Kapitel 8

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****LESEPROBE****
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INGESCHENK
Roman
3. Auflage 2013
Autor: Steffen Wittenbecher
Copyright 2013 Steffen Wittenbecher
Covergestaltung: Steffen Wittenbecher
Coverfotos: pixabay
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in
jeglicher Form sind vorbehalten und liegen
bei dem Autor. Dies gilt ebenso für das
Recht der mechanischen, elektronischen und
fotografischen Vervielfältigung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Handlung und die handelnden Personen,
sowie alle Namen sind frei erfunden. Jegli2
che Ähnlichkeit mit lebenden, verstorbenen
und/ oder realen Personen ist rein zufällig.
Sie erreichen den Autor unter: [email protected]
www.fackelputzer.de
Twitter: @wittenbechers
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Helmuts Traum (?)
Die Anstalt
Das Halloween-Special
Über den Autor
Erweitertes Impressum
4
Kapitel 8
Detektiv Schmalwieser, der sich noch immer
darum bemühte, unauffällig die Kundschaft
zu belauern, verbarg sein Gesicht hinter einer der vielen Zeitschriften und ließ ab und
an einen seiner geübten Blicke durch die
Regale schweifen. Als Frau Ginster ihn am
Arm berührte, zuckte die Klänger Kurierschwalbe geräuschvoll mit ihren Flügeln.
»Da bekam wohl jemand einen mächtigen
Schrecken? Herr Breitfelder, entschuldigen
Sie. Ich weiß, ich halte Sie von einer überaus wichtigen Observation ab. Ich bin jedoch jetzt erst von der Polizei fortgekommen.«
Detektiv Schmalwieser faltete die Zeitung
zusammen und legte sie zurück auf einen
der ansehnlichen Zeitungsstapel. »Schon
gut, schon gut. Solange die Polizei am Ausgang steht, ist mein Herumstehen hier eher
fader Natur. Sie glauben nicht, wie sich die
Leute plötzlich benehmen können. Ich wäre
beinahe eingeschlafen und das im Stehen.
Das letzte Mal ist mir das bei einer Wahl
passiert, als Wahlbeobachter. Ich glaube, es
war die des örtlichen Ringeltaubenzüchterverbandes. Ich wurde dazu beauftragt, da
sich niemand anderes dazu bereit erklärt hatte. Andererseits war der Verein auch selbst
schuld. Wie kann man aus solch einer angeblich wichtigen Wahl die Öffentlichkeit
heraushalten. Lange Rede, kurzer Sinn. Wie
kann ich Ihnen behilflich sein?«
Reichlich unbeholfen an den Kittelknöpfen
herumspielend wusste Frau Ginster nicht so
recht, wie sie sich ausdrücken sollte, »wissen Sie, mein Postbote, der Herr Schmidt, ist
ein guter Mensch. Er bringt mir normalerweise die Pakete. Doch seit einiger Zeit
scheint er spurlos verschwunden zu sein. Ich
war schon im Postamt und habe diverse Anrufe getätigt. Er züchtet vornehme Karpfen,
und wenn es eine Landkarte mit Teichen
gäbe, dann wüsste ich, wo er wohnt. Ich mache mir Sorgen, wissen Sie, und mit jedem
Tag wird diese Sorge größer. Der neue Postbote, der Herr Landzunge, der quält Katzen,
er hat meinen Helmut getreten. Ich möchte
meinen Herrn Schmidt umgehend zurück,
doch er wurde wohl unlängst entlassen. Das
gefällt mir alles nicht, und da kommen Sie
als Detektiv ins Spiel.«
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»Nun ja, eigentlich«, Detektiv Schmalwieser
blickte unglücklich drein und spielte an seiner Sonnenbrille herum, »Wissen Sie, Frau
Ginster, ich bin kein Detektiv, wie Sie ihn
sich möglicherweise vorstellen. Es besteht
nun mal ein kleiner aber feiner Unterschied
zwischen einem Detektiv, wie ich es bin,
und einem Privatdetektiv. Nicht zuletzt in
der Bezahlung.«
Etwas ungläubig blickte Frau Ginster Herrn
Schmalwieser an. »Ich kann Sie bezahlen,
ich müsste nur noch meinen Garten umgraben, das sollte kein Problem darstellen.
Würden Sie bitte eine Ausnahme machen?«
Einen Moment lang schwieg Detektiv
Schmalwieser nachdenklich. »Ich kann mich
nach diesem Herrn Schmidt erkundigen.
Mein Bruder ist Privatdetektiv.« Er zog einen Schreiblock und einen Kugelschreiber
aus seiner Hemdtasche. »Schmidt, Postbote,
sagen Sie und Sie sind?«
»Ginster, Ingeborg Ginster, Brombeerstrauchweg 65. Melden Sie sich bei mir, sobald Sie ihn haben?«
»Ja, ich brauche allerdings mehr Anhaltspunkte. Wissen Sie, wie viele Schmids es
möglicherweise gibt, die darüber hinaus
auch noch Postboten sind?«
Darüber sinnierend kratzte sich Frau Ginster an ihren Ellenbogen. Auf recht eigentümliche Weise verzog sich bald ihr Gesicht.
»Recht viele nehme ich an? Aber warten Sie
… er hatte Ärger mit seiner Freundin und
züchtet vornehme Karpfen …«, an ihren
Fingern zählte sie weiter ab, was sie alles
über Herrn Schmidt wusste, »… mag kalten
Orangensaft, ist Postbote … ach, das hatten
wir schon … er besitzt einen Führerschein
und einen ordentlichen Ausweis, nehme ich
mal an, wurde vor Kurzem entlassen, mag
Katzen … genügt das?«
»Ich habe noch nichts davon notiert.«
Schmalwieser schüttelte seinen Kopf.
Da konnte Frau Ginster ihm direkt behilflich
sein: »Sie müssen den Kugelschreiber vorne
drehen. Ach nein, der hat einen Klicker. Ach
herrje, das macht die Sache nicht unbedingt
einfacher, wie?«
Detektiv Schmalwieser schüttelte nochmals
seinen Kopf. »Etwas mehr bräuchte ich
schon.«
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»Verflixt, warum kann er nicht Vereinsvorstand sein, dann hätten wir einen Anhaltspunkt.«
»Vereinsvorstand?« Detektiv Schmalwieser
sah vom Zettelblock auf.
Mittlerweile spielte Frau Ginster aufgeregt
an den Knöpfen ihrer Kittelschürze herum.
»Ja, in diesem Verein, in dem ich ebenfalls
Mitglied bin … wie hieß der noch? Ringeltaubenzüchterverein. Dort wurde ein Herr
Schmidt zum Vorstand gewählt. Das dürften
Sie doch wissen, Sie waren doch Wahlbeobachter? Der ist ebenfalls verschwunden.
Ich fragte mich noch, ob es eine Verschwörung gäbe und nun plötzlich alle Schmidts
von dieser Welt verschwinden würden.«
»Nein, das muss mir wohl entgangen sein.
Ich habe, wie gesagt, nur die Wahl beobachtet. Das ist aber nicht der Herr Schmidt, den
Sie suchen?«
»Das weiß ich nicht, Sie sind doch der Detektiv, Herr Breitfelder.« Im nächsten Moment umklammerte ihre Hand Detektiv
Schmalwiesers Arm.
»Ja, im Prinzip bin ich das. Ich fragte Sie
jedoch nach weiteren Anhaltspunkten, also
solchen, die nicht mit jedem … ach, ich hätte jetzt Lust auf kühlen Orangensaft, Sie
nicht auch? Warten Sie, ich besorge uns
rasch einen Saft.«
Behände lief Detektiv Schmalwieser durch
die Gänge, hantierte an einem der Kühlschränke, in denen die gekühlten Getränke
standen, und holte zwei Pakete Orangensaft
heraus. Mit denen ging er zur Kasse und
sagte der Kassiererin, sie solle das Entnommene mit Frau Schubert verrechnen. Die
nickte nur und kurze Zeit später schlürften
beide, Frau Ginster wie Detektiv Schmalwieser, geräuschvoll einen gekühlten Orangensaft.
»Der ist gut, oder?«, erkundigte sich Detektiv Schmalwieser nach einiger Zeit. Als vorläufige Antwort zog Frau Ginster besonders
geräuschvoll am Trinkhalm. »Beinahe so gut
wie meiner daheim«, stellte sie daraufhin
anerkennend fest. »Wenn Sie bei mir vorbeikommen, können Sie sich gerne davon
überzeugen. Allerdings sind wir vorhin vom
Thema abgekommen. Es ging um Herrn
Schmidt, den gewählten Vorstandsvorsit10
zenden, der angeblich verschwunden sein
soll. Denken Sie, die Polizei ist an dem Fall
dran? Ich meine, wer lässt denn einen Vorstandsjob in einem Taubenzüchterverein so
einfach sausen? Da kann doch was nicht
stimmen, wenn Sie mich fragen.«
»Nun, ich denke, ich sollte als Erstes herausfinden, ob Ihr Herr Schmidt derselbe Herr
Schmidt ist, der zum Vorstandsvorsitzenden
gewählt wurde. Ha, ich hätte doch Privatdetektiv werden sollen. Ich habe beinahe den
Verdacht, dass die beiden Personen dieselben sind.«
»Meinen Sie? Ich weiß nicht. Mein Herr
Schmidt züchtet bereits vornehme Karpfen.
Ich denke nicht, dass er obendrein auch noch
Ringeltauben züchtet. Das wäre doch wie
ein Sechser im Lotto, wenn Sie mich fragen.«
Beinahe grüblerisch verzog Detektiv
Schmalwieser seinen Mund. »Einen Versuch
wäre es allerdings wert, auch wenn die
Wahrscheinlichkeit eher gering ist.«
»Nun gut, dann freut es mich, Sie engagiert
zu haben.« Frau Ginster reichte Detektiv
Schmalwieser ihre Hand. Er wischte seine
Hand eilends an seinem Hosenbund ab und
schlug ein.
