1 25.01. ETHNISCHE SEGREGATION (1) •Begriffe (2) •Ethnische Segregation in europäischen Städten (3) •Ghetto und Enklave – Referat (4) •Benachteiligende Effekte in Migrantenquartieren? (1) Begriffe Ethnische Gruppe: „Teilbevölkerungen“, sie haben eine „Vorstellung gemeinsamer Herkunft sowie ein Zusammengehörig-keitsbewusstsein und sind durch Gemeinsamkeiten von Geschichte und Kultur gekennzeichnet. Eine kollektive Identität begründet sich zum einen auf ein Bewusstsein der Gruppe von sich selbst, zum anderen als Urtei und Zuschreibung ‚von außen‘.“ (Heckmann 1992, 55) Race / Rasse •im biologischen Sinne gibt es keine Rassen •soziale Konstruktionen (Thomas-Theorem: "If men define situations as real, they are real in their consequences.") •US Census, (Selbstdefinition) –White –Black –American Indian, Eskimo or Aleut –Asian or Pacific Islander –Other races (www.census.gov) 2 (2) Ethnische Segregation in europäischen Städten ID in europäischen Städten 0,70 0,60 0,50 0,40 0,30 0,20 0,10 0,00 Köln - Tr. Frankfurt - Tr. Amsterdam Tr./M aroc Brüssel - M aghreb Düsseldorf M aghreb Hannover - Tr. Dissimilaritätsindex türkisch-deutsch für Hannover, 1982-1999 1982 1984 1989 1994 1997 1999 0,46 0,48 0,49 0,46 0,44 0,44 Quelle: Häußermann/Siebel 2004, 141f (3) Ghetto und Enklave „Ein Ghetto ist ein Gebiet, in welchem Raum und Rasse miteinander verbunden sind, um eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die von der herrschenden Gesellschaft als minderwertig angesehen wird, zu definieren, zu isolieren und einzugrenzen.“ (Marcuse 1998, 179) „Eine Enklave ist ein Gebiet, in dem Mitglieder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, definiert nach Ethnizität, Religion oder anderen Merkmalen, auf einem bestimmten Raum zusammenkommen, um ihre ökonomische, soziale, politische und/oder kulturelle Entwicklung zu fördern.“ (Marcuse 1998, 186) 3 Taxonomie von Ghetto und Enklave Typen Beispiele Räumliche Formation Freiwilligkeit Wirtschaftliche Beziehungen Soziale Beziehungen Identifikations merkmale Traditionelles Ghetto Jüdisches Ghetto, Harlem um 1920 Inselhaft, ummauert Nein Abgetrennt, aber verbunden, ausgebeutet diskriminiert Rasse, Hautfarbe, Religion Ghetto der Ausgeschlosse nen South Bronx heute Inselhaft, ummauert Nein Ausgeschlossen diskriminiert Rasse, Hautfarbe Armut Südafrikanische Townships; Eingeborenenge biete in Kolonien Inselhaft, ummauert Nein Ausgebeutet diskriminiert Rasse Hautfarbe, Umgang Imperiale Enklave Kanton, Römisches Kastell Inselhaft, befestigt Ja Integriert, ausbeuterisch diskriminierend Politische bzw. militärische Macht Ausschließend e Enklave Beverly Hills Inselhaft, befestigt Ja Integriert, ausbeuterisch diskriminierend Wohlstand Immigrantenen klave Chinatown, Kubaner in Miami Konzentriert, aber durchmischt Ja, Abgetrennt, aber verbunden Offen Nationalität, Ethnizität Kulturelle Enklave Williamsburg, Soho Konzentriert aber durchmischt Unterschiedlich, in der Regel integriert In der Regel offen Kultur, Sprache, Religion, Lebensstil selbst gewählt Ghetto der Ausgebeuteten (Marcuse 1998, 189) übergangsweise Ja 4 (4) Benachteiligende Effekte in Migrantenquartieren? Kontroverse über ethnische Segregation These 1: Übergangszone, Enklave, Binnenintegration These 2: Segregation ist Zeichen „sozialer Desintegration“ Zwei Beispiele: Das innenstadtnahe ehemalie Arbeitserviertel Hannover Linden-Nord und die Großsiedlung in Hannover Vahrenheide-Ost Grundlage sind Ergebnisse des empirischen Forschungsprojekts: "Zwischen Integration und Ausgrenzung – Lebensverhältnisse türkischer Migranten der zweiten Generation" (Gestring/Janßen/Polat 2003; siehe www.unioldenburg.de/stadtforschung/1509.html). Die Großsiedlung des sozialen Wohnunsgabaus materielle Dimension -marginale kommerzielle Infrastruktur -umfangreiche soziale Infrastruktur -positive Beurteilung der phys.