Haug, Frigga, 2007: „Revolutionäre Realpolitik“. In: Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik. Hamburg. S. 57-94 Zweites Kapitel Revolutionäre Realpolitik Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie Es geht nicht darum für oder gegen das Parlament zu sein, sondern „um die geistige Revolutionierung der Massen“. (60) Theoretische Annäherung Problem mit Bernstein: dass er die „Sozialreform als Selbstzweck fasse und so der praktische Tageskampf der Sozialdemokratie in letzter Linie überhaupt jede Beziehung auf den Sozialismus verliere“. (62) „Es gibt einen spannungsreichen Vermittlungszusammenhang zwischen Nah- und Fernziel. In der heutigen innerlinken Auseinandersetzung, ob die einzelnen Schritte für sich als links oder rechts beurteilbar wären, ist Luxemburgs Argumentation hilfreich. Man kann in jeder Diskussion überrumpelt werden dadurch, dass die eigenen Positionen in einzelnen Fragen plötzlich in einem Kontext auftauchen, der als konservativ identifizierbar ist. So z.B. kann die Forderung aus der Frauenbewegung nach Anerkennung von Hausarbeit für sich genommen ebenso in den Kontext einer alternativen Organisation von Gesellschaft eingepasst werden wie in eine konservative Politik der Festigung der Kleinfamilie mit den alten Arbeitsteilungen oder in das neoliberale Projekt zur Zukunft der Arbeit. Wesentlich ist also der Bezug zum Fernziel, die sozialistische Perspektive. Das bestimmt, wie mit den einzelnen tagespolitischen Fragen umgegangen wird.“ (62) Umgang mit Widersprüchen Widersprüche, in die sich die Gesellschaft verwickelt und in denen Politik zu machen ist. (63) „Notwendige Dimension revolutionärer Realpolitik ist der Bezug der Tagesaufgaben auf das sozialistische Fernziel.“ (63) Tagesaufgabe, die Verbesserung der Massen ist selbst keine sozialistische Politik – für sozialistische Parlamentarier schwierig; zugleich ist ebendiese reformerische Tagespolitik zugleich Mittel, Element, ja Notwendigkeit, um sich dem Ziel der gesellschaftlichen Umgestaltung in sozialistischer Perspektive zu nähern.“ Lösung des Paradoxes in der Vorstellung Luxemburgs von Politik und ihrer Auffassung der Subjekte, der ‚Masse‘: „Politik von unten“, „Menschen in kapitalistischen Verhältnissen, die sich selbst überzeugen müssen, aktiv für die Umwälzung ihrer gesellschaftlichen Bedingungen einzutreten. Dies kann nur dadurch geschehen, dass sie bewusst politische Erfahrungen machen.“(63) 1 Standpunkt und Perspektive „Endziel“: „das Wort suggeriert eine mechanische Gewissheit und einen Abschluss. Liest man aufmerksam, so findet man zugleich eine Historisierung, die aber immer noch eine Vorstellung von Sozialismus als Ziel begreift, nachdem die Widersprüche und Kämpfe zu einem Ende gekommen sind.“ (64) „In der Akkumulation des Kapitals polemisiert sie gegen diejenigen, die aus dem Fall der Profitrate den Zusammenbruch errechnen wollen.“ (65) Statt „Endziel“: sozialistische Perspektive, Fernziel, utopischer Horizont W.F. Haug: Aussagen über Endziel als welche über Tendenzen. Diese Begriffe stellen keine undialektischen Gewissheiten dar, sondern stehen „in einem widersprüchlichen Zusammenhang, sind also Begriffe, die das Agieren in Widersprüchen transportieren sollen.