»Frau Ginster, lassen Sie mir noch Ihre Telefonnummer hier. Ich rufe Sie an, soweit
ich Genaueres weiß.«
»Meine Telefonnummer? Oh je, die weiß
ich gar nicht aus dem Stegreif. Wann rufe
ich mich denn schon selbst an?«
»Schon gut. Ich finde Ihre Nummer schon
heraus. Immerhin bin ich nun Privatdetektiv«. Detektiv Schmalwieser widmete sich
wieder den Kunden des Supermarktes. Frau
Ginster lächelte und lief zum Ausgang.
Draußen stand noch immer Wachtmeister
Spatzeck, der sich angeregt mit Frau Schubert unterhielt.
Jungpolizist Polters musste einen draufgängerischen Radfahrer gestoppt haben. Er hatte
die Mütze von seinem verschwitzten Kopf
abgehoben und unter seinen Arm geklemmt.
»Na sicher werde ich Ihr Verhalten zur Anzeige bringen. Sie wären mir doch beinahe
über meinen Fuß gefahren und obendrein
sind Sie auch noch auf dem Fußgängerweg
unterwegs gewesen. Das ist nun mal kein
Kavaliersdelikt. Sie gefährden auf diese
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Weise die nichts ahnenden und vorschriftsmäßigen Benutzer der Fußgängerzone. Ein
funktionierendes Fahrradlicht ist Ihnen wohl
auch ein Fremdwort, wie mir scheint oder
wie soll ich die losen Drähte dort deuten?
Was sagten Sie bitte? Wachtmeister Spatzeck! Chef? Wir haben hier ein 014 und
obendrein ein 019!«
Urplötzlich ließ Wachtmeister Spatzeck
Frau Schubert ziehen und lief in Richtung
des Radfahrers. Auf dem Weg dorthin versenkte er beide Daumen hinter seinem Gürtel. »Soo, wir haben hier offensichtlich einen
Querulanten und jemanden, der nicht einsehen will, dass er einen Fehler begangen hat?
Dürfte ich mal um Ihren Ausweis bitten …«
Um weiterhin den spannenden Ereignissen
beizuwohnen, dazu hatte Frau Ginster leider
nicht mehr genügend Zeit. Der Bus würde in
zehn Minuten fahren, und den wollte sie dieses Mal keineswegs verpassen. An der Bushaltestelle trat kurz darauf eine verdrießlich
dreinblickende Frau Schubert hinzu.
»Na, Ginster? Sie hätten ruhig zugeben können, dass Sie es waren. Ich und Marmelade
stehlen. Weshalb sollte ich das denn machen?«
»Ich weiß nicht, weil die Marmelade Ihnen
schmeckt? Es ist übrigens auch meine Lieblingssorte, für die Sie sich entschieden haben.« Frau Ginster lächelte frech und zwinkerte verschmitzt mit ihren Augen, was allerdings Frau Schubert nicht auffiel, da sie
einem offenen Sportwagen hinterherblickte.
»Helmut mag die Marmelade nicht so sehr.
Ich habe ihn mal dabei erwischt, wie er davon probierte, und seitdem rührt er sie nicht
mehr an. Ich denke jedoch, es liegt nicht unbedingt an der Tatsache, dass ich ihn erwischt habe. Nein, Marmelade wird einfach
nicht sein Geschmack sein. Vögel aller Art
jedoch, Maus und selbstverständlich Fisch
locken ihn sicherer hinter dem Ofen hervor.«
Frau Schubert verzog angewidert ihr Gesicht. »Maus? Ich kann mir Ihr Geschwafel
nicht mehr anhören. Beim besten Willen
nicht. Hier, das ist für Sie. Ich durfte sie
mitnehmen und nun dürfen Sie sie behalten.« Verärgert blickend hielt Frau Schubert
ihr das Glas Marmelade entgegen. Frau
Ginster griff beherzt zu und bedankte sich
überrascht. »Danke und möglich, dass aus
Ihnen doch noch eine recht passable Frau
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wird. Ich meine eine Frau, die es verdient,
mit dem Herrn Doktor zusammen zu sein.«
Frau Schubert winkte ab und im nächsten
Moment hielt auch schon der Bus. Auch
diesmal stieg Frau Ginster vorne bei dem
Busfahrer ein. »Wie geht es Ihnen denn,
Herr Helmut? Einmal bitte wieder zurück.«
Der Busfahrer sah erstaunt zu Frau Ginster
auf. »In den letzten zwei Stunden hat sich
nicht viel verändert. Also nichts, was mir
aufgefallen wäre. Aber danke der Nachfrage. Macht 2 Mark 20. Und, haben Sie alles
erledigen können?«
»Ja, ich bin durchaus zufrieden. Im Supermarkt wurde sogar noch für aufregende
Kurzweil gesorgt. Dort gab es einen Detektiv und die Polizei musste erscheinen und
die Frau Schubert wurde sogar festgenommen.«
Der Busfahrer schüttelte den Kopf und lächelte. »Tatsächlich? Was hat sie denn so
derart dringend benötigt?«
»Ein Glas Marmelade. Oh, ich habe noch
genau 2 Mark 23, das passt ja. Dann landen
die 3 Pfennige, die über sind, in meiner
Schürzentasche.«
Dieses Mal war sogar der Sitz hinter dem
Busfahrer frei, und nachdem Frau Ginster
Platz genommen hatte, fuhr der Bus bereits
los. Auch auf der Rückreise huschten die
Häuserzeilen nur so an ihr vorbei und für
einen kurzen Augenblick lang entdeckte sie
wiederum eine Katze, die sie irgendwie an
Helmut erinnerte. Nur, dass diese Katze oder
besser gesagt dieser Kater, in Fahrtrichtung
und somit in die entgegengesetzte Richtung
als vormals lief. Das erinnerte Frau Ginster
nun prompt an Helmut, der mit Sicherheit
längst vor dem Küchenfenster um Einlass
ersuchen würde.
»Ach Helmut, mein Ärmster. Du hast sicher
längst Hunger und musst nun vor dem verschlossenen Fenster geradezu darben, bis ich
zurück bin.«
»Was sagten Sie bitte?«, rief der Busfahrer
und drehte seinen Kopf halb in ihre Richtung, während er weiter nach vorne blickte.
»Nichts, Herr Helmut. Ich sprach nur mit
meinem Kater. Er tat mir nur so leid, als ich
soeben an ihn dachte.«
»Ach so, ich dachte, ich hätte meinen Vornamen gehört und irgendwas von einem ver16
schlossenen Fenster, vor dem ich darben
soll.«
»Nein, keineswegs waren Sie und ein verschlossenes Fenster gemeint, vor dem Sie
darbend zu sitzen glauben. Weshalb denn
auch?« Der Bus kam sanft zum Stehen und
Frau Ginster verabschiedete sich mehrmals
bei dem liebenswürdigen Busfahrer. »Sie
sind eine nette Person, Herr Helmut. Bis
zum nächsten Treffen. Sie fahren doch dann
auch wieder den Bus?«
»Ja, ich fahre dann auch wieder Bus.« Doch
kalten Orangensaft, wie Frau Ginster rasch
herausfand, mochte der Busfahrer nicht so
recht trinken. Er war ein Mann des gekühlten Bieres. »Bis zum nächsten Mal, Frau
Ginster, und vielleicht haben wir demnächst
mal wieder eine gemeinsame Kaffeefahrt?«
Soweit Frau Ginster wusste, war eine Kaffeefahrt nicht geplant und woher wusste der
Busfahrer überhaupt …? Egal, nein, auch
damit konnte sie nicht dienen und sie entstieg dem Bus. An der Bushaltestelle wartete
bereits Doktor Schubert, der seine Frau bereits lautstark schimpfend in Empfang nahm.
Von irgendwoher oder von irgendjemandem
musste er erfahren haben, dass seine Frau
mit der Kriminalität in Kontakt geraten war.
Frau Ginster hatte jedoch keine Zeit mehr zu
vertrödeln und lief auf direktem Wege in
Richtung des Brombeerstrauchweges. Auf
der Brücke winkte sie dem Bus hinterher,
der daraufhin zweimal hupte. Nun müsste
sie nur noch links, nein rechts herum gehen
und dann wäre bereits ihr Haus in Sichtweite. Als sie um die Ecke bog, entdeckte sie
weiter hinten in den vorgelagerten Gärten
einen schwarzen Punkt, der ebenfalls dem
Brombeerstrauchweg 65 entgegen strebte.
»Ingeborg, das ist mit Sicherheit Helmut,
der jetzt erst seine Runde beendet. Na, umso
besser. So wird er nicht bemerkt haben, dass
ich derart lange fort war. Ich werde ihn am
besten im Garten in Empfang nehmen, ihn
griesgrämig anblicken und erbost fragen, wo
er sich so lange herumgetrieben hat. Eine
hervorragende Idee, Ingeborg.«
Frau Ginster freute sich bereits hämisch über
Helmuts Gesichtsausdruck, als sie bemerkte,
dass ein Postauto im Brombeerstrauchweg
parkte. Ihr Herz schlug unvermittelt höher,
als sie daran dachte, dass Herr Schmidt ihr
jeden Moment gegenüberstehen könnte. In
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Höhe des Postautos blieb sie stehen und sah
durch die Frontscheibe, ob sie dahinter jemanden entdecken könnte. Auch lief sie
einmal um das Auto herum, klopfte und
fragte vorsichtig nach, ob sich jemand im
verschlossenen Laderaum aufhielt. Das Auto
stand jedoch leer. Innerlich aufgewühlt ging
sie weiter und blickte währenddessen aufmerksam um sich, ob sie nicht irgendwo den
dazugehörigen Postboten entdecken könnte.
Doch es war still im Brombeerstrauchweg.
An ihrem Gartentor angelangt stellte sie mit
Erstaunen fest, dass es einen Spalt offen
stand.
»Wie konnte das denn geschehen sein! Ich
bin mir sicher, dass ich es sorgsam verschlossen habe!«
Nachdenklich und auch etwas ärgerlich über
sich selbst, lief sie durch das Tor und ließ es
für Helmut offen stehen. »Aus Rücksicht
vor deiner Wunde, Helmutchen.« Er sollte
nicht über den Zaun springen müssen. Kurz
darauf erschien auch schon Helmut. Er war
über den Zaun gesprungen und lief umgehend und ohne Frau Ginster weiter zu beachten zum Küchenfenster. Dort sprang er
auf das Fensterbrett und bemühte sich red-
lich um einen mürrischen Gesichtsausdruck.
