Psychiatrisch-pharmakologische Aspekte der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen oder „Was haben wir aus der Hysterie gemacht?“ OA Dr. Stefan Röpke Modul Persönlichkeitsstörungen, Station 5 Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie Charité-Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin http://www.charite.de/psychiatry/ [email protected] Telefon: 030-8445-8796 oder 8750 Tuesday, September 26, 2006 Is Hysteria Real? Brain Images Say Yes ERIKA KINETZ The 19th-century French neurologist Jean-Martin Charcot, shown lecturing on hysteria, helped lay the groundwork for contemporary research. Hysterische Neurose (Freud) gehört heute zu den somatoformen Störungen nach DSM IV; Konversionsstörung (300.11) oder Somatisierungsstörung (300.81) Freud; Erotische Persönlichkeit; „…Hauptziel im Leben ist es zu lieben und noch viel mehr geliebt zu werden…“ (zwischen beiden Diagnosen besteht eine Beziehung, keine 1:1 Überschneidung) Fahrplan - Wie kommen wir zur DSM IV Diagnose der Histrionischen Persönlichkeitsstörung (HPS) - „Probleme“ mit der Diagnose - Mögliche Lösungen - Pharmakotherapie - Ausblick seit DSM III (1980) Achse I / II PS sind Prädiktoren für Achse I-Störungen (z.B. 80% affektive Störungen bei BPS, vermehrt Depressive Störung bei HPS) und negative/positive Prädiktoren für den Therapieerfolg (z.B. negativ bei SSRI und komorbider Depression, positiv Kriterium der HPS „fast Beziehungen enger auf als sie tatsächlich sind“ für den Verbleib in der Therapie ) Merkmale „traits“ der Histrionischen PS Lazare und Kollegen (1970) Faktorenanalyse mittels Lazare-Klerman Trait Scala (LKTS) • • • • • • • • Aggression * Emotionalität Orale Aggression * Exhibitionismus Egozentrik * Sexuell provozierend Abhängigkeit Eigen-/Starrsinn * (*) Merkmal nicht in DSM IV von DSM III zu DSM III-R Kriterien wurden nicht übernommen: • Wutanfälle • Manipulative Suizidversuche Dafür wurden aufgenommen: • Unangemessenes sexuell verführerisches oder provokantes Verhalten • Übertrieben impressionistischer, wenig detaillierter Sprachstil von DSM III-R zu DSM IV Kriterien wurden nicht übernommen: • Braucht Bestätigung (vorhanden bei 92% HPS, 88% depPS, 80% BPS) • Selbst-zentriert (vorhanden bei 81% HPS, 80% depPS, 85% BPS) Dafür wurden aufgenommen: • Leicht beeinflussbar durch andere Personen oder Umstände • Fast Beziehungen enger auf als sie sind APA WHO Ottosson, J Personality Disorders, 2002 Schwierigkeiten mit der Achse II • Gewichtung der Kriterien ist nicht möglich • „Persönlichkeitsstärken“ werden nicht berücksichtigt (z.B. Freundschaften zu halten) • PS NNB-Problem • Ungenügende Messinstrumente (SCID II) (z.B. geringe Retest-Reliabilität nach Intervallen, größer als 6 Wochen) • “künstliche” Trennung in PS/ keine PS (z.B. Kontinuum von keine-mittlere-schwere PS fehlt) Westen et al., Am J Psychiatry 156:258-272, February 1999 Schwierigkeiten mit der Achse II • z.B. Borderline PS (5 of 9 Kriterien) hat 151 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten und Fälle mit lediglich einem gemeinsamen Symptom • ist stabil und langdauernd, Beginn in Adoleszenz oder frühen Erwachsenenalter (Peak des Beginns von Zügen der HPS im 12-13 LJ (Bernstein 1993) ) Hyman, Biological Psychiatry, Volume 51, Issue 12 , 15 June 2002, Pages 933-935 Zeitlicher Verlauf • • • • • • 10-Jahres Verlauf der Borderline PS 39.3% von 242 Patienten remittierten nach 2 Jahren zusätzliche 22.3% remittierten nach 4 Jahren zusätzliche 21.9% remittierten nach 6 Jahren zusätzliche 12.8% remittierten nach 8 Jahren zusätzliche 3.7% remittierten nach 10 Jahren (88% der Patienten mit Borderline PS) Zanarini et al., American Journal of Psychiatry 163:827-832, May 2006 Hohe Komorbidität zwischen den Achse II Störungen Westen et