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16.05.2016
Presseinformation
REPORT MAINZ, heute, 6. Oktober 2015, um 21.45 Uhr im Ersten
Auch Chemiekonzerne profitierten von Zwangsarbeit
politischer Häftlinge in DDR
BASF, Bayer und Hoechst bezogen Chemikalien aus Diktatur
Mainz – Nicht nur Westfirmen wie Ikea, Quelle und Aldi haben von der Zwangsarbeit politischer
Gefangener in der DDR profitiert. Auch große Chemiekonzerne der BRD wie Hoechst, BASF
und Bayer bezogen Erzeugnisse aus DDR-Betrieben, die politische Häftlinge zur Zwangsarbeit
einsetzten. Das berichtet das ARD-Politikmagazin REPORT MAINZ (heute, 21.45 Uhr, im
Ersten) auf Grundlage umfangreicher eigener Archivrecherchen im Bundesarchiv Berlin und
Koblenz, im Stasi-Archiv sowie im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt und unter Berufung auf
Aussagen von Zeitzeugen.
REPORT MAINZ legte die Recherchen dem Geschichtswissenschaftler Justus Vesting
(Universität Halle) vor, der seit Jahren zu Zwangsarbeit in der DDR-Chemiebranche forscht und
dazu 2012 die Studie „Zwangsarbeit im Chemiedreieck – Strafgefangene und Bausoldaten in
der Industrie der DDR“ veröffentlicht hat. Seine Bewertung: „Durch die Akten, die REPORT
MAINZ mir vorgelegt hat, lässt sich jetzt erstmals belegen, dass auch große westdeutsche
Chemiekonzerne von der Arbeit von Strafgefangenen im Chemiedreieck profitiert haben. Sie
haben Produkte in Millionenhöhe bezogen, die in der DDR auch durch Strafgefangene
hergestellt worden sind.“
Aus DDR-Akten geht hervor, dass der Hoechst-Konzern 1976 ein Milliarden-Geschäft mit der
DDR abgeschlossen hatte. Hoechst lieferte laut Akten über eine Tochterfirma eine
Produktionsanlage an die DDR – und erhielt im Gegenzug acht Jahre lang u.a. Chemikalien aus
der DDR für rund 250 Millionen D-Mark. Aktenfunde von REPORT MAINZ belegen jetzt, dass
Häftlingszwangsarbeiter den giftigen Quecksilber-Schlamm aus der Anlage, die für Hoechst
produzierte, aufbereiten mussten. Zeitzeuge Hans-Thilo Kempen hatte den Anlagenbau auf
Seiten von Hoechst als kaufmännischer Projektleiter mit betreut. Er hält es heute für einen
Fehler, dass Hoechst in einer Diktatur produzieren ließ und erklärte zur damaligen Motivation
von Hoechst: „Der Vorteil für Hoechst war, dass Hoechst die Produktion nicht aus einem Land
heraus gestalten musste, das hohe Umweltauflagen hatte. Sondern aus einem Land, das man
als Diktatur bezeichnen konnte.“
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Auch Bayer und BASF waren laut Akten mit der DDR in der Ära Honecker im Geschäft. BASF
bezog in den 70er Jahren Chemikalien und Produkte im Wert von jährlich rund 30 Millionen DMark. Der frühere Generaldirektor des Chemiekombinats Bitterfeld von 1971-1983, Heinz
Schwarz, bestätigte im Interview mit REPORT MAINZ: „In der BRD waren unsere drei
Hauptabnehmer von Bitterfelder Chemikalien die BASF, Bayer und Hoechst. Die
Billigpreisgestaltung der DDR haben sie ausgenutzt. Wenn sie in westeuropäischen Ländern
gekauft hätten, hätten sie das Anderthalbfache bezahlen müssen.“ Im Chemiekombinat
Bitterfeld wurden laut Historiker Justus Vesting rund 500 Häftlinge zur Zwangsarbeit eingesetzt.
Sie erwirtschafteten in den 80er Jahren für die DDR jährlich rund eine Milliarde Mark. Dr. Tobias
Wunschik, Wissenschaftler der Stasi-Unterlagenbehörde, erklärte: „Im Chemiekombinat
Bitterfeld kamen besonders viele politische Häftlinge zum Einsatz, sie wurden hier für
Tätigkeiten herangezogen, für die gewöhnliche Werktätige sich nicht mehr gewinnen ließen,
weil die Gesundheitsgefahren einfach zu groß waren. Gefangene ließen sich hingegen beliebig
einsetzen, sie waren gezwungen, solche Tätigkeiten zu verrichten.“ In Bitterfeld war die Arbeit
besonders gesundheitsgefährlich, es gab kaum Arbeitsschutz, und die Gefangenen mussten an
völlig veralteten, maroden Maschinen arbeiten. Hier kam es wegen der katastrophalen
Arbeitsbedingungen sogar zu Todesfällen: Anfang der 1980er Jahre starben zwei politische
Häftlinge an Quecksilbervergiftungen.
Auf Anfrage erklären die Nachfolgeunternehmen der Firma Hoechst, Celanese und die zu
Sanofi-Aventis gehörende Hoechst GmbH, man wolle den Vorwürfen nachgehen. Bayer und
BASF geben Handel mit der DDR zu. Sie erklären jedoch, man habe damals von Häftlingsarbeit
nichts gewusst.
Dabei waren nach Recherchen von REPORT MAINZ bereits Anfang der 1980er Jahre Artikel
über das „Todeskommando Bitterfeld“ und Häftlingsarbeit in der DDR-Chemiebranche in großen
westdeutschen Zeitungen wie der „Welt“ und der „Bild am Sonntag“ erschienen – sogar auf der
Titelseite. Deswegen sieht die Stasi-Unterlagen-Beauftragte von Sachsen Anhalt, Birgit
Neumann-Becker, eine Mitschuld bei den Westkonzernen und fordert eine Wiedergutmachung
für die Opfer der Zwangsarbeit: „Meine Kritik besteht darin, dass die Chemiekonzerne nicht
genug nachgefragt haben. Dass Handel getrieben worden ist mit dieser Diktatur in der DDR,
ohne nach Menschenrechtsbedingungen zu fragen, und daran liegt dann auch eine
Mitverantwortung an Menschenrechtsverletzungen.“
Das Erste sendet am 12. Oktober um 23.30 Uhr die Dokumentation „Ausgebeutet für den
Klassenfeind – wie DDR-Zwangsarbeiter für Westfirmen leiden mussten“.
Zitate gegen Quellenangabe frei
http://x.swr.de/s/zwangsarbeit
Bei Rückfragen rufen Sie bitte in der Redaktion REPORT MAINZ an
unter: 06131/929 3 3351
oder den Autor Achim Reinhardt unter 0172-6268010
oder die Autorin Claudia Butter unter 01520-1610309
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