Fortsetzung Diskussion: Verfall der Öffentlichkeit

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23.01. ETHNISCHE SEGREGATION
(1) •Begriffe
(2) •Ethnische Segregation in europäischen Städten
(3) •Benachteiligende Effekte in Migrantenquartieren?
(1)
Begriffe
Ethnische Gruppe:
„Teilbevölkerungen“, sie haben eine „Vorstellung gemeinsamer
Herkunft sowie ein Zusammengehörig-keitsbewusstsein und sind durch
Gemeinsamkeiten von Geschichte und Kultur gekennzeichnet. Eine
kollektive Identität begründet sich zum einen auf ein Bewusstsein der
Gruppe von sich selbst, zum anderen als Urtei und Zuschreibung ‚von
außen‘.“ (Heckmann 1992, 55)
Race / Rasse
•im biologischen Sinne gibt es keine Rassen
•soziale Konstruktionen (Thomas-Theorem: "If men define situations as real, they
are real in their consequences.")
•US Census, (Selbstdefinition)
–White
–Black
–American Indian, Eskimo or Aleut
–Asian or Pacific Islander
–Other races
(www.census.gov)
Ghetto
„Ein Ghetto ist ein Gebiet, in welchem Raum und Rasse miteinander
verbunden sind, um eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die von der
herrschenden Gesellschaft als minderwertig angesehen wird, zu
definieren, zu isolieren und einzugrenzen.“ (Marcuse 1998, 179)
Enklave
„Eine Enklave ist ein Gebiet, in dem Mitglieder einer bestimmten
Bevölkerungsgruppe, definiert nach Ethnizität, Religion oder anderen
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Merkmalen, auf einem bestimmten Raum zusammenkommen, um ihre
ökonomische, soziale, politische und/oder kulturelle Entwicklung zu
fördern.“ (Marcuse 1998, 186)
(2)
Ethnische Segregation in europäischen Städten
ID in europäischen Städten
0,70
0,60
0,50
0,40
0,30
0,20
0,10
0,00
Köln - Tr.
Frankfurt - Tr.
Amsterdam Tr./M aroc
Brüssel - M aghreb
Düsseldorf M aghreb
Hannover - Tr.
Dissimilaritätsindex türkisch-deutsch für Hannover, 1982-1999
1982
1984
1989
1994
1997
1999
0,46
0,48
0,49
0,46
0,44
0,44
Quelle: Häußermann/Siebel 2004, 141f
(3)
Benachteiligende Effekte in Migrantenquartieren?
Kontroverse über ethnische Segregation
These 1: Übergangszone, Enklave, Binnenintegration
These 2: Segregation ist Zeichen „sozialer Desintegration“
Zwei Beispiele: Das innenstadtnahe ehemalie Arbeitserviertel Hannover
Linden-Nord und die Großsiedlung in Hannover Vahrenheide-Ost
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Grundlage sind Ergebnisse des empirischen Forschungsprojekts: "Zwischen
Integration und Ausgrenzung – Lebensverhältnisse türkischer Migranten der
zweiten Generation" (Gestring/Janßen/Polat 2003; siehe www.unioldenburg.de/stadtforschung/1509.html).
Die Großsiedlung des sozialen Wohnunsgabaus
materielle Dimension
-marginale kommerzielle Infrastruktur
-umfangreiche soziale Infrastruktur
-positive Beurteilung der phys.-mat. Umwelt...
-... und der kommerz. Infrastruktur durch die Migranten
-soziale Infrastruktur wird kaum genutzt
Fazit zur materiellen Dimension: das einzige, was reichlich vorhanden ist, ist
(neben den vielen Grünanlagen) die soziale Infrastruktur und diese wird nur in
seltenen Fällen genutzt. Ansonsten scheinen die materiellen Ressourcen
Vahrenheide-Osts für die türkischen Migranten weniger benachteiligend zu sein
als angenommen: viele Nachteile, die sich vor allem mit der Architektur und der
eingeschränkten kommerziellen Infrastruktur zu verbinden scheinen, werden von
den Befragten nicht als solche wahrgenommen. Im Gegenteil: ein beträchtlicher
Teil ihrer Bedürfnisse lässt sich mit der Siedlungsform der Großsiedlung durchaus
vereinbaren.
symbolische Dimension
-stigmatisierter Stadtteil ("Bronx von Hannover")
-Erfahrungen mit schlechtem Image ("Kommst Du aus dem Ghetto?")