Überaus erfolglos drückte er anschließend
gegen das Fenster und forderte offensichtlich, dass ihm jemand unverzüglich öffnen
sollte.
Dieses Theater hatte sich Frau Ginster mit
angesehen und grummelte vor sich hin,
»Wirklich komisch, Helmut. Ich sollte eigentlich deinen Gesichtsausdruck angenommen haben und dich ausschimpfen, wo
du so lange abgeblieben bist. Dieser Kater
bringt meine gesamte Planung durcheinander.« Entschlossen lief sie auf Helmut zu,
der sie zwar hin und wieder schlitzäugig anblickte, doch das Innere des Hauses wohl
um einiges interessanter fand.
»Kerlchen, das gibt nun erst recht einen Begrüßungskrauler.« Als sie Helmut derart unbeschützt sitzen sah, stieg Wut in ihr auf.
Vor allem, als sie sich daran erinnerte, was
Landau ihm am gestrigen Tag und möglicherweise auch heute bereits angetan hatte. Bei
ihm angelangt hob sie ihre Hand, um ihn
standesgemäß zu begrüßen. Urplötzlich
verging ihr das Lächeln und wich dem
Schrecken. Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben. An der hinteren Ecke ihres Hau20
ses stand doch jemand! Sie hielt inne und
schwieg entsetzt. Das Atmen fiel ihr schwer.
Derjenige hatte sie noch nicht gehört und
stand mit dem Rücken zu ihr. Eine Bahn aus
Rauch stieg über seinem Kopf empor. Sie
wusste nicht, wie sie reagieren sollte. ›Wie
ist der in meinen Garten gelangt?‹, dachte
Frau Ginster fieberhaft nach, ›sicher, das
Tor stand offen, doch ich bin mir sicher, es
vorhin geschlossen zu haben. Was wagt sich
der Kerl in meinen Garten und dann auch
noch in die Nähe des Kellerfensters! Hoffte
er, es offen vorzufinden?‹ Sie betrachte sich
den Eindringling genauer. ›Diese Jacke und
diese Mütze kenne ich doch? Und diese dreckige Hose erst recht!‹
Sofort stiegen alle möglichen Gefühle in ihr
auf. Wut, Abscheu, Respekt vor seiner
Dreistigkeit und eine ordentliche Portion
Angst vor dem, was sie erwartete. Landau
stand an der Ecke ihres Hauses und schien
auf etwas zu warten. Sie fasste sich ein
Herz, denn sie konnte nicht ewig so stehen
bleiben. Oder hätte sie heimlich in ihr Haus
gehen sollen? Sie holte tief Luft. »Herr
LANDAU!? Was machen Sie in meinem
Garten?!«
Das hatte gesessen! Beinahe wäre Landau
die Zigarette aus der Hand gefallen. Nachdem das unwillkürliche Zucken des Erschreckens verzogen war, drehte er sich blitzartig
um. Er bemühte sich, krampfhaft zu lächeln.
Doch das Einzige, was dabei herauskam,
war nur ein schmieriges Grinsen.
»Oh, Frau, Frau Ginser… es ist mit Sicherheit nicht das, was Sie jetzt denken. Im Gegenteil, Sie sind meine letzte Hoffnung. Sehen Sie hier, ich habe ein Paket für Frau
Wagner und dachte mir, ich lasse es bei
Ihnen. Als ich Sie nicht vorfand, dachte ich
weiter, ich könnte noch rasch eine Zigarette
rauchen, und damit mich niemand sieht,
naja, deswegen stehe ich hier an der Ecke.«
Hilfe suchend blickte Frau Ginster auf Helmut, der jedoch noch immer mit nichts anderem beschäftigt war, als in das Haus hinein
zu kommen. »Ah ja und wie gelangten Sie
in meinen Garten? Sie wissen doch, dass ich
das Tor von innen öffnen muss. Und einen
Schlüssel für außen besitzen Sie doch wohl
kaum?«
Landau zog ausgiebig an seiner Zigarette,
was ihm wohl Zeit verschaffen sollte. »Das
Tor stand weit offen, als ich ankam und ich
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habe es angelehnt, nachdem ich hindurchgegangen bin.«
Frau Ginster wandte sich um und sah zum
Tor hinüber. Anschließend blickte sie noch
ungläubiger zurück auf Landau. »Und da
laufen Sie hindurch, ohne vorher zu läuten?
Ohne zu wissen, ob ich daheim bin?«
»Doch, doch, ich läutete sehr wohl. Das Tor
stand, wie gesagt, offen und ehrlich gesagt
… ich dachte, Ihnen könnte irgendetwas
passiert sein.« Landaus Blick wurde plötzlich eiskalt. Die ohnehin schon eisblauen
Augen dieses Mannes stachen nun förmlich
aus ihren Höhlen hervor.
Ein Schauer lief über Frau Ginsters Rücken,
als sie diese Veränderung in seinem Blick
bemerkte. Allerdings war sie nun verwirrt.
Denn alles, was er ihr erzählt hatte, klang
recht plausibel. Irgendetwas musste sie doch
übersehen haben? Irgendetwas. Da fiel ihr
etwas Wichtiges ein. »Weshalb werfen Sie
nicht einfach eine Benachrichtigung in Frau
Wagners Briefkasten, so wie Sie es heute
Morgen bei mir getan haben?«
Vorsichtig stellte sie den Jutebeutel ab. ›Darauf dürfte der keine Antwort parat haben‹,
dachte sie sich währenddessen. ›Mit Sicherheit hat der irgendetwas mit dem Kellerfenster zu tun. Womöglich wollte er nur noch
rasch eine qualmen, bevor er es wieder öffnen wollte.‹
Postbote Landau schwieg tatsächlich gleich
mehrere Augenblicke lang, bevor er eine
Antwort gab. »Nun … nun, ja, das ist eigentlich nicht unsere Vorgehensweise, und
ich kann mich nicht erinnern, Ihnen eine
Benachrichtigung eingeworfen zu haben.«
Nun sah Frau Ginster, die sich soeben wieder aufrichtete, dass Postbote Landau nicht
geschwiegen hatte, weil er händeringend
nach einer Antwort suchte. Er hatte einen
letzten Zug von der Zigarette genommen,
die er noch immer und mehrfach vergebens
versuchte auszutreten.
»Ah ja und wer wirft mir bitteschön eine
Benachrichtigung in den Briefkasten, wenn
nicht Sie? Die war doch von der Post!«
Postbote Landau zuckte mit seinen Schultern. »Das weiß ich nicht. Ich war es jedenfalls nicht. Nehmen Sie nun das Paket an?
Sonst nehme ich es wieder mit.«
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Beinahe war sie bereit, das Paket anzunehmen, doch da fiel ihr noch etwas ein. »Zeigen Sie mir Ihren Ausweis.« Entschlossen
hob Frau Ginster ihr Kinn.
Landau schwieg einen Moment. »Gut, von
mir aus. Das kann ich gerne tun. Warten
Sie.« Er stellte das Paket auf dem Gehweg
ab, hob mit einer Hand seine Jacke an und
mit der anderen zog er eine Brieftasche aus
der Gesäßtasche. Er öffnete sie und kramte
darin herum. Als er offensichtlich den Ausweis gefunden und herausgezogen hatte,
klappte er die Brieftasche geräuschvoll zusammen und ging große Schritte auf Frau
Ginster zu. Sie musste sich sehr zusammennehmen, um auf der Stelle zu verharren. Ihr
kam die gesamte Situation noch immer nicht
geheuer vor und sie wäre am liebsten fortgerannt.
»Bleiben Sie da stehen!«, rief sie laut und
sah sich um, ob sie nicht der Nachbar möglicherweise hatte hören können. Landau hielt
tatsächlich inne. Auf der anderen Seite des
Zaunes blieb es jedoch still. Einen Buckel
machend und nach vorn übergebeugt überreichte er ihr den Ausweis. Dabei beobachtete sie genau seine Hände. Sie zitterten und
waren mit erdigem Schmutz bedeckt. Während Sie zögerlich zugriff, wollte das markante Grinsen einfach nicht aus seinem Gesicht weichen.
»Darf ich fragen, was Sie vorhaben?«, fragte
Landau mit einer unangenehm bebenden
Stimme, die sich zu überschlagen drohte.
Frau Ginster ließ sich nicht beirren. »Ich
möchte nur sehen, ob Sie es wirklich sind,
Herr Landau. Sie können mir doch viel erzählen.« Eigentlich wollte sie hauptsächlich
seine Unterschrift sehen. Sie wusste in etwa
noch, wie die auf der Benachrichtigungskarte ausgesehen hatte. Sehr einfach gehalten.
Beinahe nur ein Häkchen, ein Kreis und ein
Strich. Sie bemühte sich, ihre Angst nicht zu
offensichtlich zu machen, als sie den Ausweis durchblätterte. Landau beobachtete genau, was sie tat. Endlich, dort war sein Bild,
der Name stimmte und die Unterschrift? Ein
ausgeschriebenes „Landau“.
»Nun gut, Herr Landau. Ihr Ausweis …«.
Frau Ginster stellte sich aufrecht, klappte
den Ausweis zusammen und gab ihn zurück.
»Geben Sie mir das Paket. Ich werde es für
Frau Wagner aufbewahren. Gehen Sie nie
wieder ohne meine Erlaubnis in meinen Gar26
ten. Ich werde mich ansonsten über Sie beschweren. Man kennt mich bereits gut bei
der Post. Und der letzte Postbote, der mir
dumm kam, nahm letztlich seinen Hut.«
Postbote Landau nickte und wollte sich
soeben umdrehen und das Paket aufheben.
