Pallasch-Resonanz

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W. Pallasch u. K. Tams: Resonanzphänomene – Advanced Studies (AS) 2008
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Waldemar Pallasch u. Kerstin Tams
RESONANZPHÄNOMENE:
ANTHROPOLOGISCHE UND NEUROPHYSIOLOGISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUM GRUNDVERHALTEN IN DER INTERAKTION UND KOMMUNIKATION
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1. WAS SIND RESONANZPHÄNOMENE?
Immer wenn Menschen zusammen kommen und engagiert interaktiv miteinander kommunizieren, stellt
man fest, dass sie im Verlauf der Interaktion eine annähernd gleiche Körperhaltung annehmen (z.B. Sitzhaltung), eine annähernd gleiche Handlung vollziehen (z.B. aufstehen) oder annähernd gleiche
Verhaltensweisen zeigen (z.B. Gesten, Ausdrucksverhalten). Es ist so, als wenn sie vor einem großen
Spiegel stehen, nur das sie sich nicht selbst spiegeln, sondern ihr Gegenüber imitieren. Die Annäherung
(Spiegelung) der Körperhaltung bezieht sich auf die gesamte Körperhaltung (Makroebene: grobkörperliche Veränderungen) und auf einzelne Körperpartien (Mikroebene: fein-körperliche
Veränderungen). Auf der Mesoebene wird nicht gespiegelt, sie nimmt eine andere Funktion ein, auf die
wir weiter unten eingehen. Dieses Phänomen der Annäherung (Spiegelung, Imitation) lässt sich fast überall und immer beobachten: auf der Straße im Stehen und im Gehen, im Restaurant, im Wohnzimmer, auf
dem Spielplatz, auf der Wiese oder am Strand. Es stellt sich die Frage, wer bei diesen
Interaktionsprozessen die Körperhaltung oder Verhaltensweisen des Partners annimmt? Ist es der aktive
oder der passive Interaktionspartner? Wer bestimmt wen? Wer dominiert?
Diese sich wechselweise annähernden Körperhaltungen und Verhaltensweisen nennt man (physische bzw.
bio-physische) Resonanzphänomene, verursacht und ausgelöst werden sie durch so genannte (neurobiologische, physiologische) Spiegelneuronen.
(...) Das klingt sehr kompliziert. Vereinfacht ausgedrückt heißt das: Wir haben die angeborene und über
Jahrtausende weiter verfeinerte Fähigkeit entwickelt, körperliche, seelische oder geistige Vorgänge
unserer Gegenüber zu spiegeln, das heißt auf eine bestimmte Art und Weise in uns aufzunehmen und
nachzumachen. Geht einer langsam, folgen wir ihm langsam; ist einer traurig und zeigt dies körperlich,
übernehmen wir die Traurigkeit und zeigen eine entsprechende Körperausdruckshaltung; hüpft einer vor
Freude in die Luft, spüren wir den Impuls, dies ebenfalls zu tun (und tun es auch mitunter); weint mein
Gegenüber, sind wir selbst den Tränen nahe; redet jemand schnell und laut, tun wir es in ähnlicher Weise;
beugt sich mein Gesprächspartner nach vorne, tun wir es Sekunden später ebenfalls. Wir machen also
etwas unbewusst und spontan nach, wir spiegeln die Körperhaltung, den Ausdruck oder die Verhaltensweisen. Wir imitieren! Aber nicht nur das. Wir übernehmen auch die seelische Verfassung bzw. die
momentane Befindlichkeit oder versuchen es zumindest. Enttäuschung begegnen wir mit Enttäuschung,
Freude erwidern wir mit Freude, Leid mit Leid, Trauer mit Trauer oder allgemein ausgedrückt: Energie
mit Energie.
Die (Simulations-, Imitations- oder Mitreaktions-)Programme werden aber nicht immer mit ihrem
gesamten zur Verfügung stehenden Potential ausgeführt. Diverse Kontrollinstanzen verhindern das
Ausführen des gesamten Programms. Diese Kontrollinstanzen erwerben wir durch die Erziehung und
Sozialisation, die kulturbedingt unterschiedlich geprägt werden. Bei Freude beispielsweise reagiert der
Säugling mit seinem gesamten Körper (alles vibriert), das Kleinkind nur noch mit den Armen und Beinen
(klatschen oder hüpfen) und der Erwachsene nur noch mit einem Lächeln (Mundwinkel verändern sich).