“ (66) Es geht um die Formierung der Menschen zur „klassenbewussten Volksmasse“, darum, den von der Reformpolitik gewonnen Arbeitermassen klarzumachen, dass der Frieden trügerisch ist, dass gerade die Erfolge den bürgerlichen Staat festigen: „Kampf um Hegemonie“, „geistige Revolutionierung der Massen“ - dies wird als langwieriger praktischer und theoretischer Selbstbewegungsprozess gedacht, der schließlich auch in einer praktischen Übernahme zu enden hätte, in einem revolutionären Akt. (66f) Zusammenwirken von Masse und Führung, reformerischer Tagespolitik als Praxisfeld, der Kampf auf dem Boden der Demokratie und um sie kann nur als Zusammenhang begriffen werden. „Im Bestehenden muss Politik gemacht und politische Handlungsfähigkeit errungen werden in der Perspektive einer großen Veränderung.“ (67) Einschätzung der Produktionsweise, wesentliches Charakteristikum ist die Entwicklung der Produktivkräfte – Neuerungen und Errungenschaften. Analyse des zentralen Widerspruchs kapitalistischer Gesellschaften: das Ineinander von Vergesellschaftung im Sinne einer Weiterentwicklung zu immer mehr Möglichkeiten eröffnenden Formen des Produzierens und Zusammenlebens und andererseits von Formen der Ausbeutung und Zerstörung. Affirmation der Entwicklung der Produktivkräfte, ohne zugleich die brutale Durchführung zu übersehen. (67) Standpunkt von dem aus Politik gemacht wird: Einerseits der Standpunkt des „materiellen Tageserfolges“ andererseits der „der geschichtlichen Entwicklungstendenz“. (68) 2 Beispiel: Politik gegen die Schutzzölle. (68) Doch immer noch Politik unter bestehenden Herrschaftsverhältnissen und daher selbst auch eine Form, die mit beherrschten Subjekten rechnet und mit Brüchen im politischen Alltag. Keinesfalls sozialistische Politik, wie sie für den Aufbau einer alternativen Gesellschaft konzipierbar wäre. (69) Zur Methode: die Scheidemünze der Tagespolitik Theoretische Leitlinien in praktische Politik übersetzen. (69) Revolutionäre Realpolitik zunächst als Aufklärung und Information über die „Fortschritte“ der Gesellschaft. Es gilt den ihnen innewohnenden, die Menschheit bereichernden Teil herauszuarbeiten und die besonderen gewalttätigen Anteile dem Zorn und der Empörung der Bevölkerung preiszugeben. (69f) Analyse und Veröffentlichung Bereitet die nötige Basis für überraschende Fragen, die dann auf der Ebene des Alltagsverstandes gestellt werden können. Keine Anklage der Ungerechtigkeiten (70), sondern Verstrickung der Bevölkerung in die Widersprüche des Systems selbst. (71) Ringen auf der Ebene der Hegemonie der herrschenden Klasse Nicht moralisch Keine Anrufung der Solidarität Knüpft an hegemoniales Zustimmungsfähiges an, nimmt dieses beim Wort, zeigt, dass dies nicht stimmt. Politik keine Sache logisch-mechanisch-geradliniger Argumentation und theoretischer Bemessung „Vielmehr geht es immer und überall darum, das Volk zu beteiligen (gedanklich, Hans), als säße es selbst in der Regierung.“ (71) „Das Mittel ist nicht die Belehrung, sondern die bestimmte Information. Angeknüpft wird an Bestandteile im Alltagsverstand.