DAS BUCH KOHELET (PREDIGER) 1 ALLES IST SINNLOS, GOTT UNBEGREIFLICH (1,1-3,15) 1 In diesem Buch sind die Lehren des Philosophen aufgeschrieben. Er war ein Sohn Davids und König in Jerusalem. Alles ist schon einmal dagewesen 2 Völlig sinnlos ist alles, pflegte der Philosoph zu sagen, völlig sinnlos. Was auch geschieht, es hat alles keinen Sinn. 3 Der Mensch müht und plagt sich sein Leben lang, und was hat er davon? 4 Die Generationen kommen und gehen; und die Erde bleibt, wie sie ist. 5 Die Sonne geht auf, sie geht unter, und dann wieder von vorn, immer dasselbe. 6 Jetzt weht der Wind von Norden, dann dreht er und weht von Süden, er dreht weiter und immer weiter, bis er wieder aus der alten Richtung kommt. 7 Alle Flüsse fließen ins Meer, aber das Meer wird nicht voll. Das Wasser kehrt zu den Quellen zurück - und wieder fließt es ins Meer. 8 Du bemühst dich, alles, was geschieht, in Worte zu fassen, aber es gelingt dir nicht. Denn mit dem Hören und Sehen kommst du nie an ein Ende. 9 Was gewesen ist, das wird wieder sein; was getan wurde, das wird wieder getan. Und doch gibt es eigentlich nichts Neues unter der Sonne. 10 »Sieh her«, sagen sie, »da ist etwas Neues!« Unsinn! Es ist schon einmal dagewesen, lange bevor wir geboren wurden. 11 Wir wissen nur nichts mehr von dem, was die Alten taten. Und was wir heute tun oder unsere Kinder morgen, wird auch bald vergessen sein. Handeln, Wissen, Genießen - es führt zu nichts 12 Ich, der Philosoph, war König über Israel und regierte in Jerusalem. 13 Ich nahm mir vor, alle Dinge zu ergründen und zu begreifen. Ich wollte herausfinden, was für einen Sinn alles hat, was in der Welt geschieht. Doch was ist das für eine fruchtlose Beschäftigung! Gott hat sie den Menschen gegeben, damit sie sich mit ihr plagen. 14 Ich beobachtete alles, was Menschen auf der Erde tun, und ich fand: Alles ist vergeblich. Es ist, als jagtest du dem Wind nach. 15 Krummes kann nicht gerade werden; was nicht da ist, kannst du nicht zählen. 16 Ich sagte zu mir selbst: »Ich weiß mehr als alle, die vor mir über Jerusalem geherrscht haben. Ich habe eine Fülle von Weisheit und Erkenntnis gesammelt.« 17 Doch als ich darüber nachdachte, was das alles wert ist und was der Weise den uneinsichtigen Schwachköpfen voraushat, erkannte ich: Auch die Bemühung um Weisheit und Erkenntnis ist Jagd nach Wind. 18 Wer viel weiß, hat viel Ärger. Je mehr Erfahrung, desto mehr Enttäuschung. 2 1 Ich entschloß mich, das Leben zu genießen und glücklich zu sein. Aber ich merkte: Auch das ist sinnlos. 2 Das Lachen ist etwas für Narren, und die Freude - was bringt sie schon ein? Lohnt es sich, etwas zu vollbringen? 3 Ich wollte am vollen Leben teilhaben wie die Menschen, die sich nicht um Weisheit und Einsicht kümmern; aber der Verstand sollte die Führung behalten. Ich trank Wein, um mich in Stimmung zu bringen, denn ich wollte erkunden, ob der Mensch während seiner kurzen Lebenstage irgendwo Glück finden kann. 4 Ich vollbrachte große Dinge: Ich baute mir Häuser und pflanzte Weinberge. 5 Ich legte Obstgärten an und pflanzte darin alle Arten von Fruchtbäumen. 6 Ich legte Teiche an, um die vielen aufwachsenden Bäume zu bewässern. 7 Ich kaufte mir zahlreiche Sklaven und Sklavinnen zu denen hinzu, die ich von meinem Vater geerbt hatte. Ich besaß mehr Rinder, Schafe und Ziegen als irgend jemand vor mir in Jerusalem. 8 Ich füllte meine Vorratskammern mit Silber und Gold aus den Schätzen der unterworfenen Könige und Länder. Ich hielt mir Sänger und Sängerinnen und nahm mir so viele Frauen, wie ein Mann nur wünschen kann. 9 So wurde ich mächtiger und reicher als alle, die vor mir in Jerusalem regiert hatten. Weil ich ein so großes Wissen besaß, 10 konnte ich mir alles verschaffen, was meinen Augen gefiel, und ich versagte mir keine Freude. Mit all meiner Mühe hatte ich es so weit gebracht, daß ich tatsächlich glücklich war. 11 Doch dann dachte ich über alles nach, was ich getan und erreicht hatte, und kam zu dem Ergebnis: Alles ist sinnlos; du könntest genausogut mit der Hand nach dem Wind greifen. Letztlich kommt bei aller Mühe nichts heraus. Lohnt es sich, Wissen zu erwerben? 