Maximilian Schweinberger 5 HBA Interviewprotokoll Herr Mag. Krenn 30.10.2012: 15.00 – 16.00 FORBA, Aspernbrückengasse 4/5, 1020 Wien Ab wann spricht man von prekärer Arbeit, also welches Arbeitsumfeld, welche Form des Arbeitsvertrages, welche Wochenstundenanzahl zu welcher Entlohnung muss gegeben sein? In der herkömmlichen Diskussion sehr stark auf Beschäftigungsverhältnis fokussiert. Man spricht von atypischen Beschäftigungsverhältnissen und meint damit Verhältnisse die vom Normalarbeitsverhältnis abweichen. Das ist aber insofern problematisch, dass nicht alle Beschäftigungsverhältnisse die vom Normalarbeitsverhältnis abweichen gleich prekär sind. Zum anderen gibt es auch Ansätze, die die Prekarität, also soziale Unsicherheit die mit Arbeit verbunden ist, nicht nur am Arbeitsverhältnis sondern auch an der Tätigkeit/Arbeit an sich fest machen. Unterschieden wird zwischen Prekarität von Beschäftigung und der Prekarität von Arbeit. Nach diesem Ansatz ist das Verhältnis dann prekär wenn es unsicher ist, die berufliche Zukunft nicht mehr überblickt werden kann, eine starke ökonomische Verwundbarkeit damit verbunden ist oder wenn damit eine partielle Einschränkung der sozialen Rechte am Arbeitsplatz einhergeht. Zum Beispiel Leiharbeiter sind oft durch Betriebsrat, … nicht so gut oder gar nicht vertreten im Unternehmen. In Ö sind sie mittlerweile wieder in soziale Rechte wie z.B. Kranken-, Unfall-, Pensions- oder Arbeitslosenversicherung eingebunden. In Ö ist die Situation damit besser als in vielen anderen Ländern, allerdings gibt es Arbeitsrechtlich noch immer große Unterschiede. Die Prekarität von Beschäftigung bzw. Arbeit ist dann gegeben, wenn man das Gefühl hat, die Arbeit ist nicht von Belangen, ist schlecht Bezahlt, bekommt wenig/keine Anerkennung im Unternehmen und wenn die Gesellschaftliche Wertschätzung dieser Arbeit sehr gering ist. Unter welchen Umständen kann auch ein sogenanntes Normalarbeitsverhältnis (also ein zeitlich Unbefristeter Dienstvertrag mit 40 Stunden Woche) als prekär bezeichnet werden? Genau, wenn man die beiden Definitionen, prekäre Beschäftigung und prekäre Arbeit, berücksichtigt, dann ist klar, dass z.B. eine Arbeit im Reinigungsgewerbe mit 40 Wochenstunden, ein Niedriglohnjob (= weniger als 2/3 der Medianlohns – 50% Löhne darunter & darüber, nicht Durchschnittslohn – der wäre höher) auf viele dieser Kriterien zutrifft (oft in Niedriglohnbranchen). Komm außerdem oft im Handel vor: niedrige Löhne, (oft Teilzeit durch Beschäftiger), flexible Arbeitszeiten, Teile d. Tätigkeit (vor- und nach den Arbeitszeiten) werden oft nicht bezahlt. Da würde man von prekärer Arbeit sprechen, da diese Arbeit eine hohe soziale Unsicherheit aufweist. Darum sollte prekarität nicht nur an vertraglichen Formen Maximilian Schweinberger 5 HBA (Beschäftigungsverhältnis) festgemacht werden. Es drückt sich vor allem aus, welche Position und welche (soziale) Sicherheit man mit einem Arbeitsverhältnis erreichen kann. Kommt es somit auch sehr stark auf das subjektive Empfinden der Arbeitenden Person an? Ja, wobei es gibt schon auch Tätigkeiten, wie z.B. die Reinigungsarbeit, wo es schwer ist subjektiv nicht das Gefühl zu haben prekäre Arbeit zu verrichten – man hat wenig Anerkennung im Unternehmen, gesellschaftlich hat man das Gefühl die Arbeit ist nicht viel Wert und schlecht bezahlt ist sie auch. Aber gerade an der Reinigungsarbeit sieht man wie prekäre Arbeit entstanden ist: vor 20-30 Jahren waren Reinigungskräfte noch normaler Teil des Unternehmens, sie haben den jeweiligen, teilweise nicht schlecht bezahlten, Kollektivvertrag gehabt und waren vor allem im Unternehmen sozial integriert. Heute ist die Reinigungsarbeit Großteils ausgelagert und wird im Reinigungsgewerbe verrichtet. Wenn Reinigungskräfte heute wieder in ihrem ehemaligen Unternehmen arbeiten, verdienen sie teilweise 1/3 weniger Lohn für die selbe Arbeit, werden nicht mehr als Teil des Unternehmens betrachtet. Dieses Outsourcing ist heutzutage in vielen Bereichen erkennbar, wie z.B. bei den Postdienstleistern. Postlieferant