Wir brauchen ein neues Radio- und Fernsehgesetz

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Tiefere Gebühren, mehr Gerechtigkeit und neue Medienförderung im digitalen Zeitalter
Die Medienwelt befindet sich in einem radikalen und rasanten Wandel, bei welchem
kaum ein Stein auf dem andern bleibt. Wir befinden uns medial wohl in der grössten
Revolution seit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg. Die Stichworte dazu
sind bekannt: Digitalisierung und Internet, ein ungeheures Tempo und eine noch nie
dagewesene Dynamik in der technologischen Entwicklung. Zum ersten Mal in der
Geschichte verschmelzen Text, Bild und Ton miteinander, erzeugen neue
Inhaltformen - und diese können je länger je mehr völlig unkompliziert ausgetauscht,
geteilt und nahezu überall abgerufen und genutzt werden. So sieht die neue
Medienwelt aus! Und so erstaunt es auch nicht, dass immer mehr Menschen
audiovisuelle Inhalte - oder eben Sendungen - nicht mehr nur am Radio und
Fernsehen sondern zunehmend auch via Internet nutzen. Bei der RTVG-Revision
geht es im Kern genau darum: Nämlich um den Wechsel von einer Apparategebühr
hin zu einer pauschalen Gebühr für audio-visuelle Inhalte, welche von der SRG und
den privaten Radio- und Fernsehveranstaltern produziert werden.
In jedem Haushalt – selbst wenn er kein Radio- oder Fernsehgerät hat – findet sich
ein Computer, Laptop, iPad oder Smartphone, mit dem sich die Sendungen
empfangen lassen. Heute verfügt jeder Haushalt durchschnittlich über 4 Geräte, mit
denen man ins Internet gelangen und damit auch Fernseh- und Radiosendungen
empfangen kann. Die Breitbandversorgung in der Schweiz beträgt über 95%, und so
haben praktisch alle Haushalte die Möglichkeit, Medienangebote auch auf diesem
Weg zu konsumieren. Die Nutzung jedes einzelnen Haushalts ist nicht messbar. Und
so handelt es sich bei der neuen Gebühr um eine Pauschalabgabe - und nicht um
eine Mediensteuer.
Eine pauschale Mediengebühr ist zeitgemäss, weil sie den heutigen, veränderten
Nutzungsgewohnheiten Rechnung trägt: Die Konsumentinnen und Konsumenten
wollen Sendungen nicht mehr nur dann schauen, wenn sie live ausgestrahlt werden,
sondern vor allem dann, wenn sie Zeit und Lust dazu haben. Es gilt das Motto: alles,
überall, zu jeder Zeit, und das ortsunabhängig.
Für mich ist es wichtig, dass die künftige Finanzierungsform des audiovisuellen
Service Public über eine Gebühr und nicht über eine Steuer geschieht. Und zwar aus
folgendem Grund: Eine Steuer bringt Staatsnähe anstatt Staatsferne: Für
unabhängigen Journalismus ist Staatsnähe unerwünscht. Es ist gerade der Vorzug
der Schweiz, publizistisch und unternehmerisch, einen staatsfernen Service Public zu
haben. Es gibt Länder, in denen sich Programmmacher vor parlamentarischen
Kommissionen rechtfertigen müssen – das entspricht uns Schweizerinnen und
Schweizern nicht. Die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen ist auch in der
Verfassung verankert. Je stärker die Finanzierung des Service Public aus dem
Tagesgeschäft herausgehalten wird, desto besser für seine Unabhängigkeit. Vor
diesem Hintergrund ist es auch nicht verständlich, weshalb ausgerechnet jene
Kreise, die immer von Staatsmedien reden, via eine Steuerfinanzierung diese näher
an den Staat rücken wollen. Wenn die Finanzierung des Service Public Gegenstand
jährlicher Budgetdiskussionen im Parlament ist, wäre das ein schwerer Eingriff in die
Unabhängigkeit verbunden mit einer grossen Planungsunsicherheit für die
Medienhäuser. Im schlechtesten Fall würden die Service Public Anbieter sogar
erpressbar. Audio-visuelle Produktion ist enorm teuer. Besonders in kleinräumigen
Märkten, die dazu noch von grösseren Ländern mit denselben Sprachen umrahmt
sind – lässt sich audiovisuelle Produktion nicht kostendeckend am Markt
refinanzieren. Deshalb ist es für das neue Modell zentral, dass alle sich an der
Finanzierung beteiligen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ob eine Sendung für ein
grosses Land wie Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern oder in einem kleinen
Land wie der Schweiz mit 8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern produziert
wird – die Produktion kostet zunächst einmal gleich viel. Grosse Staaten mit vielen
Gebührenzahlenden brauchen deshalb keine Unternehmensabgabe und wenig bis
gar keine Werbung. Kleine Staaten hingegen mit weniger Gebührenzahlenden
brauchen die Mitfinanzierung durch Wirtschaft und Werbung. Und die Schweiz, die
Programme in vier Sprachen finanzieren muss und damit eine starke und
unabdingbare Rolle im nationalen Zusammenhalt spielt, braucht die Mitfinanzierung
durch die Wirtschaft erst recht. Würde diese Einnahmequelle wegfallen, dann wäre
die vom Bundesrat angepeilte Senkung der Gebühr auf rund 400 Franken kaum
realisierbar. Der Systemwechsel, wie ihn die Revision des RTVG will, ist ein Schritt
zu einer nachhaltigen Finanzierung des Service Public im digitalen Zeitalter. Die
Gesetzesrevision, über die wir am 14. Juni 2015 abstimmen, ist die notwendige
Anpassung an den Wandel von Technologie und Mediennutzung. Die veraltete
Geräte abhängige Gebühr soll durch eine zeitgemässe Medienabgabe abgelöst
werden. 75 Prozent der Unternehmen (KMU) werden von Gebühren befreit und für
alle ehrlichen privaten Gebührenzahlenden sinkt der Betrag von 462 auf 400
Franken. Die Revision ist dringlich und nötig, damit alle Haushalte und ein Grossteil
der Unternehmen entlastet werden.
Als nächsten Schritt braucht die Schweiz ein neues, direktes Fördermodell, für
eine gattungsübergreifende Medien- und Journalismusförderung und eine
Erhöhung der Fördermittel. Die Unabhängigkeit des Journalismus darf dabei
nicht angetastet werden. Kriterium für den Zugang zu Fördermitteln sollen
deshalb nicht die Inhalte, sondern die Strukturen und Rahmenbedingungen sein.
Möglich wäre dies über eine Förderstiftung, wie sie die Eidgenössische
Medienkommission (EMEK) vorschlägt. Es ist höchste Zeit auch politisch in die
Diskussion über die Zukunft unseres Mediensystems einzusteigen. Die indirekte
Presseförderung für die Lokal- und Regional- sowie die Mitgliederpresse darf
nicht eingestellt werden, bevor alternative Fördermodelle in Kraft gesetzt sind.
Edith Graf-Litscher, Nationalrätin SP Thurgau
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