12 Ich wollte wissen, ob bei Weisheit etwas anderes herauskommt als bei Unverstand und Torheit. Denn was wird der Mann tun, der mir auf dem Königsthron folgt? Bestimmt das, was man schon immer getan hat! 13 Es stimmt: Weisheit ist besser als Unwissenheit, so wie Licht besser ist als Finsternis. 14 Der Wissende sieht, wo er geht; der Unwissende tappt im Dunkeln. Aber ich erkannte auch: Beide trifft am Ende das gleiche Schicksal. 15 Wenn es mir also trotz meiner Weisheit genauso ergeht wie den Unverständigen, weshalb bemühe ich mich dann so sehr darum? Und ich sagte mir: Auch das ist sinnlos. 16 Kluge müssen doch genauso sterben wie die Dummen. Und man erinnert sich an die einen nicht länger als an die andern. Wie bald sind sie alle vergessen! 17 Da war mir das ganze Leben verleidet. Du kannst tun, was du willst auf dieser Erde - es ist doch alles sinnlos und führt zu nichts. 18 Auch der ganze Ertrag meiner Mühe war mir verleidet. Ich muß ja doch alles einem anderen überlassen, der nach mir kommt. 19 Wer weiß, ob der auch den Verstand hat, es sinnvoll zu gebrauchen. Trotzdem wird er über alles verfügen, was ich mir mit solcher Mühe durch mein großes Wissen erworben habe. Auch das ist sinnlos! 20 Da begann ich zu verzweifeln, weil ich mich für nichts und wieder nichts geplagt hatte. 21 Da müht sich jemand ab mit Klugheit und Geschick und erreicht etwas; aber dann muß er es einem vererben, der keinen Finger dafür krummgemacht hat. Auch das ist sinnlos und ein großes Übel! 22 Was hat der Mensch am Ende von all seiner Anstrengung? 23 Nichts als Sorgen und Plagen hat er sein Leben lang, selbst in der Nacht kommen seine Gedanken nicht zur Ruhe. Auch das ist sinnlos! Wer kann sein Leben genießen? 24 Es gibt für den Menschen nichts Besseres als essen und trinken und genießen, was er sich erarbeitet hat. Doch dieses Glück hängt nicht von ihm selbst ab: Es ist ein Geschenk Gottes. 25 Denn wer hat zu essen oder hat Grund zur Freude ohne ihn? 26 Den Menschen, die Gott liebt, schenkt er Weisheit, Wissen und Freude. Die Sünder aber läßt er sammeln und anhäufen, um es denen zu geben, die er liebt. Die ganze Mühe war dann sinnlos und Jagd nach Wind. 3 Gott hat alles im voraus bestimmt 1 Alles, was auf der Erde geschieht, hat seine von Gott bestimmte Zeit: 2 geboren werden und sterben, einpflanzen und ausreißen, 3 töten und Leben retten, niederreißen und aufbauen, 4 weinen und lachen, wehklagen und tanzen, 5 Steine werfen und Steine aufsammeln, sich umarmen und sich aus der Umarmung lösen, 6 finden und verlieren, aufbewahren und wegwerfen, 7 zerreißen und zusammennähen, schweigen und reden. 8 Das Lieben hat seine Zeit und auch das Hassen, der Krieg und der Frieden. 9 Was hat ein Mensch von seiner Mühe und Arbeit? 10 Ich habe die fruchtlose Beschäftigung gesehen, die Gott den Menschen auferlegt hat. 11 Gott hat für alles eine Zeit vorherbestimmt, zu der er es tut; und alles, was er tut, ist vollkommen. Dem Menschen hat er eine Ahnung von dem riesigen Ausmaß der Zeiträume gegeben, aber von dem, was Gott in dieser unvorstellbar langen Zeit tut, kann der einzelne Mensch nur einen winzigen Ausschnitt wahrnehmen. 12 Ich bin zu der Erkenntnis gekommen: Das Beste, was der Mensch tun kann, ist, sich zu freuen und sein Leben zu genießen, solange er es hat. 13 Wenn er aber zu essen und zu trinken hat und genießen kann, was er sich erarbeitet hat, dann verdankt er das der Güte Gottes. 14 Ich habe erkannt: Alles, was Gott tut, ist unabänderlich für alle Zeiten. Der Mensch kann nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen. So hat es Gott eingerichtet, damit wir in Ehrfurcht zu ihm aufschauen. 15 Was in der Vergangenheit geschah und was in Zukunft geschehen wird, hat Gott lange zuvor festgelegt. Und die Zeit, die uns entschwunden ist, ist bei ihm nicht vergangen. UNGERECHTIGKEITEN UND SINNLOSIGKEITEN (3,16-6,12) Unrecht in der Welt 16 Noch etwas habe ich in dieser Welt beobachtet: Wo Recht gesprochen und für Gerechtigkeit gesorgt werden sollte, da herrscht schreiendes Unrecht. 17 Da dachte ich: Letzten Endes ist es Gott selbst, der die Guten genauso wie die Bösen verurteilt. Denn er hat eine Zeit bestimmt für alles, was auf der Erde geschieht. 