Friedrich-Schiller-Universität Jena Institut für Politikwissenschaft Lehrstuhl Politisches System der Bundesrepublik Deutschland Modul: POL 210 Seminar zum Basismodul Politische Systeme: Einführung in das politische System der Bundesrepublik Deutschland Leitung: Dr. Sven Leunig Sommersemester 2015 Die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht Möglichkeiten und Einschränkungen unter den Mehrheitsverhältnissen des 18. Bundestags Vorgelegt von: Abgegeben am: Jena, den 17.08.2014 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung................................................................................................................ 1 2. Was ist Opposition? ................................................................................................ 2 3. Welche Funktionen hat Opposition? ...................................................................... 4 4. Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts ............................................................ 6 5. Möglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht ....................... 8 5.1 Klagemöglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht .......... 8 5.1.1 Bund-Länder-Streit.......................................................................................... 8 5.1.2 Verfassungsbeschwerde .................................................................................. 9 5.1.3 Organstreitverfahren........................................................................................ 9 5.1.4 Abstrakte Normenkontrolle ........................................................................... 10 5.2 Nicht-institutionalisierte Möglichkeiten ........................................................... 11 5.2.1 Kontrolle im Vorhinein ................................................................................. 11 5.2.2 Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen ................................................... 11 6. Möglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht unter den Mehrheiten des 18. Bundestags ................................................................................... 12 6.1 Bedeutung der Einschränkung dieser Möglichkeiten ....................................... 13 6.2 Unerheblichkeit der Einschränkung dieser Möglichkeiten? ............................. 15 7. Fazit ...................................................................................................................... 16 Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 17 Eigenständigkeitserklärung ........................................... Error! Bookmark not defined. -- 1. Einleitung Seit der Bundestagswahl 2013 regiert in der Bundesrepublik Deutschland eine große Koalition aus CDU/CSU und SPD. Eine solche große Koalition hat eine beachtliche Machtfülle: Sie hat eine eigene verfassungsändernde Mehrheit, sie beherrscht die Abläufe im Parlament und sie kann den Prozess der politischen Verhandlungen aus der Öffentlichkeit ins Geheime verlagern1. Die beiden letzteren Dinge kann eine kleine Koalition auch… Problematisiert in diesem Zusammenhang wurde in der öffentlichen Debatte auch, dass die nun auf 20% der Abgeordneten geschrumpfte Opposition, neben anderen Einschränkungen, im parlamentarischen Alltag nur noch einen eingeschränkten Zugang zur Verfassungsgerichtsbarkeit hat2 Das müssten Sie aber auch hier schon mal konkreter erläutern... In dieser Arbeit frage ich nach den konkreten Einschränkungen, aber auch den Möglichkeiten, die der Opposition unter diesen Bedingungen bleiben. Inwieweit wird die Arbeit der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht tatsächlich eingeschränkt? Die erste „Frage“ wird so ja nicht beantwortet – es sei denn, sie setzen die „Arbeit“ der Opposition „vor dem BVerfG“ mit deren generellen Möglichkeiten gleich. Auch ist die Formulierung der eigentlichen Fragestellung nicht sehr gelungen – was soll mit „Arbeit der Opposition vor dem BVerfG“ gemeint sein? Sinnvolle wäre folgende Formulierung gewesen: „In dieser Arbeit wird untersucht, inwieweit die Möglichkeiten der Oppositions am Beispiel der Nutzung des Bundesverfassungsgerichts durch die Opposition des Bundestages unter den Bedingungen einer Großen Koalition eingeschränkt/beeinflusst wird.“ Zur Beantwortung dieser Frage beschäftige ich mich zunächst mit dem Begriff der Opposition: Wer zählt überhaupt dazu? Ist Opposition nur die, nun zahlenmäßig beschränkte, Minderheit im Parlament? Oder gehören auch andere Akteur*innen dazu? Um beurteilen zu können, inwieweit die Arbeit der Opposition eingeschränkt wird, muss ich zudem wissen, worin diese Arbeit überhaupt besteht, welche Funktionen Opposition hat. Auch die Relevanz des 1 Vl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? Parlamentarische Opposition, Bundesverfassungsgericht und Bundespräsident als Kontrolleure der Zweidrittelmehrheit in: Bukow, Sebastian / Seemann, Wenke [Hrsg.]: Die Große Koalition, Regierung – Politik – Parteien, 2005 – 2009, Wiesbaden 2010, S. 59. 2 z. B. in „Opposition in Roten Roben” von Wolfgang Janisch aus der SZ vom 24.10.2013 und „Schluss mit Ausreden” von Robert Rossman aus der SZ vom 03.04.2014. 1 Bundesverfassungsgerichts ist dazu bedeutsam: Handelt es sich um einen wichtigen Akteur im Oppositionshandeln oder ist der Zugang zu ihm vernachlässigbar? Im Anschluss daran zähle ich die verschiedenen Möglichkeiten auf, die die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht hat, um ihre Funktionen zu erfüllen, und gleiche sie mit den Möglichkeiten unter den aktuellen Zahlen ab (unklar). Um erfassen zu können, inwieweit die Einschränkungen dieser Möglichkeiten tatsächlich die Opposition beeinträchtigen, frage ich daraufhin nach der Bedeutung dieser Möglichkeiten und beschäftige mich mit der Frage, ob der fehlende Zugang zu ihnen tatsächlich eine Einschränkung für die Opposition bedeutet. Das scheint mir eher noch mal eine Zusammenfassung des zuvor gesagten zu sein… Generell müssten Sie sich natürlich in einem theoretischen Teil die Frage stellen, wann eine solche Einschränkung denn abstrakt gegeben wäre, um die Forschungsfrage sinnvoll zu beantworten. 