Durststrecken überwinden (Joh.19,28) Liebe Gemeinde, Sisyphos wurde nach einer griechischen Sage wegen seines frevelhaften Lebens dazu verurteilt, in der Unterwelt einen schweren Felsblock einen steilen Hang hinaufzuwälzen. Doch wenn der Stein oben war, rollte er wieder herunter, und die fruchtlose Arbeit mußte von vorn beginnen. Manchmal empfindest du vielleicht auch das, was du tust, als eine Sisyphosarbeit. Du hast dir Mühe gegeben, du hast immer wieder Kraft, Zeit, Liebe und Hoffnung investiert, aber am Ende bist du genausoweit wie vorher. Vielleicht hast du diese Erfahrung auch schon gemacht. Wenn du Kinder hast, hast du monatelang deinem Sprößling eingebleut, dass das Zimmer aufgeräumt werden muß oder der Müll raus muß, aber nichts ist passiert. Immer wieder hast du vielleicht versucht, deinem Ehepartner anzugewöhnen, dass er oder sie pünktlicher sein könnte, aber beim nächsten Mal ist er/sie prompt wieder zu spät. Oder du hast als Hausfrau oder Hausmann gerade den großen Wäscheberg weggebügelt und schwupp ist der Wäschekorb wieder randvoll. Der Stein des Sisyphos liegt schon wieder unten und muß erneut heraufgerollt werden. Oder du hast jemanden zu Hause, den du pflegst und du spürst die großen körperlichen und seelischen Belastungen, die damit einhergehen. Und du fühlst dich an den Grenzen deiner Belastbarkeit, aber keiner will das hören. Und auch dem, den du pflegst, kannst du nichts sagen, ohne verletzend zu sein. Oder du gehörst zu denen, die in der Gemeinde über Jahre viel investiert haben. Jetzt bist du müde und ausgebrannt. Und du fragst dich vielleicht, was es eigentlich gebracht hat. Da fragst du dich vielleicht manchmal: „Wofür mach ich das eigentlich? Es ist doch eh alles umsonst.“ Und dann kann dich die Traurigkeit packen und würgen. Und mancher bekommt davon Depressionen und fragt sich, ob nicht alles vergeudete Zeit war. „Mich dürstet.“ Im griechischen ist das nur ein Wort: „dipso“. Mit trockener Kehle und trockenem Herzen sagt Jesus dieses kürzeste und doch bewegende eine Wort: „Durst“. Nach dem langen Weg über die Verhöre, die Folter und dann bis zum Kreuz ist er am Ende. Gott hat Durst! Gott erleidet Durst. Warum haben die Schreiber der Evangelien das festgehalten? Vielleicht weil sogar dieser kurze Satz „Mich dürstet“ eine tiefe Bedeutung für mich und mein Leben hat. 1. Jesus hatte Durst, damit ich weiß, dass er meinen Lebensdurst versteht. Als einmal eine sehr christliche Reisegruppe in Israel, im Heiligen Land, unterwegs war, haben viele Teilnehmer sehr religiöse Gefühle als sie die Weg nachgehen, den Jesus gegangen ist. Manchmal fliegt ihnen ein "heiliger" Schauer den Rücken hinab, und manchmal ist es fast so, als hätte ein Engelsflügel sie gestreift. Die Reisegruppe zieht durch ein kleines, jüdisches Dorf. Auf der Gasse spielen Kinder im Staub, zerlumpt und mit zerrissenen Kitteln. Unter ihnen ist ein Kleiner mit dunklen Augen, verschmutzt, unter der Nase schaut er besonders unappetitlich aus. Da ruft der Reiseführer den Jungen zu sich und sagt mit Nachdruck: "So hat er ausgesehen!" War das ein Schock! Da war alle religiöse Stimmung verflogen. "So hat er ausgesehen" - wie dieser zerlumpte, verdreckte Junge. Ganz ohne Heiligenschein. In Jesus ist Gott ganz Mensch geworden. Nicht nur ein bisschen, sondern ganz. Wenn seine Mutter seine Windeln wechselte, waren die nicht immer nur leer. Wenn Jesus als Teenager in unserer Zeit Mensch gewesen wäre, hätte er vielleicht auch Clearasil gebraucht, um seine Pickel zu bekämpfen. Wenn man Jesus von einem Arzt hätte röntgen lassen können, dann hätte man festgestellt: Derselbe Knochenbau, dasselbe Nervensystem, derselbe Kreislauf, dasselbe Herz, dieselben Lungenflügel und Nieren, derselbe Darm. Mensch wie wir; da ist nichts, was ihn unterscheidet. Wenn es heiß war, hatte er auch Durst. Wenn es kalt war, hat er auch gefroren. Wenn ihn einer geschlagen hat, hat er den Schmerz empfunden. Wenn einer ihn verletzt hat, dann floss sein Blut. Und als ihn einige ans Kreuz schlugen, starb er. Er war ein Mensch wie wir. In Jesus ist Gott mir unglaublich nahe gekommen. „Mich dürstet!