Leben in der Stadt Heterogenität, Transformation - About EUCIM-TE

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Leben in der Stadt
Heterogenität, Transformation
und Spaltung
Im Rahmen des Seminars
Stadtraum - Sozialraum
26. April 2010
Erika Schulze
Stadt als Ort der Heterogenität und Fremdheit
“Stadt ist der Ort wo Fremde wohnen. Auf dem Dorf gibt es keine
Fremden. In der Stadt ist man überrascht, ein bekanntes Gesicht zu
sehen, und je häufiger dies geschieht, desto eher beschleicht einen
das Gefühl in der Provinz zu leben, nicht eigentlich in der Stadt.”
(Siebel 1997: 33)
“Gerade das, was in der Stadtkritik stets kritisiert worden ist, ihre
Dschungelhaftigkeit, Anonymität und Isolation, in der jeder dem anderen fremd ist,
ist Voraussetzung für die Hoffnungen, die sich von jeher mit der Stadt verbunden
haben: dass sie ein Ort ist, wo man unbehelligt von Verwandten, Nachbarn und
Polizei sein eigenes Leben leben kann. (...). Die Anonymität der großen Stadt ist
die Vorbedingung dafür, dass nicht jede Regung gleich zurechtgestutzt wird auf die
Konvention. Dass einen keiner kennt, vermittelt zumindest die Hoffnung, sein
Leben noch einmal von vorne beginnen zu können, ohne dass einen gleich lauter
gute Bekannte auf die alte biographische Identität verpflichten können. Deswegen
wohl verbindet sich mit dem Umzug in eine andere Stadt so häufig die Hoffnung auf
einen neuen Anfang: es gibt dort niemanden, der einen kennt.”
(Siebel 1997: 33)
Stadt als Ort der Heterogenität und Fremdheit
„Es war schon immer ein Kennzeichen der Stadt, die Koexistenz von
Differentem zu ermöglichen, unterschiedliche soziale Gruppen, Dinge
und Lebensstile an einem Ort verdichtet zusammenzuführen.“
(Schroer 2006: 233)
Diese Integrationsfunktion stellt ein Kennzeichen der Europäischen
Stadt dar, sie ist charakterisiert durch
”Differenz: Klimatisch, geographisch, geschichtlich, nach Größe und
Gestalt sowie einem engen Mit- und Nebeneinander von Arbeiten,
Wohnen, Handel, Freizeit, Verkehr, von Arm und Reich, Alt und Jund,
Eingesessenen und Fremden”
(Kiepe 2007: 2)
So waren Städte schon immer ein „Mosaik aus kleinen Welten”, wie es
der Amerikanische Stadtsoziologe Robert E. Park bezeichnete.
Stadt als Ort der Heterogenität und Fremdheit
„Was die moderne Gesellschaft an Stilen und
Lebensformen, an Milieus und biographischen
Diskontinuitäten erlaubt, hätte unser Land auch
ohne Einwanderer zu einer ‚multikulturellen‘
Gesellschaft werden lassen."
(Armin Nassehi 2000)
Stadt als Ort der Heterogenität und Fremdheit
Hinzu kommen in den letzten Jahrzehnten gesellschaftliche
Transformationsprozesse, die das Leben nachhaltig verändert haben
—
wachsende funktionale Ausdifferenzierung
—
Individualisierung
—
Pluralisierung der Lebensformen
—
Globalisierung und Transnationalisierung
Ein Blick in das städtische Leben
macht diese Veränderungen im Alltag sichtbar
Städtischer Raum
—
—
als kreativer Raum, in dem die Transformationen ihren Ausdruck
finden, in dem Austausch stattfindet und Neues entsteht
als Raum, der durch Ungleichheitsverhältnisse geprägt ist
wachsende Verarmung
Reproduktion der Ungleichheitsverhältnisse
Reduktion sozialer Mobilität
sozialräumliche Polarisierung, Segregationsprozesse
Lebensbedingungen in der Stadt
Unter Krahnenbäumen/ Eigelstein um 1901
Eigelsteintorburg 1903
Lebensbedingungen in der Stadt
"1871 wohnten nach dem Bericht eines
Stadtmissionars in einem Berliner Haus
250 Familien, auf einem Korridor 36
Wohnparteien. Um die Mieten aufbringen
zu können, waren viele Familien
gezwungen, Zimmer an Schlafburschen
weiterzuvermieten, was die
Überbelegungen der Wohnungen erhöhte.