al., American Journal of Psychiatry 163:846-856, May 2006 Alternative dimensional model of PD • • • • Internalisation /Externalisation 5-Persönlichkeitsdomänen Persönlichkeits- Eigenschaften Skalen Verhaltensspezifische Diagnosekriterien Widiger et al. 2005, Journal of personality disorders • 5-Faktoren-Modell Costa et al. 2005, journal of personality disorders • Shedler and Westen Assessment Procedure-200 (Q-sort) (Shedler et al. 2004, J Psychiatry) Überdauernde Marker “traits” Pharmakotherapie der HPS Studien zur pharmakologischen Behandlung der HPS • Mianserin (AD) zeigt keine Unterschied zu Placebo (Montgomery 1982) • Flupentixol (trizykl.AP) Depot besser als Placebo (Montgomery 1982) • Problem: • gemixte Patienten mit BPS/HPS • Zielsymptomatik: Suizidalität Welches der 8 Kriterien der HPS bietet sich als Zielsymptomatik für eine Psychopharmakatherapie an? Gibt es Zielsymptome der HPS, die sich nicht in den 8 Kriterien widerspiegeln? Starke Ängstlichkeit Extreme Emotionen, Kontrollverlust Somatische Symptome (Westen 1999) Antiimpulsive/Antiaggessive Medikation • SSRI (zusätzlich Angst, Zwang und Depression) • Fluoxetin reduziert Ärger in BPS (Salzman 1995, Markowitz 1995, Coccaro 1997) • Fluvoxamin reduziert Stimmungsschwankungen, nicht Ärger oder Impulsivität in BPS (Rinne 2002) • Atypische NL (zusätzlich psychot. Symptome) • Aripiprazol reduziert Ärger in BPS (Nickel 2006) • Olanzapin reduziert Ängstlichkeit und Ärger in BPS (Zanarini 2001, 2004, Bogenschütz 2004) • Omega-3 Fettsäuren reduzieren Aggression in BPS (Zanarini 2003) • Stimmungsstabilisatoren (zusätzlich Stimmungsschwankungen) • Valproat reduziert BPS-Symptome (Hollander 2001) • Topiramat reduziert Feindseligkeit und Angst in BPS (Loew 2006) Das „Fieber-Problem“ Das „Tuberkulose-Problem“ Allgemeine Hinweise zur pharmakologischen Behandlung der Persönlichkeitsstörungen • Achse I-Störungen (z.B. Depression) mit Persönlichkeitsstörung werden Pharmakologisch wie Achse I-Störungen ohne Persönlichkeitsstörung behandelt • Ein schlechteres Ansprechen auf die Behandlung ist möglich • In den seltensten Fällen gibt es eine Rationale für die Gabe von mehreren Psychopharmaka • Medikamente mit Abhängigkeitspotential sind zu vermeiden (Benzodiazepine) • Eine Behandlung sollte im Rahmen der Persönlichkeitsstörung eine klare Zielsymptomatik haben • Besprechung eines Behandlungs-Zeitplans Allgemeine Hinweise zur pharmakologischen Behandlung der Persönlichkeitsstörungen • Im besten Fall psychometrische Messung (Aggressivität FAF, Impulsivität BDI, Depressivität MADRS usw.) • Mögliche Nebenwirkungen sollten im zeitlichen Verlauf und ihren Konsequenzen besprochen werden (z.B. Gewichtszunahme oder sexuelle Störungen, ggf. z.B. Bupropion) • Keine unspezifisch sedierenden Medikamente (z.B. Atosil) • Unwirksame Medikamente wieder absetzten! • Psychotherapeutische Strategien in Akutsituationen erwägen anstelle von z.B. Benzodiazepinen (Tavor)! • Langfristig Kombination von Psychotherapie und Pharmatherapie Psychotherapie der HPS Hipokrates „…Heirat als eine Behandlung der Hysterie…“ Weder verhaltenstherapeutische (z.B. Beck, Young) noch tiefenpsychologische (z.B. Kernberg) Behandlungskonzepte der HPS sind auf Wirksamkeit evaluiert. Ausblicke Psychotherapie als Löschung von Gedächtnisinhalten, bzw. (emotionales) (Neu-) Lernen Einsatz von Substanzen, die diesen Prozess „optimieren“ D-Cycloserin (Glutamat NMDA-Agonist) Augmentation of Exposure Therapy With DCycloserine for Social Anxiety Disorder Stefan G. Hofmann, PhD; Alicia E. Meuret, PhD; Jasper A. J. Smits, PhD; Naomi M. Simon, MD, MSc; Mark H. Pollack, MD; Katherine Eisenmenger, MD; Michael Shiekh, MD; Michael W. Otto, PhD Arch Gen Psychiatry. 2006;63:298-304. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!