Die Radiosendung war sehr erfolgreich verlaufen und die

Werbung
Die Radiosendung war sehr erfolgreich verlaufen und die Realisierung des
Klinikanbaus war ein deutliches Stück näher gerückt. Lisa und der Moderator der
Sendung lagen auf einer gemeinsamen Empathiewelle und dadurch beflügelt ging die
Sendung locker und flockig über den Äther. Neben den finanziellen Zuwendungen hatte
Sanders wohl einige positive Rückmeldungen bekommen, so dass er ohne Murren
ihren einwöchigen Urlaubsantrag unterschrieb.
Als Lisa in ihrem azurblauen Beetle gen Süden rauschte, war sie froh, dem Drängen
von Sebastian nachgegeben zu haben, um einige Tage in der Provence zu verbringen.
Sie liebte dieses Fleckchen Erde. Wenn immer sie dort war, ging sie in der Landschaft
auf und konnte sich völlig entspannen. Spontan fiel ihr kein weiterer Ort an, der sie so
schnell in Urlaubsstimmung versetzte.
Lisas Eltern hatten sich große Teile des Luberons angeschaut, bevor sie schließlich
ein geeignetes Grundstück gefunden hatten. Mit bedingt durch die vielfachen
Behördengänge bei den unterschiedlichen französischen Ämtern, die zahlreichen
Bauauflagen, die zu beachten waren und ihr berufliches Engagement hatte es viele
Jahre dauerte, bis das Haus endlich als Ferienhaus bewohnbar wurde. Und es gab
immer noch einiges zu tun. Nachdem im letzten Jahr der Swimmingpool fertiggestellt
worden war, musste nun der Garten zumindest teilweise wieder neu angelegt werden.
Aber ohne einen Pool ließ sich ein Sommer mit Kindern im Luberon nicht ertragen.
Aimée, ihre Nachbarin, hatte verständnisvoll mit dem Kopf genickt, als sie
beobachtete, wie die Bauarbeiter die Erde ausschachteten: „Ihr tragt dazu bei, dass die
Statistik für den Luberon aufrechtgehalten wird!“
Als Lisa sie fragend anschaute, erklärte sie: „Im Luberon gibt es die höchste Anzahl
von piscine pro Einwohner in Frankreich!“
Lisa wunderte das nicht, wenn sie die große Anzahl an wohlhabenden residence
secondaire sah, die es in ihrem Umkreis gab.
Aber einen Feriensitz in der Provence zu haben, war auch mit einer gehörigen
Portion Geduld und Standvermögen verbunden. Es war äußerst mühsam, Reparaturen
oder Umbauten in der befristeten Zeit eines Urlaubs fertig zu stellen. Meistens blieb die
angefangene Arbeit als unvollendetes Werk liegen, und Lisa musste ihre ganze
Überredungskunst anwenden, dass Sebastian die begonnene Arbeit schließlich
beendete.
Jetzt wollte sie noch einige Kleinigkeiten für das Haus kaufen. Es fehlte ein größeres
Bett für Laurianne, Kommoden und einige Bilder, um das Haus gemütlicher zu
gestalten.
„Komisch“, dachte sie sich. „Nun fahre ich soweit, um das zu machen, wozu ich
daheim nie komme.“
Wurden Häuser und Wohnungen als ein Spiegel dafür bewertet, wie viel Zeit ihre
Bewohner dort verbrachten, konnte man bei ihnen deutlich sehen, dass sie beide nicht
häufig zu Hause waren. Zu Weihnachten gab es bei ihnen keine
schleifengeschmückten Tannenzweige und zu Ostern fehlten die selbstbemalten Eier.
Im nächsten Jahr würde sich das vermutlich ändern, wenn Laurianne in den
Kindergarten kam und selber Sachen bastelte.