2. Was ist Opposition? Zur Beantwortung der Forschungsfrage ist zunächst eine Definition dieses Begriffes notwendig: Wovon ist die Rede, wenn über „die Opposition“ gesprochen wird? Im Grundgesetz wird dieser Begriff nicht benutzt3, daher ist eine andere Begriffsbestimmung notwendig. Historisch entstand der Begriff in Großbritannien aus dem „neuen Dualismus“: Der englische Prime Minister benötigte eine parlamentarische Mehrheit zur Unterstützung seines Regierungshandelns. Dadurch standen sich nicht mehr Legislative (in Form des Parlaments) und Exekutive (in Form der*s Monarch*in) gegenüber, sondern Regierungsmehrheit und Opposition4. Das Wort selbst entspringt dabei der Tatsache, dass der Teil des Parlaments, der nicht an der Regierung beteiligt war, der Regierungsmehrheit gegenüber – also „opposite“ – saß5. 3 Vgl. Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden 2011, S. 215. 4 Vgl. Schüttemeyer, Suzanne S.: Opposition in: Nohlen, Dieter / Schultze, Rainer-Olaf [Hrsg.]: Lexikon der Politikwissenschaft, Band 2 N-Z, 4. Auflage, München 2010, S. 685 sowie Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, Baden-Baden 1997, S. 25. 5 Vgl. Schmid, Carlo: Die Opposition als Staatseinrichtung, abgedruckt in Schumann, HansGerd [Hrsg.]: Die Rolle der Opposition in der Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 1976, S. 53. 2 Meist meint Opposition, wie zum Beispiel bei Schmid, „die Gruppe des Parlaments, die an der Regierungsbildung und an der Führung der Regierungsgeschäfte nicht beteiligt ist (...)“6. Es handelt sich also um ein rein parlamentarisches Verständnis von Opposition. Doch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht können nicht nur aus dem Parlament heraus erhoben werden: Beispielsweise kann sich der Bundesrat über ein Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht wenden, Verfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG können von Einzelpersonen oder von juristischen Personen, in Form von betroffenen Verbänden oder Initiativen, erhoben werden7. Sind diese Teil der Opposition? Oder stellen sie nur Unterstützer*innen der Opposition dar und müssen daher in dieser Betrachtung nicht beachtet werden? Grundsätzlich ist für den Erfolg der Opposition ein grundsätzlicher Grad an Organisation und Infrastruktur innerhalb der Gruppe notwendig8. Aus diesem Grund ist es, zumindest für den Erfolg, wichtig, dass sich alle möglichen Teile der Opposition kennen und absprechen. Dabei geht Opposition, wie oben gezeigt, hauptsächlich von der parlamentarischen Minderheit aus. Allerdings können auch andere Akteur*innen an der Arbeit, die diese Minderheit verrichtet, teilhaben und sie unterstützen. Stüwe zählt zur Opposition neben der parlamentarischen Minderheit auch Parteien und Landesregierungen sowie einzelne Abgeordnete des oppositionellen Lagers (was soll die letztere Differenzierung bedeuten?)9. Nach Steffani gehören zur „‘Vor- bzw. außerparlamentarische Opposition‘“10 auch Interessengruppen und Parteien; sowohl solche, die nicht im Parlament vertreten sind, als auch Parteien, deren Abgeordnete im Parlament in der Opposition sind 6 Schmid, Carlo: Die Opposition als Staatseinrichtung, S. 53, ähnlich auch Steffani, Winfried: Opposition in: Röhrig, Hans-Helmut / Sontheimer, Kurt: Handbuch des deutschen Parlamentarismus, München 1970, S. 316 sowie Oberreuter, Heinrich: Einleitung in: Oberreuter, Heinrich [Hrsg.]: Parlamentarische Opposition. Ein internationaler Vergleich, Hamburg 1975, S. 20. 7 Vgl. Morgenthaler, Gerd zu Art. 93 in: Epping, Volker / Hillgruber, Christian [Hrsg.]: Beck’scher Online-Kommentar GG, Edition 25, München 2015, Art. 93 Rn. 55. 8 Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 60 sowie Schüttemeyer, Suzanne S.: Opposition in: Lexikon der Politikwissenschaft, S. 685. 9 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition in: van Ooyen, Robert Chr. / Möllers, Martin H. W. [Hrsg.]: Das Bundesverfassungsgericht im politischen System, Wiesbaden 2006, S. 216. 10 Steffani, Winfried: Opposition in: Handbuch des deutschen Parlamentarismus, S. 315. 3 (das wäre ja das selbe, wie bei Stüwe…)11. Aber auch Einzelpersonen müssen dazu gerechnet werden, vorausgesetzt, sie stehen in engem Kontakt zur parlamentarischen Opposition. All diese Gruppen und Einzelpersonen können auch Opposition betreiben, sei es zu einzelnen Situationen oder generell, mittels eines Alternativprogramms12. Aus diesem Grund müssen sie hier auch betrachtet werden, vorausgesetzt, diese Akteur*innen und ihre Handlungen stehen in Verbindung mit der parlamentarischen Minderheit. Eine solche „Betrachtung“ dürfte aber recht schwierig werden… 3. Welche Funktionen hat Opposition? Um zu erörtern, inwieweit die aktuellen Mehrheitsverhältnisse die Arbeit der Opposition einschränken, muss zunächst klargestellt sein, welche Aufgaben Opposition eigentlich hat und was sie bezweckt. Nach Dolf Sternberger sind die Hauptfunktionen von (parlamentarischer eben!) Opposition „Kritik, Kontrolle und Entwurf einer Alternativ-Politik“13. Die Kontrollfunktion, eigentlich eine klassische Parlaments+funktion14, wanderte durch den „neuen Dualismus“ vom gesamten Parlament faktisch zur Opposition15: Durch die Aufteilung des Parlaments in Regierungsmehrheit und parlamentarische Minderheit schwindet das Interesse des gesamten Parlaments, Regierungshandeln zu kontrollieren. Das politische Interesse, die Regierung zu kontrollieren, liegt damit allein bei der Opposition Dem würden allerdings etliche Kollegen deutlich widersprechen – auch die Regierungsmehrheit hat ein profundes Interesse, die eigene Regierung zu kontrollieren, damit sie nicht in einer Weise handelt, die die Wiederwahl der eigenen Abgeordneten erschwert. Allerdings wird sie dies in anderer, wesentlich weniger 11 Vgl. ebd. Vgl. ebd. 13 Sternberger, Dolf: Lebende Verfassung. Studien über Koalition und Opposition, Meisenheim am Glan 1956, S. 134, vgl. auch ebd. S. 145. 