Mit anderen Worten: Je älter (genauer: sozial geprägter) wir werden, desto kontrollierter und damit
eingeschränkter laufen die Mitreaktionsprogramme ab. Oder anders formuliert: Wir unterdrücken unsere
spontanen und intuitiven Reaktionen, obwohl wir ihnen gelegentlich freien Lauf lassen würden. Diese
sozialisationsbedingten Kontrollen und Einschränkungen zeigen sich variantenreich in den
unterschiedlichen Kulturen. Ein Japaner spiegelt die Enttäuschung anders als ein Mitteleuropäer.
(...)
3. JEDER EINDRUCK VERLANGT NACH AUSDRUCK
Jede Körperhaltung ist immer ein Ausdruck des momentanen psycho- physischen Zustandes. Psychophysisch meint den momentanen Gesamtzustand von geistigen (kognitiven), seelischen (emotionalen) und
körperlichen (somatogenen, aktionalen) Vorgängen, die sich organismisch in der momentanen
Körperhaltung bzw. im Ausdrucksverhalten widerspiegeln (siehe Abb. 1). Wir kennen das aus dem
Alltagsleben.
Wir sehen unseren Partner den Kopf in die Hände vergraben und den Oberkörper nach vorne gebeugt auf
einem Stuhl sitzen. Intentional und intuitiv, das heißt spontan, stellen wir Vermutungen über seinen
Zustand an. Ist er traurig (emotional)? Denkt er nur intensiv nach (kognitiv)? Ist er nur müde oder hat
Schmerzen (körperlich)? Wir wissen es nicht genau, aber aufgrund unserer Intuition (und den durch die
Sozialisation gemachten Erfahrungen) stellen wir Vermutungen an. Der Körper gibt uns nur Hinweise, in
welchem psycho-physischem Zustand sich der Partner befinden könnte, aber keine eindeutigen
Indikatoren. Wir reagieren spontan und intuitiv; die Mitreaktionsprogramme laufen automatisch ab.
4. MAKRO-, MESO- UND MIKROEBENE
Wir sprachen eingangs davon, dass sich die Spiegelung der Körperhaltung auf der Makro- und auf der
Mikroebene vollzieht (siehe Abb. 2).
Abb.2: Makro-, Meso- und Mikroebene
5. ANTHROPOLOGISCHES GRUNDVERHALTEN IN DER INTERAKTION UND
KOMMUNIKATION
Wir haben mit den Resonanz- oder Spiegelphänomenen anthropologische Grundverhaltensweisen der
Interaktion und Kommunikation beschrieben. Es sind Verhaltensweisen, die wir tagtäglich praktizieren
ohne uns dieser sehr bewusst zu sein. Aber sie haben ihre Wirkung.
Wir kommen nun zu den Fragen zurück:
‚Was bewirken sie bei den beteiligten Personen?’ und
‚Wie
können wir sie im professionellen Kontext, z. B. in Beratungsgesprächen, nutzen?’
Wir wollen das
wieder an einem Eingangsbeispiel verdeutlichen.
Zwei Personen sind sehr engagiert in einem Gespräch
vertieft. Sie sitzen sich an einem Tisch gegenüber. Person A erzählt engagiert und ausführlich und nimmt
dafür eine bestimmte Körperhaltung ein, zum Beispiel beugt sie sich leicht über den Tisch zum
Gesprächspartner B hin. Gesprächspartner B hört aufmerksam zu und nach wenigen Minuten beugt sich
auch der Gesprächspartner B leicht über den Tisch zum Partner A hin. Person A ist zu diesem Zeitpunkt
der aktive Partner, er erzählt! Person B ist zu diesem Zeitpunkt der passive Partner, er hört nur zu!
Was
passiert nun zwischen diesen beiden Partnern?
Was spielt sich unbewusst in der Kommunikation und
Interaktion zwischen den beiden Partnern ab?
Dadurch, dass der Partner B (seinen Resonanzgefühlen
folgend) eine annähernd gleiche Körperhaltung wie A einnimmt, unterstützt er ihn unbewusst in seinem
Erzählen; er unterstützt ihn in seiner momentanen Aktivität, er ermuntert ihn durch seine Körperhaltung
quasi, noch mehr zu erzählen. Die zuwendende Körperhaltung des Partners B wird von A als Anteilnahme,
Unterstützung und Begleitung unbewusst wahrgenommen und bestärkt ihn, in seiner Aktivität (hier: das
Erzählen) fortzufahren. Er fühlt sich von Partner B angenommen und verstanden. Wichtig ist hier die
Feststellung, dass Gesprächspartner A das Verhalten von B nur ‚im Vorbewusstsein’ (also unbewusst)
wahrnimmt. Auch Partner B bemerkt eigentlich gar nicht, wie er seinen Körper steuert; er verhält sich
(intuitiv) resonanzadäquat. Sollte allerdings Partner B eine - aus der vorbewussten Wahrnehmung von
Partner A – völlig andere (asynchrone) Körperhaltung einnehmen, kommt es zu einer Störung bei Partner
A. Er wäre wahrscheinlich irritiert und verunsichert in seinem Erzählen. Auch dieses Verhaltensmuster
kennen wir aus dem Alltag. Die Ehefrau erzählt auf dem Stuhl aufrecht sitzend und ihrem Mann zugewandt die Ereignisse des Tages, dieser hört leicht gebeugt sitzend zwar zu, aber blättert dabei in der
Zeitung herum. Nach nur wenigen Augenblicken sagt die Frau: ‚Hörst Du mir überhaupt noch zu?’ ‚Ja,
natürlich!’ und legt fix die Zeitung beiseite. Intuitiv signalisierte die Körperhaltung des Mannes der Frau,
dass er sich ihr gegenüber nicht themen- und damit nicht resonanzadäquat verhielt.