war früher ein angesehener Beruf, man hat sich mit der Uniform öffentlich Blicken lassen, während die Arbeit heute Großteils prekär ist, das heißt schlecht bezahlt ist und hauptsächlich von Migranten verrichtet wird. Daran sieht man wie sozial abgesicherte und einigermaßen anerkannte Tätigkeiten im Laufe der letzten 20 Jahre in prekäre Beschäftigung umgewandelt wurden. Grund dafür ist ein anderer Kollektivvertrag in den Branchen? Ja, das war auch ein Grund der Auslagerung. Das Unternehmen wollte Personalkosten sparen. Wieso sind vor allem junge Menschen und Frauen von prekären Arbeitsverhältnissen betroffen? Dies hat mehrere Gründe: man muss den Aspekt berücksichtigen, dass man die Wirkung von prekärer Arbeit nicht in einer Momentaufnahme sehen kann sondern sich dieser erst durch den Zusammenhang mit der Erwerbsbiografie zeigt. Bei jungen Menschen muss man differenzieren, dass es einen großen Teil gibt, die immer länger im Ausbildungsverhältnis stehen, z.B. studieren. Für die lässt sich, gerade neben dem Studium, prekäre Arbeit sehr gut mit ihrer Lebenssituation vereinbaren – diese suchen das sogar. Hochflexible Teilzeitarbeit kann gut mit dem Studium vereinbart werden und zur Finanzierung dessen Beitragen. Außerdem gehen sie bereits davor davon aus, dass sie während ihres Studiums sehr bescheiden Leben müssen aber haben dafür die Aussicht, nach dem Studium mit akademischen Titel sowieso auf ein anderes berufliches Niveau zu wechseln. Das heißt eine gewisse Phase im Leben eines Studenten überkreuzt sich oft natürlich mit den Charakteristika von prekärer Arbeit. Flexible, unverbindliche Arbeit kommt ihnen sehr zugute. Dies kann allerdings den Effekt haben, dass sie damit Standards in gewissen Branchen Maximilian Schweinberger 5 HBA nach unten drücken. Für Menschen die gezwungen sind, nur in solchen Segmenten (großteils ohne berufliche Ausbildung – gut für Studenten, können alles machen) zu arbeiten, ist das ein Problem. Durch die begrenzte Zeit, haben Studenten aus ihrer subjektiven Sicht keinen Grund durch z.B. Interessensvertretung an den Arbeitsverhältnissen etwas zu ändern. Zum anderen hat sich für die jungen Menschen eine neue Phase mit neuen Bewährungsproben zwischen Ausbildung und Beruf (Berufseintrittsphase) ergeben. In sehr vielen Fällen wird einem nicht gleich ein fixer Job angeboten, sonder zuerst mit einem Praktikum begonnen oder eine prekäre Arbeitsform als Einstieg angeboten, um zu schauen wie gut sich er/sie bewährt. Erst später gibt es möglicherweise die Möglichkeit zum Übertritt in ein fixes Arbeitsverhältnis. Auch viele Junge mit guten Abschlüssen werden mit so etwas konfrontiert werden. Der zweite Teil Ihrer Frage war noch, warum vor allem Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Das hängt auf der einen Seite mit der Geschlechterspezifischen Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft zusammen. Dadurch dass Frauen noch immer die Hauptverantwortung für die Reproduktions- und Fürsorgearbeit zugeschrieben wird, ist es, auch wenn es heute schon normal ist wenn Frauen Erwerbskarriere machen, so dass sie nach der Geburt eines Kindes oft zuhause bleiben oder Teilzeitarbeiten gehen und so einschränkungen in ihrer Erwerbskarriere in kauf nehmen und in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Solang der Mann im Haushalt genug verdient hat dies keinen sozialen Einfluss, dann ist die soziale Sicherheit über das Familienarrangement gewährleistet. Nachdem aber diese Stabilität in der Familie oft nicht mehr hält und die Frauen als Alleinverdienerinnen ihre Existenz sichern müssen, ist das ein Nachteil weil dann kann man aus einer prekären Arbeitssituation nicht mehr so schnell in eine andere Überwechseln. Das zweite ist natürlich, dass es in Österreich einen Hochsegmentierten Arbeitsmarkt gibt, das heißt es gibt mehrere Segmente. Eines dieser Merkmale nachdem der Arbeitsmarkt segmentiert ist, ist Geschlecht. Es gibt Branchen die man als Frauenbranchen und Männerbranchen bezeichnet weil dort überwiegend Frauen/Männer arbeiten. Österreich hat