“ (71f) Nicht einfach dagegen (gegen die Anti-Arbeiterpolitik der Regierung) diskutieren, sondern „einen Nutzen für die Arbeitenden herauslösen. (72) Jede Einmischung von oben ist auch eine Einlassung, eine Vermischung, bei der die Unteren immer auch gewinnen können. Beispiel: „Reichsstatistik“ : keine Boykott, sondern Umfunktionalisierung. (72) 3 Eine weitere Form der Einmischung ist der Versuch, „die inneren Widersprüche des Kapitalismus vom Standpunkt des Volkes zuzuspitzen“ (73). Grundannahme: die kapitalistische Produktionsweise ist selbst revolutionär und innovativ, stößt aber an Grenzen. Die kapitalistische Entwicklung „streitet“ immer auch gegen alte Besitztümer und Privilegien, gegen „Feststehendes“ und drängt zu neuen Formen. Staat tritt u.U. zum Schutz alter Kapitalfraktionen an. „Revolutionäre Politik muss hier mithin gegen den Staat und für neue Entwicklungen im Kapitalismus gemacht werden.“ (73) Revolutionäre Politik als „fortwährende Annäherung an sozialistische Produktions- und Vergesellschaftungsweisen.“ „Revolutionäre Realpolitik setzt Realwidersprüche voraus. entfaltet sich in ihnen.“ Diese setzen sich in die Politik fort. „Es muss ein Modus gefunden werden, selbst widersprüchliche Politik zu machen.“ (73) !? Veraltete Redeweisen für die Notwendigkeit der Machtergreifung durch das „Proletariat“ (73). Zuvor allerdings folgender Gedankengang: Reformpolitik ist nötig, um die Lage der Arbeiterklasse zu verbessern und um die Zustimmung der Arbeitenden zu bekommen – doch zugleich festigt dies den Kapitalismus und schädigt so langfristige Interessen der Arbeiterklasse. – Dennoch kein Abgehen von Reformpolitik. (74) Kapitalismus ist nicht einfach gut oder schlecht, sondern in sich widersprüchlich, ohne ihn keine Entwicklung dorthin, wo die sozialistische Perspektive real werden kann. „Der Kapitalismus also bringt die Momente hervor, die eine sozialistische Gesellschaft möglich machen.“ (74) Zitat Luxemburg: >>Tatsächlich gibt der Kapitalismus neben und zugleich mit den Hindernissen auch die einzigen Möglichkeiten, das sozialistische Programm zu verwirklichen. Dasselbe gilt aber auch vollkommen auch in Bezug auf die Demokratie.<< Keine falsche Entgegensetzung von Revolutionärer Politik und → sozialreformerischer, demokratische, Realpolitik Eine solche Entgegensetzung verdankt sich einer falschen Analyse der kapitalistischen Produktionsweise und der ebenso falschen Einschätzung des Proletariats: „Politik muss im Kapitalismus gemacht werden mit dem >>beherrschten Proletariat und nicht dem siegreichen<<“. (74)j Das bedeutet aber auch, dass „Politik für die Arbeiter zugleich gegen sie gemacht werden muss, dass also (→?) ein Kampf um die Köpfe und Gefühle ebenso Bestandteil von revolutionärer Realpolitik sein muss.“ (74) [wie steht es mit dem Widerspruch von kurz- und langfristigen Interessen? Hans) 4 Widersprüche bestimmen (75) - die gesamte kapitalistische Entwicklung die Wirkung der Produktivkräfte den technischen Fortschritt Interessen einzelner Arbeitergruppen, Gewerkschaften, die sich Neuerungen widersetzen handeln gegen die Interessen der Arbeiterklasse im Ganzen. Revolutionäre Realpolitik ist Kampf um die Hegemonie in der Bevölkerung (75) Skepsis bzw. Kritik Luxemburgs bezüglich Bündnissen, als Bündnisse von Repräsentanten. (75) Das Ringen um Hegemonie muss mit dem moralischen Einverständnis der Massen mit der herrschenden Kultur und deren moralischen Urteilen rechnen. (75) Beispiel: „Reichtum bringende Kriege“ oder „Anti-Trunksucht-Kampagne“ der Regierung. Trunksucht: Luxemburg geht davon aus, dass Enthaltsamkeit als moralische Forderung konsensfähig ist. Moralanklagen könnten also die Subalternen im Selbstwertgefühl treffen. Hingegen versucht Luxemburg den Sittenverfall der Oberen vorzuführen. „Die Oberen werden unglaubwürdig und das Selbstbewusstsein des Volkes wird gefestigt.