“ – Jesus versteht, wie es ist, wenn ich hungrig oder durstig bin, er weiß aus Erfahrung, was in mir vorgeht, wenn ich mich ärgerem mich allein gelassen fühle, frustriert bin, müde bin, Versuchung erlebe. "Mich dürstet!" Es wirkt ja eher wie eine fast überflüssige Randnotiz. Und doch weisen diese beiden kurzen Wörter darauf hin, dass Jesus am Kreuz ganz nahe bei mir war, ganz Mensch war. Er kennt auch meinen Durst. Jesus hatte Durst, damit ich weiß, dass er meinen Lebensdurst versteht. 2. Jesus hatte Durst, damit mein Durst bei ihm und sein Durst bei mir gestillt wird! Als ich mein Zimmer in der WG in Heidelberg bezogen hatte, war da außer einem Bett, einem Schrank mit ein paar Klamotten, einem Tisch, einem Stuhl und einigen Büchern auf einem Bücherregal nahezu nichts drin. Als ich in ein Studentenwohnheim in Leipzig umgezogen bin, kam da schon ein Sofa, ein Fernseher und ein PC dazu. Die erste eigene kleine Wohnung wollte ich etwas größer und noch etwas schöner haben. Nachdem ich und Annett geheiratet haben, wünschten wir uns eine verbesserte Ausstattung in der Wohnung. Jetzt gab es sogar Vorhänge. Mit dem Umzug nach Sechshelden wuchsen auch die Wünsche nach mehr Komfort. Eine neue Couch und anderes mehr zierte bald unsere Wohnung. Und seit wir hier in Allendorf leben, wollten wir es uns noch schöner machen. Seitdem schwelgen wir nur noch im Luxus mit goldenen Wasserhähnen im Pfarrhaus. Das Auffällige dabei ist: Was heute meinen Durst stillt, lässt mich morgen schon wieder Durst haben. Die Lust an der Shoppingtour, am neuen Auto, an der neuen Beziehung lässt ganz schnell wieder nach. Aber der Durst bleibt. Der Durst nach Leben, nach Anerkennung und Aufmerksamkeit, nach erfüllten und erfüllenden Beziehungen, nach Einfluß und Macht, nach Geld und Besitz bleibt. Aber mein Durst wird dabei nicht gestillt. Jesus hat an einer anderen Stelle im Johannesevangelium in Kap.4,14 gesagt, dass er unseren Durst stillen kann – so, dass wir nie mehr Durst haben müssen: „Wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ Wenn Jesus sagt „Mich dürstet!“, dann ist das nicht nur das körperliche Verlangen nach Flüssigkeit. Durst ist hier auch der Lebensdurst, die Suche nach gelingendem Leben, nach Lebenssinn. Durst heißt: mir fehlt etwas Lebenswichtiges, ich bin nicht vollständig. Im Orient geht es beim dürsten immer um das Verdursten – um Leben und Tod. Wenn Jesus schreit: mich dürstet – dann schreit er in Todesangst und Gottverlassenheit. Hier geht es also darum, dass einer meine Gottverlassenheit und Todesangst wegnimmt. Jesus geht den Weg bis in den Tod. Er nimmt den Durst auf sich, damit ich nie mehr dürsten muss. In Ewigkeit nicht. Wenn ich mich ihm anvertraue, wird mein Lebensdurst gestillt. Kennen Sie die Geschichte von den Seeleuten, die am Ende einer langen Reise nach Südamerika am Verdursten sind? Sie haben das Land fast erreicht - sie wissen, es ist gleich hinter dem Horizont -, aber sie sind zum Tode verurteilt, weil sie kein Wasser mehr besitzen. Im allerletzten Augenblick erscheint ein anderes Schiff. Als es näher kommt und jemand fragt: „Braucht ihr irgendwas?