Tagblatt Online, 14. Mai 2012, 07:58 Uhr «Jedes Kind kann lernen» Auf ein Abschiedsgeschenk hat die scheidende HPS-Präsidentin Anni Büchler verzichtet. Für den dafür vorgesehenen Betrag hat die Institutionisleiterin Regina Diethelm ein Instrument mit Klangröhren für die Schule gekauft, auf dem Anni Büchlers Name eingraviert ist. (Bild: Hansruedi Kugler) WATTWIL. Zwölf Jahre lang war Anni Büchler Präsidentin der Heilpädagogischen Schule (HPS) Toggenburg. In ihrer Amtszeit wurde die HPS ausgebaut und die Frage der Integration intensiv diskutiert. Die Finanzen sind neuerdings ein Sorgenkind. HANSRUEDI KUGLER Es ist Lebensthema der 68jährigen Anni Büchler: Drei eigene Kinder, die Pädagogik und handicapierte Schüler – Anni Büchler hat sich von der jungen Zürcher Mittelstufenlehrerin, die in den Semesterferien in einem Behindertenheim arbeitete, bis zur ehrenamtlichen Tätigkeit als Wattwiler HPS-Präsidentin ein Leben lang dem Thema Schule und Erziehung gewidmet. Ihr Credo lautete stets: «Jedes Kind kann lernen.» Selbst am Mittagstisch bei Familie Büchler seien Schule und Pädagogik immer zentrale Themen gewesen, «dies nicht immer zur Freude unserer Kinder», lacht sie. Schliesslich war ihr Mann, der Historiker Hans Büchler, Kantilehrer und jahrelang Präsident der Sprachheilschule in Wattwil. Anni Büchler ist dabei nie nur die «starke Frau» hinter dem aktiven Mann gewesen, der neben der Kanti auch noch das Toggenburger Museum geleitet hat. Sie war Mitbegründerin und Gruppenleiterin der Wattwiler Spielgruppe, dem heutigen «Chäferhus», war jahrelang Blockflötenlehrerin und arbeitete nach einer Zusatzausbildung bis zu ihrer Pensionierung 2007 im Teilzeitpensum als Legasthenie-Dyskalkulie-Therapeutin in der Schulgemeinde Wattwil-Krinau. Skeptisch bei Integration Die Heilpädagogische Schule ist immer noch ein wenig ihr «Kind» und statt über sich selbst Auskunft zu geben oder über die Geschichte der Heilpädagogischen Schule zu berichten, diskutiert Anni Büchler lieber über die aktuellsten Herausforderungen der Finanzplanung und der Integration. «Im integrativen Schulmodell kann ein behindertes Kind mit seinen Nachbarskindern den Dorfkindergarten besuchen, was positiv ist. Anderseits sind dort weniger gezielte Fördermassnahmen möglich als bei uns an der HPS», schildert Anni Büchler den Zwiespalt. Gegenüber der integrativen Schule hat sie darum Vorbehalte: Ein geistig behindertes Kind befinde sich in einer permanenten Überforderung, wenn alle anderen Kinder nicht geistig behindert sind, erklärt sie. Denn nicht nur die Lerngegenstände, sondern auch die sozialen Interaktionen würden für ein geistig behindertes Kind viel zu schnell ablaufen. «In einer grossen Gruppe hat das behinderte Kind einen Exotenstatus. Seine Menschenwürde wird verletzt», gibt Anni Büchler zu bedenken. Und es gäbe Fälle, wo die Kinder in der HPS regelrecht aufblühen. Deshalb müsse das Credo lauten: «So viel Integration wie möglich, so viel Separation wie nötig.» Sorgenkind Finanzen Sorgen bereitet ihr die Finanzierung der Heilpädagogischen Schulen: «Weil der Kanton die Gemeindebeiträge pro Schüler massiv erhöht, wird unsere Schulplanung immer schwieriger», kritisiert Anni Büchler. Dass der Kanton die Gemeindebeiträge pro Sonderschüler in zwei Schritten von 21 000 auf 36 000 Franken erhöht, belaste das Verhältnis zwischen Schulgemeinden und HPS. Denn die Schulgemeinden seien versucht, auch aus finanziellen Gründen Sonderschüler in Regelklassen einzuschulen. Wenn sie dann nach Wochen oder wenigen Monaten merken, dass es nicht funktioniert, komme das Telefon an die HPS: Wir schicken euch bald einen Schüler. Es komme leider vor, dass die HPS während des Schuljahrs Schüler aus diesem Grund aufnehmen müsse, sagt die scheidende HPS-Präsidentin. Dann sei aber der Stellenplan für die Lehrpersonen längst gemacht und bei der personalintensiven Betreuung forderten solche Anpassung einiges Kopfzerbrechen. Die Hauptarbeit leiste dabei eindeutig die Institutionsleiterin Regina Diethelm. Als HPS-Präsidentin sei sie in Kontakt mit der Politik und für die Zukunftsplanung der Schule verantwortlich gewesen und habe ein Wort bei der Anstellung der Lehrpersonen mitgeredet, sagt Anni Büchler. Gekämpft und gebaut Die Kämpfe allerdings ist sie sich gewöhnt. Denn einen einfachen Job hatte Anni Büchler in den vergangenen 19 Jahren mit der HPS kaum je. Als sie 1993 als Nachfolgerin von Sonja Kauf-Pozzi in den Vorstand gewählt wurde, stand die HPS gerade vor einem Grundsatzentscheid: Ausbau oder Aufteilung. Seit ihrer Gründung 1965 (damals mit drei Schülern) war sie ständig gewachsen, bis Ende 1970er-Jahre knapp 60 Schüler aus dem ganzen Toggenburg von Kirchberg bis Wildhaus die HPS in Wattwil besuchten. «Die HPS war für unser Gebäude zu gross geworden», sagt Anni Büchler im Rückblick. Auf das Schuljahr 1993/94 wurde deshalb das Einzugsgebiet verkleinert: Die Schüler aus dem oberen Toggenburg wurden fortan im Johanneum unterrichtet. Gleichzeitig machte man sich daran, im Hauptgebäude zusätzliche Schulräume zu schaffen. 1998 wurde die Hauswartswohnung im Dachgeschoss in Schul- und Therapieräume verwandelt, im Keller entstanden Töpferei und Malräume. In zwei weiteren Etappen folgte der Ausbau der HPS auf dem Dach des Coop-Gebäudes. Selbständig bleiben als Ziel Nicht zuletzt gab es harte Verhandlungen mit dem Bildungsdepartement für die Sanierung des Hallenbades im Jahr 2006,das die IV nicht mehr mitzahlen wollte, obwohl sie das Hallenbad als Voraussetzung für die Anerkennung der HPS in den Gründungsjahren gefordert hatte. Bei der Lösung aller Probleme sei sie kräftig unterstützt worden vom Vizepräsidenten und allen Vorstandsmitgliedern mit ihren jeweiligen speziellen Fachwissen. Was sie sich für die Zukunft der HPS wünscht? «Dass sie eine selbständige Institution bleiben kann. Im Mittelpunkt muss einfach immer das Kind und dessen individuelle Förderung stehen, und nicht die Finanzen.»