14 Vgl. z.B. von Beyme, Klaus: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, 11., vollständig überarbeitete Auflage, Wiesbaden 2010, S. 299, anderer Ansicht ist das BVerfG: „Das Grundgesetz hat den Bundestag als Gesetzgebungsorgan, nicht aber als umfassendes "Rechtsaufsichtsorgan" über die Bundesregierung eingesetzt“ in BVerfGE 68, 1132, Rn. 101. 15 Vgl. Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 210f. 12 4 öffentlichkeitswirksamen Weise tun, als die parlamentarische Minderheit…16. Auch erkennbar ist dies an der Tatsache, dass bisher Klagen gegen Regierungshandeln vor dem Bundesverfassungsgericht nur von der Opposition erhoben wurden17. Kritik und das Aufzeigen von politischen Alternativen lassen sich vor allem im parlamentarischen Alltag, über die Mechanismen des Bundestags und über Öffentlichkeitsarbeit parlamentarische durchführen. Mittel, wie Auch zum für die Beispiel das Kontrolle stehen Einsetzen eines Untersuchungsausschusses oder das Stellen von kleinen und großen Anfragen, zur Verfügung. Allerdings lässt sich Kontrolle nur schwer mit dem Wunsch nach Einflussnahme durch die Opposition vereinbaren und birgt die Gefahr, dass potentielle Koalitionspartner*innen verprellt werden18. Wird die Kontrollfunktion dagegen über das Bundesverfassungsgericht ausgeübt, hat die Opposition mehrere Vorteile: Einerseits kann sie sich auf die Neutralität des Bundesverfassungsgerichts berufen, das, zumindest nach eigenem Selbstverständnis, allein nach dem Recht entscheidet19. Zudem kann hier eine von der Opposition beanstandete Norm verworfen werden; gesetzt dem Fall, sie ist tatsächlich verfassungswidrig. Bei der Kontrolle handelt es sich also um eine gemeinsame Aufgabe von Opposition und Verfassungsgerichtsbarkeit20, die, zusammen ausgeübt, effektiver sein kann. Aus diesem Grund ist vor allem die Kontrollfunktion für die weitere Betrachtung entscheidend. Nach Eschenburg kann die Kontrollfunktion in zwei Ebenen unterschieden werden: „politische Richtungskontrolle“, also eine Kontrolle der politischen Inhalte, und „Leistungs- und Sachkontrolle“, die eben Leistungen von Regierung und Verwaltung oder Sachen kontrolliert21. Rudzio verzweigt diese zweite Ebene noch in Effizienz- und Rechtskontrolle22. Die politische Richtungskontrolle kann dabei allein am Maßstab der jeweiligen Partei erfolgen, die Effizienzkontrolle dagegen fragt nach der Wahl der 16 Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht in: Breit, Gotthart [Hrsg.]: Politische Bildung 3/2005: Recht und Politik, Schwalbach/Ts., S. 32 sowie Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 216. 17 Vgl Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 232. 18 Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 80. 19 Vgl. BVerfGE 2, 143-181, Rn. 127. 20 Vgl. Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 24. 21 Vgl. Eschenburg, Theodor: Staat und Gesellschaft in Deutschland, München 1963, S. 608f. 22 Vgl. Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 232. 5 effektivsten Umsetzungsform, und die Rechtmäßigkeit kann nur objektiv durch den Abgleich mit Normen geprüft werden23. Auch dies (Letzteres?) kann, aus den gleichen Gründen wie oben, im Zusammenspiel mit dem Bundesverfassungsgericht auf besonders effektive Art erfolgen. Hat die Opposition verfassungsrechtliche Bedenken, spricht das Bundesverfassungsgericht gar von einer Pflicht der Opposition, diese beim ihm anzubringen24. Um dies zu tun und um ihre Funktion aber erfolgreich erfüllen zu können, benötigt die Opposition Unterstützung: Um Entscheidungen zu verhindern oder sie rückgängig zu machen ist sie angewiesen auf besondere Instrumente oder andere Akteur*innen, wie eben z.B. auf das Bundesverfassungsgericht mit seiner Verwerfungskompetenz25. Zur effektiven Kontrolle ist also der institutionalisierte und formal festgeschriebene Zugang zu diesen anderen Akteure*innen und Instrumenten für die Opposition essentiell26. Nur so kann sie „institutionalisierte[n] Widerspruch“27 erheben. Sie beschränken sich hier nun aber – durchaus nachvollziehbar – allein auf die parlamentarische Opposition, und verengen damit ihren zunächst in Kapitel 2 noch recht weiten Oppositionsbegriff. 4. Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts Dieser institutionalisierte Widerspruch kann insbesondere über das Bundesverfassungsgericht erhoben werden. Welche Rolle spielt dieses Gericht dabei? Das Bundesverfassungsgericht hat, verglichen mit anderen Verfassungsgerichten, sehr weite Kompetenzen28. Es hat beispielsweise ein Verwerfungsmonopol, darf also als einziges Gericht in der Bundesrepublik 23 Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 61 sowie Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 232. 24 Vgl. BVerfGE 2, 143-181, Rn. 95. 25 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 226. 26 Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 60, Schüttemeyer, Suzanne S.: Opposition in: Lexikon der Politikwissenschaft, S. 685, Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 31 sowie Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 32; im Besonderen zum Zugang zur Verfassungsgerichtsbarkeit: Kelsen, Hans: Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit in Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 5, Berlin und Leipzig 1929, S. 75. 