-keine Identifikation mit dem Stadtteil möglich
Obwohl viele schon etliche Jahre in Vahrenheide wohnen und keine
Umzugswünsche äußern, kann von einem „Wir in Vahrenheide“-Gefühl oder von
einer identitätsstiftenden Bindung an den Stadtteil keine Rede sein. Eher äußern
die Migranten das Gefühl, durch ihren Wohnstandort nicht nur stigmatisiert,
sondern auch vom Staat im Stich gelassen zu werden. Vahrenheide bietet
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demnach kein Potenzial positiver Identitätsbildung, sondern vermittelt bzw.
verstärkt eher - und dabei spielt das schlechte Image eine entscheidende Rolle die Empfindung, in einem Stadtteil von „Verlierern“ zu leben.
soziale Dimension
-typische Sozialstruktur für Großsiedlungen:
-große Distanz gegenüber dem sozialen Milieu
-zwei Strategien der Migranten im Umgang mit sozialem Milieu:
(1)Abgrenzung
(2)Übernahme des Fremdbilds
-keine Hinweise auf ethnischen Schraubstock durch türkisches Milieu
-aber auch nicht auf Binnenintegration
Die Ergebnisse zur Bedeutung der ethnischen Segregation für die Integrationsbzw. Ausgrenzungsverläufe türkischer Migranten sind denkbar unspektakulär.
Dass in Vahrenheide-Ost vergleichsweise viele türkische Migranten leben, wird
von den Interviewten mehr oder weniger positiv zur Kenntnis genommen.
Türkische Nachbarn sind gern gesehen, weil es mit ihnen weniger Konflikte gibt,
man ist froh, in der Nähe der Eltern wohnen zu können, und die bescheidene
türkische Infrastruktur wird geschätzt, weil sie den täglichen Einkauf erleichtert.
Vereinzelt wird zwar von Frauen die soziale Kontrolle und der Klatsch kritisch
angemerkt, aber es gibt keinerlei Hinweise auf einen „ethnischen ‚Schraubstock’“
(Heitmeyer 1998, 453), aus dem sich die zweite Generation befreien müsste.
Andererseits gibt es aber auch keine ethnische Community im Sinne einer
Vergemeinschaftung innerhalb des türkischen Milieus. In Einzelfällen wird zwar
von Nachbarn berichtet, die bei der Integration von Ehepartnern aus der Türkei
hilfreich sind, aber die möglichen positiven Effekte ethnischer Segregation sind im
Fall der Großsiedlung nur sehr eingeschränkt zu finden. Eine „Binnenintegration“
(Elwert 1982), die einen Zwischenschritt zur Integration darstellt, gibt es nicht.
politische Dimension
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-keine / kaum politische Aktivitäten, keine selbst organisierten Initiativen, geringe
Wahlbeteiligung
-aber auch keine Vernachlässigung des Quartiers durch Stadtpolitik, da
Großsiedlungen im Blickpunkt der lokalen Medien stehen. Ein Mindestmaß an
Integration bleibt offenbar Ziel von Stadtpolitik.
Was ist anders im innenstadtnahen Altbauquartier Linden-Nord?
-soziale Mischung: soziale Netze der Lindener Migranten größer und ethnisch
heterogener, dadurch auch größeres soziales Kapital
-funktionale Mischung: Neben der Vielzahl an Möglichkeiten, außerhalb der
eigenen Wohnung Kontakte zu pflegen, bietet die kommerzielle und soziale
Infrastruktur auch bessere Arbeitsmöglichkeiten vor Ort.
-kein stigmatisiertes Quartier: Gatekeeper begründen das aus ihrer Sicht positive
Image des Stadtteils mit dem multikulturellen Milieu und der durchmischten
sozialen Struktur („wohnt der Arzt neben dem Studenten“). Auch diejenigen, die
das Image des Stadtteils skeptisch einschätzen, betonen, dass Linden-Nord bei
einem besonderen Klientel („grüne Socken“) beliebt ist.
