Donnerstag, 26. November 2015 Zusammenleben in den Metropolen Die Stadtbevölkerung spaltet sich Von Kai Stoppel Die Stadtbevölkerung der Zukunft ist alles andere als eine große Gemeinschaft – vielmehr vertiefen sich die Gräben. Arm und Reich, Jung und Alt sowie unterschiedliche Ethnien leben sich immer mehr auseinander. Das birgt sozialen Sprengstoff – wie ein Beispiel bereits gezeigt hat. Geht es um die Städte von morgen, entwerfen Planer und Architekten gerne utopische Visionen von begrünten Wolkenkratzern aus Holz, Glas und Stahl. Um diese herum wimmelt es nur so von futuristischen, automatisierten Fortbewegungsmitteln, welche die Menschen schnell durch die Metropolen befördern. Doch ein Aspekt ist in solchen Zukunftsszenarien nur selten zu finden: Wie sieht das Miteinander der Bevölkerung in der Stadt der Zukunft aus? Eine gesellschaftliche Entwicklung prägt die Stadt der Zukunft tiefgreifender als alle anderen: die soziale Spaltung, auch Segregation genannt. Diese ist bereits Realität und nimmt weiter zu. Die Bevölkerung der europäischen und deutschen Großstädte sortiert oder entmischt sich immer stärker: nach Alter, Herkunft und Einkommen. Besonders stark sondert sich dabei eine bestimmte Gruppe vom Rest der Bevölkerung ab: die Reichen. Deutlich wird dies vor allem in den Villenvierteln am Stadtrand und den Gegenden mit Luxusappartements in der Innenstadt. Auf der anderen Seite stehen jene Viertel, die zu den sozial schwächsten zählen. In diesen wohnen die meisten Einwanderer zusammen mit den armen Einheimischen. Diese Quartiere sind oft in innenstadtnahen Vierteln anzutreffen, aber auch in Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus, die meist am Rande der Metropolen liegen. Charakteristisch für diese Viertel sind Anonymität, hohe Fluktuation, geringe soziale Kontrolle, Vandalismus und Kriminalität. Der Markt sortiert in Arm und Reich Ein Grund für die soziale Spaltung der Städte ist der freie Markt. Stadtbewohner, so die Theorie, haben das Bedürfnis, ihren Wohnort und damit ihre Lebenssituation zu verbessern. Allerdings kann sich das nur ein Teil der Bevölkerung auch leisten. Jenen zieht es weg aus den ärmeren Quartieren. Für die Menschen, die dort zurückbleiben, ist es jedoch schwierig bis unmöglich, Wohnungen in gefragteren Lagen anzumieten. Auch das Phänomen der Gentrifizierung ist nichts anderes als eine Sortierung der städtischen Bevölkerung: Die in der Folge von Modernisierung und Aufwertung gestiegenen Mieten in einem gentrifzierten Viertel können sich nur Wohlhabendere leisten. Einkommensschwächere werden in Stadtteile mit niedrigeren Mieten verdrängt. Aber der Markt ist nicht das alleinige Kriterium für die soziale Spaltung. Eine weitere Rolle spielt das Bedürfnis bestimmter Bevölkerungsgruppen, "unter sich" zu bleiben. Und dies gilt nicht nur für Reiche, sondern auch für bestimmte Ethnien. Genauso wie Wohlhabende auf eine gehobene Nachbarschaft wert legen, bevorzugen Einwanderer ein nachbarschaftliches Umfeld von Menschen ähnlicher Herkunft, glauben Soziologen. Auch die Bindung an Familienclans spielt dabei eine Rolle. Manch Politiker und Forscher sieht in ethnisch aufgeteilten Quartieren Vorteile, da sie als sogenannte "Integrationsschleusen" dienen können. Zu einem Teil haben aber auch Politik und Verwaltung der Städte selbst zur Spaltung der Bevölkerung beigetragen – durch den sozialen Wohnungsbau. Denn dieser konzentriert sich auf bestimmte Gebiete in einer Stadt, womit die Aufteilung der Bevölkerung in Arm und Reich noch verstärkt wird. Einwandererviertel - "Schleuse" oder "Sackgasse"? Die Frage ist nun, ob die geteilte Stadt der Zukunft hingenommen wird - oder ob man daran etwas ändern müsste. Zum Problem wird diese Aufteilung dann, wenn sich zwei Phänomen überlappen: Wenn sich nach der Aufspaltung einer Stadt in Arm und Reich sowie Einheimische und Einwanderer am Ende Viertel übrige bleiben, die gleichzeitig einkommensschwach sind und auch einen hohen Anteil an Einwanderern aufweisen. Befürchtet wird, dass sich in solchen Vierteln eine "Kultur der Armut" entwickelt, Bevölkerungsgruppen marginalisiert werden und sich eher der Traditionen ihrer Herkunftsländer zuwenden, anstatt sich in die bestehende Gesellschaft zu integrieren. Diese Quartiere würden dann statt zu "Integrationsschleusen" zu "Sackgassen". Gleichzeitig sind diese Quartiere besonders "jung", da sie statistisch bereits heute eine vergleichsweise hohe Geburtenrate aufweisen. Allerdings haben dort geborene Kinder geringere Aufstiegschancen - was die Probleme nur noch verstärkt. Diese Gemengelage kann zu einer explosiven Mischung werden, wie nicht nur im Jahr 2005 die gewalttätigen Ausschreitungen in der Banlieu – dem Gürtel armer Vorstädte mit hohem Migrantenanteil – bei Paris gezeigt haben. Auch die jüngsten Terrorattacken in der französischen Hauptstadt wurden zum Teil der gesellschaftlichen Isolation und fehlenden Perspektive von Migranten aus diesen Gegenden zugeschrieben. Kaum Interesse, etwas zu unternehmen Die Bundespolitik versucht bereits, die negativen Folgen der Segregation aufzufangen: Seit 1999 existiert das Programm "Soziale Stadt", mit dem abgehängte Stadtteile stabilisiert und aufgewertet werden sollen. Aber die Städte selbst haben wenig Interesse daran, grundsätzlich etwas gegen Segregation zu unternehmen. Denn die Kommunen sind auf einkommensstarke Haushalte angewiesen, da diese die Hauptlast des Steueraufkommens tragen. In der Folge wird die Aufwertung von Quartieren zu familienfreundlichen Bereichen meist auch gefördert – und damit die Gentrifizierung. Zugleich würde keine Kommune sich daran machen, die Viertel der Reichen künftig mit mehr sozial schwachen Bewohnern zu durchsetzen. Es wäre wohl politisch kaum durchsetzbar. Die Segregation wird also zumeist akzeptiert. Dennoch gibt es auch Visionen für eine Stadt der Zukunft, in der die soziale Spaltung angegangen wird. Der erfolgversprechendste Ansatz liegt dabei wohl in der Fokussierung auf die Bildung. Sie ist einer der Schlüssel, um in erster Linie eine Spaltung in Arm und Reich zu verhindern oder zumindest zu mindern. Aber auch Arbeitsmarktpolitik und Integrationsarbeit spielen dabei eine große Rolle. Der Schwerpunkt der "Sozialen Stadt der Zukunft" würde daher wohl auf Schulen und Bildungseinrichtungen liegen – um Chancengleichheit für die junge Generation zu garantieren, welche in Zukunft die Stadtbevölkerung prägen. Wer weiß, vielleicht verschwinden die Unterschiede zwischen den Menschen in den Städten der Zukunft nach und nach. Quelle: n-tv.de