industriAll 19/2013 Welche Zukunft für EHS und Klimaschutz in Zeiten der Krise? (verabschiedet vom 2. industriAll Europe-Exekutivausschuss Brüssel, 12.-13. Juni 2013) Im Zuge der Wirtschaftskrise in Europa ist die Industriebeschäftigung stark unter Druck geraten. Seit dem Jahr 2008 sind über 4 Millionen Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie verloren gegangen, was auch zur historischen Rekordarbeitslosigkeit beigetragen hat. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig, hauptsächlich ist sie jedoch der kurzsichtigen Sparpolitik der neoliberalen Mehrheit zuzuschreiben. Als Folge daraus stagnieren die Investitionen in die europäische Industrie, da die Ausgaben der öffentlichen Haushalte gekürzt werden, soziale Unruhen zunehmen und Investoren sich von austeritätsbedingten, trüben Wachstumsaussichten abschrecken lassen. Vor diesem Hintergrund werden Maßnahmen zur Änderung des gegenwärtigen EUEmissionshandelssystems und verbindliche Ziele bis 2030 für erneuerbare Energien und Klimaschutz diskutiert. Es ist allgemein anerkannt, dass die Energiepreise für die europäische Industrie, insbesondere die energieintensiven Branchen wie die Stahlerzeugung oder den Chemiesektor, ein immer wichtigerer Faktor geworden sind. IndustriAll Europe ist sehr besorgt über mögliche negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt infolge einer Entscheidung, die den Preis, zu dem CO2-Emissionsrechte in Europa gehandelt werden, ständig politisieren, Unsicherheit für die Industrie schaffen und investitionshemmend wirken würde. Dennoch erachtet industriAll Europe den EHS-Rahmen als ein geeignetes Instrument, um die Emissionsminderungsziele der EU zu erreichen und den Übergang zu einer modernisierten und CO2-armen Wirtschaft voranzubringen. Schließlich könnte das Emissionshandelssystem zu einem weltweit angewandten Instrument entwickelt werden und so für fairen internationalen Wettbewerb sorgen. Es muss jedoch auf Unzulänglichkeiten des gegenwärtig geltenden Systems hingewiesen werden, die zu beheben sind, um die Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit für alle Akteure zu gewährleisten. Die Maßnahmen zur Änderung des EU-EHS und die Vorschläge bezüglich der Klimaziele für das Jahr 2030 dürfen nicht nur die langfristige Funktionsfähigkeit und den gewünschten CO2-Preis im Auge haben, sie müssen auch die unmittelbaren Beschäftigungseffekte auf einem bereits krisengeschüttelten europäischen Arbeitsmarkt berücksichtigen. Unstimmigkeiten wie Windfall-Profite von Unternehmen, die mit kostenfreien Emissionszertifikaten überversorgt sind, oder der Umstand, dass Unternehmen, die ihre Produktionsprozesse bereits modernisiert haben, nicht durch wettbewerbsfähige CO 2-Preise belohnt werden, hemmen die Investitionen in Optimierungsmaßnahmen und haben International Trade Union House (ITUH) – Boulevard du Roi Albert II 5 (bte 10) – B-1210 Brüssel Tel.: +32 (0)2/226 00 50 [email protected] www.industriall-europe.eu 1 negative Beschäftigungseffekte zur Folge. Darüber hinaus muss das Problem der CO 2Verlagerungen dringend gelöst werden, weil es die Unsicherheit, mit der die europäische Industrie derzeit konfrontiert ist, noch verstärkt. Nach Ansicht von industriAll Europe müssen diese Unausgewogenheiten unbedingt behoben werden. Ohne die Sicherstellung langfristiger Investitionen in eine nachhaltige, CO2-arme Infrastruktur können die ehrgeizigen Europa-2020-Ziele im Bereich von Beschäftigung und Industrieproduktion jedenfalls nicht erreicht werden. IndustriAll Europe fordert daher, die Ziele von Artikel 10 der Richtlinie 2003/87/EG (ergänzt durch die Richtlinie 2009/29/EG) entsprechend ehrgeiziger zu formulieren. Mindestens 50 % der aus EHS-Versteigerungen erzielten Erlöse müssen FuE-Projekten wie ULCOS zur Verfügung gestellt werden, die energieeffiziente Produktionsverfahren für energieintensive Industrien entwickeln. Weitere Quellen für Investitionen in Innovation und Forschung könnten durch die Einführung einer europäischen CO2-Steuer oder von Grenzausgleichsmaßnahmen in Bezug auf den CO2-Gehalt von Importgütern erschlossen werden. Um ein Mindestmaß an Investitionen über das Emissionshandelssystem zu gewährleisten und damit die Preissicherheit zu erhöhen, könnte ein Mindestpreis für CO 2-Zertifikate eingeführt werden. Die Anhebung des jährlichen Emissionspfads oder eine gleitende Obergrenze, was ähnliche Effekte wie eine Verknappung der Emissionszertifikate hätte, jedoch transparenter und berechenbarer wäre, könnte ins Auge gefasst werden, wenn dadurch Investitionen in alternative technische Lösungen sowie Pilot- und Weiterbildungsprojekte verstärkt werden können. Schließlich müssen die sozialen Auswirkungen dieser Maßnahmen berücksichtigt werden, um das Verständnis und die Unterstützung der betroffenen Arbeitnehmer zu gewinnen. Die Umgestaltung des Wirtschaftssystems aller EU-Mitgliedstaaten ist eine Aufgabe von enormer Tragweite, die für Branchen wie die High-End-Fertigung oder die Erzeugung erneuerbarer Energie riesige Chancen, für andere jedoch Unsicherheit birgt. Daher müssen Fonds eingerichtet werde, die mögliche direkte Folgen der CO2-Minderungsmaßnahmen auf die Beschäftigung in den von fossilen Brennstoffen abhängigen Sektoren abfedern und so einen sozial gerechten Übergang gewährleisten sollen. Zu den Maßnahmen würde die Umschulung und Weiterbildung der Arbeitnehmer zählen, damit sie wieder in den Arbeitsmarkt einer CO2-emissionsarmen Wirtschaft eintreten können, der entsprechend neue Kompetenzen erfordert. International Trade Union House (ITUH) – Boulevard du Roi Albert II 5 (bte 10) – B-1210 Brüssel Tel.: +32 (0)2/226 00 50 [email protected] www.industriall-europe.eu 2