Forschungsbedarf Onlinekompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund Im Hinblick auf die Onlinekompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund besteht erheblicher Forschungsbedarf. Dies betrifft zum einen den Einfluss des Internet auf die Integration bzw. Partizipation der Menschen mit Migrationshintergrund in die deutsche Aufnahmegesellschaft bzw. an der politischen Willensbildung und zum anderen die Bedeutung des Internets im Hinblick auf die Internationalisierung bzw. Transnationalisierung und die Diasporabildung von Menschen mit Migrationshintergrund. Im Hinblick auf das Integrationspotential des Internet besteht m.E. der dringendste Forschungsbedarf auf den Felder a) Bildung, b) politische Partizipation und c) soziale Dienstleistungen. In Bezug auf die Bildungsmöglichkeiten über das Internet für Migranten bestehen m.E. die größten Potentiale für die Integration und damit auch ein großer Forschungsbedarf. Es ist bisher kaum untersucht worden, welche Onlinebildungsangeboten es im Einzelnen für Migranten gibt, wer hinter den Angeboten steckt und wie sie von Migranten genutzt werden. Welche Kompetenzen müssen Migranten besitzen, um an den Angeboten teilnehmen zu können, und wie können diese Kompetenzen gefördert werden? Wie werden die Angebote kontrolliert? In Bezug auf die Rolle des Internet für die politische Partizipation von Migranten gibt es in Deutschland nur wenige Studien (siehe etwa Kissau/Hunger 2009). Die internationale Forschung ist hier schon viel weiter. Zusätzlich zu bereits untersuchten Gruppen, wie Migranten aus Russland und der Türkei, müssten weitere Gruppen in Bezug auf ihre politische Online-Partizipation in Deutschland untersucht werden. Welche politische Partizipationsformen und Interessen haben z.B. italienische oder polnische Migranten in Deutschland? Wie sind sie vernetzt? Welche Rolle spielen politische Meinungsführer im Netz? Wie werden sie kontrolliert? Welche (politischen) Kompetenzen besitzen die User bzw. sollten sie besitzen? Dies ist für das Verständnis und der Rolle des Internet für die politische Partizipation von Migranten von erheblicher Bedeutung. In Bezug auf soziale Dienstleistungen für Migranten besteht ebenfalls ein großes Potential und entsprechender Forschungsbedarf. Wie bei den beiden anderen Feldern besteht auch hier ein großes Potential mit Hilfe des Internet die Integration bzw. die Partizipation von Migranten in Deutschland zu fördern. So ist zu erwarten, dass in Zukunft immer stärker soziale Dienstleistungsangebote für Migranten ins Internet verlagert werden. Dies könnte auf Seiten der Verwaltung ebenso wie für die Migranten mit großen Effizienzgewinnen verbunden sein. Voraussetzung hierfür ist allerdings eine Basisonlinekompetenz auf Seiten der Migranten bzw. entsprechende Angebote auf Seiten der Verwaltung. Forschung hierüber hat es bisher ebenfalls aber kaum gegeben. Welche Onlineangebote (für Migranten) gibt es z.B. in Bezug auf Schuldnerberatung, Gesundheitsvorsorge und Fragen zum Bildungssystem? Wenn es diese gibt, in welchen Sprachen werden sie angeboten? Gibt es diese Angebote nur für bestimmte Gruppen oder für alle? Wie werden sie angenommen? Wie lassen sich bestehende Barrieren abschaffen? Wie können Migranten bzw. Migrantenselbstorganisationen in die Entwicklung der Angebote eingebunden werden? Hier besteht ebenfalls ein großes Potenzial wohlfahrtstaatliche Dienstleistungen effektiver zu machen. Insgesamt handelt es sich hier immer noch um ein kaum erforschtes Feld. Die Praxis ist der Forschung hier weit enteilt. Dies gilt auch für die Erprobung und Weiterentwicklung von geeigneten Forschungsmethoden in Bezug auf Internetstudien. Im Hinblick auf die Bedeutung des Internets für die Internationalisierung bzw. Transnationalisierung und Diasporabildung besteht der dringendste Forschungsbedarf auf den Felder a) Bildung von kulturellen transnationalen Gemeinschaften, b) Bildung einer politischen digitalen Diaspora und c) Bildung einer europäischen Identität über das Internet. In Bezug auf die Herausbildung von kulturellen transnationalen Gemeinschaften ist die Rolle des Internet bisher ebenfalls wenig untersucht worden. Es ist klar, dass viele Migranten nun täglich mit Menschen in ihren Herkunftsregionen über das Internet kommunizieren und an vielen Projekten in ihren Herkunftsländern beteiligt sind (Kultur- und gemeinnützige Projekte ebenso wie wirtschaftliche oder Bildungsprojekte). Es ist auch zu erwarten, dass sich die Kommunikation zwischen Migranten und ihren Herkunftsregionen in Zukunft noch intensiver gestalten wird. Forschungsbedarf besteht hier vor allem im Hinblick darauf, ob und inwieweit das Internet die Verbindung einzelner Gruppen in ihre Herkunftsregionen tatsächlich verändert. Entwickelt sich über das Internet eine stärkere kulturelle Bindung an die Herkunftsregion? Gibt es Unterschiede bei einzelnen Zuwanderergruppen und wovon hängen diese ab? Wie verhält sich diese zunehmende Transnationalisierung zu den Zielen der Integration? Und: Welche Rolle spielt das Internet dabei? In Bezug auf die Herausbildung digitaler Diasporas schließt sich die Frage an, ob das Internet auch zu einer stärkeren Politisierung der Migranten im Hinblick auf die politische Entwicklung in ihren Herkunftsregionen geführt hat. Eine entsprechende Tendenz kann man vor allem bei Flüchtlings/Exildiasporagemeinschaften vermuten. Auch die Herkunftsländer versuchen verstärkt über das Internet, insbesondere bei Fragen der Wirtschaftsentwicklung, auf ihre weltweit verstreuten Diasporagemeinschaften zuzugreifen. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit dies den Zielen der Integration entgegen steht oder ob gerade dies zu neuen Chancen sowohl für das Herkunfts- als auch für das Aufnahmeland bereit hält. In Bezug auf die Herausbildung einer europäischen Identität kann das Internet ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, da sich immer mehr übernationale, europäische Foren und Netzwerke herausbilden. Auch in Deutschland leben viele Migrantengruppen, die aus Mitgliedsländern der Europäischen Union stammen (z.B. Italien und Polen). Literatur: Kissau, Kathrin und Hunger, Uwe (2009): Politische Sphären von Migranten im Internet, Neue Chancen im „Long Tail“ der Politik, München; Reinhard Fischer Verlag, Band 34 Internet Research (im Erscheinen).