An Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel Bundeskanzleramt Willy-Brandt-Straße 1 10557 Berlin An Umweltministerin Dr. Barbara Hendricks Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Stresemannstraße 128–130 10117 Berlin An Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Scharnhorststraße 34-37 10115 Berlin Ort, Datum Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks, Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, anlässlich der bevorstehenden Weltklimakonferenz in Paris möchte ich Sie auf die fortschreitende Umweltzerstörung in Tibet aufmerksam machen. Ich bitte Sie, diese gegenüber den Vertretern der chinesischen Regierung anzusprechen und sich dafür einzusetzen, dass Tibet – ein einzigartiges und für den globalen Klimawandel signifikantes Ökosystem – bei den Klimaverhandlungen auf die Agenda kommt. In Tibet, oft auch als "Dritter Pol" bezeichnet, liegen 46.000 Gletscher, die neben Nord- und Südpol eines der größten Eisvorkommen der Erde bilden. Die Gletscher sind Wasserspeicher für die auf dem tibetischen Hochplateau entspringenden Quellen der großen asiatischen Flüsse und für eine stabile Wasserversorgung in ganz Asien entscheidend. Doch der Dritte Pol ist in großer Gefahr. Das tibetische Plateau erwärmt sich derzeit zweimal so schnell wie der Rest der Erde mit gravierenden Folgen für Hunderte Millionen Menschen in Tibet und den flussabwärts liegenden Ländern. Die Verantwortung dafür trägt China mit seiner verfehlten Politik: Urbanisierung, riesige Infrastruktur- und Staudammprojekte, die Vertreibung der Nomaden sowie massiver Raubbau zerstören zunehmend Tibets fragiles Ökosystem. Die Gletscher schmelzen rapide, die Permafrostschicht wird immer dünner, das Grasland weicht zurück und verwandelt sich in Wüste. Wir schlittern in Tibet einer Umweltkrise entgegen mit weitreichenden Folgen für die gesamte Welt. Die Internationale Gemeinschaft und die Bundesregierung müssen diese Entwicklungen berücksichtigen, wenn es darum geht, einen nachhaltigen Klimaschutz zu vereinbaren. Auf diese Anliegen möchte ich Sie besonders hinweisen: 1. Die Vertreibung und Zwangsansiedlung der tibetischen Nomaden Seit Tausenden von Jahren bevölkern tibetische Nomaden mit ihren Yak-, Schaf-, und Ziegenherden das tibetische Hochland. Sie machen etwa die Hälfte der tibetischen Bevölkerung in Tibet aus. Die Nomaden halten ihr Vieh entsprechend der Wanderweidewirtschaft das Jahr über auf Saisonweiden. Jahrhundertelang haben sie auf diese Weise das fragile Weideland gekonnt genutzt. Seit 1996 hat die chinesische Regierung Hunderttausende Nomaden dazu gezwungen, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben und sich niederzulassen. Viele von ihnen mussten ihre Herden verkaufen und in die Städte ziehen. Andere wurden in öden, oftmals eingezäunten Betonstätten zwangsangesiedelt. Die chinesischen Behörden rechtfertigen ihre Maßnahmen mit der Aussage, die Weidepraktiken der Nomaden gefährdeten das empfindliche Ökosystem der Region. Mehr und mehr Wissenschaftler stimmen jedoch überein, dass die nomadische Landwirtschaft und Viehhaltung eine wesentliche Rolle beim Bodenmanagement und der Erhaltung der Biodiversität spielen. Untersuchungen der bereits vor geraumer Zeit entvölkerten und eingezäunten Weidegründe haben gezeigt, dass dies zu einer deutlichen Abnahme der Artenvielfalt führt. Unter chinesischen, tibetischen und westlichen Wissenschaftlern gibt es zudem zunehmend Konsens darüber, dass das traditionelle Wissen der Nomaden wesentlich dazu beitragen könnte, die langfristige Stabilität des Ökosystems und der Wasserressourcen zu gewährleisten. Auch die EU stellt heute Chinas Argumentation, durch die Ansiedlung der Nomaden Tibets Ökosystem zu schützen, grundlegend in Frage. 2. Unkontrollierter Bau von Mega-Dämmen Der unkontrollierte Bau von Megastaudämmen gefährdet das ökologische Gleichgewicht des Fluss- und Seensystems Tibets. Seit 1990 ist Chinas Energieverbrauch um fast 70 Prozent gestiegen. Um seinen enormen Bedarf zu decken, greift China auf Tibets Flüsse zurück, da deren Wasserkraftpotential weltweit zu dem größten zählt. Ein großer Teil dieser Energie soll in Zukunft über Hochspannungsleitungen den chinesischen Städten im Osten zugeführt werden. Der Rest soll in Projekte für den groß angelegten Rohstoffabbau, die Erweiterung der Infrastruktur sowie den Städtebau in Tibet fließen. Die negativen Folgen dieser Vorgehensweise sind gut dokumentiert, und es gibt immer mehr Beweise dafür, dass der Bau von Megastaudämmen alles andere als eine saubere Lösung für die fortschreitende Klimakrise ist. Im Gegenteil: Die massiven Eingriffe zerstören wertvolle Feuchtgebiete und reduzieren die Bestände von Fischen und Vögeln. Viele Millionen Menschen werden aus ihrer Heimat vertrieben und umgesiedelt, um Platz für riesige Stauseen zu schaffen. Staudämme reagieren zudem empfindlich auf Dürren oder Überschwemmungen, die jedoch charakteristisch für unseren Klimawandel sind. Saubere Flüsse, gesunde Ökosysteme und eine weitsichtige Wasserlenkung und -verteilung über Grenzen hinweg sind grundlegende Bedingungen für eine erfolgreiche Klimaanpassung. Doch China übt mit seinem Herrschaftsanspruch über Tibets Flüsse eine übermäßige Macht aus. Bitte unterstützen Sie gegenüber der chinesischen Regierung folgende Forderungen: den sofortigen Stopp der Zwangsansiedlung der tibetischen Nomaden. die Rückkehr der bereits vertriebenen und zwangsangesiedelten Nomaden, den Schutz ihrer Kultur und ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. eine verantwortungsbewusste nachhaltige Umweltpolitik, damit die Umweltzerstörung durch unverantwortliche Bergbau- und Dammbauprojekte aufhört. transparente Entscheidungsprozesse, bei denen die Tibeter über Tibets natürliche Ressourcen mitbestimmen dürfen. Bitte sorgen Sie weiter dafür, dass die tibetischen Nomaden als gleichberechtigte Partner in die Klimaverhandlungen mit aufgenommen werden und so an einer Lösung für die Ursachen und Folgen des Klimawandels in Tibet und für alle, die von Tibet abhängen, mitwirken können. Setzen Sie sich dafür ein, dass die Klimavereinbarungen die Interessen der Tibeter schützen und ihr kenntnisreiches Wissen im Umgang mit dem Klimawandel mit einbeziehen. Stellen Sie sicher, dass die Vereinbarungen basieren auf: dem Respekt vor den Menschenrechten und dem Recht auf Entwicklung- der Zusammenarbeit mit Betroffenen, der Anerkennung traditionellen Wissens und seiner Anwendung und der Priorisierung gefährdeter Gruppen und Ökosysteme China ist für die erfolgreiche Umsetzung eines globalen Klimaschutzes essentiell wichtig und der Umgang mit Tibet darum ein entscheidender Indikator für den Willen und die Fähigkeit Chinas, sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe zu stellen. Mit freundlichen Grüßen