytischen Denken der Naturwissenschaften und dem Marxismus.“40 Die urbanen Modelle des CIAM zielen auf rationale Neubauten ab, welche soziale und ökonomische Entwicklungen in ihrer Architektur einbeziehen sollen. Dementsprechend ist es nicht nur Aufgabe der Architektur, diese Entwicklungen in Form ihres Ausdrucks widerzuspiegeln, sondern auch die Einflüsse der Bauten auf die Menschen in diesem Kontext zu beachten und Architektur vielleicht sogar als Pädagogik zu verstehen. Begriffe wie Neues Bauen, Neue Sachlichkeit oder weitere Denkfabriken wie MARS-Group oder das (für den CIAM fatale) Team X sollten diesem Diskurs entwachsen. Obwohl für eine jährliche Zusammenkunft ausgelegt, sollten kriegsbedingt zwischen 1937 und 1951 keine Kongresse stattfinden. Nach dem Krieg gab es neue Strömungen innerhalb des CIAM. 1951 hatte der CIAM Das Herz der Stadt zum Motto, „als funktionales Zentrum einer Stadt stand im Gegensatz zur strikten Funktionstrennung der Modernen Stadt nach der Charta von Athen.“41 Zwei Jahre später wurde die unausweichliche Auflösung des CIAM absehbar. 35 Stehling, Hanno: Texte der Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts: Alison & Peter Smithson. 2005. URL: http://brutalbrutal.wikispaces.com/file/view/smithsons.pdf. Aufgerufen am 7.05.2013, 10:12 Uhr., S. 1 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Aus dem CIAM- Programm, These 1 39 Auch aus dem Programm, These 95 40 Hecker, Michael: Einfluss „strukturalistischer“ Theorien auf die Entwicklung architektonischer und städtebaulicher Ordnungs- und Gestaltungsprinzipien in West-Deutschland im Zeitraum von 1959-1975. Stuttgart: PoD, 2007, S. 23 41 a.a.O.. S. 2 8 2.3. Aufbau und Aufbruch: Architektur-Konzepte nach dem zweiten Weltkrieg Deutschland erhielt internationalen architektonischen Einfluss ab Mitte der 1950er Jahre. Der nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte Wiederaufbau hat sich „auf das Vorhandene bezogen, anstatt sich davon zu lösen und die zunehmenden Wohnungsprobleme durch vorausschauende Planungen anzugehen.“42 Es ist daher nicht verwunderlich, dass Architekten und Städteplanern „monokausales Denken“43 unterstellt wurde, während die avantgardistische Formationen erst wieder zusammenfinden mussten. Ende der 1950er Jahre ließen sich daher essentielle Probleme, insbesondere im Kontext des Städtebaus ausmachen. Angefangen bei der entwickelten Funktionstrennung urbaner Areale (wie sie auch der CIAM vertrat) oder dem Verlust traditioneller Raumsphären durch Bauwerke, welche in Form von Fremdkörpern objekthaft den Raum bzw. das räumliche Erlebnis vielmehr teilen statt eine Form der Synergie ausdrücken. Mit der immensen Anzahl an Neubauten, damit verbundener homogener Großplanung und Vernachlässigung der (historischen) Innenstädte ging auch ein Identitätsverlust einher.44 Dieser fand seinen architektonischen Höhepunkt im Massenwohnungsbau, damit verbundener „Monotonie der Zeilenstruktur“45 welche später als Plattenbau ihren Namen finden wird. Essentiell ist in Bezug auf jene Form des Nachkriegsbaus in Westdeutschland besonders der intensive Bezug auf Vorhandenes, kombiniert mit radikal ökonomischem Bauen. Dieser Umstand ist allerdings in Anbetracht von Wohnungsnot und Wiederaufbau äußerst verständlich. Anfang der 1960er Jahre erhält jene Zeit letztlich ihre Kritik und mündet in neue Forderungen: Ketten- und Hofhäuser statt freistehender klassischer Einfamilienhäuser. Versetzte, übereinander und quer geschichtete Wohnungen, statt monotoner Siedlungsschlangen wurden gefordert. Oben beschriebene Stagnation sollte schließlich durch „Belebung, Bereicherung, Unregelmäßigkeiten und Überraschungen“46 überwunden werden. Man könnte dies als Versuch einer „totalen Formerweiterung“47 verstehen, welche zur Folge hat, dass „konservative, regionale und traditionelle Tendenzen aus der Architekturdebatte verdrängt“48 werden. Zeitgleich beschleunigte sich die Entwicklung neuer Baustoffe wie „Leichtbeton, Aluminium, Dämmstoffe und Kunststoffe.