Predigt aus Anlass der 25-jährigen Verbindung zwischen den Posaunenchören der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde und der Ev. Gemeinde HalleNeustadt Predigttext: Eph.4, 1-6 Liebe Gemeinde, 25 Jahre ist es nun her, dass es zum ersten Mal zu einer Begegnung zwischen den Posaunenchören aus der Frankfurter Nordweststadt und aus Halle-Neustadt kam. Im Mai 1989 besuchten unsere Bläser erstmals die Bläser der Partnergemeinde. Vorausgegangen war ein Besuch des Kantors von Halle Neustadt, Herrn Burkhardt, der heute auch hier ist, bei Erwin Trümner, bei dem das Treffen der Posaunenchöre eingefädelt wurde. Aus der ersten Begegnung ist eine bis heute bestehende Verbindung erwachsen. Schön, dass wir sie nun ihr 25-jähriges Bestehen gemeinsam feiern dürfen. Von der bevorstehenden Wende ahnte damals noch niemand etwas. Ich selbst erinnere mich auch noch sehr gut an diese Zeit, da ich ebenfalls im Mai 89 von Heddernheim aus in unserer damaligen Partnergemeinde in der Lutherstadt Eisleben weilte. Auch da war von einer Wendestimmung noch nichts zu spüren. Allerdings ist mir noch sehr gut in Erinnerung, wie damals nach unserer Rückkehr die ersten Meldungen von der Öffnung des Grenzzauns in Ungarn durch die Nachrichten gingen. Trotzdem hat auch da wohl kaum jemand damit gerechnet, dass ein paar Monate später, am 9. Oktober 1989, zehntausende von Menschen im Osten Deutschlands auf die Straße gehen und mit ihrem Mut den Fall der Mauer herbeiführen würden. Heute ist das schon wieder Geschichte, aber ich finde es doch bemerkenswert, dass unsere Feier der Posaunenchor-Partnerschaft mit diesem Erinnerungsdatum zusammenfällt. Noch bemerkenswerter finde ich, dass der für heute vorgeschlagene Predigttext um Worte kreist, die damals eine wichtige Rolle gespielt haben und wie die Faust aufs Auge zum heutigen Anlass passen. Einheit – Einigkeit – ein Band des Friedens, das uns miteinander verbinden soll: das sind die Stichworte, die wir gleich hören werden im Predigttext – aus dem Eph.-Brief, Kap. 4: 4,1 So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, 2 in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe 3 und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: 4 ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; 5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; 6 ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. 1. „Wir sind ein Volk“ und „Deutschland, einig Vaterland“ - das waren die Rufe bei den großen Montagsdemonstrationen in Leipzig vor 25 Jahren, die schließlich zum Fall der Mauer führten. Die Bilder von den Tagen nach der Öffnung der Grenzen, an denen sich wildfremde Menschen in die Arme fielen und die wiedergewonnene Einheit miteinander feierten, werden unvergesslich bleiben für alle, die diese historischen Momente miterlebt haben. Was wir – Deutsche in Ost und West – erst lernen mussten: dass diese plötzlich greifbar gewordene Einheit sich nicht festhalten lässt. Dass sie gestaltet werden muss und dass dieser Prozess Zeit und Geduld braucht. Und dass sie bewahrt werden muss, weil sie immer wieder bedroht ist durch auseinanderstrebende Interessen und Konflikte. Bewahrt werden aber kann sie am Besten durch die direkte Begegnung von Menschen. Dadurch, dass man gemeinsam etwas tut und die dabei entstehenden Beziehungen pflegt. Dass man immer wieder aufeinander zugeht und die Verbindung nicht abreißen lässt. Genau das ist es, was Sie, die beiden Posaunenchöre, in vorbildlicher Weise getan haben. Das Band, das Sie, das Euch miteinander verbunden hat über so viele Jahre hinweg, ist die Musik. Mit den gegenseitigen Besuchen hüben und drüben habt ihr dieses Band immer wieder neu und weiter geknüpft und damit euren Beitrag zur Wahrung und Gestaltung der vor 25 Jahren errungenen Einheit geleistet. 