Warum keiner mehr fix zam ist Datei

Werbung
WARUM KEINER MEHR FIX ZAM IST
Lange Beziehungen sind out. Selbstverwirklichung, Karriere und Spaß stehen an
erster Stelle. Man will sich heutzutage nicht zu früh binden. FOMO, The Fear Of
Missing Out, ist dabei ein ständiger Begleiter.
Von Aleksandra Tulej
Wieso sollte ich mir die ganze Beziehungstortur geben? Sex gibt’s auch so. Außerdem
werden Frauen nach einer Zeit langweilig und anstrengend, dann ist Zeit für die
Nächste.“ Łukasz ist 25, steht kurz vor seinem Abschluss auf der TU, und seine große
Liebe heißt Tinder. „Heute ist es viel einfacher, jemanden einfach so aufzureißen. Wer
braucht dann noch den Aufwand, den eine Beziehung mit sich bringt?“
Die Generation unserer Eltern hat viel Zeit darin investiert, ihre Partner richtig
kennenzulernen. Bei der Generation Y ist das nicht mehr so. „Wir“ sind die
Mittzwanziger, bei denen alles möglich ist: Wir wollen uns selbst verwirklichen,
unseren Traum leben, Erfahrungen sammeln, Karriere machen
und meistens kommt
noch dazu, dass wir frei und ungebunden sein möchten. Wir sind die Generation, die
für die gesellschaftlichen Revolutionen der letzten beiden Jahrhunderte zu spät dran
ist. Die Generation, der der Weg schon geebnet wurde. Die Generation, die
Kompromisse nicht gewohnt ist. Wir leben in einem Konkurrenzkampf mit uns selbst
und anderen. Es geht immer noch besser, toller, erfolgreicher. Und dieser Wahn
projiziert sich stark auf das Liebesleben. Ich weiß das, denn ich gehöre auch dazu.
Viele von uns ticken wie Lukasz. One-Night- Stands, Booty-Calls und MingleFreundschaften sind die Alternativen zur fixen Beziehung. Sind wir heutzutage
unfähig, Beziehungen zu führen? Oder sind wir einfach lieber single? Ich habe mich in
meinem Bekanntenkreis umgehört.
„Bindungen haben früher Sicherheit bedeutet. Heute bedeuten sie Einschränkung.
Außerdem fragen wir uns in unserer egoistischen Position, ob es sich überhaupt
„auszahlt“, eine Beziehung zu haben“, sagt die 23-Jährige Lucia nachdenklich. Sie hat
ihren Mr. Right noch nicht gefunden. Aber sie sucht die große Liebe. Die Romantik
stirbt eben zuletzt – auch in unserer Generation.
Die Generation unserer Eltern war mit 25 verheiratet, hatte eine eigene Wohnung oder
sogar ein Haus und zwei Kinder. Heutzutage wohnt man mit 25 in einer WG, arbeitet
schleppend auf seinen Uni-Abschluss hin und hat, wenn es hoch kommt, eine
zweijährige Beziehung am Laufen. Es geht hier nicht darum, welches Szenario gut und
welches böse ist. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Frage, die sich
aufwirft, ist vielmehr: Wieso? Wieso sind so viele Menschen unserer Generation so
beziehungsunfähig?
FOMO
„Es ist so, dass man als Single viel mehr ausgeht, und immer wieder neue Mädels
kennenlernt. In einer Beziehung hätte ich Angst, das zu verpassen“, sagt der 27-jährige
Alex. Er hatte schon drei lange Beziehungen, kennt daher das Für-und- Wider. Alex
hat Angst, sich nicht genug auszuleben. Es gibt auf Englisch einen Begriff dafür:
FOMO – The Fear Of Missing Out.