27 Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 60 sowie Schüttemeyer, Suzanne S.: Opposition in: Lexikon der Politikwissenschaft, S. 685. 28 Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 67. 6 Normen für verfassungswidrig erklären. Auch die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle besteht nicht an jedem Verfassungsgericht. Mittlerweile werden zudem Vorwürfe laut, die Grenze zwischen (Verfassungs-) Judikative und Legislative verschwämme29, das Bundesverfassungsgericht entwickele sich zur „Superlegislative“, die die Legislative auch ersetzen könnte30. Insbesondere ist dabei die „positive Gesetzgebungskompetenz“31 des Bundesverfassungsgerichts gemeint. Diese wird angenommen, weil das Gericht in manchen Urteilsbegründungen Hinweise auf Möglichkeiten der verfassungskonformen Regelung des Sachverhalts gibt, die sehr genaue inhaltliche und zeitliche Vorgaben machen. Kann man das Bundesverfassungsgericht also als politisch und, eventuell sogar, als politische Partnerin der Opposition begreifen? Das Bundesverfassungsgericht muss politische Fragen beantworten, es kann sich dem nicht entziehen und wird dadurch unweigerlich politisch in seinen Urteilen32. Allerdings entscheidet es Streitigkeiten über Prüfung an höherrangigen Normen33 und „allein nach dem Recht“ 34; nicht nach politischem Gutdünken. Nur weil eine Entscheidung über eine politische Streitfrage getroffen wird, bedeutet das also nicht, dass auch die Entscheidungen politisch sind35. Eine politische Partnerin der Opposition kann das Bundesverfassungsgericht also nicht sein. Na ja, das ist jetzt aber sehr juristisch gedacht… faktisch kann das BVerfG jedenfalls von der Opposition politisch genutzt, instrumentalisiert werden… Sehr bedeutsam für die politische Opposition ist allerdings das geordnete juristische Verfahren, dass das Bundesverfassungsgericht ihr zur Behandlung von Streitfragen bietet: In diesem Verfahren herrscht Chancengleichheit zwischen Regierung und Opposition, was im politischen Prozess nicht der Fall 29 Vgl. Schlaich, Klaus / Korioth, Stefan: Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 9., neu bearbeitete Auflage, München 2012, Rn. 503 / S. 340. 30 Vgl. Sontheimer, Kurt / Bleek, Wilhelm / Gawrich, Andrea: Grundzüge des politischen Systems Deutschlands, völlig überarbeitete Neuausgabe, München 2007, S. 149. 31 Vgl. ebd. S. 151. 32 Vgl. ebd. S. 156. 33 Vgl. Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, München 1980, §44 II 3b, S. 957. 34 BVerfGE 2, 143-181, Rn. 127. 35 Vgl. Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 957. 7 ist36; aufgrund der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse, der Redeanteile im Parlament, sowie der öffentlichen Aufmerksamkeit für beide Seiten. 5. Möglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht Die Opposition hat mehrere Möglichkeiten, vor dem Bundesverfassungsgericht in Erscheinung zu treten. Einige davon sind im (Grund-) Gesetz festgeschrieben, bei anderen handelt es sich um nicht institutionalisierte Einflussmöglichkeiten. 5.1 Klagemöglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht Obwohl die Opposition als Gruppierung nicht im Grundgesetz festgeschrieben ist, ist es doch anerkannt, dass es ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht der Minderheit gibt, vor dem Bundesverfassungsgericht Klagen einzureichen37. Im Folgenden erläutere ich die verschiedenen Möglichkeiten zur Einreichung einer Klage, einzelne Voraussetzungen dafür sowie die Bedeutung dieser Klagearten. 5.1.1 Bund-Länder-Streit Im Bund-Länder-Streit entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 I Nr. 3 GG Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder. Diese „Meinungsverschiedenheiten“ können unter anderem die Nichtwahrnehmung von Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten in Organen der EU durch die Bundesregierung, ein Handeln in privatrechtlicher Gestalt oder ein Gesetz sein38. Antragssteller*in und Antragsgegner*in können nach §68 BVerfGG die Bundesregierung oder eine Landesregierung sein. Der Großteil dieser Verfahren wird von Landesregierungen initiiert, die von der Opposition besetzt sind39. Oft geschieht das allerdings, weil Landesrecht betroffen ist. Es gibt keinen Beleg dafür, dass eine Landesregierung ein Verfahren für die zu kleine parlamentarische Opposition übernommen hat40. Im überwiegenden Teil der Fälle dient der Bund-Länder-Streit also nicht dem Austragen von parteipolitischen Streitigkeiten41. 36 Vgl. Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 79. Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 32, sowie Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 216. 38 Vgl. Morgenthaler, Gerd in Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 93 Rn. 41. 39 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 221. 40 Vgl. ebd. S. 221f. 41 Vgl. ebd. S. 223. 37 8 5.1.2 Verfassungsbeschwerde Verfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG können von Einzelpersonen oder von juristischen Personen, in Form von betroffenen Verbänden oder Initiativen42, erhoben werden. Für die parlamentarische Opposition als Gruppierung im Bundestag kommt diese Verfahrensart also nicht in Betracht. Für sie besteht aber die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerden zu unterstützen und sich so politisch einzubringen43. Allerdings muss für das Einlegen einer Verfassungsbeschwerde nach §90 II 1 B VerfGG der Rechtsweg erschöpft sein. Aus diesem Grund dauert es in den meisten Fällen sehr lange, bis eine Verfassungsbeschwerde eingelegt werden kann. Sie stellt daher kein verlässliches, schnell wirksames politisches Mittel dar44; auch weil eine Entscheidung aus diesem Grund meist in eine Zeit fällt, in der der große politische Druck bereits vorüber ist45. Na ja,… also wenn ich da an so manche Verfassungsbeschwerde insbesondere im Bereich des Europarechts denke… die haben schon erhebliche politische Wirkung entfaltet… Auch über eine Verfassungsbeschwerde können Normen überprüft werden: entweder direkt oder indirekt über Beschwerden gegen Gerichtsurteile46. 