»Allerdings
Landau!«
ist
da
noch
etwas,
Herr
Abrupt hielt Landau inne und stand kurz darauf wiederum vor Frau Ginster. »Ich habe
Sie gestern heimlich beobachtet und gesehen, dass Sie meinen Kater getreten haben.«
Frau Ginster sah zu Helmut hinüber, der
mittlerweile auf der Fensterbank lag. »Zu
Ihrem Glück ist nicht viel geschehen. Wie
Sie sehen, geht es ihm gut. Erwische ich Sie
allerdings noch einmal dabei, wie Sie ihm
irgendetwas antun, und sei es auch nur, dass
Sie ihn schief anschauen ...«, Landau stand
schweigend da, »… dann schwöre ich Ihnen,
so wahr ich hier stehe, dann hole ich den
Spaten aus meinem Keller und ziehe diesen,
ohne zu zögern, über Ihren Schädel. Anschließend vergrabe ich Ihre Leiche in meinem Garten … gleich dort vorne, sehen
Sie.«
Sie wies auf eine Stelle neben dem Komposthaufen. »Dort werden Sie anschließend
liegen und einen guten Kompost abgeben.
Möglicherweise pflanze ich sogar ein hübsches Blümchen obenauf. Oder gar Katzenminze, die dem Kater anschließend recht
viel Freude bereiten wird. Doch das werde
ich mir überlegen, wenn es dann soweit ist.
Haben wir uns verstanden?«
Während der letzten Sätze war das Blut aus
Landaus Gesicht gewichen. Mit aufgerissenen Augen starrte er sie sprachlos an. Anscheinend nahm er sehr ernst, was Frau
Ginster soeben angekündigt hatte. Was sie
selbst wiederum sehr verwunderte. Zudem
war sie von ihrem plötzlichen Wutausbruch
geradezu überrascht worden. Doch es ging
um Helmut, und da gab es keinerlei Grund,
ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Und
Grund zur Gnade erst recht nicht. Herr
Landau stammelte, dass er sie sehr gut verstanden habe und ging, ohne das Paket zu
beachten, Richtung Gartentor.
»Herr Landau? Haben Sie nicht etwas vergessen?« Er griff sich an den Kopf. Sein
schmieriges Grinsen war zwar wieder da
und dennoch sah er noch immer reichlich
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blass aus. »Natürlich, Frau Ginster. Einen
Moment … Oh, ich habe das Klemmbrett
vorhin vergessen. Ich hole es mal eben aus
dem Postauto.«
Frau Ginster nickte. »Ja, das sollten Sie
dann wohl tun.« Währenddessen nahm sie
den Jutebeutel, den sie vorher an der Hauswand abgestellt hatte, lief einige Schritte
und hob das Paket der Frau Wagner auf. Anschließend ging sie zur Haustür. Dort legte
sie beides auf die Türschwelle und wartete
auf Landau. Der war reichlich außer Atem,
als er in der Nähe der Stufen anlangte. Mit
langem Arm überreichte er hastig das
Klemmbrett und seinen Kugelschreiber.
Frau Ginster fielen abermals seine
schlammbedeckten Hosen auf, und sie wunderte sich, dass er diese seit gestern nicht
gewechselt hatte. Kurzerhand drehte sie die
Spitze des Kugelschreibers.
»Wo muss ich unterschreiben?«
Postbote Landau stellte sich auf die Zehenspitzen und zeigte weit nach vorn gelehnt
die entsprechende Stelle. Ungläubig blickte
sie abwechselnd auf das Klemmbrett und auf
den Postboten. »Nur eine Unterschrift? Ges-
tern wollten Sie doch gleich vier Unterschriften von mir?«
Ȁhm ja, die waren notwendig, weil es mein
erster Tag war. Versicherungstechnische
Dinge«, erklärte der noch immer verstört
wirkende Landau.
»Ach, mit so etwas kenne ich mich nicht
aus.« Wenig später war Frau Ginster einfach
nur froh, dass der Postbote aus ihrem Garten
verschwunden war. »Herr Landau, schließen
Sie das Tor hinter sich!«, rief sie ihm rasch
hinterher. Kommentarlos und laut scheppernd klinkte sich daraufhin die Torverriegelung ein.
Außerhalb des Gartens hielt Landau einen
Moment inne, senkte seinen Kopf und hob
seine Hände an seinen Mund. Während er
weiter zum Postauto lief, stiegen dichte
Rauchschwaden über seinem Kopf auf. Verstohlen blickte er noch einmal über den
Zaun in Richtung Frau Ginsters Haus. Er
wollte wohl überprüfen, ob sie ihn weiterhin
beobachtete. Das war seines Erachtens nicht
der Fall und so öffnete er hastig die Tür des
Postautos, ergriff das Lenkrad und zog sich
auf den Fahrersitz. Dort drückte er mit bei30
den Armen gegen das Lenkrad und presste
sich auf diese Weise tief in den Sitz.
Plötzlich hielt er inne und schien sich über
irgendetwas zu empören. Abrupt riss er den
Kopf hoch und rüttelte und drehte wütend
am Lenkrad und schrie sich offensichtlich
selbst an. Mit einer hohlen Hand wischte er
sich mehrmals über die Stirn und das Gesicht. Dass er trotzdem noch beobachtet
wurde, hatte er schlecht sehen können, da
Frau Ginster in ihrem Wohnzimmer stand
und verborgen am Fenster hinter der Gardine lauerte.
Ohne ein Hilfsmittel und schon gar nicht mit
bloßem Auge konnte sie diese seltsamen
Krümel nicht einordnen. Kopfschüttelnd
stand sie auf und ging in die Diele an eine
der vielzähligen Schubladen des Dielenschränkchens. »Wo ist sie denn abgeblieben? In der Küche ist sie jedenfalls nicht. In
den Schubladen hier ebenfalls nicht.« Endlich, als ob sie es geahnt hätte. Die Leselupe
befand sich anscheinend noch immer an dem
Ort, an dem sie sie zurückgelassen hatte. Im
Badezimmer. Was sie allerdings mit der Leselupe im Badezimmer vorgehabt hatte, dar-
über mochte sie in diesem Moment lieber
nicht weiter nachdenken.
In die Küche zurückgekehrt nahm sie einen
der Krümel mit dem angefeuchteten Zeigefinger auf. Nach einigen fachlich angelegten
Monologen, die die Frage zu klären versuchten, ob mögliche Irrtümer ausgeschlossen
werden könnten, war sie sich schließlich sicher. Nein, war sie sich doch noch nicht.
Erst nachdem die Frage geklärt war, ob nicht
selbst dem weisesten Kriminalinspektoren
einmal ein Fehler unterlaufen könnte - da
war sie sich wirklich sicher:
»Ingeborg, das ist doch Tabak! Wer schickt
mir denn ein Paket mit einigen Krümeln Tabak darin?« Wenig später war es ihr bereits
müßig, sich selbst solcherlei Fragen zu beantworten. »Mir ist das doch egal. Schickt
mir doch alle euren Krümeltabak. In ein bis
zwei Jahren habe ich genug für einen Pfeifenkopf beisammen und werde mir diese
Pfeife in aller Ruhe genehmigen.« Doch ihre
Unbeschwertheit hielt nicht lange vor.
»Worin besteht denn der Sinn eines augenscheinlich leeren Päckchens? Was will mir
der Absender damit mitteilen? Ist irgendetwas leer oder zeitlich abgelaufen? „Leere“
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bedeutet „nichts“ oder könnte auch „Klarheit“ bedeuten. Möchte der Absender, dass
irgendetwas geklärt wird? Bei einer Pfeife
möglicherweise? Ist das eine Friedenspfeife?
Es würden mir einige einfallen, die mit mir
am liebsten Frieden schließen würden. Warum dann allerdings so wenig Tabak? Das
bringt mich nicht weiter … Helmut? Helmutchen? Wo ist denn der Kater urplötzlich
hin?«
Leise murrend erhob Frau Ginster sich und
ging in das Wohnzimmer. Dort entdeckte sie
nach einigem Nachforschen Helmut, der
seitlich auf der Ledercouch lag und sie rücklings anblinzelte. »Du hast wohl geschlafen?
Seltsam, dass du mich gehört hast? Du hast
mich doch gehört, oder? Weißt du, Helmutchen …«, sie ließ sich vorsichtig neben ihm
nieder, »manchmal denke ich, du bist überhaupt nicht taub und du tust nur so. Ist das
eine Art Lügengebäude, das du dir irgendwann einmal errichtet hast und nun unbedingt beibehalten möchtest? Ich kann das
verstehen … durchaus gut verstehen.«
Ihr lang gestreckter Zeigefinger kitzelte an
Helmuts Ohr herum. »Ich will dir auch nicht
im Wege stehen und dir begreiflich machen,
was du tun und was du lassen sollst. Nein,
wenn du denkst, es soll so sein, dann ist es
richtig so. Es ist eben, wie es ist, und ich
akzeptiere es. Du bist Helmut, und du hast
dich entschieden, nichts zu hören. Bis auf
einige Ausnahmen selbstverständlich … du
wirst lachen … entschuldige, nein, wirst du
nicht … jedenfalls, haben auch wir Menschen jeder sein eigenes kleines Lügenhäuschen, das wir uns in mühevoller Kleinarbeit
errichtet haben. Einen Haufen Arbeit macht
es, sich dieses aufzubauen. Und ragt es erst
einmal in den Himmel, dieses mächtige Gebäude, schützt man es, wo man nur kann.
Wie gesagt, Helmut, ich nehme dir das nicht
krumm. Dazu habe ich dich viel zu gern.«
Beinahe nachdenklich blickte Helmut Frau
Ginster an und sie lächelte zurück. Sie
zwinkerte mit den Lidern und seine Augen
schlossen sich kurzzeitig und öffneten sich
wieder. Schließlich warf er sich auf die Seite
und drückte seine vier Pfoten in ihre Schenkel. »Aua, Helmut … Du willst mich wohl
von der Couch haben? Nehme ich dir zu viel
Platz weg? Oder nervt mein Gerede das Katerchen? Ha, gib es zu … Schon gut, schon
gut, ich gehe schon. Ich sehe dich dann
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gleich in der Küche. Es könnte gut möglich
sein, dass du noch vor mir da bist.«
Frau Ginster lächelte abermals und wartete
einen Moment ab. Helmut rührte sich jedoch
nicht. »Ah, das ist aber auch gemütlich
hier.« Sie legte ihren Kopf auf die Rückenlehne und beobachtete mit einem Auge, ob
Helmut doch reagierte, falls sie sitzen bliebe. Aber er schlief tatsächlich fest. »Nun
gut, ich stehe auf und du hast diese riesige
Couch für dich ganz allein.« Sie ergriff
streichelnd seine Pfoten, die sie noch immer
schmerzhaft drückten und stand ohne viel
Aufsehen zu erregen auf. Nun begann sie
gar zu flüstern. »Da, nun ist sie leer. Das ist
doch das, was du wolltest? Kannst jetzt ungesehen irgendwelchen Unsinn machen.