EU-weit eine der höchsten Lohnspreizungen zwischen den Branchen, also die Unterschiede im Einkommensniveau zwischen den Branchen sind in Österreich sehr hoch, im internationalen bzw. europäischen Vergleich. Das heißt, dass in diesen Frauenbranchen, wo die Gewerkschaften auch meist nicht so stark sind, obwohl es einen Kollektivvertrag gibt, das Niveau oft sehr gering ist und unsichere Verhältnisse dominieren. Wohingegen in den Industriebranchen, wo die Gewerkschaften sehr stark sind, bestimmte Verschlechterungen verhindert werden können. Da verschränken sich gewissermaßen zwei Elemente, die Geschlechterspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes mit dieser familiären Aufteilung die den Frauen noch immer die Hauptverantwortung für Reproduktionsarbeit und die Kindererziehung zuschiebt. Dann ist es natürlich auch so, dass diese typischen, als Frauenarbeit ettiketierten Arbeiten in der Gesellschaftlichen Werteskala relativ Maximilian Schweinberger 5 HBA gering bewertet werden obwohl ihre Bedeutung in der Gesellschaftlichen Reproduktion sehr hoch ist. Kindergartenbetreuerin ist zum Beispiel eine sehr Verantwortungsvolle Tätigkeit, man braucht dafür auch eine relativ lange und gute Ausbildung aber wenn man sich die Bezahlung anschaut, dann ist die sehr niedrig. Wie lange dauert so eine Eintrittsphase im Durchschnitt bzw. verlängert sich diese ständig? Das ist unterschiedlich, manche schaffen den Übergang in ein fixes Arbeitsverhältnis überhaupt nicht. Darum kann man das Ausmaß (Einfluss auf das Leben von Menschen) von Prekarität nur im Zusammenhang mit der Erwerbsbiografie feststellen. Wenn es im Lebenslauf eine überschaubare Phase gewesen ist, die begrenzt ist und sich später in guten Perspektiven fortsetzt, dann hatte das keine nachhaltigen Auswirkungen. Wenn man allerdings in so einem Arbeitsverhältnis hängen bleibt, dann macht sich das ganze Ausmaß, was soziale Unsicherheit für Menschen bedeuten kann, sichtbar. Zu dieser Unsicherheit gehört auch, dass Menschen die betroffen sind häufig zwischen prekarität und Arbeitslosigkeit pendeln. Diese Menschen haben oft weniger Ausbildung und finden somit schwerer einen Job, welcher oft prekär ist und bei einer Krise allerdings wieder als einer der ersten gefährdet ist. Diese „Abwährtsspirale“ kann aber auch Menschen betreffen die nicht so schlecht gebildet sind. (siehe Frage zur Abwährsspirale & Artikel dazu) 18:00 Gibt es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Aufkommen prekärer Arbeitsverhältnisse in großer Zahl und dem Beginn von Frauenerwerbstätigkeit in großer Zahl? Man muss Aufpassen, Teilzeit ist zwar auch ein atypisches aber nicht immer ein prekäres Arbeitsverhältnis. Teilzeit, würde ich sagen, ist dann prekär, wenn man unter 20 Stunden arbeitet aber wenn man z.B. 25 Stunden in einem relativ gut bezahlten Job arbeitet, dann ist es nicht prekär. Man hat alle sozialen Sicherungen die mit einem Normalarbeitsverhältnis verbunden sind und man kann immer noch ein Einkommen lukrieren, dass deutlich über der Armutsgrenze liegt. Also Teilzeitarbeit an sich ist nicht prekär, man muss sich anschauen um welche Art von Arbeit handelt es sich. Lange Teilzeit, kurze Teilzeit, usw. Es gibt möglicherweise einen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Beiden, aber keinen kausalen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder die Rückkehr von sozialer Unsicherheit ins Zentrum der Gesellschaft, wie es Robert Castel formuliert, hat viel mehr mit anderen Prozessen zu tun: Globalisierung, geänderten Unternehmensstrategien, usw.. Da kann die Frauenerwerbstätigkeit gewissermaßen reinpassen, aber nicht weil die Erwerbstätigkeit von Frauen zunimmt gibt’s mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse, weil man kann auch die Frage von Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben anders diskutieren, das braucht man nicht über prekäre Beschäftigungsverhältnisse lösen. Es gibt andere Ansätze wie man diese Vereinbarkeit im Rahmen von sozial abgesicherten Arbeitsformen bzw. Beschäftigungsverhältnissen