5.1.3 Organstreitverfahren Das Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1 GG ist schon qua Verfassung ein kontradiktorisches Verfahren. Antragsgegner*in gegenüber. Es stehen Nach §63 sich Antragssteller*in BVerfGG können und das Bundespräsident*in, Bundestag, Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder der Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe sein. Zu diesen Organen zählen einzelne Abgeordnete, Fraktionen (in Prozessstandschaft für den gesamten Bundestag) und politische Parteien47. Vgl. Morgenthaler, Gerd in Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 93 Rn. 55. Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 224. 44 Vgl. ebd. 45 Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 63. 46 Vgl. von Beyme, Klaus: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 419. 47 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 218. 42 43 9 Über ein Organstreitverfahren kann jedes Handeln oder Unterlassen des*r Antragsgegner*in überprüft werden, und damit auch Norm48. eine Voraussetzung ist aber, dass durch diese Norm spezifische, im Grundgesetz festgeschriebene, Rechte oder Pflichten des*r Antragssteller*in verletzt sein könnten49. Das schränkt den Kreis der überprüfbaren Normen erheblich ein. Fast alle Organstreitverfahren wurden bisher durch die Opposition beantragt 50, aus diesem Grund wird es auch als „ausgesprochen oppositionelles Instrument“51 bezeichnet. 5.1.4 Abstrakte Normenkontrolle Bei der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG gibt es dagegen keine*n Klagegegner*in, sondern hier ist ein Gesetz der Antragsgegenstand. Berücksichtigt man aber, dass Gesetze von der Regierung bzw. von der Regierungsmehrheit beschlossen werden, richtet sich auch eine Normenkontrolle im Ergebnis gegen die Regierung52, das Verfahren wird dadurch „praktisch streitähnlich (i. O. fett gedruckt; Die Verf.)“53. Antragsberechtigt sind nach §76 I BVerfGG die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestags. Auch hier gibt es keinen Beweis dafür, dass eine Landesregierung bisher ein Verfahren für die parlamentarische Opposition geführt hat, weil diese nicht antragsberechtigt war54. Die politisch bedeutsamsten Klagen wurden durch die Opposition eingebracht, auch wenn diese insgesamt nur wenige Anträge einbringt55. Eigentlich dreht sich die abstrakte Normenkontrolle allein um die „Wahrung des höherrangigen objektiven Rechts, nicht um irgendwelche subjektive Rechtspositionen“56. Sie birgt aber die Möglichkeit in sich, ein Gesetz, auch ein Zustimmungsgesetz zu völkerrechtlichen Verträgen57, verwerfen zu lassen und Vgl. Morgenthaler, Gerd in Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 93 Rn. 24. Vgl. ebd. Art. 93 Rn. 23. 50 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 217 sowie Stern, Klaus zu Art. 93 in: Kahl, Wolfgang / Waldhoff, Christian / Walter, Christian [Hrsg]: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 44. Lieferung (Zweitbearbeitung Art. 93 / März 1982), Heidelberg 1991, Art. 93 Rn. 76. 51 Stern, Klaus in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 93 Rn. 76. 52 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 219. 53 Stern, Klaus in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 93 Rn. 206. 54 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 221f. 55 Vgl. ebd. S. 220. 56 Stern, Klaus in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 93 Rn. 202. 57 wie in BVerfGE 36, 1 zum Grundlagenvertrag. 48 49 10 verleiht damit dem*der Antragssteller*in relativ große Macht. Sie ist damit „vor allem ein Instrument des Schutzes der Minderheiten und der Opposition“58. 5.2 Nicht-institutionalisierte Möglichkeiten Neben den institutionalisierten Klagemöglichkeiten stehen der Opposition aber auch andere Wege offen, ihre Ziele in Zusammenarbeit mit dem Bundesverfassungsgericht durchzusetzen. 5.2.1 Kontrolle im Vorhinein Eine Möglichkeit ist die Ausübung von Kontrolle im Vorhinein durch die bloße Androhung einer Klageerhebung59: Eine solche Drohung kann schon „verfassungswidrige Interessensverletzungen“60 durch die Mehrheit verhindern. Die Interessen der Opposition können durch so eine Vorab-Kontrolle schon im Vorhinein bedacht werden61, aus diesem Grund hält Beyme die antizipatorische Wirkung für wichtiger als die ex post facto Kontrolle im Nachhinein62. Allerdings besteht die Gefahr, dass dadurch die Politik gelähmt wird, weil sie eine verfassungsrechtliche Kontrolle umgehen will63. 5.2.2 Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen Die Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen ist zwar institutionalisiert, allerdings besteht auch hier informell die Möglichkeit der Einflussnahme durch die Opposition64. Die Bundesverfassungsrichter*innen werden jeweils zur Hälfte vom Bundesrat und vom Wahlausschuss des Bundestags mit einer 2/3-Mehrheit gewählt (Art. 94 I 2 GG, §6 BVerfGG). Die Anforderung einer 2/3-Mehrheit führt dazu, dass sich die beiden großen Parteien, CDU/CSU und SPD, die Richter*innensitze untereinander aufteilen65: Der*die Kandidat*in der „Gegenseite“ wird unter der Auflage gewählt, dass auch der*die eigene Kandidat*in 2/3 der Stimmen bekommt. 58 von Beyme, Klaus: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 415. Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 34. 60 Kelsen, Hans: Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, S. 81. 61 Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 35, sowie Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 224f. 62 Vgl. von Beyme, Klaus: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 413. 