“ (76) Das ist realpolitische Agitation. (76) bei der die Vorstellung gestärkt wird, dass das Volk „seine eigene Gesellschaft in seine eigenen Hände nehmen muss“. Eine weitere Form solcher Agitation, die ebenfalls auf das Rechtsbewusstsein im Alltagsverstand setzt ist die „vergleichende Betrachtung des >geltenden Gesetzes<“ (76) Beispiel: Luxemburg Kritik der Ausfallsversicherung bei Hypothekarschulden. Im Gegensatz zu landläufiger linker Kritik am Recht, die nachzuweisen versucht, dass das herrschende Recht Klassenrecht ist, wählt Luxemburg eine „Darstellungsweise, die solche Schlussfolgerungen der Arbeit des gesunden Menschenverstandes überlässt. Insofern sind ihre Artikel als Anordnung zum Selber-Denken und zur Selbstschulung gebaut.“ (77) Außerdem: Zahlen-Daten nicht für bare Münze nehmen, sondern ihre im Durchschnitt verschluckte Verteilung als unterschiedliche Tendenzen in der Gesamtentwicklung entschlüsseln: Methode Vergleich. Methoden, die dem Alltagsverstand unmittelbar zugänglich sind. Beispiel: Beamtenstatistik Informationen und Aufklärung über Tendenzen und Probleme im Kapitalismus zur Verbreitung der Auffassung „dass in die Ökonomie politisch eingegriffen muss.“ (78) Ein weiteres Mittel ist die ironische Überspitzung. Beispiel: Kritik am „Völkerfrühling“ nach dem 1.WK (78) 5 Zusammenfassung „Voraussetzung für die Entwicklung revolutionärer Realpolitik ist eine wissenschaftliche Analyse und fortwährendes genaues Studium der Entwicklungen in der kapitalistischen Produktionsweise“ (79) Grundannahme: Bewegung im Kapitalismus widersprüchlich – bis zu einem gewissen Grad kann sie den Entwicklungsinteressen des Volks gemäß sein – umgekehrt können Gewerkschaften und staatliche Gesetze dem Fortschritt entgegenstehen. Revolutionäre Realpolitik wird im herrschenden Staat gemacht. Benötigt wird: Parlament, bürgerliche Demokratie ebenso wie außerparlamentarische Aktion. Presse und Öffentlichkeit. Es geht darum: Wissen und Informationen über die reale Entwicklung zu verbreiten und um Hegemonie zu ringen. ABER SO, dass „begreifendes Erkennen als selbsttätiger Prozess möglich wird.“ (79) Das Volk solch muss sich mit den Informationen selbst überzeugen können. Ansatzpunkte sind das „beherrschte Volk“ und sein Sinn für Gerechtigkeit und Moral im Alltagsverstand. Entwicklung politischen Selbstdenkens mit dem Ziel die politische Macht zu übernehmen. Schulung, Vorbereitung auf Regierungsgeschäfte in sozialistischer Perspektive. Insofern berichtet sie nicht in erster Linie über Elend und Ausbeutung, sondern „sie gibt Informationen, die für ein Volk an der Regierung wichtig wären.