-mat. Umwelt... -... und der kommerz. Infrastruktur durch die Migranten -soziale Infrastruktur wird kaum genutzt Fazit zur materiellen Dimension: das einzige, was reichlich vorhanden ist, ist (neben den vielen Grünanlagen) die soziale Infrastruktur und diese wird nur in seltenen Fällen genutzt. Ansonsten scheinen die materiellen Ressourcen Vahrenheide-Osts für die türkischen Migranten weniger benachteiligend zu sein als angenommen: viele Nachteile, die sich vor allem mit der Architektur und der eingeschränkten kommerziellen Infrastruktur zu verbinden scheinen, werden von den Befragten nicht als solche wahrgenommen. Im Gegenteil: ein beträchtlicher Teil ihrer Bedürfnisse lässt sich mit der Siedlungsform der Großsiedlung durchaus vereinbaren. symbolische Dimension 5 -stigmatisierter Stadtteil ("Bronx von Hannover") -Erfahrungen mit schlechtem Image ("Kommst Du aus dem Ghetto?") -keine Identifikation mit dem Stadtteil möglich Obwohl viele schon etliche Jahre in Vahrenheide wohnen und keine Umzugswünsche äußern, kann von einem „Wir in Vahrenheide“-Gefühl oder von einer identitätsstiftenden Bindung an den Stadtteil keine Rede sein. Eher äußern die Migranten das Gefühl, durch ihren Wohnstandort nicht nur stigmatisiert, sondern auch vom Staat im Stich gelassen zu werden. Vahrenheide bietet demnach kein Potenzial positiver Identitätsbildung, sondern vermittelt bzw. verstärkt eher - und dabei spielt das schlechte Image eine entscheidende Rolle die Empfindung, in einem Stadtteil von „Verlierern“ zu leben. soziale Dimension -typische Sozialstruktur für Großsiedlungen: -große Distanz gegenüber dem sozialen Milieu -zwei Strategien der Migranten im Umgang mit sozialem Milieu: (1)Abgrenzung (2)Übernahme des Fremdbilds -keine Hinweise auf ethnischen Schraubstock durch türkisches Milieu -aber auch nicht auf Binnenintegration Die Ergebnisse zur Bedeutung der ethnischen Segregation für die Integrationsbzw. Ausgrenzungsverläufe türkischer Migranten sind denkbar unspektakulär. Dass in Vahrenheide-Ost vergleichsweise viele türkische Migranten leben, wird von den Interviewten mehr oder weniger positiv zur Kenntnis genommen. Türkische Nachbarn sind gern gesehen, weil es mit ihnen weniger Konflikte gibt, man ist froh, in der Nähe der Eltern wohnen zu können, und die bescheidene türkische Infrastruktur wird geschätzt, weil sie den täglichen Einkauf erleichtert. Vereinzelt wird zwar von Frauen die soziale Kontrolle und der Klatsch kritisch angemerkt, aber es gibt keinerlei Hinweise auf einen „ethnischen ‚Schraubstock’“ (Heitmeyer 1998, 453), aus dem sich die zweite Generation befreien müsste. 6 Andererseits gibt es aber auch keine ethnische Community im Sinne einer Vergemeinschaftung innerhalb des türkischen Milieus. In Einzelfällen wird zwar von Nachbarn berichtet, die bei der Integration von Ehepartnern aus der Türkei hilfreich sind, aber die möglichen positiven Effekte ethnischer Segregation sind im Fall der Großsiedlung nur sehr eingeschränkt zu finden. Eine „Binnenintegration“ (Elwert 1982), die einen Zwischenschritt zur Integration darstellt, gibt es nicht. politische Dimension -keine / kaum politische Aktivitäten, keine selbst organisierten Initiativen, geringe Wahlbeteiligung -aber auch keine Vernachlässigung des Quartiers durch Stadtpolitik, da Großsiedlungen im Blickpunkt der lokalen Medien stehen. Ein Mindestmaß an Integration bleibt offenbar Ziel von Stadtpolitik. Was ist anders