63 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 225. 64 Vgl. Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 132. 65 Vgl. Landfried, Christine: Die Wahl der Bundesverfassungsrichter und ihre Folgen für die Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: van Ooyen, Robert Chr. / Möllers, Martin H. W. [Hrsg.]: Das Bundesverfassungsgericht im politischen System, Wiesbaden 2006, S. 234. 59 11 Wie schon oben angesprochen, entscheidet das Bundesverfassungsgericht auch über politische Streitfragen66. Daher ist es für die Parteien wichtig, das Gericht mit Richter*innen zu besetzen, die zumindest eine ähnliche politische Anschauung haben wie sie selbst. Haben CDU/CSU und SPD zusammen keine 2/3-Mehrheit, kann die Opposition auf die Wahl Einfluss nehmen. Es kann zum Beispiel sein, dass der kleineren Koalitionspartei in der Regierung ein Richter*innenposten überlassen wird67. 6. Möglichkeiten der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht unter den Mehrheiten des 18. Bundestags Welche dieser Möglichkeiten sind unter den aktuellen Mehrheitsverhältnissen noch umsetzbar? „Das Grundgesetz legt keine Mindestgröße für Opposition fest“68. Aktuell haben die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen 127 von 631 Sitzen des Deutschen Bundestages inne69. Damit besitzen sie für viele parlamentarische Verfahren, wie das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses, nicht mehr die erforderlichen Mehrheiten. Aus diesem Grund wurde zwar die Geschäftsordnung des Bundestags geändert70, dem Versuch der Fraktion Die Linke, das Grundgesetz zu ändern, wurde allerdings nicht stattgegeben71. Da bei der abstrakten Normenkontrolle damit immer noch erst ¼ der Mitglieder des Bundestags antragsberechtigt sind, steht der Opposition dieser Klageweg nicht mehr offen; Organstreitverfahren, Verfassungsbeschwerde und Bund-Länder-Streit sind dagegen auch weiterhin möglich. Auch auf das Wahlverfahren der Richter*innen am Bundesverfassungsgericht kann die Opposition keinen Einfluss nehmen: CDU/CSU und SPD sind, 66 Vgl. Sontheimer, Kurt / Bleek, Wilhelm / Gawrich, Andrea: Grundzüge des politischen Systems Deutschlands, S.156. 67 Vgl. Landfried, Christine: Die Wahl der Bundesverfassungsrichter und ihre Folgen für die Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 234. 68 Korte, Karl-Rudolf: Über das Politikmanagement einer modernen Opposition, APuZ 38-39 2014, S. 12. 69 Vgl. Deutscher Bundestag, vertreten durch Prof. Dr. Norbert Lammert, http://www.bundestag.de/bundestag/plenum/sitzverteilung_18wp [abgerufen am 11.08.15, Stand Oktober 2013]. 70 Vgl. Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache18/481 vom 11.02.2014: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/004/1800481.pdf [abgerufen am 14.08.2015], dazu auch: Stoltenberg, Helmut: „Auch ohne Mehrheit“, Das Parlament Nr. 15, 2014, nachlesbar z.B. auf https://www.das-parlament.de/2014/15/Innenpolitik/50502012/327012 [abgerufen am 14.08.2015]. 71 Vgl. Stoltenberg, Helmut: „Auch ohne Mehrheit“. 12 zumindest im Bundestag, nicht auf die Stimmen der kleineren Parteien angewiesen um eine 2/3-Mehrheit zu erreichen. Zwar sind sie im Bundesrat auf die Stimmen von Landesregierungen mit Beteiligung anderer Parteien angewiesen, allerdings sind diese zahlenmäßig zu klein, um Druck auszuüben. 6.1 Bedeutung der Einschränkung dieser Möglichkeiten Was bedeutet nun die Einschränkung dieser Möglichkeiten für die Opposition, vor allem hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Funktionen? An den Möglichkeiten, eine Alternativ-Politik anzuzeigen oder die Regierung zu kritisieren, hat sich nichts geändert. Allein die Ausübung der Kontrollfunktion könnte erschwert worden sein. Diese Kontrollfunktion besteht, wie erwähnt, aus der politischen Richtungskontrolle, der Effizienz- und der Rechtskontrolle72. Die politische Richtungskontrolle wird nicht beeinträchtigt, sie kann weiterhin über Öffentlichkeitsarbeit und parlamentarische Befugnisse ausgeübt werden. Vergleichbar ist dies auch bei der Effizienzkontrolle der Fall. Allein die Rechtskontrolle könnte verstärkt eingeschränkt worden sein. Die weggefallene abstrakte Normenkontrolle wird als „die wirksamste rechtliche Kontrollmöglichkeit gegenüber der Regierungsmehrheit“73 bezeichnet (Allerdings!). Mit diesem Mittel kann sich die Opposition, wie oben erläutert, in einem prinzipiell nicht kontradiktorischen Verfahren an das Bundesverfassungsgericht mit der Bitte nach objektiver verfassungsrechtlicher Kontrolle einer Norm wenden. Normen können prinzipiell immer noch über Bund-Länder-Streitigkeiten, Verfassungsbeschwerden oder Organstreitverfahren überprüft werden, allerdings steht hier nur das Organstreitverfahren der parlamentarischen Opposition ohne den Umweg über andere Akteur*innen offen. Dazu kommt, dass dieser Klageweg nur eröffnet ist, wenn, wie oben erwähnt, die Norm den*die Antragssteller*in spezifisch in ihren im Grundgesetz verliehenen Rechte oder Pflichten verletzen könnte74. Damit fehlt der Opposition eine Möglichkeit, jede Norm auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung überprüfen lassen zu können. Bereits als diese Situation noch nicht eingetreten war, sah Stüwe durch einen erschwerten Zugang zur abstrakten Normenkontrolle die Gefahr „einer weiteren 72 Vgl. Eschenburg, Theodor: Staat und Gesellschaft in Deutschland, S. 608f sowie Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 232. 73 Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 227. 74 Vgl. Morgenthaler, Gerd in Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 93 Rn. 23. 