Aber Migranten gehen davon aus, dass das Quartier einen schlechten Ruf hat. Sie
gehen allerdings anders damit um: Das vermeintliche Stigma wird selbstbewusst
zurückgewiesen oder zumindest relativiert, indem auf die positiven Aspekte des
Stadtteils hingewiesen wird: die funktionale und soziale Mischung, die ethnische
Ökonomie mit einer Vielzahl von Cafes, Restaurants und Läden und das
funktionierende Zusammenleben mit Deutschen und anderen ethnischen
Gruppen. Für die bessere Bewertung des Stadtteils durch die Migranten spielt das
soziale Milieu eine wichtige Rolle. Linden-Nord ist kein benachteiligter Stadtteil,
sondern sozial gemischt. Deshalb treffen die Migranten hier auf andere Deutsche
als in Vahrenheide-Ost.
Literatur:
Dubet, Francois & Didier Lapeyronnie 1994: Im Aus der Vorstädte: der Zerfall der
demokratischen Gesellschaft. Stuttgart: Klett-Cotta
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Gestring, Norbert 2005: Parallelgesellschaften – ein Kommentar. In: Gestring,
Norbert, Herbert Glasauer, Christine Hannemann, Werner Petrowsky &
Jörg Pohlan (Hrsg.): Jahrbuch StadtRegion 2004/05. Schwerpunkt:
Schrumpfende Stadt. Wiesbaden: VS Verlag, 163-169
Gestring, Norbert, Andrea Janßen & Ayça Polat 2003: „Als Gegend eine der
schönsten Hannovers“ – Migranten in einer Großsiedlung. In:
Informationen zur Raumentwicklung H.3/4, 207-216
Gestring, Norbert, Andrea Janßen, Ayça Polat & Walter Siebel 2004: Die zweite
Generation türkischer Migranten. In: Einblicke. Forschungsmagazin der
Universität Oldenburg Nr. 40, 8-11
Häußermann, Hartmut & Walter Siebel 2001: Multikulturelle Stadtpolitik:
Segregation und Integration. In: Gestring, Norbert, Herbert Glasauer,
Christine Hannemann, Werner Petrowsky & Jörg Pohlan (Hg.): Jahrbuch
StadtRegion 2001. Opladen: Leske + Budrich, 133-136
Hanhörster, Heike & Margit Mölder 2000: Konflikt- und Integrationsräume im
Wohnbereich. In: Heitmeyer, Wilhelm & Raimund Anhut (Hg.): Bedrohte
Stadtgesellschaft. Weinheim und München: Juventa, 347-400
Heckmann, Friedrich1992: Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie
inter-ethnischer Beziehungen. Stuttgart: Enke
Heitmeyer, Wilhelm & Reimund Anhut (Hg.) 2000: Bedrohte Stadtgesellschaft.
Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle
Konfliktkonstellationen. Weinheim/München: Juventa
Heitmeyer, Wilhelm 1998: Versagt die „Integrationsmaschine“ Stadt? Zum
Problem der ethnisch-kulturellen Segregation und ihrer Konfliktfolgen. In:
Heitmeyer, Wilhelm, Rainer Dollase & Otto Backes (Hg.): Die Krise der
Städte. Analysen zu den Folgen desintegrativer Stadtentwicklung für das
ethnisch-kulturelle Zusammenleben. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 443-467
Marcuse, Peter 1998: Ethnische Enklaven und rassistische Ghettos in der
postfordistischen Stadt. In: Heitmeyer, Wilhelm, Rainer Dollase und Otto
Backes (Hg.): Die Krise der Städte. Analysen zu den Folgen
desintegrativer Stadtentwicklung für das ethnisch-kulturelle
Zusammenleben. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 176-193
Massey, D.S.; Denton, N.A. 1993: American Apartheid: Segregation and the
Making of the Underclass. Cambridge, MA: Harvard University Press
Wacquant, Loïc J.D. 1996: Red Belt, Black Belt: Racial Division, Class Inequality
and the State in the French Urban Periphery and the American Ghetto. In:
Mingione, Enzo (ed.): Urban Poverty and the Underclass. Oxford (UK),
Cambridge (USA): Blackwell, 234-274
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