2. Die Einheit und Einigkeit bewahren und gestalten: darum geht es auch in unserem Predigttext, den wir eben gehört haben. Nur dass hier von der im Glauben verwurzelten Einheit und Einigkeit die Rede ist - der Einheit und Einigkeit unter Christinnen und Christen also. Mit der war es schon damals, zuzeiten des Paulus, nicht immer so gut bestellt. Nach der anfänglichen Euphorie über das neue Miteinander unterschiedlicher Menschen kehrte auch da irgendwann Ernüchterung ein. Es drohte das Übliche, das wir so kennen aus eigener Erfahrung: Streitigkeiten, Abgrenzungen, unterschiedlichen Glaubensformen, Grüppchenbildung. Der Zusammenhalt drohte verloren zu gehen, die Gemeinde in verschiedene Lager auseinander zu fallen. Wie gesagt: bis heute kennen wir das. Die Kirche ist zersplittert in zahlreiche Konfessionen und Glaubensrichtungen. Und auch in einer Gemeinde herrscht nicht immer nur Einigkeit. Wie schnell kann das Gefühl der Zusammengehörigkeit verloren gehen – man sieht nur noch sich und seine Bezugsgruppe fühlt sich nicht mehr als Teil einer größeren Gemeinschaft. Wie schnell ist nichts mehr zu spüren von einem gemeinsamen Geist, der die unterschiedlichen Menschen und Gruppen miteinander verbindet. Das ist eine große Gefahr, vor der keine Gemeinschaft gefeit ist – auch wir nicht. Genau dieser Gefahr will Paulus entgegentreten in seinem Brief an die Gemeinde in Ephesus. Und darum beschwört er förmlich die Mitglieder der Gemeinde, sich wieder auf das zu besinnen, was sie miteinander verbindet: die gemeinsame Mitte in Gott, die gemeinsame Zugehörigkeit zu Christus, die durch die Taufe begründet ist, und den gemeinsamen Geist, der unter Christinnen und Christen spürbar sein soll. Die Einheit, die Paulus beschwört, ist eine besondere: eine, die wir nicht selber begründen und herstellen müssen, sondern eine, zu der wir „berufen“ sind, wie es so schön im Predigttext heißt. Durch die Taufe, durch unseren Glauben, durch unsere Zugehörigkeit zur Kirche (lat. „ekklesia“ = die „Herausgerufene“) sind wir in eine neue Gemeinschaft hineingestellt: nämlich eine Gemeinschaft, die sich nicht von irgendwelchen äußeren Merkmalen herleitet, wie etwa gleiche Volkszugehörigkeit, oder sozialer Status - sondern von einem gemeinsam inneren Bezugspunkt: „ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung - ein Herr, ein Glaube, eine Taufe - und ein Gott, den wir Vater nennen dürfen“ das ist es, was uns zusammenführt und zusammenhält: unabhängig von unserer Herkunft, unserer Nationalität, unserem Alter, unserem Geschlecht, oder unserer individuellen Verschiedenheit. Wo ihr zusammen kommt, da soll etwas von diesem einigenden, verbindenden Geist zu spüren sein, So hat es Paulus damals der Gemeinde in Ephesus eingeschärft. Und so hören wir heute auch seine Mahnung an uns: Lebt so, dass man etwas merkt von der euch geschenkten Zusammengehörigkeit in Christus. Denn wenn das nicht mehr spürbar ist, dass euer gemeinsamer Bezugspunkt der Glaube an Jesus Christus ist, dann könnt ihr euren Laden dicht machen. Gerade daran, wie ihr als Christinnen und Christen miteinander und mit anderen Menschen umgeht, müssen andere etwas ablesen können von eurem Glauben. Darum ist es wichtig, dass ihr bei allem, was ihr tut, die größere Gemeinschaft und die größere Verbundenheit mit Gott und miteinander im Blick behaltet. Darum ist es wichtig, dass bei aller Verschiedenheit ein gemeinsamer Geist unter euch zu spüren ist. 3. Ein gemeinsamer Geist: heute weiß im Grunde jeder Fußballtrainer, dass seine Mannschaft so etwas braucht. Und dass man sie immer wieder daran erinnern, darauf einschwören muss. Um den gemeinsamen Geist muss man immer wieder ringen. Das gilt für jede Schulklasse, für jeden Posaunenchor, für jede Theatergruppe, für jede Gemeinde. Nichts anderes ist es, was Paulus hier tut. Was macht den gemeinsamen Geist einer christlichen Gemeinde aus? Die Stichworte dazu leitet Paulus aus der Botschaft Jesu ab: „Demut“, „Sanftmut“, „Geduld“ und „Liebe“, das sind für ihn sozusagen die Zutaten für den Geist einer christlichen Gemeinschaft. Keine ganz einfachen Zutaten vielleicht für manche von uns. Klingt das nicht schon wieder nach einem unrealistischen piep, piep, piep, wir hab‘n uns alle lieb?? Liebe, klar, darum bemühen wir uns alle, aber man kann doch nicht immer nur geduldig und sanftmütig sein. Manchmal platzt uns eben auch