“49 Es wurden hochwertigere Zemente konzipiert und die Mixtur aus 42 a.a.O., S. 27 a.a.O., S. 28 44 a.a.O., S. 26 45 a.a.O., S. 26 sowie Vgl. Joedicke, Jürgen: Architektur des 20. Jahrhunderts von 1950 bis zur Gegenwart, Stuttgart: PoD, 1998, S. 66 - Sowie Albers, Gerd: Stadtplanung: Entwicklungslinien 1945-1980, Tübingen 1984 46 Joedicke Jürgen, 1930-1960, Bauen und Wohnen, Heft 10, 1961, S. 366 47 Ebd. 48 Hecker, Michael, a.a.O., S. 26 49 Neroth, Günther (Hrsg.): Wendehorst Baustoffkunde, Wiesbaden: Vieweg & Teubner, 2011, S.2 43 9 Stahlstreben und Beton in Form von industriell hergestellten Stahlbetonplatten erstritten unaufhaltsam ihr Monopol. Die Materialien für die kommenden Jahrzehnte waren fixiert. 3. New Brutalism, Group Ten und die Nachkriegsmoderne 3.1. Smithsons Inspiriert durch die as found-Ästhetik des Fotografen Nigel Henderson entwickelte das Ehepaar Alison und Peter Smithson eine neue Sicht auf das Alltägliche und Gewöhnliche. Übersetzt in architekturtheoretischen Blickwinkel bedeutete dies vor allem Respekt und Einbindung des vorgefundenen Ortes, d.h. des potentiellen Baugrundstücks und dessen spezifischer Strukturen. Darunter lassen sich einerseits die Nachbargebäude verstehen (in ihrer sozialen als auch ästhetischen Dimension). Andererseits sollen auch bestehende Strukturen soziale Interaktion in die Konzeption der Gebäude mit einbezogen werden, d.h. es soll keine aggressive Schneise, Befremdung oder Verlust jener vorhandenen Lebenswelten stattfinden, sondern vielmehr diese ergänzt und verstärkt werden.50 – „Daher auch [ihr] Respekt für ausgewachsene Bäume als Strukturierung eines Ortes, an welchem das Gebäude Neuzuzüger sein würde.“51 Ähnliches Vorgehen lässt sich auch im Umgang mit typischen nachkriegszeitlichen Materialien erkennen, welche auf einer Materialontologie fußt: Das Hölzerne des Holzes, Sandhaftigkeit des Sandes und das Betonhafte des Betons. 3.2. Team Ten und Brutalismus Im Kreise der Smithsons und während der neunten Tagung der CIAM im Jahre 1953, gruppierten sich Widersacher und Kritiker der CIAM-Charta. Es handelte sich dabei um eine lose Vereinigung, welche sich ebenfalls jährlich treffen würde und schließlich zwei Jahre später zur Auflösung des CIAM führte. Dabei entwickelte „moralische Werte“52 und die gesellschaftliche Verpflichtung des Bauherrn gegenüber seiner Gesellschaft war für die Mitglieder des Team Ten ein unverzichtbares Axiom ihrer Arbeit. Laut Peter Smithson ist der Architekt ein „Vermittler zwischen dem Ego seines Bauherren und Vgl. Schregenberger, Thomas: Brutalism. In: As Found – Die Entdeckung des Gewöhnlichen. URL: http://sammlungen-archive.zhdk.ch/view/exhibitions/. Aufgerufen am 23.04.2013, 17:12 Uhr. 51 Ebd. 52 Stehling, Hanno: Texte der Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts: Alison & Peter Smithson. 2005. URL: http://brutalbrutal.wikispaces.com/file/view/smithsons.pdf. Aufgerufen am 7.05.2013, 10:12 Uhr., S.1 50 10 der Gesellschaft“53. Entsprechend war Aldo van Eyck der Meinung, „ein Haus muss wie eine kleine Stadt sein, […] eine Stadt muss wie ein großes Haus sein, wenn sie eine wirkliche Stadt sein soll.