60 Jahre Stiftung Europa-Kolleg am 13. September 2013, Festsaal des Hamburger Rathauses ____ Sehr geehrter Präsident des Europäischen Parlaments, sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister Scholz, sehr geehrter Herr Vizepräsident der Universität Hamburg, sehr geehrte Abgeordnete des Europäischen Parlaments und der Hamburgischen Bürgerschaft, sehr geehrte Vertreter des Konsularischen Korps, meine sehr geehrten Damen und Herren, Bereits seit 60 Jahren leistet das Europa-Kolleg Hamburg in unserer Stadt, in Deutschland und in Europa seine engagierten Beiträge zur europäischen Integration. Ich freue mich, dass Sie durch Ihre Teilnahme an dieser Festveranstaltung die Arbeit des Kollegs würdigen und mit uns dieses Jubiläum feiern. Vor allem Ihnen, Herr Schulz, danken wir, dass Sie die Einladung angenommen haben, als Präsident des Europäischen Parlaments die Festrede zu halten. Wir haben sehr bewusst den Vertreter dieses von den Völkern gewählten Organs der Europäischen Union um einen Redebeitrag gebeten,, weil wir die demokratische Entwicklung der Gemeinschaft noch nicht als abgeschlossen ansehen und von Ihnen Hinweise erhoffen, wie in Zukunft das demokratische Element in der europäischen Verfassungsordnung weiter gestärkt werden kann. Wir sind gespannt auf Ihre Gedanken. Dass Sie, Herr Bürgermeister Scholz, diese Festveranstaltung im Rathaus ermöglichen und die Bedeutung des Europa-Kollegs für Hamburgs Wissenschaftssystem und die europäische Integration persönlich würdigen, empfinden wir als bedeutsame Anerkennung unserer Arbeit und als Ermutigung. Ihnen beiden danke ich sehr herzlich. Angeregt durch eine Initiative westeuropäischer Studierender, des „Freundschaftsbundes Europäischer Studenten“, gründete der damalige Rektor der Universität Hamburg, Bruno Snell, die Stiftung Europa-Kolleg Hamburg als Einrichtung der Universität, in der Studierende aus unterschiedlichen europäischen Ländern gemeinsam leben und studieren und die europäische Einigung zu ihrem Anliegen machen. Über 600 junge Menschen aus allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben sich hier für die Mitarbeit an der europäischen Integration qualifiziert. Viele Führungskräfte und Experten in den europäischen und nationalen Institutionen haben die wissenschaftliche Qualifikation für ihre berufliche und politische Tätigkeit am Europa-Kolleg Hamburg erworben. Wo Behörden, Unternehmen, Gerichte, Hochschulen, Institute oder Anwaltskanzleien Fragen der europäischen Integration bearbeiten, sind Absolventen des Kollegs daran beteiligt. Kern des Konzeptes des Europa-Kollegs sind das Wohnen, Leben und Studieren der Kollegiaten im gleichen Gebäude und die enge Verbindung mit der Universität . Darum sollte das Kolleg ursprünglich universitätsnah in einem der Grindelhochhäuser untergebracht werden. Erst als dieser Plan nicht verwirklicht werden konnte, wurde zunächst ein Gebäude am Kalkreuthsweg errichtet und später der Neubau am Windmühlenweg, in dem sich das Kolleg bis heute befindet. Die Entfernung zur Universität war Chance und Problem zugleich. Sie förderte Unabhängigkeit, Muße und Identifikation, behinderte aber auch den lebendigen Austausch mit der Universität und der Stadt. In seiner weiteren Entwicklung wird das Europa-Kolleg der Kooperation mit der Universität und deren Fakultäten besondere Aufmerksamkeit widmen, um die wissenschaftliche Qualität und Intensität des Studiums sowie die interdisziplinäre Vernetzung der europawissenschaftlichen Forschung weiter zu stärken. Dabei wird das Kolleg dem Funktionswandel