mal der Kragen. Man kann auch nicht immer nur zurückstecken und verzichten, was man gemeinhin unter Demut versteht. Manchmal muss man doch auch mal sagen dürfen: jetzt bin ich mal dran! Das ist alles richtig. Es kann in der Kirche nicht darum gehen, sich gegenseitig zu neutralisieren und Konflikte untern Teppich zu kehren. Es muss auch mal möglich sein, miteinander zu streiten. Die Frage ist glaube ich eher, wie wir das tun. Ob wir uns gegenseitig beschimpfen, wie es Politiker manchmal gerne tun, oder einander respektvoll behandeln. Ob wir nur immer unseren Willen oder unser vermeintliches Recht durchsetzen wollen, oder auch bereit sind, Kompromisse zu schließen. Und vor allem: ob wir uns trotz gegensätzlicher Positionen dennoch als Teil einer größeren Gemeinschaft verstehen, die von einem anderen zusammengehalten wird: Jesus Christus, der uns gerade in unserer Unterschiedlichkeit annimmt und liebt. „Einheit, Einigkeit im Glauben“ - das hat für mich – und ich glaube, auch für Paulus - nichts mit einer falsch verstandenen Harmonie zu tun, auch nicht mit einer Gesinnungsgemeinschaft, wie sie etwa in einer Partei oder in einem Verein gepflegt wird. Sondern es geht um die Gestaltung und Verwirklichung von etwas, was eigentlich ein Widerspruch in sich selbst zu sein scheint, und darum oft für unmöglich gehalten wird: nämlich einer „Einheit in der Vielfalt“. „Einheit in der Vielfalt“, das heißt: ganz unterschiedliche Menschen, mit unterschiedlichen Gaben und Fähigkeiten, unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen, sind Teil einer größeren Gemeinschaft - über alle Grenzen und Verschiedenheiten hinweg miteinander verbunden durch einen gemeinsamen Glauben, durch die gemeinsame Ausrichtung auf ein höheres Ziel hin, das Jesus „Reich Gottes“ nennt. Für mich ist das tatsächlich das Einzigartige an Kirche: dass hier zusammenwachsen kann und soll, was in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben ursprünglich oft nicht zusammengehört - aber eben durch einen den Geist Jesu miteinander verbunden wird: Starke und Schwache, Einheimische und Fremde, Alte und Junge, Behinderte und Nichtbehinderte, Zweifelnde und Glaubensstar- ke - alle sollen dazugehören zu dieser Gemeinschaft und einen Platz darin haben, verbunden durch ein „Band des Friedens“. Darin besteht für mich die Verheißung, die Chance - aber auch immer wieder die Herausforderung von Kirche: dass Menschen in diesem Geist tatsächlich zu einer Gemeinschaft werden können, in der sie sich gegenseitig stärken, stützen, trösten und Mut machen - auch wenn sie noch so verschieden untereinander sind. Dieses Modell von Zusammenleben miteinander einzuüben, das ist unser Auftrag und unsere Berufung, an die uns Paulus mit dem heutigen Predigttext erinnern will. 4. Unser Auftrag als Christinnen und Christen geht sogar noch einen Schritt weiter. Wir sollen mit unserem Modell von Gemeinschaft hineinwirken in unsere Umgebung, in unsere zerrissene Welt. Gegen Tendenzen von Ausgrenzung in unserer Gesellschaft setzen wir die Haltung, Menschen ohne Ansehen von Herkunft und Religion Wertschätzung und Respekt entgegen zu bringen. Gegen jeden Versuch, Menschen zu spalten oder gegeneinander aufzuhetzen, setzen wir unser Bemühen, ein Band des Friedens zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen zu knüpfen. Und gegen den Wahn von selbsternannten Gotteskriegern, die im Namen einer zur Haßideologie pervertierten Religion alles niedermachen, was nicht in ihr krankes Schema passt, setzen wir den Geist der Freiheit, der die Vielfalt unter den Menschen nicht nur zulässt, sondern als Reichtum anerkennt. Ein Volk aus vielen unterschiedlichen Völkern – dazu hat uns Gott berufen. Dafür einzustehen und mit gutem Beispiel voranzugehen, dazu fordert uns der heutige Predigttext auf. Als Christinnen und Christen wissen wir, dass wir dafür über unsere eigenen Bemühungen hinaus den Geist Gottes brauchen, der uns miteinander verbindet und immer wieder gelingende Erfahrungen der Gemeinschaft, der Einheit in der Vielfalt schenkt – so wie heute in diesem Gottesdienst.