Nach Angaben des Vereins für
Sozialpolitik, der sich um die Verbesserung
der sozialen Verhältnisse bemühte, hatten
1880 von allen Haushaltungen in Berlin
7,1 % Einmieter und 15,3 % Schlafleute,
denen der Aufenthalt also nur zur
Schlafenszeit eingeräumt wurde. In einem
Fall drängten sich acht Schlafleute in
einem Raum, in anderen Fällen entfielen
auf einen Haushalt 34 Schlafburschen.
38 % der Haushaltungen, die
Schlafburschen beherbergten, hatten nur
einen Raum zur Verfügung, in dem auch
die Familie mit den Kindern wohnen
musste. Noch 1900 waren 43 % aller
Haushaltungen in Berlin einräumig, 28 %
zweiräumig. Ähnliche Tatbestände wurden
um 1900 in Barmen, Königsberg,
Magdeburg, Posen, Görlitz, Halle und
Breslau festgestellt."
(bpb Heft 164)
Marginalisierung und unfreiwillige Segregation
Der Marginalisierung geht der Prozess der Polarisierung voraus. Quartiere
können erst dann verelenden, wenn zuvor eine Differenzierung bzw. eine
Segregation stattgefunden hat
Wachsende Segregation geht einher mit einer wachsenden Polarisierung im
städtischen Raum - dem Auseinanderdriften in Bezug auf die Kriterien
wirtschaftliche Lage, kulturelle Infrastruktur und soziale Probleme.
Betroffen sind davon in erster Linie die Großstädte. Spätestens seit den siebziger
Jahren beginnen Segregationsprozesse, die in den achtziger Jahren durch
regionale Krisen und Umstrukturierungsprozesse noch verstärkt werden.
Als Gründe für diese Prozesse werden vor allem die Globalisierung der
Arbeitsmärkte und damit verbundene Standortverlagerungen und
Deindustriealisierungsprozesse, der Wohnungsmangel und die ethnisch bedingte
Segregation erwähnt.
Segregation und die Spaltung der Stadt
Seit den 80er/90er Jahren können wir zunehmende Spaltungsprozesse in den
Städten beobachten, eine Polarisierung in arm und reich, die sich auch
sozialräumlich niederschlägt.
Gründe hierfür liegen in
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Veränderungen des Arbeitsmarktes durch Deindustrialisierungsprozesse;
Erwerbsmöglichkeiten für wenig qualifizierte Arbeitskräfte gehen verloren.
Zunehmend mehr Menschen werden dauerhaft erwerbslos. Hinzu
kommen Veränderungen die zu einem Anwachsen der “Working Poor”
führen
Der Sozialstaat wird zunehmend abgebaut, soziale Leistungen reduziert
Der Staat zieht sich zunehmend aus der Wohnungsversorgung, vor allem
dem Sozialen Wohnungsbau zurück
Segregation und die Spaltung der Stadt
Wir können also einerseits eine Spreizung der Einkommens- und
Reichtumsverhältnisse beobachten ...
... andererseits Veränderungen in der Wohnraumversorgung
“Ende der achtziger Jahre hat die Bundesregierung dann verkündet, dass
es nicht mehr notwendig sei, den sozialen Mietwohnungsbau weiter zu
fördern, so dass inzwischen ein Prozess der rapiden Schrumpfung dieser
Bestände eingesetzt hat. Da jährlich über 100 000 Wohnungen aus den
Sozialbindungen herausfallen, neue jedoch kaum gebaut werden, ist der
Bestand von 4 Mio. Sozialwohnungen (1980) auf inzwischen 1,9 Mio.
gefallen, und er wird innerhalb weniger Jahre auf einen Restbestand
absinken. Die Wohnungsbaugesellschaften, die sich in öffentlichem
Eigentum befinden, sind von der Politik aufgefordert, Wohnungen zu
verkaufen, um die Eigentumsquote im Lande zu erhöhen. Dabei werden
in der Regel die attraktivsten Bestände privatisiert und die Bestände, die
für die Aufnahme der bedürftigsten Mieter bereitgestellt wurden, werden
quantitativ verringert und räumlich konzentriert -und wirken damit
stigmatisierend”
(Häußermann 2005: 6)
Segregation
Segregation ist nichts anderes als eine räumliche
Abbildung sozialer Ungleichheit in einer
Gesellschaft. Alle Bewohner einer Stadt kennen
das Phänomen, dass sich soziale Gruppen
unterschiedlich auf Wohnstandorte verteilen. (...)
