Definition Sozialfall!

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Definition Sozialfall! Was ist der Gegenstand der Sozialen
Arbeit?
Was ist ein Sozialfall in der heutigen Zeit? Wer sind die Adressaten und
Adressatinnen der Sozialen Arbeit? Wie wird ein Mensch ein Sozialfall? Im
folgenden Artikel werden verschiedene, aktuelle Gegenstandstheorien von
Theoretikerinnen und Theoretikern der Sozialen Arbeit aufgezeigt und
verglichen.
In der Medienlandschaft Schweiz wurde in letzter Zeit viel über die Sozialhilfe und vor allem
Sozialhilfebetrügerinnen und Sozialhilfebetrügern berichtet. Immer wieder hört man das Wort
„Sozialfall“. Aber was ist eigentlich ein Sozialfall? Nach Duden ist ein Sozialfall eine Person, welche
auf Sozialhilfe angewiesen ist. (Gefunden am 04.Juni 2011 http://www.duden.de) Dabei ist ein
Individuum gemeint, welches nicht mehr ein selbständiges Leben führen kann und deswegen
Unterstützung (nicht nur wirtschaftliche) des Staates benötigt. Früher war der Gegenstand der
Sozialen Arbeit meist das Bekämpfen der absoluten Armut. Aber mit dem heutigen fortgeschrittenen
Sozialstaat und dem vorherrschenden Wohlstand, ist der Gegenstand sehr viel komplexer
geworden .Da die absolute Armut in der westlichen Welt nicht mehr vorhanden ist, wird vor allem die
relative Armut bekämpft.
In diesem Artikel geht es um die Fragen, wie ein Sozialfall von den Theoretiker und Theoretikerinnen
der Sozialen Arbeit beschrieben wird und weshalb ein Mensch zu einem Sozialfall werden kann. Nach
einem kurzen Blick in die Vergangenheit, wird die Gegenstandstheorie von Lutz Rössner erläutert. Die
noch offenen Fragen, werden schliesslich mit Hilfe der Theorie von Silvia Staub-Bernasconi
beantwortet.
Vergangenheit
Die Gegenstandstheorie der Sozialen Arbeit ist in stetigem Wandel. Mit der Entwicklung der
Gesellschaft entwickelt sich auch der Gegenstand der Sozialen Arbeit. In der Geburtsstunde der
Sozialen Arbeit war der Gegenstand meist Menschen in lebensbedrohlichen Situationen, wie
Hungerleidende oder Kranke (Silvia Staub-Bernasconi, 2007, S.136-137). Heute ist dies viel
komplexer geworden.
Anders als die Anderen
Rössner bezeichnet die Soziale Arbeit als spezifizierte Erziehungswissenschaft (Werner Thole, 1998,
S.337). Dies zeigt sich auch in seiner Gegenstandstheorie. Zuerst müssen allerdings einige Begriffe
erklärt werden, um zu beantworten, was ein Sozialfall nach der Theorie von Lutz Rössner ist.
Nach Rössner (1973) ist die Gesellschaft eine Vielzahl von sozialen Gruppen, welche jede einzeln
eine Verhaltensnorm haben. Die übergeordnete Verhaltensnorm, welche von allen sozialen Gruppen
eingehalten wird, bezeichnet Rössner als Normenpluralität. Eine soziale Gruppe gehört zur
Gesellschaft, sofern sie von den anderen Gruppen toleriert wird (S.80). Die Einzelperson einer
solchen sozialen Gruppe verhält sich sozialisiert, wenn die Verhaltensnormen der Gruppe eingehalten
werden. Allerdings hat nicht jedes Mitglied einer sozialen Gruppe die gleichen Normvorstellungen.
Denn nach Rössner (1973) scheitert die vollständige Symmetrie der Normen einer sozialen Gruppe,
da nicht jede Person in allen Punkten der Meinung der Gruppe ist. (S.85) „Es gibt nur asymmetrisch
sozialisierte Menschen“ (Rössner, 1973, S.87).
Falls ein Mensch in einem Punkt eine andere Norm hat, als die soziale Gruppe, gilt er deswegen aber
noch nicht als Gefährdeter der Dissozialisation. Denn eine soziale Gruppe akzeptiert ein gewisses
Grad an Abweichung von der Norm. Erst wenn diese Asymmetrie-Toleranz-Grenze überschritten wird,
gilt diese Person als gefährdet (Rössner, 1973, S.89). Aber auch hier wird ein solches Verhalten erst
zum Problem falls es mehrmals auftritt. Ein dissozialisiertes Verhalten von sonst gut sozialisierten
Menschen wird von der Gesellschaft ertragen, toleriert (Rössner, 1973, S. 91). Zum Beispiel wird es
toleriert wenn ein guter Schüler, welcher seine Hausaufgaben stets gewissenhaft erledigt, seine
Hausaufgaben einige Male nicht macht. Erst wenn der Schüler die Aufgaben regelmässig nicht
erledigt, gilt dieses Verhalten als dissozialisiert und er gilt als Gefährdeter. Nach Rössner (1973) ist
