Wir haben euch Flüchtlinge nicht vergessen

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„Wir haben euch Flüchtlinge nicht vergessen“
Die Erfolge des multinationalen Militärbündnisses gegen die Terrormiliz Boko
Haram im Nordosten Nigerias geben Anlass zur Hoffnung, dass die Islamisten
besiegt werden könnten. Trotzdem bleiben die Lage im Land und insbesondere
die Situation der Flüchtlinge angespannt. Nach der Präsidentenwahl am 28.
März warten deshalb große Herausforderungen auf die neue Regierung.
Von Eva-Maria Werner, Internationales Katholisches Missionswerk missio Aachen
(Aachen, den 19. März 2015). Nigeria wählt am 28. März einen neuen Präsidenten
und ein neues Parlament. Der ursprüngliche Wahltermin 14. Februar war um sechs
Wochen verschoben worden. Als Grund nannte die nigerianische Wahlkommission
Bedenken des Militärs, das wegen seines Einsatzes gegen Boko Haram nicht in der
Lage gewesen sei, die Sicherheit der Wahlen zu gewährleisten. Mittlerweile konnte
die islamistische Sekte, die gemeinsam mit Teilen der Nachbarstaaten einen
grenzübergreifenden islamischen Staat errichten wollte, an vielen Orten
zurückgedrängt werden. Der Bischof der Diözese Sokoto im Nordwesten Nigerias,
Matthew Hassan Kukah, ist der Ansicht, dass die Erfolge der vergangenen Wochen
zu 75 Prozent den Soldaten aus den angrenzenden Staaten zu verdanken sind. Ihr
Einsatz könne dazu beitragen, Boko Haram endgültig zu besiegen. Den Treueschwur
der Terrormiliz gegenüber dem „Islamischen Staat“ (IS) bezeichnet der Bischof in
einem Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur KNA als reine Propaganda
und „letztes Aufbäumen eines sterbenden Pferdes“. Auch der Bischof der Diözese
Yola, Stephen Mamza, zeigt sich optimistisch: „Die Menschen sind voller Hoffnung.
Es gibt fast jeden Tag Erfolgsmeldungen.“
Flüchtlinge wollen vorerst nicht zurückkehren
Zu der Erleichterung über das Zurückdrängen von Boko Haram kommt allerdings die
zunehmende Sorge um die Situation der bis zu 1,5 Millionen Menschen, die
innerhalb Nigerias oder in Nachbarländern auf der Flucht vor Boko Haram sind.
Bischof Stephen Mamza, dessen Diözese Yola 70 Prozent der Flüchtlinge aus der
am schlimmsten vom Terror betroffenen Diözese Maiduguri aufgenommen hat,
beklagt menschenunwürdige Zustände. Es fehle an Nahrung, Decken,
Medikamenten, Sicherheit. Seine Diözese fühle sich mit dem Flüchtlingsansturm
überfordert. Ähnlich prekär ist die Situation in den Flüchtlingslagern in Nordkamerun,
in denen 36.000 Menschen Zuflucht gefunden haben. Eine Delegation nigerianischer
Bischöfe hat die Lager Anfang März besucht, um sich ein Bild über die Lage zu
verschaffen und hat den Flüchtlingen versichert: „Wir haben euch nicht vergessen.“
Mit Hilfe von missio verteilen Mitarbeiter des Bistums Yola Hilfsgüter an die
Flüchtlinge. Die nigerianische Regierung hat mittlerweile umgerechnet 236.872 Euro
für die Flüchtlinge in Kamerun zur Verfügung gestellt, die nigerianische
Bischofskonferenz weitere 47.200 Euro. Weil die Flüchtlinge den Ausbruch von
Gewalt nach den Wahlen fürchten, zögern sie jetzt, in befreite Dörfer
zurückzukehren. „Die meisten wollen nicht vor dem 29. Mai zurückgehen, dem Tag
der Amtsübergabe an eine neue Regierung“, sagt Bischof Mamza.
Boko Haram agitierte zuerst nur gegen Armut und Korruption
Nigeria ist mit 177 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas.