bewältigt hat. Welche Folgen hat prekäre Arbeit auf betroffene Personen? Maximilian Schweinberger 5 HBA Da muss man wieder unterscheiden, man kann nicht davon ausgehen, dass prekäre Arbeit per se und immer bestimmte Folgen hat, es hängt auch unter anderem von der Lebenssituation und der subjektiven Verarbeitung ab. Wir haben zum Beispiel bei verschiedenen Studien an unserem Institut z.B. die „creative industries“ untersucht, das sind Menschen in der Werbung, der Gestaltung von Websiten, Designer, Grafiker, usw., und viele von denen Arbeiten in prekären Verhältnissen, aber die suchen das. Die wollen nicht in einem normalen Dienstverhältnis arbeiten, sondern die sind so überzeugt davon „ihr Ding“ machen zu müssen, was auch immer das dann ist, dass ihnen ein normales Beschäftigungsverhältnis wo sie in bestimmte Hierarchien eingebunden sind, nicht ins Konzept passt. Da haben wir eine Form der prekären Arbeit die gewissermaßen freiwillig erfolgt, zum Individualisierungskonzept der Personen passt und die Arbeit auch nicht prekär ist, diese ist hoch interessant, spannend und die Leute können sich selbst ihre Ideen verwirklichen. Gleichzeitig weiß man auch, dass solche Arbeitsformen auf längere Zeit zu Überforderungen beim Menschen führen und Selbstausbeutung oder Burn-Out die Folge sind. Man gibt sich da als junger Mensch oft Illusionen hin, wenn man voller Tatendrang nach der Ausbildung gewisse Arbeitsformen präferiert und nicht daran denkt ob man die in der Form 30-40 Jahre lang durchhalten kann. Insofern hat prekäre Arbeit oder Unsicherheit trotz dieser Unterschiede, negative Auswirkungen auf die Psyche von Personen, weil diese Unsicherheit einfach ständig präsent ist und sich in vielen Fällen auch manifestiert in Anerkennungsdefiziten usw.. Wenn man das umdreht, könnte man sagen, Stabilität, Kontinuität, soziale Sicherheit, sind ganz wichtige Voraussetzungen dafür, dass man sich als Mensch auch Psychisch stabil entwickeln kann. Wer ständig von (finanzieller) Unsicherheit bedroht ist, kann nicht viel planen. Das ist auch der Punkt – wenn die berufliche Zukunft nicht überblickt werden kann, dann kann man auch nicht viel planen, weil man jederzeit damit rechnen muss, dass man das was man jetzt verdient nicht mehr verdient. Da muss man dazusagen, dass das nichts neues ist in der Geschichte – das war eigentlich die Regel. Man redet davon, dass in den 30 Jahren nach dem 2. Weltkrieg, die Phase war in der Prekarität aus der Gesellschaft verbannt wurde und war oder zumindest an den Rand abgeschoben wurde. Vorher hat es weite Bereiche von Arbeitern gegeben, die ein sehr unsicheres Dasein hatten, weil viele dieser Errungenschaften erst in den 30 Jahren nach dem 2. Weltkrieg gemacht wurden – Arbeitszeitverkürzungen, 40 Stunden Woche, etc.. Insofern ist es geschichtlich Betrachtet die Ausnahme, dass ein so hoher Prozentsatz der Bevölkerung, auch ohne hohes Ausbildungsniveau, nicht nur sozial abgesichert war sondern auch einen anerkannten sozialen Status in der Gesellschaft hatte weil einfach durch einen fixen Arbeitsplatz konnte man z.B. einen Kredit aufnehmen und sich eine Wohnung/Auto/Haus finanzieren. Sogar die Leute, die nicht so viel verdient haben, haben sich aufgrund der Stabilität ihres Berufes etliches leisten können und damit auch einen bestimmten Respekt durch Auto/Haus/… erwerben können. Diese Möglichkeit des längerfristigen Pläneschmiedens und Umsetzen dieser, war eigentlich nur in dieser Phase möglich. Maximilian Schweinberger 5 HBA Danach, jetzt, geht die Entwicklung wieder in dieser Richtung, dass wenn man keine gute Ausbildung hat, dass man damit rechnen muss von prekärer Arbeit betroffen zu sein und sein Leben nicht längerfristig planen zu können. Ist es dann überhaupt möglich, dass man gesicherte Arbeit bei uns in Europa längerfristig/auf Dauer „verteidigt“? Geht dies dann nicht auch auf Kosten anderer, wenn wir in Europa individuell Reichtum anhäufen können, ungestoppt? Naja, erstens muss man sagen, dass die zunehmende Prekarisierung von Arbeit in Europa, nicht auf der anderen