13 Schwächung der Kontrollfähigkeit der parlamentarischen Minderheit“75; Rasehorn befürchtete bei der Aufhebung (unglücklicher Begriff, die ist ja nicht „aufgehoben“… )der abstrakten Normenkontrolle dass „das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition kaum erträglich neurotisiert und hysterisiert“76 würde. Problematisch ist dabei auch, dass die Kontrolle im Vorhinein wegfällt: Eine Klageandrohung kann nur als Drohung wirken, wenn tatsächlich die Möglichkeit zu klagen besteht. Im Fall der abstrakten Normenkontrolle steht der Opposition diese Möglichkeit allerdings nur noch über den Umweg der Übernahme des Verfahrens durch eine Landesregierung offen. Im Bundesrat ist die schwarz-rote Koalition bei Abstimmungen zwar auch auf Stimmen von Landesregierungen mit Beteiligung von Grünen, Linken oder FDP angewiesen77, allerdings kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Bundesrat insgesamt eine solche Klage der Opposition übernimmt. Aus dem Streben nach Konsens kann nicht gefolgert werden, dass der Bundesrat für die Opposition aktiv wird, wie es für das Einbringen einer Klage nötig wäre. Auch für die Übernahme einer Klage durch Landesregierungen gibt es, wie schon mehrfach erwähnt, keine Belege in der Vergangenheit78 Das nicht – aber es haben sich schon oft „oppositionelle“ Länder den Klagen der BT-Opposition angeschlossen. Warum sollte eine „oppositionelle“ Mehrheit also nicht an stelle der BT-Opposition tätig werden? Dagegen spricht vielmehr, dass die O-Länder stets von einer der Bundesregierungsparteien mitregiert werden!Wenn eine oppositionelle Landesregierung ein Verfahren übernimmt, dann weil auch speziell Landesinteressen betroffen sind79. Voraussetzung dafür ist aber stets, dass die Opposition die komplette Regierung stellt und nicht nur Juniorpartner*in ist80. 75 Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 227. Rasehorn, Theo: Aus einer kleinen Residenz. Zum Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts in Däubler, Wolfgang / Küsel, Gudrun [Hrsg.]: Verfassungsgericht und Politik, Reinbek bei Hamburg 1979, S. 167. 77 Vgl. Korte, Karl-Rudolf: Über das Politikmanagement einer modernen Opposition, S. 11. 78 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 221f. 79 Vgl. ebd. S. 221. 80 Vgl. ebd. 76 14 6.2 Unerheblichkeit der Einschränkung dieser Möglichkeiten? Doch muss Opposition überhaupt Klage erheben können? Oder ist es nicht sogar problematisch, dass die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht relativ große Macht hat, ohne diese Macht von den Wähler*innen, in Form einer Mehrheit bei Wahlen, bekommen zu haben81? Auch wenn die Opposition keine Mehrheit hat und damit nicht demokratisch legitimiert ist, so besteht doch eine rechtsstaatliche Legitimation der Kontrolle82: Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Opposition angewiesen, um Handeln der Regierung und beschlossene Normen überprüfen zu können83, denn es ist antragsgebunden: Gibt es kein*e Kläger*in, gibt es auch kein*e Richter*in und keinen Urteilsspruch. Für eine wirksame verfassungsrechtliche Kontrolle ist es daher essentiell, dass die Opposition Zugang zum Bundesverfassungsgericht hat, da sie allein das politische Interesse daran hat, die Regierung zu kontrollieren84. Das bedeutet also, dass die „normative Kraft der Verfassung gestärkt wird“85, selbst wenn die Verfassungsgerichtbarkeit für den politischen Kampf der Opposition genutzt wird. Doch die Einschränkung der Klagemöglichkeiten der Opposition könnten noch aus einem anderen Grund unerheblich sein: Empirisch gesehen sind Klagen der Opposition nicht oft erfolgreich86. Anträge durch parlamentarische Minderheiten fallen eher negativ für diese aus, durch Landesregierungen angestrebte Klagen haben eine knapp positive Erfolgsbilanz87. Doch aus fehlendem Erfolg in der Vergangenheit kann nicht darauf geschlossen werden, dass auch in der Zukunft Klagen der Opposition keinen Erfolg haben werden. Eine „eher negative“ Erfolgsbilanz bedeutet auch, dass zumindest einige Klagen erfolgreich waren, in denen sich die Regierung verfassungswidrig verhalten hat, bzw. in denen Normen verfassungswidrig waren. Hinzu kommt, dass in der Vergangenheit die Klagen der Opposition, die erfolgreich waren, eine umso größere politische Strahlkraft hatten88. 81 Angesprochen z.B. bei Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 33f. sowie bei Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 227. 82 Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 227. 83 Vgl. Stüwe, Klaus: Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht, S. 77 84 Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 32. 85 Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 226. 86 Vgl. Stüwe, Klaus: Recht und Politik beim Bundesverfassungsgericht, S. 33. 87 Vgl. Stüwe, Klaus: Bundesverfassungsgericht und Opposition, S. 226. 88 Vgl. ebd. 15 Außerdem wird angeführt, dass Kontrollmaßnahmen der Opposition nur dann angebracht sind und steigen müssten, wenn die Regierung aufgrund ihrer großen Mehrheit übermütig wird und fehlerhaft und vorschnell agiert89. Auch dieses Argument spricht aber nicht dagegen, dass es prinzipiell Kontrollmöglichkeiten durch die Opposition geben muss. 7. Fazit Astrid Lorenz hatte in ihrem Beitrag bereits beschrieben, dass die Kontrollmöglichkeiten der*s Bundespräsident*in, des Bundesverfassungsgerichts und der Opposition nicht auf den Fall einer Großen Koalition ausgelegt sind und dann nur eingeschränkt funktionieren90. Sie stellte sich die Frage, ob deren Instrumente einen Schutz vor der 2/3-Mehrheit der Großen Koalition bieten könnten, und beantwortete dies mit einem „Ja mit Zweifeln“91. Betrachtet man allerdings allein das Zusammenspiel von Opposition und Bundesverfassungsgericht, sind diese Zweifel erheblich größer: Tatsächlich fällt durch die neuen Mehrheitsverhältnisse allein die Möglichkeit der Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle weg. Alle anderen Verfahren stehen der parlamentarischen Opposition weiterhin offen. Auch die abstrakte Normenkontrolle könnte theoretisch über