Etwa 50 Prozent der Bevölkerung bekennt sich zum Islam, 40 Prozent zum
Christentum und etwa zehn Prozent sind Anhänger traditioneller afrikanischer
Religionen. Nigeria ist führender Ölproduzent des afrikanischen Kontinents - doch die
Bevölkerung profitiert nicht davon. Weite Teile leben perspektivlos in Armut. Die
Gruppe Boko Haram gründete sich 2002 auch mit dem Anliegen, diese Verhältnisse
zu beseitigen: Für sie trug der Westen mit Schuld an der Armut. Ihre Mitglieder, die
sich „Anhänger der Verbreitung der Lehren des Propheten und des Heiligen Krieges“
nennen, predigten damals auch aus diesem Grund gegen den westlichen Einfluss im
muslimisch dominierten Norden des Landes und für die Einführung eines islamischen
Staates. Aber sie begingen noch keine Gewalttaten.
Erst nach der Ermordung ihres Anführers Mohammed Yussuf 2009 radikalisierte sich
die Gruppe und begann, Anschläge zu verüben. Zunächst auf staatliche Einrichtungen, später auch auf Christen und gemäßigte Muslime. Während Boko Haram
anfangs mit spektakulären Entführungen und überfallartigen Attacken von sich reden
machte, hatte die Gruppe Anfang des Jahres ihre Taktik geändert. Sie griff nun
ganze Regionen und Städte an und rief nach dem Vorbild des IS ein Kalifat aus. Seit
2009 soll Boko Haram insgesamt mehr als 13.000 Menschen getötet haben. Allein in
der Diözese Maiduguri im Nordosten Nigerias sind nach missio-Informationen von
125.000 Katholiken 100.000 auf der Flucht, mehr als 2.600 Christen wurden
ermordet, 22 Pfarrkirchen, 30 Missionsschulen und sechs kirchliche Krankenhäuser
zerstört. Das nigerianische Militär schien lange machtlos angesichts des Terrors. Erst
mit dem Eingreifen des Militärbündnisses änderte sich die Lage. Mittlerweile hätten
die Islamisten 90 Prozent ihres Territoriums verloren, sagt Bischof Kukah. Auf dem
Hintergrund der Historie von Boko Haram, weisen die katholischen Bischöfe aus
Nordnigeria immer wieder darauf hin, dass der Konflikt kein Religionskrieg ist. Ihrer
Ansicht nach haben die politischen Eliten Nigerias und der Staat bei der
Armutsbekämpfung und der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit versagt.
Präsident Goodluck Jonathan empfinden Muslime als Zumutung
Im seit 1999 demokratischen Nigeria hat zwölf Jahre lang ein christlicher Präsident
aus dem Süden regiert, nur drei Jahre lang ein Muslim aus dem Norden. Die erneute
Kandidatur von Präsident Goodluck Jonathan, der ein Christ ist, empfinden viele im
Norden als Zumutung, zumal sich seine Regierung als unfähig erwiesen hat, für
Sicherheit und Wohlstand im Land zu sorgen. Angesichts der angespannten Lage
hat Papst Franziskus sich am 18. März in einem Brief an die nigerianischen Bischöfe
gewandt. Er dankt darin allen kirchlichen Mitarbeitern aber auch Laien für ihren
Einsatz in den vergangenen Monaten und schreibt: „Werdet nicht überdrüssig zu tun,
was richtig ist. Begleitet die Opfer! Kommt den Armen zu Hilfe! Bildet die Jugend!
Fördert eine gerechtere und brüderlichere Gesellschaft!“
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Hinweis für weitere Informationen zu Ihrer Berichterstattung:
Einen ausführlichen Hintergrundbericht zur Entstehung von Boko Haram finden Sie
unter missio-hilft.de/bokoharam im Internet (Autorin: Bettina Tiburzy). Weitere
Informationen zu Nigeria, Länderberichte, Menschenrechtsstudien und aktuelle
Stellungnahmen der Bischöfe finden Sie unter www.missio-hilft.de/nigeria auf der
Homepage von missio Aachen und dem Blog www.bedraengte-christen.de. Sie
können unter jeweiliger Autoren- und Quellenangabe Internationales Katholisches
Missionswerk missio Aachen das Material honorarfrei verwenden.
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