Auf ihrer Fahrt in den Süden kam Lisa gut voran. Hinter Lyon öffnete sich die
Wolkendecke, der Himmel wurde weiter und das Klima mediterraner. In Orange verließ
Lisa die Autobahn. Mit zunehmender Entfernung erschien der tägliche Ärger in der
Klinik fast irreal und weit weg. Als sie an dem alten römischen Triumphbogen
vorbeifuhr, musste sie die Musik im Auto lauter stellen. Edith Piaf sang: „Non, je regrette
rien.“ Lisa summte den Refrain mit. In der Ferne zeichneten sich die letzten
Sonnenstrahlen auf den Bergketten des großen und kleinen Luberon ab. Jetzt ging es
noch den Berg nach Lagnès hoch. Hinter der verfallenen Burg bog sie ab und stoppte
vor dem erleuchten Steinhaus.
Ihre Nachbarn, Flavien und Aimée, schauten während ihrer Abwesenheit regelmäßig
nach dem Haus und sorgten unter anderem dafür, dass der Kühlschrank für die ersten
Tage gefüllt war.
Erwartungsvoll schloss Lisa die alte, schwere Haustür auf und legte den
Schlüsselbund auf den langen Pinien Esstisch. Als sie im Wohnraum die großen
Flügeltüren mit den Fensterläden öffnete, durchflutete angenehm kühle, provenzalisch
aromatisierte Luft das Haus. Draußen zirpten die Grillen. Der Vollmond spiegelte sich
im Wasser des Swimmingpools. Wären jetzt noch Laurianne und Sebastian hier, es
wäre perfekt.
Am nächsten Morgen weckten sie die ersten Sonnenstrahlen, die ins Zimmer fielen.
Es dauerte einige Sekunden, bis sie die wohlige Morgenwärme und den Geruch von
Thymian, der von draußen ins Zimmer schwebte, zuordnen konnte. Wohlig kuschelte
sie sich nochmals in ihre Bettdecke. Fünf endlose Tage Provence und Müßiggang lagen
vor ihr. Fünf Tage, in denen sie ihre Gedanken neu ordnen und sich neue Ziele stecken
konnte. Fünf Tage, an denen sie unbeschwert die südliche Sonne genießen konnte.
Die Terracottafliesen unter ihren Füßen waren schon leicht angewärmt, als sie zwei
Stunden später auf der Terrasse ihren morgendlichen Cafe au lait nur eingehüllt in
ihrem Bademantel genoss. Vor ihr lagen die Weiten der provenzalischen Landschaft.
Kleine Orte schmiegten sich an die Hänge; ab und zu blitzte in der Ferne ein Auto auf,
das vom Sonnenschein angestrahlt wurde. Heute würde sie einmal den Sonntag als
den siebten Tag in der Woche zelebrieren. Und was machte ein guter Provenzale am
Sonntag? Er ging nach l´Ile sur la Sorgue zum Markt! Unwillkürlich fingen Lisas Zehen
vor Freude an zu wippen. Zum Glück war es noch nicht zu spät, so dass sie noch die
frühmorgendliche Idylle genießen konnte.
Der sonntägliche Markt in dem kleinen Ort hatte sich als eine der
Haupttouristikattraktionen der Region entwickelt. In der Ferienzeit gab es dort zur
Mittagszeit kein Durchkommen mehr. Dennoch ließen sich immer noch schöne Plätze
finden, auf denen man bei einem Kaffee das bunte Treiben an der Sorgue, die sich
malerisch als gurgelnder Bach durch den Ort schlängelte, beobachten konnte. Für die
vielen Antiquitätenhändler, deren Geschäfte sich auf der anderen Seite des Flusses
aufreihten, war der Sonntag der Haupteinnahmetag für ihren brocante.
Unbeschwert schlenderte Lisa durch die kleinen Gassen der Stadt. Die südliche
Schönheit des Ortes faszinierte sie immer wieder aufs neue. Wie harmonisch die
kleinen Häuser, die aus den unebenen geschlagenen Steinen der Umgebung gebaut
waren, die warmen Strahlen der Morgensonne reflektierten und sich in die Landschaft
eingliederten. Als sie in nächste Gasse einbog, empfing sie das geschäftige Treiben
des Marktes. An einer Straßenecke bot ein alter Mann in einigen kleinen Körben reife
Tomaten und Kartoffeln an, daneben gab es frisch gepresstes Olivenöl, das in
Steingefäßen abgefüllt wurde.