“ (79) Mittel: Verbreitung von Wissen; Entschlüsselung einer vielseitigen Lesbarkeit von Information; Aufdeckung innerer Widersprüche des Systems; Vorführen der positiven Entwicklungen; Seiten im Kapitalismus; auch wenn diese spontan gegen die Arbeitenden gerichtet sind; Aufzeigen der gespaltenen herrschenden Moral; Aufzeigen des Unterschieds von politischen Formationen die sich gegen die Folgen bzw. gegen die Wurzel der Gesellschaftsordnung richten; Vergleich als quasi sozialwissenschaftliche Methode in der Berichterstattung. Luxemburg setzt beim Alltagsverstand, bei Sprichwörtern, Wortspielen, Metaphern aus dem Haushalt und Ähnlichem an. Ziel und Wirkung: Transport von Alltagserfahrungen in große Politik (79) Sprache fungiert hier als „Bewegungsmedium mit stets wechselnden Bedeutungen“ (80) Politik und Regierungspolitik wird mittels Sprache und ihrer Bilder verständlich gemacht. (80) Anhand von Lukacs Realpolitik, die den Utopismus zurück ins real Mögliche holt. (81) Parallelen zwischen Gramsci und Luxemburg Auffassung von Politik, vom Volk, von der Gewinnung der Menschen, ihrer Selbstverwandlung von subalternen Mitgliedern der Gesellschaft in Menschen, die ihre Gesellschaft gestalten wollen und müssen = revolutionäre Realpolitik. (80) 6 Mit der Erfahrung der Menschen arbeiten, sich auf sie stützen. Gramsci entwickelt ein Konzept politischen Lernens. Die Politik der Oberen studieren, um die Perspektiven einer möglichen Gegenhegemonie zu erarbeiten. (80) Ähnlich wie mit der Alkoholfrage umgegangen wird. „psychologischer Bruch“, Moraldiskrepanz in der Gesellschaft zwischen Oberen und Unteren. (83, 84) Der widersprüchliche Zusammenhang von Arbeits- und Lebensweise bietet „die Möglichkeit der Herausbildung neuer Menschen zu studieren: 1. Als subjektive Tat, 2. Als bestimmt durch Veränderungen in der Arbeitsweise (Entwicklung der Produktivkräfte), 3. durch die ideologische Interventionen in der Arbeitswelt, 4. Ideologische staatliche Kampagnen , in denen Traditionen und Herkömmliches angesichts neuer Erfordernisse zu quasi weltanschaulichen Systemen verdichtet werden (z.B. Puritanismus, Prohibition) „Der Stoff, um den in der Politik um Arbeit gerungen wird, ist die Psychophysis der Menschen, motivierte Verausgabung auf dem geforderten Niveau. Das schließt alle Fragen der Haltung zum Körper und zur Seele ein.“ (84) Situationen in denen sich Gesellschaft reproduziert als Kräfteverhältnisse durchbuchstabieren – auf verschiedenen Ebenen des Kulturellen, der Moral, der staatlichen Kampagnen, Geschlechterverhältnisse. Kern der revolutionären Realpolitik sind die Kämpfe um Hegemonie. Notwendig: Analyse des Kulturellen, der Institutionen, Organisationen. Kunst der Politik gründet auf der Analyse der Arbeit in der jeweiligen historischen Form und Einbettung. Alltagsverstand widersprüchlich und kritiklos zusammengesetzt aus Erfahrungen verschiedener Zeiten und je nach Bedarf hervorgeholt werden. (85) Er ist die Basis, von der her sich die Einzelnen sich die Welt zurechtlegen und Handlungen durchführen. Inkohärent. Aberglauben und wissenschaftlichen Weltsicht. Verschiedene Konformismen und Praxen an denen die Einzelnen teilhaben. Abgabe der Handlungs- und Denkfähigkeit – Selbstunterstellung. (85) Der Einzelne muss „Rechenschaft ablegen“, „in welcher Schicht seine Urteile jeweils abgelagert sind und ob er selbst sie mit seinem fortgeschrittensten Bewusstsein für angemessen halten können.