18 Ich sagte mir: Gott will die Menschen prüfen. Sie sollen einsehen, daß sie von sich aus nicht anders sind als das Vieh. 19 Menschen und Tiere haben das gleiche Schicksal: Die einen wie die anderen müssen sterben. Sie haben beide den gleichen vergänglichen Lebensgeist. Nichts hat der Mensch dem Tier voraus, denn alles muß vergehen. 20 Alles muß an den gleichen Ort. Aus dem Staub der Erde ist alles entstanden, und zum Staub der Erde kehrt alles zurück. 21 Wer weiß denn, ob der Lebensgeist des Menschen in die Höhe steigt und der Lebensgeist des Tieres in die Erde versinkt? 22 So habe ich eingesehen, daß der Mensch nichts Besseres tun kann, als den Ertrag seiner Arbeit zu genießen. Das hat Gott ihm zugeteilt. Wie sollte er sich auch freuen an dem, was erst nach ihm sein wird? 4 1 Ich habe auch gesehen, wieviel Ausbeutung es in dieser Welt gibt. Die Unterdrückten weinen, aber niemand trocknet ihre Tränen. Niemand hilft ihnen, denn ihre Unterdrücker haben die Macht. 2 Wie gut haben es die Toten! Ihnen geht es besser als den Lebenden. 3 Noch besser sind die dran, die gar nicht geboren wurden und die Ungerechtigkeit auf der Erde nicht sehen mußten. Sinn und Unsinn der Arbeit 4 Auch das habe ich gesehen: Da plagt sich ein Mensch und leistet etwas und tut alles, um die anderen auszustechen. Ist das nicht auch sinnlos? Letzten Endes kommt nichts dabei heraus. 5 Es heißt zwar: »Der Unbelehrbare legt seine Hände in den Schoß - und verhungert.« 6 Aber ich sage: Eine Handvoll zum Leben und dabei Ruhe und Frieden ist besser als beide Hände voll sinnloser Jagd nach Wind. 7 Noch etwas Unsinniges habe ich in dieser Welt bemerkt: 8 Da lebt jemand ganz allein; er hat keinen Sohn und auch keinen Bruder. Trotzdem arbeitet er rastlos weiter, und sein Besitz ist ihm nie groß genug. Für wen plage ich mich dann eigentlich und gönne mir selbst keine Freude? Das ist doch eine elende Art zu leben und völlig sinnlos! Besser nicht allein! 9 Zwei sind allemal besser dran als einer allein. Wenn zwei zusammenarbeiten, bringen sie es eher zu etwas. 10 Wenn zwei unterwegs sind und hinfallen, dann helfen sie einander wieder auf die Beine. Aber wer allein geht und hinfällt, ist übel dran, weil niemand ihm helfen kann. 11 Wenn zwei beieinander schlafen, können sie sich gegenseitig wärmen. Aber wie soll einer allein sich warm halten? 12 Ein einzelner Mensch kann leicht überwältigt werden, aber zwei wehren den Überfall ab. Noch besser sind drei; es heißt ja: »Ein Seil aus drei Schnüren reißt nicht so schnell.« Wankelmütige Volksgunst 13 Es heißt: »Ein junger Mann, der arm ist, aber gelernt hat, sein Leben richtig zu führen, ist besser als ein alter, eigensinniger König, der keinen Rat mehr annimmt.« 14 Gut, den jungen Mann holten sie aus dem Gefängnis und setzten ihn auf den Thron, obwohl er in einer armen Familie geboren wurde, als der andere schon König war. 15 Aber ich habe beobachtet, daß das Volk sich immer auf die Seite des nächsten jungen Mannes stellt, der schon bereitsteht, um den Platz des anderen einzunehmen. 16 Alle Leute laufen ihm nach. Aber schon bald werden sie auch mit ihm unzufrieden sein und dem nächsten zujubeln. Auch das ist sinnlos, es bringt nicht, was man erwartet. Vom Verhalten Gott gegenüber 17 Überlege, was du tust, wenn du zum Gotteshaus gehst. Du sollst dort zuhören und lernen, Gott zu gehorchen. Das ist besser, als wenn Dummköpfe nur Tiere zum Opfer dorthin bringen. Sie bleiben unwissend und tun deshalb weiter Böses. 5 1 Überlege, bevor du Gott etwas sagst. Sprich nicht alle Gedanken aus, die dir kommen. Denn Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde; darum rede nicht mehr als nötig. 2 Es heißt doch: »Je mehr Pläne du im Kopf hast, desto schlimmer träumst du. Und je mehr Worte du machst, desto mehr Unsinn redest du.« 3 Wenn du Gott etwas versprochen hast, dann erfülle dein Gelübde so schnell wie möglich. Leichtfertige Leute, die ihr Versprechen nicht halten, kann Gott nicht ausstehen. 4 Keine Versprechungen machen ist besser als etwas versprechen und es dann nicht halten. 