Hättest mir doch auch gleich ein leeres Paket schicken können, mit reichlich Katzenfutterkrümel darin. Ich hätte die Botschaft
verstanden.«
Da fiel es ihr brennend heiß ein. Das war der
einzige Sinn des Päckchens gewesen! Sie
sollte aus dem Haus verschwinden, es sollte
leer sein, dass jemand ungesehen Unsinn
darin machen konnte. Landau fiel ihr als
Nächstes ein. ›Er war derjenige, der sich in
der Zwischenzeit am Haus aufgehalten hat.
Und könnte der Tabak nicht auch von einer
Zigarette stammen? Dreht sich Landau etwa
seine Zigaretten selbst? Wie soll ich das nun
wieder herausfinden? Ein Anruf bei der
Post, ob Landau sich seine Zigaretten selbst
dreht? Quatsch, draußen dürften genug von
seinen Zigaretten herumliegen.‹
Klopfenden Herzens lief Frau Ginster an die
Haustür und wollte sie soeben öffnen, als sie
bereits von Helmut eingeholt wurde. »Hab
ich es mir doch gedacht, mein kleiner
Strolch. Ich habe allerdings nur so getan, als
ob ich sie öffnen würde. Damit hast du nun
nicht gerechnet, oder? Nun gut, ich muss
dennoch raus.« Sie bückte sich, um ihn zu
kraulen. Helmut wich jedoch geschickt aus
und hatte nur noch die Haustür im Kopf. »Ist
doch schon gut, Ingeborg. Du siehst ihn
doch gleich wieder.« Sie öffnete die Tür und
wollte soeben hinausgehen, als Helmut im
Türrahmen innehielt.
»Was ist denn los? Nieselt es?« Frau Ginster
streckte den Arm aus und fühlte einen Moment, ob die Luftfeuchtigkeit hoch war oder
es gar regnete. »Helmut, es nieselt nicht und
wie sollte es denn auch. Es scheint doch die
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helllichte Sonne. Manchmal verstehe ich
dich wirklich nicht und ich meine damit
nicht deinen kätzischen Akzent.«
Sie entschloss sich dazu, die Tür einfach geöffnet zu lassen und befand sich bereits an
der Hausecke, als sie von Helmut überholt
wurde. »Ich verstehe Helmut, du zahlst mir
das mit der „beinahe geöffneten“ Tür heim.
Es ist nur recht so. Mir fällt schon etwas ein,
wie ich es wieder dir heimzahlen kann.«
Derzeit noch vergnügt blickte Frau Ginster
einen Moment später höchst aufmerksam
drein. An der Stelle, an der Landau seine
Zigarette ausgetreten hatte, untersuchte sie
mit schweifender Genauigkeit den Boden.
»Na, wo ist sie denn nur hin? Das gibt’s
doch nicht, Ingeborg! Hat Landau sie etwa
mitgenommen?«
Sie lief um die Stelle herum, und als dies
erfolglos blieb, vergrößerte sie den Suchkreis. »Wann soll er sich denn danach gebückt haben? Als ich den Beutel abstellte?
Nein, das wäre zu auffällig gewesen. Wer
nimmt schon eine ausgetretene Zigarette
mit, wenn er nichts zu verbergen hat? Allerdings hat er sie mitgenommen und hat somit
auch etwas zu verbergen. Sie könnte ihm
allerdings auch am Schuh kleben geblieben
sein. Dann werde ich umgehend den Weg
absuchen. Ach nein, vorher sollte ich besser
um das Haus herum gehen.«
Tatkräftig lief sie einmal um das gesamte
Haus herum. Die Fenster, die geschlossen
sein sollten, waren es augenscheinlich. An
jedes einzelne drückte sie dennoch gegen
und trat sogar ein Stück zurück, um zu sehen, ob die oberen Fenster ebenfalls verschlossen waren. Selbst die Stufen der Haustür hatte sie nicht ausgelassen zu untersuchen. Im Türrahmen stand wiederum Helmut und wartete mürrischen Blickes darauf,
dass Frau Ginster endlich an die Futterdose
heimkehrte.
»Wenn hier irgendwo ein Zigarettenrest liegen würde, dann hätte ich ihn mit Sicherheit
entdeckt.« Aufmerksam auf den Boden blickend schritt sie den gesamten Weg bis zum
Gartentor ab, der noch immer wie gerade
eben gefegt aussah. Nur der ständig wiederkehrende Löwenzahn, der abermals seinen
angestammten Platz zwischen den Gehwegplatten eingenommen hatte, lauerte geradezu
darauf, wieder herausgezupft zu werden.
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»Jedes Mal, wenn ich an dir vorbeikomme,
bist du wieder da. Ist das denn die Möglichkeit? Den Garten habe ich bereits aufgegeben. Doch du hast dir den denkbar ungünstigsten Platz ausgesucht. Geh doch in den
Garten, dort kannst du wachsen und gedeihen. Dazu ist er doch da. Das interessiert
dich nicht, oder? Ist recht so. Komme ich
eben weiterhin hier vorbei und zupfe dich
heraus. Bis ich entweder tot oder du verdorrt
bist.«
Da fiel es ihr ein, dass Landau sogar noch
am Auto eine Zigarette geraucht hatte. Sie
lief an die Stelle, an der das Postauto geparkt hatte, und suchte auch dort alles weiträumig ab. »Endlich, Ingeborg, beinahe hättest du dieses Schmuckstück übersehen!«
Vor ihr lag tatsächlich ein Zigarettenrest.
Hoch erfreut nahm sie den Stummel auf und
hielt ihn hoch in das Licht. Als sie erkannte,
dass es eine selbst gedrehte Zigarette gewesen sein musste, platzten weitere Worte der
Erleichterung aus ihr heraus. »Mein Gott,
danke!« Sie verzog ihren Mund zu einem
breiten und triumphalen Grinsen und steckte
das Überbleibsel in die Schürzentasche.
»Kann denn eine einzelne Person derart viel
Glück haben?«
»Wenn es um das Auffinden von Zigarettenstummeln geht? Sie anscheinend schon,
Frau Ginster.« Frau Wagner war irgendwann
aus ihrer Haustür heraus und an das Gartentor herangetreten und hatte wohl schon länger beobachtet, was Frau Ginster um ihr
Haus herum so alles getrieben hatte. »Sie
scheinen allerdings gefunden zu haben, was
Sie suchten? Das freut mich … nicht.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich
Frau Wagner ab. Sie wollte soeben in ihr
Haus zurückkehren, als Frau Ginster hocherrötet ihre Sprache wiederfand. »Ähm ja, Sie
fragen sich sicherlich, was ich hier tat, nicht
wahr?« Frau Wagner schüttelte schweigend
ihren Kopf. »Nein, soweit es Sie betrifft,
stellen sich mir keine Fragen mehr. Was soll
ich davon auch bitteschön halten? Reicht
Ihre mickrige Rente nicht mehr für … ganze
Zigaretten? Die werden auch in Schachteln
abgepackt, zu zwanzig Stück jeweils. Falls
Ihnen mal wieder danach sein sollte. Pfui,
kann ich dazu nur sagen.«
Peinlich berührt zog Frau Ginster einige Falten aus ihrer Kittelschürze. »Ähm, ja. Ich
könnte nun versuchen, Ihnen zu erklären
was ich hier tat oder es auch lassen. Diese
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Geschichte ist allerdings ziemlich lang, und
ich möchte nicht Ihre kostbare Zeit verschwenden. Einen schönen Abend Ihnen
noch.«
Schweigend wandte sich Frau Wagner nun
endgültig um. Frau Ginster sah noch, wie sie
mit dem Kopf schüttelte, als ihr plötzlich das
Paket einfiel. »Frau Wagner? Frau Wagner?
So warten Sie doch bitte einen Moment.«
Etwas erleichtert lief Frau Ginster an das
nachbarschaftliche Gartentor. »Wann haben
Sie denn vorgehabt, es abzuholen? Ich
möchte Ihnen etwas vorschlagen. Ich hole
gleich Ihr Paket aus meinem Haus und Sie
vergessen dafür dieses kleine Missverständnis hier?« Ihre beiden Hände ergriffen das
wagnerische Gartentor, während sie sich
redlich darum bemühte, freundlich zu lächeln.
Von dem Angebot sichtlich überrascht weiteten sich Frau Wagners Augen und gleichzeitig legte sich ihre Stirn in Falten. »Paket?
Welches Paket denn? Ich habe es doch gestern Abend bei Ihnen abgeholt. Wissen Sie
das denn nicht mehr? Oh man. So langsam
mache ich mir wirklich Sorgen, und ich bin
mir nicht einmal sicher, ob nicht vielleicht
auch etwas Angst vor Ihnen mit im Spiel ist.
Ich wohne direkt in der Nachbarschaft Ihres
Hauses. Wer weiß, was Ihnen noch alles einfällt in nächster Zeit?«
Von der Antwort zumindest überrascht zog
Frau Ginster ein entsprechendes Gesicht. So
dachte sie tatsächlich darüber nach, ob es
überhaupt ein Paket für Frau Wagner war,
welches in ihrer Diele lag. Oder, ob es tatsächlich Frau Wagners Paket war und sie es
vielleicht doch bereits abgeholt hatte?