einen Umweg über weitere unterstützende Akteur*innen, wie eine Landesregierung, weiterhin erhoben werden. Dies geschieht in der Praxis aber nicht, zumindest war es in der Vergangenheit nicht der Fall. Damit fehlt der Opposition die Möglichkeit, jede Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin prüfen lassen zu können. Damit verbunden ist auch, dass kein Druckmittel gegen die Regierung mehr besteht: Die Opposition kann die Regierung nicht durch die Androhung einer Klage zum verfassungskonformen Verhalten im Vorhinein bewegen. Damit wird die Kontrollfunktion, insbesondere die Rechtskontrolle, der Opposition stark eingeschränkt. Selbst wenn der Opposition andere Möglichkeiten der Kontrolle bleiben, wie beispielsweise das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses, so fällt doch die Möglichkeit weg, Normen vom Bundesverfassungsgericht kontrollieren und im Ernstfall aufheben zu lassen. Die Große Koalition kann sich also darauf verlassen, dass von ihr beschlossene 89 Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 63. Vgl. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? S. 81. 91 Vgl. ebd. 90 16 Normen nicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft werden. Da die Opposition keinen Zugang zur abstrakten Normenkontrolle hat, hat damit auch das Bundesverfassungsgericht, mangels einer*s potentiellen Kläger*in, nicht die Möglichkeit, über diese Normen zu urteilen. Dies bedeutet einen starken Einschnitt für die Möglichkeiten der Opposition, ihre Arbeit vor dem Bundesverfassungsgericht wird also stark beschränkt. Ändern würde dies nur eine Öffnung der Antragsberechtigung für die Opposition und damit eine Änderung des Grundgesetzes, was jedoch politisch nicht gewollt ist92. Ungeachtet der etwas unglücklich formulierten Fragestellung und der anfangs etwas sehr weiten Definition von Opposition, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit kaum noch Bezug genommen wird, ist die Struktur der Arbeit durchaus überzeugend. Die Fragestellung knüpft letztlich, wie der Bezug auf die Beiträge von Lorenz und Stüwe zeigen, an eine aktuelle Forschungsdiskussion an. Sie wird sinnvoll untersucht und überzeugend beantwortet. Etwas mehr hätte die Arbeit allerdings gewonnen, wenn ein paar aktuelle Zahlen hinzugenommen worden wären (Zahl und ggf. Antragsteller bei BVerfG-Verfahren seit 2013?). Literaturverzeichnis (eigene Seite!) von Beyme, Klaus: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, 11., vollständig überarbeitete Auflage, Wiesbaden 2010. Eschenburg, Theodor: Staat und Gesellschaft in Deutschland, München 1963. Kelsen, Hans: Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 5, Berlin und Leipzig 1929, S. 30-84. 92 Schließlich wurde ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes abgelehnt, Vgl. Stoltenberg, Helmut: „Auch ohne Mehrheit“. 17 Korte, Karl-Rudolf: Über das Politikmanagement einer modernen Opposition, APuZ 38-39 2014, S. 8-14. Landfried, Christine: Die Wahl der Bundesverfassungsrichter und ihre Folgen für die Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: van Ooyen, Robert Chr. / Möllers, Martin H. W. [Hrsg.]: Das Bundesverfassungsgericht im politischen System, Wiesbaden 2006, S. 229-241. Lorenz, Astrid: Schutz vor der Mehrheitstyrannei? Parlamentarische Opposition, Bundesverfassungsgericht und Bundespräsident als Kontrolleure der Zweidrittelmehrheit in: Bukow, Sebastian / Seemann, Wenke [Hrsg.]: Die Große Koalition, Regierung – Politik – Parteien, 2005 – 2009, Wiesbaden 2010, S. 5984. Morgenthaler, Gerd zu Art. 93 in: Epping, Volker / Hillgruber, Christian [Hrsg.]: Beck’scher Online-Kommentar GG, Edition 25, München 2015. Oberreuter, Heinrich: Einleitung in: Oberreuter, Heinrich [Hrsg.]: Parlamentarische Opposition. Ein internationaler Vergleich, Hamburg 1975, S. 8-24. Rasehorn, Theo: Aus einer kleinen Residenz. Zum Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts in Däubler, Wolfgang / Küsel, Gudrun [Hrsg.]: Verfassungsgericht und Politik, Reinbek bei Hamburg 1979, S. 149-168. Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden 2011. Schlaich, Klaus / Korioth, Stefan: Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 9., neu bearbeitete Auflage, München 2012. Schmid, Carlo: Die Opposition als Staatseinrichtung, abgedruckt in Schumann, Hans-Gerd [Hrsg.]: Die Rolle der Opposition in der Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 1976, S. 53-65. 18 Schüttemeyer, Suzanne S.: Opposition in: Nohlen, Dieter / Schultze, RainerOlaf [Hrsg.]: Lexikon der Politikwissenschaft, Band 2 N-Z, 4. Auflage, München 2010, S. 685-686. Sontheimer, Kurt / Bleek, Wilhelm / Gawrich, Andrea: Grundzüge des politischen Systems Deutschlands, völlig überarbeitete Neuausgabe, München 2007. Steffani, Winfried: Opposition in: Röhrig, Hans-Helmut / Sontheimer, Kurt: Handbuch des deutschen Parlamentarismus, München 1970. Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, München 1980. Stern, Klaus zu Art. 93 in: Kahl, Wolfgang / Waldhoff, Christian / Walter, Christian [Hrsg]: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 44. Lieferung (Zweitbearbeitung Art. 93 / März 1982), Heidelberg 1991. 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Stoltenberg, Helmut: „Auch ohne Mehrheit“, Das Parlament Nr. 15, 2014, https://www.das-parlament.de/2014/15/Innenpolitik/50502012/327012 [abgerufen am 14.08.2015] Deutscher Bundestag, vertreten durch Prof. Dr. Norbert Lammert, http://www.bundestag.de/bundestag/plenum/sitzverteilung_18wp [abgerufen am 11.08.2015, Stand Oktober 2013]. Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache18/481 vom 11.02.2014: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/004/1800481.pdf [abgerufen am 14.08.2015]. BVerfGE 2, 143-181. BVerfGE 36, 1. BVerfGE 68, 1-132. Grundgesetz, Bundesverfassungsgerichtsgesetz. 20