Rechnung tragen müssen, den es seit seiner Gründung erfahren hat. Stand bis in die 70er Jahre hinein das Zusammenleben von Studierenden aus verschiedenen europäischen Ländern und der Erwerb allgemeiner europäischer Bildung im Vordergrund, suchen die Studierenden seit dieser Zeit vor allem die Möglichkeit, sich für berufliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit der europäischen Integration zu qualifizieren. Zugleich muss sich das Europa-Kolleg mit dem Fortschreiten der europäischen Einigung zunehmend auch der interdisziplinären Forschung zur europäischen Integration widmen. So wurde 1978 im Kolleg das Institut für Integrationsforschung als wissenschaftliche Einrichtung an der Universität Hamburg gegründet, das seitdem zu den renommiertesten Instituten der europawissenschaftlichen Forschung zählt und wegweisende Publikationen veröffentlicht hat. Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit 1990 über zehn Jahre lang gefördertes Graduiertenkolleg hat wichtige Beiträge zur Entwicklung des europäischen Gemeinschaftsrechts geleistet und über 50 Promotionen möglich gemacht. Seit 1994 bietet das Europa-Kolleg einen weiterbildenden Studiengang an, in dem wissenschaftliche Qualifikation in Recht Wirtschaft und Politik Europas vermittelt wird. Der beitragspflichtige Masterstudiengang ist akkreditiert und stark nachgefragt. Auf einen Studienplatz entfallen 3 Bewerbungen. Die Studierenden kommen aus über 60 Nationen, zunehmend auch aus Russland, China, Indien sowie afrikanischen, südamerikanischen und asiatischen Ländern. Einen besonderen Beitrag hat das Europa-Kolleg bei der Integration mitteleuropäischer Länder in die Europäische Union geleistet, indem es Studierende auf den Beitritt ihrer Länder vorbereitet hat. Die Zukunft des Europa-Kollegs liegt in einer konsequenten Weiterentwicklung seines Studienangebotes unter Einschluss berufsbegleitender Strukturen, im Ausbau von Promotionsmöglichkeiten im Rahmen strukturierter Graduiertenprogramme sowie in der Bündelung europawissenschaftlicher Forschung in Zusammenarbeit mit den Fakultäten der Universität. Als interdisziplinäres Zentrum europawissenschaftlicher Lehre, Nachwuchsförderung und Forschung wird das Europa-Kolleg Hamburg das internationale Profil der Universität und der Stadt bereichern. Dabei wird das Kolleg die gleiche Förderung durch die Stadt, durch Europa, durch Stiftungen und Einrichtungen der Wissenschaftsförderung benötigen, die es in den 60 Jahren seines Bestehens erfahren hat und für die wir uns mit Blick auf die Zeit leider nur allgemein bedanken können. Grundlage der Entwicklung des Europa-Kollegs wird die Entwicklung der Europäischen Union sein. Wir vertrauen in das Entwicklungspotential dieses historisch einzigartigen Verbundes und Prozesses. Gerade vor dem aktuellen Hintergrund der Eurokrise belegen die 60 Jahre, in denen das Europa-Kolleg die europäische Integration mitgestaltet hat, dass die Europäische Einigung sich durch Krisen stets weiterentwickelt hat. Vor allem aber zeichnet sich die Europäische Union im historischen Vergleich durch eine Besonderheit aus, die ihre Stärke ausmacht und ihr Perspektiven eröffnet: Sie ist in der Menschheitsgeschichte der erste politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verbund, der sich nicht durch Macht, Gewalt, Eroberung, Zwang oder Krieg erweitert, sondern durch freiwilligen Beitritt und friedliche Entwicklung. Darin können und wollen wir unser Vertrauen und Engagement investieren. Dr. Dr. h.c. Jürgen Lüthje Präsident der Stiftung Europa-Kolleg Hamburg