Wenn die Segregation freiwillig geschieht, das
heißt, wenn Personen ähnlichen Lebensstils und
ähnlicher Milieus (...) ein Wohngebiet einem
anderen vorziehen und dort in großer Zahl als
Mieter und Eigentümer wohnen, ist dies kein
Problem. Erst wenn sich die Segregation
verbindet mit einer deutlichen Ungleichverteilung
von Lebenschancen und gesellschaftlichen
Privilegien über die in Frage stehenden sozialen
Gruppen, wird sie zu Ausgrenzung, Ghettoisierung
und Diskriminierung.
(Difu-Berichte 1/ 2008)
Marginalisierung und unfreiwillige Segregation
Der Marginalisierung geht der Prozess der Polarisierung voraus. Quartiere
können erst dann verelenden, wenn zuvor eine Differenzierung bzw. eine
Segregation stattgefunden hat
Wachsende Segregation geht einher mit einer wachsenden Polarisierung im
städtischen Raum - dem Auseinanderdriften in Bezug auf die Kriterien
wirtschaftliche Lage, kulturelle Infrastruktur und soziale Probleme.
Betroffen sind davon in erster Linie die Großstädte. Spätestens seit den siebziger
Jahren beginnen Segregationsprozesse, die in den achtziger Jahren durch
regionale Krisen und Umstrukturierungsprozesse noch verstärkt werden.
Als Gründe für diese Prozesse werden vor allem die Globalisierung der
Arbeitsmärkte und damit verbundene Standortverlagerungen und
Deindustriealisierungsprozesse, der Wohnungsmangel und die ethnisch bedingte
Segregation erwähnt.
Kennzeichen marginalisierter Quartiere
Wirtschaftliche Schwäche der BewohnerInnen (hohe Arbeitslosigkeit, hohe
Sozialhilfedichte)
Schlechte Infrastruktur (Lärm, wenig Grünanlagen, wenig kulturelle
Einrichtungen, Spielplätze, höher qualifizierende Schulen etc.)
hohe Bevölkerungsdichte
schlechte Bauweise (dünne Wände, monotone Architektur, keine Balkone,
unzureichende Pflege und Instandsetzung der Räumlichkeiten) und
„angstbesetzte Räume“ (dunkle Hinterhöfe)
Häufung sozialer Probleme (Drogenhandel, Prostitution, hohe Scheidungs-bzw.
Trennungsrate, Vernachlässigung der Erziehungspflichten, (Klein-) Kriminalität)
Eindimensionale Sozialstruktur (Wegzug der Mittelschicht, hoher
Migrant(inn)enanteil)
wenig bedeutsame soziale Netzwerke der Bewohner(innen)(keine Kontakte zu
„relevanten“ Personen/Gatekeepern)
Schlechtes Stadtteilimage
Typen marginalisierter Quartiere
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Typen marginalisierter Quartiere
innenstadtnahe Viertel oder Vororte, die von den Deindustrialisierungsprozessen betroffen sind
(z.B. Essen-Katernberg, Köln-Kalk)
außerhalb angesiedelte ‘Neubaugebiete', ‘Trabantenstädte’
(z.B. Kölnberg, Köln-Chorweiler)
Dimensionen der Benachteiligung
die Kennzeichen verweisen auf drei Dimensionen, in denen das Leben in
einem benachteiligten Quartier benachteiligend wirkt
materielle Dimension
soziale Dimension
die materiellen Lebensbedingungen sind schlechter
(Infrastruktur, Umweltbelastung, Verkehrsanbindung ...)
Wirkungen der sozialen Probleme, höheres
Konfliktpotential
symbolische Dimension schlechtes Image des Stadtteils wirkt sich bei
Bewerbungen auf einen Ausbildungs- oder
Arbeitsplatz aus, wirkt auf Selbstbild der dort
Lebenden zurück
Literatur
Difu-Berichte 1/2006: Was ist eigentlich Segregation?
Kiepe, Folkert (2007): Die Europäische Stadt - Auslaufmodell oder Kulturgut und
Kernelement der Europäischen Union? Einführung und Thesen auf dem Symposium zur
Stadtentwicklung am 7.5.2007 in Köln.
Häußermann, Hartmut (2000): Die Krise der ‘sozialen Stadt’.
http://www.bpb.de/publikationen/DUX6L3.html
Häußermann, Hartmut & Siebel, Walter (2004): Stadtsoziologie. Eine Einführung.
Frankfurt am Main/New York.
Schroer, Markus (2006): Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des
Raumes. Frankfurt am Main.
Siebel, Walter (1997): Die Stadt und die Fremden. In: Brech, Joachim/ Laura Vanhué
(Hrsg.): Migration. Stadt im Wandel. Darmstadt, S. 33-40.
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