5 Sieh dich vor, daß du nichts Unrechtes sagst. Hast du es doch getan, so behaupte nicht vor dem Priester, es sei dir nur so herausgerutscht. Oder willst du, daß Gott zornig auf dich wird und deine Arbeit mißlingen läßt? 6 Viel Träumen führt zu viel Sinnlosigkeit, viele Worte auch. Darum nimm Gott ernst! Die Ausbeuter sind sich einig 7 Wundere dich nicht, wenn du siehst, wie man die Armen auf dem Land unterdrückt und ihnen gerechtes Urteil verweigert. Denn ein Mächtiger deckt den anderen, und beide deckt einer, der noch mächtiger ist. 8 Es wäre besser, wenn der König selbst sich um die Verhältnisse auf dem Land kümmern würde. Reichtum, der kein Glück bringt 9 Wer am Geld hängt, bekommt nie genug davon. Wer ein üppiges Leben liebt, dem fehlt immer noch etwas. Auch das ist sinnlos. 10 Je reicher jemand wird, desto mehr Leute wollen von seinem Reichtum leben. Welchen Nutzen hat er am Ende davon? Nur das Nachsehen. 11 Wer hart arbeitet, schläft gut, ob er viel oder wenig gegessen hat. Der reiche Faulenzer dagegen wälzt sich schlaflos im Bett, weil ihn der Magen drückt. 12 Noch eine böse Sache habe ich beobachtet: daß einer, der seinen Reichtum ängstlich hütet, dennoch ins Elend gerät. 13 Ein einziges schlechtes Geschäft, und schon ist alles verloren! Wenn der Mann einen Sohn hat, kann er ihm nichts mehr vererben. 14 Und überhaupt: Nackt, wie der Mensch auf die Welt gekommen ist, muß er wieder von ihr gehen. Von allem, was er hier angehäuft hat, kann er nicht einmal eine Handvoll mitnehmen. 15 Das ist doch eine ganz üble Sache: Der Mensch muß gehen, wie er gekommen ist; für nichts und wieder nichts hat er sich abgeplagt. 16 Sein Leben lang hat er sich nichts gegönnt und sich mit Ärger, Sorgen und Krankheit herumgeschlagen. Dankbar genießen 17 Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß wir Menschen in dem kurzen Leben, das Gott uns zugemessen hat, nichts Besseres tun können als essen und trinken und es uns wohl sein lassen bei aller Mühe, die wir haben. So hat Gott es für uns bestimmt. 18 Wenn Gott einen Menschen reich und wohlhabend werden läßt und ihm erlaubt, seinen Teil davon zu genießen und sich am Ertrag seiner Mühe zu freuen, dann ist das ein Gottesgeschenk! 19 Die Freude läßt ihn nicht mehr daran denken, wie kurz sein Leben ist. 6 Auch Reichtum bringt keine Sicherheit 1 Etwas Schlimmes habe ich in dieser Welt gesehen, das schwer zu ertragen ist: 2 Da ist jemand, den hat Gott zu Reichtum, Besitz und Ansehen kommen lassen; er hat alles, was ein Mensch sich wünschen kann. Aber Gott erlaubt ihm nicht, es zu genießen; irgendein Unbekannter wird sich ein gutes Leben damit machen. Das ist doch sinnlos und ganz unerträglich! 3 Mag einer auch hundert Kinder haben und ein hohes Alter erreichen - was hat er davon, wenn er nicht sein Leben genießen kann und am Ende nicht einmal ein anständiges Begräbnis bekommt? Ich sage: Eine Fehlgeburt hat es besser als er! 4 Denn: »Als ein Nichts kommt sie, in die Nacht geht sie, namenlos und vergessen. 5 Das Sonnenlicht sieht sie nicht, was Leben ist, weiß sie nicht; doch Ruhe hat sie gefunden.« Jedenfalls mehr Ruhe als der andere, 6 der nichts von seinem Leben hat, und wenn er zweitausend Jahre alt würde! Am Ende kommen alle an den gleichen Ort. 7 Der Mensch müht sich ständig ab, um sich satt essen zu können. Was hilft's, er wird doch immer wieder hungrig! 8 Darin geht es den Weisen nicht besser als den Unwissenden. Und was nützt es den Armen, wenn sie etwas wissen? Wissen macht nicht satt! 9 Gib dich zufrieden mit dem, was du hast, und verlange nicht nach allen möglichen anderen Dingen; denn das ist sinnlos und Jagd nach Wind. Sich gegen Gott wehren ist nutzlos 10 Alles, was geschieht, ist vor langer Zeit bestimmt worden. Ehe ein Mensch auf die Welt kommt, steht schon fest, was aus ihm wird. Und mit seinem Schöpfer, der mächtiger ist als er, kann er nicht darüber streiten. 11 Je mehr er gegen ihn vorbringt, desto sinnloser wird es und desto weniger kommt für ihn dabei heraus. 