ein Gefährdeter ein Individuum, welches von einer diagnostizierenden Instanz als nicht „normal“ und
daher abweichend von der Normenpluralität bezeichnet wird (S.125). Gefährdet ist eine solche Person
von der Dissozialisation. Dissozialiation bedeutet gemäss Rössner (1973), dass bei einem Menschen
die Sozialisation, also das Lernen der Werte und Normen in einer Gesellschaft, fehlgeschlagen ist. Bei
Gefährdeten sieht Rössner Handlungsbedarf für die Soziale Arbeit und bezeichnet sie als Gegenstand.
Er (1973) sagt, dass ein nicht toleriertes dissozialisiertes Verhalten oder eine befürchtete Dissozialität
von der diagnostizierenden Instanz, hier die Soziale Arbeit, oder im Auftrag der diagnostizierenden
Instanz, korrigiert werden muss. (S. 119/120)
Ein Sozialfall zeigt also ein nicht tolerierbares dissoziales Verhalten im Vergleich mit anderen
Menschen der Gesellschaft und die Soziale Arbeit hat als diagnostizierende Instanz die Aufgabe, ein
solches Verhalten zu erkennen und zu korrigieren. Ob dies nun eine kriminelle Tat oder das nicht
begleichen von Rechnungen ist.
Bedürfnisse des Menschen
Doch wieso weicht eine Person von der Norm ab? Weshalb verhält sie sich dissozial? Es fällt auf das
dies in der Theorie von Rössner nicht berücksichtigt wurde. Er erwähnte zwar, dass gewisse
Umstände das körperliche, geistige und seelische Wohlergehen und somit die normale Entwicklung
beeinträchtigen können und deswegen von einem Gefährdeten die Rede ist (S.125), jedoch ist dies
sehr allgemein gesagt. Es fehlt an Gründen, zudem fehlt die Sichtweise des Klienten. Ernst Engelke
(2009) schreibt das Silvia Staub-Bernasconi der Meinung ist, dass solche soziale Probleme
versursacht werden, wenn ein Mensch keine Möglichkeit sieht, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Dies
verunmöglicht oder zumindest erschwert das Wohlbefinden des Menschen. (S.453) Menschen stehen
in ihrem Leben vor der Aufgabe, dass sie lernen müssen ihre Bedürfnisse und Wünsche innerhalb der
Gesellschaft mit Konflikt oder Kooperation mit anderen Menschen zu befriedigen (Ernst Engelke, 2009,
S.452). Wenn dies in mehreren Lebensbereichen nicht funktioniert, drücken diese sozialen Probleme
einen Menschen an den Rand der Gesellschaft. Diese Randständigkeit, in mehrfach sich
überlagernder Gestalt, ist nach Staub-Bernasconi der Gegenstand der Sozialen Arbeit (Ernst Engelke,
2009, S.453).
Zu erkennen ist, dass beim Befriedigen der Bedürfnisse auch ein Konflikt mit der Gesellschaft
entstehen kann. Nämlich wenn ein Bedürfnis nicht befriedigt werden kann, weil Gesetze und Normen
einer Gesellschaft dies verbieten.
Rössner spricht von Umständen (1973, S:125) und Staub-Bernasconi von soziale Probleme (Thole,
2010, S. 271). Doch was ist damit gemeint? Durch welche Gründe wird ein Mensch zu einem Fall für
die Soziale Arbeit? Staub-Bernasconi (1995, S.105-106) unterscheidet vier verschiedene Kategorien
von sozialen Problemen:
1.
2.
3.
4.
Probleme von nicht erfüllter Bedürfnisse und Wünsche
Probleme von asymmetrischen Geben und Nehmens
Probleme von behindernder Machtverhältnisse
Probleme nicht gestörter, fehlender oder willkürlich gehandhabte Werte und Kriterien
Probleme nicht erfüllter Bedürfnisse und Wünsche
Selbstverwirklichungs- und Selbstbehinderungsprobleme von Individuen, daher ist hier Leiden von
Menschen das Problem, welche auf nicht erfüllbare Wünsche und Bedürfnisse, zurückzuführen sind.
Dies sind rein individuelle Probleme. Allerdings kann eine Lösung dieser Probleme, meist durch eine
nicht näher bestimmte Störung der Aussenwelt, behindert werden (Thole, 2010, S.172).
Probleme asymmetrischen Geben und Nehmens
Hier werden Probleme, welche durch Versagen der Sozialisation ausgelöst werden, zugeordnet. Dazu
gehören Pflichterfüllungen gegenüber der Gesellschaft sowie Akzeptieren und Einhalten der Werte
und Normen einer Gesellschaft. Bei Verstoss droht der Ausschluss aus sozialen Systemen (Thole,
2010, S.272).
Probleme behindernder Machtverhältnisse
Bei einem einzelnen Menschen können sich durch seine gesellschaftliche Position Barrieren auf tun,
die ihm verunmöglichen, seine persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen.(Thole, 2010, S.271-272)
Einige Beispiele dazu:



