Univ.Prof. Dr. Michaela Auer-Grumbach Das expandierende Feld der HMSN Hereditäre Neuropathien zählen zu den häufigsten, vererbten neurologischen Erkrankungen mit einer Prävalenz von 1:2500,wonach in Österreich mit bis zu 3000-4000 Betroffenen gerechnet werden kann. Infolge einer Abweichung in den Erbanlagen (Mutation)ist die Funktion der peripheren Nerven gestört. Die Erkrankung beginnt meist in der Pubertät, manchmal treten aber erste Symptome auch schon in der frühen Kindheit oder erst im höheren Lebensalter auf. Dies wirkt sich besonders stark an den längsten Nerven aus, sodass die neurologischen Ausfälle insbesondere die distalen Extremitätenabschnitte betreffen. Durch die verlangsamte oder verminderte Nervenleitung kommt es einerseits zu Muskelschwund und Muskelschwäche, andrerseits können Gefühlsempfindungen von der Haut nicht, nur verzögert oder verändert dem Gehirn gemeldet werden. Die Betroffenen können oft Schmerzreize oder Temperaturunterschiede nicht richtig wahrnehmen oder leiden unter starken neuropathischen Schmerzen. Je nach zugrundeliegender genetischer Abweichung stehen motorische, sensible und/oder autonome Ausfälle im Vordergrund. Hieraus ergibt sich das unterschiedliche klinische Erscheinungsbild der hereditären Neuropathien und die entsprechende Unterteilung in verschiedene Subtypen.Stehen ausschließlich oder überwiegend motorische Ausfälleim Vordergrund, so spricht man von der distalen motorischen Neuropathie (dHMN). Überwiegen die sensiblen (und autonomen) Störungen, so liegt eine HSNbzw HSAN vor. Gemischte Formen mit Beteiligung der motorischen und sensiblen Nervenfasern sind am häufigsten und führen zur hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie (HMSN). Die klassische HMSN ist auch nach ihren Erstbeschreibern 1886 als Charcot-Marie-Tooth(CMT-) Syndrom bekannt. Der Begriff „CMT“ wird heute auch nicht selten als Überbegriff für hereditäre Neuropathien verwendet. Überlappungen der klinischen Unterformen (dHMN, HSN, HMSN) sind selbst innerhalb einzelner Familien bei gleicher genetischer Ursache nicht selten. Die hereditären Neuropathien sind auch genetisch sehr heterogen.Bereits in mehr als 50 Genen wurden Mutationen bekannt. Auch in Österreich besteht eine hohe genetische Heterogenität. So wurden bei uns bereits in 35 „CMT-Genen“ Mutationen gefunden.Die bei weitem häufigste genetische Ursache ist eine Duplikation am Chromosom 17p11.2, jener Genort, an dem sich das PMP22-Gen findet, welches entscheidend am Aufbau der Myelinscheiden der peripheren Nerven beteiligt ist.Die Vererbung kann autosomal dominant, autosomal rezessiv oder x-gebunden sein. Nicht selten tritt die Erkrankung jedoch aufgrund einer Neumutation sporadisch auf, weshalb eine Familienanamnese fehlen kann. Die Bestimmung der motorischen und sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) liefert einen entscheidenden Beitrag zur Abgrenzung der einzelnen Unterformen und muss immer vor Einleitung der genetischen Untersuchung durchgeführt werden. Die Elektromyographie (EMG) ist dann hilfreich, wenn andere Erkrankungen, wie zum Beispiel primäre Muskelerkrankungen (Myopathien, Muskeldystrophien) abgegrenzt werden müssen. Die Entschlüsselung der genetischen Ursachen hereditärer Neuropathien in den vergangenen beiden Jahrzehnten hat das Verständnis der zugrundeliegenden Ursachen erheblich verbessert und hat funktionelle Studien ermöglicht. Das Krankheitsbild rund um die hereditären Neuropathien wird zunehmend besser verstanden, für einzelne Untergruppen sind nun auch bereits Therapiestudien ermöglich worden, sodass zukünftig die berechtigte Hoffnung besteht, hereditäre Neuropathien zumindest teilweise behandeln zu können. Die intensiven Forschungen rund um die hereditären Neuropathienin Österreich wurden während der letzten Jahre vom Wissenschaftsfond (FWF) und der Österreichische Nationalbank (ÖNB) gefördert.