12 Überhaupt, wer kann einem Menschen sagen, was für ihn gut ist während seines kurzen, sinnlosen Lebens, das so flüchtig ist wie ein Schatten? Und wer kann ihm sagen, was nach ihm auf dieser Erde geschehen wird? 7 ALTE WEISHEITEN, NEU GESEHEN (Kapitel 7-9) Über den Tod 1 »Ein guter Ruf ist besser als ein schönes Begräbnis«, heißt es. Ich aber sage: Der Todestag ist besser als der Tag der Geburt. 2 In ein Trauerhaus gehen bringt mehr Gewinn als in ein Hochzeitshaus gehen; denn auf jeden Menschen wartet der Tod, und wer noch lebt, nehme sich das zu Herzen! 3 Weinen ist besser als Lachen. Ein trauriges Gesicht ist ein Zeichen für reiche Lebenserfahrung. 4 Der Narr geht am liebsten dorthin, wo es lustig zugeht; der Weise geht lieber in ein Trauerhaus. Über Wissen und Unverstand 5 Der Tadel eines weisen Menschen hilft dir mehr als alle Loblieder der Unwissenden. 6 Denn das Lachen unverbesserlicher Narren ist wie das Prasseln brennender Dornen unter einem Kochtopf: Es hat keinen Sinn! 7 Aber auch der Weise wird zum Narren, wenn man ihn erpreßt, und Geschenke vernebeln seinen Verstand. Über Geduld und Vorsicht 8 Mit Reden aufhören ist besser als mit Reden anfangen. Ruhig Blut bringt weiter als ein heißer Kopf. 9 Laß dich nicht aus der Ruhe bringen; nur Unverständige ärgern sich über alles. 10 Frage nicht: »Warum war früher alles besser als heute?« Damit verrätst du nur, daß du das Leben noch nicht kennst. Über Erfahrung und Besitz 11 Wissen und Erfahrung sind ebensoviel wert wie Besitz, ja, sie werfen sogar noch Gewinn ab. 12 Sie geben genausoviel Sicherheit wie das Geld, und sie bringen noch mehr: sie erhalten ihren Besitzer am Leben. 13 Aber vergiß nicht, daß es bei allem auf Gottes Tun ankommt. Wer kann geradebiegen, was er krumm gemacht hat? 14 Freu dich, wenn du einen Glückstag hast. Und wenn du einen Unglückstag hast, dann denke daran: Gott schickt dir beide, und du weißt nicht, was als nächstes kommt. Die gesunde Mitte 15 Während meines nichtigen, flüchtigen Lebens habe ich beobachtet: Es gibt Menschen, die nach Gottes Geboten leben und trotzdem elend umkommen; aber andere, die Unrecht tun und sich um Gott nicht kümmern, genießen ihr Leben bis ins hohe Alter. 16 Deshalb ist mein Rat: Übertreib es nicht mit der Rechtschaffenheit, und bemühe dich nicht zu sehr um Wissen! Warum willst du dich selbst zugrunde richten? 17 Schlag aber auch nicht über die Stränge, und bleib nicht in der Unwissenheit! Warum willst du vor der Zeit sterben? 18 Halte dich an die gesunde Mitte. Wenn du Gott ernst nimmst, findest du immer den rechten Weg. 19 Wissen und Erfahrung helfen einem Menschen mehr, als zehn Herrscher einer Stadt ihm helfen können. 20 Aber kein Mensch auf der Erde ist so rechtschaffen, daß er immer richtig handelt und nie einen Fehler macht. 21 Versuche nicht, alles mitzubekommen, was die Leute reden. Was hast du davon, wenn du hörst, wie deine Untergebenen über dich schimpfen? 22 Du weißt doch, daß du selbst oft genug über andere geschimpft hast. Vergebliches Forschen 23 Ich wollte weise werden; ich habe alles versucht, um zur Einsicht zu kommen; aber sie blieb mir unerreichbar fern. 24 Der Sinn aller Dinge ist so fern und so tief verborgen. Wer kann ihn ergründen? 25 Dann wandte ich mich etwas anderem zu: Ich forschte und beobachtete, um daraus meine Schlüsse zu ziehen und zu einem Urteil zu kommen. Ich wollte wissen, ob die Bosheit etwas mit fehlender Einsicht zu tun hat und Unverstand mit Unverbesserlichkeit. 26 Da ist zum Beispiel die Art von Frau, die noch bitterer ist als der Tod. Von ihr sagt man: »Sie ist eine Falle, ihre Liebe ist ein Fangnetz; ihre Arme, mit denen sie dich umfängt, sind Fesseln. Ein Mann, mit dem Gott es gut meint, kann ihr entrinnen. Aber wer Gott mißfällt, den fängt sie ein.« 27 Sieh dir an, was ich herausgefunden habe; es ist das Ergebnis vieler Einzelbeobachtungen 28 das heißt: Was ich eigentlich suchte, habe ich nicht gefunden. Ich habe den Menschen gesucht, wie er sein sollte, und unter Tausend habe ich einen gefunden, und das war keine Frau! – 29 Das Ergebnis meines ganzen Forschens war: Gott hat die Menschen einfach und aufrichtig geschaffen, aber manche wollen alles kompliziert haben. 