Wir sind die Fortgeh-Generation. Die Stimmung ist top, man ist entspannt, alles ist
lustig,
alle sind angeheitert, neue Freundschaften werden geschlossen. Oder
Freundschaften für eine Nacht eben. Oder mehr. Und bei „mehr“ stellt sich die Frage,
wann und ob es überhaupt ernst wird. Oder ob es nicht sinnvoller ist, seine „Gspusis“
alle paar Wochen auszutauschen, sich emotional nicht zu sehr zu binden, damit man
nicht verletzt wird. Apps wie Tinder erleichtern das enorm. „Du kannst alle Phasen
einer Beziehung viel schneller durchgehen. Das ist viel unkomplizierter“, sagt Lukasz,
der Tinder-Fan. Und ungefährlicher. Denn tiefe Gefühle können sich nicht so schnell
aufbauen und wenn einer nicht mehr mag, tut das nicht weh. Man wird austauschbar.
Tinder, die Wisch-und-Weiter-App, macht Spaß, ist oberflächlich und praktisch. „Ich
hatte bis jetzt zwei Tinder-Dates, die dann zu One-Night-Stands mit Mädels wurden,
weil beide auf Durchreise waren. Also war es klar, dass es da keine Zukunft gibt,“
erklärt Alex. Für eine Beziehung hätte er auch keine Zeit. Er arbeitet 60 Stunden die
Woche, „zwischendurch“ macht er noch sein Vollzeit- Masterprogramm. „Das sind
genug Verpflichtungen. Da passt eine Freundin einfach nicht ins Bild.“
WEIL WIR‘S KÖNNEN?
Doch wieso lebt unsere Generation in der Hinsicht so anders, als die Generationen vor
uns? Na, weil wir’s können. Und früher konnte man eben nicht. Vor hundert Jahren
hat man im Alter von 18 oder 19 Jahren den ersten Mann geheiratet, den man geküsst
hat, weil es sich so gehört hat. Auch wenn er von den Eltern ausgesucht wurde.
Im Vergleich dazu gibt es heutzutage kaum eine Person, die nur einen Menschen in
ihrem Leben geküsst hat. Und wieder kann man nicht sagen, was hier das gute und
welches das böse Szenario ist. Nur, dass wir eben heutzutage die Wahl haben, welches
wir leben wollen. Weil wir frei sind. Wir haben die Möglichkeit, unsere
Entscheidungen alleine zu treffen. Es gab immer schon Ehen, die total unglücklich
waren, Ehen und Beziehungen, die man hätte beenden müssen, es aber nicht getan hat,
weil Scheidungen verpönt waren und: „Was würden die Nachbarn sagen?“ Aber
früher hat man auch mehr daran gearbeitet, etwas wieder hinzubiegen, anstatt es
einfach auszutauschen und wegzuschmeißen.
Unser Streben nach besser, besser, besser macht uns irgendwann noch wahnsinnig.
Jeder Mensch hat Fehler. Den perfekten Partner gibt es einfach nicht. „Heute
kümmern sich viele stärker um ihr Bild nach außen und da gehört ein perfekter Freund
oder Freundin genauso dazu wie die neue Handtasche oder ein Sportwagen“, meint
Łukasz.
ZU VIEL AUSWAHL!
Haben wir einfach zu viel Auswahl? Wahrscheinlich. Dazu kommt noch das, dass die
meisten erst mal fett Karriere machen wollen, bevor sie daran denken eine Familie zu
gründen, so wie Alex.
Er kann sich noch nicht vorstellen, zu heiraten, frühestens in zehn Jahren. Davor
müssen noch viele Dinge passieren, erklärt er. „Ich muss eine Frau finden, die mich
aushält. Ich möchte die Welt sehen. Ich möchte beruflich stabil da stehen, damit ich
meinen Kindern etwas bieten kann. Es ist für mich extrem wichtig, möglichst viele
Praktika in meinem Lebenslauf zu haben, mehrere Semester im Ausland zu studieren,
auf Networking-Events Kontakte für die Zukunft zu knüpfen. Das sind alles
Argumente, die in einer Beziehung eher hinderlich sind“, sagt er.
Auch die 23-jährige Ivana teilt seine Meinung. Sie bezeichnet sich selbst als
Workaholic, ändert aufgrund ihrer zahlreichen Jobs und Praktika seit Jahren ständig
ihren Wohnort. „Mein Leben ist sehr dynamisch. Ich brauche und mag
Veränderungen. Ich wohne nie länger als ein halbes Jahr an einem Ort, das erschwert
Beziehungen dann natürlich schon immens. Und Fernbeziehungen via Skype sind
dann auch nicht so das Wahre“, gesteht sie.