“54 Oben beschriebene as found-Idee findet wiederum eine Erweiterung durch ein Team Ten-Mitglied Jaap Bakema definiertes total life. Darunter ist wiederum eine Bestärkung jedes Einzelnen in dessen Entfaltung und Ausübung seiner Möglichkeiten zu verstehen. – Letztlich also eine Quintessenz des moralischen als auch pädagogischen Anspruchs der Gruppe, ihrer Gesellschaft darzulegen, welches Potential jedem Einzelnen innewohnt und dieses durch entsprechende Bauwerke und Materialien zu fördern sei. Der Architekt wandelt sich somit vom früher erwähnten Tausendsassa zum sozialkritischen Humanisten. Die tradierten Strukturen der Vorkriegszeit haben für ihn ausgedient. Statt dem Folgen einer Doktrin zur Ordnung der Ein- und Bewohner einer Stadt oder eines Gebäudes wurde hier das Bieten von Frei- und Möglichkeitsräumen zum Programm. Diese Ideen stehen offensichtlich dem Konsens der CIAM, seiner funktionellen Interpretation der Stadt, konträr entgegen. Die phänomenologische, symbolistische Aufteilung der Group Ten in Stadt, Häuser, Straßen und Bezirke, ent-funktionalisiert und symbolisch aufgeladen mit einem Gestus des freien Entfaltens, stellt dadurch nicht nur einen architektonischen Stil vor, sondern auch eine ästhetische, sozialkritische und gesellschaftsaffine Bewegung dar. Dieses „diffuse Projekt einer Generation, die mit der Rückkehr zur Materialität der Moderne […] nicht nur eine Ästhetik der Wahrhaftigkeit beanspruchte“55 wurde schließlich in England und Europa als Neuer Brutalismus, im amerikanischen Raum schlicht als Brutalismus bezeichnet.56 3.2.1. Secondary School in Hunstanton (1954) Inspiriert durch Bauten Mies van der Rohes entwarfen die jungen Smithens ein öffentliches Gebäude, welches in seiner Darstellung der Materialität beeindruckend dem Prinzip der Ehrlichkeit bzw. Materialontologie folgt. Standardisierte Elemente wie Betonplatten, Stahlträger und die überdurchschnittliche Menge an Glasfronten geben dem geradlinigen und aus unzähligen rechten Winkeln bestehenden Gebäude den Eindruck von offener Schlichtheit. Auch innen wird dieses Prinzip fortgesetzt: „So sind die meisten der Arbeitsräume komplett verglast und zeichnen ihre Funktion somit nach außen hin ab, weiterhin findet die Erschließung bis zum letztendlichen Betreten der Klassenräume sichtbar im Außenbereich statt.“57 Decken und Wände bestehen aus Sichtbeton, d.h. sind weder verputzt 53 Ebd., S. 2 Ebd., S. 2 55 Baus, Ursula: Brutalismus – Eine Berliner Tagung. In: Redecke, Sebastian (Hrsg.): Bauwelt. Ausgabe 29, München: Bauverlag BV, 2012 56 Wobei anzumerken ist, dass es sich um zwei unterschiedliche Ausgangspunkte handelt. Fokus dieser Arbeit liegt in der Entwicklung des New Brutalism aus England und später in Frankreich. 57 Stehling, Hanno, a.a.O., S.5 54 11 noch lackiert. – Der Verzicht auf jegliche Form der Inszenierung und die Realisierung der as found-Idee ist offensichtlich, ein Ort für das total life besonders in Form einer Schule scheinbar passend realisiert. Selbst Abflussrohre und Leitungen sind nicht versteckt oder verputzt, drücken Transparenz und Möglichkeit zur Veränderung aus. – Als wäre den Bewohnern eine tabula rasa offeriert, welche zwar nicht direkt zur Veränderung des Gebäudes aufruft, jedoch diese Option direkter zur Wahl stellt, als andere Schulgebäude zu jener und heutiger Zeit. Es wird ebenfalls offensichtlich, dass Transparenz nicht nur durch Glasfronten erzeugt werden kann, sondern auch durch den Umgang mit normierten Materialien im Kontext eines Prinzips der Offenheit, vom Wasserrohr bis zu den normierten, aus Beton gegossenen, Bauelementen. 3.2.2. Robin Hood Gardens in London (1972) 18 Jahre nach dem Bau der Secondary School sollte mit den Robin Hood Gardens der Eindruck von Schutz als zentrales Element realisiert werden. Zwei einander gegenüberliegende Gebäude schirmen eine zwischen ihnen befindliche zentrale Grünfläche nach außen hin ab. Es ist Ausdruck eines sozialen Massenwohnungsbaus, welcher schon 1952 im Smithens-Entwurf zu der Golden Lane in London zur Disposition stand. Damals wurden die einzelnen Wohneinheiten mit offenen Lücken nach Außen und Innen ausgestattet, um ihren Bewohnern die Auslebung selbstverwirklichender Aktivitäten, Verbunden mit der Modifizierung des Gebäudes und der Vorgärten, zu ermöglichen. „Auf diese Weise sollten die Bewohner sich mit ihren jeweiligen Straßen identifizieren können.