8 1 »Wissen macht das Gesicht freundlich und läßt die strengen Falten verschwinden«, heißt es. Aber wer hat dieses Wissen und kann alles richtig erklären? Auflehnung ist zwecklos 2 Ich rate dir: Tu, was der König befiehlt, denn du hast ihm vor Gott Treue geschworen. 3 Gib nicht dem Wunsch nach, gegen ihn zu rebellieren. Laß dich nicht auf eine so gefährliche Sache ein; denn der König tut letzten Endes doch, was ihm gefällt. 4 Er hat die Macht, seinen Willen durchzusetzen, und kein Mensch kann ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. 5 Wer Gottes Gebote befolgt, bleibt von Unglück verschont, und wer Lebensweisheit hat, weiß, wann und wie er handeln muß. 6 Denn alles, was geschieht, hat seine von Gott bestimmte Zeit. Aber es gibt ein schlimmes Geschick, das auf dem Menschen lastet: 7 Er weiß nicht, was ihn treffen wird, und niemand sagt ihm, wie es geschehen wird. 8 Den Wind kann er nicht aufhalten oder einsperren. Ebensowenig kann er seinen Todestag aufhalten. Im Krieg wird kein Soldat entlassen, und wer schuldig geworden ist, kann den Folgen seiner Schuld nicht entgehen. Warum geht es Verbrechern so gut? 9 Noch etwas habe ich beobachtet. Ich habe alles untersucht, was in der Welt geschieht, wenn einige wenige die Macht besitzen und die anderen darunter zu leiden haben. 10 Ich habe gesehen, wie Verbrecher zum Gottesdienst in den Tempel kamen, während rechtschaffene Leute aus dem Heiligtum vertrieben wurden und niemand in der Stadt mehr an ihre guten Taten dachte. Auch das ist sinnlos! 11 Daß die Strafe den Verbrecher nicht auf der Stelle ereilt, ermutigt viele dazu, Verbrechen zu begehen. 12a Manche haben schon hundert Schandtaten verübt - und leben immer noch! Lohn und Strafe 12b Auch ich kenne das Sprichwort: »Wer Gott ernst nimmt, dem geht es gut. 13 Aber wer Unrecht begeht, hat kein Glück. Sein Leben ist kurz und flüchtig wie ein Schatten, weil er Gott nicht ernst nimmt.« 14 Doch das ist Unsinn! In der Welt sieht es oft genug ganz anders aus: Da sind Menschen, die immer das Rechte tun, und es ergeht ihnen, wie es Verbrechern gehen sollte. Und es gibt Verbrecher, denen es so gut geht, als hätten sie immer das Rechte getan. Es bleibt dabei: Ich sehe darin keinen Sinn! 15 Darum soll sich der Mensch an die Freude halten. Er soll essen und trinken und sich freuen; das ist das Beste, was er unter der Sonne bekommen kann während des kurzen Lebens, das Gott ihm auf dieser Erde schenkt. Was von der Weisheit zu halten ist 16 Ich wollte herausfinden, was an der sogenannten Weisheit eigentlich dran ist. Darum habe ich dieses mühselige Geschäft beobachtet, mit dem der Mensch sich auf der Erde herumschlägt - Tag und Nacht tut er kein Auge zu. 17 Und ich mußte einsehen: Ein Mensch kann das, was Gott tut und unter der Sonne geschehen läßt, niemals in seinem Zusammenhang erfassen. Er mag noch so angestrengt danach suchen, den Zusammenhang der Dinge findet er nicht. Auch wenn ein Weiser behauptet, ihn zu kennen gefunden hat er nichts. 9 Alle trifft dasselbe Schicksal 1 Ich habe über alles nachgedacht und bin zu der Einsicht gekommen, daß auch die Klugen und Rechtschaffenen in allem, was sie tun, von Gott abhängig sind. Nicht einmal, warum sie lieben oder hassen, wissen sie. 2 Alle trifft das gleiche Schicksal, ob sie nun Gottes Gebote befolgen oder sie übertreten, Gutes oder Böses tun, sich rein halten oder sich beflecken, Gott Opfer bringen oder nicht. Dem Schuldlosen ergeht es nicht besser als dem Verbrecher, der den Reinigungseid scheuen muß. 3 Es ist zum Verzweifeln, daß auf alle ohne Unterschied dasselbe Ende wartet. Weil die Bösen nicht auf der Stelle bestraft werden, ergreift sie Verblendung, und sie treiben es noch schlimmer. Aber zuletzt müssen alle sterben. 4 Solange ein Mensch lebt, hat er noch Hoffnung, und ein lebender Hund ist immer noch besser als ein toter Löwe. 5 Die Lebenden wissen wenigstens, daß sie einmal sterben müssen. Die Toten wissen überhaupt nichts mehr. Ihre Verdienste werden nicht belohnt; denn niemand denkt mehr an sie. 6 Ganz gleich, ob sie einst Liebe, Haß oder Eifersucht erregt haben, alles ist aus und vorbei. Sie haben auf ewig keinen Anteil mehr an dem, was unter der Sonne geschieht. Das einzige, was dem Menschen übrigbleibt 7 Darum iß dein Brot und trink deinen Wein und sei fröhlich dabei! So hat es Gott für die Menschen vorgesehen, und so gefällt es ihm. 8 Nimm das Leben als ein Fest: Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf dein Haar! 9 Genieße jeden Tag mit der Frau, die du liebst, solange dieses flüchtige Leben dauert, das Gott dir geschenkt hat. Denn das ist der Lohn für die Mühsal dieses Lebens. 