Bildungs- und Einkommensniveau
Fehlende Infrastruktur
Fehlende Kompetenzen


fehlende soziale Beziehungen
Problematische Selbst-, Fremd und Gesellschaftsbilder (Rassismus, Stereotypen,
Sexismus)
Probleme nicht gestörter, fehlender oder willkürlich gehandhabte Werte und Kriterien
Bei Problemen im Zusammenhang mit sozialen Interaktionsfeldern oder Systemen geht es zum
Beispiel um:



Fehlende Gegenseitigkeit im sozialen Austausch
Nicht gerechte Ressourcenverteilungs-, Arbeitsteilungs- oder Sanktionsregeln
Kulturelle Kolonisierung
Alle vier Problemkategorien können einzeln oder miteinander vernetzt vorkommen. Zu beachten ist
zusätzlich, dass vor allem bei Problemen die direkt oder indirekt durch gestörte Machverhältnisse in
der Gesellschaft ausgelöst werden, nicht davon ausgegangen werden kann, dass Mensche ihre Nöte
als Problem erkennen. Oft werden solche Probleme als Schicksal oder verdiente Strafe hingenommen
(Thole, 2010. S. 272).
Sozialfall ist nicht gleich Sozialfall
Die Definition eines Sozialfall muss noch erweitert werden, da in der Gesellschaft, nicht jeder
Sozialfall gleich behandelt wird. Je nach dem aus welchem Grund ein Mensch zum Sozialfall
geworden ist, wird er anders behandelt. Dabei ist von der Klientenpyramide (Staub-Bernasconi, 1995,
S.98) die Rede, in welcher die Adressatinnen und Adressaten nach ihrer gesellschaftlichen Position
geordnet sind. Staub-Bernasconi (1995) sagt, dass gemäss gesamtgesellschaftlichen Kriterien die
oberste Kategorie aus kranken, alten, pflegebedürftigen und behinderten Menschen besteht.
Alleinerziehende gehören zur Mittelschicht. Zur Unterschicht gehören Verbrecher (je nach Art des
Delikts), Suchtkranke oder Obdachlose. Bei Migranten spielt die regionale oder nationale Herkunft
eine grosse Bedeutung (S. 98).
Den Klienten der Oberschicht steht durch die höhere Toleranz in der Bevölkerung, Medien und Politik
mehr Geld zur Verfügung als den Klienten der Unterschicht. Klienten der oberen Schichten, stehen
deswegen viel mehr beratende und unterstützende Institutionen zur Verfügung als Klienten der
unteren Schichten. Vor allem dadurch, dass die meisten Institutionen durch Spenden finanziert oder
zumindest unterstützt werden, haben Institutionen, welche sich für Belangen für Betroffene der
unteren Schichten der Klientenpyramiede einsetzten weniger Geld zur Verfügung (Staub-Bernasconi,
1995, S. 98). Beispielsweise stösst eine Organisation wie die Krebsliga welche sich für Krebskranke
einsetzt auf mehr Solidarität als eine Organisation welche ein Programm für Sexualverbrecher
anbietet.
Fazit
Rössner definiert ein Sozialfall vor allem dadurch, dass er von der Normpluralität der Gesellschaft
abweicht und deshalb wieder durch korrigierenden Massnahmen in die Gesellschaft eingegliedert
werden muss. Diese Theorie ist aber sehr auf die Gesellschaft und weniger auf den Klienten fixiert. So