Obendrein überlegte Frau Ginster, ob das
Paket nicht eigentlich für sie selbst bestimmt
gewesen war. Ihre Gedanken verdrehten sich
stetig weiter. ›Ist es möglich, dass nie ein
Paket in meiner Diele gelegen hat?‹ Plötzlich wurde sie ganz kleinlaut.
»Sie meinen, bei mir liegt kein Paket von
Ihnen? Was ist denn mit dem Postboten und
der Benachrichtigung?« Sichtlich fassungslos schüttelte Frau Wagner ihren Kopf. »Ich
war den ganzen Tag zu Hause. Wenn mir
einer ein Paket bringen wollte, dann hätte er
doch wohl geklingelt. Weshalb sollte der
Postbote Ihnen mein Paket bringen, während
ich zu Hause bin? Nein, das bilden Sie sich
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nur ein. Passen Sie auf, ich beweise es
Ihnen.«
Entschlossen öffnete Frau Wagner ihr Gartentor und lief zügig staksend an den Briefkasten. Insgeheim war es für Frau Ginster
bewundernswert mit anzusehen, wie zielstrebig Frau Wagner den Briefkastenschlüssel aus dem riesigen Bund fischte und wie
sie den Schlüssel gleich beim ersten Versuch
in das Schloss stecken konnte.
»Da sehen Sie, es liegt kein Zettel drinnen.
Na, was hab ich Ihnen gesagt? Verrückte
…«
Frau Ginster wollte ihr das nicht glauben
und sah ebenfalls genau hin. »Ha, oh doch,
Frau Wagner, da liegt ein Zettel drinnen. Sie
sehen ihn nur schlecht im Abendlicht.«
Schlagartig fühlte sie sich rehabilitiert. »Ha,
und ich soll also eine verrückte Alte sein?
Das wollten Sie doch eben sagen, nicht
wahr? Wenn Sie nicht stets auf Ihrem Ross
schweben würden … hier unten könnte ich
mich wunderbar mit Ihnen unterhalten. Ja,
Sie vielleicht sogar etwas mögen.«
Bedrückt nachdenklich schloss Frau Wagner
den Briefkasten. »Nun, was soll ich sagen.
Ich habe ihn tatsächlich nicht gesehen. Ein
gelber Zettel auf gelbem Briefkastenblech.
Entschuldigen Sie, Frau Ginster. Ich meine
es ernst mit meiner Entschuldigung.« Etwas
ungläubig blickte Frau Wagner auf die Benachrichtigung in ihrer Hand.
»Ja, schon gut.« Unübersehbar triumphierend verschränkte Frau Ginster ihre Arme.
»Sicher befanden Sie sich unter der Dusche,
als der Postbote bei Ihnen geklingelt hat?
Ich selbst war auch nicht da und entdeckte
ihn erst, als ich zurückkam. Das war am späten Nachmittag. Darf ich die Benachrichtigung bitte mal sehen?«
Bereitwillig übergab Frau Wagner die Benachrichtigung und schüttelte währenddessen ihren Kopf. »Ich dusche erst vor dem
Schlafen wieder. Allerdings habe ich auch
kein Paket erwartet, wissen Sie. Möglich
auch, dass der Postbote es erst gar nicht bei
mir versucht hat. Ich höre doch sonst immer
die Klingel.«
Die Schrift auf der Benachrichtigung war
schlecht zu erkennen, daher drehte sich Frau
Ginster in die Abendsonne. »Der Postbote
ist doch neu in diesem Geschäft. Seit Anfang der Woche, nehme ich an.« Nun konnte
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sie die Unterschrift erkennen. Es war ein
ausgeschriebenes „Landau“. Etwas enttäuscht gab sie die Benachrichtigung zurück.
»Er kann nicht wissen, dass Sie oft außer
Haus sind. Warten Sie, ich bin gleich zurück.«
Ohne noch einmal zurückzublicken oder eine Antwort abzuwarten, lief Frau Ginster
los, um das Paket der Frau Wagner zu holen.
Auf dem Weg dorthin dachte sie über Postbote Landau nach. ›Soso, der Herr klingelte
also nicht einmal bei ihr. Jetzt passt alles
zusammen. Ein leeres Päckchen, was ich
abholen soll, für ein leeres Haus. Er wollte
ungehinderten Zutritt. Die Tabakkrümel waren mit Sicherheit von ihm. Also sind das
leere Päckchen und die Benachrichtigung
auch von ihm. Die ausgeschriebene Unterschrift auf der Benachrichtigung kann ich
getrost vernachlässigen. Ich hätte auf dem
Paket auch nicht „Landau, Justizvollzugsanstaltshausen, Ganovengasse“ als Absender
angegeben. Dieser Landau! Nun stellt sich
die Frage, was er in meinem Haus wollte?
Nein, diese Frage stellt sich nicht, Ingeborg.
Er wird nach etwas gesucht haben. Nur, dass
es schon weg ist oder offensichtlich gut versteckt? Da fällt mir wieder der Garten ein.
Heute schaffe ich es nicht mehr, ihn umzugraben.‹
Wenig später war Frau Ginster an ihrem
Haus angelangt. ›Ob er bereits im Haus war?
Oder stand er nur da und dachte darüber
nach, wie er in das Haus gelangen könnte?
Er war schlecht vorbereitet. Solch ein Aufriss mit dem leeren Paket und steht am Haus
und raucht. Möglich, dass ich für sein Empfinden zu früh von der Post zurück war. Wie
lange, dachte er denn, würde ich benötigen?
Stunden? Tage? Mein Gott, so alt bin ich
nun auch wieder nicht. Wollte er durch das
offene Kellerfenster und nun hatte ich es
bereits entdeckt? Wie bekam er das Fenster
überhaupt auf? Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Fragen türmen sich auf.
Mein Kopf raucht auch längst. Ganz so wie
seiner vorhin.‹
Die Haustür stand noch immer offen. Sie
betrat das Haus und ergriff das Paket. Bevor
sie wieder zu Frau Wagner zurücklief, sah
sie noch rasch in der Küche nach, ob sich
Helmut wieder auf seinem Lieblingsplatz
eingefunden hatte. Da dies nicht der Fall
war, schloss sie das Küchenfenster und
diesmal auch die Haustür und ging zurück.
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Frau Wagner erwartete sie bereits mit einem
Lächeln. »Das ist wirklich nett von Ihnen.«
Frau Ginster lächelte ebenfalls und bemühte
sich kurz darauf wieder um ein ernstes Gesicht. »Ja, durchaus … Hören Sie, ich möchte Sie warnen. Denn ich habe die berechtigte
Vermutung, dass der Postbote vorhin in
mein Haus wollte. Bevor Sie jetzt wieder
sagen, dass ich verrückt bin, lassen Sie mich
es bitte kurz erläutern.«
Sie übergab das Paket und erwartete eine
Reaktion. Frau Wagner nickte nur und stellte das Paket ab. Das war ein ausreichendes
Zeichen eines offenen Ohres. »Heute Vormittag fand ich eine Benachrichtigung in
meinem Briefkasten, und wie Sie sicherlich
wissen, war ich da. Ich bin immer da. Sie
können jeden in der Nachbarschaft befragen.«
»Das brauche ich nicht, ich weiß das«,
sprach Frau Wagner und nickte.
»Gewiss, ich vergaß, Sie sind ja auch Nachbarschaft. Jedenfalls, das wusste wohl auch
der Postbote und so ersann er sich einen
Plan, wie ich mit Sicherheit das Haus verlassen müsste. Und wie tat er das? Indem er
mir ein leeres Paket schickte. Nun gut, er
hätte auch irgendetwas Belangloses hineintun können, es wäre nicht weniger aufregend
gewesen. Doch nein, es war ein leeres Paket
oder eher Päckchen. Ich kann das nicht auseinanderhalten. Es spielt allerdings auch
keine tragende Rolle in meiner Vermutung.
Auf alle Fälle war es leer, bis auf einige Tabakkrümel.«
»Und Sie sind sich sicher, dass sich keiner
einen Scherz erlaubt hat?«, unterbrach sie
Frau Wagner. »Könnte es sein, dass Sie gar
nicht so beliebt sind in der Nachbarschaft,
wie Sie vielleicht annehmen?«
»Das weise ich weit von mir und gleichzeitig betrübt mich Ihre Annahme. Natürlich
bin ich mir sicher. Ich bin Frau Ginster, ich
nehme doch die Pakete der Nachbarschaft
an. Es würde mich allerdings erfreuen, wenn
Sie mir weiterhin zuhören würden. Ich fand
im Päckchen solche Tabakkrümel, wie Pfeifentabak ihn hinterlässt, oder aber auch
selbst gedrehte Zigaretten. Nun wissen Sie
auch, weshalb ich so energisch hinter diesem Stumpen her war.« Überzeugt von ihrer
Geschichte zog Frau Ginster den Zigaretten48
rest aus ihrer Schürzentasche und hielt ihn
hoch. »Eine selbst gedrehte Zigarette.«
»Sie wissen aber, dass es durchaus filterlose
Zigaretten gibt? Wenn Sie die mögen? Ich
könnte Ihnen einige Marken nennen.«
»Ja, natürlich weiß ich das, und ich mag
keine Zigaretten. Doch würde man am Anfang der Zigarette nicht den Hersteller sehen? Da, sehen Sie genau hin. Kein Hersteller zu sehen.« Den staubigen Zigarettenrest
hielt Frau Ginster derart nah vor das Gesicht
der Frau Wagner, dass sie ihn beinahe schon
riechen konnte. Erschrocken drückte ihr
Handrücken Frau Ginsters Hand weg. »Ich
bitte Sie, das können Sie mir auch sagen.
Wer weiß, wer schon alles daran genuckelt
hat!«
Über das erschrockene Gesicht der Frau
Wagner ebenfalls erschrocken zog Frau
Ginster ruckartig den Zigarettenrest zurück.
»Ausschließlich der Postbote hat daran genuckelt, Frau Wagner, und niemand anderes.