10 Wenn sich dir die Gelegenheit bietet, etwas zu tun, dann tu es mit vollem Einsatz. Denn du bist unterwegs zu dem Ort, von dem kein Mensch wiederkehrt. Wenn du tot bist, ist es zu Ende mit allem Tun und Planen, mit aller Einsicht und Weisheit. Jeder seines Glückes Schmied? 11 Noch etwas habe ich in dieser Welt erkannt: Es sind nicht immer die Schnellsten, die das Rennen machen. Auch die tapfersten Krieger siegen nicht in jedem Kampf. Bildung ist keine Garantie für sicheren Broterwerb, Klugheit führt nicht unbedingt zu Reichtum, und Können findet nicht immer Beifall. Denn schlechte Tage und schlimmes Geschick überfallen jeden. 12 Niemand weiß, wann seine Zeit kommt. Wie Fische, die plötzlich ins Netz geraten, wie Vögel, über denen die Falle zuschlägt, so gehen die Menschen in die Schlinge. Der Tod ereilt sie, wenn sie am wenigsten daran denken. Macht und Ohnmacht des Wissens 13 Noch etwas anderes habe ich gesehen, ein treffendes Beispiel dafür, wie Wissen in dieser Welt eingeschätzt wird: 14 Da war eine kleine Stadt mit nur wenigen Einwohnern. Ein mächtiger König rückte gegen sie an, schloß sie ein und ging mit Belagerungstürmen gegen ihre Mauern vor. 15 In dieser Stadt lebte ein armer, aber sehr kluger Mann. Mit seiner Klugheit hätte er die Stadt retten können; doch niemand dachte an ihn. 16 Und dann behauptet man: »Wissen ist besser als Macht.« Zugegeben, aber wenn einer arm ist, hält man ihn nicht für klug; darum hört keiner auf seine Worte. 17 Es ist besser, auf den ruhigen Rat eines weisen Menschen zu hören als auf das unverständige Geschrei eines Obernarren. 18 Wissen richtet etwas Besseres aus als Waffen - aber eine einzige falsche Entscheidung richtet alles Bessere zugrunde. 10 EINZELNE WEISHEITSSPRÜCHE UND SCHLUSSBILANZ (Kapitel 10-12) Vermischte Lebensweisheiten 1 Eine tote Fliege bringt duftendes Öl zum Stinken, und ein bißchen Dummheit macht alles Wissen und Ansehen eines Menschen zunichte. 2 Ein weiser Mensch trifft die richtige Entscheidung, aber der Unbelehrbare trifft stets daneben. 3 Seine Dummheit zeigt sich bei jedem Anlaß, und alle sagen von ihm: »Der hat keinen Verstand.« 4 Wenn dein Vorgesetzter zornig auf dich ist, dann gib nicht gleich deine Stelle auf. Wenn du ruhig bleibst, wird er dir sogar große Fehler verzeihen. 5 Ich habe etwas Schlimmes in dieser Welt gesehen, das sich die Mächtigen immer wieder zuschulden kommen lassen: 6 Leute ohne Verstand bekommen einflußreiche Stellungen, während angesehene Bürger unbeachtet bleiben. 7 Ich habe Sklaven hoch zu Roß gesehen, während Fürsten zu Fuß gehen mußten. 8 Wer ein Loch gräbt, kann hineinfallen. Wer eine Mauer einreißt, kann von einer Schlange gebissen werden. 9 Wer im Steinbruch arbeitet, kann sich dabei weh tun. Und wer Holz spaltet, ist in Gefahr, sich zu verletzen. 10 Wenn die Axt stumpf geworden ist und du sie nicht schärfst, dann mußt du dich doppelt anstrengen. Richtig angewendete Weisheit hat eben ihre Vorteile. 11 Der Schlangenbeschwörer hat nichts von seiner Kunst, wenn die Schlange beißt, ehe er sie beschworen hat. 12 Was der Weise sagt, findet Zustimmung. Aber Unverständige reden sich um Kopf und Kragen. 13 Am Anfang ist ihr Reden nur dummes Geschwätz, aber am Ende tödliche Torheit. 14 Sie reden und reden ohne Ende. Dabei weiß kein Mensch, was geschehen wird. Und niemand sagt ihm, was sein wird, wenn er einmal gestorben ist. 15 Das anstrengende, viele Reden müßte den Unverständigen doch so müde machen, daß er nicht mehr nach Hause gehen kann! 16 Es steht schlimm um ein Land, wenn sein König noch jung und unerfahren ist und die Minister schon frühmorgens Festgelage halten. 17 Aber ein Land kann sich glücklich preisen, wenn sein König fähig ist, selbst zu entscheiden, und die Minister zur üblichen Zeit essen und trinken und sich dabei wie Männer benehmen, die sich beherrschen können. 