Seite zu Verbesserungen der Arbeitsbedingungen irgendwo in der dritten Welt führt. Es ist ja nicht so, dass die abnehmende soziale Sicherheit in Europa kompensiert worden wäre durch eine Zunahme von sozialer Sicherheit in bestimmten 3.Welt Ländern. Zweitens klafft die Schere der Reichtumsentwicklung in Europa eher auseinander – man sieht auf der einen Seite ein Heranwachsen der Gewinne, ein hohes Anwachsen der Produktivität, zum Beispiel in der Industrie, während in den 30 Jahren nach dem 2. Weltkrieg es irgendwie einen Kompromiss gegeben hat, dass man mit einem Teil des Fortschritts die soziale Sicherheit eines nicht kleinen Teils der Bevölkerung sichert. Ab den 80er Jahren ist dieser Kompromiss aber wieder aufgegeben worden und die Effekte sieht man, abgesehen von der jetzigen Krise, gab es ständiges Wachstum, dass dann auch nicht mehr so ungebrochen war wie in diesen 30 Jahren aber insgesamt ist die Produktivität gestiegen, während die Verteilung des Reichtums nach anderen Kriterien erfolgt ist. Das heißt, der Anteil der Lohneinkommen ist gesunken und der Anteil der Gewinne ist gestiegen. Das ist jetzt keine Frage von Erster und Dritter Welt, obwohl Sie recht haben, dass zu bestimmtem Maße der Wohlstand der Ersten Welt auf Kosten der Dritten Welt finanziert wird aber das wäre eine andere Frage, ich würde die Verschlechterungen in Europa gegen die Bedürfnisse und Forderungen von Leuten in der Dritten Welt ausspielen. Auch wenn man den globalen Reichtum anschaut, dann ist da genug Verteilungsspielraum vorhanden, der beides ermöglicht. Worauf ich eigentlich hinaus wollte ist, ob es möglich ist, dass wir in Europa ein stabiles Leben auf Dauer sichern, da das Wachstum ja nicht unendlich weitergehen kann und wir damit auch stabile Arbeitsplätze nicht ewig sichern können - wenn ich das richtig verstanden habe? Das sehe ich nicht so, das ist für mich eine politische Frage. Selbst wenn das endlose Wachstum nicht mehr funktioniert, wird trotzdem ein Gesellschaftlicher Reichtum geschaffen, auch wenn es weniger ist. Das ist dann eine Frage von sozialer Verteilung, wir groß will man die Unterschiede dieser Verteilung haben. Wenn man sich die Produktivität vergegenwärtigt, wäre das überhaupt kein Problem, die Arbeitszeit auf 25-30 Wochenstunden zu verkürzen – bei vollem Lohnausgleich. Das würde eine Reihe von Problemen lösen, im Bezug auf prekäre Arbeit, im Bezug auf Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und privaten Bedürfnissen, Reproduktionsarbeit, etc.. aber das sind Verteilungsfragen: Arbeitslosigkeit – es würden mehr Menschen in Beschäftigung kommen. Aber solche Regulierungsmechanismen, werden, in einer Zeit in der der Glaube an den freien Maximilian Schweinberger 5 HBA Markt so dominiert, nicht als gangbarer Weg gesehen. Das war früher anders und ist eine Frage der politischen Entwicklung, Machtverhältnisse und Entscheidungsverhältnisse. Im Prinzip ist genug Spielraum da, soziale Sicherheit für alle zu ermöglichen. Dieses Argument, dass es einen unausweichlichen Sachzwang gibt, aufgrund der Globalisierung usw., dass es unvermeidlich in diese Richtung gehen muss, sehe ich nicht so. Welche Folgen für das Leben in der Pension und für die Altersvorsorge in finanzieller Sicht hat prekäre Arbeit? (vor allem langfristig prekäre Arbeit) Bereits beantwortet, nicht gestellt Wie schwer ist es für Menschen, die in der von Ihnen Definierten „Abwärtsspirale“ von immer schlechteren Arbeitsverhältnissen gefangen sind, wieder daraus zu entfliehen und welche Möglichkeiten gibt es dazu überhaupt? Diese Abwärtsspirale betrifft nicht nur Menschen, die von Anfang an in solchen Arbeitsverhältnissen beschäftigt waren, sondern auch Menschen, die einmal in einem relativ guten Arbeitsverhältnis beschäftigt waren. Eine Frau die ich interviewt habe, hat 20 Jahre lang in einem Großhandelsunternehmen als Assistentin der Geschäftsleitung gearbeitet und war auch die letzte die gekündigt wurde. Danach hat sie keinen adäquaten Job mehr gefunden, weil am Arbeitsmarkt Diskriminierungsmechanismen wie Alter