Das verspreche ich Ihnen.« Darüber verzog
sich Frau Wagners Gesicht erst recht angewidert. »Und weil es nur der Postbote war,
stecken Sie mir das eklige Ding beinahe in
den Mund? Und noch etwas. Könnte es sein,
dass es eine filterlose Zigarette war und an
der Herstellerseite entzündet wurde. Der
Hersteller ist einfach verbrannt. Wie alle
Hersteller verbrennen sollten.«
Verwundert legte Frau Ginster ihren Kopf
schräg. »Was ist da los, Frau Wagner? Eben
wollten Sie mir noch mehrere Hersteller
nennen und nun sollen sie verbrennen? Herrje, was habe ich in Ihnen nur erweckt?«
Frau Wagners Augen funkelten böse. »Sie
mischen aber auch überall mit? Ich hab die
Dinger mal geraucht und bin froh, dass ich
davon los bin.«
Noch immer sah Frau Ginster keinerlei Anlass, ihren Kopf gerade zu rücken. Stattdessen zeigte sich eine tiefe Falte auf ihrer
Stirn. »Und weil Sie mit den Dingern fertig
sind, sollten am besten die Hersteller verbrennen?«
»Ach, Sie wissen doch genau, wie ich das
meine. Legen Sie doch nicht jedes meiner
Worte auf die Goldwaage.«
»Könnte es sein, dass Sie die Dinger nie
wirklich überwunden haben und es Ihnen
dadurch leichter fallen würde, dass Sie nicht
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wieder rückfällig werden? Sie haben es nicht
für sich getan, oder? Sonst würden Sie nicht
solch einen Aufstand darum machen. Hätten
Sie es für sich getan, aus freien Stücken, mit
einem offenen Herzen, dann wären Ihnen
die Hersteller schlicht egal.«
»Das könnte sein. Was geht Sie das überhaupt an? Waren wir nicht bei Ihrem Postboten, der angeblich in Ihr Haus wollte?«
»Das ist nicht mein Postbote. Mein Postbote
war der Herr Schmidt. Dieser hier ist
schlicht ein Gauner, der sich ungehinderten
Zugang zu meinem Haus verschaffen wollte.
Ich wollte Sie außerdem nur warnen, also
pampen Sie mich nicht so an! Möglich, dass
er vorhat, bei Ihnen ebenfalls einzusteigen.«
»Haben Sie denn die Polizei benachrichtigt?«
Plötzlich druckste Frau Ginster auffallend
herum. »Nun … nein … Helmut, wissen Sie.
Mein kleiner Dieb, er ist auf der Flucht und
ich möchte nicht unbedingt die Polizei mit
hineinziehen.«
»Welcher Helmut? Und meinen Sie mit
„Flucht“ das, was ich denke? Beherbergen
Sie etwa einen Verbrecher und regen sich
darüber auf, dass ein anderer Verbrecher in
Ihr Haus will? Oh mein Gott, mir bleibt aber
auch nichts erspart.«
Beschwichtigend hob Frau Ginster ihre
Hände. »Beruhigen Sie sich bitte wieder.«
Aufmerksam sah sie sich um, ob einer der
anderen Nachbarn ihnen zugehört hatte. Was
selbstverständlich nicht der Fall war. »Helmut ist mein Kater, ein diebischer obendrein
und ich hatte stets den Eindruck, dass er vor
irgendwem auf der Flucht ist. Vollkommen
erschöpft stand er eines Mittags einfach in
meiner Küche und bettelte um Essen. Als
suchte er bei mir nach einem Unterschlupf.«
Befreit lachte Frau Wagner laut auf. Als sie
sich wieder beruhigt hatte, bemühte sie sich
um ein ernstes Gesicht. »Frau Ginster, Sie
denken also, dass Ihr Kater, der auch noch
Helmut heißt, auf der Flucht ist? Kam er
denn durch das Fenster, wie es sich für einen
richtigen Verbrecher gehört?«
»Ja, woher wissen Sie denn das?«
Mitleidig sah sie auf Frau Ginster und rang
nach Worten. »Woher ich das weiß? Ich
weiß es natürlich nicht mit Gewissheit.
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Nein, möglich, dass Ihr Kater tatsächlich auf
der Flucht ist. Wenn Sie das sagen, dann
wird es so sein. Ich wünsche Ihnen einen
schönen Abend. Heute war es zur Abwechslung mal ganz nett, mich mit Ihnen zu unterhalten. Vielleicht sollten wir das irgendwann wiederholen.«
»Ja, das sollten wir durchaus. Ich weiß allerdings noch immer nicht, woher Sie das
wissen?«
Sichtlich von der Situation genervt holte
Frau Wagner tief Luft. »Frau Ginster …
Helmut ist ein Kater, ein Flohzirkus, wenn
Sie so wollen. Ein wandernder Geselle. Aber
eines ist er gewiss nicht - auf der Flucht. In
gewisser Weise ist er wohl tatsächlich ein
Gauner. Kommt er manchmal vollgefressen
zu Ihnen nach Hause? Falls ja, dann sollten
Sie wissen, dass Ihr Helmut auch noch woanders Futter bekommt. Kater wie er jagen
ganz gewiss nicht. Im Grunde ist er … wir
würden sagen, er tanzt auf mehreren Hochzeiten. Während er hier bei Ihnen ist, sehnt
sich irgendwo in dieser Gemeinde eine einsame … eine andere Dame ebenfalls nach
Ihrem Kater.«
»Helmut ist kein Flohzirkus … Sie meinen
also, dass Helmut auch so einer wie der Peter ist?« Frau Ginster senkte ihren Kopf und
ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Tröstlich blickend ging Frau Wagner etwas
in die Knie, während ihre Augen nach Frau
Ginsters Augen suchten. »Ist doch schon
gut. Peter? Wer ist das denn nun wieder?
Haben Sie etwa noch einen Kater?«
Leise schniefte Frau Ginster. »Kennen Sie
denn meinen Mann nicht?« An einem Zipfel
ihrer Kittelschürze ziehend suchte sie verzweifelt nach einer Möglichkeit, ihre Augen
zu trocknen. »Die Jugend ist nur noch mit
sich selbst beschäftigt. Ich werde besser gehen. Helmut wartet sicher bereits. Und ich
denke nicht, dass Helmut wie er handelt.
Helmut ist anders … er weiß, wo sein zu
Hause ist.«
»Wie Sie meinen, Frau Ginster … ich wollte
…«, Frau Wagner sah in den Himmel und
dachte angestrengt darüber nach, ob sie es
wirklich tun sollte, »Frau Ginster, ich wollte
Ihnen nicht wehtun … das war ganz und gar
nicht meine Absicht … passen Sie auf:
Kommen Sie am Wochenende einfach zu
mir und wir trinken gemeinsam Kaffee. Was
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halten Sie davon?« Ihre Hand legte sich auf
Frau Ginsters Schulter. »Dann reden wir
über Helmut und Ihren Mann und alles, was
Sie sonst noch so bedrückt. Ich bin alleine
dieses Wochenende. Also keine Sorge, mein
Freund wird Sie nicht filmen wollen. Allerdings könnten wir uns zusammen ein paar
Filme von mir ansehen, wenn Sie mögen.«
Plötzlich konnte Frau Ginster wieder lächeln. Doch es war eher ein angestrengtes
Lächeln. »Ja, ich werde sehen, ob es sich
einrichten lässt. Nett, dass Sie mich zu sich
einladen. Ich erlebe das nicht jeden Tag. Einen schönen Abend Ihnen noch, Frau Wagner.«
Frau Wagner ergriff das Paket und balancierte es geschickt auf einer Hand durch das
Gartentor. Als sie hindurchgetreten war,
schloss sie es wieder mit der anderen Hand.
Verstohlen lächelte sie Frau Ginster noch
einmal zu, ergriff das Paket sicher mit beiden Händen und lief zügig in ihr Haus.
Nachdenklich blieb Frau Ginster noch einige
Zeit stehen und beobachtete Frau Wagner,
bis sie in ihr Haus gegangen war. ›Helmut,
ich denke, sie schätzt dich vollkommen
falsch ein. Wir beide wissen doch ganz ge-
nau, dass du kein solcher Hallodri bist. Allerdings beschäftigt mich noch etwas anderes. Woher wusste Landau, dass Frau Wagner heute ein Paket erhält? Oder lagen meine
Benachrichtigung und das Paket bereit, bis
sie oder jemand anderes in der Nachbarschaft ein Paket erhalten? Falls Landau
überrascht wird, wollte er eine gute Ausrede
parat haben. Eine Ausrede, die selbst vor der
Polizei Bestand haben würde.
Er scheint keineswegs naiv zu sein und um
keine Ausrede verlegen, als ob er sich bereits vorher darum Gedanken gemacht hätte.
Gar nicht mal übel, Landau. Du bist ein
Fuchs. Und doch bist du nicht Fuchs genug.
Du hast dich bereits gestern mit den Ginsters
angelegt. Ingeborg und Helmut Ginster werden dir schon das schmierige Grinsen aus
deinem Gesicht vertreiben.‹
»Ist noch etwas, Frau Ginster?« Überraschend war Frau Wagner noch einmal aus
ihrem Haus herausgetreten und blickte verwundert zu Frau Ginster hinüber. Sie stand
noch immer wie angewurzelt vor dem Gartentor und Frau Wagner dachte wohl, sie
bewache nun das Haus, um sie vor dem
mysteriösen Einbrecher zu schützen. Er56
schrocken kam Bewegung in Frau Ginster.
»Nein, entschuldigen Sie. Ich dachte nur
nach. Danke, dass Sie sich erkundigen.« Sie
winkte ihr noch einmal zu und ging in ihren
Garten.
»Nun gut, ich wollte es nicht zugeben vor
der Wagner. Das mit den filterlosen Zigaretten hatte ich keinen Moment bedacht. Könnte jemand, der sich gut genug damit auskennt, die Zigaretten so drehen, dass sie wie
maschinell hergestellt aussehen? Peter wüsste das mit Sicherheit. Es nützt nichts, Ingeborg. Im Zweifel bedeutet es wohl für den
Angeklagten ...«
In Gedanken vertieft blickte Frau Ginster
auf das Wohnzimmerfenster ihres Hauses.