18 Wenn jemand zu faul ist, das Dach seines Hauses auszubessern, dringt der Regen durch, und bald stürzt es ein. 19 Gut essen macht Freude, Wein trinken macht lustig, und Geld macht beides möglich. 20 Schimpf nicht auf den König, nicht einmal in Gedanken! Schimpf nicht auf die Reichen, nicht einmal in deinem Schlafzimmer! Wände haben Ohren, und deine Worte könnten Flügel bekommen. 11 Die Zukunft ist unberechenbar 1 Wirf dein Hab und Gut ins Meer; trotzdem kann es sein, daß du es nach langer Zeit wiederfindest. 2 Bring dein Geld an allen möglichen Plätzen in Sicherheit; trotzdem kann es sein, daß ein Unglück über das Land kommt und alles verlorengeht. 3 Wenn die Wolken voll sind, dann regnet es. Gleichgültig, ob ein Baum nach Süden oder nach Norden fällt: Wo er hinfällt, dort bleibt er liegen. 4 Wer immer nach dem Wind sieht und auf das passende Wetter wartet, der kommt weder zum Säen noch zum Ernten. 5 Du weißt nicht, wann der Wind seine Richtung ändert. Du siehst nicht, wie sich ein Kind im Mutterleib entwickelt. Genausowenig verstehst du, was Gott tut. 6 Arbeite am Morgen oder am Abend, ganz wie du willst; denn du kannst nicht voraussehen, welches von beiden Erfolg bringt - vielleicht sogar beides! Genieße das Leben, solange du jung bist 7 Das Licht der Sonne sehen zu können bedeutet Glück und Freude. 8 Genieße froh jeden Tag, der dir gegeben ist! Auch wenn du noch viele vor dir hast - denk daran, daß die Nacht, die ihnen folgt, noch länger ist. Alles, was dann kommt, ist sinnlos. 9 Freu dich, junger Mensch! Sei glücklich, solange du noch jung bist! Tu, was dir Spaß macht, wozu deine Augen dich locken! Aber vergiß nicht, daß Gott für alles von dir Rechenschaft fordern wird. 10 Halte dir den Ärger von der Seele und die Krankheit vom Leib. Jugend und dunkles Haar vergehen schnell. 12 1 Denk an deinen Schöpfer, solange du noch jung bist, ehe die schlechten Tage kommen und die Jahre, die dir nicht gefallen werden. 2 Dann verdunkeln sich dir Sonne, Mond und Sterne, und nach jedem Regen kommen wieder neue Wolken. 3 Dann werden deine Arme, die dich beschützt haben, zittern, und deine Beine, die dich getragen haben, werden schwach. Die Zähne fallen dir aus, einer nach dem anderen; deine Augen werden trüb 4 und deine Ohren taub. Deine Stimme wird dünn und zittrig. 5 Das Steigen fällt dir schwer, und bei jedem Schritt bist du in Gefahr zu stürzen. Draußen blüht der Mandelbaum, die Heuschrecke frißt sich voll, und die Kaperfrucht bricht auf; aber dich trägt man zu deiner letzten Wohnung. Auf der Straße stimmen sie die Totenklage für dich an. 6 Genieße dein Leben, bevor es zu Ende geht, wie eine silberne Schnur zerreißt oder eine goldene Schale zerbricht, wie ein Krug an der Quelle in Scherben geht oder das Schöpfrad zerbrochen in den Brunnen stürzt. 7 Dann kehrt der Leib zur Erde zurück, aus der er entstanden ist, und der Lebensgeist geht zu Gott, der ihn gegeben hat. 8 Völlig sinnlos ist alles, war die Erkenntnis des Philosophen, völlig sinnlos. Erstes Nachwort 9 Eins muß noch hinzugefügt werden: Der Philosoph war ein weiser Lehrer, der ständig sein Wissen an das Volk weitergab. Er untersuchte viele Sprichwörter und prüfte sie auf ihren Wahrheitsgehalt. Er verfaßte auch selbst viele Sprichwörter. 10 Er mühte sich, seinen Worten eine schöne Form zu geben, dabei aber ehrlich zu bleiben und die Wahrheit zu schreiben. 11 Die Worte weiser Lehrer wirken wie der spitze Stock, mit dem der Bauer seine Ochsen antreibt. Sprichwörter gleichen eingeschlagenen Nägeln: sie bleiben fest sitzen. Sie sind eine Gabe Gottes, des einen großen Hirten. Zweites Nachwort 12 Im übrigen laß dich warnen, mein Sohn: Es werden viel zu viele Bücher geschrieben, und das viele Grübeln kann dich bis zur Erschöpfung ermüden. 13 Fassen wir alles zusammen, so kommen wir zu dem Ergebnis: Nimm Gott ernst und befolge seine Gebote! Das ist alles, worauf es für den Menschen ankommt. 14 Über alles, was wir tun, wird Gott Gericht halten, über die guten und die schlechten Taten, auch wenn sie jetzt noch verborgen sind.