“ (85) Inventarverzeichnis vom eignen Alltagsverstand zur Sichtung und Neuordnung zum Zweck von mehr Handlungsfähigkeit in einem selbst bejahten Sinn. Menschliche Wesen, Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse → Idee des Werdens → (Selbst)Forschungsauftrag. Die Einzelnen müssen sich „kohärent arbeiten“ um gesellschaftlich handlungsfähig zu sein. Unabschließbarer Prozess. Das Aneignen des eigenen gesellschaftlichen Wesens ist nur unter unaufhörlich vorangetriebener Selbstveränderung möglich. (85) Psychologisch-politische Aufgabe. (86) Fraktales, bzw. netzwerkartiges Modell: Gramsci-Zitate auf S.86 7 Weiterführungen bei Brecht und Peter Weiss Ermöglichung aktiver Lernerfahrungen in Schriften und Stücken Die Einzelnen machen in den Verhältnissen widersprüchliche Erfahrungen, stellen Bilder von der Welt her, diese sollen in Unordnung gebracht (umorganisiert) werden als Voraussetzung einer besseren Ordnung (86). Verschiedene Erfahrungsebenen werden gegeneinander gerichtet. Brecht ähnlich wie Luxemburg: Methode des Vergleichs. Zweierlei Maß von Unteren und Oberen. Sprache: Er bringt Unruhe in den selbstverständlichen Gebrauch von Wörtern. Kontextänderung. Zeigt Wörter als parteiisch und korrupt – Sprache als Grundelement der Kunst der Politik. Komplizierter Vorgang wie Wörter zu Handlangern von Herrschaft werden und mit den gleichen Wörtern wird die Hoffnung auf eine andere Gesellschaft ausgesprochen. (86) Explikation der in den Wörtern stillgelegten Widersprüche. (87) Luxemburg trennt kapitalistische Gesellschaft und sozialistische Tugend. Brecht hingegen zeigt, dass Tugenden auf beiden Seiten auftreten, nicht gut und böse, sondern sie verkehren sich in bestimmten Verhältnissen. Brecht verwandelt luxemburgische Aufrufe zur sozialistischen Moral in allgemeines Nachdenken über die Verhältnisse in den Moral Anwendung und Indienstnahme findet. „Aber es sind die gleichen Energien, die einmal zur Reproduktion des Kapitalismus dienen, dann zur Gestaltung alternativer Gesellschaft.“ (87) Anstiftung zu unaufhörlicher Gedankenarbeit. Die Menschen müssen sich selbst als die Gestalter der Verhältnisse erkennen. Zu revolutionärer Realpolitik gehört: Geschichte als Werk alltäglicher Menschen schreiben ↔ Peter Weiss: Geschichtsschreibung, Geschichtsdaten als Verdeckung der Befreiungskämpfe von Menschen entziffern lernen. (88) Andere Geschichte „von unten“. Den Trennungszusammenhängen zwischen abstrakter Wissenschaft und täglichen politischen Kämpfen und Interessen (89). Brecht, Gespräch über den Alltagskampf Anleitung zu dialektischer Politik Wie weiter? Heute radikal andere Welt. (89) Joachim Hirsch, „radikaler Reformismus“ W.F.Haug: „Zivilgesellschaft von unten“ statt transzendentes ganz Anderes. (90) „Alle Politik wird zunehmend zu Politik an der Grenze des Kapitalismus.“ Da keine sozialistische Alternative als Ganzes 8 in Sicht – Tagesaufgabe: sozialistische Einbettung der vielen Lösungen, die in irgendeiner Weise den Kapitalismus im Einzelnen überschreiten“. Tagespolitik an vielen Punkten und von unterschiedlichen Akteuren, nicht zentralistisch, auf sozialistisches Fernziel hin bündeln – in Tageskämpfen als punktuelle Überschreitung entwickeln. (90) Luxemburgs „Revolutionierung der Massen“ als vielstimmiges Projekt. Das Fernste ist das Nächstliegende. (91) Kein Reformismus, keine Revolution, sondern permanente revolutionäre Realpolitik. (91) Epilog Politik um Arbeit, die weit über ein Grundeinkommen hinausgeht. (93) Erschütterung Kontrastierung: Luxemburg: Anleihen an christliche Hoffnung für das Überleben des sozialistischen Kampfes – Brecht: Überdauerndes Begehren des Begreifens. (94) 9