oder Geschlecht greifen und hat dann für ihr Qualifikationsniveau immer niedrigere Jobs angenommen, die prekär waren und ist dann immer wieder Arbeitslos geworden. Nachdem im Österreich das Arbeitslosengeld 55% des letzten Gehalts beträgt, sinkt dann auch ständig das Niveau des Arbeitslosengeldes und man rutscht in die Armut, bis in die Sozialhilfe. Es ist natürlich sehr schwierig, denn solang diese extreme Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt herrscht, gibt es einige Aspekte die einen in eine benachteiligende Position bringen: wenn man z.B. über 50 ist hat man es objektiv einfach schon schwerer wieder irgendwo ein Job zu finden, wenn man 20 Jahre schon irgendwo gearbeitet hat – das Alter und die Zuschreibungen die man damit von einem Unternehmen bekommt, weniger Anpassungsfähigkeit, etc. die führen dazu, dass auch relativ gut qualifizierte Menschen Jahre in der Arbeitslosigkeit verbringen und auch schon extrem frustriert und verunsichert sind. Diese im öffentlichen Diskurs verbreitete These, dass es allein von der Qualifikation abhängt, ob man in den Arbeitsmarktintegriert ist, die stimmt einfach nicht weil es gibt nicht so viele Arbeitsplätze, dass alle Menschen in Beschäftigung kommen könnten – da kann man Menschen qualifizieren so viel man will, das würde nur zu einem verschärften Konkurrenzkampf führen. Es braucht mehr Beschäftigung und da kann man Fragen, wie kann man die kreieren? Da kann man auf der einen Seite sagen, wie bereits zuvor erwähnt, allgemeine Arbeitszeitverkürzung um die Arbeit die es gibt besser aufzuteilen oder öffentliche Beschäftigungspolitik – der Staat soll, steuerlich Finanziert, durch gesellschaftliche Herausforderungen und sinnvolle Aufgaben, Menschen eine sinnvolle Integration in die Gesellschaft ermöglichen. Ich glaube es reicht nicht aus wie es bis jetzt war, nur die gesetzliche Seite zu forcieren und zu Maximilian Schweinberger 5 HBA versuchen prekäre Verträge rückzubinden, auch wenn das zum Teil eine sinnvolle Strategie ist. Es braucht grundsätzlichere Weichenstellungen vor denen sich aber jeder in der derzeitigen Situation scheut, weil es geht hauptsächlich um Budgeteinsparungen und knappe Budgets und in solch einer Situation sehe ich eigentlich keinen Weg, wie sich die Prekarisierung von Arbeit verbessern soll bzw. Menschen aus solchen Verhältnissen herauskommen sollen. Es besteht die Gefahr, dass es zunehmend vertiefende Spaltungen in der Gesellschaft gibt, dass es einen Teil gibt, wie groß dieser ist darüber kann man streiten aber ca 60-70%, der den Einstieg in relativ gesicherte Beschäftigungsverhältnisse schafft und dass es zunehmend einen Teil gibt der sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen bewegt die sich gewissermaßen abwechseln mit Arbeitslosigkeit. Da besteht die Gefahr, dass die Kluft zwischen diesen beiden Teilen immer größer wird. In welchen Branchen bzw. Berufen sind die meisten Menschen von dem Phänomen „working poor“ betroffen? Warum ist dies so? Natürlich hängt „working poor“ mit dem Einkommensniveau von Branchen zusammen und wie vorher schon gesagt haben typische Frauenbranchen, weil die Gewerkschaften dort nicht so stark sind, ein niedrigeres Einkommensniveau. Natürlich werden das auch Branchen sein, wo das Ausbildungsniveau der Beschäftigten nicht sehr hoch ist aber beim Phänomen der „working poor“, wie überhaupt beim Konzept der Armutsgefährdung, muss man aufpassen worüber man redet. Die „working poor“ werden im Zusammenhang mit der Armutsgefährdung diskutiert und bei der Armutsgefährdung wird das Einkommen des gesamten Haushalts mit einberechnet. Bei Niedriglohnbeziehern geht es einfach nur darum, dass diese weniger als 2/3 des Medianlohns verdienen und bei Armutsgefährdeten Personen geht es darum, wenn man den Haushaltskontext berücksichtigt, dass das Haushaltseinkommen unter 2/3 des Medianlohns liegt, nicht das individuelle Einkommen. Das kann dazu führen, dass z.B. wenn sie gar kein Niedriglohnbezieher sind, sie verdienen beispielsweise 80% des Medianlohns, aber als AlleinerzieherIn 3 