Doch plötzlich stockte ihr der Atem. Während ihr Blick das Wohnzimmerfenster gestreift hatte, war es ihr so gewesen, als ob
sie im Augenwinkel einen Schatten entdeckt
hätte. Eine finstere Silhouette, die hinter ihrer Gardine lauerte. »Oh nein, Ingeborg, was
war das?« Sie fürchtete sich, noch einmal
hinzusehen, lief jedoch nun langsamer. Der
Löwenzahn, der sich sonst auch auf dieser
Höhe befand, kam ihr da gerade recht. Sie
tat so, als ob sie ihn eben erst entdeckt hatte
und nun auszupfen wollte. Um alles in der
Welt wollte sie Zeit zum Nachdenken gewinnen. ›Nur nichts überstürzen, Ingeborg.
Von dort aus sieht der Schatten nicht, ob ich
wirklich etwas herauszupfe.‹ Das Schlucken
fiel ihr schwer, ihr Mund wurde trocken. Sie
spürte ihr Herz bis in den Kopf, während sie
sich nach dem vermeintlichen Löwenzahn
bückte.
›Was willst du tun, Ingeborg? Wenn jemand
im Haus ist, könntest du es verschließen und
die Polizei rufen. Wenn derjenige dich jedoch telefonieren hört, könnte es zu spät
sein. Du könntest umkehren. Dann wüsste
er, dass du ihn entdeckt hast, und würde verschwinden. Schließt du das Haus einfach nur
ab, verschwindet er durch ein Fenster. Nie
wieder in deinem Leben hättest du eine ruhige Minute.‹ Auf einmal blickte sie entschlossen und stand kurz danach wieder aufrecht.
›Ingeborg, du bist seit einiger Zeit der Herr
in deinem Haus. Du wirst dich jetzt selbst
darum kümmern müssen. Ich sehe keinen
anderen Weg.‹ Sie schlenkerte mit ihrem
Arm und wollte zur Komplettierung der gezeigten Vorführung andeuteten, dass sich
58
etwas Herausgerissenes in ihrer Hand befunden hatte. ›Soviel dazu, ich hoffe, es hat
dir gefallen. Ingeborg, sobald du drin bist,
verschließt du die Tür und greifst dir etwas,
womit du zuhauen kannst.
Was käme da Geeigneteres infrage als ein
Nudelholz? Allerdings … wo um Himmels
willen habe ich es beim letzten Mal hingetan? Herrje, egal, sobald du im Haus bist,
gehst du in die Küche und greifst dir das
erstbeste Schwere. Verhalte dich möglichst
unauffällig. Sei du selbst. Ach Gott, nein,
nicht ich selbst sein, das wäre alles andere
als unauffällig. Das wäre geradezu grotesk.
Er wird sofort denken, ich hätte etwas bemerkt. Ach herrje, dann verhalte dich … ja,
verhalte dich wie die Wagner. Unauffälliger
geht es nicht.‹
Schließlich war sie an der Haustür angelangt. Ihr Haus kam ihr plötzlich unglaublich riesig vor. Als würde sie Stunden damit
verbringen müssen, einen Eindringling zu
suchen, der hinter jeder Ecke lauern könnte.
Ihre Knie zitterten und wurden bereits
schwach. Der Mut verließ sie, und sie mochte sich nur noch setzen. ›Jetzt reiß dich mal
zusammen, Ingeborg. Finde beim ersten
Versuch das Schloss und drehe den Schlüssel sicher herum. Zögere nicht, Ingeborg,
sonst steht er gleich hinter der Tür. Und
denke jetzt nicht länger nach. Die Wagner
benötigt keine zehn Sekunden, um in ihr
Haus zu gelangen.‹
Ihre Hand hielt den Schlüsselbund krampfhaft umklammert. Der Schlüssel bebte geradezu vor dem Schloss. Schließlich stieß sie
im vermeintlich richtigen Moment zu. Allerdings ging der erste Versuch daneben. Sie
atmete tief durch. Der zweite ebenfalls.
›Ingeborg, er merkt, dass du nervös bist.
Hoffe inständig, dass er das nicht ausnutzt
und sich sicher fühlt … die Überraschung ist
das Wichtigste. Denkst du eigentlich, es ist
Landau? D e n k s t du, es ist Landau, Ingeborg? Ja, herrje, das denke ich! Sein eiskalter Blick ließ dich erschauern. Du weißt genau warum. Ja, er verrichtet auch noch anderes, als nur die Post auszufahren. Du hast es
in seinen Augen gesehen, nicht wahr? Er
schlachtet Menschen, Ingeborg. Landau ist
ein M ö r d e r. Landau, ist ein Mörder!‹,
weit hinten in ihrem Kopf verborgen krächzten ihre Gedanken plötzlich derart bösartig
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und laut, dass sie diese beinahe zu hören
vermochte.
›Wie kommst du denn nur auf solcherlei
Verdächtigungen? Denke nur daran, was er
Helmut angetan hat. Er wird dafür büßen!
Und du wirst diejenige sein, die seinem Tun
Einhalt gebietet. Ingeborg, du oder er! Oder
möchtest du vor deiner Zeit in die kalte Erde? Willst du Humus für den Löwenzahn
sein?‹ Frau Ginster drückte den Schlüssel
ein weiteres Mal und hoffentlich im richtigen Moment hinein. Diesmal saß er fest im
Schloss. Sie verlor keine weitere Zeit. Beherzt drehte sie ihn herum und ließ die Tür
aufspringen. Im ersten Moment fiel es ihr
schwer, in der Diele etwas zu erkennen. Von
draußen aus dem Licht kommend benötigten
ihre Augen schrecklich viel Zeit. Dennoch
lief sie los und schloss hinter ihrem Rücken
tastend die Haustür. Als Nächstes die Diele
entlang. Diese wurde mit jedem Schritt
schmaler. Ganz wie ihre Gedanken
schrumpfte ihr Blickfeld auf das Wesentliche.
›Nur noch an der Kellertür vorbei.‹ Diese
erschien ihr nun so mächtig und breit wie
ein Scheunentor. Sie drehte etwas ihren
Kopf und horchte hinter sich. ›Ich höre nur
meine Schritte. Die Küche, Ingeborg. Greife
das Erstbeste. Rede jetzt nicht. Niemand redet mit sich selbst. Er würde sofort denken,
du redest mit ihm. Du bist die Wagner, Ingeborg, und sie würde höchstens … Oh
nein, Helmut sitzt auf seinem Stuhl. Was
jetzt? Er weiß sicherlich, dass Helmut im
Haus ist. Würde die Wagner mit ihrer Katze
reden?‹
Während sie noch darüber nachdachte, erklangen bereits erste Worte aus ihrem
Mund. Sie hörte sich und sie hörte gleichzeitig Frau Wagner reden. Frau Ginsters Stimme klang seltsamerweise viel höher und jugendlicher als sonst. Beinahe hörte sie sich
nun genauso wie Frau Wagner an, »Hallo,
Katerchen. Du hast bestimmt Hunger?« Frau
Ginster machte schnalzende Geräusche.
»Das war vielleicht ein anstrengender Tag.
Ich kann dir sagen … Ich gebe dir sofort etwas. Vorher gedulde dich noch einen Moment. Als Allererstes esse ich und dann erhältst du umgehend dein PremiumNassfutter. Für mich gibt es Spiegelei mit
Brokkoli und möglicherweise rauche ich
vorher noch eine Feierabendzigarette.«
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Vorsichtig ergriff sie die schwere Eisenpfanne und schob lautstark eine viel kleinere
aus Aluminium auf den Herd. Die Eisenpfanne legte sie allerdings nicht wieder ab,
sondern balancierte sie bedächtig in ihrer
Hand. Sie war wie geschaffen dafür, ordentlichen Schaden anzurichten.
›Ingeborg, du hast den Schatten hinter der
Gardine gesehen. Der war mannshoch. Du
gehst jetzt in das Wohnzimmer und danach
in das Schlafzimmer. Das muss zügig vonstattengehen. Er muss allerdings denken, du
willst dort etwas Belangloses tun. Krame
kurz weiter herum, halte nicht still.‹
….
****LESEPROBE****
Bitte bedenken Sie, dass Ihnen diese Leseprobe einen erweiterten Einblick in das
Buch INGESCHENK geben soll.
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….
Über den Autor
Geboren 1972 wuchs Steffen Wittenbecher
in der ehemaligen DDR auf und lebt heute
zwischen den manchmal immer noch ungleichen Welten des Ostens und des Wes64
tens Deutschlands in Nordrhein-Westfalen.
Hauptberuflich IT-ler hatte er bereits seit
vielen Jahren das Bedürfnis, Gedanken niederzuschreiben und seiner regen Fantasie
auf diese Weise Ausdruck zu verleihen. Die
Ideen zu seinen Geschichten kommen plötzlich, während alltäglicher Situationen in sein
Bewusstsein und reifen. Längst hat er sich
damit abgefunden, dass es Dinge gibt, die
man nicht beschreiben kann, sondern ausschließlich selbst erfahren muss, um sie
wirklich verstehen zu können. Doch davon
wollte er sich nicht entmutigen lassen und
zumindest versuchen, sie zu beschreiben.
Als Kind liebte er die Märchen der Gebrüder
Grimm und Welten, deren Zeitrechnungen
weit in der Zukunft lagen. Er las viel und
ausgiebig und die Grenze bildete nicht nur
das Inventar der kleinen Bibliothek seines
Wohnblocks. Eines Nachts, und bereits jenseits der 40, im September 2012 entschloss
er sich, einfach die Gedanken niederzuschreiben, die in seinem Kopf herumschwirrten. Das zu tun, wofür sein Herz
brennt, etwas aus seiner Kindheit zurückzugeben und die Grenze von damals für zukünftige Generationen zu erweitern.
Dortmund, 25.09.2013
Steffen Wittenbecher
Erweitertes Impressum
Ingeschenk 3. Auflage und das Halloween
Special 1. Auflage
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von Steffen Wittenbecher
Alle Rechte vorbehalten.
Steffen Wittenbecher, Hostedder Straße 43,
44329 Dortmund
Gewidmet meiner Nicola
Ingeschenk und das Halloween Special ist
als Ebook und Buch bei Amazon erhältlich.
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