“58 Robin Hood Gardens endete für das Architektenpaar in einem Fiasko. Die Utopie der Offenheit erzeugte vielmehr das Gegenteil und offenbart das typische Problem des sozialen Massenwohnungsbaus: Die aus Sichtbeton bestehenden Mauern, grau in grau gehaltene Fassade und parzellenförmige Abtrennung der Wohnungen, fehlende öffentliche Einrichtungen wie Geschäfte oder banale Spielplätze erzeugten eher den Eindruck von Mängeln als ein Ort der persönlichen und architektonischen Entfaltung. Nach kurzer Zeit traten zudem elementare Mängel in Wärmedämmung und Feuchtigkeitsschutz zu Tage, hinzugefügte Nachbargebäude anderer Architekten untermauern noch heute die Befremdlichkeit des Blocks, welcher für die Definition der Metapher des Plattenbaus paradigmatisch erscheint. 3.3. Ende des Team Ten und des Brutalismus Brutalistische Bauwerke können sich folglich stark voneinander unterscheiden. Fußen sie meist auf dem moralischen und materiellen Axiomen des Team Ten, divergieren verwendete Materialien und Formen. 58 a.a.O., S. 6 12 Letztlich ist es in Anbetracht der Smithsons überwiegend bei Entwürfen geblieben, Realisierungen von Bauten dieser Art fanden vielmehr durch Architekten wie van der Rohe oder Le Corbussier statt, welche den Stil des béton brut (Frz. roher Beton) besonders in den 1960er Jahren prägten. Die Idee des zur Schau stellen verwendeter Baustoffe überdauert bis heute. „Die Brutalisten fanden Werte und Vergnügen an Orten und Sachen, die andere Architekten hässlich fanden, und sie waren sich einig, dass Schönheit im gradlinigen Entwerfen und Bauen entstehen kann, für ein Gemeinschaftsleben, wie es ist, und nicht, wie es aus irgendwelchen sentimentalen Gründen sein sollte.“59 Er verkam jedoch mit Beginn der 1970er Jahre lediglich zu einer Form architektonischen Stils, befreit vom intensiven Gestus einer Raum- und Wohnöffnung für die Bewohner jener Bauten.60 3.4. Geborgenheit und Zeichenfunktion Die Stadt ist ein Ort, an dem sich die Frage des Subjekts „im modernen, cartesianischen Sinne […] erst stellt“61. Sie ist nicht nur ein architektonisches Sammelsurium von Zeitgeist-Szenarien, Artefakten industrieller und gesellschaftlicher Entwicklung. Sie ist ebenso ein Testgebiet für oben erwähnte Konzepte, welche in spezifischen Bauwerken Anwendung finden. Allerdings stets in Relation gegenüber anderen Bauwerken, weiteren ästhetischen Ausgangspunkten, Materialkunde, ja einer anderen Ratio. Denn „die Menschen betrachten ein Gebäude unweigerlich in Verbindung mit einem anderen Bauwerk oder einem ähnlichen Objekt, kurz, als Metapher.“62 - Jencks beschreibt eine Interessante Transformation von metaphorischen Beschreibungen architektonischer Gebilde aufgrund der quantitativen Steigerung verwendeter Muster oder Stilrichtungen. „So wurden Ende der 1950er Jahre die ersten vorgefertigten Betongitter als Käsereiben […] bezeichnet.“63 Zehn Jahre später wurde die Metapher durch funktionale Begriffe ersetzt – Verglichen wurde nicht mehr mit Käsereiben und Parzellen, sondern bspw. mit dem Begriff des Parkhauses. – Bestimmte negative, durch die Öffentlichkeit genutzte, Metaphern drücken auf konsequente Weise Kritik an der modernen Architektur aus, bspw. Pappschachtel, Eierkiste, Schuhkarton oder Bunker. Der Plattenbau als Negativbeispiel par excellence stellt auch gegenwärtig einen Abschluss mit der Bauweise der Nachkriegszeit und der später folgenden Massen- und Sozialbauten dar. Dass ein zentrieren von überdurchschnittlich vielen Einwohnern, ein Übereinanderstapeln von Wohnungen, nicht 59 Schregenberger, Thomas, a.a.O., S. 1 „Ein Jahrzehnt nach der Magna Charta des Brutalismus droht das Bekenntnis zur Ehrlichkeit schon wieder in brutalistische Effekthascherei umzuschlagen.