Kinder haben, dass sie dann unter die Armutsgrenze rutschen weil das Einkommen nicht für die Versorgung von 3 Kindern ausreicht. Kinder werden mit ihren Bedürfnissen mit einem Faktor von 0,5 Berücksichtigt. Sie zählen dann als „working poor“ ohne Niedriglohnbezieher zu sein. Umgekehrt können Sie einen Niedriglohn beziehen, aber Ihr Partner verdient insgesamt so viel, dass sie nicht zu den „working poor“ zählen, weil das durch das überproportionale Einkommen des Partners wieder Wettgemacht wird. Aber natürlich ist es ein sozialpolitischer Skandal, dass es Menschen gibt, die zu Löhnen arbeiten müssen, die im Prinzip auf individueller Basis eine Armutsgefährdung bedeuten und dass man trotz Arbeit Armutsgefährdet ist. Aber das hängt eben mit dieser zunehmenden Prekarisierung von Arbeit und den großen Lohndifferenzen zwischen verschiedenen Branchen zusammen. Welche Maßnahmen seitens des Staates gibt es um die sozial- & arbeitsrechtliche Situation in Österreich zu verbessern? Maximilian Schweinberger 5 HBA Welche Maßnahmen sollte der Staat in Zukunft noch ergreifen um die Situation weiter zu verbessern? Das habe ich teilweise schon angesprochen: generelle Arbeitszeitverkürzung, die hohe Lohnspreizung zwischen Branchen muss diskutiert werden, da könnte man sich Schweden als Vorbild nehmen, wo es eine solidarische Lohnpolitik lange Zeit als Richtschnur gegeben hat. Was heißt Solidarische Lohnpolitik? Da hat man geschaut, dass Branchen mit niedrigen Lohnniveaus, überproportionale Steigerungen über die Jahre erzielen konnten, sodass dort die Einkommensunterschiede zwischen den Branchen nicht so groß sind. Das wäre eben ein gangbarer Weg. Weiteres müsste man auch schauen, dass man die öffentliche Beschäftigungspolitik steigert. Weil viele der Menschen, die jetzt in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, haben früher im öffentlichen Dienst gearbeitet – z.B. Post. Durch die Privatisierungen und diesen schlanken Staat, fallen genau jene heraus, die nicht so leistungsfähig wie andere sind. Da muss man sich auch Fragen wie geht die Gesellschaft mit Menschen um, die aus verschiedenen Gründen nicht so leistungsfähig sind wie andere. Da kann man dann sagen „die bekommen halt das gezahlt, was man am freien Markt gezahlt bekommt, wenn man keinen Abschluss hat“ oder man kann sagen, man schaut, dass man möglichst allen Mitgliedern 1. Die Möglichkeit gibt zu arbeiten und 2. Eine angemessene Entlohnung garantiert, dass sie ein menschenwürdiges, stabiles Leben führen können. Das sind halt auch andere Konzepte von Gesellschaft, wobei Wilkinson & … mit ihrem Buch nachgewiesen haben, dass Gesellschaften, wo die soziale Ungleichheit geringer ist, glücklicher sind – alle Menschen dort, nicht nur jene die wenig haben sondern auch die die zu den Reichen zählen, weil einfach eine soziale Gerechtigkeit insgesamt diese Gesellschaftlichen Mechanismen und Strukturen in einer Form prägt, dass alle davon profitieren. Wäre für Sie zum Beispiel ein gesetzlicher Mindestlohn ein Schritt den man zur Vermeidung von sozialer Ungleichheit setzen kann? Natürlich, der gesetzliche Mindestlohn wäre ein Punkt, der vor allem diesen Niedriglohnbranchen gewissermaßen einen Riegel vorschieben würde. Man könnte auch sagen, obwohl da bin ich ein bisschen skeptischer, Grundeinkommen ohne Arbeit könnte auch ein Regelungsmechanismus gegen prekäre Arbeit sein, weil wenn die Menschen nicht mehr darauf angewiesen sind prekäre Jobs anzunehmen, weil sie sonst keine Existenzsicherung haben, dann müssen sich die die prekäre Jobs anbieten etwas überlegen und die Bedingungen so ändern, dass diese Jobs wieder attraktiv sind. Man hat das in der Geschichte immer gesehen: wenn Arbeitskräfte Knappheit war, also wenn die Unternehmen Schwierigkeiten hatten ihre Arbeitsplätze zu besetzen, dann hat es auch hohe Anreize gegeben den Leuten die Arbeit schmackhaft zu machen. Wenn jedoch ein Überangebot am Arbeitsmarkt da ist, dann setzt man eher auf die Konkurrenz uns sagt „ja, wenn ihr nicht unter den Bedingungen arbeiten wollts, dann warten draußen 