BLAUE WHATSAPP-HAKERL
Soziale Netzwerke dienen aber nicht mehr nur dazu, mit Menschen in Kontakt zu
bleiben, sondern auch, um sie zu kontrollieren. Dadurch geht nicht selten etwas Fixes
in die Brüche. So wie die lang- jährige Beziehung der 21-jährigen Kinga. „Dieses
ständige Aufregen, weil man auf eine laut Whatsapp erhaltene Nachricht nicht sofort
antwortet. Ganz ehrlich, man kann ja nicht einmal mehr kurz in Ruhe aufs Klo gehen.“
Diese Kontrolle kann in den Wahnsinn treiben. Kinga und ihr Ex-Freund haben sich,
als sie noch zusammen waren, darauf geeinigt, Whatsapp und Facebook zu löschen.
Beide dachten, dann würde sich etwas ändern. „Aber das hat dann zu Lügen und noch
weniger Vertrauen geführt, und schließlich zum Schlussmachen“, sagt Kinga. Ganz
ohne Social Media geht es dann wohl auch nicht. Egal ob in einer Beziehung, oder als
Single.
„Es ist schon so, dass durch Facebook und Whatsapp unsere Bekannten und somit
auch potentielle Partner immer nur einen Klick entfernt sind. Deshalb ist es mir auch
etwas unwichtiger geworden, die Initiative zu ergreifen, wenn ich ein Mädchen
kennen lerne. Ich kann ihr ja später auch noch schreiben“, erklärt Alex.
Durch die moderne Technologie ist alles viel transparenter geworden. Man kann in
null Komma nichts viel über eine Person herausfinden, die man nicht richtig kennt,
was dazu führt, dass vorschnell Urteile getroffen werden. Auf Tinder einen Abend
lang mit fünf Typen schreiben, und dann am Schluss entscheiden, welcher der „Beste“
ist, und nur ihm dann die Nummer geben? Auf einer Party mit jemandem schmusen,
ihn dann auf Facebook ausfindig machen und stalken? Heutzutage ist das normal.
Und dann sehen wir, dass er vor drei Wochen mit einem Mädchen auf einem Bild
markiert wurde. Ist das etwa seine Freundin? Seine Ex? Wieso
hat sie dann gestern
noch sein neues Profilbild geliked? Und zu allem Überfluss hat er auch noch unsere
Whatsapp-Nachricht erhalten und gelesen, die Hakerl sind blau. Schon vor ganzen
zwanzig Minuten. Aber immer noch keine Antwort. Wahrscheinlich ist er gerade bei
ihr.
„Während man sich dann abwechselnd Mord- und Hochzeitsszenarien ausmalt, kommt
es uns aber nicht in den Sinn, den armen Typen vielleicht einmal besser
kennenzulernen, als ihn vorschnell mit zusammengereimten Fakten zu verurteilen.
Und dann ist das Mädchen eh nur die Schwester.“ Das kennt man doch.
LÄUFT BEI UNS.
Ein Szenario, das zeigt, dass wir vielleicht doch nicht so cool sind, wie wir gerne
wären. Und so frei sind wir dann auch wieder nicht, weil die Gedanken ja doch im
Kopf bleiben.
„Vielleicht ist die Anzahl unserer One Night Stands gestiegen, die Anzahl an
Menschen, denen man wirklich näher gekommen ist, hat sich in meinen Augen nicht
verändert“, meint Łukasz.
Es ist vielleicht also doch noch nicht an der Zeit, unsere Generation in
Beziehungssachen als unfähig abzustempeln.
Vielleicht hat sich im Vergleich zu früher doch nicht so viel geändert. Aber das kann
man doch nicht zugeben, Sonnenbrille auf und „läuft bei uns“. Wir müssen uns ja noch
selbst verwirklichen.
Quelle: dasbiber http://www.dasbiber.at/content/warum-keiner-mehr-fix-zam-ist Jänner 2016
Herunterladen