“ In: Rauh und Rissig – Brutalismus. In: Der Spiegel. Ausgabe 47, Frankfurt am Main: 1967, S. 188ff – Autor konnte nicht ermittelt werden., S. 193 61 Damisch, Hubert: Fenster zur Straße. In: Moravánszky, Ákos (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. a.a.O., S. 568 62 Jencks, Charles: Die Arten architektonischer Kommunikation. In: Moravánszky, Ákos (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. a.a.O., S. 533 63 a.a.O., 534 60 13 zwingend zu Unmut und Depressionen führen muss, zeigen bspw. van der Rohes Highfield House (1967) oder der von Karl Ehn errichtete Karl-Marx-Hof in Wien (1927-30). Besonders bei Ehns Entwurf werden viele Punkte realisiert, welche wir oben zwischen den 1920er und 1960er Jahren skizzieren konnten: Gemeinschaftseinrichtungen wie Waschsalons, Bäder, Kindergärten, Bibliotheken und Grünanlagen wurden integriert, offene architektonische Formen, welche zwar eine Abgeschlossenheit suggerieren (eine Stadt in der Stadt), jedoch durch große und zahlreiche Eingänge in Bogenform ebenso Öffnungen darstellen und der Abschottung entgegen treten. Darin lässt sich wiederum ein essentielles Problem des Brutalismus erkennen: „Ihre Bauten erinnern an mittelalterliche Burgen, an Kerker und Kasernen“64, obwohl dahinter gegenteilige Intentionen steckten. 4. Schluss Anhang unserer kleinen Archäologie konnten wir die Entwicklung eines Baumaterials verfolgen, dessen Verwendung gegenwärtig seinen Höhepunkt verzeichnet. Ebenso konnten wir eine kurze Entwicklungsgeschichte unterschiedlicher Definitionen für den Beruf des Architekten nachzeichnen. Vom pädadogisch-dogmatischen Planer, Beobachter und Erzeuger von Sozialdeterminanten in Form von Bauten hin zum vermeintlichen Befreier und Erzeuger von offenen Lebensräumen stand und steht ihm eine immense Komplexität vor Augen. Entsprechend lassen sich viele Gründe finden, warum Konzepte des Team Ten zwar Diskurse entfachten und der architektonischen Moderne soziale und ethische Elemente gegenüberstellten, jedoch bei den eigentlichen Bewohnern der Wohnhäuser wenig Anklang fanden. Vielleicht lag es am Aufblühen bürgerlicher Strukturen und die Intensivierung der Individualität und Abgrenzung gegenüber dem Kollektiv.65 Der vielfältigen Form architektonischer Konzepte stehen ebenso zahlreiche Vorstellungen des behausenden Individuums gegenüber, welches besonders als Teil eines Sozialgefüges ein Bewusstsein offenbaren kann, das den gebauten Konzepten zuwiderläuft. Rauh und Rissig – Brutalismus. In: Der Spiegel. Ausgabe 47, Frankfurt am Main: 1967, S. 188 – Autor konnte nicht ermittelt werden. 65 Vgl. Ehalt: „In einer gewissen Weise war das traditionelle Leben bis zum Zweiten Weltkrieg auf viele Formen des Kollektivs aufgebaut. Eigentlich waren alle traditionellen Kulturen bis ins 20. Jahrhundert Vereinbarungen von Kollektiven: von der Familie, von Gruppen, von Parteien. Auch die Baustile brachten im wesentlichen die Werterhaltungen von Kollektiven zum Ausdruck, die übe viele Generationen Gültigkeit bewahrt hatten. Die Entwicklung, die Sie charakterisiert haben, führt in einer ganz massiven Form zu einer Situation, in der jede Wohnung letztlich ein Terminal ist, und damit zu einem totalen Verlust des Kollektiven, das sich in persönlichen Beziehungen äußert. Es gibt überhaupt keinen Sinn für Öffentlichkeit mehr.“ In: Flusser, Vilém: Ende der Geschichte, Ende der Stadt? Wien: Picus, 1992, S. 45 64 14 5. Literaturverzeichnis Albers, Gerd: Stadtplanung: Entwicklungslinien 1945-1980, Tübingen 1984 Bachelard, Gaston: Poetik des Raumes. Frankfurt am Main: Ullstein, 1975 Baudrillard, Jean & Nouvel, Jean: Architektur und Philosophie. Wien: Passagen, 2000 Baus, Ursula: Brutalismus – Eine Berliner Tagung. In: Redecke, Sebastian (Hrsg.): Bauwelt. Ausgabe 29, München: Bauverlag BV, 2012 Crosby, Theo: The New Brutalism. In: October Magazine. Ausgabe 136. Massachusetts Institute of Technology (Hrsg.), Massachusetts: MIT Press, 2011, S. 17ff Damisch, Hubert: Fenster zur Straße. 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