50 andere die zu den Bedingungen arbeiten“. Das ist auch ein wichtiger Punkt, dass diese zunehmende Prekarisierung von Arbeit nicht nur die Menschen betrifft, die in solchen Verhältnissen arbeiten, sondern auch Maximilian Schweinberger 5 HBA Auswirkungen, eine Strahlkraft, in die Bereiche hat, in denen die Menschen noch in stabilen Arbeitsverhältnissen tätig sind. Robert Castel hat gesagt, dass im Zuge dieser gesellschaftlichen Veränderungen seit den 80er Jahren, sich die Gesellschaft in 3 Zonen aufteilt: die Zone der Integration, in dieser befinden sich Menschen die in einem Normalarbeitsverhältnis mit ausreichendem Lohnniveau und Sicherheiten arbeiten, weiteres die Zone der Prekarität, die von der zunehmenden sozialen Unsicherheit geprägt ist und die Zone der Entkoppelung, wo sich die Menschen befinden, die aus der Sozialhilfe oder Arbeitslosigkeit nicht mehr herauskommen. Er (Castel) sagt, diese Zone der Prekarität wächst an und die Rückkehr der sozialen Unsicherheit ins Zentrum der Gesellschaft auch bei jenen die sich noch in der Zone der Integration befinden zu Ängsten führt, auch in die Prekarität abzurutschen. Wenn man nun das Beispiel nimmt, dass in einem Unternehmen viele Leiharbeiter beschäftigt sind, dann führt das bei den Stammbeschäftigten zu einem Gefühl „das Schicksal könnte uns auch blühen, wir könnten ersetzt werden“. Das hat gewissermaßen eine Disziplinierende Wirkung – man traut sich nicht mehr seine Rechte so einfordern wie es notwendig wäre und die Gewerkschaften sind zu immer mehr Kompromissen bereit, weil die Existenz der Zone der Prekarität als Druckmittel wirkt, dass es durchaus Möglich ist, dass man abstürzen könnte. Insofern hat Prekarität eine gesellschaftliche Funktion, die weit über die betroffene Person hinausgeht. Wie beschreiben Sie die Rolle der Gewerkschaften im Bezug auf prekäre Arbeitsverhältnisse? Gibt es gute Programme um Menschen davor zu schützen bzw. Personen in prekärer Arbeit gut zu beraten oder hinkt die Arbeit in diesem Bereich den derzeitigen Entwicklungen hinterher? In der Tat sind die Gewerkschaften relativ spät darauf gekommen, dass Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen die sind, die gewerkschaftliche Unterstützung am nötigsten brauchen. Sie haben sich lange Zeit darauf beschränkt, die Stammbelegschaften defensiv gegen weitere Verschlechterungen zu verteidigen. Erst in letzter Zeit wird das in den Gewerkschaften zunehmend zu einem Thema, allerdings ist es schwierig darauf zu reagieren, weil die traditionellen Muster der Rekrutierung der Gewerkschaften bei Menschen in prekären Verhältnissen nicht so recht greifen. Diese haben meistens weniger Kontakt mit den Gewerkschaften, da die Gewerkschaften oft Defizite bei der Vertretung von Frauen oder Migranten haben und genau diese bei prekären Beschäftigungsverhältnissen überrepräsentiert sind. Deshalb tun sie sich auch schwer da als Interessensvertretungsinstitution ernst genommen zu werden und Vertrauen zu gewinnen. Das heißt die Gewerkschaften müssten auch ihre Umgangs- und Kontaktformen mit den Personen die sie Vertreten ändern und neue Zugänge entwickeln, was oft ein wenig schwerfällig ist - Erste Ansätze gibt es bereits aber es wirkt noch nicht richtig. Menschen in prekären Verhältnissen sind natürlich auch in hohen Ausmaß damit beschäftigt ihre Existenz zu sichern und haben gewissermaßen „andere Sorgen“ als sich in Gewerkschaften zu engagieren. Deswegen muss man hierbei auch viel sensiblere und auf die Menschen Maximilian Schweinberger 5 HBA abgestimmte Strategien entwickeln um denen das Gefühl zu geben, dass die Gewerkschaft etwas zur Verbesserung ihrer Situation beiträgt. Um das konkret zu sagen: Gewerkschaften haben sich lange Zeit darauf konzentriert, zu verhindern, dass Leiharbeiter im Betrieb beschäftigt werden – was legitim ist – aber als sie das nicht geschafft haben, haben sie sich auch nicht wirklich um die Leiharbeiter gekümmert. Ähnlich ist es bei Migranten: diese werden häufig als Lohndrücker bzw. Gefahr gesehen als als solche die man organisieren kann.