ist das Ziel bei den korrigierenden Massnahmen nach Rössner(1973, S.119-120), dann auch ein
einzelnes Individuum und nicht die Gesellschaft. Daraus lässt sich schliessen, dass die Sicht des
Klienten mit dieser Theorie offensichtlich nicht berücksichtigt wird. Staub-Bernasconi (2005) sagt
dagegen, dass nicht nur Individuen die Adressatinnen und Adressaten der Sozialen Arbeit sind,
sondern, falls es ein Teil des Problems ist, auch soziale Systeme. (S.95) Aus Sicht des Klienten, sind
es vor allem Bedürfnisse, die er durch Umstände in der Gesellschaft oder in seinem Leben nicht
befriedigen kann. Dadurch ist auch das Geben und Nehmen in der Gesellschaft gestört. Eine Person,
welche durch Arbeitslosigkeit weniger Geld verdient, kann vielleicht nicht mehr seine Rechnungen
begleichen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Sozialfall ein Mensch ist, welcher nur durch
Unterstützung des Staates seine Bedürfnisse befriedigen kann. Verschiedene Umstände am
Menschen selber, wie Krankheit, Keine Sprachkenntnisse, Bildungsniveau aber auch Zustände in der
Gesellschaft, wie ungerechte Behandlung, nicht gerechte Ressourcenverteilung können dazu führen.
Der Betroffene wird durch die sozialen Probleme, welche in behindern zu einem Randständigen. Er
sieht keine Möglichkeit oder hat die nötigen Ressourcen nicht, um seine Probleme selbständig zu
lösen. Ein Sozialfall ist demnach eine Person, welche nicht nur wirtschaftliche Sozialhilfe bezieht,
sondern allgemein die Hilfe eines Sozialarbeiters, einer Sozialarbeiterin in Anspruch nimmt. Demnach
ist der Auftrag der Sozialen Arbeit, die sozialen Probleme der Klienten zu erkennen und
Lösungsvorschläge zu finden, damit er schliesslich selbständig und ohne Unterstützung Leben kann.
Literatur- und Quellverzeichnis

Rössner, Lutz. (1975). Theorie der Sozialen Arbeit, Ein Entwurf. München / Basel: Ernst
Reinhardt Verlag.

Thole, Werner (1998). KlassikerInnen der Sozialen Arbeit. Sozialpädagogische Texte aus
zwei Jahrhunderten – ein Lesebuch. Neuwied: Hermann Luchterhand Verlag.

Engelke Ernst, Borrmann Stefan und Spatscheck Christian (2009). Theorien der Sozialen
Arbeit. Eine Einführung (überarb. und erw. 5. Auf.). Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag

Duden. Online Wörterbuch. Gefunden am 04.Juni 2011 unter http://www.duden.de

Staub-Bernasconi, Silvia (1995). Systemtheorie, soziale Probleme und Soziale Arbeit: lokal,
national, international oder: vom Ende der Bescheidenheit. Bern Stuttgart Wien: Haupt.

Staub-Bernasconi, Silvia (2007). Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft.
Systemtheorietische Grundlagen und professionelle Praxis-Ein Lehrbuch. 1.Auflage BernStuttgart-Wien:Haupt.

Thole Werner (2010). Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch. 3. Auflage
Wiesbaden: Springer Fachmedien
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