“ schreit die sterbende Mannschaft mit letzter Kraft: "Wasser, Wasser!" Die anderen Seeleute zeigen auf das Wasser um sie herum und machen Zeichen, dass man es trinken kann. Ihr Schiff hat die Mündung des mächtigen Amazonas erreicht, der sein frisches Wasser viele, viele Kilometer hinaus ins Meer trägt. Es gibt Leute, die regelmäßig Gottesdienste besuchen, die mitten zwischen den Quellen des lebendigen Wassers vor Durst umkommen, weil sie nicht wissen, was alles vorhanden ist. Und: Es gibt Leute, die Christen geworden sind, die gerade noch so am Leben bleiben, weil sie nur einmal alle paar Tage oder Wochen von dem lebendigen Wasser trinken. Aber: Muss ich nicht auch dann trinken, selbst wenn ich keinen Durst verspüre? Was hilft uns lebendiges Wasser, wenn wir es nicht trinken? Viel lebendiges Wasser fließt an vielen Menschen vorbei, an jedem von uns, wenn wir nicht merken, dass uns Flüssigkeit fehlt. Jesus verkündete, dass Gott mit seiner Liebe und der Bereitschaft, mit uns einen neuen Anfang zu machen, diesen Durst nach Leben stillen will. Jesus hat Durst, er hat zutiefst Durst nach der Gemeinschaft mit uns Menschen. Bis in die Todesstunde gibt er nicht auf, nach uns Menschen zu suchen. Ihn dürstet es nach mir, danach mit mir verbunden zu sein, danach mir seine Liebe zu schenken, danach mich aus der Gottverlassenheit zu retten. Am Kreuz sind die Rollen vertauscht worden, damit mein Durst nach der Gemeinschaft mit Gott gestillt werden kann. Jesus hat Durst nach mir – auch heute. Jesus spricht: Ich bin der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, dem gebe ich umsonst zu trinken. Ich gebe ihm Wasser aus der Quelle des Lebens. (Offenbarung 21,6) Ich finde Zugang zum lebendigen Wasser durch ihn, der das Wasser des Lebens ist. Ich brauche mich ihm nur voll du ganz anvertrauen, brauche ihn nur zu bitten, dass er mich annimmt, mir meine Schuld vergibt, dass er Herr meines Lebens wird, so wird mir das lebendige Wasser in Jesus geschenkt, wird mir in mein Herz ausgegossen, so wird der Durst meines Lebens gelöscht! 3. Jesus hatte Durst, damit ich anderen zeigen kann, wo es das Wasser gibt, das den Durst stillt. Ein Mann hatte sich in der Wüste verirrt und war vor Durst fast zugrunde gegangen. Er schleppte sich nur noch dahin. Da kam er schließlich an ein vollkommen verlassenes Haus. Vor der verwüsteten, windzerstörten Fassade sah er eine Wasserpumpe. Er stürzte auf sie zu und begann wie verrückt zu pumpen. Aber es kam kein Tropfen Wasser. Dann bemerkte er einen kleinen Krug mit einem Korkstöpsel und einer Notiz daran: „Sie müssen die Pumpe zuerst mit Wasser füllen, mein Freund! Und vergessen Sie nicht, den Krug nachzufüllen, ehe Sie von hier weggehen!” Der Mann zog den Korken aus dem Krug und bemerkte, dass dieser tatsächlich voll Wasser war. Nun begann er mit sich selbst zu ringen: Sollte er wirklich das Wasser in die Pumpe gießen? Was, wenn das nicht funktionierte? Dann hatte er das ganze Wasser verschwendet! Wenn er aber aus dem Krug trank, konnte er zumindest sicher sein, dass er selbst nicht an Durst zugrunde gehen würde. Allerdings würde dann kein nach ihm Kommender mehr Wasser vorfinden! Aber was wäre, wenn er das Wasser tatsächlich aufgrund der mehr als fragwürdigen Instruktion an dem Krug in die rostige Pumpe goss? Eine innere Stimme riet ihm, dem Rat zu folgen und die riskante Entscheidung zu treffen. So machte er sich daran, den ganzen Krug Wasser in die rostige Pumpe zu gießen. Er hob und senkte wie wild den Schwengel und pumpte - und tatsächlich, plötzlich begann das Wasser aus dem Hals der Röhre zu schießen! Jetzt hatte der Mann mehr köstliches, erfrischendes Wasser, als er brauchte. Er stillte seinen Durst, füllte dann den Krug erneut, verkorkte ihn und fügte den Anweisungen auf dem Zettel noch einen Satz in seinen eigenen Worten hinzu: „Glaube nur, es funktioniert! Du musst der Pumpe alles geben, was du hast, ehe du etwas zurückbekommst!” Genau so, bin auch ich eingeladen, wenn ich bei Christus den Durst meines Lebens gestillt habe, anderen zu zeigen, wo die Oase mit der Quelle des frischen Wassers in der Wüste des menschlichen Lebens zu finden ist. Liebe Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Jesus hatte Durst, 1. damit ich weiß, dass er meinen Lebensdurst versteht. 2. damit mein Durst bei ihm und sein Durst bei mir gestillt wird! 3. damit ich anderen zeigen kann, wo es das Wasser gibt, das den Durst stillt.