im innenstadtnahen Altbauquartier Linden-Nord? -soziale Mischung: soziale Netze der Lindener Migranten größer und ethnisch heterogener, dadurch auch größeres soziales Kapital -funktionale Mischung: Neben der Vielzahl an Möglichkeiten, außerhalb der eigenen Wohnung Kontakte zu pflegen, bietet die kommerzielle und soziale Infrastruktur auch bessere Arbeitsmöglichkeiten vor Ort. -kein stigmatisiertes Quartier: Gatekeeper begründen das aus ihrer Sicht positive Image des Stadtteils mit dem multikulturellen Milieu und der durchmischten sozialen Struktur („wohnt der Arzt neben dem Studenten“). Auch diejenigen, die das Image des Stadtteils skeptisch einschätzen, betonen, dass Linden-Nord bei einem besonderen Klientel („grüne Socken“) beliebt ist. Aber Migranten gehen davon aus, dass das Quartier einen schlechten Ruf hat. Sie gehen allerdings anders damit um: Das vermeintliche Stigma wird selbstbewusst zurückgewiesen oder zumindest relativiert, indem auf die positiven Aspekte des Stadtteils hingewiesen wird: die funktionale und soziale Mischung, die ethnische Ökonomie mit einer Vielzahl von Cafes, Restaurants und Läden und das funktionierende Zusammenleben mit Deutschen und anderen ethnischen 7 Gruppen. Für die bessere Bewertung des Stadtteils durch die Migranten spielt das soziale Milieu eine wichtige Rolle. Linden-Nord ist kein benachteiligter Stadtteil, sondern sozial gemischt. Deshalb treffen die Migranten hier auf andere Deutsche als in Vahrenheide-Ost. Literatur: Dubet, Francois & Didier Lapeyronnie 1994: Im Aus der Vorstädte: der Zerfall der demokratischen Gesellschaft. Stuttgart: Klett-Cotta Gestring, Norbert, Andrea Janßen & Ayça Polat 2003: „Als Gegend eine der schönsten Hannovers“ – Migranten in einer Großsiedlung. In: Informationen zur Raumentwicklung H.3/4 Häußermann, Hartmut & Walter Siebel 2001: Multikulturelle Stadtpolitik: Segregation und Integration. In: Gestring, Norbert, Herbert Glasauer, Christine Hannemann, Werner Petrowsky & Jörg Pohlan (Hg.): Jahrbuch StadtRegion 2001. Opladen: Leske + Budrich, 133-136 Hanhörster, Heike & Margit Mölder 2000: Konflikt- und Integrationsräume im Wohnbereich. In: Heitmeyer, Wilhelm & Raimund Anhut (Hg.): Bedrohte Stadtgesellschaft. Weinheim und München: Juventa, 347-400 Heckmann, Friedrich1992: Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie inter-ethnischer Beziehungen. Stuttgart: Enke Heitmeyer, Wilhelm & Reimund Anhut (Hg.) 2000: Bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen. Weinheim/München: Juventa Heitmeyer, Wilhelm 1998: Versagt die „Integrationsmaschine“ Stadt? Zum Problem der ethnisch-kulturellen Segregation und ihrer Konfliktfolgen. In: Heitmeyer, Wilhelm, Rainer Dollase & Otto Backes (Hg.): Die Krise der Städte. Analysen zu den Folgen desintegrativer Stadtentwicklung für das ethnisch-kulturelle Zusammenleben. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 443-467 Marcuse, Peter 1998: Ethnische Enklaven und rassistische Ghettos in der postfordistischen Stadt. In: Heitmeyer, Wilhelm, Rainer Dollase und Otto Backes (Hg.): Die Krise der Städte. Analysen zu den Folgen desintegrativer Stadtentwicklung für das ethnisch-kulturelle Zusammenleben. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 176-193 Massey, D.S.; Denton, N.A. 1993: American Apartheid: Segregation and the Making of the Underclass. Cambridge, MA: Harvard University Press Wacquant, Loïc J.D. 1996: Red Belt, Black Belt: Racial Division, Class Inequality and the State in the French Urban Periphery and the American Ghetto. In: Mingione, Enzo (ed.): Urban Poverty and the Underclass. Oxford (UK), Cambridge (USA): Blackwell, 234-274