Sebastian hatte ihr aufgetragen, Käse mitzubringen. Bei dem riesigen Angebot
unterschiedlichster Käsesorten, die auf dem Markt angeboten wurden, war das eine
wirkliche Herausforderung: Schafskäse, Ziegenkäse, Camembert, Rohmilchkäse, Käse
mit frischen Kräutern, lange gereifte Käsesorten, das Angebot schien kein Ende zu
nehmen. Riesige Berge sorgfältig aufgestapelter Sorten türmten sich in den
Verkaufsständen. Lisa hatte von Aimée vor einiger Zeit ein Käselexikon geschenkt
bekommen, in dem die verschiedenen Käsearten mit dem dazu passenden Wein- und
Brotsorten beschrieben wurden. Ein wahrhaft französisches Buch, das sich vor allem
bei den Touristen zu einem Verkaufshit entwickelt hatte. Vor einem Käsestand, an dem
sie schon häufiger eingekauft hatte, blieb sie stehen.
„Goutez, goutez!“ rief der Verkäufer ihr ermunternd entgegen und hielt ihr ein Stück
vom aktuellen Tagesangebot unter die Nase.
Die nächste halbe Stunde war mit Kosten, Riechen, Aussuchen und intensiven
Diskussionen ausgefüllt, welcher Ziegenkäse zu welchem Salat am besten passte. Die
bisher ausgewählten Käsesorten türmten sich schon zu einem kleineren Berg. Lisa war
aber immer wieder überrascht, wie schnell diese Käseberge wieder in ihrem Haushalt
zusammenschrumpften. Käse am Morgen, Käse zur Verfeinerung des Salats, als
Vorspeise Frischkäse auf warmem Brot, eine schier unendliche Variationsbreite tat sich
auf. Spätestens in der Mitte der Woche sehnte Sebastian den Sonntag herbei, um
wieder seinen Käsekaufexzessen frönen zu können. Übernahm Lisa diese Aufgabe –
was selten geschah, da Sebastian ungern auf diese Tätigkeit verzichtete - wurde streng
kontrolliert, welche Auswahl sie getroffen hatte und ob Wahl, Preis und Menge
angemessen waren.
Erschöpft setzte sie sich schließlich mit ihren gut gefüllten Käsetüten an einen Tisch
des Café de France gegenüber der Kirche. Mit Sonnenbrille, modischem Strohhut und
ihrem kurzgeschnittenen Sommerkleid war sie kaum von den Pariserinnen zu
unterscheiden, die an einigen der Nebentische saßen.
Ein unliebsames Thema bei Provenzalen: Kam man bei einer provenzalischen Fête
auf Paris zu sprechen, wurde das als willkommener Anlass für eine hitzige Debatte
genommen, um sich als Südfranzose über die Hauptstadt-Invasion zu echauffieren:
Diese Pariser! Sie wollten immer als erste in den Geschäften bedient werden, nahmen
überall ihre minisculen Hunde mit, die nur die Bürgersteige verunreinigten, glänzten
durch ihre Blasiertheit und Blässe und joggten in der Mittagshitze durch die flirrende
provenzalische Landschaft. „Ils sont fous, les Parisiennes!“ war eine vielgenutzte
Redewendung unter den Südfranzosen. Sogar Deutsche und Briten schienen den
Provenzalen eher willkommen zu sein, als die ungeliebten 75iger Pariser
Nummernschilder auf den Autos.
Als Lisa sich auf dem Platz umschaute, stellte sie erstaunt fest, dass sie an einem
entfernten Nachbartisch ein ihr bekanntes Gesicht aus München sah: Jan Kristensen.
Er war seit dem letzten Jahr Direktor einer Universitätsklinik in München und auf den
Lehrstuhl für Anästhesiologie berufen worden. Vor einigen Monaten hatte Lisa ihn im
Rahmen einer gemeinsamen Studie näher kennengelernt. Anfangs imponierte er als
typisch norddeutschen Charakter: Groß, blond und sehr reserviert. Hatte er allerdings
einmal Vertrauen gefasst, taute seine kühle Oberfläche allmählich auf, und es kam eine
durchaus liebenswürdige und charmante Seite zum Vorschein. Er war in einige vor ihm
liegende Papiere vertieft und schien das Treiben um ihn herum gar nicht
wahrzunehmen.
Herunterladen