Dieses simple Beispiel verdeutlicht die vielen filigranen Verhaltensweisen in der Interaktion und
Kommunikation, die den Berufs- und Privatalltag erschweren oder erleichtern.
Kehren wir zu unseren Partnern A und B zurück. Partner A hat zu einem bestimmten Zeitpunkt alles
erzählt, was er erzählen wollte und Partner B hat geduldig und ermunternd zugehört. Partner B bemerkt
nun, dass Partner A mit seiner Geschichte zuende ist. Nun verspürt er das Bedürfnis, seinerseits seine
Geschichte zu erzählen, die aber einen anderen In- halt hat und ihn daher in einen anderen psychophysischen Zustand versetzt. Selbst unbemerkt, aber seiner momentanen Befindlichkeit adäquat, nimmt er
andere Körperhaltung ein (z.B. lehnt sich an die Rücken- lehne des Stuhls) und erzählt. Wie verhält sich
Partner A? Nach wenigen Sekunden/Minuten wird Partner A eine annähernd gleiche Körperhaltung wie B
einnehmen. Nun unterstützt Partner A den Partner B in seiner Aktivität.
Die beschriebene Situation ist eine normale Alltagssituation. Ob im Sitzen, Stehen oder Gehen immer
treten diese Phänomene der Annäherung auf. Es sind ganz natürliche Verhaltensweisen. Aber so normal,
so selbstverständlich oder ‚natürlich’ sind sie im Alltags- und Berufsleben wiederum doch nicht. Sie sind
nur dann ‚normal’ und ‚natürlich’, wenn beide Gesprächspartner gleichermaßen engagiert sind, wenn eine
gegenseitige Zugewandtheit und Wertschätzung besteht und eine innere Anteilnahme (sowohl kognitiv
wie emotional) gewährleistet ist. Und dass das, besonders im beruflichen Alltag, nicht immer gegeben ist,
ist hinlänglich bekannt.7 Die meisten Beratungsanlässe thematisieren daher solche oder ähnliche
Kommunikationsschwierigkeiten.
6. ÜBERTRAGUNG AUF DEN BERATUNGSKONTEXT
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(1) Rapport = Kontakt aufnehmen, Problem erkennen und benennen;
.
(2) Pacing = Mitgehen, begleiten und im erweiterten Sinne artikulieren;
.
(3) Leading = Führen, Initiative übernehmen und im erweiterten Sinne
Lösungen anbahnen.
Um sich auf ein verändertes Vorgehen vorzubereiten, muss sich der Klient erst ‚völlig artikuliert’ haben.
Das heißt, alle mit der Situationen verbundenen Inhalte und Restbefindlichkeiten müssen ‚ausagiert’ sein.
Erst dann ist der Klient in der Lage, neue konstruktive Alternativen (Lösungen) zu entwickeln. Reste, vor
allem emotionale, die noch nicht aufgearbeitet sind, behindern die Lösungsarbeit. Mit anderen Worten:
Der Klient muss aus seinem psycho- physischen Zustand herauskommen und in einen neutralen Zustand
versetzt werden. Bei diesem Prozess unterstützt ihn der Berater. Dies setzt die Fähigkeit des Beraters
voraus, sich auf den psycho-physischen Zustand seines Gegenübers einzulassen und diesen als momentane
Realität zu akzeptieren. Der Berater benötigt sowohl ein gutes Einfühlungsvermögen als auch eine
gesunde Distanz zum Inhalt, nämlich zu dem, was sein Klient verbal und nonverbal äußert. Sollte der
Berater sich von den Emotionen des Klienten infizieren lassen oder sie sogar abwehren wollen, wäre der
Beratungskontakt erheblich beeinträchtigt.
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